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Mayer, J. O. - Wann erscheint die Stunde Gottes zu unsrer Hülfe?

Predigt am zweiten Sonntage nach Epiphaniä über Joh. 2, 1 - 11.

von J. O. Mayer,

ältestem Prediger an der hergestellten evang. luth. Gemeinde zu Amsterdam.

Verklärte Majestät,
Anbetungswürdig Wesen,
Unendlich größrer Gott,
Als wir geschrieben lesen,
Ach flöße unsern armen Seelen,
Ein ehrfurchtvolles Schaudern ein,
Laß, wenn wir Deinen Ruhm erzählen,
Uns tief vor Dir gebeuget sein! Amen.

Fürwahr, Du bist ein verborgner Gott, Du Gott Israels, unser Heiland! ruft ein Prophet voll heiliger Bewunderung aus, wenn er über die wunderbaren Wege und Führungen Gottes nachdenket. (Jesaja 45, 12.)

Diesem großen Seher war es im Geiste kund und offenbar gemacht, und er war beauftragt worden es zu melden, was der Herr mit seinem Volke, zu thun vorhabe. Israel war durch ein gerechtes Gericht wegen ihrer schweren Sünden und ihres Abfalles von Jehova, dem Herrn ihrem Gott, in die Hände ihrer Feinde übergeben worden. Als Gefangene waren sie nach Babel hinweggeführet; Jerusalem, Tempel, Altar und Heiligthum war zerstöret und verwüstet; in einem heidnischen Lande seufzten sie, unter dem Joche der Knechtschaft. In diesem höchst jammervollen und traurigen Zustande kamen sie zu einer recht lebendigen Einsicht? sahen es ein, wie sehr sie es verdienet hatten, daß nun der Herr seinen richterlichen Arm so fühlbar über sie ausgestreckt hatte. Im Gefühle und in der lebendigen Erkenntniß ihrer schweren Verschuldungen warfen sie sich in die Richterarme Gottes, thaten Buße im Sack und in der Asche. Und siehe da! dies war dann auch der Weg, auf welchem der Herr sein gnadenvolles Antlitz ihnen wieder zuwandte.

Und was man nicht hätte denken, hoffen und erwarten können, das geschah. Der Herr fügte es auf eine wunderbare Weise, daß sie aus ihrer Gefangenschaft erlöset, und wieder in ihr Land geführet wurden. Gott lenkte das Herz eines Cores oder Cyrus, daß dieser Fürst sie nicht nur in ihre Heimath zurück ziehen ließ, sondern sie auch durch seine Milde und königlichen Geschenke in den Stand setzte, Stadt, Tempel und Altar wieder herzustellen und aufzubauen. Wenn der Prophet und das mit ihm an Gott festhaltende Israel hierüber nachdachten, dann fanden sie sich erwecket, mit einer freudigen Bewunderung auszurufen: Fürwahr Du bist ein verborgener Gott, Du Gott Israels, Du unser Helfer und Erretter! Auch wir mögen so sprechen, wenn wir auf die Wege und Führungen Gottes Acht geben, wenn wir darauf Acht geben, wie der Herr oft so wunderbar, doch hinten nach immer so herrlich führet, da, wo wir Ihn nur walten lassen, da, wo wir seine Vaterhand im Glauben nur festhalten; da werden wir noch immer Ursache finden, voll Bewunderung, Dankbarkeit und Freude auszurufen: Fürwahr, unser Gott ist ein verborgener Gott! Seine Wege und Führungen sind zwar vor unsern Augen oft so unbegreiflich, doch hintennach werden wir sagen müssen: der Herr hat alles herrlich und wohl gemacht. In Demuth und voll Glaubenszuversicht müssen wir nur die Stunde Gottes abwarten, dann werden wir stets erfahren und inne werden, daß diejenigen nicht beschämt gemacht werden sollen, die auf Ihn hoffen und harren. -

Diese wichtige und trostvolle Wahrheit soll es denn auch sein, die wir nach Anleitung unsers Evangeliums in dieser Stunde mit einander erwägen wollen. Vorab heiligen wir uns dazu durch's Gebet rc. -

Text: Joh. 2, 1-11.

