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Melanchthon, Philipp - Am Tage Johannes des Evangelisten. Text Evangelium Joh. 21. (Einige Andeutungen aus der Lebensgeschichte des Johannes.)

Der Evangelist Johannes gehörte zum Stamme Juda. Sein Vater war Zebedäus, seine Mutter Salome, die Schwester Josephs, des Verlobten der Maria. - Er war demnach mit Christus im dritten Grade verwandt. - Er erreichte ein hohes Alter, was wenigen Andern widerfuhr; denn er wurde gegen 90 Jahr alt; zur Leidenszeit Christi betrug sein Alter etwas über 20 Jahre. Nach alten Schriftstellern besaß er ein Haus zu Jerusalem, in welchem Maria mit ihm nach der Auferstehung des Herrn zusammen wohnte, weil ihm Christus im Augenblicke seines Todes am Kreuze Seine Mutter ganz besonders empfohlen hatte. Nach Maria's Tod soll er sich aus Jerusalem wegbegeben haben. Er lehrte aber vornehmlich in Ephesus. Unter Domitian wurde er nach Pathmos verwiesen, welche eine der cykladischen Inseln ist. Er predigte demnach nach der Auferstehung Christi bis zu seiner Verbannung 63 Jahre. - Trajan gestattete in der Folge den Verbannten Rückkehr. Da kehrte auch Johannes nach Ephesus zurück. Er starb im dritten Regierungsjahre Trajans, ungefähr im fünften Jahre von der Zeit seiner Verbannung an gerechnet, weil Sophronius ausdrücklich schreibt, er sei im 68. Jahr nach der Auferstehung Christi gestorben, da die übrigen Apostel und Paulus längst zuvor gestorben waren.

Gott weist den Lehrern der Kirche gar verschiedene Lebensbahnen an, und erhält Manche wunderbarlich, um Zeugen und Wächter des Evangelium zu sein; und vielleicht wurde das dem Johannes von Christus, als Er ihm Seine Mutter übergab, angedeutet, daß er am längsten unter den Aposteln Seine Kirche verwalten würde. Diese Mutter wollte Christus seiner Pflege und Sorgfalt ganz vorzüglich empfohlen wissen. In Ephesus lehrte er nicht nur das Volk, sondern hatte auch eine Schule, wie denn überhaupt damals die Bischöfe nicht bloß in öffentlicher Versammlung lehrten, sondern auch besonders noch Einige unterrichteten. Er hatte daher viele Zuhörer, die nach seinem Tode die Lehre ausbreiteten. Unter ihnen war Ignatius, später Bischof zu Antiochien, der Bischof von Smyrna, Polykarpus und Papias, Bischof von Hierapolis. Die Zeugnisse dieser Männer waren für die Kirche von großem Vortheil und die Bekanntschaft mit ihnen wird zu allen Zeiten ersprießlich bleiben. - Die Schriften des Johannes muß man mit besonderer Sorgfalt und Genauigkeit lesen. Er schrieb seine evangelische Geschichte zuletzt unter Allen, und hat ausgezeichnete Reden und Wunderthaten Christi darin aufgenommen, welche die übrigen Evangelisten nicht erzählen. Den Artikel von der Gottheit des Sohnes hat er ganz besonders ins Licht gesetzt. Er hat aber auch Vieles übergangen, was von den Uebrigen schon früher geschrieben war; denn es war ihm eigenthümlicher Zweck, Das aufzuschreiben, was die Uebrigen übergangen hatten. Seine Sprache ist sehr edel, gleich anziehend wegen ihrer Reinheit, Eigenthümlichkeit und Lieblichkeit. - Eusebius erzählt, er habe sein Evangelium zur Widerlegung des Ebion und des Cerinth geschrieben, welche in Christo nur eine menschliche Natur annahmen. Ohne Zweifel mußten ihm jene unseligen Spaltungen, zumal in Ansehung des wichtigsten Glaubensartikels, sehr schmerzlich sein; obgleich es auch viele andere Selten in jener Zeit gab, deren traurige Irrthümer er nicht ohne den tiefsten Seelenschmerz betrachten konnte. Auch mußte er Zeuge von dem Fall Jerusalems und von den ununterbrochenen Unruhen seines Volkes vor und nach demselben sein, bei welchen täglich viele Menschen umgebracht wurden. Bei diesem Falle seines Vaterlandes und dem Untergange seines Volks belehrte ihn die Sache selbst, daß das Los der Kirche in diesem Leben fortwahrende Kampfe und Mühseligkeiten sind, und er gewann die Ueberzeugung, daß einst der Glanz der Kirche ein anderer sein werde; er lernte, daß auch in diesem Leben Gott Seine Gerichte in der Züchtigung der Gottlosen offenbare.

Gott hat die Lehre des Johannes auch durch Wunder bestätigt. Die Geschichte der alten Kirche zählt Mehrere namentlich auf, welche er vom Tode erweckt; er selbst entging, sowohl als man ihm Gift gereicht, als auch, da er in ein Gefäß voll siedenden Oels geworfen worden war, unversehrt dem Tode.

Eusebius erzählt noch zwei Geschichten, welche Erwähnung verdienen. Die eine betrifft den Tod des Cerinth. Als Johannes erfuhr, daß Cerinth, im Bade sitzend, unter seinen Genossen seine Lästerungen (gegen Christus) ausstoße, ermahnte er seine Zuhörer, mit welchen er zu dem nämlichen Badehause gekommen war, schnell mit ihm umzukehren, „denn Gott“ sprach er, „wird solche Lästerungen nicht dulden;“ und sobald sie herausgegangen waren, brach das Gebäude zusammen und begrub den Cerinth nebst den Seinigen unter seinen Trümmern.

Die andere Erzählung hat einen Jüngling zum Gegenstand, der von Johannes zur Buße zurück gerufen worden. Johannes hatte einen Jüngling von ausgezeichneten Geistesfähigkeiten einem gewissen Bischof in einer Nachbarstadt von Ephesus empfohlen. Nachdem er die Hauptlehren des Christenthums gelernt und die Taufe erhalten hatte, verließ er in der Folge die Schule des Bischofs, und schloß sich schlechter Gesellschaft an. Als Johannes seinen Aufenthalt erfuhr, begab er sich selbst zu dem Raubgesindel, in dessen Gemeinschaft Jener sich befand, und ließ nicht eher ab, als bis er ihn von Jenen abgezogen hatte. Ungeachtet der Jüngling Anfangs den Anblick des Johannes floh, so kehrte doch, nachdem ihm von demselben Verzeihung zugesichert worden war, mit ihm zur Kirche zurück. Ein deutliches Beispiel, daß auch Gefallene zu bußfertiger Gesinnung zurückkehren können, und wenn sie aufrichtige Zeichen der Buße geben, in der Kirche aufgenommen werden müssen.

So viel von der Geschichte des Johannes, der fast allein unter den Aposteln einen ruhigen Tod gestorben ist, während die meisten Uebrigen gewaltsam hingerichtet worden sind.

