(gehalten nach Trinitatis.)
„Gelobet sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern in Christo!“ So mußten wir das vorigemal mit dem Apostel ausrufen, als wir von der Höhe herab, auf die uns die nun gefeierten Jahresfeste der christlichen Kirche stellen, die ganze Fülle des Segens überblickten, woran uns diese erinnern. Es ist eine Welt der Gnade, eine neue Schöpfung, die sich vor und in uns entfaltet, wie in jedem Jahre sich auch in der äußern Welt, in der sichtbaren Natur, sich vor uns und für uns, ja gewissermaßen in uns, eine neue Schöpfung entfaltet. So Jemand in Christo ist, so ist er eine neue Kreatur. Aber wie in dem Reich der Natur, so ist auch im Reich der Gnade eine Entwickelung, ein Stufengang; aus dem Winter durch den Frühling zum Sommer, so wird erst dieses neue Leben erweckt. Dann treibt es Blüthen und Früchte. Aber wozu dienen diese? Wir sollen sie genießen, sie sollen uns nähren, aber auch wieder zum Samen werden, die neues Leben, neue Blüthen und Früchte hervorbringen. Und wie in der Natur, so ist auch im Reich der Gnade mit dem Pfingstfest die Zeit der Früchte gekommen. Nun muß es sich bewähren, ob es ein wirkliches Leben, ein Leben aus Gott in uns erweckt und erzeugt ist, ob diese Blüthen Früchte bringen. Sonst haben wir die Gnade Gottes vergeblich empfangen, ja eigentlich gar nicht. Denn, o Geliebte, das ist das Ziel und die Absicht des Ganzen: wir sind sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, zu welchen uns Gott zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen. Wohlan, Geliebte, so laßt uns in dieser Stunde dieses erwägen und darnach uns prüfen, gleichsam zur Vollendung und Ergänzung unserer Pfingstfeier.
Möge der Herr uns segnen. Wir beten. Herr, heilige uns in Deiner Wahrheit, Dein Wort ist die Wahrheit. O daß doch auch in uns Alles Wahrheit, Kraft und Leben sein oder werden möge! O was kann es uns sonst Alles helfen? Wie können wir ruhig leben, wie freudig sterben, was ist für uns die Zeit, was muß für uns die Ewigkeit sein, wenn wir nicht in Dir, o Herr, und also neue Kreaturen, Gotteskinder, Gottesmenschen sind? Warum hast du Alles für uns gethan und thust Alles an uns und in uns? Wozu alle die Sülle Deiner Gnade und Liebe, alle diese geistlichen Segnungen in himmlischen Gütern. O Herr, nein, nein laß es nicht vergeblich sein! O, mache uns zu allen guten Werken geschickt. Segne diese Stunde. Gib uns deinen heiligen Geist. Erhöre uns um Deines Namens willen. Amen.
Text: Joh. 9, 4.
Ich muß wirken die Werke deß, der mich gesandt, so lange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.
So sprach Jesus Christus und so spricht jeder wahre Christ, meine Geliebten, und nichts kann unwahrer, grundloser, ja widersprechender sein, als die Behauptung, daß das Christenthum unthätig und träge mache. Und doch ist sie so gemein. O wie häufig hört man noch immer sagen: Die Lehre des Evangeliums, die Predigt von der lautern und freien Gnade Gottes, von der Gerechtigkeit durch den Glauben fei eine gefährliche Lehre, die nur sorglose, sichere, faule, stolze und lieblose Leute mache. Oder ist dieses etwa nicht das Evangelium, nicht die rechte, reine christliche Lehre? Ist es wahr, was man sagt, dieses bestehe vielmehr nur darin, daß wir Gutes thun und Jesu Christo als unserm Vorbild nachfolgen, wie es ja auch in unserm Text heißt. Das Letzte geben wir zu, meine Geliebten, das wahre Christenthum besteht in der Nachfolge Jesu Christi, aber wir behaupten, daß eine solche Nachfolge, daß wahre Thätigkeit nur aus dem Glauben hervorgehen kann, daraus nothwendig hervorgehen muß und also dieser Glaube selbst zur rechten Thätigkeit unerläßlich ist und vorher da sein muß, wenn gute Werke folgen sollen; oder, um mit den Worten unseres Textes zu sprechen: nur der wahre, gläubige Christ kann und wird mit dem Herrn und Heiland sagen: „Ich muß wirken die Werke deß, der mich gesandt hat, so lange es Tag ist; es kommt die Nacht, da Niemand wirken kann.“ Wir wollen zu diesem Zwecke diese Worte gleichsam der Reihe nach betrachten als Worte, die der Christ Seinem Herrn von Herzen nachspricht. Dazu wolle Er uns segnen!
