Quandt, Emil - Die Ruhestätten des Menschensohnes - 3. Das Hochzeitshaus zu Kana.

Ev. Joh. 2,1.2.
Und am dritten Tage ward eine Hochzeit zu Kana in Galiläa; und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger wurden auch auf die Hochzeit geladen.

Der Knabe ist ein Mann geworden, der Mann, über dessen Haupt im Jordan der Vater seinen Himmel auftat und sprach: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“; der Mann, der in der Wüste die Versuchungen des Teufels siegreich abwehrte mit dem dreimaligen: „Es steht geschrieben!“ der Mann, auf den der letzte der Propheten mit Fingern wies und sprach: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ Dieser Mann, der Mann ohne Gleichen, der Mann, in dem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt, welchem unter den Häusern der Erde wird er bei seinem öffentlichen Auftreten zuerst seine gnädige Gegenwart schenken? Die Schrift antwortet uns: dem Hochzeitshaus zu Kana.

Kana war ein armes Landstädtchen in Galiläa, drei Stunden von Nazareth gelegen. Einer der zwölf Jünger, Nathanael, war von hier gebürtig, vielleicht auch noch ein anderer, nämlich der jüngere Simon; denn der Beiname, den derselbe führt, Kanaaniter, heißt sowohl „Eiferer“, als auch „Mann von Kana“: es ist früherhin sogar oft vermutet worden, dass dieser Simon der Bräutigam auf der Hochzeit zu Kana gewesen sei. Ob ers nun war oder ein Anderer, jedenfalls war das Hochzeitshaus zu Kana ein armes Haus. Denn wenn es in dem Hause auch einen eignen Speisemeister gab, so ist zu bedenken, dass das Amt eines Speisemeisters ein Ehrenamt war, das irgend ein guter Freund des Hauses verwalten mochte; und auch die Diener, die die Krüge füllten, sind sicherlich jüngere Freunde der Familie gewesen. Denn es konnte wahrlich nicht ein Küchenmeister und nicht ein Tross von wohlgekleideten Dienern angestellt und bezahlt werden in einem Haus, wo obenan unter den Gästen die Gattin eines schlichten Handwerkers geladen war, und wo nicht einmal die Mittel hinreichten, um so viel Wein, der doch im Morgenland so äußerst billig ist, zu beschaffen, dass alle Hochzeitsgäste genügend ihren Durst hätten stillen können. Es war ein armes Haus das Hochzeitshaus zu Kana.

In ein Haus der Armut setzt der Sohn Gottes auf seinen öffentlichen Wanderungen zuerst seinen Wanderstab, ein Haus der Armut wählt des Menschen Sohn zu seiner ersten Ruhestätte, da er angehoben hat die große, dreijährige Propheten-Wanderung. So besucht der holde Lenz, wenn er erscheint, zuerst nicht die stolze Eiche und die ragende Pappel, sondern das kleine Gesträuch, was unscheinbar zu ihren Füßen wächst, dass es tief unten im Wald grün und duftig wird, wenn die Äste und Zweige der hohen Bäume noch kahl und winterlich sind. Die Armut und die Niedrigkeit, sie haben allewege für unsern Heiland magnetische Anziehungskraft gehabt. Weil die ganze Welt so arm geworden war durch den Sündenfall, weil diese kleine Erde, auf der wir Menschenkinder leben, durch den Fall der allerärmste Stern geworden war, darum zog diese Welt Ihn so an, dass er, der da reich war von Ewigkeit, arm geworden ist um unsertwillen und arm in unsre Armut stieg, auf dass wir durch seine Armut reich würden. Bei armen Zimmerleuten verlebt er seine Jugend, aus armen Fischern nimmt er seine Jünger, und als er nachmals am Kreuze stirbt, stirbt er, der Allerreichste, so arm, dass die rohen, römischen Erben des Mittlers nur ein paar Kleider und einen ungenähten Rock gewannen. O dazu reimt sich das so wunderschön, dass er das erste Zeichen seiner Heilandsherrlichkeit nicht im Palaste des Herodes, nicht in den Gemächern eines der Herren vom hohen Rat, sondern in dem armen Hochzeitshaus zu Kana offenbart! Es ist zweimal wahr, was einmal der gottselige Scriver sagte: Die Armen gehören unter die privilegierten Personen des Reiches Gottes; Gott hat ein sonderliches Auge auf sie, und Jesus ist ihr Gesellschafter, Vorgänger und Helfer. Wir aber, wollen wir nicht bloß Christen heißen, sondern sein, müssen auch gesinnt sein, wie Jesus Christus gesinnt war, der die Blöden und die Armen seine lieben Brüder hieß. Auch für uns sollen die Hütten der Armut eine magnetische Anziehungskraft haben. Gott sei Dank, es gehört mit zu den schönsten Zeichen dieser vielverschrienen Zeit, dass die Christen unter den Christen der Armen gedenken und die Armen bedenken. Der dies schreibt, erinnert sich einer gar köstlichen Hochzeitsfeier, an deren Segen Teil zu nehmen ihm der Herr vergönnte; es war die Feier der goldenen Hochzeit eines armen Stundenhalters in der Hauptstadt eines großen Landes. Da waren Gäste aus allerlei Stand, aber alle eins in Jesu Christo, die das einfache Mahl einnahmen unter dem Leuchten des Transparentes: „Selig sind die zu dem Abendmahl des Lammes berufen sind“, unter dem Singen frommer Lieder, die ein blinder Harfenspieler begleitete, unter köstlichen Wechselreden von dem Einen, was not ist. Ein Minister ließ dem ehrwürdigen Jubelpaare ein paar Rosen überreichen, und eine fromme Königin ein gutes Büchlein, das von Hand zu Hand wanderte; und als nun zum Schluss der Jubelbräutigam, nachdem so Manches erzählt worden war, was Gottes Gnade an ihm und durch ihn getan, sich erhob, um auch etwas zu sprechen, vermochte er doch weiter nichts zu sagen, als: „Ach Gott, hier steh' ich Armer, der Zorn verdient hat.“ Es war auf jener Hochzeit so ähnlich wie auf jener zu Kana, arme Hochzeitsleute, aber Jesus und seine Jünger waren auch auf der Hochzeit. Es darf doch aber auch nicht verschwiegen werden, dass noch immer viele von den begüterten Christen die Armut nur vom Hörensagen kennen oder in dem Zerrbild, das der zerlumpte Bettler an ihrer Tür ihnen zeigt. O dass die reichen und gnädigen Herren dieser Welt, wenn sie gläubig geworden sind, nun auch bedenken möchten, wie Er, der der Allerreichste war und der Allervornehmste, der Herr vom Himmel, der Sohn Gottes aus der Höhe, sich nicht geschämt hat, seinen Fuß in die Häuser der Armen zu sehen, ja wie sein allererster öffentlicher Besuch dem armen Hochzeitshaus von Kana galt! Je mehr Armenbesuche die Reichen machen, desto weniger Bettlerbesuche werden sie empfangen. Sollte aber Jemand fürchten, dass Armenbesuche nicht - standesgemäß wären, ja, was ist denn standesgemäß? Alles, was schriftgemäß ist, das ist auch standesgemäß.

