Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke sein werden.
Offb. Joh. 22, 12.
Evang. Luk. 21. v. 25 bis 36.
Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne und Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein, und werden zagen; und das Meer und die Wasserwogen werden brausen; und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die da kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen. Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt, zu geschehen, so seht auf und erhebt eure Häupter, darum dass sich eure Erlösung naht. Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht an den Feigenbaum und alle Bäume; wenn sie jetzt ausschlagen, so seht ihr's an ihnen, und merkt, dass jetzt der Sommer nahe ist. Also auch ihr, wenn ihr dies alles seht angehen, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist. Wahrlich, ich sage euch: Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass es alles geschehe. Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht. Hütet euch aber, dass eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch; denn wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen. So seid nun wacker allezeit, und betet, dass ihr würdig werden mögt, zu entfliehen diesem allen, das geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn.
Die Weissagung des Herrn von seinem Kommen in Herrlichkeit.
Liebe Gemeinde! Ist der Jesus, der hier zu uns redet, derselbe, den wir am vorigen Sonntag seinen Einzug in Jerusalem halten sahen? Dort kam er zu seinem Volke sanftmütig, ein Gerechter und ein Helfer, entschlossen und bereit zu leiden und zu sterben; hier redet er von seinem Kommen in des Himmels Wolken mit großer Kraft und Herrlichkeit. Beides ist nicht ein Gegensatz, sondern nach göttlicher Ordnung das eine der Weg zum andern, Sanftmut und Demut der Weg zur Höhe und zur Herrschaft, und der in seiner alle umfassenden Heilandsliebe sich selbst geopfert hat, in dessen Namen sollen aller Knie sich beugen, den hat der gerechte Gott zum Richter über alle bestimmt.
Aber dunkel sind die Worte, in denen Jesus von seinem Kommen in Herrlichkeit redet. Wie hat er selbst sich dasselbe vorgestellt? Hat er gedacht an ein wirkliches Erlöschen von Sonne und Mond, an ein Herabfallen der Sterne, an einen bestimmten Tag, an dem er äußerlich sichtbar, buchstäblich „auf den Wolken des Himmels“ erscheinen werde? Wenn wir nur die Worte unseres Textes ansehen, so könnte es fast so scheinen; und in der Tat hat es seit der Apostel Tagen viele fromme Christen gegeben, die in diesem Sinne die Wiederkunft des Herrn erwarteten, ersehnten, ja den Tag derselben vorauszuberechnen suchten; und ob nicht nur das Geschlecht, zu dem Jesus redet, sondern Geschlecht auf Geschlecht seitdem ins Grab gesunken ist, lebt doch noch in unsern Tagen die Hoffnung auf ein derartiges sichtbares Kommen des Herrn in vielen Christenherzen fort. Dennoch unterliegt's für uns keinem Zweifel, dass Jesus so nicht verstanden sein will. Wenn er mit unmissverständlichen klaren Worten ausdrücklich erklärt, das Reich Gottes komme nicht mit äußerlichen Gebärden, wenn er ein anderes Mal die alttestamentliche Verheißung von dem Kommen des Elias geistig deutet, so legt er selbst es uns damit nahe, auch seine Verheißung von seinem Kommen geistig zu verstehen. Er redet ja hier in prophetischer Sprache, schließt sich in seinen Schilderungen an an die Propheten des alten Bundes, die in ähnlichen Worten von der Aufrichtung des messianischen Reiches auf Erden und von einem Gerichtstage, der damit zugleich über die Völkerwelt kommen sollte, geweissagt haben; und prophetische Rede ist poetische Rede, ist reich an Bildern; wer wollte bei ihr am Buchstaben haften und wer, ehe alles erfüllt ist, genau bestimmen, was buchstäblich zu verstehen, was bildlich geredet ist? Wer könnte darüber sich wundern, dass solche Rede von Anfang an vielfach missverstanden ist, dass man zumal buchstäblich von einem Tage erwartet, was durch eine Jahrhunderte, ja Jahrtausende umfassende Entwicklung sich erfüllen soll?
