Petri, Ludwig Adolf - Der Glaube in kurzen Betrachtungen - 2.

Mit dem edelsten Namen hebt das Geheimnis des Glaubens an, mich von allem Anfang mit Herrlichkeit zu umfangen und mit heiliger Ehrfurcht, Liebe und seligem Vertrauen zu entzünden. Vater heißt die Person dieses Artikels, welche Gott ist und allmächtig und ein Schöpfer Himmels und der Erde. Nicht an eine Gottheit, sondern an einen lebendigen Gott, und nicht an einen namenlosen und gestaltlosen und unbekannten Gott, sondern an Gott Vater glaube ich mit der ganzen Christenheit und heiligen Kinderschar auf Erden und im Himmel, den Heiligen hier und denen droben. Ich will es meiner forschenden Seele sagen und meinem Herzen einsenken. Lass Dir wohlgefallen die Rede meines Mundes, Herr Gott Vater, wenn ich von Deiner Herrlichkeit. kindisch rede.

Mit dem Vaternamen nennt das Kind seine Ehre und Freude und ganzes Dasein. Es nennt seinen Erzeuger; der Zug der Natur, die Stimme des Blutes, der Instinkt des Herzens haben ihm vor aller Erkenntnis Zeugnis gegeben.

Es nennt des ganzen Hauses Haupt; alle ehren und dienen sie ihm; alle Güter gehören ihm und er teilt sie aus. Der Vater ist des Kindes Ruhm und Preis, seine Größe und sein Vorbild der Vollkommenheit; ihm glaubt es unbedingt; an ihm hängt es mit der ganzen Liebe kindlicher Wahrheit und Unbefangenheit; bei ihm findet es die reinste Güte, die treueste Sorge, die sicherste Führung, Zuflucht und Trost in allem Leid. Vater und Kind sind der heiligste und teuerste Stand unter den Menschen, und darum das edelste Gleichnis für die vornehmsten und wirksamsten Verhältnisse. Wenn die Hirten und Lehrer rechter Art sind und Gelingen haben, so werden sie von ihren geistlichen Kindern Vater in Christo genannt und können mehr oder besser nicht geehrt werden. Und wenn ein König und Fürst Vater seines Volks ist, so kann für seine Obrigkeit ein schönerer Name nicht gefunden werden.

Aber nun merke auf, meine Seele, alle Vaterschaft auf Erden und alles Große, Heilige und Herzgewinnende in dem Namen ist nur ein blasser Schattenwurf; der Körper selbst, Wesen, Wahrheit und Urstand aller Vaterschaft ist in Gott. Gott ist Vater, wesentlich Vater, Vater im Himmel, und Vater- und Mutterstand und alle Kindschaft auf Erden und alle Herrlichkeit darin ist von ihm.

Wohl mir, dass ich das weiß. Vater- und Mutterstand und alle Kindschaft auf Erden sind mir dadurch geheiligt; die Herrlichkeit des Vaters im Himmel ruhe auf ihnen. Und ist schon der Schatten hienieden so groß, so erhaben, heilig und lieblich für mein Herz und das ganze Leben, was muss er selbst sein, der wahre, der wesentliche Vater, alles Lebens, aller Liebe, alles Lichtes Brunnen und Quelle!

Und ich glaube an ihn? Ich wage an ihn zu glauben und meine Knie gegen ihn zu beugen und meine Hände nach ihm auszubreiten?

Je mehr ich dem nachsinne und denke bei mir selbst und den Vater des Lichts anschaue, und dann mich in der Finsternis meiner Sünde erkenne und fühle, desto weiter tut sich eine Kluft auf zwischen ihm und mir; immer höher und ferner entweicht mir der Vater und ich kann nicht zu ihm hinauffahren; ja, ich wage meine Augen nicht aufzuschlagen gegen ihn, denn ich habe gesündigt und bin nicht wert, dass ich sein Sohn heiße. Ich zage und muss verzagen vor dieser Kluft, bis ich in dieselbe eintreten sehe Einen, der aussieht wie eines Menschen Sohn und reicht mir, dem Menschenkind, seine Hand der Gemeinschaft und ist doch unendlich mehr als ich; denn mit der andern Hand hält er den ewigen Vater und ist sein lieber Sohn und das ganze Wohlgefallen des Vaters ist in ihm. Denn er ist der wesentliche und eingeborene Sohn vom Vater, Licht vom Licht, Leben vom Leben, wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott. In ihm hat die Vaterschaft ihre ganze volle Wahrheit, denn gleichwie der Vater das Leben hat in ihm selber, also hat er auch dem Sohn gegeben das Leben zu haben in ihm selber1). Gott ist Vater seines einigen, ewigen Sohnes, der wesentliche Vater seines wesentlichen Sohnes. Und das will der Glaube; diesen Vater meint er; diesen lehrt er mich glauben und bekennen.