Es war ein armes Haus, das Haus zu Kana, aber es wurde reich durch Jesum Christum, reich im besten Sinne des Worts, reich in geistlichem Sinne, der Glaube an die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus wie angenehmer Duft wohlriechender Narde und machte die Gemüter froh; reich auch im ordinären Sinn, denn durch die Güte und Freundlichkeit des Heilandes wandelte sich das Wasser in Wein, der Mangel in Überfluss, die Sorge in überschwänglichen Jubel. Noch heute, wo in den Häusern und Kammern unserer ärmeren Brüder Jesus Christus gebeten, geladen, aufgenommen wird, wiederholt sich das Wunder von Kana! Während ein Weltmensch auch in goldenen Palästen die Wolken des Unmuts um sich schweben sieht; während er, selbst mit dem fürstlichen Diadem um seine Stirn, doch niemals im Grunde seines Lebens wahrhaft froh wird, zieht ein armer Handarbeiter, dem in seines Herzens Grunde der Name Christi funkelt, fröhlich seine Straße und singt: Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein, ist voller Freud' und Singen, sieht lauter Sonnenschein; die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ; das, was mich singend machet, ist was im Himmel ist. O es ist nimmermehr wahr, dass Vieles dazu gehöre, um glücklich zu sein - nicht in dem Vielen besteht das wahrhaftige Glück; man kann Alles haben auf Erden, Geld und Gut, Geist und Gesundheit, Ehre und Ruhm, und doch wenn man Eines nicht hat, hat man nicht genug, muss man klagen, wie der große Dichter Goethe: „Ach, ich bin des Treibens müde; was soll all' der Schmerz und Lust? Süßer Friede, komm, ach komm in meine Brust!“ Eines nur gehört zum Glücklichwerden, zum Glücklichsein, Jesum zu haben im Hause und im Herzen, mit Ihm zieht heller Sonnenschein ins arme Leben ein, Vergebung der Sünden und gewisse Hoffnung des ewigen Lebens. Nicht als ob die Gottseligkeit nur die Verheißung jenes Lebens hätte, o nein, sie hat vielmehr auch die Verheißung dieses Lebens. Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch auch alles Andere zufallen; Er kann's den Seinen schlafend geben. Der Herr lässt seine armen Diener und Dienerinnen auch für des Leibes Nahrung und Notdurft nicht unversorgt; „Habt ihr auch je Mangel gehabt?“ fragte er beim Abschied seine Jünger, und sie antworteten ihm einstimmig: Herr, nie keinen! Wohl lässt er ihnen oft den Wein auf die Neige gehen, aber nicht um sie zu ängstigen, sondern um sie zu prüfen; wenn sie in solchen Prüfungsstunden nur auf ihn sehen und ihn anflehen, so ist er alsobald mit seiner Hilfe da. Er erweckt immer noch Menschen, die den Armen Arbeit geben, wenn Arbeit fehlt, und Nahrung, wenn Nahrung fehlt; und ist einmal eine Teuerung im Land und würden Menschen hart wie die Steine, dann kann er sich auch aus Steinen Jünger erwecken, die offene Hände haben zu helfen; und überdies sind noch immer Raben da, wie zu der Propheten Zeiten. Ist ein armes Haus nur ein Haus, das Jesum beherbergt, dann kann und darf und wird es ihm nimmermehr fehlen weder an himmlischem, noch an irdischem Segen. Warum herrscht heutzutage in so vielen armen Häusern die Sorge und der Mangel und die Sünde? Weil sie den Heiland nicht zu sich bitten, weil sie den Sohn Gottes verachten, weil sie einer gewissen roten Fahne folgen, die die Inschrift trägt: „Was fragen wir nach dem Himmel, wenn wir nur auf Erden Brot und Vergnügen haben!“ Ach wem es im Ernst darum zu tun ist, den Armen zu helfen, gründlich zu helfen, der speise sie um Gotteswillen nicht mit Brot ab, der gebe ihnen auch das Evangelium! Staatsmänner und Gelehrte zerbrechen sich heutzutage den Kopf, wie sich das alternde Europa gegen das Schreckgespenst des Pauperismus, gegen den Unhold des Proletariats waffnen und wehren soll. Aber diese Art fährt nicht aus, denn durch Fasten und Beten, d. h. durch geistliche Mittel, durch Frömmigkeit und Gottseligkeit. Das Evangelium von Jesu Christo ist die beste, ist die einzig siegreiche Wehr und Waffe gegen den Pauperismus. Arme Leute, die ihren Heiland kennen, kennen keine soziale Revolution. Arme Leute, die den Heiland kennen, gehen mit reichen Leuten, die den Heiland kennen, Hand in Hand; denn sie sind selber reich, reich im Glauben an Jesum Christum, der ihr Hausfreund ist.

