In der Ebene, die sich zwischen dem Strome Araxes und den Quellflüssen des Euphrat hinzieht, wo heutzutage Rußland, Persien und das türkische Reich sich berühren, strecken zwei gewaltige Bergkolosse ihre glänzenden Häupter in die Wolken, der eine westliche zur Höhe von 16,254 Fuß, der andre östliche mit einer Erhebung von etwa 12,000 Fuß. Kuhi Nu, das ist Berg des Noah, nennen die Umwohner diesen Doppelberg. Ararat nennt ihn die Bibel und das Abendland.
Auf ihm, wahrscheinlich in der Einsenkung zwischen den beiden Höhen, ließ sich die Arche nieder mit Noah und seiner Familie, der kleinen auserwählten Schaar, die aus dem großen Schiffbruche der alten Menschheit in der Sündfluth gerettet wurde. Noch lange sind nach einer im Alterthum weitverbreiteten Sage die Trümmer der Arche auf dem Ararat sichtbar gewesen; der jüdische Schriftsteller Josephus, der zur Zeit Christi lebte, erzählt sogar, daß man noch in seinen Tage Ueberbleibsel der Arche gezeigt und sich des in Staub verwandelten Harzes als schützenden Heilmittels bedient habe. Schrift und Sage stimmen überein: der Ararat war die Rettungsküste in der großen Wasserwüste, in die die Sündefluth die Erde verwandelt hatte.
Auf dem Ararat verließ Noah mit den Seinen auf des Herrn Wink die Arche, die ein Jahr lang sein Gefängniß und sein Asyl gewesen war, und besetzte von hier aus mit seinem Geschlechte alles Land der Erde und die Inseln des Meeres. Als einen vortrefflichen Mittel- und Ausgangspunkt der bewohnten Welt lehrt auch die vergleichende Erdbeschreibung den Ararat ansehen. Er liegt auf dem Punkte, wo die drei Festlande der alten Welt einander berühren und fünf große Meeresstraßen durchbrochen werden, in der Mitte der größten Landlinie vom Kap der guten Hoffnung bis zur Behringstraße und in der Mitte des großen Wüstenzuges von Asien und Afrika. Schrift und Wissenschaft stimmen überein: der Ararat ist die Heimath des neuen, durch das Wasser der Fluth getauften Menschengeschlechts.
Auf dem Ararat schloß Gott der Herr den ersten, großen Bund mit der aus dem Paradiese verbannten Menschheit, den Bund der Natur. Der Herr hatte Wohlgefallen an dem Brandopfer, das der Stammvater der neuen Menschheit im Gefühl der Buße und des Dankes auf dem Ararat ihm darbrachte, und sprach: Ich will hinfort die Erde nicht mehr verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen Alles, was da lebet, wie ich gethan habe. So lange die Erde stehet, soll nicht aufhören Same und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Und er gab den Menschen zur Bundesverheißung eine Bundesordnung und setzte als Bundeszeichen den Bogen in die Wolken. So ist der Ararat die Stätte der göttlichen Stiftung der gegenwärtigen Naturordnung, die bis an den jüngsten Tag währt.
Nach diesen drei Beziehungen hin ist de Berg Ararat von heils- und weltgeschichtlicher Wichtigkeit, einmal als Rettungsküste im Schiffbruche der Sündfluth, sodann als zweite Heimath des Menschengeschlechts, endlich als Stätte der Stiftung des Bundes der Natur.
