Das Erbe Christi wird nicht verringert durch die Menge der Besitzer, auch nicht geschmälert durch die Anzahl der Erben; viele haben nicht mehr als wenige, und einer hat eben das, was alle haben. (Augustinus.) Endlich wird sich die auserwählte Seele bei ihrem triumphierenden Einzuge verwundern, dass die Lust des himmlischen Jerusalems ganz heilig und doch ganz überschwänglich ist. Ja ganz überschwänglich! denn wer vermag sie zu beschreiben! Wills jemand versuchen mit Bildwerken oder anderen Dingen; so wird gar bald offenbar werden, wie töricht das Unternehmen ist, in dem engen Winkel dieser Welt von dem unendlichen Paradiese, aus dem Kot dieser Erde von dem mehr als güldenen Jerusalem auch nur einen schwachen Schattenriss zu machen! Wills jemand mit hohen Gedanken erreichen, wo ist da der Verstand so hoch und die Vernunft so tief, unendliche Bilder, unendliche Gleichnisse, unendliche Beispiele zu finden oder zu schaffen, um die unendliche Lust des ewigen Lebens zur Anschauung zu bringen? Suchte er in menschlichen Worten solchen unendlichen Gedanken Leib und Gestalt zu geben, wo könnte er doch in den Sprachen dieser Welt Worte finden, um genugsam, genugsam sage ich, zu beschreiben die Wollüste, die nicht von dieser Welt sind! Sagt er, man könne wohl neue Worte erfinden und dichten, so würde er eine nicht geringe Torheit bekunden, da der beredtste Mund der Christenheit, Chrysostomus, der heilige Goldmund, ausdrücklich bekennt, es wäre seiner Zunge zu schwer, seinen Sinnen zu fein, er vermöge es nicht zu leisten. Ja er achtete sich nicht geschickter als der hocherleuchtete Apostel Paulus, der in Entzückung das Paradies schaute. Derselbige fing an zu reden (2 Kor. 12.): „Ich habe gehört, ich habe gehört“- da es aber zum Treffen kam, sagte er, es wären unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen könne, als wollte er sagen: O ihr Menschenkinder, ich habe in dem himmlischen Jerusalem so herrliche, so wunderbare, so köstliche Dinge gesehen, dass ich davon nicht reden darf, da ja keine menschliche Zunge, auch kein engelischer Verstand genugsam ist, das erste Pünktlein anzufangen, viel weniger den letzten Teil zu vollführen.
Es bleibt darum bei dem, was Augustinus schreibt: Viel leichter können wir sagen, was in dem ewigen Leben nicht sei, als was in demselbigen sei. In demselben ist kein Tod, keine Betrübnis, keine Nichtigkeit, keine Schwachheit, kein Hunger, kein Durst, keine Hitze, kein Verderben, keine Not, keine Traurigkeit, keine Trübsal. Viel leichter sind zu zählen die Sterne des Himmels und die Sandkörnlein des Meeres, und leichter sind zu erforschen die heimlichen Gänge der Winde; viel leichter sind zu ergründen die verborgenen Kräfte der Natur, denn die Menge der heiligen Wollüste in dem ewigen Jerusalem. - Da ist fürwahr aller Reichtum der Worte menschlicher Sprache und alle Fülle der Windungen und Wendungen menschlicher Rede, und alle Mannigfaltigkeit der Sprachformen und alle Holdseligkeit der Redeweisen und aller Fluss der Beredsamkeit menschlicher Zungen nicht hinreichend, solch unerforschliche Herrlichkeit darzustellen, und wir müssen mit Chrysostomus bekennen, dass die heilige Lust des ewigen Lebens weder mit menschlichem Verstande begriffen noch mit menschlichen Zungen ausgesprochen werden kann.
Darum wusste auch Moses nichts Höheres und Herrlicheres von Gott zu bitten, da er mit Ihm redete auf Sinai (2 Mos. 33.), denn dass er sprach: „Habe ich Gnade vor Dir gefunden, so lass mich Deine Herrlichkeit schauen.“ Denn er meinte, Gott würde ihn alsbald aus dem mühseligen Joch des irdischen Lebens ausspannen und der heiligen Lust des ewigen Lebens teilhaftig machen. Und dem Moses mangelte es nicht an Macht, da er den Ägyptern und anderen heidnischen Völkern großen Schrecken eingejagt hatte. Es mangelte ihm nicht an Gütern, da er große Schätze auf Befehl des Allerhöchsten ausgeführt hatte. Es mangelte ihm nicht an Ehre, da er des Volkes Fürst und Heerführer, und nicht an Weisheit, da er Prophet und Gesetzgeber Gottes war. Und dennoch begehrte er aufgelöst und bei Gott zu sein, was er nimmermehr getan hätte, wo nicht die heilige Lust des himmlischen Jerusalems ganz überschwänglich wäre.