Wir wollen nun einige Hauptpunkte aus dem heutigen evangelischen Abschnitte ausheben. Es sind aber vornehmlich zwei, welche im täglichen Leben die vielfachste Anwendung finden, der erste: vom Unterschied der äußern Zucht und des Kreuzes, der zweite: von der eigenthümlichen Berufung eines Jeden, und von der Verpflichtung, sich vor unnützer Vielthuerei, vor Neugierde und Mißgunst zu verwahren. Zuerst spricht Christus zu Petro: „Da du jünger warest, gürtetest du dich selbst; wenn du aber alt wirst, wird ein Anderer dich gürten.“ Hier wird eine doppelte Umgürtung beschrieben; die erstere bedeutet die äußerliche Zucht, d. I. die Leitung der Vernunft, nach welcher wir unser äußeres Betragen den göttlichen Geboten gemäß einrichten. Das kann der menschliche Wille einiger Maßen leisten. Die andere Umgürtung ist etwas viel Wichtigeres, sie bedeutet nämlich, dem Kreuze sich unterwerfen und Anfechtungen ertragen, die man sich nicht durch seinen eigenen Willen zugezogen. Indem bei Ertragung derselben die Heiligen Geduld und Standhaftigkeit bewähren, beginnt die Ertödtung, und die geistige Gottesverehrung lebt in ihnen auf.

Christus stellt beide zusammen, um dem Petrus die Einbildung zu benehmen, das Reich Christi werde in süßer Ruhe bestehen, und die Apostel würden in demselben Macht und Reichthum besitzen, Länder beherrschen, und alle Gemächlichkeit und Ergötzlichkeiten dieses Lebens genießen. Diesen süßen Traum greift Christus an und will, daß Petrus sich auf das Kreuz vorbereite und sich überzeuge, Gott wolle, daß er Ihm diene, nicht allein in äußerlicher Zucht, sondern auch durch geistigen Gehorsam, von dem ein Theil Geduld in Anfechtung ist.

Ich will nun die Gründe angeben, um deren willen alle Menschen zu äußerlicher Zucht verpflichtet sind.

Der erste Grund ist: Die Nothwendigkeit, dem Gebote Gottes Folge zu leisten; ein hochwichtiger Grund, weil alle Kreatur ihrem Schöpfer gehorchen soll. Darum ist der Mensch, als vernünftiges Geschöpf, verpflichtet, folgende göttliche Gebote auch in Ansehung der äußerlichen Zucht zu befolgen: „Du sollst keine andern Götter neben Mir haben; du sollst kein Götzenbild verehren; du sollst den Namen des Herrn nicht mißbrauchen; du sollst nicht tödten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen, u. s. w. (2. Mos. 20, 3 ff.) - Das Wort: „du sollst“ bedeutet hier allerdings nicht einen Zwang, sondern vielmehr die göttliche Ordnung, nach welcher das vernünftige Geschöpf verbunden ist, Gott folgsam zu sein, und schließt also die freie Selbstbestimmung zum Gehorsam nicht aus. -

Der zweite Grund ist: die Nothwendigkeit, Strafe zu vermeiden. Er wird einleuchtend nicht nur an obrigkeitlichen Strafen, sondern auch an allen göttlichen Strafgerichten. Viele wähnen, wenn sie nur nicht von der Obrigkeit zu öffentlicher Strafe gezogen würden, so hätten sie Nichts zu befürchten, wie sehr sie sich auch ihren Lastern überließen. Es weist uns aber die Schrift auf die göttliche Ahndung hin, wie Hiob spricht: „Ich fürchte mich vor Ihm wegen meines Thuns; denn Er vergilt dem Menschen, nach dem er's verdient hat, und schonet die Uebertreter nicht!“ (Hiob 23, 15. vergl. 34, 11.) Es ist daher gar nicht anders anzunehmen, als daß unausbleiblich die Strafe folgen werde, so oft wir die Zucht verletzen. So gewiß der Satz ist: Gott ist; eben so gewiß ist der: Gott ist ein gerechter Bestrafer der Sünde. So gewiß das Feuer brennt, so gewiß ist es göttliche Ordnung, daß schwere Vergehungen durch schwere Strafen geahndet werden. Darum heißt es: „Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen!“ (Matth. 26, 51.) „Wehe dem, der sein Gut mehret mit fremdem Gut!“ (Habak. 3,6.) „Die Hurer und die Ehebrecher wird Gott richten!“ (Hebr. 13, 4.) „Gott wird den nicht ungestraft lassen, der Seinen Namen mißbraucht!“ (2. Mos. 20, 7.) und: „Verflucht sei, wer Vater oder Mutter verachtet!“ (Sirach 3, 18.)

Beispiele zu diesen Aussprüchen finden sich allenthalben, in der heiligen, wie in der Profangeschichte, und die tägliche Erfahrung nöthigt selbst den Heiden das Geständniß ab, daß die Menschen nicht ungestraft sündigen. Daher die Aussprüche: „Ein vergeltendes Auge hat Gott!“ „Auf die Sterblichen schau'n mit richtendem Auge die Götter.“ „Wie die That, die er schuf, so ist das Ende des Mannes.“ Und treffend sagt Pindar: „Süß ist der Raub, doch herb der Nachgenuß.“ -

An solche Aussprüche muß man sich erinnern, auf die Beispiele im täglichen Leben achten, und mit allem Ernst solche Gedanken fern von sich halten, mit denen so Viele sich schmeicheln: Ich will meinen Begierden folgen, so lange ich es Alters halber kann, und werde doch durchkommen. Aber du wirst es dennoch nicht, wie sehr wahr Salome sagt: „das gottlose Wesen errettet den Gottlosen nicht; und ob auch ein Sünder lebet, und nicht bald geschieht ein Urtheil über seine bösen Werke, so wird es doch zuletzt ihm nicht wohl gehen.“ (Pred. Sal. 8, 8. 12.13.) Damit stimmt auch der Ausspruch jenes heidnischen Dichters zusammen:

„Armer! und wenn auch zuerst du künstlich verbirgest den Meineid,
Spät holt, leisesten Schritt's, dennoch die Rache dich ein.“

Wir sehen, daß Räuber und Diebe zuletzt doch noch von der Strafe ereilt werden, und Vielen geschieht's, daß sie sich von selbst dem Gerichte stellen. Gott will Seine Gerechtigkeit kund machen; darum straft Er die Uebelthäter. Und Er ist nicht etwa langsam in der Vollziehung Seiner Strafgerichte, Das geschieht in diesem Leben nach fester Regel, und zwar wird der Mensch gemeiniglich durch Das bestraft, wodurch er gesündigt.

Obgleich Gott bei Bußfertigen die Strafen mildert, so ahndet Er doch auch an Heiligen die Vergehungen; und wir wollen es nur nicht verkennen, daß nur darum so viel Noth und Unheil in der Welt verbreitet, so vielfältige Strafe über sie verhängt ist, weil die Welt Sünden häuft, und göttliche und menschliche Rechte verachtet. Jeder maßt sich Willkür an, zu thun, was ihm beliebt, daher kann es nicht anders kommen, als daß wir besondere und allgemeine Züchtigungen erfahren.

Der dritte Grund ist: die Nothwendigkeit, das Glück Anderer nicht zu stören. In dieser Beziehung heißt es: „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst!“ (Matth. 22,39.) und: „Was du nicht willst, daß man dir thue, das thue einem Andern auch nicht!“ (Tob. 4, 16.) Wir sollen nicht so rücksichtslos sein, zu meinen, wir ständen allein da im menschlichen Geschlechte, sondern uns im Zaume halten, damit auch Andere geruhig leben können. Wer das nicht thun, und die Ruhe und Zufriedenheit Anderer nicht berücksichtigen will, ist jenem Brudermörder Kain nicht unähnlich, der auf die Frage des Herrn: „Wo ist dein Bruder Abel?“ sich durch den Einwand rechtfertigen will: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ (1. Mos. 4, 9.) Aber er kann mit dieser Ausflucht weder Gott, noch seinem Gewissen genug thun.

