Melanchthon, Philipp - An Melchior zu Rebdorf, Profeß

24. Juli 1521

Dem andächtigen Bruder Melchior zu Rebdorf, Profeß, meinem Bruder in Christo.

Gnad und Fried etc. Es hat euer Both Doctor Martinum nicht anheim gefunden. Darum dieweil ich Befehl von ihm hab, [hab ich] ere Schriften aufbrochen und gelesen. Sollt ihr anfänglich wissen, daß euer Leben, dieweil ihr eine christliche Arbeit thut, ein Pister1) sey, ein guter Stand ist, und vom Teufel, der euch anficht, nicht solche Gedanken lassen zu Statt kommen, daß ihr euern Stand verändert. Fürwahr auch, so der Stand nicht gut wäre, würde euch der Teufel dermaßen nicht anfechten, es wäre denn daß ihr Beschwerde hättet der Gelübden halb, daß ihr Keuschheit nicht möchtet tragen. Hierzu gehört ander Rath, denn da rath ich nicht von. Aber also sollt ihr wissen, ob ihr meinet, daß christlichs Wesens mehr ihr geleben möchtet, so ihr eurer Andacht und Devotion nachlebtet, ist solche Meinung ganz irrig, und ist ein Betrug. Denn wahre Fromkeit steht in keiner äußerlichen Weise oder Devotion, sondern in Glauben, Hoffnung, Lieb der Herzen, und der alleredleste Stand auf Erden, der je mag seyn, ist, daß ihr also mit willigem Herzen euern Brüdern dienet, bei denen ihr seyd. Ihr wißt, daß Christus spricht: sie werden euch sagen, hie ist Christus, dort ist Christus, glaubt es nicht, denn das Reich der Himmel in euern Herzen muß seyn. Auch kein fährlicherer Stand auf Erden ist, denn Priesterstand, von wegen der erschrecklichen grausamen Unordnung des Sacraments der Messen. Hierum wollet ihr in Christo euch hüten, daß ihr nicht Priester werdet. Ich wollte auch euch bitten, darvon zu lassen, so ihr's jetzund wäret, viel mehr so ihr's noch nicht seyd.

Was aber rechter Brauch der Messen sey, möget ihr lernen aus einem Sermon unsers Vaters D. Matrini, deß Titulus ist von de Novo Testameno teutsch. Hierum rath ich euch zu bleiben in eurer Arbeit, und in der fröhlich Gott dienen. Ihr sollt weiter hierum lesen ein Büchlein Doctoris Martini von guten Werken. Da lehret er, daß gute Werke sind nicht Bethen allein oder solche Weisen, sonder aller Handel christlicher Menschen.

Von der Beicht habt den Bericht, daß ihr nicht schuldig zu sagen, was ihr wollt heimlich haben, wie ihr genugsam Bericht werdet finden in dem Buch, so jetzund wird allhie gedruckt von der Beicht. Denn ganz kein Spruch in der schrift die Beicht gebeut. Die Absolution müßen wir haben, aber sie müßen die Sünden nicht wissen, dieweil die doch auch absolviren von viel Sünden, die uns selbst unwissend. Können sie von denselben absolviren, warum auch nicht von allen?

Zuletzt wißt, daß geschrieben ist in Actor. cap. 5. oportet Deo magis obedire quam hominibus2), wo euch was gebothen wird wider Gott, sollt ihr nicht gehorsam seyn.

Ich befehl euch zwei Büchlein Doct. Martini zu lesen, von christlicher Freiheit und von guten Werken, aus denen ihr eurer Fragen einen guten Bericht finden werdet. Gott geb euch seine Gnad und führe euch je seine Wege. Datum Wittenberg auf den Abend Jacobi. Wollet euch befohlen lassen seyn diesen Zeiger der Brief. Wollet auch ihr fleißig lesen D. Martini Luthers Schriften, daraus ihr guten Verstand christlicher Lehre empfangen werdet.

Philippus Melanchthon

Paulus hat ernst gebothen ad Ephesion 5, daß wir mit unsrer Hand arbeiten. Hierum verlasset ihr eure Arbeit nicht. Es [ist] nicht alles christlich, das den Schein hat.

Quelle: Bretschneider, Carolus Gottlieb - Corpus Reformatorum, Volumen I

1)
Bäcker
2)
Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen