Quandt, Emil - Sacharjas Nachtgesichte und Morgenklänge - Das dritte Kapitel.

Das vierte Gesicht des Propheten von der Weihe des Hohenpriesters Josua.

Vers 1. Und mir ward gezeigt der Hohepriester Josua, stehend vor dem Engel des Herrn, und der Satan stand zu seiner Rechten, dass er ihn widerstände. Der Anfang des Verses ist zu übersetzen: Und er zeigte mir den Hohenpriester Josua, er, nämlich der dem Propheten beigegebene Engel. Dieser Engel öffnet dem Propheten, alsbald nach dem Ende des Gesichtes von dem Manne mit der Messschnur und dem aus Jerusalem kommenden Engel des Herrn, die Augen für ein neues Gesicht, das, selbständiger als das dritte und zweite, dem ersten Gesicht ebenbürtig zur Seite steht. Der Hohepriester Josua vor dem Engel des Herrn stehend, verklagt, entsündigt und geweiht das ist der Kern dieses vierten Gesichtes, in welchem Josua zugleich ein Abbild des sündigen Priestertums des alten Bundes und ein Abbild jedes einzelnen sündigen, aber nach Begnadigung sich sehnenden Israeliten und Menschen ist. Josua, so nennen ihn die Propheten Haggai und Sacharia, oder Jesua (die zusammengezogene Form für Josua, das griechische Jesus), so nennen ihn Esra und Nehemia, war ein Sohn Jozadas und zu Sacharjas Zeit der Hohepriester Israels, der mit seiner Familie aus Babel nach Jerusalem zurückgekehrt war und neben Serubabel an der Spitze des Volkes stand, ein frommer, kluger und tätiger Mann, der sich besonders um den Bau des Tempels große Verdienste erwarb. Sacharia sieht ihn in seinem Nachtgesicht vor dem Engel des Herrn stehen, nicht seines Priestertums waltend, sondern in der Gestalt eines Verklagten. Zu seiner Rechten sieht der Prophet den Verkläger stehen - die Persönlichkeit des Verklägers (denn so ist das hebräische Wort Satan zu übersetzen) wird nicht näher beschrieben. Da nun das hebräische Wort Satan d. i. Verkläger, Widerpart, Gegner vielfach im alten Testament von menschlichen Widersachern gebraucht wird z. B. 1. Sam. 29,4. (Luther übersetzt „Widersacher,“ 2. Sam. 19,23. (Luther: „Satan“), 1. Kön. 11,23.25. (Luther: „Widersacher“), so ist aus unserer Stelle hier in zwingender Weise weder für noch gegen die Lehre vom persönlichen Teufel etwas zu schließen; die gläubigen Schriftausleger gehen in ihren Meinungen über den hier genannten Verkläger weit auseinander. Die Einen sehen in ihm einen Menschen, der die menschlichen Feinde des damaligen Israels versinnbilde, die Andern gar einen guten Engel, den Repräsentanten des Strafengelamtes (wogegen doch Vers 2 zu sprechen scheint), noch Andre endlich dann den bösen, abgefallenen Engelfürsten, den Teufel. Die letztere Meinung dürfte doch die richtigere sein, eben im Hinblick auf Vers 2 und auf den ganzen Zusammenhang des Gesichtes, sowie auch im Blick auf das Buch Hiob, mit dessen Einleitung und Schluss dieses Nachtgesicht unverkennbare Ähnlichkeit hat. Dass der Verkläger zur Rechten steht, gerade so wie Psalm 109,6., ist wohl nicht aus einer angeblichen jüdischen Sitte zu erklären, nach welcher vor Gericht der Ankläger immer rechts vom Angeklagten seinen Platz eingenommen hätte, sondern aus dem natürlichen Umstande, dass die Rechte, mit welcher gehandelt wird, der passendste Platz für den ist, der für oder gegen Einen handeln will. So steht Psalm 109,31 der Herr dem Armen zur Rechten, um ihm zu helfen, und wir singen von unserem Gott, dass in allen Fällen Er uns zur Rechten steh' und dämpfe Sturm und Wellen und was uns bringet Weh. Der Satan nun steht zur Rechten Josuas, dass er ihm widerstände. Den Menschen aus Hass und Neid vor Gott zu widerstehen, sie Gott abzusprechen und seiner Botmäßigkeit verfallen zu erklären, das ist bei Hiob und sonst in der Schrift der Grundbegriff der satanischen Wirksamkeit; Satan widersteht dem Josua und in ihm dem ganzen Priesterstande, ja dem ganzen priesterlichen Volke Gottes, indem er seine Schuld und Sündhaftigkeit vor dem Engel des Herrn betont. Satan will's nicht leiden, dass das arme Israel wieder aufblühe; aber da ihm ja nicht unbewusst sein kann, dass seine eigene Macht gegen Gottes Allmacht nicht aufkommen kann, so sucht er es dahin zu bringen, dass auch Gott es nicht leiden solle, dass Israel wieder zu Ehren komme. Darum verschwärzt er das geistliche Oberhaupt Israels als unwürdig der Teilnahme Gottes, indem er den Hintergedanken hegt, dass, wenn das Haupt gefallen ist, auch die Glieder fallen werden.