„Und am dritten Tage ward eine Hochzeit zu Cana in Galiläa; und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger wurden auch auf die Hochzeit geladen, Und da es am Wein gebrach, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben nicht Wein, Jesus spricht zu ihr: Weib, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: was er Euch saget, das thut. Es waren aber allda sechs steinerne Wasserkrüge gesetzt, nach der Weise der jüdischen Reinigung; und gingen je in einen zwei oder drei Maaß. Jesus spricht zu ihnen: Füllet die Wasserkrüge mit Wasser. Und sie füllten sie bis oben an. Und er spricht zu ihnen: Schöpfet nun, und bringet es dem Speisemeister. Und sie brachten es. Als aber der Speisemeister kostete den Wein, der Wasser gewesen war, und wußte nicht von wannen er kam, (die Diener aber wußten es, die das Wasser geschöpfet hatten), rufet der Speisemeister den Bräutigam, und spricht zu ihm: Jedermann giebt zum ersten guten Wein, und wenn sie trunken geworden sind, alsdann den geringern; du hast den guten Wein bisher behalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus that, geschehen zu Cana in Galiläa, und offenbarete seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.

Zu andern Zeiten, da wir hier an heiliger Stätte über dieses Evangelium zu der Gemeine redeten, haben wir einmal nachgedacht über den göttlichen Segen im Haus- und Ehestande; - dann wieder zur andern Zeit über die Allmachtgröße, die der Erlöser hier durch das große und herrliche Wunder offenbar machte.

Heute wollen wir unsere Andacht insonderheit hinrichten auf den vierten Vers, wo der Erlöser spricht: „meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Nach Anleitung dieser Worte wollen wir über die Stunde Gottes zu unserer Hülfe nachdenken, wollen die doppelte Frage zur Beantwortung uns vorlegen:

  1. wann kommt die Stunde Gottes zu unserer Hülfe?
  2. wie müssen wir sie erwarten.

Ach, Herr, du kennst die rechten Freudenstunden,
Du weißt wohl, was uns nützlich sei;
Wenn du uns nur hast treu erfunden,
Und merkest keine Heuchelei,
So kommst Du, eh’ wir uns versehn,
Und lassest uns viel Guts geschehe.

I.

Meine Stunde ist noch nicht gekommen, spricht der Erlöser hier zu Maria seiner Mutter, da sie Ihn bat, daß er dem Mangel abhelfen möchte, der den neu angehenden Eheleuten an diesem ihrem Ehrentage drohete. Sie haben nicht Wein, spricht sie, und gab mit diesen Worten zu erkennen, daß sie es von seinem menschenfreundlichen Herzen und von der ihm beiwohnenden wunderthätigen Kraft erwarte, daß er dem Mangel und der Verlegenheit der jungen Eheleute abhelfen werde.

Sie haben nicht Wein! - Ob denn dieses ein so drückender Mangel gewesen sei, möchte man wohl bei sich denken, - wenn hungerige Kinder um Brod schreien, - oder die unverschuldete Armuth in Noth und Kummer weinet, solche und dergleichen Umstände möchte man wohl mit Recht eine Noth und Verlegenheit nennen! Dieses ist freilich wahr! jedoch wir müssen es nicht aus den Augen verlieren, bei welcher Gelegenheit es gewesen sei, daß die besorgte und liebevolle Maria diese Worte gesprochen habe. Es war der festliche Ehrentag dieser neu angehenden Eheleute; - und nach der Meinung des jüdischen Volkes wurde es als eine sehr übele Vorbedeutung angesehen, wenn schon an diesem Tage sich eine Verlegenheit oder ein Mangel verspüren lasse, an dem, was an diesem festlichen Tage erforderlich war.

