Gott ist die Liebe. Was nicht Liebe ist, das ist nicht in Gott. Gott, ewig, selig, allgenugsam in sich selbst, und keines Wesens außer sich bedürfend, hat die Welt geschaffen, weil er die Liebe ist. Und wie also die Liebe der Grund der Schöpfung ist, so ist Leben, Freude, Seligkeit das Ziel der Schöpfung. In dem ewigen Liebesgrunde des Schöpfers war vor dem ursprünglichen Werden aller Dinge Alles zum Leben, Nichts zum Verderben, Alles zur Freude, Nichts zur Qual, Alles zur Seligkeit, Nichts zur Verdammniß vorherbestimmt. War Verderben, Qual und Verdammniß das Ziel gewesen, wozu Gott vorherbestimmend die Welt oder einen Theil derselben geschaffen hätte, so hätte nimmermehr mit einer Wahrheit, die keiner Einschränkung bedarf und keine Uebertreibung kennt, gesagt werden können: Gott ist die Liebe; er ist es gewesen in Ewigkeit, ehe die Schöpfung war, und wird es sein in Ewigkeit, so lange die Schöpfung dauert, so unaufhörlich er selbst ist; er ist es im Blick auf das Ganze und im Blick auf jedes Einzelne, er ist es ganz und gar. Wer Gott eine Vorherbestimmung zum Bösen oder zum Verderben beimisset, der kann ihn nicht erkennen und anbeten als den treuen Schöpfer.„ (1 Petr. 4, 19.)
Gott hat bei den vernünftigen Geschöpfen, die als solche freie Geschöpfe sein müssen, den Mißbrauch der Freiheit und damit zugleich die Sünde und das Elend zugelassen aus Liebe, zu dem Zweck der Liebe, daß eine vollkommenere und seligere Schöpfung würde.
Die Menschen sind nicht die ersten sondern die letzten vernünftigen Wesen, die Gott geschaffen hat. Als das Menschengeschlecht seinen Anfang nahm, war schon eine Welt anderer vernünftiger Wesen: die heiligen Engel und diejenigen Engel, die, nicht festhaltend an der Wahrheit, die Gott ihnen zum Licht und Recht ihres Wesens und Daseins gegeben hatte, von ihm abgefallen, böse und unselig geworden waren. (Hiob 38, 4. 7. Jud. 6.)
Gott ist die Liebe, und er hat den Menschen geschaffen zum ewigen Leben und hat ihn gemacht zum Bilde, daß er gleich sein soll wie er ist; aber durch des Teufels Neid ist der Tod in die Welt gekommen, als die natürliche Folge der Sünde, die da bestand in Ungehorsam aus Unglauben an das Wort: welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben. (Weish. 1, 23, 24. 1 Mose 2, 17.)
Gott hat sich von dem, durch des Teufels Arglist und Täuschung in Sünde und Tod gefallenen Menschen nicht abgewendet; er hat sich mit Barmherzigkeit zu ihm gewendet. In seiner heiligen Liebe hat er sich zu ihm herabgeneigt, und da der Mensch sich von ihm, dem Quell alles Lichtes und Lebens, abgewendet hatte, ihm gleich die erste Richtung zu Gott und zum Heil zurück durch die zwischen den Menschen und den Verführer gesetzte Feindschaft wieder ertheilt, und hat ihn getröstet durch die Verheißung von dem Weibessohn, der mit der Schlange kämpfen und sie besiegen und zertreten, und so des Menschengeschlechtes Wiederhersteller aus der Sünde und dem Tode werden solle. (1 Mose 3, 15.)
Die Sünde aus seinem Wesen ausscheiden, sie in sich vernichten, die menschliche Natur in sich selbst unsündlich machen, das konnte kein Mensch. Gott aber hat Einen, der von keiner Sünde wußte, für uns zu einem Sündopfer gemacht. Er hat dem Menschengeschlechte einen andern Adam erweckt und gegeben, dessen Aufgabe und Bestimmung es war, die menschliche Natur zu versöhnen, zu heiligen,!/ sie in seiner Person wieder unsündlich vor Gott darzustellen, damit sie alsdann auch von Gott in seiner Person vor Engeln und Menschen unsterblich und herrlich dargestellt werde. (1 Cor. 15, 47 - 49. Röm. 5, 12 - 21.)
Der andere Adam war der im Paradiese verheißene Weibessohn, der Sohn der Jungfrau Maria, Jesus Christus, der Herr vom Himmel. Dem hat, wie er selbst bezeuget, Gott den adamischen Leib zubereitet, und hat ihn in der Gestalt des sündlichen Fleisches in die Welt gesendet, damit er also das Sündopfer werde für die Sünde der Welt, wenn er selbst sich ohne allen Wandel Gott opfern würde durch den ewigen Geist, oder unsere Sünde, die menschliche Sünde, in seinem angenommenen menschlichen Leibe opfern, tilgen, vernichten würde an seinem Kreuze. (Ebr. 10, 5 - 10. Röm. 8,3. Ebr. 9, 13. 14. 1 Petr. 2, 24.) Wie viele und große Hoffnungen lassen sich hegen zu Dem, der von Liebe gedrungen seinen Himmel, Freude und Seligkeit verließ und in die Nacht und das Elend der Erde und des Grabes herein kam! welche Hoffnungen lassen sich hegen zu Dem, der nun in seinem allgegenwärtigen, allwissenden, allmächtigen, allgenugsamen Gottes-Leben Alles umfaßt, alles ordnet, alles lenkt, und der in seinem ganzen Wesen die Liebe ist, - darin vor Allem des unsichtbaren Gottes Abglanz und Ebenbild, daß er wie Gott in seinem ganzen Wesen die Liebe ist! ! Wenn die Schrift den ersten Adam und den andern Adam, in Betreff der Sünde und der Versöhnung der Sünde gegeneinander stellt, so zeigt ! sie in dieser Gegeneinanderstellung: 1) daß durch den ersten Adam Sünde und Tod in die Welt gekommen ist, durch den andern Adam Gottes Gnade und Gabe; 2) daß die Gnade und Gabe Gottes durch Jesum Christum etwas viel Reicheres, Größeres und Seligeres sei, als das aus des ersten Adams Sünde hervorgegangene Verderben; indem die Gabe Gottes durch Christum aus vielen Sünden zur Gerechtigkeit helfe, und da von wegen der Sünde Adams alle seine Nachkommen von dem Tode beherrscht seien, nun die Genossen Jesu Christi herrschen im Leben von wegen der Fülle der Gnade und Gabe zur Gerechtigkeit, die ihnen geworden durch Ihn; 3) daß die Gerechtigkeit und der Gehorsam Christi die Ursache sei der Rechtfertigung des Lebens, die von seinetwegen über alle Menschen gekommen ist. (Röm. 5,12-21. Eph. 6,23.) 4)Die Menschheit, der Sünde unterworfen, sich der Sünde bewußt, und von dem Gewissen und von dem Gesetze verdammt, wartete von Anbeginn mit Furcht und Angst auf ein Gericht Gottes. Wo die Weissagung und Verheißung des Alten Bundes von dem Messias redet, da redet sie auch von einem Gericht Gottes, das Er bringen, das mit Ihm kommen, das Er ausführen und wodurch Er Den verherrlichen werde, Der Ihn sende. Aber das Gericht, wie das sündige bange Gewissen es fürchtend erwartet, und wie die Heiligkeit Gottes es verkündigte, ist sehr verschieden. Die Sünde fürchtet Strafe und Rache, die heilige Liebe Gottes will Hülfe gegen die Sünde, Rettung und Wiederherstellung des Sünders aus der Sünde zur Gerechtigkeit; das ist das Gericht, das auszuführen der Herr in die Welt gekommen ist. Darum sagt Er: Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß Er die Welt richte, sondern daß die Welt durch Ihn selig werde. (Job. 12, 47.) Die herrlichste Herrlichkeit Gottes ist die Liebe, und in so fern Er die Liebe ist, erscheint Er in seinem Sohne. Wir freuen uns der heil- und freudenvollen Bedeutung seines Namens, des Namens Jesu, unsers hochgelebten Heilandes und Königes, der alle seine Namen mit der Wahrheit führet, weil Er sein Volk selig macht von ihren Sünden.
Die Sünde ist Quelle alles Unheils bei den Menschen im Einzelnen und im Allgemeinen; dadurch ist das ganze menschliche Geschlecht und jeder einzelne Mensch so vielem Elende und dem Tode unterworfen; und in der ganzen Natur ist gegen das Verderben der Sündlichkeit und Sterblichkeit keine Rettung. Es ist etwas Einziges, Unvergleichbares der h. Schrift, daß sie göttliche Nachricht ist von einer göttlichen Anstalt zur Befreiung der Menschen von Sünde und Tod. Zur Ausführung dieser Anstalt hat Gott seinen Sohn in die Welt gesandt, und wer die Sünde in sich erkennet und unter dem Druck des daraus herfließenden Unheils und Todes, nach Heil und Leben verlangend, sich mit Glauben an den Sohn Gottes wendet, dem wird geholfen, der wird von Sünde und Tod errettet. Der Herr Jesus ist nicht gekommen, Glückliche noch glücklicher. Gute noch besser zu machen, ist nicht zu einem Menschengeschlecht gekommen, das Seiner auch allenfalls hätte entbehren, sich zur Noch auch ohne Ihn hätte rathen und helfen können, und das auch ohne Ihn, wenn gleich etwas weniger, glücklich gewesen und selig geworden wäre. Nein, Er ist zu einem Geschlecht gekommen, das, sich selbst gelassen, unheilbar verloren, Hülflos, elend ist, und in sich selbst und in der ganzen ihn umgebenden Natur nichts hat, wodurch ihm geholfen werden könnte; so verderbt, daß es das Verderben nicht mehr als solches erkennt, so weit verirret, daß es gar nicht mehr weiß, wovon es verirret ist, und an gar keine Rückkehr mehr denkt noch glaubt, so höchst elend, daß es sich an Sünde und Jammer gewöhnt hat, und in einem Zustande froh ist, worin eigentlich keiner froh ist, als wer nicht bei sich selbst ist. Denn wirklich sind Sünde und Tod zwei so erschreckliche Dinge, daß man denken sollte, ein Mensch, der keine Erlösung davon hoffte und wüßte, könnte so lange keinen frohen Augenblick haben, und würde ihn auch nicht haben, wenn er bei sich selbst wäre.