Vers 2. „Und der Herr sprach zu dem Satan: Der Herr schelte dich, du Satan; ja der Herr schelte dich, der Jerusalem erwählt hat! Ist dieser nicht ein Brand, der aus dem Feuer errettet ist? „Der Herr sprach: Der Herr schelte dich“ - der sprechende Herr ist der Engel des Herrn aus dem vorigen Verse, der scheltende Herr ist der Herr Zebaoth im Himmel. Diese Zweipersönlichkeit in der Gottheit zieht sich durch alle Gesichte Sacharjas. Der Herr nimmt die Anklage wider Josua nicht an, sondern treibt den Ankläger von sich, warum? Weil Josua unschuldig war? Nimmermehr! Sondern weil Er Jerusalem erwählt hat, weil Er die Barmherzigkeit sich will rühmen lassen wider das Gericht, weil Er nach seiner Gnade seinem Volk die Sünde vergibt in dem, der da kommen soll, alle Sünde zu sühnen (Vers 8), weil Er, der sich erbarmt, wessen er sich erbarmen will, wieder in Jerusalem unter seinem Volke wohnen will, wie in vorigen Zeiten. Nicht darum also zerrinnt die Anklage Satans in nichts, weil Josua in und an sich selbst gerecht gewesen wäre; o nein, Josua ist, wenn wir bei ihm auch nicht mit den jüdischen Rabbinern an schwere persönliche Verschuldungen zu denken haben, an und für sich ein armer, verlorener und verdammter Sünder und kommt hier vor dem Gerichte des Herrn sogar noch in Betracht als Repräsentant des ganzen sündigen Priesterstandes und des ganzen sündigen Volkes. Vielmehr darum ist Josua gerechtfertigt, weil ohne sein Verdienst und Würdigkeit aus lauter göttlicher Gnade und Barmherzigkeit ihm und seinem Volk die Reinigung geschenkt wird. Der Satan würde ja richtig kalkulieren, wenn es keine erlösende Gnade Gottes gäbe; ohne diese erlösende Gnade wären wir alle auf ewig verdammt und verloren. Aber eben die Gnade Gottes, die sich den eignen Sohn vom Herzen reißt und ihn dahin gibt zum Träger und Sühner der Sünden der Welt, sie ist der große Strich durch die Rechnung des Satans. Wer die Gnade Gottes in Christo annimmt, dem kann der Teufel in Ewigkeit nichts anhaben. Es hat ja leider der Teufel durch Evas Verführung die Welt in einen unseligen Brand gesteckt; aber wie ein Mensch, wenn auch mit großer Mühe, ein schon brennendes Holz noch dem Feuer entreißen kann, so erhält Gott nach seiner wunderlichen Weisheit mitten in dem allgemeinen Feuer der Sünde und des Verderbens diejenigen als Denkmale seiner Barmherzigkeit, die seiner Gnade und seiner Gnadenordnung sich hingeben. Josua, weil er ein bußfertiger, sich an Gottes Heilsverheißungen anklammernder Sünder war, ward freigesprochen; und wenn ihm Satan doch noch etwas anhaben wollte, so stritt er gegen Gottes felsenfesten Gnadenratschluss; darum ward er von dem Herrn gescholten, hart verwiesen und abgewiesen. Das Gleichnis, in welchem die durch Gottes Gnade erretteten gläubigen Sünder mit Bränden, die aus dem Feuer gerissen sind, verglichen werden, ist der heiligen Schrift sehr geläufig, man vergleiche Amos 4, 11

Vers 3. Und Josua hatte unreine Kleider an und stand vor dem Engel. Die unreinen Kleider Josuas versinnbilden seine eigene natürliche sündige Beschaffenheit; zugleich aber auch seinen bußfertigen Sinn. Für beides waren unreine Kleider das Symbol, für die Schuld und für die damit verbundene Trauer, wie umgekehrt Feierkleider Freude und Heil bedeuteten, eben auf Josuas unreine Kleider zeigte Satan gleichsam mit Fingern als auf den Tatbeweis für Josuas Schuld; Gott aber ließ ihm gerade die unreinen Kleider ausziehen und zeigte damit, dass er dem Josua die Schuld vergeben habe.

