Passavant, Theophil - Jakob's Kampf - 21. Auch ich habe dich angerührt.

V. 24. Und er blieb allein zurück.

Warum allein zurück? Frage ihn nicht. Ein Freund Gottes hat seine Stunden heiligen Ernstes, auch bangen Anliegens; da kann er nur einsam sein; er ziehet sich in sein Kämmerlein zurück, und schließt die Thür hinter sich zu. Laß ihn vor seinem Gott ungestört, und mit Ihm allein; laß sein Gebet, sein Flehen, seine Thränen, ohne fremde Zeugen; und verstehest du ihn nicht, und weißt nicht, Wen er in dieser Einsamkeit gesucht und was er gefunden, so kehre selber in die Einsamkeit, in dich ein, und siehe warum du eher das Kämmerlein meidest, ob du vielleicht Einen fliehest, dem Keiner kann entfliehen; oder ob du nicht finden würdest in der Wüste, was du nicht weißest, das Eine, das deine Seele braucht?

V. 24. Da rang ein Mann mit ihm, bis daß die Morgenröthe anbrach.
V. 25. Und da er sah, daß Er ihn nicht übermochte, rührete Er seine Hüftpfanne an; und die Hüftpfanne Jakob ward über dem Ringen mit Ihm verrenkt.
V. 26. Und Er sprach: Laß mich gehen, denn die Morgenröthe bricht an. Aber er erwiederte: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.

Ein Manu ringet mit Jakob, ein Unbekannter, bis die Morgenröthe anbricht; und Jakob ringet mit dem Unbekannten, bis die Morgenröthe anbricht; so bange ihm um's Herz werden muß, ringet er doch mit Muth und Kraft, aber ohne Eitelkeit und Verwegenheit, ohne Ungeduld, ohne Zorn; er ringet mit Muth und Demuth, mit Glauben, mit des Glaubens Gehorsam und Hingebung, mit stillem, heiligem Verlangen nach einer Erlösung, einem Heil, einem Sieg, und will, fürchtig und fromm, nicht vor der Zeit sich dem Kampfe entziehen. Es ist als hätte der Unbekannte, der doch ein Gewaltiger ist, keine Waffen gegen solche Waffen; Jakob hat sein Herz gefunden; der Starke ist kein Feind; aber welch ein Kampf ist das? - Und da Er stehet, daß Er ihn nicht übermag, rühret er dessen Hüftpfanne an, und die Hüftpfanne Jakob wird über dem Ringen verrückt. Und Er sprach: Laß mich gehen, denn die Morgenröthe bricht an. Aber Jakob antwortet: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.

So der Mann Gottes; es wird ihm wunderbar zu Muthe; je mehr er kämpfet, je leichter und ernster zugleich wird ihm der Kampf; er fühlet sich schwach, und wird doch gestärket; er fühlet sich allein, und ist doch nicht verlassen; er kennt den Unbekannten nicht, und wird doch nicht von Angst und Schrecken gelähmt; ist sein Herz im Anfang voll Bebens gewesen, er fürchtet nun keine Wunde, keine Niederlage, keinen Tod; sein Gott ist ihm nicht ferne; er scheuet sich immer weniger vor diesen Schrecken; die Finsterniß ist ihm keine Nacht mehr. Je unbefangener er sich drein begibt und ergibt, um so mächtiger fühlet er sich über alle Angst und alle Sorgen seiner Seele hoch emporgetragen; es ist in dem Unbekannten etwas Unaussprechliches, eine Kraft, die ihn nicht verwundet, eine Macht, die ihn nicht erdrücket, eine Größe, die sich ihm selbst wunderbar mittheilet; und diese Macht, die ihn ergriffen und ihn umfangen hält, durchdringet ihn als mit einer göttlichen Lebenskraft; sie gehet ihm durch Mark und Bein, durch Seele und Geist; je länger er anhält, und ringet und kämpfet, um so lebendiger und mächtiger fühlet er sich umfangen, gehoben, gestärkt; um so seliger durchdringt ein übermenschlich Gefühl sein ganzes Wesen; es ist eine Erlösung, ein Heil, ein Sieg; es ist ein unnennbares Leben, das sich durch alle seine Glieder und Adern ergießt; der Kampf ist gut, er will ihn durchkämpfen; die Stunde ist heilig, er will sie durch- und überleben; der Arm, der ihn umschlingt, ist Hülfe, Kraft und Heil, er will sich ihm nicht vor der Zeit entwinden; der Unbekannte wird ihm immer wunderbarer, mächtiger, größer, wird unentbehrlich seinem Herzen, seinem Leben; er kann, er will nicht von Ihm lassen; - ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.

V. 27. Und Er sprach: Was ist dein Name? Und er antwortete: Jakob.
V. 28. Und Er sprach: du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpfet, und bist obgelegen.