In Nacht und Finsterniß, ohne Hoffnung und ohne Freude, wäre die Menschheit vergangen, wenn nicht von Anbeginn her ein tröstendes Wort Gottes von einem Heilande zu ihnen gekommen wäre, und in ihrem Herzen gelebt hätte. Das war ihr Höchstes, was sie hatten, der heilige Gesang der Prophezeiung vom Paradiese her, daß Gott sich der Menschheit erbarmen, aus der Mitte der Menschheit Einen erwecken wolle, der von seinen Brüdern Sünde und Tod wegnähme. Und wie sie sich trösteten in ihrem Elende, so haben wir nun Jahrhunderte hindurch Freude und Trost über Den, der gekommen ist, und den Nach Gottes vollendet hat. - Wir wissen es Heller, warum wir uns des Verheißenen und Gekommenen freuen sollen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude. Das N. T. ist eine Antwort auf die Frage: was hat denn Der, der dem Menschengeschlechte verheißen wurde, der Menschheit gebracht und gegeben? was ist der Menschheit geworden? Da heißt es: Es ist uns geoffenbaret der Vorsatz der Gnade Gottes von Ewigkeit her. (2 Tim. 1,9.10.) Das ist das Höchste. So lange der Mensch die Sache des Christenthums als etwas ansieht, was sich in der Zeit ergeben hat durch Gottes Leitung, wie andere große Dinge in der Welt: so lange steht er auf einem Standpunkt, worauf er keine auch nur halbwürdige Ansicht der Sache haben könnte. Die Offenbarungen und Anstalten der Heiligkeit Gottes, die nichts Geringeres zum Zweck haben, als daß Gott werde Alles in Allem, sind an sich nichts Zeitliches (Eph. 1, 4.), nichts aus der Zeit Hervorgegangenes; vielmehr aller Zeit und Schöpfung weit vorhergehend, waren sie der Wille und das Geheimniß Gottes von Ewigkeit her; der erste Akt des ewigen Willens, woraus wurde, was nicht war, kam aus diesem Grunde und strebte zu diesem Ziel. Gott schuf eine Welt, weil Er sie mit seiner Heiligkeit allbeseligend ewig erfüllen wollte. Auf Einmal geschaffen konnte das unmaterielle Werk nicht dastehen, es mußte da sein mit Unscheinbarkeit und Geheimniß umhüllt, als ob es nicht da wäre, und doch dem, der es hatte, Gotteskraft und Gottesweisheit; es mußte da sein wie ein verborgener aber lebendiger Keim, der zu seiner Zeit hervorbricht und sich in Leben offenbaret. Zum Lebendigwerden bestimmte Gott die Mitte der Weltzeit; bis dahin war es ein Geheimniß vom Himmel der Erde vertraut; lebend in dem gen Himmel gerichteten Sinne heiliger Menschen Gottes. Offenbarungen Seiner Heiligkeit, gingen dem Worte: „geoffenbaret im Fleische“ vorher. Er selbst redete manchmal und auf mancherlei Weise zu den Vätern durch die Propheten, ehe Er redete durch den Sohn. Was der Sohn Gottes ans Erden geredet und gethan hat, ist nichts anders gewesen, als Enthüllung des Rathschlusses des ewigen Gottes vor der Weltzeit. Die Welt war froh, wenn in ihre Nacht ein matter Schimmer der Ahnung von Gott fiel; aber wissen, was in der unendlichen Tiefe der ewigen Gottheit vor Grundlegung der Welt gewesen ist, als sie keine Welt bedürfend, eine Welt schuf; was ihr Vorsatz und Rath über das Ganze und jeden Einzelnen gewesen ist, und noch ist: wie hätte ein Mensch es erforschen, erfragen und erfahren können! - Die h. Schrift ist Offenbarung des Vorsatzes Gottes vor Grundlegung der Welt. Den ewigen Willen und das ewige Wohlgefallen des Unendlichen spricht die h. Schrift so aus: „Er hat sich selbst für „unsre Sünden dahingegeben, daß Er uns errettete von der gegenwärtigen argen Welt, nach dem Willen Gottes und unsers Vaters.“ - Gott hat uns wissen lassen das Geheimniß seines Willens und Wohlgefallens, und hat dasselbige hervorgebracht durch Ihn, unser und aller Herr, aller Könige König. „Dieweil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch thörichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben; sintemal die Juden Zeichen fordern, und die Griechen nach Weisheit fragen, wir aber predigen den gekreuzigten Christum, nicht menschliche Lehre und menschliche Kraft, sondern Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschenherz gekommen ist, das hat Gott geoffenbaret durch seinen Geist; denn der Geist erforschet alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.“ So redet die h. Schrift und stellt die Sache unendlich über alles Menschliche. (Gal. 1, 4. Eph. 1, 1 Cor. 1, 21.) - Wer in dem Willen des ewigen Gottes sein Heil gegründet gesehen hat, der hat's, und hat es in alle Ewigkeit, und kann sagen: daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur ihn herausreißen könne aus dem Willen der Gnade Gottes vor Grundlegung der Welt. In diesem Willen Gottes liegt unser ewiges Heil. - Als nun die Zeit erfüllet ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe. (Gal. 4, 4.) Das Wort ward Fleisch. (Joh. 1, 14.) Der im Urbeginn, da alles wurde, war, und durch den Alles wurde, der Erhabenste erniedrigte sich am tiefsten, zu dem Gemeinsten aller Geistergeschlechter, zu der irdischen, mit irdischem Fleisch umgebenen Menschheit. Nicht in der Gestalt und Gleichheit paradiesischer Menschheit, ehe sie, von der Schlange betrogen, zu Lust und Begierde, zu Unglauben und Ungehorsam verführt, die tödtliche Erkenntnis des Bösen erlangt hatte.
Jesus wurde der menschlich adamischen Natur theilhaftig, wie sie nach dem Fall beschaffen, und seitdem das Erbtheil aller Adamiten ist. Er, ob Er wohl in der Gestalt und Gleichheit Gottes war, hielt es nicht als einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst, leerte sich aus von dem, was das Endliche und Zeitliche nicht fassen konnte, von dem Unendlichen und Ewigen, von aller Gleichheit Gottes, aller göttlichen Herrlichkeit, und nahm Knechtsgestalt an. (Phil. 2, 5 - 11.) So bestimmt und entscheidend die Schrift redet von der göttlichen Herrlichkeit und Natur des Sohnes Gottes, die Er vor Weltbeginn hatte, ehe Er in das Fleisch kam, eben so bestimmt und entscheidend redet sie von der wahrhaftigen Menschheit Jesu während seines Wandels auf Erden; ihr ist Jesus durchaus und allewege ein ganzer und wahrhaftiger Mensch. Wer die Menschheit Jesu Christi aus dem Auge verlieret, dem Auge entrückt, der weiß nicht, wie und wodurch eigentlich die Ehre unsers Herrn und Heilandes verherrlichet wird. Die h. Schrift redet davon so bestimmt und stark, daß wir in schuldiger Ehrfurcht gegen Den, der in der Höhe Gott der Herr ist, es nicht gewagt haben würden, so zu reden, ohne das Beispiel der Apostel. Im Blick auf diese Sache neunt sich auch der Herr den Menschensohn, als solcher mußte Er auch den Kampf mit dem Satan bestehen. Gott ließ es zu, daß der Anfänger und Vollender des Glaubens geprüft wurde, wie Er selbst auch den Vater aller Gläubigen prüfte, und wie der Vater aller Menschen geprüft war. (1 Mose 22, 1. Matth. 4, 1 - 11.) Jesus Christus konnte ohne Ueberwindung so wenig, als Einer von uns, gekrönt werden, ohne ein in der Prüfung bewiesenes Wohlverhalten, ohne eine also bewiesene und bewährte Würdigkeit konnte Er nicht erhöhet werden über Alles. Er war es der Ehre seines gerechten Vaters - den, nach seinem eignen Zeugniß, die Welt nicht kennt - schuldig, sich selbst zu erniedrigen (Joh. 17,25.) und jede Prüfung über sich ergehen zu lassen, damit den Thronen, Herrschaften, Fürsten und Mächten im Himmel; ja dem ganzen Geisterreiche in allen Welten kund werde, daß Gott Ihn nicht aus Gunst und Willkühr, sondern nach Recht erhöbet habe zum Erben über Alles, zum einzigen Herrn des Universums. Es wäre ein Uebelstand an den Wegen Gottes; es wäre ein ewiger Fehler des sonst fehlerlosen Reiches der Gerechtigkeit; es wäre ein ewiger Gegenstand des Tadels und der Gottes - Verläumdung des Satans, und ein Abbruch der vollkommensten Freude der Gerechten und Heiligen, wenn alle vernünftigen Geschöpfe geprüft wären, nach ihrem in der Prüfung bewiesenen Verhalten ihre Stelle erhalten hätten, und Jesus Christus, der Herr und König der ganzen vernünftigen Schöpfung, allein von diesem Grundgesetz des himmlischen Königreichs ausgenommen, und allein durch Macht und Willkühr über Alles erhöhet wäre. Auch könnte Er, als der andere Adam, als der Mittler und Erlöser des menschlichen Geschlechts unsre Versöhnung und Erlösung nicht ausführen, wenn Er nicht dem adamischen menschlichen Unglauben und Ungehorsam den vollkommensten Glauben und Gehorsam entgegensetzte; nicht die Schuld, die von jenem Uebelverhalten des ersten Adams in der Prüfung her, an der Menschheit haftet, bezahlte und tilgte durch das vollkommenste Wohlverhalten in den schwersten Prüfungen. Alle Prüfung geschieht durch Lust oder durch Leiden; der erste Adam ist in einer Prüfung der ersten Art nicht bestanden, der zweite Adam ist in den schwersten Prüfungen beiderlei Art unüberwindlich erfunden worden. Jesus sollte die Hölle in ihrer ganzen List und Bosheit überwinden. Er konnte die Menschheit nicht erlösen, ohne die Hölle ganz überwunden zu haben. Der Satan sollte an Ihm das Höchste beweisen, was satanische List und Bosheit vermag, und Jesus dagegen das vollkommenste Wohlverhalten, was ein vernünftiges Wesen in Demuth vor Gott und in der Liebe zu den Menschen beweisen kann. Noch an keinem Gottesmenschen war der Hölle eine solche Macht gelassen, als an Ihm. Bei Hiob hieß es: Siehe - Alles was er hat, sei in deiner Hand, aber an ihn selbst lege deine Hand nicht. - Und als Hiob die Probe bestand, erfolgte eine größere; der Herr sprach zu Satan: Siehe da, er sei in deiner Hand, nur schone seines Lebens. Bei unserm Herrn aber war der Hölle die größeste Freiheit gelassen, sie konnte Ihn nach der furchtbarsten Angst auch den schrecklichsten Tod leiden lassen. Auch für uns hat Er den Satan besiegt. Er starb, auf daß Er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist: dem Teufel, und erlösete die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten. (Ebr. 2, 14.15.) Unser Herr nennt den Teufel einen Mörder von Anfang. Da der Teufel wußte, daß das Menschengeschlecht nicht so wie die Engelgeschlechter auf einmal ganz und vollendet, sondern nach der bei den Engeln nicht stattfindenden wundervollen Ordnung der Fortpflanzung dasein sollte, und da also in dem Einen ersten Stammvater gewissermaßen das ganze Geschlecht da war, mit ihm stand, mit ihm siel, mit ihm unsterblich oder sterblich wurde, und er es wußte, daß der Unglaube des ersten Menschen dessen eigene und aller Menschen Sterblichkeit zur Folge haben würde, und er es doch darauf anlegte, den ersten Menschen durch Lügen zum Unglauben zu verführen, ihm und sein ganzes Geschlecht um die Unsterblichkeit zu bringen, die es hatte haben können: so ist er Mörder des ersten und aller Menschen, ist an dem Tode aller Menschen Schuld. - Wenn aber gesagt wird, daß er des Todes Gewalt gehabt habe, so ist das noch etwas anders. Daß der Teufel über den Tod der Menschen in so fern eine Gewalt gehabt hätte, daß er den einzelnen Menschen hier oder dort, so oder anders, schnell oder langsam tödten, ihn früh oder spät, im 1sten oder 70sten Jahre, sterben lassen könnte, das kann der Sinn des Apostels nicht sein; denn über des Menschen Leben und Tod waltet Gottes Gerechtigkeit, Weisheit und Liebe. Der Satan hätte, wenn das bei ihm gestanden hätte, keinen heiligen Menschen heilig werden, keinen göttlichen Menschen aufkommen, keinen Henoch, Abraham, Moses, David alt werden lassen, wie er den Moses schon tödten wollte, als er als hülfloser Säugling in einem Kasten auf dem Nil schwamm. Darum sagt Hiob (Cap. 14, 5): Der Mensch hat seine bestimmte Zeit, die Zahl seiner Monden stehet bei dir, du hast ein Ziel gesetzt, das wird er nicht übergehen; - es sei denn, daß er im Glauben bittet, und sein Lebensziel verlängert wie Hiskias. Doch wird offenbar und bestimmt dem Teufel eine Gewalt des Todes zugeschrieben. Wir wissen aus der h. Schrift, daß durch die Erscheinung des Sohnes Gottes in der Welt, durch seinen Tod und seine Auferstehung, seine Himmelfahrt und Uebernahme der göttlichen Weltregierung, das ganze System der Dinge in der sichtbaren, allermeist aber in der unsichtbaren Welt bewegt, verändert, in eine andere Form und Verfassung gekommen ist, und daß dadurch ganz besonders die vormalige große, mannigfaltig weit um sich greifende Macht des Satans eingeschränkt, gehemmt, und was gewisse Wirkungen und