Ich höre hier nicht ein Gleichnis, dass Gott verglichen würde einem Vater, wie ich sie kenne und liebe; ich werde nicht gelehrt, an ein Bild zu glauben, an Einen der das Herz und die Sitten und wohl auch das Recht eines menschlichen Vaters über seine Kinder in göttlicher Vollkommenheit hätte; nein, ich glaube an Einen der wahrhaft und wesentlich Vater ist. Und ich werde nicht gelehrt zu glauben, dass er der Vater und Erzeuger aller Dinge und darum auch mein Vater und Erzeuger sei, weil er Alles aus seinem Wesen hervorgebracht und gesetzt habe; das wäre der trostlose Heidenglaube, der Gott und Welt zu Einem macht und in Wahrheit weder einen Gott, noch einen Schöpfer, noch einen Vater hat. Ich glaube den Glauben der Christenheit, den Glauben derer, die in Christo Jesu sind und in dem Sohn den Vater des Sohnes erkannt haben und zu dem Vater gekommen sind durch seinen Sohn. Denn niemand kennt den Vater denn nur der Sohn und wem es der Sohn will offenbaren, und niemand kommt auch zum Sohn, als wen der Vater zieht. Ihn nennt der Glaube; ihn bekenne ich mit der ganzen Christenheit auf Erden.

Und ich verliere ja dadurch meinen Vater im Himmel nicht, ich gewinne ihn erst. Denn er hat seinen Sohn gesandt in der Gestalt meines sündlichen Fleisches, dass er die Sünde im Fleisch hinrichte und wegnehme und die Kluft der Trennung ausfülle; er hat sich mir zum Vater gegeben in dem Sohn, und mich zum Kind angenommen durch den Sohn; er hat mich aus einem Knecht und Tagelöhner bei der Welt zu seinem freien und rechten Kind erklärt und aufgenommen durch den erstgeborenen Sohn vom Haus. Ich bin das Kind seiner Gnade; sein Wohlgefallen hat mich von der Straße aufgelesen. Und danach hat er mir auch die Erziehung, die Artung und Bildung seines Kindes gegeben und mich mit dem Geiste seines Sohnes ausgestattet zur Ähnlichkeit mit seinem Sohn; denn weil ihr Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreit: Abba, lieber Vater2); denn nun begehrt er an mich, dass ich mich auch halte wie sein Kind, ihn erkenne und glaube, liebe und lobe und göttlich lebe hie zeitlich, um mit seinem erstgeborenen Sohn auch zu erben und göttlich zu leben in Ewigkeit. Die Kluft ist verschwunden; die Ferne ist zur Nähe geworden; zu dem Zagenden spricht der eingeborene Sohn, der den Vater kennt: Er selbst, der Vater, hat euch lieb darum, dass ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin3). So hat er sich mir zum Vater gegeben und die Werke eines Vaters an mir getan, und nun rufe ich aus seligem Kindesherzen: Mein Vater, mein Vater, Abba, lieber Vater, ich glaube an Dich.

O Herrlichkeit, o Ehr und Pracht,
Die uns zu Gottes Kindern macht!
Liebe, dass der starke Gott,
Der Herzog und Herr Zebaoth,
Der alle Ding erhält allein,
Will unser aller Vater sein!

Denn der Vater, an den ich glaube, ist Gott, wahrer lebendiger Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Mein Gott, an den ich glaube, ist nicht eine Phantasie, wie der Heiden Götter, die Geschöpfe ihrer Einbildung, der Betrug der Betrogenen. Mein Gott ist auch nicht eine Philosophie, wie der Weltweisen Gott, den sie denken und ausdenken und zurechtdenken. O denkt euch einen Gott, so gut ihr könnt und wollt, gebt ihm alle hohen Eigenschaften, rüstet ihn aus mit allen edlen Kräften, fasst ihn in das Spinngewebe eurer Lehre, nennt ihn Gott oder höchstes Wesen, oder Geist, oder den Absoluten, oder Universum oder wie ihr wollt, mit allen möglichen verständlichen und unverständlichen Namen, ich kann an ihn nicht glauben, denn ihm fehlt immer ein Kleines und mit diesem Kleinen alles; ihm fehlt, dass er ist, wirklich ist. Euer Gott kann nicht für sich aufkommen; er ist ein Gedicht; ihr habt ihn gemacht und ich kann an ihn nicht glauben. Mein Gott ist Wahrheit und Wirklichkeit, denn er ist erschienen, leibhaftig, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen und uns mit ihm erkannt im seligen Finden und Gefundenwerden. Unser Geist, der von ihm und zu ihm geschaffen war, unsere Seele, die nach ihm dürstete, unser Herz und Gewissen, die nur in ihm Frieden und alle Genüge hatten, haben ihn erkannt, da er kam und zu uns sprach: hier bin ich, hier bin ich. An seiner Gestalt, die er mir vor die seligen Augen und in das empfängliche Herz bildete, an seiner Stimme, die zu meinen entzückten Ohren und in meine innerste Seele einging, an seinem Heil, das er mir antrug und schenkte und zu genießen gab, habe ich ihn erkannt und erfahren, dass er mich erkannte. Und ich fiel nieder auf mein Angesicht und betete ihn an. Gott ist offenbart im Fleisch; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat es uns verkündigt; in Christo Jesu ist erschienen die Leutseligkeit und Freundlichkeit Gottes, unseres Heilandes. Im Werk, mit der Tat hat er sich bewiesen und gesprochen: gib mir, mein Kind, dein Herz. Niemand ist Gott ohne der Vater unseres Herrn Jesu Christi; dieser ist der wahre, der wirkliche Gott.