„Ich muß wirken,“ sagt der Herr und auf dieses „Müssen“ achten wir zuerst. Was bekennt Er, was spricht Er dadurch aus? Nichts anders, Geliebte, als Seinen Gehorsam, Seinen unbedingten Gehorsam gegen Seinen Vater und dieß wird noch deutlicher durch den Zusatz: „die Werke deß, der Mich gesandt hat.“ Sonst könnte es auch verstanden werden von dem Werk, das Er sich selbst freiwillig auferlegt hätte und das nun beendigt werden müsse. Auch das war wahr; dieses Ihm auferlegte Werk war zugleich seine eigene Wahl, oder laßt mich lieber sagen: Sein freier Wille, denn von Wählen war bei Ihm nicht die Rede. Aber eben darum war es Gehorsam, denn wahrer Gehorsam ist ja kein erzwungener, sondern ein freier, ja die höchste Freiheit. Er geht hervor aus Liebe, aus kindlicher, freudiger, ehrfurchtsvoller Liebe gegen den Vater und Seinen heiligen anerkannten Willen. Diese Liebe machte Ihm den Willen des Vaters zur höchsten Pflicht, zum heiligsten Gesetz, und die Ausübung desselben zugleich zu Seinem eigenen Willen und zur höchsten Freude. Darum sagte Er auch: „Meine Speise ist die, daß ich thue den Willen deß, der mich gesandt hat.“ Aber immer war es Gehorsam; denn obschon es der Sohn war, so hat Er doch aus dem, das Er litt, Gehorsam gelernt, obgleich Er der Herr war, nämlich unser Herr, so war Er doch der Gesandte des Vaters, das war Sein Wesen, Seine Bestimmung, die Er auf sich genommen bei Seiner Menschwerdung. Er hatte sich vom Vater senden lassen, um Sein Werk zu vollenden und darum war Er gehorsam bis zum Tode. Und wie bei dem Herrn und Haupte, so ist es auch bei dem Glieds, wie Jesus Christus, so sagt auch der Christ: „Ich muß wirken.“ Dieser nämliche Gehorsam treibt auch ihn, ist die Quelle und Triebfeder seiner Thätigkeit, die ihn nicht ruhen läßt. Nein, Geliebte, Unthätigkeit, Trägheit, oder gar Faulheit ist mit dem Christenthum durchaus unvereinbar. Der Glaube ist eine Kraft, eine Gotteskraft, wie kann sie anders, als thätig sein? Aber thätig in der Liebe. Die Liebe Christi dringet uns, heißt es bei dem Apostel und auch bei jedem Christen, denn wie kann Liebe ruhen und unthätig sein. Es ist die Liebe Gottes, die Liebe Christi selbst, ausgegossen in das Herz, sie kann in demselben eben so wenig ruhen und unthätig sein, als sie von Ewigkeit unthätig war in dem Herzen Gottes, in dem Sohne und dem Vater. „Mein Vater wirket bisher (immer), spricht der Sohn, und Ich wirke auch,“ im Himmel wie auf Erden, und auf Erden wie im Himmel. Und so ist es auch bei den Christen. Aber freilich, Geliebte, gilt dieses nur von einem wahren, gläubigen, lebendigen Christen, nur in seinem Herzen ist diese Gotteskraft, dieser Himmelstrieb geweckt und wirksam, dieses Feuer entzündet, diese Liebe ausgegossen von dem heiligen Geist, wer sich bloß einen Gedanken macht, der spricht: ich glaube, oder gar den bloßen Schein heuchelt, der weiß nichts von diesem heiligen „muß.