gewisse Gegenden der Schöpfung betrifft, ganz aufgehoben ist. So hatte der Satan sonst eine anklagende und durch Anklage oft tödtende Macht, er durfte im Himmel erscheinen, und die Heiligen auf Erden verklagen, und verlangen, daß die Gerechtigkeit der Wege Gottes in Thatsachen dargethan werde; daß die heiligen Menschen auf Erden, in den allerhärtesten Leiden, oft unter Erduldung des schrecklichsten Todes, allen unsichtbaren Zuschauern des menschlichen Verhaltens, mit der That selbst es documentirten, daß sie wahrhaftig im Glauben und in der Liebe Gottes wandeln und die Welt überwinden. Diese Gewalt ist ganz aufgehoben, da er aus dem Himmel geworfen ist, im Himmel gar nicht mehr erscheinen darf. So hat der Satan auch, ehe durch den Tod unsers Mittlers die Versöhnung des Menschengeschlechts geschehen war, eine Gewalt des Todes gehabt, wovon die h. Schrift uns nicht unterrichtet, worin sie eigentlich bestanden habe; die aber^ nicht die Gewalt des Todes heißen würde, wenn sie nicht mit dem Tode des Menschen zusammen gehangen hätte, die nur erst im Tode oder nach dem Tode an den Menschen verübt werden konnte, und wodurch also das Sterben der Menschen, und was auf den Tod folgt, dunkler, banger, schrecklicher wurde. Diese Gewalt mag er besonders erhalten und ausgeübt haben über alle Menschen, die entfremdet von Gott und seiner Wahrheit, ohne alle Gemeinschaft mit dem Lichte und Leben der himmlischen Welt, in Teufelsdienst lebten und starben, die die Teufel für Gottheiten hielten, die sie in ihren Götterbildern anbeteten; und das war bei weitem die größte Menge der Menschen. Der ungläubige Israelit stand diesen Heiden gleich, und die Seelen der Gerechten, wenn sie in Gottes Hand waren und keine Qual sie anrühren konnte, mochten doch vielleicht noch etwas von der Herrschaft des großen Weltbeherrschers- der Finsterniß in dem Todtenreiche erfahren, das nun abgethan ist durch den Tod unsers Herrn Jesu Christi. Alle Gewalt des Todes ist dem Teufel genommen. Satan tödtete, hatte eine Todesgewalt und unterlag; Jesus Christus duldete den Tod und siegte. Und nicht nur das, Er besiegte auch den Tod selbst, und indem er der Hölle eine Pest ward, war Er dem Tode ein Gift (Hos. 13,14); indem die Hölle den Sieg verlor, verlor der Tod seinen Stachel (1 Cor. 15, 55.) - Der vom Tode erstandene und sich als Ueberwinder des Todes beweisende Mittler, konnte nun diejenigen befreien, „die durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten.“ (Röm. 14, 9.) Und so kann man sagen, der gestimmte Inhalt der göttlichen Offenbarungen ist aufs kürzeste und wahrhaft zusammengedrängt in den Werten: „der Tod ist verschlungen in den Sieg, Tod wo ist dein Stachel? Hölle wo ist dein Sieg? Aber der Stachel des Todes ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum!“ Der Tod ist dem Menschen nicht anerschaffen; Gott hat den Menschen erschaffen zum ewigen Leben und hat ihn gemacht zum Bilde, daß er ihm gleich sein soll wie er ist. Aber durch des Teufels Neid ist der Tod in die Welt gekommen. (Weish. 2, 23. 24.) Gott hat auch nicht des Menschen Sünde mit dem Tode gestraft, der Tod ist nicht Strafe Gottes, sondern die natürliche Folge und Geburt der Sünde, er ist der Sünde Sold und Lohn. Anstatt nun den abgefallenen und schuldigen Menschen der natürlichen Folge seines Unglaubens und Ungehorsams, das ist seiner Sünde, zu überlassen, oder ^ Strafe drohend, Strafe übend sich ihm kund zu thun, hat Gott, ohne ein Wort von Strafe zu reden, sich ihm geoffenbart mit der Verheißung der Vergebung der Sünde und ihm Wiederherstellung aus dem Elend und dem Tode zugesagt. Es ist der Reichthum der Liebe Gottes, daß er, ohne Strafe zu fordern und ! l ohne Strafe zu üben, das sündige Menschengeschlecht von dem Tode, den es sich durch die Sünde zugezogen hat, durch Anstalten seiner Heiligkeit voll unergründlicher Gottes-Weisheit und Gottes-Kraft erlöset, und demselben ewiges Leben geschenket hat. Wäre der Verlust des ewigen Lebens und also der Tod die auf die Uebertretung des Gesetzes gesetzt gewesene Strafe, und Einer aus dem Menschengeschlecht hätte diese Strafe für Alle übernommen und bestanden, so könnte von Liebe und Gnade und Gabe gar nicht die Rede sein, - die Strafe und also der Tod hätte von Rechts wegen alsobald aufhören und der vorige Zustand, der Besitz des ewigen Lebens, für Alle wieder eintreten müssen. Aber nicht also: Der Tod, sagt der Apostel, ist Folge und Verderben der Sünde; er ist der Sünde Sold und Lohn, die Gabe Gottes aber, das freie, durch kein Werk, durch keine Büßung, durch kein Verdienst und durch keine erduldete Strafe zu erringende Geschenk seiner heiligen Liebe ist das ewige Leben durch Jesum Christum unsern Herrn. Und wie es anderswo heißt (Röm. 5, 8-10): „Darum preiset Gott seine Liebe gegen uns, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren; so werden wir je vielmehr durch Ihn behalten werden vor dem Zorn, nachdem wir durch sein Blut gerecht geworden sind: denn so wir Gott versöhnet sind durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Feinde waren, vielmehr werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nun versöhnet sind.“ Und in einem andern Briefe (2 Cor. 5,17-21): „Darum ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das alte ist vergangen, siehe es ist alles neu geworden. Aber das Alles von Gott, der uns mit ihm selber versöhnet hat durch Jesum Christum, und das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christo, und versöhnete die Welt mit ihm selber, und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu, und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott vermahnet durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: laßt euch versöhnen mit Gott. Denn er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“
Die Anstalt der heiligen Liebe Gottes, deren Gabe das ewige Leben ist, verdanken wir Gott durch Jesum Christum unfern Herrn, den Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist in der Gestalt des sündlichen Fleisches, die menschliche Sünde aufgeopfert, und uns, das heißt, die menschliche Natur, vor Gott unsündlich dargestellt, also alle Gerechtigkeit, von dem Gesetz erfordert, unter den allerschwersten Prüfungen erfüllet und bewiesen hat; und wie. wir also an ihm haben die Erlösung durch sein Blut, (Col. 1, 14.) als solche, die Gott versöhnt, oder die Gott angenehm gemacht sind, denen ihre Sünden vergeben, und ihre Schuld erlassen ist, sind wir denn nicht unter dem Zorn, nicht unter dem Fluch, nicht unter der Strafe, sondern wir sind in der Gnade Gottes. Der aber (Röm. 8, 32.) seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, wie sollte er uns mit seiner theuer erworbenen Gnade nicht auch seiner ganz errettenden und ewig beseligenden Gabe theilhaftig machen? Wie sollte er uns im Tode lassen und uns nicht ewiges Leben schenken? Und durch wen sollte er es uns lieber schenken, als durch den, der sein Mißfallen von uns abgewendet und uns ihm angenehm gemacht hat? Durch wen konnte er es uns schenken als durch den Einen, der, nachdem er das Kreuz erduldet, sich gesetzt hat zur Rechten auf den Thron der Majestät, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, in welchem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnet, und der allein sagen kann, was allem Geschöpfe, auch den Erzengeln im Lichte des Thrones Gottes zu sagen unmöglich ist: „Wie der Vater hat das Leben in ihm selbst, also hat er dem Sohne gegeben, das Leben zu haben in ihm selbst“ (Joh. 5, 26.), und der darum auch, schon in den Tagen seines Wandels auf Erden, vor seiner allertiefsten Erniedrigung zum Tode am Kreuze, und vor seiner Erhöhung durch die Auferstehung und Himmelfahrt zur Rechten des Vaters, sagen konnte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort höret und glaubet dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben, und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurch gedrungen.“ (Joh. 5, 24.) „Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen.“ (Joh. 10, 11.)
Es war nun von wegen der durch seinen Tod geschehenen Versöhnung dem sündlichen und sterblichen Menschengeschlechts ein neues Recht und ein neuer Weg zum ewigen Leben eröffnet; es waren nun alle Anstalten getroffen zur Erlösung von Sünde, Tod und Todesgewalt, zur Befreiung aus jedem Bande, zur Wiederherstellung aus jedem Verderben, ja zur Erlangung ewiger und höchster Seligkeit und Herrlichkeit. Der Ueberwinder des Todes, der Fürst des Lebens konnte nun durch sein Evangelium, durch die Botschaft und Predigt von sich, von seinem über Sünde, Tod und Teufel im Tode errungenen Sieg, dem Teufel die Macht nehmen und Leben und unvergängliches Wesen ans Licht bringen. Eben damit nahm er dem Tode die Macht, daß er ans Licht brachte, was in Finsterniß und Schatten des Todes verhüllet war (2 Tim. 1, 10.), was die Sterbliche,! nicht hatten, wonach sie schmachteten, wonach sich unaufhörlich ein Sehnen und Verlangen in ihrem Herzen regte, was sie aber nicht finden konnten im ganzen All um sich her - „Leben und unvergängliches Wesen.“ Eben damit befreite er uns aus der Knechtschaft der Todesfurcht im ganzen Leben. „Aber wir haben ja doch auch alsdann noch den Tod vor uns, wie alle die andern, müssen doch wie sie alle den Tod leiden!“ Ja, wir haben den Tod vor uns, wie wir alle Tage die Nacht vor uns haben, die uns an sich weiter nicht schrecklich noch furchtbar ist, deren Andenken uns nicht im Arbeiten und Genießen stört, aber wohl unter Arbeiten und Lasten erquickt und tröstet, und wenn sie kommt, so legen wir uns im Glauben und durch den Glauben in der allerhöchsten Gewißheit nieder, daß die Sonne wieder aufgehen und dem Erdboden um uns her Licht bringen werde, und uns erneuertes gestärktes Lebensgefühl und Lebenskraft. Wird einem solchen - von der Knechtschaft der Todesfurcht erlöseten - Menschen das Einschlafen sauer, gehen seinem Einschlafen heiße Leiden und Kämpfe vorher, so weiß er, wie er das zu nehmen hat; weiß, daß die Liebe und Treue unsers Heerführers zur Seligkeit damit auch an ihm, als einem der Kinder, die Er zur Heiligkeit und Herrlichkeit führen will, etwas zu läutern, zu bewähren, in ihm zu begründen sucht, was ihm, wenn es geschehen ist, in alle Ewigkeit zur Freude gereichen wird, und daß er sich überhaupt deßfalls auf Seine Treue, Seine mächtige Erlösung und Hülfe verlassen könne. Den Tod muß aber auch ein solcher Mensch leiden, weil er befreit sein muß von dem Todesleibe dieser Erde, ehe er in die himmlische Welt hinübergehen kann (1 Cor. 15,50 - 53.). Wenn die Sünde vergeben, versöhnt und abgethan ist, der Mensch von dem Fluche des Gesetzes befreit, hingegen aber der Friedens- und Lebensbotschaft Gottes oder des Evangeliums theilhaftig, des Segens der Verheißung theilhaftig - ja Jesu Christi, des Sohnes Gottes selbst, in seinem Tode und in seinem Leben, in seiner Niedrigkeit und in seiner Hoheit theilhaftig ist, und also nun in der wirklichen Erfahrung, in dem Genüsse der Gnade und Gemeinschaft Gottes steht: dann ist er erlöset von der Furcht des Todes, der er sonst im ganzen Leben hätte Knechtschaft leisten müssen; er hat dann nichts als Gnade und Leben vor sich. Ob es mit ihm auch noch durch Kampf und Gedränge hindurch muß, durch Nacht und Noch, durch Leiden und Sterben, er hat doch nichts anders als Gnade, Ruhe, Heil und ewiges Leben vor sich; sein einziger Trost im Leben und Sterben, daß er seines getreuen Herrn und Heilandes Jesu Christi Eigenthum ist, der mit Seinem theuern Blut für alle seine Sünden vollkommen bezahlet und ihn aus aller Gewalt des Teufels erlöset hat, und also bewahret, daß auch kein Haar von seinem Haupte fallen kann, ja auch ihm Alles zur Seligkeit dienen muß, dieser Trost steht im Leben und Sterben unbeweglich fest. Das ist die große vom Tode erlösende Kraft der Versöhnung, die durch Jesum Christum geschehen ist. So gut und so groß meint es Gott mit der Botschaft und Predigt, die Er an die Menschen kommen läßt: „Lasset euch versöhnen mit Gott!“ - Wer an dieser Versöhnung keinen Antheil, durch sie keine Vergebung der Sünden hat, für den hat der Tod noch seinen Stachel, und die Sünde noch ihre Kraft.
