Zu dieser Morgenstunde haben wir zu zeigen versucht, wie die Freude, welche der gläubige Christ über die Menschwerdung des Sohnes Gottes empfindet, die christliche Weihnachtsfreude, alle Furcht in dem Herzen verschlingen müsse. In dieser Abendstunde wollen wir die Freude betrachten, welche die himmlischen Heerschaaren über diese große Offenbarung empfanden, und bei der Geburt Jesu an den Tag legten in ihrem Lobgesang.
Wie muß er in die entzückten Herzen der Hirten getönt haben, als sie ihn in der geweihten Nacht vernahmen! Ebenso ertönt er in dem Herzen eines jeden Christen in dem Augenblick, wo es ihm Wahrheit wird: „Dir ist heute der Heiland geboren.“ Von da fängt er an, ihn zu verstehen, und nun vernimmt er ihn ohne Ende. Er ruft aus: „O Liebesglut, die Erd' und Himmel paaret! o Wundersee, drein sich mein Geist versenkt!“ Laßt uns betend beginnen:
O Herr, wenn die Engel dich also loben Uber die Gnade, die du uns erwiesen hast, wie sollten wir nicht dafür danken! Sie können nur sagen, das hast du gethan; wir aber: das thatest du für uns! O wie ist unser Dank noch so kalt; unsre Herzen, wie sind sie noch so stumm und todt! Gewiß wenn wir schwiegen, so müßten die Steine reden. O Herr! erwecke, entzünde unsre Herzen durch deine Liebe. Gib sie uns heute zu erkennen und segne so diese Stunde. Amen.
Text: Luc. 2, 14.
„Ehr sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“
Die drei Theile dieses Lobgesangs enthalten das Höchste, was zum Preise der Geburt Jesu gedacht und gesagt werden kann. Die Verherrlichung Gottes, das Heil der Erde, die Seligkeit der Menschen - das sind ihre Früchte. Und warum sind sie das? Weil der Sohn Gottes Mensch geworden ist. Darin, in dieser Vereinigung, liegt der Grund aller dieser Herrlichkeit. So laßt uns die drei Theile einzeln betrachten.
in den höchsten Orten, im Himmel, da wo seine Herrlichkeit vollkommen erkannt und besungen wird - das ist das Erste, was die Engel erschallen lassen - als wollten sie sagen, nun erst wird auch im Himmel die ganze Herrlichkeit Gottes erkannt, und ihm die volle Ehre gegeben werden, wie es auch da bisher nicht geschehen konnte. Ja, meine Zuhörer, die Menschwerdung des Sohnes mit Allem, was daraus folgt, ist für den Himmel sowohl als für die Erde eine neue Offenbarung der Herrlichkeit Gottes. Seine Geburt, sein irdisches Leben, sein Wandel in der Knechtsgestalt, sein Dienen, seine Selbstentäußerung und Vernichtung, sein Leiden, sein Sterben, seine Auferstehung, seine Himmelfahrt, sein Sitzen zur Rechten des Vaters, des Ausgießen seines Geistes in die Herzen der Menschen, sein Walten auf Erden, die Führung seiner Gemeine - das Alles sind Dinge, die auch für den Himmel sowohl, wie für die Erde bisher ein Geheimniß waren, ein Geheimniß, worin die Engel - wie die Schrift sagt - gelüstet hineinzuschauen, das auch die Engel nicht errathen, nicht vorher wissen konnten, sondern das ihnen offenbart werden mußte durch die That, und diese Offenbarung fangt nun an; mit der Geburt des Wunderkindleins öffnet sich das Thor dieses Geheimnisses, das von Ewigkeit her verborgen gewesen, nun aber offenbaret ist seinen Heiligen. Engel konnten es nicht begreifen ehe es geschah, und Menschen wollen es nicht glauben nun es geschehen ist, weil sie es mit ihrem Maulwurfsauge, das dazu noch durch die innere Sünde geblendet ist, nicht durchschauen. So groß ist der Riß, den die Sünde in unsre Natur gemacht hat durch den Unglauben.
Im Himmel selbst öffnet sich gleichsam ein neuer Himmel durch diese neue Offenbarung der Liebe. Er schaut hinab in den Abgrund der Erbarmungen Gottes, in die eröffneten Gnadentiefen und in die Sünderliebe des Sohnes, in die neuen Wunderkräfte des Heiligen Geistes, die sich nun entwickeln werden.