Nach dem üblichen Brauch des Landes und dieses Volkes war es denn auch erforderlich, daß die eingeladenen Gäste mit Wein bewirthet wurden. Der hier verspürte Mangel mochte nun seinen Grund haben theils darin, weil diese angehenden Eheleute nicht sehr bemittelt waren, und daher sich nicht genugsam damit hatten versehen können; theils mochte diese Verlegenheit auch dadurch verursacht worden sein, weil sich noch manche Gäste eingefunden hatten, auf die man zuvor nicht gerechnet hatte. - Denn wir müssen wissen, wie es bei dem jüdischen Volke nicht ungewöhnlich war, daß zu Zeiten einige Freunde des Bräutigams oder der Braut an solchem Ehrentage sich einfanden, um an dem Gastmahle Theil zu nehmen, und den angehenden Eheleuten dafür ein Geschenk darbrachten. - Woher nun auch dieser Mangel seinen Ursprung nehmen mochte; - genug, es war eine Ehrensache und es würde diese neuangehende Eheleute sehr niedergebeugt, vor den versammelten Gästen sehr beschämt gemacht haben, wenn dieser Mangel offenbar geworden wäre; - und das um so mehr, wie wir schon vorhinan geführt haben, weil dieses nach der allgemeinen Volksmeinung für ein sehr übeles Vorzeichen für den künftigen Haus- und Ehestand angesehen wurde. Maria, die mit mütterlicher Sorgfalt sich der Sache dieser Leute annahm, war darauf bedacht, diese tiefe Demüthigung und Beschimpfung von dem neuen Ehepaare abzuwenden. Sie wendet sich daher an ihren großen und göttlichen Sohn mit dem Bittworte: sie haben nicht Wein! In diesen wenigen Worten, die sie sonder Zweifel im Stillen und Verborgenen Ihm vortrug, war das Begehren ihres Herzens genugsam ausgedrückt. Sie gab dadurch theils die Verlegenheit dieser Leute zu erkennen, theils gab sie auch dadurch zu verstehen, wie sehr sie davon überzeugt wäre, daß es nach der ihm beiwohnenden Allmachtskraft sehr wohl möglich sei, aus dieser Verlegenheit zu helfen. Jedoch der Erlöser fand es seiner Weisheit nicht angemessen, sofort und auf der Stelle diese Bitte seiner Mutter zu erfüllen. Weib, was habe ich mit dir zu schaffen? meine Stunde ist noch nicht gekommen. Also lautet die Antwort aus dem Munde Jesu. So wie wir die Worte da lesen, klingen sie allerdings hart ins Ohr, und man möchte denken, - um es mit Ehrerbietung von dem Heilande zu sagen, - daß es Mangel an kindlicher Liebe und Hochachtung gegen seine Mutter zu erkennen gäbe! Doch das sei ferne. Nach der Grundsprache und in morgenländischem Sinn, wollen diese Worte nichts anders sagen, als dieses: Liebe Frau, überlasse es mir nur, ich werde schon Sorge tragen, daß zur rechten Zeit Hülfe geschafft werde. Dazu kam, daß er hier als der über alles gebietende Gottmensch sprach, wo es hieß: „meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, meine Wege sind nicht eure Wege.“ Der liebevolle und allwissende Heiland hatte schon längst zuvor beschlossen, den hier eintretenden Mangel durch seine allmachtsvolle Dazwischenkunft hinweg zu nehmen; - doch seine Stunde war noch nicht gekommen!

Jedoch, welche Stunde war es denn, die Er zur Hülfe ausersehen hatte? Eben die, die am meisten dazu beitragen konnte, seinen himmlischen Vater durch sein großes, göttliches Wunder zu verherrlichen, das Er zu verrichten Willens war. Erst mußte die Noth noch mehr gefühlt und empfunden werden. Alle Umstände mußten dazu beitragen, daß seine schöpferische Allmachtskraft mehr eingesehen und erkannt werde. Und daß dieses die Absicht unsers Herrn gewesen sei, offenbaret sich auch durch den Erfolg, denn es heißt hier: „Also offenbarte sich, durch dieses große und göttliche Wunder, Seine Herrlichkeit, und Seine Jünger glaubten an ihn, als den verheißenen und nun erschienenen Weltheiland; - das angezündete Glaubenslicht wurde nun in ihrem Herzen gestärkt und vermehret. - Zwar werden hier nur allein die Jünger des Herrn genennet; jedoch mögen wir nicht mit Recht annehmen, daß es zugleich auf die übrige Tischgesellschaft einen heilsamen und gesegneten Eindruck gemacht, und daß sie in Jesu den Heiland der Welt erkannt, und an Ihn geglaubt haben.