“ Freilich, es gibt auch ungläubige, unchristliche Menschen, Kinder dieser Welt, die nicht träge, die sehr thätig und wirksam sind, ja an Thätigkeit sogar viele Christen übertreffen; aber welch eine Thätigkeit ist dieses? Was ist es, das sie treibt und dringt? Nichts Anderes, wenn Ihr es genau betrachtet und ins Innere geht, als eben die Welt und die Liebe der Welt, Fleischeslust, Augenlust, hoffärtiges Leben. Sie wollen genießen, sie wollen besitzen, sie wollen geehrt sein und sich hervorthun, daher ihre oft übertriebene Anstrengungen. Nicht Gott, sondern nur sich selbst haben sie dabei im Auge, und ihre Thätigkeit ist eben so wenig Liebe als Gehorsam. Freilich, auch in der Thätigkeit an sich ist schon ein Genuß, aber auch dieser kann in seiner Reinheit und Kraft nur da Statt finden, wo die Thätigkeit aus dem Gehorsam der Liebe hervorgeht, wo es beständig im Herzen heißt: „Ich muß wirken die Werke deß, der mich gesandt hat,“ wo das Herz weiß und sich selbst sagt: Ja, ich thue nun, was ich soll, ich vollbringe den Willen meines himmlischen Vaters; wie mein Herr und Haupt, ich folge Seinem hohen Vorbilde nach. Also nur bei dem gläubigen Christen, dem Kinde Gottes; nur in einem Herzen, das es weiß, Dir sind Deine Sünden vergeben, Du bist dem Vater angenehm in dem Geliebten, Er hat Wohlgefallen an Dir und also auch an Deinem Werk um des Sohnes willen, nur darin kann diese Freudigkeit wohnen bei Allem, was er thut und er spricht mit dem Herrn: Meine Speise ist die, daß ich thue den Willen deß, der mich gesandt hat.„ Ja gewiß, je größer unser Gehorsam ist, je treuer wir unsere Pflicht erfüllen, je mehr unsere Thätigkeit aus Liebe und Dank hervorgeht, desto größer ist auch die stille, innere Freude an unserm Werk. Ach! wenn wir es nur nicht gar zu oft durch den Gegensatz, durch die Unruhe, die Zweifel und den Kampf des Unglaubens erfahren müßten, wie wohl, wie freudig es einem wahren Kinde Gottes zu Muthe sein müsse, das gleichsam in jedem Augenblicke mit seinem Herrn und Meister sagt: „Ich muß wirken die Werke deß, der mich gesandt hat.“
Und wie es mit der Triebfeder ist, aus welcher die Thätigkeit des Christen entspringt, so ist es auch mit dem Werk selbst, das er verrichtet; such hier sagt er mit seinem Herrn: Ich muß wirken die Werke deß, der mich gesandt hat.“ Freilich auch dieses und dies vor Allem kann er Ihm nur von ferne nachsagen. Wer könnte es sagen wie Er? Wo gäbe es ein Werk oder Werke wie die Seinen? Was war sein Werk? Er sagt es Selbst, wie Niemand sonst es sagen konnte: Dieweil Ich bin in der Welt, bin Ich das Licht der Welt, die Welt zu erleuchten, eine Sonne zu sein, die Nacht und Finsterniß vertreibt, die Alles, was im Dunkel liegt, offenbar macht, den Vater und Sein Reich, das Herz Gottes und das Herz des Menschen, die Heiligkeit und die Sünde, die Gnade und die Wahrheit, das ewige Leben und die ewige Liebe, das sollte Jesus Christus und das konnte nur Er, nur der Sohn konnte den Vater und den heiligen Geist offenbaren, leben, leiden, sterben, auferstehen, gen Himmel fahren, das Alles gehörte zu Seinem Werk und so war es ein einziges in alle Ewigkeit, das große Werk der Gottversöhnung und Welterlösung. Aber aus Seinem Werk fließt das unsere. In den Gliedern muß sich das Haupt offenbaren, sie müssen ihm nachfolgen, Seine Tugenden verkünden, wir müssen unser Licht, d. h. unsern Glauben oder Seine in uns wohnende Liebe, leuchten lassen, auf daß sie unsere guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen. Das ist das Werk, das uns gegeben ist. In diesem Sinne sagt der Apostel: „Wir sind Sein Werk, geschaffen in Christo zu guten Werken“ - das ist der Stand guter Werke, in welchem Er will, daß wir stets erfunden