Das Opfer Christi theilt die Zeiten, die Gott der Dauer dieser Welt bestimmt hat, in zwei große Perioden: in die der Verheißung und in die der Erfüllung, oder wie Paulus sich ausdrückt (Ebr. 9, 26): Jesus Christus ist erschienen am Ende der Weltzeit. Alles was zu der letzten Hälfte des Weltalters gehört, zu der Periode der Erfüllung, die ihren Anfang nahm mit seiner Erscheinung in der Welt, das gehört zu der Periode des Welt-Endes, welcher, obschon sie Jahrtausende in sich faßt, doch keine andere folgen wird. - Diese Weise, die Perioden der Welt zu bestimmen, geht mehr aus einer göttlichen als menschlichen Ansicht der Dinge hervor; es ist die Sprache und die Ansicht eines Auges, das in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur Eins und dasselbe siehet. Gottes Kraft, Weisheit und Liebe, das im Samenkorn schon die Blume, im Keim die vollendete Pflanze siehet. In göttlicher Ansicht der Dinge, war das Ende der Weltzeit da, als Christus in die Welt kam; denn nun war Der da, um Dessentwillen Alles geschaffen ist und dem Gott Alles untergethan hat; nun war Er da, der Hohepriester nach der Weise Melchisedek, dem Er ein ewiges Priesterthum, der Same Davids, dem Er ein ewiges Königreich zugeschworen hatte. Er war nun da, der Mittelpunkt des Wortes Gottes, dem Alles galt, auf den Alles zielte, bis auf den alles Verheißene ausgesetzt geblieben war: das Opfer, der Segen und das Erbe. Und als Er nun vollendet war, als Er überwunden hatte in Knechtsgestalt, und gekrönt mit Preis und Ehren von Gott gesetzt war zum Oberhaupt der ganzen Schöpfung; da Er gelitten hatte, gestorben war, auferstanden vom Tode, und aufgefahren gen Himmel, aus dem Himmel Geist und Leben mitgetheilt hatte zur Gründung eines neuen ewigen Reiches Gottes, und die Predigt und Botschaft von dem im Fleisch geoffenbarten Gott geglaubet war von der Welt: - nun sahen die Seinen in seinem Lichte schon dieselbe Kraft leben und wirken, die das Ende, die große Entwickelung und Vollendung, langsam und still, aber wahrhaftig und unausbleiblich herbeiführen wird. Erst am Anfang der letzten Hälfte der Weltzeiten fühlten sie sich schon am Ende; was zwischen dem Anfang der letzten Hälfte und ihrem Ende lag, das galt ihnen wenig, war ihnen traurige Episode, die ihr Auge weder anzog noch fesselte; ihre Seele erfüllte allewege und immer nur das, daß Christus gekommen sei, ein Hohepriester der zukünftigen Güter; daß Er sein Opfer im Allerheiligsten des Himmels dargebracht, und eine ewige Erlösung gefunden habe, daß Er gekreuziget in der Schwachheit, lebe in der Kraft Gottes, wartend, daß Seine Feinde Ihm zum Fußschemel gelegt werden, und daß Er kommen werde, Ende zu machen Allem, welchem in Gottes Schöpfung, zur Ehre Gottes, Ende gebühret; und endlose Ewigkeit des Lebens zu öffnen Allem, was rein und gut, was Pflanze seines himmlischen Vaters ist. Darum liebten diese großen Menschen diesen großen heiligen Sprachgebrauch, vom Ende der Weltzeit zu reden, wie weit sie auch noch davon entfernt waren. O wer das so könnte, wie sie! der lebte recht in göttlicher Beschallung, sähe nur , Anfang und Ende, Gott Alles in Allem; im Anfang Gottes Liebe, im Ende Gottes Herrlichkeit, und was sich in Unverstand und Frevel dazwischen, drängt, sieht er als der Vernichtung entgegen gehend, als schon vernichtet an, und je unterrichteter er ist, je besser er in klarer Erkenntniß das Alles kennt und weiß, was zwischen Anfang und Ende liegt, durch welche dunkle Wege sich das Gute hindurch drangen und siegen muß: destoweniger wird er in seinen Ansichten irre, sein Muth verläßt ihn nicht, seine Hoffnung wird nicht schwach, die heilige Sehnsucht nicht lau; ihm wankt nie der Boden unter seinen Füßen; in jedem Augenblick seines Daseins ist ihm zum Bekennen groß das Geheimniß der Gottseligkeit: „Gott ist geoffenbaret im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt von der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.“ (1 Tim. 3,16.) „Und, siehe, der Herr kommt gewaltiglich und Sein Arm wild herrschen; siehe, sein Lohn ist bei Ihm, und seine Vergeltung ist vor Ihm her.“ (Jes. 40,10.) Der Sache Gottes angehörend, fühlt er sich mit der Sache Gottes als Sieger über Sünde und Tod, über Welt und Hölle.
Die Idee vom Opfer ist Herz und Leben aller Religion, und so alt als die Welt. Das erste Gewahrwerden seiner selbst, außer dem verlornen Paradiese, unter den Dornen und Disteln aus dem verfluchten Acker, die erste Erkenntniß der Sünde, und das erste Schmachten und Sehnen nach Gerechtigkeit und Gemeinschaft mit Gott lehrte den Menschen diese Idee verstehen, die nicht menschlichen, sondern göttlichen Ursprungs war. Und wie der Mensch vergeblich etwas außer sich suchte, was die Idee des Opfers hätte realisiren können und es nicht fand; wie er nicht fand, wie er aus eigenen Kräften das verlorne Paradies, den Frieden mit Gott wieder erlangen könne; wie er im Gegentheil fand, daß er das nicht opfern könne, was eigentlich müsse geopfert werden: da ließ er sichs einen belehrenden Wink sein, daß, da ihm die Idee eines Opfers von Gott gegeben sei, ihm das rechte Opfer auch einst werde von Gott gegeben werden. Gott belehrte ihn, daß sein Opfern nur ein Dienst sei in heiligen Bildern und bedeutenden Handlungen, bis einmal geopfert werde, was nach Gottes Willen eigentlich zum Opfer bestimmt sei: Die Sünde der Welt. - Opfer und Gabe hast du nicht gewollt sagt der Messias zu seinem himmlischen Vater. (Ps. 40, 7.) Du hast sie zwar angeordnet, du hast sie geboten und willst sie so sehr, daß du gedrohet hast, die Seele, die ohne Opfer bleibt, auszurotten aus Israel; doch hast du sie nicht gewollt; - als du sie anordnetest, da waren sie es eigentlich nicht, was du wolltest, warum es dir eigentlich zu thun war; sie sollten nur zu erkennen geben, was du eigentlich wolltest. Du wolltest ein Opfer, aber alle diese Opfer und Gaben des Gesetzes waren kein Opfer; sie waren nur Bilder und Schatten, die an das Opfer, das du wolltest, erinnern und etwas davon lehren sollten. Das Leben der Thiere konnte das Opfer nicht sein, das du meintest, das du wolltest und woran du hattest Wohlgefallen haben können; du wolltest das Leben des Menschen selbst. Der Mensch sollte sich selbst dir opfern, er sollte das Ungöttliche, Böse, Sündige seines Wesens vor dir vernichten, es tödten und aufheben, und das Leben, das dann noch in ihm bliebe, dir weihen, dir geben und deinem heiligen Willen, alles eignen Lebens los und alles eignen Willens leer. Aber das vermochte die von Sünde und Tod gefesselte menschliche Natur nicht, das konnte keiner unter den Menschenkindern. Darum hast du mir, dem Menschensohne, den du von Anbeginn als den Trost und das Heil des Menschengeschlechtes verheißen hast, einen Leib zubereitet - einen so schmählichen Leib - den Leih des Fleisches, einen Leib, worin ich in der Gestalt des sündlichen Fleisches bin, ein Adamssohn, gleich den Sündern der Erde. In diesem Leibe kann ich dir das Opfer bringen, das du willst, und das keiner dir, bringen konnte, unsre Sünde (vgl. 1 Petr. 2, 24.), die Sünde meines ganzen Brudergeschlechtes, die Sünde der menschlichen Natur, deren dieser Leib mich theilhaftig macht. In diesem Leibe kann Ich, der Menschen Sohn, für die Menschen, zur Versöhnung und Ehre der Menschen-Natur, deinen heiligen Willen thun, wie Keiner ihn thun konnte. Auf ähnliche Art sprach Er es aus während seines Wandels auf Erden: „ich bin vom Himmel gekommen, nicht daß ich meinen Willen thue, sondern den Willen deß, der mich gesandt hat,“ diesen eigenen Willen unterscheidend von dem göttlichen, den eignen Willen nie thuend, sondern immer sich bewahrend in dem Worte der Lippen Gottes. Er hat sich nicht allein von allen Sünden rein erhalten, Er hat vielmehr durch fortgehende Ueberwindungen und Aufopferungen das Sündliche der menschlichen Natur so getödtet, daß es nie eine Sünde werden konnte, und fort und fort so überwunden und geopfert, daß bei dem Ruf am Kreuze: Es ist vollbracht! - die Sündlichkeit der menschlichen Natur, in so fern sie auch an Ihm haftete, nicht mehr da war. Er ist also zur Sünde gemacht, da Er die Gestalt des sündlichen Fleisches, die verächtlichste aller Geistergestalten, annahm. Wie ist das zu verstehen, daß er zur Sünde geworden, daß er ein Sündopfer geworden, oder daß er sich selbst geopfert hat? Christus hat uns erlöset von dem Fluche des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns? (Gal. 3,14.) Worauf bezog sich der Fluch des Gesetzes? Bezog er sich auf die Erfüllung des Gesetzes, auf den Gehorsam, auf die Gerechtigkeit? Mit Nichten, sondern auf die Uebertretung des Gesetzes, auf den Ungehorsam, auf die Sünde. Die Sünde war zum Fluch und zum Opfer bestimmt, die Sünde war, der Aufopferung, dem Tode, der Vernichtung geweiht. Das Sündopfer galt nichts; es wurde ganz verbrannt, ganz vernichtet. Das Brandopfer dachte man sich als ein Opfer, das etwas gäbe, das etwas Gott Angenehmes zu den Höhen seines Heiligthums hinauftrage, darum hieß es Opfer des süßen Geruchs. Die Gerechtigkeit Christi, die er gethan hat, und die er in Ewigkeit behält, kann also das nicht sein, was zum Fluch geworden, was zum Sündopfer geworden, was aufgeopfert und vernichtet ist.