Sehet da, meine Theuersten, so handelt Gott noch stets mit uns, alle Wege und Führungen, die er mit uns Menschenkindern geht, haben die Absicht, uns auf unser ewiges Heil und auf das Schaffen unsers Seligwerdens hinzuleiten. Dieses findet Statt, sowohl in leiblicher, als in geistlicher Hinsicht. Laßt uns darauf Acht haben, wie dem so sey. In leiblicher Hinsicht: wie manche Kreuz- und Trübsals-Wege findet die ewige Liebe vielmals gut, mit uns zu wandeln, - wobei das bedrückte und bedrängte Herz seufzet: „ach, hat der Herr denn aufgehöret gnädig und barmherzig zu sein!“ - und das um so mehr, wenn uns das Gewissen frei spricht, d. h. wenn uns unser Herz nicht verdammet; - wenn wir die Kreuz- und Trübsals-Wege als Schickungen des Höchsten, und nicht als natürliche Folgen unserer Sünden und Abweichungen von Gottes Wegen anzusehen haben. Dann hat der Herr die Absicht, daß auch die, die Ihn von Herzen fürchten und lieben, zur Erkenntniß und mehrerer Einsicht sollen gebracht werden, wie vieles noch daran fehle, daß sie Gott so fürchten und lieben, wie es sein müßte; daß ihr Herz noch nicht so ganz mit Gottes und Jesu Liebe erfüllet sei; daß sie oft noch so kalt in der Liebe, so trage und unlustig zum Gebete sind, daß der Glaube noch so klein, ihr Vertrauen zu Gott oft noch so schwach und wandelbar sei. In der Kreuz- und Leidensschule sollen sie dann mehr und mehr geläutert und gereinigt werden; sollen sich erweckt und angetrieben fühlen, von ganzem Herzen nach dem Herrn zu fragen und sich so recht fest an ihren Gott anzuschließen, auf dessen Hülfe sie hoffen und harren. Auch bei denen, die nach Gott nicht fragen, die sich bisher wenig oder gar nicht um Gott bekümmert haben, - auch bei denen sollen die Trübsals- und Leidenswege, eine friedsame Frucht zur Gerechtigkeit bewirken. Auch sie sollen es erkennen und einsehen lernen, daß der Herr tausend Mittel und Wege in Händen. hat, uns heimzusuchen und seine züchtigende Hand fühlen zu lassen. Und ist ein solches Gefühl. der strafenden Gerechtigkeit nicht schon ein heilsames Erweckungsmittel selbst für sichere und sorglose Sünder geworden, daß sie anfingen von Herzen nach dem Herrn zu fragen; daß sie Stillstand machten auf ihren Sündenwegen, und daß sie Gott in seinen Wegen erkannten als einen gerechten Gott und als einen gerechten Richter. Also für beide, für Fromme und Gottlose, sind solche Trübsals- und Leidenswege als die Stunden Gottes anzusehen. Da Er ernstlich und nachdrücklich zu ihren Herzen redet, und zwar mit dem Augenmerk theils, Sichere und Sorgenlose aus dem gefährlichen Schlafe der Sicherheit und Sorglosigkeit, zu erwecken, theils seine Kinder, die ihn von Herzen fürchten und kindlich lieben, vor einer gefahrvollen Sicherheit und Sorglosigkeit zu bewahren.

Und daraus folgt denn als von selbst, daß die Beförderung von Seelen-Wohl das Haupt-Augenmerk sei, das der Herr auf allen seinen Wegen und bei allen seinen Führungen an uns Menschenkindern zu erreichen vorhat.

