Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - XIV. Von dem herrlichen und heiligen Reich des himmlischen Jerusalems.

Was ist das Leben dieser Welt? Antwort: ein elendes Leben, ein baufälliges Leben, ein ungewisses Leben, ein mühseliges Leben, ein unreines Leben. Eine Frau aller Hoffart, eine Königin aller Bosheit, eine Besitzerin alles Elends, und eine Sklavin aller bösen Begierden. Was ist das Leben des himmlischen Jerusalems? Antwort: ein glückseliges Leben, ein festes Leben, ein beständiges Leben, ein ruhiges Leben, ein heiliges Leben. Eine Frau aller Güter, eine Königin aller Tugend, eine Besitzerin aller Herrlichkeit, eine Beherrscherin der unendlichen Ewigkeit.

Wenn der hocherleuchtete Apostel Paulus sagt, unser Wandel sei im Himmel und in demselben ein ewiges Reich zu erwarten: so will er hindeuten auf die Herrlichkeit und Heiligkeit dieses zukünftigen Reiches.

O schaut doch, ihr Kinder Edens, wie herrlich ist der irdische Himmel! Ist er nicht ein Wunder der Natur, ein Kunstwerk der Finger Gottes, ein Gewölbe der ganzen Welt? Ist er nicht ein Haus, ein Thron, eine Wohnung, ein Tempel der göttlichen Majestät? Ist er nicht mit Tausenden von kenntlichen Sternen wie mit Fenstern geschmückt, mit zwei großen Lichtern zum. Tage und zur Nacht erleuchtet, und von Anbeginn der Welt mit unzählbar anderen Lichtern wie mit strahlenden Edelsteinen übersät? Ist er nicht frei von aller Verweslichkeit? Prangt er nicht im herrlichsten Glanze, und ist er nicht ausgezeichnet durch seine vortreffliche Rundung und durch seine kreisende Bewegung? Und was wird nun der Himmel des ewigen Jerusalems sein!? - Kommt einem diese Erde gegen den irdischen Himmel nicht anders vor, wie eine kleine Vorstadt gegen eine große Stadt, wie eine Lehmhütte gegen einen königlichen Palast, wie ein Schwalbennest gegen ein mächtiges Schloss; was wird dann der Himmel des ewigen Lebens sein?

Wird in diesem Leben ein zeitliches Reich gar hoch gerühmt, wenn alle seine Ämter und Geschäfte, alle seine Ordnungen und Einrichtungen wohl bestellt sind: wie sehr wird dann die auserwählte Seele das himmlische Jerusalem rühmen und sich aufs höchste verwundern, wenn sie bei ihrem triumphierenden Einzuge die herrliche und heilige Ordnung dieses ewigen Reiches schaut! Denn dieses Reich ist das überaus große Paradies, welches Gott wunderbar erschaffen. Seine Grenze ist die unendliche Ewigkeit, die Er unerreichbar hinausgestreckt. Die Hauptstadt ist das glückselige Jerusalem, das Er so künstlich erbaut. Der königliche Palast ist der von Heiligkeit erfüllte Tempel, den der Prophet Jesaias im Gesichte schaute (Jes. 6.). Der königliche Stuhl ist der hohen Throne heller Glanz, davon die Christenheit singet. Der König ist Gott selbst; die vertraute Braut die triumphierende Kirche, die Er hoch, hoch geliebt hat (Joh. 3.). Des Königs Knechte sind die Engel und Erzengel, zu solchem Dienste bestimmt (Ebr. 1,14.). Die Aufwärter bei der vertrauten Braut sind die keuschen Jungfrauen, zu solchem Werk beschieden (Ps. 45,15.). Die Räte (menschlich davon zu reden) sind die 24 Ältesten (Offenb. 5.), die vor Seinem Throne stehen.

Die Geheimschreiber sind die heiligen Propheten und Apostel, welchen Er die Geheimnisse anvertraut. Die Herolde sind die heiligen Evangelisten, denen Er zu predigen befohlen. Das Kriegsheer sind die Märtyrer, denen Er wider den Tod und die Sünde und den Teufel zu kämpfen auferlegt hat. Die Untertanen sind die Auserwählten, welche Er in Sein Reich erkoren, in das Buch des Lebens eingezeichnet, und nach vollbrachtem irdischen Lauf in das ewige Leben aufgenommen hat.