Schauen wir ihn denn zunächst in dem Bilde an, wie zu seinen Füßen die versiegenden Wasser der Sündfluth rauschen, hoch oben aber die gerettete und rettende Arche steht. Die Sündfluth war die große Vertilgungsfluth, die Gott der Herr in verzehrendem Feuereifer über die verderbte Erde voll Frevel hatte kommen lassen. Alles Fleisch hatte so weit seinen Weg verderbet, daß es Gott reuete, daß er die Menschen gemacht hatte und es ihn bekümmerte in seinem Herzen. Noch hatte er ihnen eine Frist gegeben von 120 Jahren, ob sie von seinem Geiste sich strafen lassen möchten, und Noah predigte unter ihnen von Buße und Gericht; aber alle Gnade und alle Predigt war vergeblich: sie aßen, sie tranken, sie freieten, sie ließen sich freien, sie kauften, sie verkauften, aber sie bekehrten sich nicht von dem Frevel ihrer Hände. Da vertilgte der Herr sie alle mit einander, und es erfüllte sich an dem alten Sündergeschlechte: Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber trefflich klein; was mit Langmuth er sich säumet, holt mit Schärf‘ er wieder ein. Alles Fleisch ging unter, das auf Erden kriecht, an Vögeln, an Vieh, an Thieren und an Allem, das sich reget auf Erden, und an allen Menschen. Alles, was einen lebendigen Odem hatte im Trocknen, das starb. Nur Noah mit den Seinen ward errettet, dieweil nur er, obgleich auch Fleisch vom Fleische, gerecht und lauter seinen Wandel mit Gott führte. Durch den Glauben hat Noah Gott geehret und die Arche zubereitet zum Heile seines Hauses, da er einen göttlichen Befehl empfing von dem, was man noch nicht sahe. Er glaubte mitten in einer durch Unglauben im ungeheuersten Maße verderbten Welt, er glaubte und führte einen wahrhaftigen Wandel im Glauben, und das ward ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. „Nichts hat seinen Glauben ihm benommen, darum ist er ob der Fluth geschwommen, als viel Millionen Kreaturen heulend in des Abgrunds Tiefe fuhren.“ Die Arche trug ihn und die Seinen und was er von Thieren mit hineingenommen durch die steigenden Wasser der Fluth, und während alles Andre starb, blieb was in der Arche war, am Leben. Lange, lange Tage und Nächte saß Noah in dem Kasten; keine göttliche Offenbarung, kein Wort ward während der Fahrt ihm zu Theil, kein Strahl der Gnade erquickte ihn, während rings um ihn die Wasser tobend und wüthend alles Lebendige verschlangen, und es war, als hätte Gott sein vergessen. Doch Gott gedachte wohl an Noah; als die Wasser das Gericht über die sündige Welt vollzogen hatten, fielen sei und verliefen sich immer mehr, die Arche aber ließ sich nieder auf das Gebirge Ararat. So war die Rettungsküste erreicht, aber die Rettung selbst verzog noch. Am siebzehnten Tage des siebenten Monats in Noahs sechshundertstem Lebensjahre war es, wo die Arche auf dem Ararat sich niederließ; am ersten Tage des zehnten Monats sahen die Spitzen der Berge hervor; mit welcher Freude wird der heilige Erzvater diese aus der unendlichen Meeresfläche hervortauchenden Gipfel begrüßt haben! Die Freude auf dem Schiffe des Columbus, da zum ersten Male der Ruf: Land, Land! erscholl und seine verzweifelten Gefährten nicht wußten, wie hoch sie ihren Führer ehren sollten, ist sicherlich nur ein schwaches Abbild dieser Freude gewesen. Aber noch harrte Noah vierzig Tage, da erst ließ er einen Raben ausfliegen, der kam nicht wieder. Nach acht Tagen sandte er eine Taube hinaus, um zu erfahren, ob das Gewässer gefallen wäre auf Erden; aber die Taube fand noch nicht, da ihr Fuß ruhen konnte, und kam wieder. Nach abermal acht Tagen ließ er wieder eine Taube ausfliegen; diese kam auch wieder, aber trug ein abgebrochenes Oelblatt im Munde. Nun erkannte der Glaubensheld, daß das Wasser gefallen wäre auf Erden; und harrte noch acht Tage und ließ wieder eine Taube ausfliegen, die kam nicht wieder. Aber Gott der Herr kam und redete mit Noah und sprach: Gehe aus dem Kasten. Also ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seinem Weibe und seiner Söhne Weibern, dazu allerlei Gethier, allerlei Gewürm, allerlei Vögel und alles, was auf Erden kriecht, das ging aus dem Kasten und regte sich auf dem Ararat. Noah aber baute dem Herrn einen Altar. So wurde der Ararat das Rettungsland für die aus dem großen Sündfluthsschiffbruch übrig gebliebenen Menschen.