Vers 4. Welcher antwortete und sprach zu denen, die vor ihm standen: Tut die unreinen Kleider von ihm. Und er sprach zu ihm: Siehe, ich habe deine Sünde von dir genommen und habe dich mit Feierkleidern angezogen. Die vor dem Engel des Herrn stehen und seine Befehle ausrichten, sind die erschaffenen Engel, seine Diener, deren Hauptdienst denen zu Gute kommt, die ererben sollen die ewige Seligkeit. Nachdem sie ihres Gebieters Willen vollzogen haben, erklärt er selbst dem Josua diesen sinnbildlichen Vorgang, nämlich dass er entsündigt und darum aller Anklage enthoben sei. Indem Josua nun mit Feierkleidern angetan vor seinem Herrn stand, hatte er in seinem äußeren Gewande die Bürgschaft für den inneren Gnadenstand, in welchen er im Bußglauben eingetreten war; er konnte nun sprechen mit Jesaias 61,10: „Ich freue mich im Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils und mit dem Rock der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam mit priesterlichem Schmuck geziert.“ Und ähnlich kann jeder begnadigte, gläubige Sünder sprechen: „Christi Blut und Gerechtigkeit das ist mein Schmuck und Ehrenkleid; damit werd' ich vor Gott besteht, wenn ich zum Himmel werd' eingehn.“

Vers 5. Und er sprach: Setzt einen reinen Hut auf sein Haupt. Und sie setzten einen reinen Hut auf sein Haupt und zogen ihm Kleider an, und der Engel des Herrn stand da. Der erste Satz des Verses lautet genauer: Ich spreche, sie sollen einen reinen Hut auf sein Haupt setzen. Der Sprechende ist der Engel des Herrn. Dann wird berichtet, dass auch dieser Befehl des Herrn von den Engeln ausgeführt ist, gerade so wie der vorige, dessen Ausführung nur der Vollständigkeit halber noch einmal mit erwähnt ist. Der reine, weiße Hut ist der hohepriesterliche Kopfschmuck, der aus dem feinsten weißen Linnen bestand; ihn zu tragen war Josua um seiner Sünden willen nicht geschickt; nun er aber durch Gottes Gnade entsündigt ist, erhält er das Zeichen seiner Würde wieder. Was aber an ihm geschieht, gilt dem ganzen Priesterstande und Volk. Dass der Engel des Herrn dastand, wird betont, weil die Gegenwart des Herrn die Entsündigung Josuas besiegelt.

Vers 6. Und der Engel des Herrn bezeugte Josia und sprach: Nachdem die Entsündigung sinnbildlich und doch zugleich tatsächlich vollzogen ist, öffnet nun der Herr seine Lippen zum Segen über den Entsündigten. Diese Bezeugung des göttlichen Segens über den entsündigten Josua ist eine der ergreifendsten und bedeutendsten Stellen in unserem prophetischen Buch.