Hierher gehört noch, daß die Verletzung der äußern Zucht auch durch das Aergerniß Andern schadet, weil, was Andere dich thun sehn, bald auch selbst nachzuahmen versuchen. -

Noth ist übrig der vierte Grund, in Ansehung dessen Paulus spricht: „Das Gesetz ist unser Zuchtmeister gewesen bis auf Christum.“ (Gal. 3, 24.) Es ist daher äußerliche Zucht auch darum nothwendig, damit die Menschen von Christus können belehrt werden, und damit Christus in ihren Herzen wirksam sein kann. Denn diejenigen, welche ihren verbrecherischen Wandel verfolgen, und hartnackig fortfahren, die Zucht zu verletzen, stoßen Christum von sich, und der heilige Geist kann in ihnen nicht wirken. Auch kann unmöglich Glaube entstehen in dem, der sein Gewissen freventlich verletzt. Darum steht geschrieben: „Irret euch nicht; kein Hurer oder Ehebrecher hat Erbe am Reiche Gottes, und darum kommt Gottes Zorn über die Kinder des Ungehorsams.“ (Ephes. 5, 5. 6.) Wer ein Ehebrecher, Hurer, oder überhaupt ein lasterhafter Mensch bleiben, wer in irgend welchem bösen Vorsatz verharren will, der soll wissen, daß er keine Vergebung seiner Sünden erlangen kann, weil jener eidlich bekräftigte Ausspruch Gottes als nothwendig die Bekehrung fordert: „So wahr Ich lebe, Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß er sich bekehre und lebe.“ (Ezech. 33, 11.) Und Jesaias ruft aus: „Lasset ab vom Bösen; lernet Gutes thun!“ (K. 1, 16.17.) Nothwendig ist es daher, die Sünden wider das Gewissen abzulegen.

Diese Gründe, welche uns zur Beobachtung der Zucht verpflichten, müssen Allen bekannt sein, weil sie, je fleißiger wir sie beherzigen, desto mehr uns zu einem wohlgeregelten Betragen ermuntern. Wenigstens ist Unwissenheit und ein rohes Cyklopenleben mit nichten, wie Manche meinen, Tugend. Oft, wenn ich unsere Zeit betrachte, erfaßt mich ein so gewaltiger Schmerz im Innern, daß er mich fast aufreibt, zumal wenn ich wahrnehme, wie aller Orten die wahnsinnigste Feindschaft gegen das Gesetz überhand nimmt.

Nachdem ich nun von den Verpflichtungsgründen äußerer Zucht gehandelt, will ich das Bild, dessen sich der Herr in dem Worte: „gürten“ bedient, auf die Erklärung des Begriffes „Zucht“ anwenden. Im Menschen sind zweierlei Kräfte, welche bestimmungsfähig sind: das Herz, und die Kraft äußerlicher Bewegung; sie werden aber auf verschiedene Weise geleitet. Im Allgemeinen ist eine andere Leitung die bürgerliche, welche durch Ueberzeugung, eine andere die streng gebietende, welche durch Befehl den zu leitenden Gegenstand bestimmt. Das Herz nur wird durch bürgerliche Leitung, d. i. durch Ueberzeugung, bestimmt; die Kraft äußerer Bewegung aber wird durch das gebietende Machtwort geleitet, weil die äußern Glieder gezwungen werden können, nach dieser oder jener Richtung sich zu bewegen. Ich kann die ,Augen abwenden, damit sie nicht sehen; ich kann mich auch im Durste des Trinkens enthalten; ich kann den Händen gebieten, daß sie nicht stehlen, oder einen Andern nicht schlagen sollen. Von dieser Leitung und Bestimmung der äußern Bewegungsfähigkeit nun redet der Herr, wenn Er spricht: „gürtetest du dich.“ Und diese Bestimmung hat die natürliche Vernunft in ihrer Gewalt, und es ist Nichts gesagt, wenn du sprechen wolltest: Ich kann mich dieses oder jenes Vergehens nicht enthalten! Vielmehr hat Gott diese Freiheit im Menschen gelassen, daß er seine äußern Gliedmaßen zügeln kann.

Die innere Regierung des Herzens ist schlaffer, da hingegen die Bestimmung unserer äußern Bewegungen mehr in unsrer Gewalt ist, und diese gewährte uns Gott, damit wir eine Vorstellung von dem Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit oder Gebundenheit haben, und erkennen sollen, Gort selbst sei ein freies Wesen, damit aber auch die menschliche Gesellschaft durch eine wohl geordnete Zucht erhalten werden könne. Es ist daher eines Jeden Pflicht, daß er diese Freiheit, d. h. diese Fähigkeit, sein Betragen im Aeußern zu zügeln, übe, und wir, die wir in der Kirche sind, sollen zugleich Gott anrufen, daß Er uns durch den heiligen Geist regiere, nicht nur in Ansehung äußerlicher Zucht, sondern auch in Beziehung auf die Beherrschung der Leidenschaften und Begierden, wie jener Psalm (51, 12.) fleht: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz.“ Die Geheiligten aber, die vom heiligen Geiste unterstützt werden, beobachten sicherer die äußerliche Zucht, und empfinden in ihrem Innern selbst geistige Regungen und Antriebe.

Es ist dieß eine gar große Gnade Gottes, daß Er die Kirche zu einer Wohnung des heiligen Geistes bestimmt hat, und durch denselben in uns wohnen will. Diese unermeßliche Güte Gottes müsse uns ermuntern, daß wir uns selbst Zaum und Gebiß anlegen, oder, wie Christus hier sagt, „uns gürten,“ „und wandeln nicht als die Unweisen, sondern mit großem Ernst,“ wie Paulus empfiehlt (Ephes. 5, 15), indem er Unweise die nennt, welche weder weise in der Wahl ihrer Zwecke sind, noch ihre Leidenschaften und Begierden im Zaum halten mögen.

Vom Kreuz und von der Geduld.

Wiewohl aber der Fleiß der Wiedergeborenen in äußerer Zucht Gottesdienst ist und seine Belohnungen hat, so meint doch Christus eine viel höhere Weisheit, welche die Vernunft nicht kennt, wenn Er in Ansehung der andern Umgürtung spricht: „Ein Anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst.“ Er deutet nämlich darauf hin, daß die Kirche dem Kreuz unterworfen, und daß Gehorsam gegen Gott in Anfechtungen ein viel höherer Gottesdienst ist, welchen das Bekenntniß der Lehre, standhafter Glaube, Gebet, Hoffnung auf Hilfe und Rettung begleiten. Diese Weisheit kannten Petrus und die übrigen Apostel noch nicht, da sie nicht allein vor dem Leiden Christi, sondern auch nach der Auferstehung des Herrn noch in Träumen von einem süßen Genuß dieses Lebens und von einem politischen Messiasreiche befangen waren. Diese Träume widerlegt hier der Herr mit den Worten: „Ein Anderer wird dich binden,“ gleich als wollte Er sagen: die Kirche ist dem Kreuze unterworfen, vor Allen aber sind es die, welche lehren und das Amt führen; denn diesen kündigt auch Moses in dem Segen, den er dem Stamme Levi ertheilt, vornehmlich das Kreuz an, wenn er sagt: „Wer zu seinem Vater oder Mutter spricht: Ich sehe euch nicht“ u.s.w. (5. B. Mose 33,9.)