Das arme Haus zu Kana war ein Hochzeitshaus und als ein solches ein fröhliches Haus. Eine eigentlich religiöse Feierlichkeit, eine priesterliche Einsegnung, war unter Israel mit der Hochzeit nicht verbunden; man feierte die Schließung des heiligen Ehebundes nur als ein Familienfest im Haus. In festlichem Zug unter Gesang, Musik und Tanz wurden die Brautleute, die Kränze auf dem Haupte trugen, ins Haus geleitet, und hier pflegten dann die Festlichkeiten sieben Tage lang zu währen. Die Hochzeitsleute von Kana haben als arme Leute wohl nur einen Tag lang gefeiert, aber gefeiert haben doch auch sie; auch sie hatten sich Gäste geladen und saßen beim Wein, so wenig sie auch hatten, doch fröhlich mit ihnen zusammen; auch das Scherzwort des Speisemeisters beweist, dass ein fröhlicher Ton bei dem Hochzeitsmahle herrschte. Und in ein solches fröhliches Haus wird des Menschen Sohn geladen, und er nimmt die Einladung wirklich an und geht hinein und ist und trinkt mit den Hochzeitsleuten. Ob das Johannes der Täufer auch wohl getan haben möchte? O nein, ihn hätten die Leutlein von Kana schon gar nicht einmal das Herz gehabt zu Gast zu bitten; und hätten sie ihn auch gebeten, er wäre nimmer gekommen; wenn er aber erschienen wäre, wahrlich so wäre er nicht eingetreten, um fröhlich zu sein mit den Fröhlichen, sondern um ihnen eine Bußpredigt zu halten. Denn er war der Prediger der Buße, sein Platz war in der rauen Wüste, seine Eigentümlichkeit war Abgezogenheit von der Welt und von der Freude in der Welt. Er hat sich darum die unwillige Rede des Volks zugezogen: „Er isst nicht und trinkt nicht, er hat den Teufel“ - er ist ein Finsterling, ein Fanatiker. Des Menschen Sohn schilt Johannes nicht so, aber er lebt auch nicht so wie Johannes. Er schilt ihn nicht. Denn Johannes war die zur Persönlichkeit gewordene bußfertige Sündenerkenntnis; und wo einem Menschen die Sünden über das Haupt gehen, wo er zur Erkenntnis kommt, dass seiner Missetaten so viel sind wie der Sand am Meer, da ziemt sich allerdings nicht ein Hochzeitskleid, sondern Sack und Asche, da passt nicht Wein und Reigen, sondern Weinen und Sichneigen. Wer eben erst aufgewacht ist aus dem Schlaf eines Lebens ohne Gott und sich nun mit Entsetzen erkennt als einen schnöden Übertreter der heiligen Gebote Gottes, als ein Kind des Zornes und des Verderbens: ja der soll wohl wegbleiben von einem Hochzeitshaus, dem soll wohl Essen und Trinken vergehen und Heiterkeit und Freude, der soll sich nur in seine Kammer einschließen und den Bußpsalm beten:

Aus tiefer Not schrei ich zu Dir;
Herr Gott, erhör' mein Rufen;
Dein gnädig Ohr neig' her zu mir
und meiner Bitt' sie öffne;
denn so Du willst das sehen an,
was Sünd' und Unrecht ist getan,
wer kann, Herr, vor Dir bleiben?

Aber Jesus Christus lebte nicht wie Johannes, denn des Menschen Sohn hatte keine Sünde, stellte vielmehr in sich selber dar die Vergebung der Sünden, das Himmelreich, die Gerechtigkeit, den Frieden, die Freude. Das eben zeigte er denn gleich zu Anfang seiner öffentlichen messianischen Laufbahn dadurch, dass er in ein fröhliches Hochzeitshaus eintrat und die Freude vermehrte und die Fröhlichkeit verlängerte durch seine Verwandlung des Wassers in Wein. Eben dasselbe hat des Menschen Sohn während seines ganzen Wandels auf Erden bewährt, da er sich oft zu Gastmählern laden ließ und fröhlich war mit den Fröhlichen. Ja das war so sehr seine Art, dass seine Feinde davon Anlass nahmen ihn zu verlästern. „Des Menschen Sohn“, so berichtet er selber einmal das Gerede der Leute über sich“, isst und trinkt; so sprechen die Leute: wie ist der Mensch doch ein Fresser und Weinsäufer und der Zöllner und Sünder Geselle!“ Der Welt kann es eben der Fromme niemals recht machen: ist er traurig über seine Sünde, so nennt man ihn einen Kopfhänger; ist er im Gefühl der Gnade seines Gottes fröhlich mit den Fröhlichen, so nennt man ihn einen Lebemann. Aber man kann es auch niemals Allen recht machen; es kommt nur darauf an, dass man es Gott recht mache. Vor dem großen Gott aber ist die Methode des Johannes zwar der Weg zum Christentum, aber nicht das Christentum selbst; das Christentum selbst hat nicht in Johannes, sondern in Jesu Christo seinen Mittelpunkt und sein Vorbild; Er hat uns das Vorbild gelassen, dass wir sollen nachfolgen seinen Fußtapfen. Wahrlich es geht