Wie kann aber von Demjenigen gesagt werden: er sei zur Sünde geworden, er sei ein Sündopfer geworden, er habe sich selbst durch den ewigen Geist geopfert, von welchem wir mit Worten der Schrift vernehmen, daß er gewesen sei der, welcher von keiner Sünde wußte? Dies kann in mehr als einer Hinsicht von Jesu Christo gesagt werden. Er wußte von keiner Sünde, ehe er in die Welt kam, und nach seiner Geburt von der Jungfrau Maria in dies irdische Leben wußte er auch von keiner Sünde, und in seiner Kindheit und Jugend und in seinem Mannes-Alter, bis er am Kreuze sein Haupt neigte und starb, wußte er von keiner Sünde so wie wir davon wissen, nämlich aus der Sünde selbst, aus der wirklichen That der Sünde, aus der Uebertretung des göttlichen Gesetzes, deren wir uns schuldig wissen; So hat er nie von einer Sünde gewußt. Keiner konnte ihn einer Sünde zeihen; er hat keine Sünde gethan, und nicht Eine Unwahrheit ist in seinem Munde erfunden. Er ist nicht einmal versucht, nicht einmal von einer im Gesetz Gottes verbotenen und verurtheilten Lust gereizt und gelocket worden, weshalb die Schrift sagt, er allein sei, wie vor ihm und nach ihm kein Mensch versucht worden ohne Sünde. Es heißt (Phil. 2,5-7.): „Jesus Christus, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich sein; sondern äusserte sich selbst, (entäusserte sich alles dessen, was verhindert hatte, daß er in Wahrheit ein Menschen Sohn gewesen wäre,) und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden wie ein Mensch erfunden.“ Dann ferner (Gal. 4, 4.): „Als die Zeit erfüllet war (wo dem weissagenden Schatten und Bilde das Wesen und die Sache selbst folgen, und der verheißene Hohepriester der zukünftigen Güter mit diesen Gütern selbst erscheinen sollte), sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe.“ Diesen freien und starken Ausdruck braucht die Schrift von der heiligen Jungfrau, anzudeuten, daß der Sohn der Maria, obwohl er nicht nach den Gesetzen der irdischen Natur in das irdische Leben geboren wurde, sondern durch die unmittelbare Wirkung der Allmacht Gottes, dennoch von dieser seiner Mutter eine wahrhaftige und völlige Menschen-Natur, wie diejenige aller vom Weibe Gebornen, erhalten habe. Das Wort ward Fleisch. (Joh. 1, 14.) Er nahm nicht eine geistige und himmlische, sondern eine irdische und fleischliche Menschen-Natur an. Der Sohn Gottes hatte während seines Wandels auf Erden einen Leib des Fleisches, wie Paulus sagt: „Er hat euch versöhnet in dem Leibe seines Fleisches durch den Tod.“ (Gal. 1, 22.) Am stärksten spricht die Schrift es aus Röm. 8, 3.: Gott hat seinen Sohn gesandt in der Gestalt des sündlichen Fleisches. Der Sohn Gottes nahm also, als er in die Welt kam, nicht eine Menschen-Natur an, wie diese Natur war, als sie aus der Hand Gottes kam, vor dem Fall, ehe sie in Adam durch das Essen der giftigen und tödlichen Frucht sündlich und sterblich geworden war; vielmehr eine solche Menschen-Natur, wie sie nach dem Fall in Adam war, und in allen seinen Nachkommen ist; er nahm eine sterbliche Natur an, um sterben zu können, und durch seinen Tod dem die Macht zu nehmen, der des Todes Gewalt hatte. (Ebr. 2, 14.) Er erschien in der Gestalt des sündlichen Fleisches. Sündlichkeit und Sterblichkeit gehören nothwendig zu dem Wesen der natürlichen irdischen Menschheit, zu dem Eigenthümlichen der Adamsfamilie. Ein Unsündlicher und ein Unsterblicher gehört der natürlichen irdischen Menschheit nicht an; ein Unsündlicher und Unsterblicher ist kein natürlicher und wahrer Adamite, kein wahrhaftiger und völliger Adams- und Menschensohn. Von einem Unsündlichen und Unsterblichen kann auch nimmer mit Wahrheit gesagt werden, er sei den Adamiten, den sündlichen und sterblichen Adamskindern, als seinen Brüdern, in Allem gleich geworden, theilhaftig ihres Fleisches und Blutes. Es Hütte daher bei der Bestimmung der Lehre von der menschlichen Natur Jesu Christi während seines Wandels auf Erden besser bemerkt werden sollen, als es bemerkt worden ist, welch großes Gewicht der Apostel Johannes auf die Erkenntniß und Bekenntniß der Wahrheit, oder des geoffenbarten Geheimnisses legt, daß das Wort Fleisch geworden, daß der Sohn Gottes einen Leib des Fleisches angenommen habe: „Ein jeglicher Geist, sagt er, der da bekennet, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist von Gott; und ein jeglicher Geist, der da nicht bekennet, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott.“ (1 Joh. 4, 2. 3.) Ferner sagt die Schrift, von Jesu Christo: „welcher unsere Sünde selbst geopfert hat in seinem Leibe auf dem Holz.“ (I Petr. 2, 24.) Unsre Sünde in seinem Leibe - was heißt das anders als die menschliche Sünde, die der Menschen-Natur eigne Sünde, insofern sie mich in seinem Leibe war, oder in sofern er einen Leib des Fleisches hatte, oder in sofern er, wie alle Adamskinder, in der Gestalt des sündlichen Fleisches war? Darum hat er, als er in die Welt gekommen ist, zu Gott gesagt, wie Paulus seine Worte anfuhrt: Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, einen Leib aber hast du mir zubereitet (Ebr. 10, 6.), den menschlichen Leib, den Leib des Fleisches hast du mir zubereitet, daß ich in demselben einen Willen Gottes thun soll, der außer solchem Leibe nicht gethan werden könnte, - daß ich in demselben werden sollte, was ich außer solchem schmählichen Leibe nicht werden konnte, - das versöhnende Sündopfer für die Welt. Etwas von dem, was Paulus hier ausdrückt: Er hat sich selbst geopfert, sprach der Herr in den Tagen seines Wandels auf Erden mit leichteren Worten so aus: Ich bin vom Himmel gekommen, nicht, daß ich meinen Willen thue, sondern dessen der mich gesandt hat (Joh. 6, 38.); womit er sagte, daß er einen Willen habe, den er von Gottes Willen unterscheide, den er nie thue, den er allezeit verläugne, aufopfere. Dieser Wille konnte übrigens ein unsündlicher menschlicher Wille sein. So aber verhielt es sich auch: Er hat sich nicht nur vor aller wirklichen Sünde bewahrt, von aller wirklichen Sünde rein erhalten - er hat, was viel mehr sagt, die Sündlichkeit der menschlichen Natur, und das ist noch keine wirkliche Sünde, vom ersten Beginn seines Lebens an so überwunden, so verleugnet und gekreuzigt, daß es nie eine Sünde werden konnte, und fort und fort so aufgeopfert, bis sie endlich bei dem Rufe am Kreuze: Es ist vollbracht! völlig, ganz und ewig vernichtet war. Darum konnte sein Kreuz, das Todeszeichen der Sünde, das Siegeszeichen des Lebens für die Menschen werden. Er hat die Gestalt des sündlichen Fleisches in seiner Person aufgehoben. Er ist also zur Sünde gemacht, da er den schmählichen Leib des Fleisches anzog, da er die verachtetste aller Geistergestalten, die Gestalt des sündlichen Fleisches, annahm. Er hat sich selbst geopfert, da er durch fortgesetzte Ueberwindung und Aufopferung diese Gestalt in sich vernichtete. Er ist das versöhnende Sündopfer der Welt geworden, da er in seiner Person die Sündlichkeit der Menschen-Natur aufopferte und vernichtete, diese Natur in seiner Person unsündlich machte (Röm. 6, 6.), die sündliche Menschen-Natur in seiner Person Gott und Engeln und Teufeln unsündlich darstellte, wie er sie hernach, als er in die Himmel einging, auch unsterblich dargestellt hat.
Diese Betrachtungen müssen uns erstaunen, lassen über den großen wundersamen Rath und über das große wundersame Werk zu unserer Versöhnung und Erlösung, und müssen uns mit Anbetung und Freude erfüllen, indem sie uns erkennen lassen, daß der, der sich am tiefsten erniedriget hat in Demuth vor Gott und in Liebe zu den Menschen, von Rechtswegen am allerhöchsten erhöhet ist - daß nicht so sehr in dem Namen Christi, des Königs als in dem Namen Jesu, des Seligmachers sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel, auf Erden und unter der Erden sind, und alle Zungen bekennen werden, daß Jesus Christus der Herr sei von Rechtswegen, und also zur Ehre des gerechten Gottes und Vaters. - Danken wir dem Herrn der Herrlichkeit, daß Er sich so tief bis zu uns erniedrigt hat, um als ein anderes Haupt des Menschengeschlechts eine Gerechtigkeit zu beweisen, die Adams Schuld reichlich vergütete.
Das israelitische Sündopfer hatte drei Bedeutungen; es war: 1) eine Handlung symbolisch unterrichtender Lehre, daß die Sünde aufhören und selbst geopfert werden sollte; 2) eine Handlung des Bekenntnisses eigner Sünden; 3) eine Handlung des tröstenden Glaubens, daß, da der Mensch aus eigner Kraft die ^ Sünde nicht tödten, sich selbst nicht versöhnen und reinigen könne, Gott aber der Welt ein Opfer verheißen habe, man an jenem Opfer Gottes, als ob es schon geschehen, Antheil nehme und Ihm vertraue, daß Er, um dieses zukünftigen Opfers willen, den Opfernden gütig ansehen, und ihn durch die Anstalt jenes ewigen Heiligthums, wovon das Irdische Bild und Schatten sei, reinigen könne und wolle. Die Summe der ganzen jüdischen Theologie war, was Paulus (Röm. 10.) so ausdrückt: „Christus ist des Gesetzes Ende, wer an Den glaubt, der ist gerecht.“ Das Gesetz, das Heiligthum, das Priesterthum, Alles deutete auf Ihn, und stellte symbolisch das ganze Geheimniß Christi dar, das Geheimniß: Christi für Ihn selbst, wie Er durch seinen Ueberwindungstod sich würdig machte, über Alles erhöhet zu werden; Christus für uns, wie Er durch seinen Tod als ein ewig gültiges Opfer uns Vergebung der Sünden erworben hat; Christus in uns, der da ist die Hoffnung der Herrlichkeit, auch von wegen seines Mutes, das da reiniget unser Herz und Gewissen. Bei jenem alten symbolischen Dienste war der Tod des Opfers große, wesentliche Hauptsache, und besonders wurde das Blut des Opfers, als Sache großer heiliger Bedeutung, hervorgehoben. So ist auch im N. T. der Tod Jesu Christi das einige Größte, die wesentliche Hauptsache. - Alles, was Er ist, die Erfüllung des Gesetzes, der Geber des Lebens, der Hohepriester der himmlischen Güter, und der König des Reiches Gottes, das ist Er von wegen seines Todes, und Alles, was wir durch Ihn werden und erlangen, das wird uns nur, in sofern wir des Blutes der Versöhnung und des Blutes der Reinigung theilhaftig werden. Darum ist auch der Kern der ganzen apostolischen Predigt eine Lehre von Jesu Christo, dem Gekreuzigten, obschon sie wußten, daß das Wort vom Kreuz, die Lehre von dem Blute, den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit sein werde. Das blinde Auge der Welt sah in dem Tode des Herrn nichts anders, als die tiefste Niedrigkeit, Schmach und Schande; ihr erleuchtetes Auge aber sah darin die höchste Vollendung und Herrlichkeit, ein nie zu begreifendes Wunder heiliger, göttlicher Liebe, Herablassung und Demuth, und darum schämten sie sich des Evangeliums des gekreuzigten Heilandes der Welt nicht. Aus dieser Ursache ist uns in der evangelischen Geschichte der Tod des Herrn am ausführlichsten erzählt. Die Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit seines Todes, der Vergießung Seines Blutes, nicht so sehr aus den durchnagelten Händen und Füßen, als vielmehr aus der Todeswunde seiner Seite, erzählt und bezeugt uns der Apostel Johannes als eine hochheilige wichtige Sache (Joh. 19, 30 - 35.), „auf daß auch ihr glaubet,“ daß der Tod geschehen ist, ohne welchen kein ^eben wäre, und daß das Blutvergießen geschehen ist, ohne welches keine Reinigung des Herzens und Gewissens wäre von den Werken des Todes, um tüchtig zu werden, dem lebendigen Gott zu dienen in seinem Heiligthume.
Die Menschen sind an der Sündlichkeit und Sterblichkeit ihres Wesens, in so fern sie also geboren werden, nicht Schuld, es ist für sie ein unverschuldetes Leiden; aber in allen Menschen wird das natürliche Verderben durch eigene Schuld vergrößert. Aus dem angebornen wie aus dem selbst verschuldeten Verderben ist ihnen durch die Erlösung, die durch Jesum Christum geschehen ist, Errettung bereitet. (Röm. 3, 24. 25. Röm. 5, 15. 21. Ps. 103, 3 - 6.) Der Messias steht für die Seinen, ist das Haupt seines Volkes und Seiner Gemeine, wie Adam das Haupt seines Geschlechts war und für dasselbe stand. - Er hat für seine Person in zweifacher Hinsicht das Gesetz erfüllet, und in einer solchen Vollkommenheit, daß um deßwillen Allen, die Ihm angehören, alle Ungerechtigkeit vergeben, alle ihre Schulden gegen das Gesetz erlassen, sie von dem Fluche desselben völlig freigesprochen, und angesehen werden als Gerechte, noch ehe sie selbst das Gesetz erfüllen; denn der Messias ist für sein ganzes Volk gut geworden, daß sie in ihrer Unvollkommenheit nicht bleiben sollen, sondern daß Er sein Volk selig mache von ihren Sünden.