Einen heftigern Eindruck aber macht auf die Menschen äußeres Ungemach, wenn sie in das Alter treten, und doch begegnet es Vielen, daß sie gerade im Alter ihre Noth erfahren; weßhalb es auch heißt: „Fürchte das Alter, denn es kommt nicht allein.“ Die Jugend trägt widrige Schicksale leichter, theils weil sie mehr Frische des Körpers und Geistes besitzt, theils weil sie in ihrem leichten Sinne sich weniger um ernste Angelegenheiten kümmert; schwerer hingegen wird es alten Leuten, zu ertragen, was ihnen zustößt, weil ihre Kraft abnimmt, und Schwäche eintritt. Sie pflegen sich weit mehr mit Sorgen über gegenwärtige oder bevorstehende Uebel zu peinigen, oft auch sind die Umstände an sich so beschaffen, daß sie auf bejahrte Leute einen tiefem Eindruck machen, sie schmerzlicher berühren müssen. Isokrates sagt: „Wie man im Unwetter einer Bedeckung bedarf, also im Alter der Ruhe der Seele;“ d. h. es darf Nichts vorhanden sein, was die Seele schmerzlich erregt, dergleichen Sorgen und Ursachen zu Sorgen sind.

Es gehört dieß zur Schilderung der menschlichen Natur, wie wir sie aus Erfahrung kennen lernen. Ein anderer Ausspruch sagt von den Greisen bei Thukydides: „Nahrung für Greise ist die Ehre.“ Bejahrten Menschen thut es am wehesten, wenn sie sich verächtlich behandelt sehen, und doch ist es ein allgemeiner Fehler, daß die, so in des Lebens Blühte stehen, das Alter verachten, und schon Jesaias zählt es zu den großen, schmählichen Uebeln in der Welt, daß die Ehrerbietung gegen das Alter untergegangen sei.

Darum sagt Christus Petro nicht allein vorher: „Du wirst Leiden zu erdulden haben;“ sondern fügt hinzu: „wenn du alt sein wirst.“ Er will ihn vorbereiten auf künftige Noth, und zwar, die ihn in dem Alter treffen werde, in welchem er, dem Fleische nach, eine viel herbere Empfindung des Schmerzes haben werde. Wir sollen aber wissen, daß auch wir bereit sein sollen, das Kreuz zu tragen, dann nämlich, wenn es Noth sein wird, wie Petrus spricht: „Niemand aber unter euch leide als ein Uebelthäter, sondern wo es Noth ist.“ (1. Petr. 4, 15.) dl h., wenn es das Bekenntniß der Wahrheit fordert, welches hier mit dem süßen Lobspruch geziert wird, daß es Gott preise. Denn Johannes sagt, Christus habe Solches gesprochen, „zu deuten, mit welchem Tode Er Gott preisen würde.“ Gottesdienst ist es demnach, ob dem Bekenntniß leiden, oder durch sein Leiden bezeugen, daß man wahrhaft dieser Ueberzeugung sei, durch solches Zeugniß die Wahrheit ausbreiten und Viele zur Erkenntniß und zum Preise Gottes führen.

Klemens von Alexandrien erzählt, daß Petrus seine Gattinn, als er sie zur Hinrichtung führen gesehen, angeredet, und ihr diese Trostworte zugerufen habe: „Gedenke des Herrn, mein theures Weib; das ist die Ehe der Heiligen!“ Diese Erzählung bezeugt, daß dem Petrus in seinem Alter widerfahren ist, was ihm der Herr vorher verkündigt hatte; ja er selbst würde später in Rom auf Befehl des Nero hingerichtet.

Mit Recht aber wird diese Erzählung gegen den fanatischen Wahn von jener stoischen Unempfindlichkeit (das menschliche Gefühl unterdrückenden Resignation) angeführt, welche zu allen Zeiten unter vielen Secten verbreitet war; wie denn auch in unserer Zeit Münzer (Thomas) bei dem traurigen Ende seines Sohnes sagte, „er würde durch Nichts berührt, weil er das Gefühl der Kreaturen ausgetilgt habe; er wäre den Kreaturen entrissen.“ Da er aber später, nachdem er die Menge zur Empörung aufgeregt hatte, gefangen genommen wurde und enthauptet werden sollte, bemächtigte sich seiner eine so große Seelenangst, daß er Einen von unsern Hofleuten, der zugegen war, um einen Trunk bat, und als man diesen brachte, eine große Kanne in Einem Zuge austrank; eine solche schmerzliche Angst empfand er im Gefühl der drohenden Todesnähe; und vielleicht ging er ohne Trost aus dieser Welt. Die wahrhaft Geheiligten hingegen sind keineswegs gegen Gefühle stumpf, deßhalb leiden sie auch nicht ohne Kampf; jedoch überwinden sie ihre Schmerzen durch Gebet und Geduld.

Es ist aber die philosophische Geduld zu unterscheiden von der Geduld des Christen. Philosophische Geduld ist's, in Noth und Ungemach streng der Vernunft folgen, damit man nicht aus Seelenschmerz Etwas thue, was dem Schicklichen oder der Gerechtigkeit entgegen wäre. Diese Geduld bewahrt Cato nicht, indem er sich selbst mordet; denn er handelt gegen die Gerechtigkeit, d. i. gegen das Gebot: „Du sollst nicht tödten!“ Auch Cicero ist in der Verbannung nicht geduldig; denn er handelt der Mäßigung entgegen, indem er, wegen seiner Verbannung aus dem, noch dazu so unruhigem Staate, sogar weibische Klagen erhebt, da er doch an seinem damaligen Aufenthaltsorte weit angenehmer lebte, Aristides beweist diese philosophische Geduld einigermaßen, denn er freut sich in der Verbannung, daß er den Unruhen der Stadt Athen entgangen, er preist sich glücklich, daß er frei ist von den öffentlichen Angelegenheiten; aber er beachtet nicht den Willen Gottes, er betet nicht zu Ihm; er ist ohne Glaube und Hoffnung.

Etwas weit Größeres ist daher die christliche Geduld, welche darin besteht, daß man Gott gehorsam ist, und Nichts thut aus Schmerz, was Gott oder Seinen Geboten entgegen ist, und darin, daß man ein Vertrauen auf die Gegenwärtigkeit Gottes von Ihm Milderung oder Befreiung erfleht und hofft. Das findet sich bei den Heiden nicht. Cato murrt wider Gott, Cicero ruft aus: Alle Götter haben mich verworfen. David hingegen ist geduldig, nicht als ob kein Schmerz in ihm wäre; aber er lindert ihn, indem er über den Willen Gottes nachdenkt, Gott die Ehre gibt, und festhält am Glauben, am Gebet, an der Hoffnung auf Hilfe und Linderung. Solche Geduld bewies der Kaiser Mauritius, als er vom Phokas gefangen worden, der ihm den Thron und das Leben raubte, und bevor er ihn tödten ließ, dessen Kinder vor ihn führen und Angesichts des Vaters hinwürgen ließ. Das Alles sah der Kaiser Mauritius ruhig und gelassen, gleichsam betäubt an; als aber der Schlag aus seine Gemahlin geführt ward, blickte er auf gen Himmel, und sprach die Worte: „Du bist gerecht, o Herr, und gerecht sind Deine Gerichte!“ Das sind große erhabene Beispiele, und wenn wir auch nicht ein Gleiches zu lösten vermögen, so wollen wir uns doch vorbereiten zur geduldigen Ertragung, und Gott bitten, daß Er selbst unsere Geduld befestigen, unsere Noth mildern und schaffen wolle, daß sie zu Seiner Ehre diene. So viel über den ersten Hauptpunkt. Gehen wir nun zu dem zweiten fort.