nur durch die Buße des Johannes ins Himmelreich, nur durch den bitteren Ernst der Sündenerkenntnis und die große, göttliche Traurigkeit des Schuldgefühls: wer einen andern, leichteren Weg zum Leben lehrt, der verfälscht die Schrift. Aber dennoch ist der Kleinste im Himmelreich größer als Johannes, denn er hat die Freude in Christo. Solche Christen, die immer so traurig drein schauen, wenn andre Leute sich freuen, und die immerwährende Melancholie für die Reife der Heiligung ausgeben, sind irrende Brüder, sind im Wüstensand des Johannes liegen geblieben, sind nicht durchgedrungen zu dem Heilsbrunnen, aus welchem man mit Freuden Wasser schöpft. Bei jedem Sonnenstrahl, der freundlich in dies arme Leben scheint, immer auf die Wolken weisen, die möglicherweise die Freude bald überschatten können; bei jedem Blümchen, das am Wege sprosst, gepflanzt von der gütigen Hand des himmlischen Vaters, sofort die Bemerkung machen, dass es bald verblüht sein wird: das ist, ja, ich weiß nicht, was das ist, ich glaube, das ist eine schwere Sünde. Heißt denn Evangelium traurige Botschaft? Nein, Evangelium heißt fröhliche Botschaft! Oder hat der Engel, als er den Eintritt des Sohnes Gottes uns zu Gute in unser Fleisch und Blut verkündete, gesagt: Siehe, ich verkündige euch große Traurigkeit!? Nein, er hat gesagt: Siehe, ich verkündige euch große Freude! Freut euch alle Wege, ruft der Apostel, und abermal sage ich, freut euch!

Allerdings er setzt hinzu: „in dem Herrn“; und diesen Zusatz macht die heilige Schrift immer, wenn nicht dem Buchstaben, so doch dem Geist nach, so oft sie von der Freude der Glieder des Himmelreichs redet. Das Hochzeitshaus zu Kana war ein solches Haus, das da fröhlich war in dem Herrn, es war ein Haus geweihter Freude. Jesus war bei der Freude. Seine Gegenwart war den Hochzeitsleuten nicht lästig, sondern lieb; sie hatten ihn doch wohl selber eingeladen. Seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit, durchglänzte und verklärte ihre hochzeitliche Fröhlichkeit. Also aber soll es immer sein, wo Christen sich freuen. Jene weltliche Ausgelassenheit, da man sich freut ohne Jesum, wider Jesum, trotz Jesu hat in Christenhäusern, bei christlichen Mahlzeiten, bei geselligen Vereinigungen von Christen nichts zu suchen: die Zeiten sind vorüber, Gott sei Dank vorüber, da das arme Herz sich verführen ließ, Freuden zu suchen ohne Jesum Christ. Zwischen jenen Freuden, die doch seine waren, und unsrer jetzigen Freude liegt eben jene große göttliche Traurigkeit, die zur Seligkeit eine Reue gebiert, die Niemand gereut. Wenn wir jetzt uns freuen, einsam oder gemeinsam, so muss Jesus Christ dabei sein; wo Er uns fehlt, da fehlt uns auch die Freude. Darum laden wir ihn ein, so oft wir uns zum Mahl niedersetzen, und beten: Komm, Herr Jesu, sei unser Gast; segne, was Du uns bescheret hast! Wo dies Gebet gebetet wird, da kommt er auch; wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, da ist er mitten unter ihnen, unsichtbar, aber spürbar; man hört das Rauschen seiner Füße, das Flüstern seiner Stimme, das Klopfen seines Herzens. Wenn aber Jesus Christ als das Haupt unserer Gäste unter uns weilt, dann verbieten sich gewisse Dinge und Reden dieser Welt ganz von selbst: man wird doch nicht einen teuren Gast zu sich einladen, um ihn hinterher durch Worte und Handlungen, von denen man weiß, dass sie ihm die Seele verwunden, schnöde zu beleidigen. Er aber offenbart bei jedem solchen fröhlichen Zusammensein in Ihm seine Herrlichkeit heute noch ebenso gut, wie ehedem: seine Weihe liegt da auf unsern Gesprächen, sein Segen auf unserm Gedankenaustausch; und wär' es ein Mahl, so arm, wie jenes zu Kana, ist Jesus nur dabei, dann schmeckt auch ein Trunk frischen Wassers, wie perlender Wein. Darum freue dich, du Menschenkind, immerhin in deinem Hause mit deinem Gatten, mit deinen Kindern, mit deinen Anverwandten, mit deinen Freunden; Gottes Wort verwehrt's dir nicht. Aber freue dich in dem Herrn, vor seinem Angesicht, unter seiner Weihe, mit seinem Segen. Freut im Herrn euch allewege, so singt ein gottseliger Sänger: Freut im Herrn euch allerwege, freut euch seiner Gnad' und Gunst; seid zu solcher Freud' nicht träge, übt euch recht in dieser Kunst. Soll die Fülle seiner Freuden ungenossen Er vergeuden? Freude, so wie Er sie beut, das ist wahre Herzensfreud'!