So lesen wir denn zu den Füßen des Ararat die Inschrift: „Die Sünde ist der Leute Verderben,“ während an seinen Gipfeln mit goldenen Lettern geschrieben steht: „Wer nur den lieben Gott läßt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderlich erhalten in allem Kreuz und Traurigkeit; wer Gott dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut.“ So mahnen uns die letzten Wellen der großen Fluth, die wir tief unten noch den Ararat umspülen sehn, daß Gott kein schwacher gutmüthiger Vater ist, der fünf gerade sein läßt, sondern ein starker und eifriger Gott ist wider alle, die ihm widerstehn; indessen die beiden Höhen der Berge, die schützend die Arche umgeben, uns zurufen, daß Gott ein freundlicher und barmherziger Gott ist gegen alle, die ihre Sünde bekennen und seine Gnade anrufen. So lernen wir auf dem Berge Ararat, daß Gott hält, sowohl was er droht, als was er verspricht, und daß der Mensch erntet, was er sät, vom Fleische das Verderben, vom Geiste das Leben. So ist der Berg Ararat eine Schutzwehr sowohl gegen den Leichtsinn, als gegen die Verzweiflung. Gegen den Leichtsinn, sofern seine feuchten Umgebungen bezeugen, daß der Zorn Gottes keine Phrase, sondern schreckliche Wirklichkeit und Wahrheit ist, gegen die Verzweiflung, sofern sein die Arche bergender Doppelgipfel predigt, daß die Liebe Gottes gegen seine Kinder nicht aufhört. Und ist am Ende dies die schönste Bedeutung des Ararat als Rettungsküste, daß er versinnbildet, wie der Herr die Seinen nicht verläßt, sondern auch durch die schwersten Gerichte sie hindurchführt und rettet.
Oft auf öder Wasserwüste
Schwamm ich hin in morschem Boot,
Sah in Fluthen keine Küste,
In der Nacht kein Morgenroth,
Aber endlich kam es besser,
Endlich sanken die Gewässer,
Endlich aus den Wogen trat
Rettend mir mein Ararat.
Als die zweite Heimath des Menschengeschlechts stellt sich der Ararat uns zum ander dar. Das Paradies war die erste Heimath; von dort aus hatte sich das alte Menschengeschlecht über die Erde verbreitet. Dies alte Geschlecht war um seiner Sünden willen untergegangen. Die Stammeltern des neuen Geschlechts hatten ihre erste Wohnung auf dem Ararat. Die neue Heimath hatte mit der alten wenig Aehnlichkeit. Die Höhen des Ararat sind ohne Quelle, ohne Wasser; auch bedeckt kein Wald seine Felsen, nur unbedeutendes Birkengestrüpp und Wachholder schleicht am Boden. Es hat diese Erscheinung zum Theil darin ihren Grund, daß der Ararat einer der furchtbarsten Vulkane ist, der zuletzt noch im Jahre 1840 mit seinem Erdbeben ganz Armenien erschütterte. Welch‘ ein Contrast gegen die erste, die paradiesische Heimath der Menschen, die im Garten der Wonne lag, bewässert von vier köstlichen Strömen! Auch die Stammeltern im Paradiese und auf dem Ararat sind sehr verschiedene Leute. Dort unschuldige, gottebenbildliche Menschen, die von keiner Sünde wußten. Hier arme Sünder, die mit dem erschütternden Eindrucke von dem heiligen Ernste Gottes wider die Sünde die Erde betraten und in dem Gefühle, so der Herr Sünde zurechnen wollte, so würden bald wieder die Fluthen hervorbrechen, dem Herrn ein Brandopfer darbringen.