Eine solche Allmacht und eine solche Demuth, eine solche Herablassung der Liebe, als sich in der Vereinigung des Schöpfers mit dem Geschöpf, des Unendlichen und Endlichen, der Gottheit mit der Menschheit offenbaret, ja wir dürfen es sagen: sie ist den Engeln eben so neu als den Menschen. Alle die Wunder der Schöpfung, welche Himmel und Erde enthalten, lagen vor ihren Augen geöffnet da, aber die Wunder der Erlösung stiegen auch vor ihren staunenden Geister jetzt zum erstenmal empor. Zum erstenmal erblicken sie diese ungekannten Tiefen der göttlichen Liebe in der vollen Entwickelung des ewigen Rathschlusses Gottes zur Rettung verlorner Sünder; die Ahnung ihrer Seligkeit erhöht ihre eigene - in diesem Lichte erblicken sie ein neues Licht; für den Himmel wie für die Erde ist die Fülle der Zeit gekommen. Hier starrt der Geister Schaar, die Seraphinen bedecken hier mit Flügeln ihr Gesicht; hier öffnen sich der Ewigkeit Gardinen, hier tritt der ganzen Gottheit Rath ans Licht!
Seht, Geliebte, darum ist das Erste, was die himmlischen Heerschaaren singen: „Ehre sei Gott in der Höhe.“ Aber wie? die Engel loben Gott und freuen sich mit herrlicher und unaussprechlicher Freude über das Wunder, das er zu deiner Seligkeit thut. - Und du, armer Sünder, um dessen willen er es thut, willst ihn nicht loben dafür? dein Herz bleibt kalt und verstockt in sich, weil du es nicht in Buße und Glauben willst öffnen lassen durch seinen heiligen Geist, dieses Wunder zu fassen.
Darum sagt auch der Apostel: „Gott, der da hieß das Licht aus der Finsterniß hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, daß entstünde die Erleuchtung von der Erkenntniß der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.“ Ist nun unser Evangelium verdeckt, so ists in denen, die verloren werden verdeckt; bei welchen der Gott dieser Welt die ungläubigen Sinnen verblendet hat, daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Klarheit Christi.
das ist das Zweite, was die himmlischen Heerschaaren nennen. O wie köstlich, wie herrlich und und lieblich klinget das Wort in unsre Herzen, aus solchem Munde, vom Himmel herab zur Erde, jetzt besonders. Wahrlich, eine himmlische Musik, eine selige Verheißung, in all den Krieg der Erde!
Freilich ist sie noch nicht erfüllt, wenigstens nicht in dem Sinne, wie wir es zuerst auffassen, obgleich das Wörtlein „Friede,“ dieses Himmelswort, in der heiligen Schrift zugleich alles Heil, alles Gute, allen Segen bedeutet, den wir einander wünschen können, ja den Gott geben kann.
Und ist es in diesem Sinne nicht erfüllt, schon jetzt erfüllt, und wird noch immer mehr und mehr erfüllt werden? Ist aus dem Herzen dieses Gotteskindes, das heute geboren ist, nicht schon ein unermeßlicher Strom von Heil und Segen, ein großer überschwenglicher Friedensstrom über die Erde geflossen, und hat sich ergossen in tausend und tausend Herzen? Wieviele haben in ihm, in seinem durchstochenen Herzen den Frieden Gottes gefunden, der höher ist denn alle Vernunft! „Selig sind die Friedsamen, oder, wie es eigentlich heißt, die da Friede machen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Und hat er, der Sohn Gottes selbst, nicht Frieden gemacht? Ja, er ist unser Friede. Friede sei mit Euch! das war sein erstes und letztes Wort. „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt; euer Herz erschrecke nicht, und fürchte sich nicht.“ - „Solches habe ich mit euch geredet, auf daß ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ So sprach er scheidend zu den Seinen; so spricht er vom Himmel herab zu uns Allen. Wir Alle können seinen Frieden empfangen und genießen, auch mitten in den Stürmen und Kriegen der Erde. Hast du ihn noch nicht gefunden, mein Bruder, ist er dir vielleicht noch fremd und unbekannt, oder steht er dir noch unerreichbar ferne vor der Seele, als ein Ziel tiefer schmerzlicher Sehnsucht? - O so ist ja auch der Heiland noch nicht in dir geboren. Du lebst noch in dir und nicht in ihm, nicht in seinem Vater, nicht in Gott. Darum bist du noch von Gott geschieden durch die Sünde; darum drückt dich deine Sünde, dein Elend; der Zorn Gottes liegt noch auf deiner Seele, ohne daß du es weißt. Er ist noch nicht dein Friede geworden, weil du noch nicht mit ihm vereinigt bist.
Du Freude der Erlösten,
O Jesu, komm zu mir!
Komm den, der seufzt, zu trösten,
Komm, mich verlangt nach dir!