Es ist freilich wahr, daß der Herr zu allen Zeiten, an allen Orten und unter allen Umständen seine Hände zu uns ausstreckt, um uns mit Gnade und Erbarmen zu umfahen; - dennoch gibt es doch besondere, Stunden, in welchen der Herr mit starker und eindringlicher Stimme zu unserm Herzen redet. Ernst und Güte, Wohlthaten und Heimsuchungen, sind .die Ruf- und Weckstimmen, die er zu dem Ende an uns ergehen läßt. Wer wäre hier wohl unter uns, der dieses nicht erfahren und bei sich inne geworden wäre? Der Eine hat diese Stunde Gottes erfahren, als er sicher und sorglos auf seinem Sündenwege dahin ging, nach Gott nicht fragte und um sein Seelenheil und Seligwerden wenig oder gar nicht bekümmert war, - und der Herr dann mit mächtiger Hand an sein Herz klopfte. Wohlthaten und Segnungen hatte er zwar in einem reichen Maaße genossen, und von Gott empfangen, - doch er erkannte die Liebeshand nicht, die ihm dieses darreichte; er, dachte nicht an den Geber und Wohlthäter; ja er fuhr vielmehr fort, durch Sünden und Uebelthaten Ihn zu beleidigen. Welche Mittel der Erweckung waren es nun, die Gott bei ihm in Anwendung brachte? Der Herr wandelte mit ihm den Kreuz- und Leidensweg. Unter der schweren Bürde von Leiden und Widerwärtigkeiten wurde seine, durch den Götzendienst verhärtete und gefühllos gewordene Seele erweicht. Er kam zum Besinnen, und Gottes Geist fand Eingang in sein Herz. Er richtete seine Augen zu dem empor, dessen heimsuchende Hand er so fühlbar inne geworden war. Durch Gottes Geist wurde er nun zu der lebendigen Quelle hingeleitet, woraus er Trost, Licht, Leben und Seligkeit erlangen konnte. Mit Freude hörte er nun in dem Evangelio, daß auch dem größten und tiefgefallenen Sünder Barmherzigkeit widerfahren soll. Voll Sehnsucht und Verlangen nach Gnade eilte er nun zu dem Sünder Heiland hin, - umfaßte ihn mit Glaubens Armen, - und seine frohlockende Sprache lautete nun: „mir, auch mir Sünder ist Barmherzigkeit widerfahren!“ Dort ist ein anderer, der es lobpreisend verkündigen kann, was Gott an seiner Seele gethan hat. Lange irrte er als ein verirrtes Schaaf in Seelenfinsternissen umher; suchte Ruhe und konnte sie nicht finden. Sein Herz war aufrichtig und voll Verlangen nach Seelenheil und Seligwerden. Er suchte Licht, Trost, Kraft und Gnade, - doch seine Seele blieb durstig und freudenleer. Und woher dieser Widerspruch, mitten im Lichte und im Sonnenschein und dennoch in Finsterniß und dunkler Nacht? Dieses alles klärte sich auf, und der Weg eines solchen Suchenden, doch in der Irre sich befindenden Wanderers zur Ewigkeit wurde erhellet, - da die Stunde Gottes für ihn gekommen war. Und diese Stunde Gottes offenbarte sich dadurch für ihn, da Gottes Geist ihn ins Heiligthum führte; es ihm da kund und offenbar werden ließ, woher sein trostloser und um Gnade verlegener Zustand seinen Ursprung nähme; - „daher, weil er in eigener Kraft wirken wollte, weil sein Herz nicht frei war von dem Dünkel eigener Gerechtigkeit, weil er nicht selten den Wahn in seiner Seele aufkommen ließ, daß er besser und frömmer sei, als dieser und jener seiner Mitwanderer auf dem Wege zur Ewigkeit.“ - Von diesem so seelenverderblichen Wahn ward er durch Gottes Geist frei gemacht, indem ihm nun ein Licht aufging über den Weg des Seligwerdens. Hier im Evangelio ward ihm nun die Anweisung ertheilet; „daß er als ein armer verlorener Sünder zu dem Kreuze Christi seine Zuflucht nehmen müsse; daß er allen Dünkel von eigener Gerechtigkeit aus seinem Herzen verbannen müsse, daß allein die Gnade es sei, - die in der gläubigen Zueignung von Jesu Verdienst gefunden werde, - die ihn retten und selig machen könne.“ Und siehe da! bei dem ernstlichen Wandeln dieses Weges ist ihm nun Heil widerfahren. Er hat nun, um es mit den Worten des frommen Dichters auszudrücken: -

Ja, er hat nun den Grund gefunden
Der seiner Hoffnung Anker hält,
Wo anders, als in Jesu Wunden?
Da lag er vor der Zeit der Welt,
Der Grund, der ewig feste steht,
Wenn Erd und Himmel untergeht. -

Hier fand er nun die Quelle eröffnet, woraus er schöpfte, Licht, Trost, Kraft und Stärke. Nun findet er, wie wahrhaftig und gewiß das Wort sei, das sein Herr gesprochen hat Joh, 15.: Ohne mich könnet ihr nichts thun!

Doch nun erfährt er es such, wie aus dessen Gnadenfülle ihm alles dargereicht werde, was zu einem heiligen Leben und zu einem gottseligen Wandel erforderlich ist.