Wie sollte ich Dich erkannt haben, Du verborgener, unsichtbarer Gott, wenn Du nicht erschienen wärest? Wie sollte ich Dich und Dein heiliges Gebot und Lehre gehört haben, so Du nicht geredet hättest? Wie sollte ich von den Göttern des Betruges, welche die ganze Welt bezaubert hatten, frei geworden sein und zu Dir gekommen, wenn Du Dich nicht nahe zu mir getan hättest und gesprochen: erkenne mich, den Herrn? O, ich war blind wie die Anderen, und liebte die Welt wie die Anderen, und suchte Dich nicht wie die Anderen, und ob ich wohl voll Unruhe war und immer im Streit und keinen Gott wusste, der mir den Frieden gegeben hätte, so wäre ich doch ewig nicht zu Dir gekommen, wenn Du nicht zu mir gekommen wärest, Du großer Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi. Hier in diesem Deinem Sohn erkenne ich Dich, hier soll ich Dich suchen und glauben; denn hier allein, hier in dem offenbaren Geheimnis Deines Sohnes bist Du für mich sichtbar und zugänglich; kein Gott ist ohne Du, alle andern sind Gedicht, Phantasie, Heidentum, und kein Weg ist zu Dir ohne durch den Sohn, und alle anderen sind Irrwege und Verführung. Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht; wer an den Sohn nicht glaubt, der hat keinen Gott4)!

Gelobt sei Gott; wir wissen und kennen ihn. Denn uns hat besucht der Aufgang aus der Höhe, auf dass er erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens, als er vor Zeiten geredet hatte durch den Mund seiner heiligen Propheten5). Denn nicht als ein Unbekannter bei denen die ihn nicht kannten, und nicht als ein Fremder unter denen die ihm entfremdet waren, ist er offenbar geworden, sondern als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, die mit ihrem Volk seine Zeugen sind, dass er Gott war und ist von Anbeginn und ein Volk des Eigentums, ein heiliges Volk, von Anbeginn hatte, das ihn kannte und ehrte und von seinem Namen predigte, denn er hatte ihnen seinen Namen kundgetan und mit Zeichen und Wundern, und Gnade und Wohltat gerechtfertigt. Nichts sind der Heiden Götter ringsum; haben Augen und sehen nicht, haben Ohren und hören nicht, haben Mäuler und reden nicht; sind geboren und gestorben, sind aufgekommen und wieder abgekommen. Aber der Vater unsere Herrn Jesu Christi, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs - er ist Jehova, der Ewige, und mit der Tat in der Geschichte bewiesen. All dieser breite und tiefe Strom der Offenbarung und Erkenntnis Gottes, der jetzt die Lande tränkt und macht sie fruchtbar und wachsend an Weisheit und Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und guten Werfen und allerlei edlen Kunst - siehe, er bricht hervor und herein in die Welt aus Jesu Christo, reicht aber weiter und höher hinauf gegen allen Anfang hin; man sieht ihn als ein silberhelles Bächlein durch die dürre Erde fließen, Israel wächst wie ein Palmbaum an seinen Ufern, Propheten halten ihn im Fluss, Könige schirmen seinen Lauf, die hohen Gestalten der Väter Abraham, Isaak und Jakob sitzen an seiner Quelle, und schauen doch wieder höher hinauf, denn jetzt hier und jetzt dort blinkt dieser Silberbach hervor, bis sich im verlorenen Paradies sein Ursprung verliert, in die Ewigkeit hinein und hinauf. Mein Gott ist nicht der Schemen einer Gottheit, sondern ein leibhaftiger Gott; mein Gott ist nicht ein Wesen, sondern Person; mein Gott ist nicht ein Gedanke, sondern Wirklichkeit und in der Wirklichkeit, in der Geschichte der Welt, von Anfang offenbar und bewiesen.

O, mein Gott, O, mein Vater! Du hast Deine Macht und ewige Gottheit bewiesen unter den Völkern, und das ist das ewige Leben, dass sie Dich, dass Du allein wahrer Gott ist, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen6).

Mein Herz begehret nur allein
Mit Dir vertraut bekannt zu sein.
Lass mich vor Deinem Throne stehn
Und unverrückt Dein Antlitz sehn.

1)
Joh. 5,26.
2)
Gal. 4,6
3)
Joh. 16,27
4)
1 Joh. 2,23. 2. Joh. 9
5)
Luk. 1,70.78.79.
6)
Joh. 17,3