Herr Jesu, schenke mir die rechte Furcht, auf dass ich hasse, was Dir missfällt, und liebe, was Dir wohlgefällt.
Groß war die Holdseligkeit, mit der der verlorene Sohn von seinem Vater empfangen wurde. Noch viel größer ist die Holdseligkeit, mit der Christus Jesus, wie wir eben gehört, die auserwählte Seele empfängt. Aber noch Holdseligeres und noch Herrlicheres widerfährt ihr nun, wo der himmlische Bräutigam die geliebte Braut darstellt seinem Vater, zu dessen Rechten Er sitzt. Da steht sie vor dem, der ein Vater ist über alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden. Nun schaut sie, was der Prophet Daniel (Kap. 7, 9. 10.) in schwachen Worten andeutet, da er spricht: „Und der Alte setzte sich; des Kleid war schneeweiß und das Haar auf seinem Haupte wie reine Wolle; sein Stuhl war eitel Feuerflammen und desselben Räder brannten wie Feuer und von demselben ging aus ein langer feuriger Strahl.“ Das Alter zeigt an seine Ewigkeit; das Sitzen seine Majestät und Herrlichkeit; die schneeweißen Kleider seine Heiligkeit; das reine weiche Haar seine Barmherzigkeit, die so leicht zu erweichen; und die Feuerflammen seines Stuhles und die langen von Ihm ausgehenden feurigen Strahlen seine Gerechtigkeit, der niemand entgehen kann. Nun werden der auserwählten Seele in höherem Sinne enthüllt die rätselhaften Worte, die sie vorzeiten in den Schulen gelernt, dass einige Dinge dieser Welt ganz hell; andere ganz dunkel und noch andere teils hell, teils dunkel seien. Die dunkele Welt mit ihren finstern, und teils finsteren teils hellen Kreaturen liegt hinter ihr und vor ihr steht der Schöpfer aller Dinge, der durch und durch hell ist, des göttlich Licht sich über alle Himmel und Erden erstreckt.
Hohe Verwunderung ergreift sie ob dieses Anblicks; aber wer mag ihre Freude ausdenken, wenn sie nun vernimmt die holdseligen Worte, mit denen der Sohn Gottes seinem himmlischen Vater anzeigt, wie Er sich mit ihr verlobt habe in Ewigkeit, und sich mit ihr vertraut in Gericht und Gerechtigkeit, in Gnade und Barmherzigkeit, ja wie er im Glauben sich mit ihr verlobt habe (Hos. 2, 19. 20.). Er habe sich mit ihr verbunden so fest und innig, dass seine Liebe weder durch Verfolgung verscheucht, noch durch Hass verringert, noch durch Gefängnis gehemmt, noch durch Banden gebunden, noch weniger durch Peinigung zerrissen, am wenigsten aber durch den bitteren Tod zertrennt und aufgehoben werden konnte.
Um von solcher Freude nur ein schwaches Bild zu entwerfen, müssen wir es abermals in einem Gleichnis versuchen. - Bei den alten Römern war es gebräuchlich, dass der Feldherr nach errungenem Siege das Kriegsvolk versammelte und diejenigen hervorrief, welche sich in der Schlacht oder bei einem Sturm durch besondere Tapferkeit hervorgetan hatten. Dieselben stellte er auf einen erhabenen Ort und rühmte vor allen Kameraden ihre ritterlichen Taten und begabte sie darauf mit köstlichen Kleinodien, um allen ihre Ehre und Auszeichnung vor Augen zu stellen. Was für eine innigliche Wonne muss da alle erfüllt haben, denen diese Ehre vor so viel tausend Soldaten aus des Feldherrn eigenem Munde und eigner Hand widerfahren! - Nun aber bedenke, o Menschenkind, wie der auserwählten Seele zu Mute sein müsse, wenn sie vor der Menge der himmlischen Heerscharen, vor dem Siegesheere der Märtyrer und Gläubigen wegen viel höherer Dinge von Gott dem Vater selbst gerühmt und gepriesen wird; zumal wenn sie hört, wie Gott der Vater antwortet, weil sein lieber Sohn mit der auserwählten Seele sich in Ewigkeit verlobt habe, so solle sie auch in Ewigkeit Ihm hiermit übergeben; und weil Er sich mit ihr vertraut in Gerechtigkeit und Gericht, in Gnad und Barmherzigkeit, so solle sie Ihm hiermit in unwandelbarer Wahrheit geschenkt sein; und weil Er sich mit ihr verlobt habe im Glauben, so solle sie nun bei Ihm verbleiben in unendlichem Schauen. der süßen Worte! O der freudenreichen Rede, wenn nun der himmlische Vater zur auserwählten Seele spricht: „Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenig getreu gewesen, ich will dich über viel setzen; gehe ein zu deines Herrn Freuden. Ich habe dich in jenem Leben nur einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns nur ein wenig vor dir verborgen, aber nunmehr mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen. Also habe ich geschworen, dass ich hinfort nicht über dich zürnen noch dich schelten will; denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, auch bei Anbruch des letzten Tages soll wohl Himmel und Erde vergehen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen.“ (Jes. 54, 7-10.)
Das ist nun das gewünschte Verlöbnis des Herrn Christus mit seiner Braut, das nun und nimmermehr getrennt werden kann, weit herrlicher, als die Verlobung im Glauben auf Erden, die durch Untreue der Menschen oftmals gebrochen wird. Das ist die heißersehnte Verlobung, bei welcher der auserwählten Braut die herrlichste Morgengabe dargereicht wird, nämlich das himmlische Jerusalem.
Unsere erste Mutter Eva bekam von Gott auch eine große Morgensteuer, als sie erschaffen und dem Adam zugeführt wurde, nämlich die Herrschaft der ganzen Erde; wie groß aber diese Morgensteuer auch immer gewesen; sie mag doch jener nicht gleichen; denn jene konnte durch den Sündenfall verloren werden; diese aber bleibt ewiglich unverlierbar.
Eine große Ehre, eine große Lieblichkeit ist es, dass die auserwählte Seele für Christi Dienerin geachtet wird; eine größere Ehre und größere Lieblichkeit ist es, dass sie für Christi Freundin und Hausgenossin geschätzt wird. Aber die größte Ehre und größte Lieblichkeit ist, dass sie dem Herrn Christus als eine Braut, als eine Miterbin des Thrones und der Krone, ja als Mitbesitzerin der göttlichen Hoheit und fast aller Majestät vermählt wird. Herr Jesu! lehre meine Seele bedenken, was sie in dieser Welt sei, dass sie beladen sei mit Sünden, umstricket mit Lastern, gefangen mit Wollüsten; dass sie an den Leib gebunden, mit Sorgen beschweret, mit Geschäften belastet, mit Furcht betrübet, mit Schmerzen geplagt; dass sie in Irrwegen verleitet, in Argwohn unruhig, in Bekümmernis geängstet sei; dass sie ein Pilgrim sei im Lande der Feinde und wandle in Gesellschaft der Toten und Verdammten. Lehre sie dieses bedenken, auf dass sie zu der himmlischen Vermählung durch Beistand des heiligen Geistes sich jederzeit gefasst halte. Amen.