Und so endlich mögen wir noch wohl fragen: Wäre hier wohl jemand unter uns, - dem es anders um sein Seelenheil und Seligwerden von ganzem Herzen zu thun ist, - der nicht die Stunde Gottes sollte erfahren haben, da der Herr bei ihm angeklopft und ihn auf das Eine Notwendige hinzuleiten gesucht hätte? Ach wie manche bekümmerte und niedergebeugte Seele, die vergebens nach Trost, Licht und Erquickung sich sehnte, hat dies alles gefunden, da die Stunde Gottes erschienen war; - und diese erschien, da Gott sie mit seiner Gnade erfreuete; - da der Geist Gottes einem solchen bekümmerten und niedergebeugten Sünder das beseligende Zeugniß gab, daß er ein begnadigtes Kind Gottes geworden sei.

Wie mancher hat schon die Stunde Gottes erfahren, wenn er unter der Kreuzes-Bürde seufzte; - wenn schreckliche Finsternisse seinen Weg von allen Seiten umringten; - wenn sein Muth so ganz darnieder sinken wollte, und er beinahe alle Hoffnung zur Hülfe verloren gab; - und dann so plötzlich als unerwartet die Hülfe Gottes erschien, und der Allmächtige es ihm dann offenbar werden ließ, daß Er tausend Mittel und Wege in Händen habe, aus der Finsterniß ein herrliches Licht hervorgehen zu lassen. Sind dieses nun Erfahrungen, die wir so oft und vielmals zu machen Gelegenheit haben, - so wir nur auf die Wege und Führungen Gottes genau Acht geben, - dann leitet uns dieses, als von selbst, auf die Beantwortung der zweiten Frage:

II.

Was haben wir zu thun, wenn wir die Stunde Gottes zu unserer Hülfe erwarten wollen?

Dazu wird das Folgende erfordert:

„Wir müssen all unser Thun und Vornehmen mit Gott und im Namen Jesu beginnen; - wir müssen vor allem zur Zeit der Noth und Verlegenheit zu dem rechten Helfer unsere Zuflucht nehmen; wir müssen im Vertrauen auf seine Liebe und Allmacht in kindlicher Ergebung die Stunde seiner Hülfe erwarten.“ Zu dem Einen und Andern wird uns hier im Evangelio der Weg angewiesen.

Zuerst also, wir müssen all unser Thun und Vornehmen mit Gott und im Namen Jesu beginnen. Mögen wir die neuangehenden Eheleute hier im Evangelio, in dieser Hinsicht, uns nicht zum Muster und Torbild vorstellen? Daß sie ihren Haus- Und Ehestand mit Gott und in seiner Furcht angefangen haben gehet auch schon daraus deutlich hervor, weil der Herr Jesus auf ihre Einladung sich in ihrer Mitte finden ließ, und die Mutter des Heilandes sich ihrer so herzlich annahm.

Dies Eine und Andere giebt es genugsam zu erkennen, daß es fromme und dem Herrn wohlgefällige Leute waren, und daher wurden sie denn auch sofort des göttlichen Segens in ihrem Hausstande theilhaftig gemacht.

Auch wir müssen all unser Thun und Vornehmen mit Aufsehen zu Gott und im Namen Jesu anfangen. Dieses ist die Regel und Vorschrift des göttlichen Wortes, da heißt es: Wir sollen alle unsere Wege dem Herrn anbefehlen; - sollen auf ihn hoffen und harren; - und dann lautet die göttliche Zusicherung: unser Gott will es dann mit uns wohl machen. Psalm 37, 5, Es fragt sich indessen, wie und auf welche Weise befehlen wir dem Herrn unsere Wege an? Dieses geschiehet: Wenn wir mit Aufsehen zu Gott und in einer demüthigen Erwartung seines Segens unser Werk anfangen; wenn wir unser Herz gewöhnen, uns selbst zu fragen: ob das, was wir thun und vornehmen, auch den Beifall des Allerhöchsten habe; - ob wir uns des Zeugnisses eines guten Gewissens dabei zu erfreuen haben; ob wir einst noch in unserer Sterbestunde wünschen werden, also gedacht, gethan, und gehandelt zu haben. Wenn wir nach dieser Regel einhergehen, dann mögen wir uns des göttlichen Beifalls und seiner Gnade versichert halten; - dann wird unser Herz sich auch erwecket finden, zur Zeit der Noth und Gefahr sich am ersten . und liebsten zu dem rechten Helfer hinzuwenden, von dem man mit Ueberzeugung weiß, daß er helfen könne und helfen wolle.