Ueber das Wort: "Folge Mir nach!"

Als Petrus jene Ankündigung Christi und die hinzugefügte Aufforderung: „Folge Mir nach!“ vernimmt, blickt er den Johannes an, und fragt, was denn mit diesem werden solle. Er erfährt aber den Vorwurf von Christus: „So Ich will, daß er bleibe, bis Ich komme, was geht es dich an? Folge Du Mir nach!“ Seine Jünger fassen das irriger Weise so auf, als ob Christus gesagt habe, Johannes werde nicht sterben. - Dieser Vorwurf, den Christus Petro macht, und das zwei Mal ihm wiederholte Gebot: „Folge Mir nach!“ enthält aber viele Lehren in sich.

Zuerst werden wir auf die Verschiedenheit des Berufes und auf die Ungleichheit der Begabung und der Schicksale aufmerksam gemacht, welche die Gemüther vielfach beunruhigt. Denn wenn die Menschen sehen, daß der Eine zu Dem, der Andere zu etwas Anderem berufen wird, wenn sie Andere sich vorgezogen sehen, welche sie entweder für geringer achteten als sich, oder denen sie gleichgestellt zu werden hofften; wenn sie ferner ungleiche Gaben, ungleiche Schicksale, ungleiche Anfechtungen und Versuchungen bemerken, dann werden sie entweder verzagt und ungeduldig, oder sie entbrennen in Eifersucht und Mißgunst gegen Andere.

Wenn du siehst, daß die dir verliehenen Gaben denen den Propheten und Aposteln ertheilten nicht gleich sind, und daß du ihre erhabenen Tugenden oder die erfolgreichen Thaten Anderer nicht nachahmen kannst, so bekümmerst du dich, und zweifelst, ob du Gott gefällst, ob Er auf deiner Laufbahn mit dir sein wolle. Oder es wird ein wackerer Seelsorger nebst seiner Familie von seinem stillen Herde vertrieben. Dieser denkt: Ich habe mich um die Kirche so verdient gemacht, und werde dennoch verworfen? Warum schickt Gott mir, der ich mir solche Verdienste erworben, der ich schon das Alter angetreten habe, solche Anfechtungen, während Andere, weniger Verdiente, Wohlleben, Ehre, Gemächlichkeit genießen?

So wundern wir uns, wenn wir die Geschichte lesen, warum Gott das Königreich dem David, und nicht vielmehr dem Jonathan gibt, der doch noch bei Lebzeiten seines Vaters wirklich König, und zwar nicht dem Namen nach, sondern in der That war. Und dennoch wird er des Reichs beraubt, und kommt in der Schlacht um. So nimmt es uns gleichfalls Wunder, warum David sein ganzes Leben hindurch unausgesetzt mit Mühseligkeiten und Anfechtungen zu kämpfen hat, da er doch bekanntlich Gott wohlgefällig war; warum man nicht vielmehr meinen müsse, der Tyrann Tiberius sei von Gott mehr geliebt worden, da ihn gemächliche Ruhe bis ans Ende seiner Regierung und seines Lebens begleitet hat?

Diese Untersuchung füllt den ganzen Prediger Salomo's aus; denn er klagt, daß durch die Ungleichheit der menschlichen Schicksale epikurischer Wahn bestätigt werde, und wenn Guten und Bösen gleiches Glück widerfahre, ja wenn den Bessern oft mehr Ungemach treffe, den Schlechtem mehr Glück zu Theil werde, so frage zweifelnd die menschliche Vernunft, ob eine göttliche Vorsehung sei?

Gegen diese Schwachheit und Verzagtheit der Seele nun soll man die Regel festhalten: „So Ich will, daß er bleibe, bis Ich komme, was gehet es dich an?“ Laß dich nicht irre machen durch die Ungleichheit der Berufung, der Gaben, der Schicksale, der Anfechtungen Anderer! „Folge du Mir nach!“ Wir wollen daher den Glauben, der uns gewiß macht, daß wir Gott wohlgefällig, ein Gegenstand seiner Fürsorge sind, von allem dem unterscheiden lernen, was dem Menschen äußerlich begegnen kann. Das gläubige Vertrauen soll in allen wahrhaft Geheiligten gleich sein. Wir sollen glauben, daß wir um des Sohnes willen Gott wohlgefällig, und jeder Einzelne Ihm angenehm ist. In diesem Glauben sollen wir zu Ihm beten, mögen wir nun reich oder gering begabt, möge unsere äußere Lage günstig oder ungünstig sein. Auch wollen wir uns nicht daran stoßen, daß Andere über uns stehen, daß Beruf und Schicksale ungleich vertheilt sind. Das wollen wir dem Rathschlusse und dem Willen Gottes überlassen, wie es hier heißt: „So Ich will, daß er bleibe.“ Wir wollen es anerkennen, daß, wie der Beruf der Menschen verschieden ist, so auch der Eine diese, der Andere andere Gaben besitzt, der Eine so, der Andere auf eine andere Weise angefochten wird. Seinen Beruf soll ein Jeder ausfüllen, zufrieden sein mit den ihm gewordenen Gaben, und tragen sein Kreuz. Jeder soll Gott seinen Gehorsam bewähren, sowohl in seinem Berufe, als in feinen Anfechtungen, da beide nicht vom Zufall, sondern vom Willen Gottes ihm kommen. Folge neu deiner Berufung, beherzige, welche Gaben dir verliehen worden, erwäge, welche Leiden Gott dich treffen lassen will! Frage nicht zweifelsvoll, was Gott in Ansehung Anderer beschlossen habe! Gott will, daß wir uns durch das von Ihm uns gegebene Wort sollen leiten lassen; Er will, daß wir in dem Berufe, zu dem wir berufen sind, Ihm dienen, nicht aber, daß wir wegen der ungleich vertheilten Gaben den Glauben wegwerfen sollen.

Auf diese Weise müssen wir unsern Mangel an geduldiger Ergebung und Vertrauen heilen.