Paulus nennt die Lehre von der Begnadigung ein Wort der Gerechtigkeit. (Ebr. 5, 11-14. Röm. 7, 31.) Er wollte damit sagen: ein Kind in Christo glaubt einfältig die Lehre von der Versöhnung durch Jesum Christum; aber es stehet nicht, wie das Wort von Gottes Seite eine Offenbarung seiner Gerechtigkeit ist, nicht Seiner strafenden, sondern Seiner errettenden, Recht schaffenden Gerechtigkeit, wovon es heißt: „Der Herr schaffet Gerechtigkeit und Gericht Allen, die Unrecht leiden.“ Vor mehr als 2000 Jahren gab Gott die große Verheißung: „Ich will gnädig sein ihrer Missethat, und ihrer Sünden und Uebertretung will Ich nicht mehr gedenken. (Jer. 31, 34.) Nun heißt es: Gnädig, gnädig, gnädig ist der Herr unser Gott! je und je in die ewigen Ewigkeiten! höre es mit Freuden: Er will gnädig sein deiner Sünde und Uebertretung, und deiner Missethat will Er nicht mehr gedenken. Der seines einigen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat Ihn für uns Alle dahingegeben, wie sollte Er uns mit Ihm nicht Alles schenken! (Röm. 8, 32.) Dann stehet die Liebe, nicht, daß wir Gott geliebet haben, sondern daß Er uns geliebet hat und gesandt seinen Sohn zur Vergebung für unsre Sünden, (l Joh. 4, 10.) Nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir gethan hatten, sondern nach Seiner Barmherzigkeit machte er uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des h. Geistes, welchen Er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesum Christum unfern Heiland, auf daß wir durch desselbigen Gnade gerecht und Erben seien des ewigen Lebens nach der Hoffnung. (Tit. 3, 5-7.) Aber die Einfachheit und Milde des Evangeliums, die Größe der Liebe und Heiligkeit Gottes macht den beharrlichen Glauben an das Evangelium so schwer. Nichts liegt dem Menschen schwerer auf der Seele als Sünde und Tod; die ganze Natur weiß dagegen keinen Rath und Hülfe. Sich durch ein Werk der Heiligkeit gerettet zu sehen; erfahren, daß Gott eine Liebe hat, wie Engel und Menschen sie nicht haben; glauben, daß Gott sich herabläßt in die Tiefe zu den Menschen; glauben, daß Er gar nichts verlangt, aber Alles schenkt; daß Er nichts will als Wahrheit und Glauben und Richtung zu sich, und Vereinigung mit sich: das wird dem sündigen Menschen schwer. Der Mensch wandelt lieber auf Dornen den Weg der Büßung, und wähnt, mit jedem Dorn ist eine Sünde gebüßt; da hat er die Sache in der Hand, er thut's und glaubt, daß er's thut; aber der Glaube an das alte, einfache, ewige Wort hat kein sinnliches Gefühl und keine sinnliche Gewißheit, nichts in sich, sondern Alles in der Liebe Gottes, und darum ist der Glaube ein beständiges, stilles Anhangen an Gottes Liebe.
Die erste Verheißung des Neuen Bundes groß, ja überschwänglich zu finden, dazu wird erfordert, daß der Mensch sich selbst kenne, was er zu hoffen und zu fürchten habe, wohin er gelangt ist, zu welchem Verderben; je tiefer der Mensch das fühlt, und wie rathlos und hülflos die ganze Natur ihn läßt, wie in der Höhe und Tiefe kein Rath für ihn ist: je tiefer fällt er auf sein Antlitz, wenn er hört: Deine Sünden sind dir vergeben, nahe zu mir, ich bin dein Vater! - D wie fällt da dem Menschen eine Last von der Seele! Vergebung der Sünden zu haben; zu wissen: Gott ist mein Gott! es kann mir nicht fehlen, das habe ich meinem Herrn und Heiland Jesu Christo zu danken: - o wie könnte ein Mensch anstehen, wenn ihm dagegen die ganze Welt geboten würde! und das ist nur der Anfang. Es ist bei dem Bunde ewiger Gnade Gottes auf die Erhaltung des Sünders und auf die Zerstörung der Sünde abgesehen. Das Gesetz wird dabei nicht aufgehoben, es ist heilig, gerecht und gut; aber es verliert für die Genossen des Bundes die Form des Gesetzes und wird ihnen Ideal, heilige, herrliche Höhe, auf deren Gipfel der Himmel ist; da möchten sie gerne hin, und da sollen sie hin; aber nicht durch den Stecken des Treibers; mit Güte, mit Liebe, mit Freundlichkeit, unter einer Zucht und Erziehung, wie die Liebe sie führt.
Zu der Erlösung gehört: 1) das Opfer, oder die Versöhnung, die Vergebung der Sünden, die Erlassung der Schuld. 2) Die Versprengung, oder die Reinigung von der Sünde. ,i) Die Gabe, oder Licht und Leben aus Gott, Licht und Kraft des heiligen Geistes. Von der Versöhnung redet Paulus, wenn er sagt: „Nicht durch der Böcke oder Kälber Blut, sondern durch sein eigen Blut sei unser Mittler Einmal in das Heilige eingegangen und habe eine ewige Erlösung erfunden.“ (Ebr. 9, 12.) Von der Versprengung redet er, wenn er spricht: „denn so der Ochsen und Böcke Blut und die Asche von der Kuh gesprenget, heiliget die Unreinen zu der leiblichen Reinigkeit, wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst ohne allen Wandel durch den heiligen Geist Gott geopfert hat, unser Gewissen reinigen von den todten Werken zu dienen dem lebendigen Gott?“ (Eb. 9,13. 14.)
Das Blut Christi wird in zweierlei Rücksichten betrachtet: einmal, wie es ist das Blut der Versöhnung, und in sofern es Ein für Allemal vergossen. Die Versöhnung war ein einiger Akt, ewig gültig und wirksam, und wer sich elend, sündlich und sterblich fühlt, kann durch den Glauben au das göttliche Zeugniß Antheil daran erlangen; aber der also versöhnte und begnadigte Mensch bleibt doch ein sündiger Mensch; die Vergebung der Sünde ist noch keine Befreiung von aller Sünde. Die Sünde kann nicht bloß angesehen werden als eine Schuld, die vergeben werden kann, sie muß vielmehr angesehen werden als ein Uebel, ein Verderben, das/ so lange es da ist, uns ewig hindert, unsre Bestimmung zu erreichen, und das seine verderbende Kraft durch eine Befleckung äußert, die an dem ewigen, unsterblichen Theil unsers Wesens haftet, wodurch wir nach dem Tode mehr oder minder unselig und freudenlos bleiben und an unsrem himmlischen Körper häßlich erscheinen. Wie nun die Erlösung ewig ist, so ist sie auch ganz, allen Bedürfnissen der sündigen Menschheit vollkommen entsprechend, alle Gebrechen heilend, und von allem selbst verschuldeten Verderben errettend. So mußte es sein, das forderte das Bedürfniß der sündigen Menschheit und die Erfüllung der über diese Dinge vorbildlich weissagend belehrenden Anstalt des irdischen Heiligthums und Priesterthums. Auch dort waren Versöhnung und Reinigung zwei verschiedene Handlungen. Die Versöhnung geschah im Heiligthum nur Einmal im Jahr. (3 Mose 16, 1 - 34.) Die Reinigung oder Besprengung geschah außer dem Heiligthum in allen Städten und Dörfern Israels, viel tausendmal im Jahre. (4 Mose 19,1 - 22.) Aber Jesus Christus hat gemacht die Versöhnung unsrer Sünden durch sich selbst, als er vor 1800 Jahren auf Golgatha am Kreuze Sein Blut Einmal für uns vergossen hat. Er hat gemacht die Reinigung unsrer Sünden durch sich selbst, als Er durch Sein vergossenes Blut in das Heiligste des Himmels einging, und gemacht hat, daß dieses Blut ein bleibendes, ewig daseiendes, ewig wirksames sei, dessen wir von dort her an allen Orten und zu allen Zeiten theilhaftig werden können, und damit gereiniget werden von allen unsern Sünden, durch die Besprengung des Herzens. Die Sünde an sich, als eine Uebertretung des Gesetzes, kann auf Einmal ganz von Gott vergeben werden; die Sünde als Schuld kann ebenfalls unter gewissen Bedingungen auf Einmal erlassen werden; aber die Sünde, in sofern sie ein Uebel ist, wodurch an dem ewigen, unsterblichen Theil des menschlichen Wesens ein Verderben, eine Befleckung zuwege gebracht ist, kann nicht auf Einmal hinweg genommen werden; der auf Einmal versöhnte und begnadigte Mensch bedarf zur Reinigung von den Flecken der Sünde und der Untugend, die in seinem Herzen ist, und alle Augenblicke hervorbrechen und ihn von neuem verunreinigen kann, fort und fort einer Besprengung am Herzen, einer Erneuerung und Reinigung durch das himmlische Hohepriesterthum, als des Einzigen, was ihn reinigen kann. Das spricht Johannes so aus: „So wir aber im Lichte wandeln, wie er im Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander und das Blut Jesu Christi, Seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde. So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. So wir aber unsre Sünde bekennen, so ist Er treu und gerecht, daß Er uns die Sünde vergiebt, und reiniget uns von aller Untugend.“ (1 Joh. 1, 7 - 9.) Die heilige Lehre ist ein einiges Ganzes, wo kein Theil fehlen darf, und kein Stück überflüssig ist. Hier sehen wir, wie das Geheimniß Christi für uns, oder Jesus Christus, wie Er ist die Versöhnung für unsre Sünde, und Jesus Christus in uns, wie Er ist die Hoffnung der Herrlichkeit, so unauflöslich miteinander verbunden sind. Christus allein und ganz, der ganze Christus ist unser ganzes Heil und Leben, und das ist es, was wir von den Propheten über den wahrhaftigen Hohenpriester in den Tagen des Neuen Testaments also ausgesprochen finden: „zu der Zeit wird das Haus David und die Bürger zu Jerusalem einen freien offenen Born haben wider die Sünde und Unreinigkeit.“ - Wie groß und heilig vor Gott die Sache selbst war, von der alle diese Handlungen nur Bild und Schatten waren: die Unreinigkeit aus der Sünde und dem Tode, und die Reinigkeit aus dem Blute und Leben Christi, das bezeugte den Israeliten das Wort, wodurch das ganze Gesetz gleichsam besiegelt wurde (4 Mose 19, 20.): So gewiß ich der Gott bin, der sein Wort halt, und der sich unter euch theokratisch prüfend und errettend beweiset, so gewiß soll eine solche Seele, die meine positiven Anstalten verschmäht, und sich's nicht von Gott will sagen lassen, was den Menschen verunreinige, und wie er in seiner Unreinigkeit gereinigt werden könne, ausgerottet werden aus Israel. Und da sich warnende und schreckende Beispiele davon in Israel fanden, erkannten die Israeliten, daß sie es mit dem lebendigen Gott zu thun hatten, fürchteten sich und reinigten sich nach Gottes Verordnung, wenn sie unrein waren. Diese Strenge, dieser Ernst Gottes in Betreff dieser heiligen Verordnung, diente dazu, die Aufmerksamkeit der Menschen auf die Sache hinzulenken, ein Verlangen nach dem Sinne der Sache zu wecken, und der Weisheit der Geheimnisse nachzudenken, die das Ganze der Versöhnungsanstalt im Blick auf den Himmel, den Messias und die geistige Beschaffenheit und das geistige Bedürfniß der Menschen ansehen lehrte. Es geschah an dem Leibe des Israeliten etwas, wodurch ihm gesagt wurde, daß so etwas an seinem geistigen Wesen geschehen und demselben anders woher widerfahren müsse. Wie er nach dem göttlichen Gesetz, als der Sünde theilhaftig, unrein geachtet werde, so habe der Mensch überhaupt ein Verderben in sich, eine Unreinheit, die an dem ewigen, himmlischen, unsterblichen Theil seines Wesens hafte, und die durch eine unsichtbare, geheimnißvolle, wundervolle Besprengung aus dem himmlischen Heiligthume und Hohenpriesterthume geheilt werden könne. Wie groß und heilig diese Sache gewesen sei, die Gott Jahrhunderte vorher verhieß, und auch schon im Bilde und Schatten heilig verehrt haben wollte, das spricht Paulus (Hebr. 9, 14.) also aus: „Wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst ohne allen Wandel, durch den heiligen Geist, Gotte geopfert hat, unser Gewissen reinigen von den tobten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott.“ Paulus nennt das Gewissen als das tiefste, heiligste unsers Wesens, was mit der Sünde am unvereinbarsten ist, der Sünde am längsten widersteht, und nie ganz zu Grunde gerichtet, nicht ganz von der Sünde zerstört werden kann. O Wunder! o Geheimniß! und überschwängliche Gotteskraft des Blutes Jesu Christi, ein Gewissen zu reinigen! D! daß es mit Ahnungen ewiger Lebensfreude erkenneten Alle, die es in ernsten Stunden wohl fühlen, daß sie die Ruhe noch nicht haben, die nöthig ist, und daß sie in ihrem Innern die Reinheit nicht haben, wornach sie schmachten; daß sie es hörten und glaubten: „im Blute Jesu Christi ist Reinigung zu finden.“ Ein ruhiges Gewissen ist noch kein reines Gewissen. Zum ruhigen Gewissen kann ein Sünder gelangen, wenn er gerecht durch den Glauben zum Frieden mit Gott kommt (Röm. 5, 1.), Vergebung der Sünden erhält, und in der Gemeinschaft des Geistes der Gnade Gottes und der Versöhnung gewiß wird auf ewig. Das gibt Ruhe im Gewissen, da kann der Mensch, ob ihm die Sünde auch im Gedächtnisse bliebe, der Ewigkeit und dem Gerichte demüthig froh entgegen gehen, als ein solcher, dem schon Gnade widerfahren ist, und denken, daß, wenn das Verdeckte seines Lebens offenbar werde, so werde es zum Preise Gottes geschehen. Er wird nicht mehr erfunden als der, der er nun noch ist, sondern er ist abgewaschen, geheiliget, gerecht gesprochen durch den Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unsers Gottes; - aber ein solcher Mensch hat noch kein reines Gewissen. Das Gewissen ist der Wiederschein des Herzens, und der zukünftige Richter der Lebendigen und der Todten sagt: „Ans dem Herzen kommen arge Gedanken u. s. w.,“ wo er ein ganzes Register der unheiligsten und unreinsten Dinge nennt, die aus dem menschlichen Herzen als aus ihrer Quelle hervorgehen. Wenn das Herz ist wie die Nacht, allerhand Böses im Gewissen widerscheint, wie kann alsdann das Gewissen rein sein? - und darum ist ein reines Gewissen mehr als ein beruhigtes Gewissen, und das ist es nur in dem Maße, als das Herz rein ist. O Wunder der Gotteskraft des Blutes Jesu Christi, es reiniget unser Herz! Wenn nun das Herz eines Christen durch siebenmalige Besprengung gereinigt wird, so wird auch vor und nach das Gewissen von allen todten Werken rein; es ist allmählig nichts darin, als Leben, Licht und Frieden Gottes.