Vers 7. So spricht der Herr Zebaoth: Wirst du in meinen Wegen wandeln und meiner Hut warten, so sollt du regieren mein Haus und meine Höfe bewahren; und ich will dir geben von diesen, die hier stehen, dass sie dich geleiten sollen. Die göttliche Entsündigung ist der Grund, der menschliche fromme Wandel in der vergebenden Gnade aber ist die Bedingung des Segens Gottes. Die Mutter kann das in den Schmutz gefallene Kind so wie es da ist weder loben, noch zu einem reinlichen Verhalten auffordern. Aber wenn die Mutter dem schmutzigen Kinde die befleckten Kleider ausgezogen und ihm reine Kleider angetan hat, dann kann es ihm Lob versprechen unter der Bedingung, dass das Kind sich nun vor neuer Befleckung hüte. Und so macht es Gott mit Josua, so macht er es mit jedem Sünder, der sich seiner Gnade demütig hingibt. Erst zieht Gott dem Josua die unreinen Kleider aus und reine Feierkleider an, dann spricht er zu ihm: „Nun wandle in meinen Wegen und warte meiner Hut“ und verspricht ihm für den Fall, dass er diese Bedingung erfülle, seinen göttlichen Segen. Der Wandel in Gottes Wegen, der Josua vorgeschrieben wird, ist keine allgemeine Israelitenpflicht, wie dieselbe schon dem Vater Israels, dem Abraham, eingeschärft war: „Ich bin der allmächtige Gott, wandle vor mir und sei fromm!“ Das Warten der Hut Gottes ist Josuas besondere Priesterpflicht. Priestern, Propheten und Königen wird im alten Testament das Warten der Hut eingeschärft, für die Priester bedeutet die Hut den Dienst am Hause des Herrn, den sie abzuwarten haben, man vergleiche Hesekiel 44,15 wo es von den Priestern heißt, „dass sie der Hut des Heiligtumes Gottes warten.“ Der Segen, den der Herr ihm unter der Bedingung des frommen Wandels und der amtlichen Treue verspricht, besteht darin, dass Josua Gottes Haus regieren, die kirchliche Oberleitung über das Haus Israel behalten und fortführen soll, und Gottes Vorhöfe bewahren, die Oberaufsicht über den Tempel des Herrn weiter führen soll, und zwar unter dem Schutz des heiligen Engel, denn „diese die hier stehen“ sind eben die dienenden Engel Gottes. Es soll sich also an dem frommen Hohenpriester erfüllen, was der 91. Psalm dem Gerechten verspricht: „Er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“ Wenn die Erde dem Himmel dient, dann dient auch der Himmel der Erde; wenn der Mensch dem Könige des Himmels untertänig ist, dann sendet dieser König seine himmlischen Gewalten, dass sie den Menschen durchs Leben geleiten. Unvollkommen nur hat sich das an dem Hohenpriester Josua erfüllen können, da er nur unvollkommen, als ein auch nach der Begnadigung sündigender Mensch, die gestellten Bedingungen erfüllte; am vollkommensten hat es sich an dem himmlischen Josua, dem einzigartigen Hohenpriester, von dein im nächsten Verse die Rede ist, erfüllt. Er ist vollkömmlich in allen Wegen Gottes gewandelt, er hat der Hut am Heiligtum mit Treue bis in den Tod am Kreuz gewartet; darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihn gesetzt zum Haupt der Gemeinde über Alles, und alle Engel müssen ihm dienen.