Doch lasst uns in dieser Stunde über das Dunkle dieser prophetischen Rede nicht streiten, sondern
Die Weissagung des Herrn von seinem Kommen in Herrlichkeit
also mit einander betrachten, dass wir uns nur halten an das, was klar und gewiss ist. Wir reden
Mein siegend Haupt dort in der Herrlichkeit,
Du lebst, beglückst, regierst!
Ich bin dein Glied, doch lieg ich noch im Streit,
Bis du zum Frieden führst.
Noch kämpf' ich viel hienieden
Mit Sünd' und Leidenschaft,
Doch du gibst deinen Frieden
Und Mut und Siegeskraft. Amen.
Die Weissagung des Herrn von seinem Kommen in des Himmels Wolken mit großer Kraft und Herrlichkeit ist mir immer besonders bedeutungsvoll erschienen um des Zeitpunktes willen, in dem er sie gesprochen. Es war nicht auf der Höhe seiner Wirksamkeit, nicht in jener Zeit, da das Volk sich um ihn drängte, hingerissen von seinem Wort, seine Wundermacht bewundernd, seine Liebe preisend, sondern in einem Augenblicke, da das nahe Geschick feindseliger Verwerfung und schmachvollen Todes seine dunklen Schatten in seine Seele warf. Was hatte er erreicht mit seinem Wort, das Wahrheit und Leben, mit seinem Thun, das nur Liebe war? So klein war die Zahl der Jünger, die um ihn, und so groß die Macht der Feinde, die wider ihn standen! Und wenn er sein Leben nun in den Tod geben musste, bedeutet das nicht für sein Wort und Werk den Untergang? Doch nein! mag kommen, was will: nichts kann seinen Sieg hindern, und mag vergehen, was will: sein Wort bleibt bestehen. Wenn der Erdkreis wankt und bricht, wird man des Menschen Sohn herrlich kommen sehen in des Himmels Wolken. „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht.“ Das ist die Siegeszuversicht, die ihn erfüllt, dieselbe Siegeszuversicht, die ihn wenige Tage darnach vor dem Hohenpriester feierlich bezeugen lässt: „Von nun an wird's geschehen, dass ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels.“ „Von nun an“ also mit seiner Verurteilung und seinem Tode beginnt sein Siegeslauf, beginnt sich zu erfüllen, was er in unserem Evangelium seinen Jüngern verkündet. Mit solcher Siegeszuversicht ist Jesus in den Tod gegangen, aus ihr ist diese Weissagung geboren.
Hat die Geschichte Jesu Worte Lügen gestraft oder seine Siegeszuversicht als Schwärmerei erwiesen? Gewaltige Stürme, furchtbare Verfolgungen sind über die Jünger Jesu, über die Verkündiger seines Wortes und die Bekenner seiner Wahrheit dahingegangen, aber Tatsache ist, dass heute an allen Enden der Erde sein Name gepriesen und in fast allen Sprachen der Welt sein Wort verkündigt wird; jede Sturm- und Drangsalszeit in der Geschichte der christlichen Kirche bedeutet auch ein neues Kommen ihres Herrn in Kraft und Herrlichkeit, einen neuen Sieg seiner Wahrheit. Große Gärungen sind durch die Völkerwelt gegangen, gewaltige Umwälzungen haben sich vollzogen seit