Oft aber erzeugt in leidenschaftlichen Naturen die Ungleichheit des Berufes, der Gaben und des Schicksals Neid und Eifersucht. Diese Uebel herrschen in der Kirche nicht nur, sondern auch in andern geselligen Verhältnissen des Menschenlebens. Kam beneidet seinen Bruder, und wird ein Brudermörder, und wird dadurch für sich, wie für seine Aeltern und Nachkommen, die Ursache großer Trübsale. Esau sieht voll Mißgunst den Bruder Jakob sich vorgezogen. Deßhalb stellt er ihm nach, und droht ihm selbst den Tod. Saul ergrimmt über Davids Ruhm. Er sieht, daß er vom Volke weit mehr gefeiert, von Gott mit den glänzendsten Siegen beglückt wird, und sucht deßhalb ihn zu vernichten. So sind auch in der Kirche aus Neid und Eifersucht oft Streitigkeiten erregt, neue Dogmen aufgestellt, falsche Meinungen verfochten, große Trennungen herbeigeführt worden. Arius, durch den Vorzug des Alexander in der Bischofswahl verletzt, erregte den Streit über den Sohn. Gottes. So hat auch unsere Zeit die Beispiele Vieler gesehen, welche nur aus Neid und Schelsucht irrigen Wahn auf die Bahn brachten oder verfochten, nur um das Ansehen derer zu erschüttern, welche ihnen überlegen zu sein schienen. Ja auch die Bürgerkriege, welche die Macht der römischen Republik brachen, gingen aus keiner andern Ursache, als aus Eifersucht hervor. Marius beneidete den Sylla. Deßwegen erregte er Krieg, um ihn aus seiner Stellung zu werfen und von seiner Höhe herab zu stürzen. Aber er war für sich, für den Staat und für seine Kinder die Ursache großen Ungemachs. Als das Haupt des Sohnes des Marius dem Sylla gebracht wurde, sprach er: „Das Ruder muß von dem geführt werden, der es gelernt hat.“ Den Pompejus schmerzte das wachsende Ansehen des Julius Cäsar; und dieser hinwiederum mochte nicht die untergeordnete Rolle spielen, und so entzündete sich jener Bürgerkrieg. - Ueberhaupt ist Eifersucht ein sehr allgemeines Uebel in der Menschheit, aus welcher gräuliche Verwüstungen der Kirche und der Staaten hervorgehen.

Es ist aber schwer, diesen Hang in heftigen Naturen zu zügeln. Darum handelt Christus von einem hochwichtigen Gegenstande, wenn Er hier den Petrus vom Neid und von der Eifersucht ablenkt. Wenn Gott den David auszeichnen will, so sei Saul damit zufrieden, und überlasse es Gott, daß Er nach Seinem Rathe Gaben und Erfolge vertheile. Er erkenne, daß auch er von Gott aus niedrigem Stande erhoben worden; er danke Gott, daß Er mehrere Räthe zum Heile des Volkes erweckt, und bitte Ihn, solche Wohlthaten zu verdoppeln. Was ist unwürdiger, als mit Gott um Wohlthaten willen hadern? „Oder hab' Ich nicht Macht, zu thun, was Ich will mit dem Meinigen?“ spricht der Herr. „Siehest du darum schel, daß Ich so gütig bin?“ (Matth. 20, 15. 16.) Moses tadelt den Josua, welcher verlangte, daß er diejenigen, welche nicht zur Zahl der 70 Aeltesten gehörten, nicht weissagen lassen möchte, mit den ernsten Worten: „Bist du der Eiferer für Mich? Wollte Gott, daß alles Volk des Herrn weissagte und der Herr Seinen Geist über sie gäbe!“ (4. B. Mos. 11, 29.)

So soll ein Jeder unter uns, wenn er sieht, daß ein Anderer mit Vorzügen vor den Uebrigen ausgestattet ist, für solche Gabe Gott danken, den Staat glücklich preisen und Gott bitten, daß Er viele tüchtige Förderer Seines Reichs ausrüsten wolle. So benimmt sich Jonathan gegen David. Er weiß, daß kein Mensch das Reich des Volkes Gottes an sich reißen dürfe, sondern daß Der es erhalten werde, dem es Gott nach Seinem Rathschlusse übergeben werde. Da er nun sieht, daß David von Gott zur Regierung dieses Reichs berufen ist, weicht er ihm mit Freude, und dankt Gott, daß Er den Würdigem und Geschicktem gewählt hat. Ja, er unterwirft sich sogar dem David, hängt mit Liebe an ihm, und nimmt ihn gegen den tyrannischen Vater in Schutz. Ein ähnliches Beispiel hat die Geschichte kaum aufzuweisen. Denn in der Regel ist es wohl, wie jener Vers sagt, daß:

„Gold und köstliche Habe wohl schenke der Freund seinem Freunde,
Doch ist selten der Freund, der willig ihm weiche am Geiste,
Und in der Herrschaft Besitz.“

Ihr seht es in den evangelischen Kirchen, wie selten da, ungeachtet sie mit vielen und mannichfachen Gefahren umringt sind, Beispiele ähnlicher Tugend selbst unter den Genossen des nämlichen Berufes sich finden; wie wenig Städte es gibt, in denen eine solche Einstimmigkeit der Lehrer besteht, daß nicht Spuren des Neides sich zeigten. Weit mehr Oerter gibt's, wo offenbarer Haß, Feindschaft, Verkleinerung, Schmähsucht, Beleidigungen hervortreten, und nirgends fehlt es an Solchen, die stets bereit sind, ihre Klauen in die wunden Stellen Anderer zu schlagen und die Gemüther zu erbittern, auf welche jener Vers des Lukanus anzuwenden ist:

„Lauernd umschleicht er das Herz, und fügt zum glimmenden Grolle Lodernde Flamm'.“ -

Das ist aber nicht christlich. Wahrhaft fromme Christen sollen weder mit Andern an gehässiger Gesinnung wetteifern, noch den Haß Anderer entflammen. Vielmehr sollen wir stets geneigt sein, Friede und Versöhnung zu stiften, entzweite Gemüther fest vereinigen, und gegenseitiges Wohlwollen unter den Menschen nähren. Denn wer Zwietracht unter Brüder säet, ist dem Herrn ein Gräuel.

Von dem Vorwitz.

Aber reden wir nun auch vom Vorwitz, welchen Christus gleichfalls tadelt, und mit den Worten zurückweist: „Was gehet das dich an? Folge du Mir nach!“

Plutarch hat ein für Jünglinge empfehlenswerthes Buch über diesen Fehler geschrieben. - Wir verstehen unter einem Vorwitzigen einen „Hans in allen Gassen, der Viel zu thun haben will, und ist ihm doch Wenig befohlen.“ Dergleichen sind Alle, die nach Dingen fragen, welche sie nichts angehen, und von denen es heißt: „Viel Fragen macht Einen verhaßt.“

„Meide den lästigen Frager, denn Solcher ist stets auch ein Schwätzer.“

Weit mehr aber sind Vorwitzige die, welche thun, was ihnen nicht befohlen ist. Petrus nennt „vorwitzige Bischöfe“ die, „so in ein fremd Amt greifen,“ wie wenn Prediger politische Geschäfte an Höfen oder in Städten leiten, oder weltliche Machthaber ihre Macht auf die Kirche ausdehnen und die Religion nach ihren Urtheilen gestalten wollen. Im Aristophanes heißt es vom Kleon, er habe gewöhnlich den einen Fuß in der Rathsversammlung, den andern im Feldlager. Diesen Ausspruch pflege ich immer auf die Prediger überzutragen, welche zugleich auch Hofangelegenheiten oder Rathssitzungen leiten wollen. Denn Solche setzen in Wahrheit den einen Fuß auf die Kanzel, den andern auf das Rathhaus. Von dem nämlichen Kleon sagt Aristophanes:

„Immer ist er geschäftig, beratschlagt, ficht mit der Zunge.“

Dasselbe thun gewisse unruhige Prediger; sie reizen Parteien auf, erregen Händel, schmieden Anschläge, verkleinern, schmähen Andere, und zwar dieses oft in Angelegenheiten, welche ihrem eigenthümlichen Berufe gänzlich fremd sind.