Vers 8. Höre zu, Josua, du Hoherpriester, du und deine Freunde, die vor dir wohnen, denn sie sind eitel Wunder. Denn siehe, ich will meinen Knecht Zemah kommen lassen. Das „Hörezu“ und die Anrede „Josua, du Hoherpriester“ soll den Angeredeten vorbereiten auf ein neues großes, wichtiges Wort des Herrn; indem die Anrede sich nicht an Josua allein, sondern auch an seine Freunde, die vor ihm wohnen, wendet, wird ihm von vorn herein bemerklich gemacht, dass das nun kommende Wort des Herrn nicht bloß ihm, sondern dem ganzen Häuflein der israelitischen Gerechten gilt. Die vor und bei Josua wohnenden Freunde sind seine Mitarbeiter im Weinberge Gottes, die Priester und Leviten, dazu auch der fromme Regent Serubabel und seine Räte. Sie sind samt Josua, so sagt der Herr, eitel Wunder, wörtlich Männer des Zeichens d. i. Männer, die Gott verordnet hat, um als Bild und Gleichnis etwas Geheimes oder Zukünftiges anzudeuten. Denselben Namen trägt der Prophet Hesekiel, Hesek. 12,6 nach der kirchlichen Übersetzung: „Ich habe dich dem Hause Israel zum Wunderzeichen gesetzt.“ Josua soll lernen, dass er und seine Freunde Männer des Zeichens sind, also Männer, an denen sich die göttliche Weissagung noch nicht abschließend erfüllt, sondern die über sich selbst hinausweisen auf eine Zeit, wo das, was in ihnen selber nur knospt, zur großartigen Blüte kommen wird. Der von Gott begnadigte und über Israel gestellte Hohepriester Josua war ein Zeichen, das da hinwies auf den messianischen Hohenpriester ohne Fehl und Makel, und seine Freunde waren Zeichen, die da hinwiesen auf glaubensvollere Genossen des zukünftigen Josua; auf den Zemah und dessen apostolische Genossen wiesen die damaligen Wundermänner durch ihre Persönlichkeiten und ihr Leben bin. Zemah, besser Zemach, heißt Spross und wird von Luther in unserem prophetischen Buche unübersetzt gelassen, sonst aber von ihm mit Gewächs übersetzt. Drei Propheten, Jesaias, Jeremias und Sacharja, weissagen unter diesem Namen von dem Messias; am bekanntesten und wichtigsten von den Bibelstellen, die von dem Messias unter dem Namen Zemach sprechen, ist die Stelle Jeremias, 23,5.6 „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David ein gerechtes Gewächs erwecken will, und soll ein König sein, der wohl regieren wird und Recht und Gerechtigkeit auf Erden anrichten. Zu derselben Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und das wird sein Name sein, dass man ihn nennen wird: Herr, der unsere Gerechtigkeit ist.“ Aus dieser Hauptstelle geht hervor, dass der Messias Zemah heißt nach seiner menschlichen Abstammung aus dem Hause Davide als ein Spross aus der Wurzel Isai; jene neutestamentliche Bitte redet den gekommenen Messias als Zemach an, wenn sie fleht: Jesu, Du Sohn Davide, erbarme Dich meiner! Im sechsten Kapitel unseres prophetischen Buches werden wir den Mann Zemach näher beschrieben finden nach der Herrlichkeit seines Priesterkönigtums; hier in unserem Verse tritt durch das beigesetzte „meinen Knecht“ mehr die Niedrigkeit seiner Erscheinung hervor; der Mann Zemach ist zugleich der Knecht Gottes, wie ihn Jesaias 53 beschreibt, der, selbst ohne Sünde, die Sünde des Volkes auf sich nimmt und in seinem Blut und Leiden sühnt. So ist denn also die damalige Wiederherstellung Jerusalems, die Sacharja in seinen Nachtgesichten als unter dem hohenpriesterlichen Regimente Josuas erfolgend schaut und demgemäß seinen Zeitgenossen zum Troste predigt, nur eine vorläufige, unvollkommene, weissagende. Der Prophet und sein Volk soll mit seinen Sinnen und Gedanken nicht bei der kümmerlichen Gegenwart stehen bleiben, die, von der Zukunft losgerissen, nur einen schlechten Begriff von der Erfüllung dessen, was Gott versprochen, geben konnte; sondern Israel soll in die messianische Zukunft hineinschauen, für die sich Gott den besten Wein aufgespart hat; nicht der Mann Josua, sondern der Mann Zemach war der Gottesstern, der das rechte Sicht des Trostes bringt. Und so wie das damalige Israel immer vorwärts gewiesen wurde auf den, der da kommen sollte, so sind wir rückwärts gewiesen auf den, der gekommen ist; der gläubige Blick auf den Mann Zemach, der mit seinem Opfer in Ewigkeit vollendet hat, die da geheiligt werden, bewahrt auch in den trübsten Tagen vor Trostlosigkeit und lehrt uns singen: Warum sollte ich mich denn grämen?