Es ist gang und gäbe unter den Menschen, das Paradies als die Heimath unseres Geschlechts zu rühmen, ohne zu bedenken, daß das ganze aus dem Paradiese stammende Geschlecht bis auf den Einen Noah in der Sündfluth dahingerafft ist. Die Erinnerung an den Ararat als die zweite Heimath des Menschengeschlechts, als die eigentliche Heimath des gegenwärtigen Geschlechts, ist viel weniger lebendig unter uns. Und doch liegen in dieser Erinnerung an den Ararat so wichtige erbauliche Momente, daß sie die zarteste Pflege verdient.
Der Ararat, als Wiege der gegenwärtigen Menschheit betrachtet, bringt uns zum Bewußtsein, daß unser persönliches Dasein nicht blos in der göttlichen Allmacht, Liebe und Weisheit wurzelt, wie sich dieselben in den Tagen der Schöpfung offenbarten, sondern auch, und zwar hauptsächlich, in der rettenden Gnade Gottes gegen bußfertige Sünder. Als Kinder des von Gott so wunderbar im allgemeinen Gericht erhaltenen Noah haben wir schon die Wurzeln unserer Existenz in dem Erbarmen Gottes zu suchen, das zerknickte Rohre nicht zerbricht und das glimmende Doch nicht auslöscht. Wir würden gar nicht leben, wir würden gar nicht da sein, wenn es nicht einen Gott gäbe, der mit unsrer Sündenschuld unsäglich gnädige Geduld hat. Das giebt denn unserm Dasein einen sehr ernsten Hintergrund. Ein Geschlecht, dessen Stammvater ein aus dem Feuer gerissener Brand ist, hat alle Ursache, ein Leben in Beugung und Demuth zu führen. Kommen dir Einbildungen, lieber Mensch, als ob dein armes Ich eine große Majestät wäre, denk‘ an den Ararat; der dort aus der Arche steigt ist ein geretteter Sünder, und dieser gerettete Sünder ist dein Ahne; bilde dir nichts ein, an dir und deinem Leben ist nichts auf dieser Erde, du verdankst dich und dein Leben allein der Gnade Gottes gegen sündige Leute.
Ein solcher Blick auf den Ararat muß auch das Gefühl der allerherzlichsten Dankbarkeit gegen Gott den Herrn in uns wach rufen und erhalten. Schon als Kinder Adams sind wir dem Herrn zu reichem Danke verpflichtet, der den Menschen sich zum Bilde schuf, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Aber als Kinder Noahs haben wir dem Herrn noch brünstiger zu danken, weil er uns, die wir sein Bild in uns verdorben und keinen Anspruch hatten auf Verschonung, doch verschonet hat. Noah hat auf dem Ararat in seinem Brandopfer Gotte neben der Buße zugleich sein Gratias bezeugt. Der fromme Brauch des Opfers hat sich dann vom Ararat über die ganze Erde verbreitet; überall wo wir Kinder Noahs finden, finden wir Opfer, wenn auch oft in sehr verzerrter Gestalt. Es gilt die heimische Sitte im Geiste und in der Wahrheit zu üben. Es gilt, den Opfervorgang auf dem Ararat täglich im Geiste zu vollziehn und zu dem Gotte des Heils, dem Schöpfer und Erhalter unsers Lebens Morgens, Mittags und Abends zu sprechen: „Du willst ein Opfer haben, hier bring‘ ich meine Gaben; mein Weihrauch und mein Widder sind mein Gebet und Lieder!“
Der Ararat, unsre Heimath, mit seiner kahlen, quellenlosen Erde schlägt auch am besten alle Illusionen, alle falschen Erwartungen nieder, die der Mensch sich so leicht von diesem irdischen Leben macht. Adam blühte ein Paradies, als er das Licht dieser Sonne erblickte, aber Noah sah sich von dürrem Erdreich umgeben, als er aus der Arche stieg. Die Kinder haben es nicht besser, als ihr Vater. Dem Sünder blühen keine Paradiese außen auf der Erde. Wunderst du dich, daß die Erde dir Dornen und Disteln trägt, denk’ an den Ararat, da wuchsen auch keine Bäume voll Gold und Silber. Man muß von dieser unter den Folgen unsrer Sünde seufzenden Erde nicht mehr verlangen, als sie zu bieten vermag. Kann man auch Trauben lesen von Dornen oder Feigen von Disteln? Nicht das Paradies, sondern der Ararat ist der Typus der gegenwärtigen Welt.