Daß die große Sache der Versöhnung auf Alle abgesehen sei, lehret Jesus Christus selbst, wenn er sagt: „Also hat Gott die Welt geliebet, daß Er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern, das ewige Leben haben.“ Indessen sagt Paulus (Ebr. 9.): „Christus ist einmal geopfert, wegzunehmen Vieler Sünden.“ Sein Opfer versöhnte die Sünde Vieler aus allen Geschlechtern und Zeiten. - Das Blut des Neuen Bundes ist vergossen für Viele zur Versöhnung der Sünde. Ebenso redet der Herr, wenn er sagt: daß Er Sein Leben gegeben habe zum Lösegeld für Viele. Obgleich es mit dem Opfer Jesu Christi, mit der Liebe und Erbarmung Gottes auf Alle, auf die ganze Welt abgesehen ist, so kommt es doch auf das Benehmen des einzelnen Menschen an. Was dem Glauben Duft des Lebens zum Leben ist, das ist dem Unglauben Duft des Todes zum Tode. Was Gott auch thun mag, es gleitet wirkungslos an dem Menschen ab, der durch Unglauben verhärtet ist.
Es heißt (Ebr. 10,19 u. 20.): „So wir denn nun haben die Freudigkeit zum Eingang in das Heilige durch das Blut Jesu, welchen er uns zubereitet hat zum neuen und lebendigen Wege, durch den Vorhang, das ist, durch sein Fleisch, und haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes, so lasset uns hinzugehen mit wahrhaftigem Herzen, in völligem Glauben.“ Diesen Worten zufolge haben wir im Neuen Bunde das, was das Volk Gottes bis dahin niemals hatte, was das Gesetz mit allen seinen Opfern, Reinigungen und Sühnungen nie hatte und verleihen konnte: einen Eingang in das Allerheiligste. Der Vorhang ist zerrissen, das Heiligthum ist offen; wer dem ewigen Hohenpriester angehört, wer an seinem Opfer und an seinem Segen Theil hat, wer dem Vorgänger nachgeht, der kann zu jeder Zeit und Stunde in dasselbe hineingehen. Und hier ist nicht die Rede von einem Schattenheiligthum in vergänglichem irdischem Bilde, hier ist die Rede von dem wirklichen, ewigen Allerheiligsten, das droben ist: also von freiem, unmittelbarem, innigem Zugang zu Gott in seiner Gnade. Dort durfte nur allein der Hohepriester, und dieser nur Einmal im Jahre in das Heiligthum hineingehen, und konnte es nicht anders als zagend und mit Furcht betreten, mehr von der Sünde gebeugt als von der Gnade erhoben; wir aber, als die berufen sind eine heilige Priesterschaft Gottes zu werden, dürfen Alle in das Allerheiligste hineingehen zu Gott, und können es ohne Furcht und Zweifel, mit Freudigkeit thun. Uns verdammt kein Gesetz, uns belastet kein Fluch, wir sind Gotte versöhnt, wir sind ihm angenehm gemacht in dem Geliebten, in dessen Namen wir kommen, wir bringen dasselbe mit uns, was auch Er, der Geliebte Gottes, unser Vorgänger und Mittler mit sich brachte, und womit Er die ewige, sich auf uns Alle erstreckende Versöhnung und Erlösung fand - wir kommen mit dem Blute Jesu. Er, hat unsre Sünde geopfert in seinem Leibe auf dem Holze, und sein, für uns geleisteter Gehorsam, seine für uns dargebrachte Gerechtigkeit bahnt uns den Weg, hindert das Verzagen an uns selbst, und nimmt jedes ängstliche Mißtrauen gegen die Heiligkeit und Gnade aus unserm Herzen. Wir kommen als solche, die Jesus Christus mit seinem Blute erkauft hat, daß sie sein Eigenthum sein sollen, und die mit seinem Blute besprengt und gereinigt sind, darum fürchten wir uns nicht, darum kommen wir mit Freudigkeit. Daß wir aber so, noch in der Sünde und unter dem Tode, und doch als schon von der Sünde gereiniget und von dem Tode erlöset, mit Gott selbst, mit Gott in seiner Heiligkeit unmittelbar zu thun haben; daß wir, durch den Glauben gerecht, Frieden haben mit Gott und Zugang zu seiner Gnade; daß wir, ohne menschlichen Priester, ohne ein neues Opfer in das ewige Allerheiligste, wo Er ist, hineingehen, und unsrer Seele Verlangen vor Ihm kund werden lassen, und alle Gnade und Gabe, die wir zu unserer Vollendung bedürfen, erhalten können:, das ist freilich ein neuer und ein lebendiger Weg. Dieser Weg ist neu, ihn kannte und hatte bis zu Jesu Christi Vollendung und Eingang in den Himmel das Volk Gottes nie; es war und blieb immer ein von der Sünde zeugender, verhüllender, trennender Vorhang, der Israel hinderte zu dem Heiligen in Israel mit Freudigkeit hinzuzunahen; nur Wenige wußten um die geheime Weisheit, wie Reinigung und Lebenskraft zu einem reinen Herzen und neuen Geistesleben von oben herab aus dem himmlischen Heiligthume und durch Mittheilungen und Wunder des ewigen Hohenpriesterthums dem Menschen kommen müsse. - Lebendig aber heißt und ist dieser Weg, denn er ist ein Weg der Lebendigen; die todte Seele, - die, der es noch nie auferweckend erscholl: Wache auf, die du schläfst, und stehe auf von den Todten, damit dich Christus erleuchte! kann ihn nicht wandeln, denn er ist ein Weg des Lebens selbst, des innern, des eigentlichen, des geistlichen Lebens; jeder Schritt auf diesem Wege ist ein Akt des geistlichen Lebens; es ist ein Weg lebendigen Bedürfnisses, lebendigen Verlangens, lebendigen Glaubens und Gebets; man erhebt sich auf diesem Wege aus der Welt des Todes in die Welt des Lebens hinüber, aus dem Sinnlichen, Sichtbaren, Vergänglichen zu dem Geistigen, Unsichtbaren, Ewigen. Und es ist ein Lebensweg, um Leben ist es einem auf diesem Wege zu thun, und Leben wird auf diesem Wege gefunden; und so war der alte Weg gegen ihn ein todter, den auch die Todten wandeln konnten, ein Weg todter Werke, die an sich kein Leben gaben, und die von vielen Todten mitgemacht und nachgemacht wurden.
Diesen neuen Lebensweg des freudigen Einganges in das Allerheiligste mit seinem Blute hat Jesus für uns eingeweiht t. Als er diesen Weg wandelte, da war es ihm um uns zu thun; Er ist diesen Weg gegangen, und hat ihn gebahnt, daß wir ihn, Ihm nach, auch wandeln möchten. Daß dieser Weg für uns eingeweihet ist, deutet ein Recht an, ihn zu gehen, aber auch eine Verpflichtung, die auf uns ruhet, das Gehen dieses Weges nicht zu unterlassen, nicht zu versäumen. Der vollendete Menschensohn Jesus Christus hat diesen Lebensweg für seine Brüder eingeweihet durch den Vorhang, das ist durch sein Fleisch. Von dem Vorhang, der in dem symbolischen Heiligthume Israels das Allerheiligste jedem menschlichen Blicke verbarg, sagt der Apostel Paulus (Ebr. 9, 8.), der heilige Geist habe damit angedeutet „daß noch nicht geoffenbaret sey der Weg zur Heiligkeit“ (zu Gott und seiner Gnade). Er hing also da zum Zeugniß, daß das wahre Opfer noch nicht da sey und eben so wenig die wirkliche Versöhnung der Sünde, daß also die Sünde, als noch immer nicht geopfert, nicht getödtet, noch immer bei allen Opfern unfähig mache zum Eingang in das Heilige. „Was dem Gesetze unmöglich war,“ (das vom Gesetz eigentlich gemeinte Opfer zu bereiten, die vom Gesetz erforderte Gerechtigkeit zu verschaffen, und so den trennenden Vorhang hinweg zu thun, freien Eingang in das Allerheiligste zu bewirken,) „sintemal es durch das Fleisch,“ (durch die Sünde im Fleisch,) „geschwächet ward, das that Gott und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches, (als ein Sündopfer, vernichtend die Sünde im Fleisch).“ (Röm. 8, 3. 4.) Als nun der Sohn Gottes kam, wie er es im 40sten Psalm auf sich genommen und gelobet hatte, zu kommen als der, dem Gott den Opferleib bereitet habe, daß er seinen bei allen Opfern unerfüllt gebliebenen Willen erfülle und thue; als Er das von Anbeginn eigentlich gemeinte Opfer, die Sünde der menschlichen Natur, unsre Sünde in seinem Leibe auf dem Holze opferte, in seiner Person die menschliche Natur unsündlich machte, in seiner Person die menschliche Natur fähig machte zum Eingang in das Allerheiligste, so alle diejenigen, deren Natur er angenommen hatte, deren Natur er repräsentirte, versöhnte und Gaben für sie empfing, sie alle auch zu heiligen und zum Eingang in das Allerheiligste fähig zu machen; da verlor der Vorhang seine Bedeutung, da stand es anders um die menschliche Natur, da war das Verhältnis) Gottes in seiner Heiligkeit zu den Menschen ein andres als es vorher war - sie waren abgewaschen, sie waren geheiliget, sie waren gerecht gemacht durch den Namen des Herrn Jesu, (durch den Namen und die Würdigkeit des vollendeten Menschensohnes, durch den Namen und die Allgenugsamkeit ihres über alles erhöheten Hohenpriesters und Seligmachers,) und durch den Geist ihres Gottes, (der ihnen nun mitgetheilt wurde). Nur durch das Fleisch, nur durch die Aufhebung der Gestalt des sündlichen Fleisches, durch die Aufopferung der Sünde im Fleisch, konnte den Menschen der Eingang in das Allerheiligste bereitet werden, denn das war der Vorhang, der sie davon ausschloß und trennte. Nicht im Geiste, nicht in seiner höheren Natur und Würde, nicht in sofern er in der Gestalt und Gleichheit Gottes war, hat der Sohn Gottes den Menschen den Lebensweg ins Allerheiligste eingeweihet, sondern vielmehr in sofern er sich zu der Knechtsgestalt des sündlichen Fleisches erniedriget hat, der Menschensohn geworden, in das Fleisch gekommen ist, und im Fleische gelitten und überwunden hat und gestorben ist. Darum auch in dem Augenblicke, als Jesus Christus am Kreuze starb, zerriß der Vorhang vor dem Allerheiligsten im Tempel zu Jerusalem von oben an bis unten ans, vom Himmel niederwärts zur Erde: er zerriß durch Wirkung aus der unsichtbaren Welt; Gott zerriß ihn, der ihn dahingehangen hatte, und bezeugte mit diesem Zerreißen dieses Vorhanges in diesem Augenblicke, daß mm von wegen des Todes und Opfers Jesu Christi den sündlichen und sterblichen Menschen der Weg zur Heiligkeit offen sei, Gnade zu erlangen und ewiges Leben. Wenn also Paulus sagt, Jesus Christus habe uns den Weg in das Allerheiligste eingeweihet durch den Vorhang, das ist durch sein Fleisch, so ist das eben so viel, als wenn er etwas weitläuftiger sagte: dadurch daß er den Vorhang hinweg schaffte; dieser Vorhang aber war nichts anders als die Sünde im Fleisch, die er hinweg gethan hat, da er sterbend unsre Sünde in seinem Leibe opferte auf dem Holze seines Kreuzes.