Vers 9. Denn siehe, auf dem einigen Stein, den ich vor Josua gelegt habe, sollen sieben Augen sein. Aber siehe, ich will ihn aushauen, spricht der Herr Zebaoth, und will die Sünde desselben Landes wegnehmen auf einen Tag. Dass der Stein, von welchem in diesen Verse die Rede ist, Niemand anders meint als den, der im vorigen Verse Zemach genannt wird, macht der Zusammenhang sonnenklar. Der Herr hatte ja eben dem Josua seinen Knecht Zemach vorgelegt, vor Augen gestellt; so redet er nun von diesem Zemach weiter, wenn er sagt: Siehe, auf dem einigen Stein, den ich vor Josua gelegt habe, sollen sieben Augen sein. Aber warum wird der Messias, der zuerst dem Josua als Gewächs vor Augen gemalt, nun ihm als „der einige Stein“ geschildert? Doch wohl deswegen, um den Josua noch kräftiger von dem Haften an dem Boden der Gegenwart loszureißen und ihn zur fröhlichen Ausschau in Israels glorreiche Zukunft zu ermuntern! An dem steinernen Tempel zu Jerusalem, dessen Grundstein vor ungefähr 18 Jahren vor Josuas Augen gelegt war, haftete vor Allem das Sinnen und Denken Josuas; da sollte nun Josua lernen, von dem gelegten Grundstein des steinernen Tempels sich weisen zu lassen zu dem einigen Eckstein, auf dem der herrlichste Tempel Israels, die heilige christliche Kirche, erbaut werden sollte und dieser einige Eckstein ist eben Zemach, der verheißene Spross Davids. Angedeutet ist das schon in der Schwanenliede Jakobs 1. Mos. 49,24, wo noch genauerer Übersetzung der Herr Hirt und Stein Jakobs heißt, noch unverhüllter und mit dem Zusatz des Passionszuges ausgedrückt lesen wir es Psalm 118,22: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden;“ die klarste neutestamentliche Predigt darüber steht 1. Petri 2,48, wo der einige Stein, auf dem das geistliche Haus des Israels rechter Art steht, den schönen und bezeichnenden Namen „lebendiger Stein“ führt. Auf diesem lebendigen Steine sollen sieben Augen sein, so wird dem Josua verheißen; ebenso heißt es in folgendem Kapitel V. 10 nach der verbesserten Übersetzung von dem lebendigen Steine, dass er sieben Augen habe, die er aussende, das ganze Land zu durchziehen; und ebenso sieht Johannes in der Offenbarung 5,6 das Lamm, d. h. den verklärten Heiland, mit sieben Augen und erläutert diese sieben Augen als die sieben Geister Gottes. Sieben ist die Zahl der Fülle, dem lebendigen Steine also wohnt die Fülle des Geistes Gottes inne, der die ganze Welt durchdringt und durchforscht. Der Prophet Jesaja 11,12 weissagt auch von diesen sieben Augen des lebendigen Steines Zemach, wenn er sagt: „Es wird eine Rute aufgehen von dem Stamm Isai und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen, auf welchem wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rats und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. Diesen siebenäugigen Stein will der Herr aushauen, wörtlich nach dem Urtext: „Ich will seine Eingrabung (Gravierung) in ihn eingraben.“ Mit der Eingrabung kann nur eine Inschrift gemeint sein, wie der Hohepriester solche Inschriften eingraviert hatte auf seinem Brustschild und auf seinem Schulterblatt. Was für eine Inschrift der Herr Zebaoth diesem edelsten und köstlichsten aller Steine eingravieren will, erfährt Sacharja in seinem Nachtgesichte nicht; es konnte aber ihm und es kann uns nicht zweifelhaft sein, welche Inschrift diesem lebendigen Steine als seine Eingravierung zugehört. Da eben dieser Stein identisch ist mit dem Manne Zemach, so gebührt ihm als Inschrift auch die Devise, die wir aus der Grundstelle Jeremias 23,5.6 als die Devise des Zemach kennen: „Der Herr, der unsre, der Menschen, Gerechtigkeit ist,“ hebräisch sind das nur zwei Worte: Jehova Zidkemu. Dass das nicht bloß eine Vermutung, sondern Wahrheit ist, zeigt der Zusatz: „Ich will die Sünde desselben (d. i. dieses) Landes wegnehmen auf Einen Tag.