Wenn nun die auserwählte Seele sieht, wie vortrefflich und herrlich alles bestellt, wie die himmlischen Boten, die Gott den Frommen zu Hütern gegeben (Ps. 91,11.), den Befehl so geschwind und hurtig ausrichten, so demütig vor Gottes Thron treten, so emsig aufwarten: wird sie sich nicht noch viel mehr verwundern, als weiland die Königin von Mittag, da sie Salomos Reich und Herrlichkeit schaute? Muss sie nicht den Mund auftun und in wonniger Herzensfreude laut bekennen: „Es ist wahr, was ich in meinem Land gehört habe von der Herrlichkeit des himmlischen Jerusalems, und ich habe es nicht glauben können, bis ich kommen bin und habe es mit meinen Augen gesehen, und siehe es ist mir nicht die Hälfte von dem Prediger gesagt worden; denn menschlicher Verstand viel zu schwach, menschliche Sinne viel zu grob, menschliche Zungen viel zu schwerfällig sind, solche himmlischen Dinge zu fassen und zu erklären. Da ist mehr Gutes und Herrlichkeit, denn das Gerücht ist, das ich gehört habe. Und selig sind die Knechte, die allezeit stehen vor dem Thron des Lammes und seine Weisheit hören. Gelobt sei der Herr Herr, der Gott Zebaoth, der mich so weit geführt hat.“ Denn so lange wir in diesem sterblichen Leibe wohnen, ist es nicht möglich, auch nur von ferne in das himmlische Jerusalem zu blicken, gleich wie es niemand gestattet war, in das Allerheiligste des irdischen Tempels zu blicken. Denn in dem Tempel des irdischen Jerusalems war der allerheiligste Ort ganz abgesondert durch einen großen aus Seide und Gold gewirkten und mit schönen Figuren fein gestickten Vorhang von blauer, gelber, purpurner und weißer Farbe. Durch diese Farben sollten die vier Elemente der Natur abgebildet werden, durch die blaue das Wasser, durch die gelbe das Feuer, durch die purpurne die Erde, durch die weiße die Luft. Inwendig aber im Allerheiligsten stand die Bundeslade aus edlem Holz bereitet, und in- und auswendig mit köstlichem Gold überzogen; und über der Bundeslade erhoben sich zwei Cherubim, die mit Verwunderung einander anschauten. Und das ganze Heiligtum war überaus kostbar vergoldet, aufs herrlichste verziert, aufs künstlichste ausgebaut, so dass der alte Geschichtsschreiber Josephus bezeuget, in dem wunderschönen Gebäude wäre die ganze Natur in geheimnisvollen Sinnbildern abgebildet gewesen.

Wie nun alle, die in dem Vorhofe standen, in das Allerheiligste wegen des dichten Vorhanges nicht sehen konnten; so können auch fromme Christen, so lange sie noch hienieden in der streitenden Kirche stehen, wegen des dichten Vorhanges ihrer Leiber das himmlische Jerusalem nicht schauen. Wie aber jeglicher in das irdische Allerheiligste wohl blicken konnte, so bald der Vorhang aufgezogen war: so mögen auch wir, so bald der Vorhang unserer irdischen Leiber gefallen ist, mit seliger Luft die Herrlichkeit des ewigen Lebens schauen. Da werden wir sehen, wie die Cherubim vor Demut ihre Füße bedecken und vor Verwunderung ihr Angesicht verhüllen; wie sie stehen schier bestürzt und entzückt in heiliger Betrachtung und seliger Anschauung dessen, der auf dem Stuhle sitzt; wie sie stehen in unbeweglicher Ewigkeit und ewiger Unbeweglichkeit (Jes. 6.).

Herr Jesu! Du weißt, dass ich ein Fremdling bin, und muss wohnen unter den Hütten Kedar; es wird aber meiner Seele lang zu wohnen bei denen, die den Frieden hassen (Ps. 120.). Hilf mir aus der Wüste über den Jordan, aus dem Elend in das gelobte Land! Hilf, dass ich nicht fröhlich lebe und ungeduldig sterbe, sondern dass ich geduldig lebe und mit Freuden abscheiden könne. Amen.