Murray, Andrew - Wachset in der Gnade - 13. Gnade zu jeder Zeit.

2. Kor. 9,8.
“Gott kann machen, dass allerlei Gnade unter euch reichlich sei, dass ihr in allen Dingen (zu jeder Zeit) volle Genüge habt und reich seid zu allerlei guten Werken.“

Über diese herrliche Verheißung wollen wir noch einmal nachdenken. Haben wir doch die Seligkeit, welche in der Überschwänglichkeit der Gnade liegt, nur aus der Ferne gesehen. Darum lasst uns nahe herzu treten und zur Probe des Ganzen eine der herrlichen Zusagen in dieser Verheißung, welche von der grenzenlosen Überschwänglichkeit der Gnade handelt, auf das Leben anwenden, um zu sehen, wie das Leben wird, welches die Gnade weckt und erhält! Zu diesem Zweck greife ich das Wort heraus, welches von dem dreimaligen „alle“ mir am herrlichsten vorkommt: „in allen Dingen“, oder nach anderer Übersetzung: „zu jeder Zeit“. Ja, das muss herrlich sein, es ist beinahe zu groß und fast unglaublich, dass allerlei Gnade unter uns reichlich sein soll zu jeder Zeit.

Für die meisten Christen ist dies wohl das größte Hindernis für die Annahme dieser Verheißung. Dass sich Zeiten in dem Leben finden, Zeiten geistlichen Vorwärtsschreitens, Zeiten besonderer Arbeit für den Herrn, oder Zeiten der Not und Anfechtung, in denen Gott auf wunderbare Weise zeigt, dass Er es bewirken kann, dass allerlei Gnade unter ihnen sei in allen Dingen, das glauben sie fest und ganz gewiss. Aber dass solche Zeiten überschwänglicher Gnadenoffenbarung immer währen und andauern könnten, nein, das scheint ihnen nicht möglich zu sein. Dass Gott allerlei Gnade in Seinem Kind zu jeder Zeit reichlich sein lassen will, ist ihnen zu groß und zu viel. Und doch ist es gerade dies, was ihnen verheißen wird und was der allmächtige Gott an dem tun will, der es gläubig von Ihm erwartet. Es kommt mir so vor, als ob der Unterschied zwischen dem gewöhnlichen Leben des Christen und dem Leben, welches Gott hier verheißt, derselbe sei, wie zwischen Verlobten und Verheirateten. Vor ihrer Verheiratung besuchen sich die Verlobten manchmal, allein sie sind doch noch getrennt. Hat aber die Verheiratung stattgefunden, so sind sie für immer vereint. Die Braut verlässt ihres Vaters Haus. Sie wird nicht mehr mit ihrem Namen, sondern mit dem ihres Mannes angeredet. Die Verbindung, nach der sich die Liebe gesehnt, ist geschlossen. Sie gehören einander für immer an.

In der Bekehrung und dem Glauben verlobt sich die Seele mit dem Herrn Jesus. Von der Zeit ab stattet Er herrliche Besuch bei Seiner Geliebten ab. Da kommen Zeiten, in denen sie es erfährt, dass ihr die Gnade zuströmt, Doch ist dies nur von Zeit zu Zeit der Fall. Und doch finden sich in unserem Textworte Verheißungen ununterbrochener Gemeinschaft, Verheißungen eines Einzuges Christi in unser Herz, in Folge kraftvoller Geistesarbeit an unserem inneren Menschen (Joh. 14,16-23; Ephes. 3,16-17), durch welche unsere Seele erst recht in der Liebe wurzelt und stark wird und jenes wahre Leben der Liebe mit Christo seinen Anfang nimmt.

Sobald eine gläubige Seele erkennt, dass ein Wort, wie das „zu jeder Zeit“, buchstäblich gemeint ist und buchstäblich erfüllt werden soll, versteht sie auch, dass es eine Einladung ihres himmlischen Bräutigams ist, zur vollen, immer währenden Gemeinschaft einzugehen. Das ganze Herz gerät in Leidenschaftliche Erregung. Es fragt sich immer wieder: Ist es denn überhaupt möglich? Wird es gerade mir geschenkt werden? Werde ich Glauben genug haben, um es festzuhalten und zu bewahren? Das himmlische Kleinod eines solchen Segens, dass allerlei Gnade zu jeder Zeit in mir reichlich sei? Immer heftiger wird dieser Seelenstreit. Mit einer das ganze Herz durchforschenden Energie erhebt sich die Frage, ob denn die Seele tatsächlich willig und bereit ist, sich ganz und gar dem Herrn hinzugeben, so dass die Gnade zu jeder Zeit das Zepter führen kann, ob sie tatsächlich gänzlich sich selbst entsagen will, nicht allein ihren Sünden und ihrem Eigensinn, sondern auch ihrem Selbstvertrauen und ihrer eigenen Kraft, ob sie dies tatsächlich tun will, um sich als ein schwaches Geschöpf von seiner allmächtigen Gnade tragen und bewahren zu lassen.

Auch der Gedanke kommt einem Jeden: Ja, Gott kann machen, dass allerlei Gnade zu jeder Zeit unter uns reichlich ist, aber wird er es auch tun? So fragt die Seele, bis sie erkennt, wie schändlich es ist, dem Herrn unserem Gott zuzutrauen, dass Er uns mit Vorspiegelungen dessen, was Seine Allmacht kann, aber nicht bestimmt will, spotten könne. Mit tiefer Beschämung erkennt sie, dass wenn Gottes Wort mit einer Verheißung kommt: „Gott kann machen“, dass dann diese Verheißung die allersicherste Zusage dessen ist, was Er an dem tun will und tun wird, der auf Ihn vertraut. Sobald der Seele dies vollkommen deutlich wird und sie es wagt, alle Bedenken schwinden zu lassen und dies für sich selbst zu erwerben, geht sie zu der ersehnten Ruhe ein.

Dass Jesus in ihrem Herzen Wohnung macht, dass sie in seiner Liebe bleibt, dass sich die Verheißung an ihr erfüllt: „Deine Sonne soll nicht mehr untergehen“, dies alles wird ihr nun zuteil. In dem tiefsten Gefühl einer Ohnmacht, welche nichts vermag, und einer Untreue, welche immer abirren will, lebt sie nun glücklich durch die Gewissheit, von dem Allmächtigen bewahrt zu werden, welcher seine Verheißungen an allen denen buchstäblich erfüllt, welche Ihn dadurch ehren, dass sie eine buchstäbliche Erfüllung von Ihm erwarten. Ich, der Herr, behüte ihn und feuchte ihn bald, Ich will ihn Tag und Nacht behüten.“ Jes. 27,3. „Der Herr des Friedens gebe euch Frieden allenthalben und auf allerlei Weise.“ 2. Thess. 3, 14. „Allerlei Gnade soll euch zu jeder Zeit reichlich zu teil werden. Diese Verheißungen drücken nicht allein den Willen Gottes, sondern auch die frohe Glaubenserwartung aus, welche unaufhörlich in die seligste Lebenserfahrung übergeht.

„Gott kann machen, dass allerlei Gnade unter euch reichlich sei, dass ihr in allen Dingen volle Genüge habt und reich seid zu allerlei guten Werken.“