“ Denn dieser Eine Tag ist, wie die neutestamentliche Erfüllung uns gelehrt hat, der große Tag von Golgatha, an welchem der Herr, der der verheißene Zemach und lebendige Stein ist, dadurch die höchste Gerechtigkeit uns erworben hat, dass er am Stamme des Kreuzes gestorben ist, als das Lamm Gottes unschuldig, das alle Sünde der Welt getragen und gesühnt hat. Alle Sünde der Welt! Denn die Erfüllung ist großartiger und umfassender als die Weissagung. Sacharja schaut in seinem Gesichte nur die Wegnahme der Sünde eines Landes, Kanaans, durch den Davidsspross; wir schauen im Evangelium die Wegnahme der Sünden aller Sünder aller Lande durch Christi Tod und Blut; wir schauen aber auch zugleich im Evangelio und in der Weltgeschichte, wie gerade das eine Land, dem die Sündenvergebung in Jesu Christo zuerst und zunächst durch die heiligen Seher Gottes in Aussicht gestellt war, sich dieser Sündenvergebung unwürdig gemacht hat, indem es das Blut Christi für unrein erklärte und es über sich und seine Kinder als Blut der Rache herabrief. Israel, du Königsstamm, Volk der ersten Gottesliebe, wann wirst du dem Gotteslamm heiligen deiner Sehnsucht Triebe?

Vers 10. Zu derselben Beit, spricht der Herr Zebaoth, wird Einer den Andern laden unter den Weinstock und unter den Feigenbaum. Unter dem Weinstock und unter dem Feigenbaum hatte Juda und Israel von Dan bis gen Bersaba sicher gewohnt, so lange Salomo, der friedereiche Davidsspross lebte 1. Kön. 4,25. Die schöne Zeit war längst dahin! Die Assyrer und Babylonier hatten nicht nur Israel und Juda weg geführt aus dem heiligen Lande, sondern sie hatten auch das heilige Land selber verwüstet, und es war geschehen, was Gott durch den Propheten Hosea 2,12 gedroht hatte: „Ich will ihre Weinstöcke und Feigenbäume wüste machen; ich will einen Wald daraus machen, dass es die wilden Tiere fressen sollen.“ Die assyrisch-babylonische Gefangenschaft war nun vorüber - wird nun, so fragten sich sehnsüchtig die gläubigen Israeliten, das salomonische Friedensreich wiederkommen? O nun, es kam viel Gutes und Barmherzigkeit von Gott für das heimgekehrte und bekehrte Volk, und Sacharja schaute und predigte seinem Volk viel Güte Gottes. Aber Serubabel war nicht Salomo, und ob Jerusalems Mauern und Tempel zu seiner Zeit auch wieder gebaut wurden, es fehlte viel, dass unter seinem Regimente ein jeglicher hätte sicher wohnen können unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum. Und doch wollte der barmherzige Gott seinem Israel eine neue salomonische Zeit schenken. Eben dazu hat er den Zemach verheißen und dazu hat er ihn gesandt, Frieden zu bringen, Frieden zu machen auf Erden - zuerst Frieden inwendig, dann auch Frieden auswendig. Und die unter Israel an die Verheißungen Gottes gläubig waren, die rechten Israeliten ohne Falsch wie Nathanael, sie haben unter ihrem Weinstock und unter ihrem Feigenbaum gesonnen über Gottes gnädige Verheißungen Tag und Nacht und haben geseufzt: „Ach, du Herr, wie so lange!“ und haben gefleht: „Ach, dass Du den Himmel zerrisst und führst herab!“ Als aber die Zeit erfüllt war, da ist der Zemach erschienen auf Erden, Christus Jesus, unser Herr, und er hat den Frieden gemacht und gebracht, zuerst den Frieden inwendig, wie Er's selber sagt Ev. Joh. 14,27: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ Und so Viele dem gekommenen Zemach bußgläubig sich ergeben, sie dringen kraft seines Verdienstes, kraft seiner Gnade durch zu dem Frieden der Seele, der höher ist, als alle Vernunft; sie schmecken den Frieden bei allem Getümmel, sie kriegen, die Ärmsten, was ihnen gefällt. Aber der auswendige Friede ist noch nicht da auf dieser Erde, trotz Bethlehem und Golgatha noch nicht da.