Jesu Zeit. Neue Verhältnisse, neue Aufgaben, neue Wirren sind immer wieder hervorgetreten, aber so oft die Menschen verzagen und verzweifeln wollten, ist er mit seinem alten Evangelium der alle umschließenden Gottesliebe und der sich selbst aufopfernden Bruderliebe erschienen als der Meister, sie zu ordnen und zu lösen. Es sind nicht nur im Laufe der Jahrhunderte mancherlei Zeichen geschehen an der Sonne und Mond und Sternen, die der Menschen Herzen mit Angst und Bangen erfüllt haben, sondern die Stellung dieser Himmelskörper und ihre Bedeutung im Weltenraume ist für unser Denken eine ganz andere geworden. Der Himmel des Altertums, das ganze Weltbild vergangener Zeiten ist untergegangen, und mit ihnen so manche kindliche Vorstellung von Gott und himmlischen Dingen, aber die Furcht banger Christenherzen, als bedeute diese neue Weltanschauung den Untergang des Christentums, hat sich als töricht erwiesen. Jesu Wort von dem Gott, der Geist ist, sein Evangelium von der ewigen Vaterliebe, die fürsorgend, vergebend, erlösend über uns waltet, sein Ruf an das Menschengeschlecht zu heiliger, seliger Gotteskindschaft gehören der Gegenwart nicht minder an als der Vergangenheit, ja sie werden heute noch tiefer verstanden, sie erscheinen heute noch herrlicher und anbetungswürdiger als je zuvor, sie sind, ob auch noch immer manchen ein Ärgernis und andern eine Torheit, doch die Weisheit, die die Weisesten verehren und vor der die Mächtigsten der Erde sich beugen. Und ob das Wort des Herrn selbst auch gar verschiedenartige Deutung erfahren und über seine richtige Auslegung bisweilen heftige Stürme und Kämpfe in der Kirche entbrannt sind, niemals hat es seine Kraft verloren, es erweist sich heute noch ebenso als vor 1800 Jahren als eine Gotteskraft, selig zu machen alle, die daran glauben. Die Siegeszuversicht, aus der die Weissagung des Herrn in unserem Texte geboren ist, erfüllt auch unsere Herzen. Wir sind in das neue Kirchenjahr hinübergegangen in der Gewissheit, dass auch in ihm das Wort der Wahrheit zu neuen Siegen fortschreiten wird. Wir feiern Advent in der Zuversicht, dass auch in den Nöten und Ängsten der Gegenwart der Herr aufs neue zu uns kommen werde in Kraft und Herrlichkeit.
Oder zweifelst du an der Siegeskraft des Evangeliums Jesu in unserer Zeit? Etwa um deswillen, weil so viele um uns her, die es von Jugend auf kennen, gleichgültig gegen dasselbe sind und nach ihm nichts fragen? Hört denn die Sonne auf zu scheinen, weil manche die Fenster ihres Hauses gegen ihre Strahlen verschließen und verhängen? O lass im neuen Kirchenjahre des Herrn Wort hineinleuchten in dein Herz, dann wird es seine Siegeskraft in deinem Leben aufs neue bewähren, und er selbst wird zu dir kommen und Wohnung in dir machen und dich erfüllen mit Freudigkeit, zu kämpfen den Kampf, der dir verordnet ist.