Im gemeinen Leben nennt man Verwitzige auch Solche, die, indem sie das Nothwendige unterlassen, mit unnöthigen Dingen sich abgeben, wie der Mensch gewöhnlich das Nothwendige versäumt, wenn er Unnöthiges treibt, - Eigentliche Geschäfte sind die nothwendigen Wecke, welche die Hauptsache sein sollen. Nebengeschäfte, die nicht nothwendigen, welche nicht dem wesentlichen Berufe angehören. - - Seneka schildert diesen Fehler, wenn er sagt: „Ein großer Theil des Lebens geht uns durch Nichtsthun, ein größerer durch Uebelthun, der größte durch Geschäfte verloren, die unsern wahren Zwecken fremd sind.“ -

Es ist aber dieser Fehler entgegengesetzt der geordneten, nützlichen Thätigkeit, welche Tugend darin besteht, daß man die eigenthümlichen Geschäfte seines Berufes getreulich verrichtet, denselben nicht überschreitet (gleichwie das emsige Bienlein die ihm angewiesenen Arbeiten zur Bereitung des Honigs verrichtet), und überall seinen Platz ausfüllt. Aristoteles macht die Gerechtigkeit zur Regentinn des geselligen Menschenlebens. Ein Theil derselben ist jene nützliche Geschäftigkeit, wo Jeder das Seine thut, und wahrnimmt, was seines Ortes und seines Amtes ist. Dasselbe meint Plato, wenn er sagt, die Erhaltung der Gleichmäßigkeit sei die Erhaltung des, Lebens. - Derselbe erklärt auch die Gerechtigkeit für die Tugend, wenn man thue, was Einem zukomme, und sich nicht vorwitzig in fremde Geschäfte einmische. So besitzt denn nützliche Geschäftigkeit Der, welcher weiß, wozu er berufen ist, und mit seiner Stellung zufrieden Das sorgfältig verrichtet, was sein Beruf ihm auflegt, Das hingegen meidet, was seines Amtes nicht ist. -

Diese Tugend aber ist es, welche uns in den Worten Christi empfohlen wird: „Folge du Mir nach!“ Und in den Worten des Paulus, „Ein Jeglicher bleibe in dem Berufe, darin er berufen ist!“ (1. Kor. 7, 20.) Wir sollen wissen, daß wir unser ganzes Leben durch das Wort Gottes regieren sollen, gemäß dem Spruche: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte.“ (Psalm 119, 105.) Eben so wenig aber dürfen wir vergessen, daß wir unter den übrigen Vorschriften des göttlichen Wortes auch die von der Sorgfalt in unserm Berufe und von der geordneten Thätigkeit in demselben zu befolgen haben. Diese Tugend kann auf mehrere der zehn Gebote bezogen werden. Aber Grade des Berufes werden vorzugsweise in dem Gebote: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!“ unterschieden. Der Vater hat seinen Beruf, und der Sohn ebenfalls den seinigen. Hieraus lassen sich die übrigen Verhältnisse ableiten. -

Der nützlichen geordneten Geschäftigkeit streng entgegengesetzt sind: träge Unlust zum Handeln und Vielthuerei. Erstere mag gar Nichts thun. Solche träge Naturen sind viele Schulmänner, Bürger, Fürsten, thun ihre Pflicht nicht, scheuen die Arbeit, sind die (vom Nichtsthun benannten) Margiten des Homer, die weder graben noch betteln mögen, wie vom Ninyas geschrieben steht: „Er ißt und trinkt; gegen alles Andere ist er unempfindlich.“

Vielthuerei hingegen ist's, wenn man zu viel thun will, in fremde Angelegenheiten sich unberufen mischt. Diese entspringt bisweilen aus Unstetigkeit des Charakters, aus Geistesleerheit, und aus jener Gedankenlosigkeit, von der es heißt: „Gedankenlose Menschen fassen auch unbedachte Entschließungen, wie gerade die Neigung sie treibt.“

Bisweilen geht sie aber auch aus schlechter Nachahmung der Beispiele Anderer hervor; so möchten in unserer Zeit Viele Luthern gleichen. Sie tragen einen Eifer zur Schau, der ohne Einsicht ist, sie erregen Lärm über Dinge, die sie nicht verstehen, und wissen die Sachen nicht bis auf den Grund zu verfolgen. Sie ahmen das Unwesentliche nach, das Wesentliche verfehlen sie. Von Solchen sagt Polybius: „Viele, die großen Männern gleich erscheinen wollen, ahmen, weil sie dieselben in der Hauptsache nicht erreichen können, Nebensachen nach, und stellen so ihre eigene Thorheit zur Schau.“

Die Fabel erzählt, es habe das Wachs die Ziegelsteine nachahmen wollen und sich ins Feuer geworfen. Da sei es von demselben verzehrt worden. Dieses Gleichniß schildert trefflich jenes unglückliche Streben, Andere nachzuahmen, wenn der Mensch Das thun will, was weder seinen Kräften angemessen, noch seines Berufes ist. So sehen Manche, daß Andere an Höfen sich emporschwingen. Nun stürzen sie sich auch in die Höfe, und mengen sich in Geschäfte, zu denen sie nicht passend, denen sie nicht gewachsen sind.

Franz Petrarca erzählt von einem Hirten, der an den Hof kam. Da schenkte ihm Jemand einen Spiegel, dergleichen er noch nie gesehen hatte. Nachdem er sich nun in demselben beschaut hatte, ging er, im Vertrauen auf seine Schönheit, in das Gemach der Hofdamen. Als er nun daselbst gar übel empfangen und die Treppe hinunter geworfen wurde, rief er aus:

„Ewig seufze der Wicht, der zuerst den Hirten des Hofes
„Schlimme Geschenke gereicht.“

Da sieht Mancher, daß Einige durch Bücherschreiben oder durch irgend ein Geschäft Ansehen und Berühmtheit erlangt haben, und glaubt nun, er müsse ein Gleiches thun. Aber ihn verleitet die Vielthuerei, hervorgegangen aus dem unglücklichen Bestreben, das Beispiel Anderer nachzuahmen.