So sind auch die Wollüste dieser Welt den himmlischen ganz ungleich. Hier sind alle Wollüste mit Bitterkeit versalzen, wo nicht gar übersalzen. Wo scheint hienieden die Sonne der Freude ohne Wolken der Trübsal? Wer freut sich seiner Gelehrtheit, ohne anderer Geringschätzung zu erfahren, oder wenigstens sein eignes Stückwerk zu beklagen? Wer freut sich großer Gewalt, ohne die schmerzliche Sorge, sie zu schützen, wo nicht Gefahr, sie zu verlieren? Wer freut sich hoher Ehre, ohne der Neider Nachrede oder der Feinde Nachstellung zu erdulden? Wer freut sich seiner Gesundheit, ohne unverhoffte Krankheit oder der Armut Bitterkeit zu schmecken? Wer freut sich des irdischen Wohlergehens, ohne des Glückes Unbeständigkeit, wo nicht gar der Hölle ewige Qual zu fürchten? Wer genießt hoher Freudigkeit im Gewissen, ohne eigenes Haus- und Leibeskreuz zu tragen, wo nicht anderer Menschen Gottlosigkeit zu betrauern? Und ist das nicht gerade das Los derer, die Christi Namen haben und tragen wollen?
Wenn aber die auserwählte Seele bei ihrem Einzug die heilige Lust des himmlischen Jerusalems ganz ohne Bitterkeit und nur in überschwänglicher Fülle kennen lernt und sie selbst empfindet, wie sollte sie sich nicht wundern! Wie sehr wird sie vornehmlich erstaunen, wenn sie schaut, wie die Herrlichkeit Gottes an allen Orten und Enden glänzt und scheint! Denn gewiss, sollten in dem himmlischen Jerusalem Bäume sein, sie leuchtete an allen Blättern. Sollten Anger und Wiesen sein, sie leuchtete an allen Blumen. Sollten Wasser und Flüsse sein, sie leuchtete an allen Tropfen. Sollten Schlösser und Türme sein, sie leuchtete an allen Steinen und so fort an allen Orten und Enden, weil ja in dem himmlischen Jerusalem Gott alles in allem ist.
Und blicken wir nun zurück auf all die überschwängliche Herrlichkeit, die wir am ewigen Jerusalem betrachtet: so leuchtet ein, warum das ewige Paradies in göttlicher Schrift das Himmelreich genannt wird; denn so weit der Himmel von der Erde ist, so viel sind alle Wollüste, alle Güter, alle Gewalt der Auserwählten im Himmel höher als die Güter, die Gewalt und die Wollüste der mächtigsten Fürsten dieser Welt. Solche Herrlichkeit fängt an mit der Geburt des Fürsten und endet mit seinem Tod. Darum ist sie ganz eitel und nichtig. Ihre königliche Macht, wie oft wird sie schon bei ihrem Leben zerbrochen! Und ihre hohe Ehre, wie oft wird sie zur Schande! Und ihr glänzender Reichtum, wie oft ist er schon in bittere Armut verwandelt? O, der elenden Gewalt und Herrlichkeit, die von viel tausend Menschen erborgt und entlehnt ist! die mit Mauern und Wällen umschlossen, mit Waffen und Rüstungen beschützt, mit Gold und Silber erhalten werden muss! Und ihre königlichen Freuden, die ihnen in reichlicher Fülle zu Gebote stehen in ihren herrlichen Palästen, in ihren schönen Lustgärten, in ihren glänzenden Spielhäusern, an ihren köstlichen Tafeln, bei ihren großen Jagden, in ihren ritterlichen Vergnügungen, in ihren reichen Kunstgenüssen und in allen rauschenden Sinnengenüssen: ach wie oft werden sie durch Krankheit des Leibes oder durch Bekümmernis des Gemütes dermaßen zur bitteren Galle, dass viele die Krone abgehoben, das Zepter niedergelegt, das Schwert abgegürtet, den Purpur ausgezogen haben und vom Schauplatz abgetreten sind!
Dagegen betrachte, o Menschenkind, die Herrlichkeiten des himmlischen Jerusalems, und siehe der hellste Tag mit seinen glänzenden Strahlen kann nicht verschiedener sein von der dunkelsten Nacht mit ihren grauen Nebelgebilden, als diese himmlische Herrlichkeit von der eitlen Lust dieser Welt. Ist aber dem also, so müssen wir uns doch schämen, so oft wir der heiligen Patriarchen gedenken. Dieselben hatten eine größere Anzahl der Jahre zu leben als wir, und doch findet man nirgends in heiliger Schrift, dass einer ein Haus, einen Flecken oder Stadt gebaut habe; vielmehr haben sie sich mit schlechten Hütten und geringen Gezelten beholfen und haben die beständige Wohnung zum himmlischen Jerusalem gespart. Unser Leben dagegen währt kaum 70 bis 80 Jahre und doch können wir mit Bauen nicht ersättigt werden, und gedenken dabei wenig oder gar nicht an die Wohnung des himmlischen Jerusalems, die mit solcher ewigen Herrlichkeit ausgestattet ist.
Herr Jesu, weil es gar nicht sein kann, dass ein Mensch der Wollüste beider Leben genieße, sondern entweder der zeitlichen entsage und der ewigen warte, oder im Gegenteil der zeitlichen genieße und der ewigen entbehre; so gib mir Deine Gnade, dass ich Dein Kreuz auf mich nehme und Dir nachfolge. - Herr Jesu, der Du den heißen Rost dem Laurentius kühl, die harten Steine dem Stephanus weich, das herbe Kreuz dem Petrus süß gemacht hast, hilf, dass alle zeitliche Wollust meinem Geschmacke herbe und meiner Empfindung hart und heiß scheine, damit ich Deiner ewigen Lust und Wonne genießen möge. Amen.