Murray, Andrew - Wachset in der Gnade - 7. Der Gnadenthron.

Hebräer 4,14 u. 16. Dieweil wir denn einen großen Hohenpriester haben, lasset uns mit Freudigkeit hinzutreten zu den Gnadenstuhl, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden auf die Zeit, wenn uns Hilfe not sein wird.

Zum Wachstum eines Menschen ist frische Luft nicht weniger nötig als gesunde Speise. Für einen Kranken oder Schwachen haben die Ärzte oftmals keinen besseren Rat, als den, ihn in das Hochgebirge zu senden, damit er durch die reine Luft, welche dort weht, gekräftigt werde. Nimmt doch die Esslust daselbst zu und werden doch die Kräfte daselbst herrlich erneut. Nicht anders, wenn ein Christ die Höhen des Gebetslebens erklimmt und die reine frische Luft der Ewigkeit einatmet, welche der geistliche Lebensodem ist. Dann wird sein Wachstum in der Gnade kräftig und gesund. Das Gebet ist ein unentbehrlicher Teil des Gnadenlebens. Aus diesem Grund heißt der Thron Gottes der Gnadenthron.

Der Thron ist der Sitz eines Königs, der Mittelpunkt seines Königreichs, der Gegenstand, an dem man erkennen kann, was ein König ist und welche Bedeutung sein Königreich hat. Dementsprechend ist der Thron Gottes „hoch und erhaben“, Jes. 6; der Mittelpunkt des Reiches der Herrlichkeit, alle göttlichen Kräfte, durch welche das All erhalten und regiert wird, strömen unaufhörlich von ihm aus, alle Majestät des Königs aller Könige wird an ihm, ihrem Brennpunkt, kund; darum heißt es von diesem Thron, dass er ein Thron seiner Heiligkeit ist und ein Thron seiner Herrlichkeit. Psalm 67,9; Matth. 25,31. „Sein Stuhl war eitel Feuerflammen, sagt Daniel, und desselben Räder brannten mit Feuer.“

Seit dem Augenblick aber, in dem sich der Herr Jesus auf diesem Thron niedergelassen, hat derselbe einen neuen Namen: Der Gnadenthron. Weil mit der Himmelfahrt des Heilandes Gottes Gnade zur vollen Herrschaft über die Sünde gelangt und Gottes Sohn durch seinen Vater mit schrankenloser Macht über alles, was im Himmel und auf Erden, als priesterlicher König auf den Thron erhoben worden ist, um seine Gnadenfülle auszuteilen, darum trägt der Thron Gottes diesen gesegneten Namen: Der Gnadenthron. Gott will, dass seine Kinder keinen anderen Gedanken über ihn, seine Herrlichkeit und seine Regierung haben sollen, als den, dass alles in ihm Gnade und nichts als Gnade ist, und dass sie in dem Vertrauen ihm nahen sollen. Wie denn geschrieben steht: Dieweil wir einen solchen Hohenpriester (auf dem Thron) haben, lasst uns mit Freudigkeit hinzutreten (in unseren Gebeten).

„Auf dass wir Barmherzigkeit und Gnade finden.“ Barmherzigkeit ist die Gesinnung, welche sich über die Elenden erbarmt, Gnade ist die Gabe, welche diese Barmherzigkeit schenkt. Aus diesem Grunde konnte David beten: „Sei mir gnädig nach deiner großen Barmherzigkeit!“ Weil Jesus der Hohepriester ist, welcher Mitleid mit uns hat, erlangen wir Barmherzigkeit, und weil er der Priester auf dem Throne ist, finden wir Gnade.

„Auf die Zeit, wenn uns Hilfe not sein wird.“ Es ist eins von den Gesetzen über die Austeilung der Gnade, dass sie nicht im Voraus geschenkt wird und dass sie nicht aufbewahrt werden kann. Gnade muss vielmehr von Augenblick zu Augenblick frisch empfangen und dann sofort in Gebrauch genommen werden. Gott hilft zu der Zeit, in welcher uns Hilfe not ist. Er kommt weder einen Augenblick zu früh noch einen Augenblick zu spät. Gnade kommt stets im rechten Augenblick. In der Zeit, in der es not ist, das heißt in der Stunde, in der es darauf ankommt, finden wir Gnade.

Gnade ist also zu finden. Es ist ein Ort von Gott bestimmt, an dem die Gnade ganz gewiss zu finden ist. Dieser Ort, welcher unmittelbar unter Gottes Augen und in dem nächsten Bereich seiner Allmacht liegt, ist Gottes Thron. Und dieser Thron mit all seiner Macht und Herrlichkeit ist nicht nur gänzlich von der Gnade eingenommen, sondern auch völlig ihrer Offenbarung dienstbar gemacht. Was aber das Wunderbarste ist, dieser Ort liegt dem Herrn unserem Gott ebenso nahe, als dem Menschen. Seit der Vorhang zerrissen, das Reich Gottes auf diese Erde herabgekommen und das Leben des Menschen in Christo zu Gott erhoben worden ist, kann ein Gotteskind stets in der Nähe des Gnadenthrons leben und mit der Gnade betend in Gemeinschaft treten, so lange es lebt.

Lieber Christ! Willst du in der Gnade wachsen, so musst du in der Nähe des Gnadenthrones leben. Du musst Zeit finden, absichtlich in die Einsamkeit zu gehen und mit dem Herrn Jesus in Verkehr zu treten, der die Gnade austeilt. Bei dem Gnadenthron wirst du Ihn und in Ihm die Gnade finden. Dann kannst du das Leben, welches du nun einmal in der Welt führen musst, der sicheren Bewahrung der Gnade anvertrauen. Sie wird dich behüten, auch wenn du nicht beten kannst. Sie wird dich auf der andern Seite lehren, auch dann zu beten, wenn du mitten in deiner Arbeit bist. Durch sie wirst du verstehen lernen, dass der Gnadenthron nicht an einen besonderen Ort fest gebunden; sondern überall zu finden ist, als das Band der Geistesgemeinschaft mit Ihm. Sie wird dich auch einsehen lassen, dass die unaufhörliche Gebetsstimmung gerade es ist, welche in unserem Leben uns Anlass und Luft gibt, zu einem absichtlichen besonderen Gebet überzugehen und in demselben anzuhalten.

Lieber Christ! In deinem Kämmerlein und auf deinen Knien musst du aus der Fülle Jesu Gnade um Gnade nehmen. Und sollte es dir jemals schwer werden, dies zu tun, weil du dich so leer und kalt fühlst, o denke dann nur daran: Zu dem Gnadenthron brauchst du ja gar nichts, als dein Elend zu bringen. An dem Gnadenthron erwartet dich göttliche Barmherzigkeit und überströmender Gnadenreichtum. O blicke nur auf Jesum hin, auf Sein zartes Erbarmen und Seine unverdiente freie Gnade! Tritt freimütig vor Ihn hin! Du wirst Barmherzigkeit und Gnade finden. Dein Gebet ist eine Arbeit, welche nicht unbelohnt bleibt, eine Arbeit, welche du oft gerade dann am besten vollbringst, wenn du dich schwach und arm fühlst. Es ist der Zutritt zu dem Gnadenthron, die Gemeinschaft mit der Gnade selbst. Wer betend vor dem Gnadenthrone steht, nimmt sicher in der Gnade zu.

Gott kann machen, dass allerlei Gnade unter euch reichlich sei, dass ihr in allen Dingen volle Genüge habt und reich seid zu allerlei guten Werken.