Am gewöhnlichsten aber hat die Vielthuerei im Ehrgeiz ihren Grund, der gar Viele antreibt, mit fremdartigen Dingen sich zu befassen und außer den Schranken zu laufen. Antonius, nicht zufrieden, daß er die Herrschaft mit dem Octavius theilen soll, beginnt einen unnöthigen Krieg. Bellerophon spornt den Pegasus, um zu schauen, was Zeus im Himmel thue. Alkibiades führt lediglich aus eitler Ruhmbegier das Heer nach Sicilien. Pyrrhus schifft, um sich neuen Ruhm zu bereiten, nach Italien über, und wird dort durch einen Steinwurf getödtet. Woher sie aber auch immer entstehen mag, diese Vielthuerei, sie ist eine sehr gemeine Untugend unter den Menschen, und es gibt fast unzählige Aussprüche, welche dieselbe rügen. Seneka sagt: „Es ist schwer, einen Menschen seine Bahn zu treiben;“ d. h. es ist schwer, daß ein Mensch innerhalb seines Berufes und der ihm abgesteckten Glänzen bleibe. Oft aber verwickelt auch Ein Vielthuer viele Andere mit sich; deßhalb sagen die Verse des Stobäus;

„Geschäftlos leben ist ein süßes, hohes Gut,
Wenn unberührt man bleibt von andrer Leute Thun,
Denn welcher unter Bestien, unter Affen lebt,
Muß Affe sein - o welch' ein unglücksel'ges Los!“

Trefflich ist auch jener Ausspruch Gregors von Nazianz: „Was nicht ein nothwendig Geschäft ist, nenne ich gar nicht ein Geschäft; denn verächtlich sind unnütze Nebengeschäfte.“ Das trefflichste Wort aber spricht Paulus, da, wo er unnütze Vielthuerei meiden heißt: „Wir ermahnen euch aber, lieben Brüder, daß ihr darin völliger werdet und darnach ringet (nach dem Texte: und darein eure Ehre setzt), daß ihr stille seid und das Eure schaffet,“ Er bedient sich des sehr bezeichnenden Ausdrucks: „daß ihr eine Ehre darein setzt,“ d. h. mit einem gewissen Ehrgeiz, durch eine ruhige und geordnete, auf den eignen Beruf beschränkte Thätigkeit euch auszuzeichnen sucht. Weltlichgesinnte Menschen spornt der Ehrgeiz, daß sie ihren Beruf voreilig überschreiten. Das ist ein fehlerhafter Ehrgeiz, eine fehlerhafte Ruhmbegier, die nicht auf ordentlichem Wege Ehre erstrebt, sondern den Beifall des Ersten Besten sucht, wobei man Handlungen, die das verliehene Maß von Kräften übersteigen, ohne Beruf dazu, im Vertrauen entweder auf eigne Weisheit oder auf eigne Kraft unternimmt. Diesem stellt nun Paulus einen andern Ehrgeiz, oder eine andere Weise, Ehre zu suchen, entgegen. Wenn ihr Ehre erlangen wollt, spricht er, wie denn Alle die Ehre als etwas Treffliches betrachten, und Viele die Ehrbegier sogar mit Seelengröße verwechseln: so unternehmt Nichts, was über eure Kräfte oder über euren Beruf hinaus liegt, sondern „seid stille,“ regt nichts Unnöthiges an „und schaffet das Eure,“ d. h. erfülle Jeder die Pflichten seines Berufs!

Wollte man klügelnd einwenden: Ehrgeiz ist ein Fehler; daher ist's nicht recht, daß uns Paulus ehrgeizig sein heißt: so ist zu erwiedern, daß das von ihm in dieser Beziehung gebrauchte griechische Wort im guten und im übeln Sinne, sowohl von der Tugend, als vom Fehler gebraucht wird. Aber Paulus braucht hier dasselbe vom rechtmäßigen Streben nach Ehre, wobei wir ein gutes Gewissen zu behalten streben, und den Beifall guter Menschen, welche die Tugend richtig beurtheilen, uns zu sichern bemüht sind. Der lateinische Ausdruck dafür (ambitis) wird gewöhnlich im edlen Sinne gebraucht. Paulus aber behielt mit besonderer Absicht jenes Wort bei, weil es Ehrgeizige beifälliger und lieber hörten, und weil die Uebrigen, welche ehrgeizig sind, dadurch Ehre zu gewinnen suchen, daß sie Vielerlei anregen, was außer ihrem Berufe liegt; darum empfiehlt er uns das entgegengesetzte Streben, nämlich, daß wir Ruhe lieben und nicht voreilig unsern Beruf überschreiten sollen.

Auch ein Augustus, wenn er diesen Ausspruch des Paulus gelesen hatte, würde ihn für das Wort eines weisen Mannes erklärt haben. -

Im Cicero findet sich das von den Griechen entlehnte Sprichwort: „Du hast Sparta überkommen; schmücke es.“ Sparta ist hier figürlich für jedwedes Amt, oder Auftrag, oder ehrlichen Posten zu nehmen, dessen Besorgung oder Verwaltung Einem übertragen ist, und der Sinn ist: Hast du eine ehrliche Stellung, so benutze sie zur Ausübung der Tugend! - So soll ein Jeder denken, Gott und dem Vaterlande dienen, welche Stellung ihm auch angewiesen sein mag, und sich bestreben, daß er in seinem Berufe, sei nun das ihm übertragene Amt ein hohes oder ein niedriges, tüchtig und wacker erfunden werde. Gegen unnütze Vielthuerei sind auch die Aussprüche gerichtet:

“ Reiten lernte der Reiter, der Sänger die Kunst des Gesanges.“
und:
„Ein Jeder treibe nur die Kunst, die er versteht,“

Phalaris sagte zum Simonides: „Ich höre, daß du viel über meine Regierungsweise sprichst; möge jedoch der Dichter um seine Musen nur sich kümmern.“ Aristoteles behauptet, dann würden die Staaten glücklich sein, wenn die Künstler nur über ihre Künste urteilen würden. Der Kaiser Hadrian berathschlagte sich über den Bau eines Tempels in Rom, und wollte den Schein haben, Alles zu wissen, und übergab daher auch den Baukünstlern einen Riß des Gebäudes; aber einer derselben wies ihn mit den Worten zurecht: „Geh, male deine Kürbisse!“ Beleidigt durch diese Freimüthigkeit, ließ er denselben hinrichten.

Der ägyptische König Patientius nahm folgende Zurechtweisung eines Tonkünstlers an: „Etwas Anderes ist das Scepter; etwas Anderes das Plektrum“1); d. h. verrichte du, was dein Reich angeht, mich laß die Musik treiben.

Schon in geringfügigen Dingen bringt die unnütze Vielthuerei manche Nachtheile; gefährlicher aber ist sie in wichtigen Angelegenheiten, bei Erregung von Glaubensstreitigkeiten, bei Veränderungen des Lehrbegriffs, bei Anordnung kirchlicher Verhältnisse, bei der Staatsverwaltung, bei ausbrechenden Kriegen. - Aber auch im wissenschaftlichen Leben empfindet man zuweilen die Nachtheile, welche jene Vielthuerei begleiten, wenn man von der Ordnung abweicht, die man beim Lernen beobachten sollte. Denn gar oft geschieht uns, was Seneka sagt: „Das Wesentliche wissen wir nicht, weil wir das Unwesentliche gelernt haben.“

Größere Nachtheile aber begleiten die Vielthuerei in öffentlichen Geschäften. Viele verlieren, was sie vorher besaßen, weil sie, von jenem Fehler hingerissen, Kriege erregten - Die Mehrzahl aber -geht in unglücklichen Unternehmungen zu Grunde. - - Ein gewisser moskowitischer Fürst führte mit einem Andern Krieg. Er bekam ihn gefangen, ließ ihn hinrichten, und aus seinem Hirnschädel einen Becher fertigen, mit der Inschrift: „Dieser verlor, indem er nach fremdem Gute trachtete, sein Eigenthum.“ Auf solche Beispiele laßt uns achten, und bedenken, daß Gott, wie Er denen, welche Ihm in ihrem Berufe dienen, Seinen Beistand verheißen hat, so auch im Gegentheil Sich von denen wendet, welche ihrem Berufe entgegen fremde Dinge unternehmen.

1)
Der Griffel, dessen man sich beim Citherspiel bediente