Komm, ,hilf, errett', erquicke,
Begnadige, beglücke,
Erfreu' und segne mich!
Mit gläubigem Verlangen
Sehn' ich mich Tag und Nacht,
Dich, Heiland, zu empfangen,
Dich, der mich selig macht.
Ich suche dich mit Schmerzen,
Bin leer in meinem Herzen,
Wenn du nicht in mir wohnst.
Doch da ist Himmelsfreude,
Wo der Erlöser ist;
Der Christ singt Dank im Leide,
Wenn du ihm nahe bist.
O selige Empfindung,
Wenn Seelen in Verbindung
Mit dir, o Jesu, stehn!
Ja, dann kommt Friede und Freude in die Seele. Und so wird auch einst Friede auf Erden kommen. Ja, Geliebte in dem Herrn, sie wird erfüllt werden, auch diese Verheißung. Er heißt ja und ist der Friedensfürst „auf daß seine Herrschaft groß werde, und des Friedens kein Ende in seinem Königreich.“ - „ Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein, und der Glaube der Gurt seiner Nieren. Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen.“ - „Man wird nirgend letzen noch verderben auf meinem heiligen Berge, spricht der Herr; denn das Land ist voll Erkenntniß des Herrn, wie mit Wasser das Meer bedeckt!“ - „ Sie werden die Speere in Sicheln und die Schwerter in Pflugschaare verwandeln.“ - „Ich breite meinen Frieden aus wie einen Strom.“ - „Friede! Friede! bei denen in der Ferne, und denen in der Nähe!“ Welch ein Unterschied, welch ein Gegensatz gegen unsre Zeit! O Zeit komm bald heran. - „Ja komm, Herr Jesu!“
Ja das ist das Letzte und muß es auch sein. Oder geht darüber noch etwas hinaus? Gottes Wohlgefallen an den Menschen. Kannst du dir etwas Seligeres denken, mein Herz? Nicht wahr, das können nur Engel dir wünschen.
Aber wie ist es möglich? Kann Gott, der Reine, der Heilige, der Selige, der die Liebe ist, an uns ein Wohlgefallen haben? O blicke in dein Herz, voll Sünde und Haß und Unfrieden;, blicke der Menschheit in das Herz, wenn das deine dir noch unbekannt und verschlossen ist. O wie viel Gräuel erblickst du da? daran sollte der Heiland ein Wohlgefallen haben? Nein, ein Mißfallen, was sage ich, einen Abscheu und Ekel muß er, Müßtest du selbst an dir haben, wenn du dich sehen könntest, wie er dich sieht.
Und doch ist es wahr. Aber wie? In dem Sohne, der nun selbst ein Mensch, ein Sohn der Menschen geworden ist. Ja, in ihm, dem Geliebten „hat er uns angenehm gemacht.“ Darum öffnete er selbst den Himmel und rief aus: „Siehe, das ist mein Sohn, mein Geliebter, in dem ich Wohlgefallen habe, ihn sollt ihr hören.“ Und wer ihn hört, wer ihn annimmt, wer an ihn glaubt, und mit ihm vereint ist, an dem hat er Wohlgefallen wie an dem Sohne, er liebt ihn in dem Sohne, denn er ist Eins mit ihm. Darum betet der Sohn, unser Mittler und ewiger Hohepriester: „Gerechter Vater, die Welt kennet dich nicht; ich aber erkenne dich, und diese erkennen, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen kund gethan und will ihn kund thun, auf daß die Liebe, damit du mich liebest, sei in ihnen und ich in ihnen.“
Seht, Geliebte, so liegt in dieser Vereinigung des Sohnes Gottes mit uns, in seiner Menschwerdung der Schlüssel zu Allem, dem Ganzen wie den einzelnen Theilen dieses himmlischen Gesanges. „Gott ist geoffenbaret im Fleisch, das Wort ist Fleisch geworden.“ - Siehe da das kündlich große Geheimniß. Nur wenn es dir im eigenen Herzen offenbar, wenn du mit ihm, er mit dir vereinigt in dir geboren wird, verstehst du es, und es tönt von nun an ohne Ende in dir, die Pforte des Himmels öffnet sich in dir selbst, du erblickst die Herrlichkeit Gottes in diesem Wunder der Liebe, wie die Himmel sie darin erblicken; siehst den Frieden Gottes in dein Herz herabsinken und sich über die Erde ergießen, und fühlst es mit namenloser Wonne: so schlecht, so sündig, so unwürdig ich bin in mir, in seinem Sohne, dem Geliebten, der mein Bruder geworden, hat Gott an mir ein Wohlgefallen. Amen.