Es erübrigt uns noch drittens den Ararat darauf anzusehen, daß er die Stätte der Stiftung eines großen Bundes Gottes mit den Menschen ist, nämlich des Bundes der Natur. Gott schloß den Bund mit Noah, sobald das Opferfeuer den Gipfel des Ararat umflammte, im Blick auf das wahre, ewig gültige Opfer, das durch jenes vorgebildet war und das ein Besserer, als Noah, nämlich Christus Jesus einst auf einem besseren Berge, auf Golgatha, darbringen sollte. Gott stellte in diesem Bunde die sittliche Weltordnung fordernd, die natürliche Weltordnung verheißend für Noah und sein ganzes Geschlecht bis an das Ende der Tage fest.
Die alten jüdischen Lehrer erzählten von sieben noachischen Geboten, die der Herr auf dem Ararat der neuen Menschheit gegeben. Die Schrift berichtet nur, daß der Herr auf dem Ararat das Verhältniß des Menschen zum Menschen, des Mannes zum Weibe, der Menschheit zu den Thieren ordnete. Gott schärft auf’s Neue ein, daß Er den Menschen zu seinem Bilde gemacht habe und daß, so sehr auch dies Gottesbild in dem gefallenen Sünder zerrüttet sei, doch immer ihm eine solche abbildliche Würde geblieben, daß, wer den Menschen antastet, sich an Gott vergreife und daß darum, wer Menschenblut vergieße, sein eignes Blut zur Strafe lassen müsse. So ist denn also das moderne Geschrei nach Abschaffung der Todesstrafe eine Auflehnung gegen die Bundesordnung vom Ararat. Gott behüte uns davor, daß solches Geschrei Erfolg habe; wo das volksthümliche Leben die erschütternde Sprache der von Gott selbst eingesetzten Todesstrafe nicht mehr hört, sind der moralischen Sündfluth Thüre und Thore geöffnet. Das Verhältniß des Mannes zum Weibe ordnete der Herr auf dem Ararat durch die Wiedereinsetzung des heiligen Ehestandes und Wiederholung der Weihe der Ausbreitung der Menschen. Das Verhältniß der Menschen zur Thierwelt ordnete er durch feierliche Uebergabe des Regimentes über die Thiere an den Menschen. Diese neue sittliche Weltordnung vom Ararat erinnert unverkennbar an die des Paradieses, unterscheidet sich aber von derselben so, wie die ganze Lage der Menschheit durch die Sünde und durch die Sündfluth eine andre geworden war. Etwas Keimartiges, Unvollendetes, über sich Hinausweisendes; sie weist eben hin auf den Bund des Gesetzes vom Sinai, in welchem sie ihren Abschluß findet.