Und er kann nicht da sein, so lange die Wiedergeburt dieser Erde noch nicht da ist; es kann kein auswendiger Friede sein, so lange der Acker noch Disteln und Dornen trägt, so lange das Seufzen der Kreatur nach der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes noch nicht gestillt ist, so lange Gottes Sonne noch über Böse und Gute aufgeht, so lange Gottes Regen noch auf Gerechte und Ungerechte fällt. Aber wahrhaftig, Menschen mögen eine Sache halb tun, Gott tut Alles ganz; was Er sich vorgenommen und was Er haben will, das muss doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel; Gott wird durch seinen Zemach seiner Zeit den innerlich Friedevollen auch den auswendigen Frieden geben. Einst wird kommen der Tag, ob er auch noch so lange verzieht, weil der ewige Gott mehr Zeit hat, als die kurzlebigen Menschen, einst wird kommen der Tag, da alles Alte vergeht und Alles neu wird. Wir warten einer neuen Erde unter einem neuen Himmel, auf welcher Gerechtigkeit wohnt und mit der Gerechtigkeit sich der Friede küsst, der ganze Friede, der inwendige nicht nur, sondern auch der auswendige Friede. Man stelle sich doch die neue Erde unter dem neuen Himmel nicht so farb- und leblos vor! Es wird sich vielmehr auf ihr im vollsten, buchstäblichsten und doch geistigsten Sinne erfüllen, dass auf ihr jeder rechte, an den Zemach gläubige Israelit unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum in stolzer Ruhe sicher wohnen wird, viel sicherer noch, als jenes alte Israel zu Salomonis Zeiten! Dann werden (Joel 2,22) die Feigenbäume und Weinstöcke wohl tragen; dann wird der Herr Jesus, wie er selber ganz ausdrücklich sagt Ev. Matth. 26,29 mit seinen Auserwählten von Gewächs des Weinstocks neu trinken in seines Vaters Reich. Die neue Erde ist das verklärte Palästina, Jesus Christus der verklärte Salomo, die Vollendeten sind das verklärte Israel, die Bäume des ewigen Lebens die verklärten Feigenbäume und Weinstöcke. Wie herrlich ist die neue Welt, die Gott den Frommen vorbehält! kein Mensch kann sie erwerben. Jesu, O Herr der Herrlichkeit, Du hast die Stätt auch mir bereit, hilf mir sie auch ererben! Weise, preise ihre Kräfte, ihr Geschäfte mir Elenden; lass mich auf den Anblick enden.

Mit der Anklage des Hohenpriesters Josua begann dies vierte Gesicht Sacharias und mit der Aussicht in die ewige Herrlichkeit der neuen Welt endet es. Was dazwischen liegt, ist die Entsündigung Josuas durch die reinigende Gnade Gottes in dem, der als Zemach verheißen war und als Erlöser gekommen ist. Verklagte sind wir Alle von wegen unserer Sünden; nach der neuen seligen Welt sehnen wir uns alle von wegen unseres allertiefsten unauslöschlichen Verlangens, das wir im Herzensgrunde hegen. Wohlan, geben wir uns in rechtschaffener Buße und demütigem Glauben dem Manne Zemach, dem lebendigen Steine mit den sieben Augen, unserem hochgelobten Herrn Jesus hin; so wird die Gnade auch uns entsündigen, kein Teufel wird uns mehr etwas anhaben können, wir werden Frieden haben schon in diesem Leben mitten unter der Unruhe der Zeit und den ewigen Frieden droben nach der Hoffnung. Das ist gewisslich wahr. Amen.