werden, das ist das sanfte Joch und die leichte Last, die Er uns auferlegt und auch tragen hilft. Nicht große Thaten fordert Er von uns - ach, die einzige große That, die That aller Thaten, hat Er ja Selbst gethan, als Seine Seele arbeitete und sich für uns dahingab, ja gehört nicht Sein Hiersein, Seine Menschwerdung selbst, Sein Geborenwerden, wie Sein Sterben, zu dieser Einen großen, unaussprechlichen Liebesthat? - So können wir nicht wirken, so kann es kein Engel, nur Gott in Christo; auch können wir ohne Ihn, nichts thun, Sein Geist, Er Selbst muß Alles in uns schaffen. Und doch, Geliebte, will Er unser Wirken, wir sollen schaffen, daß wir selig werden mit Furcht und Zittern. Und das thun wir, indem wir für Andere wirken, Andern dienen, helfen, tragen, nur Ihm nachfolgen, nur stets wie Er, in der Liebe, in der Demuth, in der Sanftmuth bleiben, nur Alles, es sei wir essen, es sei wir trinken, es sei, daß wir etwas Anders thun, nur Alles in Seinem Namen, zu Seiner Ehre, nach Seinem Herzen, in Seinem Geiste thun, nur immer so gesinnt sein, wie Jesus Christus auch war und diese Gesinnung in Allem ausdrücken, in Allem, was wir thun oder lassen, es sei wir reden, oder schweigen. O mein Bruder, fühlst du es nicht, mit Scham und Beugung, wie groß diese Treue im Kleinen und Kleinsten ist, wie sie eine stete Selbstverläugnung, ein beständiges Opfer, eine unaufhörliche Hingebung erfordert? Ohne diese Gesinnung ist auch das Größte nichts. „Gäbest du alle deine Habe und ließest deinen Leib brennen, und hättest der Liebe nicht, so wärest du nichts.“ Sie macht auch das Kleinste groß, macht Alles gleich. Der König, der Ihm unterthan ist, aus Gehorsam gegen Ihn regiert, wie der Unterthan, verdient; der Herr, der befiehlt, wie der Knecht, der gehorcht um Seinetwillen. Der Handwerker und Taglöhner, wie der Staatsmann und Weise, wenn sie nur nicht ihre, sondern Seine Ehre suchen, so thun sie Seine Werke.
Endlich heißt es: „Ich muß wirken, so lang es Tag ist, ehe denn die Nacht kommt, da Niemand wirken kann; d. h. mit ausdauernder Treue - bis zu Ende, so lang Ich kann.“ Siehe hier Seine Demuth, und bete an, mein Bruder! Er, der Sohn, der Herr, der das Licht der Welt, die Sonne war und also den Tag machte, Er entäußerte sich selbst, nahm Knechtsgestalt an, und war unter uns wie Einer, der dient und so hing Er auch als Mensch von Zeit und Stunde ab. Es gab für Ihn einen irdischen Tag und eine Nacht, wo Sein Werk vollendet sein mußte, wie viel mehr für uns! Wie viel mehr müssen wir in Allem dem Wink, der Weisung und Leitung der himmlischen Sonne folgen, Anfang, Fortgang, Ende - es hängt Alles von Ihm ab. - Wie du es wissen kannst? O sprich nur immer in deinem Herzen Ihm nach: Ich muß wirken die Werke deß, der mich gesandt hat. Bleibe nur in Ihm, so wird Er dir Alles zeigen, dich in Allem leiten, dich nicht verlassen, dir durchhelfen und aushelfen bis an's Ende. Und wenn das Ende kommt, die Nacht, die Er dir bereitet und du gehst mit Ihm ein in Seine Ruhe. - O mein Bruder, wie selig wird sie sein! wie anders, als das Ende dessen, der nur feinen eigenen Willen gethan. O Herr, möchten wir Alle in sie eingehen! Möge es von uns heißen: Selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben - sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach. Amen.