Wir haben einen großen Hohenpriester über das Haus Gottes, einen Hohenpriester in der Kraft des unauflöslichen Lebens, der, da er ewig bleibt, ein unvergängliches Priesterthum hat, und auf das Völligste selig machen kann Alle, die durch ihn zu Gott nahen, indem er immerdar lebet, für sie einzukommen. Wir haben einen Hohenpriester, der sich gesetzt hat auf den Thron der Majestät im Himmel. Da liegen eigentlich die Lebensnerven und Lebenskräfte unserer Religion. Der, an den wir glauben, auf den wir unsre Hoffnung setzen, dessen Namen wir anrufen, ist nicht nur nicht in, Tode geblieben, da er sich für uns in den Tod hingab, und lebt nicht nur in der himmlischen Welt als Ueberwinder der Sünde und des Todes für sich, an uns mit keinem andern Bande als nur mit dem Andenken treuer menschlicher Liebe gebunden, nein, er ist Hoherpriester, Mittler und Seligmacher im Allerheiligsten, ist als solcher über das Haus Gottes gesetzt, alles Menschliche kommt durch Ihn zu Gott, alles Göttliche durch Ihn zu den Menschen; der für uns erniedriget wurde zur tiefsten Schmach und Angst des Todes, der ist für uns erhöhet zur höchsten Wonne und Kraft des Lebens und der Herrlichkeit; was er ist, das ist er für uns, was er hat, das hat er für uns; uns zu versöhnen, zu heiligen, zu vollenden, ist der Wille, das Wort und die Freude seines unauflöslichen Lebens.
Der neue Bund, dessen Mittler Christus ist, hat die Gnade, die Gabe und das Erbe, denn auch das ewige Eibe haben wir dem Mittler des neuen Bundes, Jesu Christo, und zwar seinem Tode zu verdanken (Ebr. 9, 15 -17.), denn es mußte ein Tod geschehen zur Erlösung von den Uebertretungen, die der erste Bund durchs Gesetz hervorgehoben, zur klarsten Ansicht und innigsten Anerkennung gebracht, worüber das richtende Gesetz den Fluch gesprochen hatte, und die geblieben waren, die keine bildlichen Sühnungen und Reinigungen hatten tilgen können. Er hat also durch seinen Tod das aus dem Wege geschafft, was da hinderte, daß die Verheißung von dem ewigen Elbe an denen, welchen sie geschenkt war, so lange als sie so blieben, wie sie waren, nicht erfüllt werden konnte, was den sein sollenden Erben im Wege war, als rechtmäßige Erben anerkannt zu werden, und das verheißene Erbe zum wirklichen Besitz zu erhalten. Nun können diejenigen, die berufen sind, als Ihm angehörig, durch Ihn versöhnet, gereiniget und geheiliget, das verheißene ewige Erbe erlangen, ohne daß das richtende Gesetz dagegen einkommen, ihr Erbtheil antasten, in Zweifel ziehen, oder gar über sie als Uebertreter des Gesetzes den Fluch sprechen darf. Das ist es, worüber wir „danksagen dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, daß er uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbe der Heiligen im Lichte, und hat uns errettet von der Obrigkeit der Finsterniß, und versetzt in das Reich seines lieben Sohnes, an welchem wir haben die Erlösung, durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden“ (Col. 1, 12 - 14.). Das ist es, worüber wir lobpreisen und sagen: „Gelobet sei Gott und der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Todten zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das behalten wird im Himmel uns, die wir aus Gottes Macht durch „den Glauben bewahret werden zur Seligkeit.“ (1 Pet. 3, 1 - 5.) Wir, die wir glauben, erlangen ein Erbe, wie wir auch nur, in sofern wir des Glaubens sind gesegnet werden mit dem gläubigen Abraham. Unsre Gerechtigkeit sei Glaube und unser Theil sei im Lande der Lebendigen.
Christus ist einmal erschienen und einmal gestorben, aber es harret Seiner ein zweites Erscheinen und Sichtbarwerden, nicht um gerichtet zu werden, sondern um zu richten und das entscheidende Gericht über alle Menschen zu fällen (Math. 25, 31.), und. dann erst wird man Ihn in seiner Vollendung erblicken. Wie es beim Sterben des Menschen unausgemacht bleibt, was er von seinem Leben auf Erden und dem darin bewiesenen guten oder bösen Verhalten hat, so ist es bei dem Tode Christi vor Menschen Augen unausgemacht geblieben, wer Christus sei und was das Opfer Christi sei, was es zu bedeuten habe, ob man es im Unglauben verachte und ausschlage, oder im Glauben Antheil daran erlange? Aber Er wird noch einmal erscheinen, nicht in Knechtsgestalt, sondern in Seiner Herrlichkeit, als der vollendete Menschen Sohn, in der Herrlichkeit seines Vaters und seiner heiligen Engel, Furcht und Entsetzen des Todes einflößend seinen Feinden; aber den Seinigen, die auf Ihn warten zur Seligkeit, als Erfüller ihrer Hoffnungen. Da werden die Seinigen ein solches Maaß von Leben erhalten, daß es ihnen dünken wird, als haben sie das Leben vorher noch nicht gekannt.
Anhang.
„Kern und Stern, wie der Schrift selbst, so der lebendig-christlichen Schrifttheologie Menken's ist die Christologie, eben darum mit der größten Liebe, Eigenthümlichkeit und Gründlichkeit in Schriftbeweisen ausgeführt. Bemerkenswerth sind bei ihm die starken Ausdrücke über die möglich tiefste Selbstentäußerung Christi von den unendlichen Eigenschaften seiner höhern Natur, von dem möglichst realen Charakter und Bedürfniß menschlicher Natur und Entwicklung, von einer Prüfungs- und Sündefähigkeit ohne wirkliche Aufhebung seiner menschlich und übermenschlich begründeten Sündlosigkeit. Die Thätigkeit Christi wird nach dem alten gegen die bekannten Angriffe einer verflachend-eleganten Methode neuerdings mit Recht vertheidigten Lehrtypus der Schrift vom hohenpriesterlichen und königlichen Amte Christi behandelt, und beide nach ihrer vollständigen und erhabenen Bedeutung für den Zweck und das Werk Gottes durch Christum, das Hohepriesterthum Christi besonders durch reale Beziehung auf das vorbildlich-levitische erklärt, und in der tiefen Idee des Mittlers begriffen. Damit wird das ganze Erlösungswerk sowohl nach Umfang und Zweck, als nach Bestandtheilen und Mitteln, endlich nach dem Zusammenhang, zu dem Zwecke und Mittel verknüpft sind, in ihr glänzendes Licht gestellt. Umfang und Zweck der Erlösung erstreckt sich zunächst auf die Menschen, auf ihre Beseligung und Rechtfertigung auf der einen, auf ihre Heiligung und Herrlichmachung auf der andern Seite; auf jene der Tod, auf diese die Erhöhung des Herrn; mittelbar bezieht sie sich auf die ganze vernünftige Schöpfung, sofern ihre Beseligung und Zusammenfassung Belohnung des Herrn, der Erlösung Folge und Mittel, ja Endzweck der Schöpfung selbst ist. Indem so weder die Erlösung ausschließend auf das Leiden Christi, noch sein Leiden ausschließend auf die Erlösung der Menschen, sondern als Prüfungsleiden zugleich auf ihn und seine Erhöhung zum Haupte der Schöpfung bezogen wird; so wird der unendliche Werth des Todes Christi eben so wenig geschmälert, als durch die jüngst so grell angefochtene Art, wie Menken den Zusammenhang zwischen Christi Leiden und unsrer Erlösung bestimmt. Er vermittelt ihn in scharfem Gegensatze gegen die kirchliche Theorie nicht durch die Idee der Strafe und ihrer stellvertretenden Uebernahme. Auf's nachdrücklichste bekämpft er diese sowohl nach ihrer ursprünglichen gröbern, als nach ihrer nachherigen, feineren Ausbildung, jene durch starke Hinweisung auf ihren sittlich verwerflichen Anthropomorphismus, diese (die Mittelidee eines exemplarischen Zweckes des Strafleidens Jesu, seit Grotius von Storr vorzüglich begründet) durch den Vorwurf des grellen Widerspruchs, in welchen das Gesetz bei dieser seiner höchsten Sanktion mit sich selbst komme; beide zusammen aber durch die Behauptung ihrer bloß menschlichen und kirchlich-traditionellen Begründung ohne und wider die höhere, biblische. Nach dieser wurzelt ihm das Werk der Versöhnung nicht in der Strafgerechtigkeit, sondern in der lautern Liebe Gottes, kraft der sich Gott dabei nicht leidend, sondern thätig, nicht versöhnt, sondern versöhnend verhält; nach ihr fällt die Idee der Strafe, weil sie nicht göttliche Genugthuung, sondern menschliche Besserung zum Zwecke hat, und weil ihr Begriff auf die Erbsünde und ihre Folgen nicht anwendbar ist, auch bei der Erlösung weg; in ihr, der Schrift, findet, er eben so wenig in einzelnen Zeugnissen, als in ihrem ganzen Geiste, die Versöhnung durch ein Strafleiden Christi begründet; um so bestimmter aber, namentlich nach der hauptsächlich benützten Stelle Röm. 5, 12 - 21. durch seiner Leiden sittlichen Werth. Ihre Opferbedeutung und Entsündigungskraft steht in der Hingabe seines sündlichen Fleisches, in dessen Gestalt er erschien (Röm. 8, 3.), in der reellen, sittlichen Opferung und Vernichtung der Sünde selbst durch den wesentlich in ihm wohnenden ewigen Geist, d. h. in Ueberwindung der alleräußersten Schwierigkeiten des Gehorsams und der allermächtigsten Reize zur Sünde, für die seine menschliche Natur nicht absolut unzugänglich war; kurz in der reinen Vollendung der menschlichen Natur in ihm (und ihrer Ehrenrettung vor Gott, die einer um seinetwillen ergehenden Lebens- und Ehrenerklärung über das menschliche Geschlecht überschwänglich werth war. Und so sind wir bis auf den innersten Punkt dieser heiligen Lehre gekommen, wo das Licht der Erkenntniß wieder vom Dunkel des Glaubens, und der ethische Zusammenhang und Charakter der großen Thatsache und ihrer großen Wirkungen von dem Geheimnisse, das in den höchsten Ideen und Offenbarungen der Gnade immer zurückbleibt, bedeckt wird. Es ist wohl kaum zu läugnen, daß auch Menkens Entwicklung nicht alle Knoten gelöst, sondern durch fast verletzende Anstreifung an die unsündliche Natur Christi, durch Absehen von den Stellen der Schrift, die einen Bund der Gerechtigkeit und der Liebe Gottes im Versöhnungstode, oder die segnende Uebertragung fremder Leiden auf Christum bezeugen, sich in eigene Schwierigkeiten nach Ueberwindung anderer verwickelt, dagegen bei dem oft in seiner krassesten Gestalt angesehenen System die feinere Lösung mancher Schwierigkeiten, wie z. B. die psychologische Erklärung der Theilnahme Christi an den Strafleiden der Sünde durch das gesteigertste Maß seiner mitempfindenden Liebe übersehen, und den innersten Grund der göttlichen Anstalt in der Liebe Gottes als Vereinigungspunct beider Theorien nicht genug anerkannt hat. Immer ist zu bekennen, daß Menken durch die läuternde Hervorhebung des Ethischen und Innerlichen über das Aeußere und Gerichtliche, der thätigen Seite des Versöhnungswerks über die leidende, durch die bündige Verknüpfung des Menschlichen und Göttlichen in Christo als Versöhner, und seiner Erniedrigung und Erhöhung im Werk der Erlösung, überhaupt durch die konzentrirende Tiefe und Fruchtbarkeit, wie durch die objektive Bestimmtheit der Betrachtung dieser hochwichtigsten, aber so vielfach verkannten, verfolgten, verflachten oder verwirrten Lehre einen sehr verdienstvollen Beitrag zu ihrer Beleuchtung geliefert hat, dem in der Geschichte derselben, auch ihrer in der neuen Theologie wieder sehr belebten Erforschung eine ehrenvolle Stelle gebührt.
Quelle: Die Versöhnungslehre von D. Gottfried Menken.
In wörtlichen Auszügen aus dessen Schriften.
Bonn 1837
Bei Adolph Marcus.