Wir nannten das Hochzeitshaus zu Kana ein armes Haus, das reich wurde durch des Menschen Sohn, ein fröhliches Haus, das geweiht wurde durch des Menschen Sohn; wir dürfen dem Häuslein seinen besten Ruhm nicht vorenthalten: es war auch ein frommes Haus. Wir wissen zwar wenig von den Hochzeitsleuten zu Kana, aber wir können jedenfalls mit vollem Recht auf sie das Sprichwort anwenden: Sage mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist. Sie hatten Maria und den Sohn Marias und seine Anhänger eingeladen, aufgenommen; Weltleute hätten sich wohl gehütet, solcher frommen Gesellschaft Tür und Tore zu öffnen; der Schluss kann nicht unrichtig sein: ein Haus, das sich so frommer Gäste erfreut, muss selbst ein frommes Haus sein. Aber wir dürfen uns andrerseits auch nicht zu hohe Begriffe machen von der Frömmigkeit der lieben Leute in Kana. Maria, die gebenedeite Mutter, verstand den Heiland noch nicht recht, wie aus dem Zwiegespräch hervorgeht, das sie mit ihm führt; viel weniger haben Bräutigam und Braut ein volles Verständnis gehabt dessen, das er war und das er wollte; sie haben in ihm wohl nur einen frommen Rabbi, einen Lehrer von Gott gekommen, gesehen, aber noch nicht den Sohn des lebendigen Gottes. Die Jünger, die mit anwesend waren, nun der Heiland hatte sie eben erst vom Fischernetz und aus dem Schatten ihres Feigenbaums zur Nachfolge gerufen, es waren auch noch keine großen Glaubenshelden, viel weniger sind es Bräutigam und Braut gewesen. Das Hochzeitshaus zu Kana war wohl ein frommes Haus, aber die Frömmigkeit war noch ziemlich unklar und unreif. Solcher frommen Häuser aber gibt es auch dermalen hie und da im Land. Man hat eine gewisse Ehrfurcht vor dem Heiland, eine gewisse Anhänglichkeit an ihn. Man ahnt, dass das Heil unsrer Seelen irgendwie mit dem Namen Jesu Christi verknüpft ist. Man hat eine aufrichtige Achtung vor gläubigen Predigern Christi; es sind doch gebildete Leute, und sie sprechen doch so warm und so überzeugt von den Geheimnissen und Wundern der Religion des Kreuzes; es muss also doch möglich sein, die moderne Bildung mit dem alten Bibelglauben zusammenzufassen; wenn sie das Alles glauben, was in der Bibel steht, warum sollte man das nicht auch glauben können? Überdem die gläubigen Verkündiger des Evangeliums sind immer zugleich voll Ehrfurcht vor den Majestäten und Mächten dieser Erde; dahingegen was rationalistisch und freigeisterisch ist, ist meist immer zugleich revolutionär; es ist darum tausendmal verständiger, es mit den Gläubigen, als es mit den Ungläubigen zu halten. Das ist der Standpunkt mancher Seele heutzutage, die sich zu den Frommen rechnet, namentlich in den höheren Ständen. Er ist schwach, sehr gering, liegt sehr nach den Grenzen des Unglaubens zu, und es ließe sich viel gegen ihn sagen. Wir wollen hier nur so viel gegen ihn sagen: Selig wird man bei diesem Standpunkt nicht! Aber wir wollen auch das für ihn sagen: Man kann von diesem Standpunkt aus weiter kommen; der Herr in seiner unendlichen Barmherzigkeit und Langmut knüpft gern an an diesen Standpunkt und heilt und heiligt die Frömmigkeit.

