Martinus Luther wünscht Philippo Melanchthon Gnade und Friede in Christo!
Zürne und sündige nicht, rede auf deinem Lager und schweige! - Ich bins, der diese deine Anmerkungen lässet ausgehen, und schicke dich selbst zu dir. So du dir selbst nicht gefällst, thust du wohl daran; genug ists, daß du uns gefällst. Auf deiner Seite ist gesündiget, wenn anders hier gesündiget worden ist. Warum hast du sie nicht selbst lassen ausgehen? Warum hast du mich so oft umsonst bitten, gebieten und dringen lassen, daß du sie selbst ließest ausgehen? Das sey meine Schulrede gegen dich. Denn ich will dein Dieb seyn und genennet werden, ungeachtet deines zukünftigen Klagens und Anklagens. Denen übrigens, von welchen du vielleicht besorgest, daß sie die Nasen rümpfen werden, oder denen du nicht genug gethan zu haben fürchtest, will ich also sagen: „Lasset ihr etwas Besseres ausgehen.“ Was die gottlosen Thomisten ihrem Thomas1) lügenhaftig zugemessen haben, nehmlich, daß Niemand besser über Sct. Paulus geschrieben habe, schreibe ich dir in der Wahrheit zu; denn der Teufel hat es ihnen gerathen, also von dem Thomas zu rühmen, um seine gottlose Lehre und Gift desto weiter auszubreiten. Ich weiß aber, aus was Geist und Urtheil ich also von dir ausspreche. Was gehet es dich an, wenn dieß mein Urtheil jene berüchtigten Männer und starke Riesen verspotten? Die Gefahr ist mein. Ja ich will sie noch daß erzürnen und spreche, daß Hieronymi und Origenis 2) Auslegung sey lauter unnütz Geschwätz und Gauckelwerk gegen deinen Anmerkungen. Was ist es von Nöthen möchtest du sagen, auch der Hochverständigsten Neid gegen mich zu erwecken? Wohlan! sey du gleich demüthig, wirst dennoch mich in dir höffärtig seyn lassen. Wer hat die Hochverständigen gehindert, daß sie nichts Besseres lassen ausgehen, und damit die Frevel meines Urtheils beweisen? Wollte Gott, es gäbe solche, die Besseres vermöchten und zu Stande brächten! - Ja ich drohe dir auch noch zu stehlen und in Druck zu geben, was du über das erste B. Mosis, über das Evangelium Matthäi und Johannis geschrieben hast, du kommest dem Selbst zuvor. Du sprichst aber, man soll die Schrift allein ohne Auslegung lesen. Ist recht von Hieronymo, Origenis, Thoma und ihres Gleichen geredt; denn sie haben Auslegungen geschrieben, in denen sie mehr ihre eigene, denn Paulische und christliche Lehre haben dargegeben. Deine Anmerkungen soll Niemand eine Auslegung nennen; sondern eine Anzeigung allein, wie man die Schrift soll lesen und Christum erkennen, was denn bisher feine Auslegung, die noch vorhanden war, geleistet hat. Daß du aber vorgibst, es sey auch dir selbst in deinen Anmerkungen nicht genug geschehen, ist mir eine große Mühe, dir zu glauben; doch wohlan, ich glaube es, du habst dir selbst nicht genug gethan, begehrt man doch, und fordert es nicht von dir. Ja, wir wollen dem Paulo seine Ehre auch ungeschwächt lassen, daß nicht etwa jemand sich hören ließe, Philippus sey über Paulum, oder ihm gleich. Ist genug, daß du der nächste bei ihm bist. Wir beneiden keinen, der ihm näher werden mag; wir wissen wohl, das du nichts bist, wiederum wissen wir, daß Christus alles in allem ist. Wenn er durch seine Eselin zu uns redete, so gefiele es uns, warum sollte es uns denn mißfallen, so er durch einen Menschen redet? Bist du nicht ein Mensch? Bist du nicht Christi? Ist nicht sein Sinn in dir? Wilt du aber dieß Büchlein selbst mit hübscherern Redensarten und reichlicherer Gelehrsamkeit zieren und mehren, so ists uns lieb. Inzwischen ists uns, ob es schon wider deinen Willen geschah, lieb, daß wir des Sinnes und der Meinung Pauli, durch deine Arbeit herfürgebracht, theilhaftig geworden sind. Ich bitte nicht um Verzeihung, so ich dich mit dieser That beleidige, sondern du laß ab von der Beleidigung, mit der du vielmehr uns beleidigest und Verzeihung bedarfst. Der Herr mehre und behüte dich in Ewigkeit.
Wittenberg, den 29. Juni 1522.