Großartiger als die sittliche, ist die natürliche Weltordnung, die der Herr auf dem Ararat gestiftet hat. Die rettende Gnade, die den bußfertigen Noah als Stammvater einer neuen Menschheit übrig gelassen, setzte sich fort in den Verheißungen der Verschonung des kreatürlichen Lebens der Menschheit bis an den jüngsten Tag. Gott schwur, die gereinigte Erde nicht wieder mit dem Fluche einer Sündfluth belegen zu wollen. Er setzte fest, daß, so lange die Tage dieser Erde währen, nicht aufhören solle Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Und zum Zeichen dieses seines Naturbundes setzte er seinen Zeugen in die Wolken, den Regenbogen; aufleuchtend aus dunklem Grunde predigt der Regenbogen: „Ob bei uns ist der Sünden viel, bei Gott ist viel mehr Gnade;“ entstanden aus der Einwirkung der Sonne auf dunkles Gewölkt, versinnbildet er das himmlische Erbarmen, womit Gott das irdische Leben umfaßt; ausgespannt zwischen Himmel und Erde bezeugt er den Frieden zwischen Gott und den Menschen und weist so über sich hinaus auf den persönlichen Mittler zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und der unter göttliche Geduld gestellten sündenvollen Menschheit, auf Jesum Christum, der da Frieden gemacht hat durch sein Blut. Gott hat die Verheißung vom Ararat nun schon 5000 Jahre hindurch gnädiglich erfüllt und ruft durch jeden neuen Regenbogen laut in die Welt hinein (Jerem. 33,25.): Halte ich meinen Bund nicht mit Tag und Nacht und die Ordnung des Himmels und der Erde? Und doch ist der Mensch in Stunden der Anfechtung oft so kleinmüthig und so kleingläubig und fürchtet, Gott werde ihn verlassen und versäumen. Aber fürwahr, Gottes Gnade steht noch und seine Araratverheißungen dauern noch zum Troste aller Bekümmerten und Beladenen.
Leuchtend wie der Friedensbogen,
Dauernd wie der Berge Grund
Steht im Sturm, wie in den Wogen
Meines Gottes Gnadenbund;
Mögen mir die Trübsalswellen
Brausend bis zum Herzen schwellen:
Thränenmüd‘ und sorgenmatt
Schau‘ ich hin zum Ararat.
Mutter Erde, manch‘ Jahrtausend
Rollt‘ ob deinem Scheitel hin;
Unglückswetter sahst du brausend
Ueber deine Fluren ziehn,
Doch auf Regen schien die Sonne
Und auf Jammer folgte Wonne,
Wie der Herr verheißen hat
Väterlich vom Ararat.
Als einen heiligen Berg verehren die Orientalen den Ararat. Im Anblicke seiner ehrwürdigen Gipfel verneigt der Muhamedaner sich ehrerbietig, und der armenische Christ macht das Zeichen des Kreuzes. Wir neigen uns nicht vor einem Berge, wir bekreuzen uns nicht vor ihm. Aber ehrwürdig soll auch uns immerdar der Ararat sein, dieses Brüderpaar uralter Zeugen menschlicher Geschichte und göttlicher Offenbarung, die im fernen Osten einsam gen Himmel ragen, der eine gleich einem Greise, denn ewiger Schnee bedeckt sein Haupt, der andre einem Jünglinge gleich, der vom Aelteren geführt wird. Schon in den Spielen unsrer Kindertage weilten wir gerne im Geiste auf ihren Gipfeln und ließen aus dem Noahkasten allerlei Thierlein herausgehn uns zu fröhlicher Ergötzung. Mögen wir nicht minder jetzt mitten im Ernste des Lebens oft im Geiste den Ararat besuchen und den großen Gott preisen, der ihn machte zur Rettungsküste der Sündfluth, zur Heimath des Geschlechtes, dem wir selber angehören, zur Stätte der Stiftung des heiligen Naturbundes, dem wir selber Leben und Erhaltung verdanken. Mögen wir aber auch über den irdischen Ararat hinausschauen auf den ewigen Ararat. Denn die Erde weist in ihren Spitzen über sich selbst hinaus. Droben sind die Berge, in deren Einsenkung einst die Arche der Kirche sich niederlassen wird und wo aus ihr in die ewige Heimath eintreten werden alle, die aus dem Schiffbruche dieser Welt gerettet sind im Glauben an Jesum Christ. Bring uns, Herr, zur Gottesstadt auf dem ew’gen Ararat! Amen.