Denn so hat Er's in Kana getan. Er hat ein großes Wunder dort im Hochzeitshaus getan, ein Doppelwunder: er hat das Wasser in Wein verwandelt, und er hat die Frömmigkeit in Gläubigkeit verwandelt. Wir dürfen dem ersten Wunder der Verwandlung des Wassers in Wein doch nicht ganz vorbeigehen. Wir wollen hier nicht wiederholen, was zur Erklärung dieses Wunders nun schon so oft gesagt ist, dass Jesus Christ hier in einem Moment getan habe, was er als Gott von Gott in Ewigkeit geboren sonst alle Jahre tue; jeder Weinstock sei ein Wasserkrug, in welchem sich das Wasser alljährlich in Wein verwandle, und jede Traube sei ein Becher, in welchem es aus dem Weinstock geschöpft werde. Wir halten es für misslich, Wunder zu erklären; man erklärt so leicht das Wunder weg. Doch soll einmal das Wunder von Kana erklärt werden, nun dann wird Alles, was schriftkundige Denker und Ausleger je über das Evangelium von der Hochzeit zu Kana geschrieben und gepredigt haben, doch überboten durch die süße Auslegung, die ihm einmal ein kleines Kind gegeben hat. Ein Hausvater saß in der geräumigen Halle im Kreise der Kinder und Hausgenossen und las ihnen nach vollbrachtem Tagewerk, der alten frommen Sitte gemäß, das Wort des Herrn aus dem Buch der Bücher. Und als er die Worte des Evangeliums las, wie der Heiland in milder Freundlichkeit am Hochzeitsmahl zu Kana das Wasser in Wein verwandelte und dergestalt die staunenden Jünger im Glauben befestigte, da erhob sich einer der Knaben und sprach kindischen Sinnes: Vater, wie deute ich das? Wie vermochte sich das Wasser in Wein zu gestalten? Das jüngste der Kinder aber rief in freudiger Ahnung: „Vater, das Wasser erschaute die Herrlichkeit des Heilandes und erglühte! Strahlt doch der Spiegel des Sees in rosigem Glanz, wenn die Sonne aus den Nebeln des Morgens taucht.“ Da herzte und küsste der Vater freundlich das errötende Kind und sprach die Worte: „Wahrlich, ich sage euch, wer das Reich Gottes nicht empfängt als ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ Ach, dass wir so wie jenes Kind diesem und allen Wundern unsers Herrn begegneten; was geschrieben steht von des Menschen Sohn und seiner Herrlichkeit, es ist ja nicht geschrieben für den flügelnden Verstand der Weisen, sondern für das ahnende und suchende Herz der Unmündigen. Es hat ja auch das Wissen und Begreifen an seinem Ort seinen großen Wert; aber vor der aufgeschlagnen Bibel, vor dem Wort, in dem der große Gott zu seinen Kindern spricht, hat alle Weisheit dieser Welt zu schweigen, ist alles Klügeln und Anzweifeln eine Majestätsbeleidigung. Gottes Wort will nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen gelesen und bewegt werden, nicht mit dem Wissen, sondern von dem Glauben gefasst werden - nicht von einem Köhlerglauben, aber von einem kindlichen Glauben.