Dass Christus siegt, unterliegt keinem Zweifel. Aber darauf kommt es an, dass du mit ihm siegst. Wirst du im Kampf nicht müde werden und verzagen, wenn die Anfechtung aufs höchste steigt und von allen Seiten dir Untergang und Verderben droht? Nicht nur im Großen der Weltgeschichte gibt es solche Krisen, da die Himmelslichter sich verfinstern, die Meereswogen brausen, die Kräfte, die den Himmel halten, erschüttert werden; solche Drangsalszeiten gibt's auch in deinem Leben. Lässt du da den Mut nicht sinken? Wirfst du da die Waffen nicht weg? O höre, wie Jesus in unserem Evangelium die Seinen zu heiliger Kampfesfreudigkeit ermuntert! Er ruft ihnen zu: „Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so seht auf und erhebt eure Häupter, darum dass sich eure Erlösung naht.“ Drangsalszeiten sind Erlösungszeiten. Und nicht nur ein äußerlicher Zusammenhang besteht zwischen Trübsal und Erlösung, also, dass der Herr in der Trübsal zu den Seinen kommt, um sie aus derselben zu erlösen, sondern die Trübsal selbst öffnet dem Herrn und seinen geistigen Erlösungskräften die Bahn in unsern Herzen. In der Hitze der Trübsal kommt die Frucht zur Reife, welche aus dem Samen göttlichen Worts in unseren Herzen emporkeimt, die Frucht des Glaubens und der Liebe, die Demut und die Sanftmut, die Geduld und die Treue. Trübsalszeit ist Sommerzeit, ist Segenszeit. „Seht an den Feigenbaum und alle Bäume; wenn sie jetzt ausschlagen, so seht ihr's an ihnen und merkt, dass jetzt der Sommer nahe ist. Also auch ihr, wenn ihr dies alles seht angehen, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.“ So ermutigt Jesus seine Jünger. Wohlan, so verzweifelt nicht und murrt nicht, wenn die Sonne des Glückes aufhört euch zu scheinen und gewaltige Stürme euer Haus erschüttern, sondern wisst: Heilszeit, Segenszeit, Erlösungszeit bricht für uns an! In dieser Zuversicht geht freudig in den Kampf, den der treue Gott nach seiner Weisheit über euch verhängt hat und als dessen Lohn euch winkt die Krone des ewigen Lebens.
Aber nicht nur in den Zeiten schwerer Trübsal und Bedrängnis sollen wir Christen kampfesbereit und kampfesfreudig sein, sondern auch in den ruhigen Zeiten unseres Lebens. Gewiss danken wir dem Vater im Himmel von Herzen, dass er auch solche uns immer wieder schenkt. Aber verführen die Zeiten der Ruhe uns nicht gar leicht zur Untätigkeit? Ist in ihnen die Gefahr nicht groß, dass wir ganz und gar aufgehen in den kleinen materiellen Sorgen des Tages und im Jagen nach flüchtigem, irdischen Genuss? „Hütet euch aber, spricht der Herr, dass eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch; denn wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen.“ Wenn du in guten Tagen das Fleisch herrschen lässt über den Geist, wie soll dann dieser in schweren Zeiten mit einem Male mutig und stark dastehen? Wenn du in irdischem Gewinn und Genuss dein Glück gesucht und deine Zeit vergeudet hast, wie kannst du dann getrost dein Haupt erheben, wenn alles Irdische zusammenbricht und von dir genommen wird? Und dieser Zeitpunkt kommt auch einmal für dich; darüber kannst du dich nicht täuschen. Solltest du wirklich, so lange du lebst, dein Leben genießen können und im Besitze der Güter bleiben, an die du dein Herz gehängt, gewisser als alles ist dir der Tod, und darnach - das Gericht. O mein Christ, auch wenn du alle äußerlichen Vorstellungen, die mit diesem Worte sich zu verbinden pflegen, abstreifst, das ist doch klar: nicht anders gehst du in jene Welt hinüber, als du diese verlässt. Darum erhebe dich im Gebet immer wieder über die Last und Sorge dieser Erde; stärke dich im Gebet immer aufs neue zu heiligem, freudigem Kampfe um die ewig bleibenden himmlischen Güter. Der Herr schließt seine Weissagung mit den Worten: „So seid nun wacker allezeit und betet, dass ihr würdig werden mögt, zu entfliehen diesem allen, das geschehen soll, d. h. durch alle Gefahren hindurch eure Seele zu retten, und zu stehen vor des Menschen Sohn.“ Lasst diese Adventsmahnung euch durch das ganze Kirchenjahr, durch das ganze Leben begleiten.
Reinigt euch von euren Lüften,
Besieget sie, die ihr seid Christen,
Und steht in des Herren Kraft.
Stärket euch in Jesu Namen,
Dass ihr nicht strauchelt wie die Lahmen;
Wo ist des Glaubens Ritterschaft?
Wer hier ermüden will,
Der schaue auf das Ziel!
Da ist Freude
Wohlan, so seid
Zum Kampf bereit:
So krönet euch die Ewigkeit. Amen.