Doch wir wenden unsre Gedanken von dem äußerlichen Wunder der Verwandlung des Wassers in Wein auf das innerliche Wunder der Verwandlung des frommen Hauses in ein geheiligtes Haus. Dass Maria still und demütig von ihrem Sohn den Verweis hinnahm: Weib, was habe ich mit dir zu schaffen? dass die Diener willig und eifrig taten, was der Herr befahl, dass die Jünger die Herrlichkeit ihres Meisters erkannten, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater voll Gnade und Wahrheit, dass sie im Glauben an ihn befestigt wurden; das war das größere Wunder im Hochzeitshause zu Kana. Denn so groß es ist, die Natur zu beherrschen, größer ist es, Seelen zu bezwingen; so groß es ist, den Elementen zu gebieten, größer ist es, den Geistern zu befehlen; so groß es ist, Wasser in Wein zu verwandeln, größer ist es, Menschenherzen zu lenken, wie Wasserbäche. Jeder aber, der Jesum Christ als Gast zu sich ruft und bei sich aufnimmt, erfährt dies Große noch heute: fromme Häuser, die Ihn zu Gaste laden, werden durch Ihn geheiligte Häuser.

Wie schwach, wie unklar, wie gebrechlich auch unsre Frömmigkeit sein möge, gönnen wir nur unserm Heilande ein Plätzlein im Haus, so wird er uns und unser Hauswesen heiligen in seiner Wahrheit, und wir werden ihm nahen und von ihm nehmen Gnade um Gnade. Es traten einst zwei Leute in den heiligen Ehestand, die zwar sich untereinander herzlich lieb hatten, die aber von wahrhaftiger Liebe zum Herrn wenig oder nichts in sich verspürten. Sie hatten während ihres Brautstandes nach der Welt Weise gelebt und gedachten solche Weise auch im Ehestand fortzuführen. Der Vater der jungen Frau aber war ein frommer Mann; derselbe hatte nicht eher seine Einwilligung zur Heirat gegeben, als bis ihm die jungen Leute das feierliche Versprechen abgelegt hatten, alle Morgen beim Aufstehen niederzuknien und gemeinsam den kurzen Seufzer zu beten: O Herr Jesu, schenke uns Deinen heiligen Geist, Amen. Das taten sie denn auch, zuerst fast spöttisch, bald ernst und immer ernster, und siehe, ehe sie sichs versahen, war der Herr Jesus mit seinem heiligen Geist Gast in ihrem Haus, und der heilige Geist, nachdem er sie zuvor gestraft um ihrer Sünden willen, führte sie zur Versicherung der Vergebung der Sünden in Christi Blut und Wunden, und ihr Haus ward eine Hütte Gottes unter den Menschen. In einem solchen Haus nimmt man es dann demütig hin, wie Maria, wenn er uns durch sein Wort verweist alle unsere Ungeduld, all' unser Dreinsprechen in die Pläne Gottes mit uns; denn es nimmt von Tag zu Tage die Erkenntnis zu, dass wenn lauter Nein, erscheint, doch lauter Ja gemeint ist, dass Gottes Uhr anders, aber richtiger geht, als unsre Uhr, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen. Wir nehmen dann ohne alle Frage Alles an, was er uns gibt, sei's ein Glas Wein, sei's ein Verweis. Was er uns sagt, das tun wir dann in seiner Kraft, und in solchem gehorsamen Tun wird das Verslein uns immer klarer und immer wahrer: Was Er gebeut, das muss geschehen; das Andre wird Er selbst versehen! Er offenbart alsdann seine Herrlichkeit in unserm Haus immer heller, immer großartiger, dass wir anbeten vor ihm und sprechen: Wir glauben hinfort nicht mehr um der Rede der gläubigen Prediger willen, sondern wir haben selbst gehört und erkannt, dass Jesus ist wahrlich Christus, der Welt und unser Heiland!

Liest diese Zeilen ein Armer, o er soll gebeten sein, Jesum in sein Haus aufzunehmen, so wird er reich werden und Schätze erlangen, nach denen die Diebe nicht graben und die die Motten und der Rost nicht verzehren können; wer Jesum hat, hat Alles; der uns seinen einigen Sohn gegeben, sollte uns der mit ihm nicht Alles geben? Liest diese Zeilen ein fröhliches Herz, o es soll gebeten sein, Jesum ins Haus zu nehmen, so wird er ihm die Freude weihen und verklären, dass sie ins ewige Leben währt. Fällt dieses Blatt einem Frommen in die Hände, o dass er sich sagen lasse, dass alle Frömmigkeit ohne Christentum eitel ist, dass auch alles Christentum ohne den persönlichen Jesus Christus eitel ist; Jesus muss einziehen in die frommen Häuser, dass er sie heilige zu Stätten seiner Ruhe. Amen.