Und dieses ist das zweite Erforderniß, wenn wir wollen, daß die Stunde Gottes zu unserer Hülfe erscheinen soll. Auch so that hier Maria. Sie nahm den Mangel, der dem frommen Ehepaar drohete, nicht nur zu Herzen; sondern sie wählte auch das rechte Mittel, wodurch demselben konnte abgeholfen werden. Sie kannte auch das mitleidige und barmherzige Herz ihres göttlich großen Sohnes. Sie war davon überzeugt, daß nach der ihm beiwohnenden wunderthätigen Kraft es für ihn sehr wohl möglich sei, auf die eine oder andere Weise Hülfe zu schaffen. Daher wendet sie sich an ihn mit dem Bittworte: Sie haben nicht Wein. Und der Erfolg zeigt es denn auch, daß sie sich an den rechten Helfer gewandt habe.

Denselben Weg müssen wir auch mit Maria einschlagen, wenn wir uns in Noth und Verlegenheit befinden. Unser Herz . muß sich dann erwecket finden, am ersten und liebsten sich zu dem hinzuwenden, der alles regieret, alles in Händen hat. Es muß dann ein tröstender und erquickender Gedanke für uns sein, daß wir es mit einem Gott zu thun haben, der uns allenthalben nahe und gegenwärtig ist, der unsere Noth und Verlegenheit kennt, und das stille Seufzen unseres Herzens von ferne verstehet.

Es muß dann ein tröstender Gedanke für unser Herz sein, daß wir es mit einem Gott zu thun haben, bei dem kein Ding unmöglich ist; der tausend Mittel und Wege in Händen hat zu helfen, da, wo die Vernunft nicht einen stehet. Und endlich, wie tröstlich und erfreulich wird es dann für die Seele sein, daß Sein Name ist, gnädig, barmherzig, langmüthig; und daß Er ein Gott sei von großer Huld, Gnade und Treue. Ja, dann erst fühlt ein gläubiges und Gott festhaltendes Herz, wie viel in den Zusicherungen des Allerhöchsten enthalten sei: „Könnte auch wohl eine Muter ihres Kindes vergessen, daß sie sich nicht desselben erbarmte, und wenn dasselbe geschähe, wenn das auch möglich wäre, so will ich doch dein nicht vergessen, in meine erbarmende Gnadenhände habe ich dich gezeichnet.“ Wenn das Herz hiervon recht innig und fest überzeuget ist, so wird auch die demüthige Glaubenssprache erzeuget: ich will stille sein und schweigen; - ich will auf Gott hoffen und harren; - Er ist der Herr, Er thue, was Ihm wohlgefällig ist.

Und diese ist denn auch die dritte Eigenschaft des Herzens, die erforderlich ist, wenn wir wollen, daß die Stunde Gottes zu unserer Hülfe erscheinen soll.

Es ist das demüthige und kindliche Hoffen und Harren auf Gott. Auch in dieser Hinsicht gibt uns Maria hier ein nachfolgungswerthes Vorbild. Ihre Bitte und das Begehren ihres Herzens wurde nicht augenblicklich erfüllet; - jedoch sie gab darum die Hoffnung nicht auf, sie hoffte und harrete in Demuth auf die Stunde der Hülfe.

Dieses gab sie zu erkennen durch die Anweisung, die sie den Aufwärtern ertheilt, indem sie zu diesen sprach: Was Er euch saget, das thut!

Hierin ist denn auch für uns die wichtige und heilsame Anweisung enthalten, daß wir in Demuth und kindlichem Vertrauen auf Gott hoffen und harren, wenn auch sofort die Hülfe nicht erscheinet, so wie wir es wohl wünschen und begehren. Unser Gott kennt die rechte Hülfestunden; Er weiß am besten was uns nützlich sei. Es ist daher auch der beste Beweis eines kindlich gesinnten und Gott ergebenen Herzens, wenn es selbst in trübsalsvollen Umständen sich in Demuth unter die gewaltige Hand des Herrn niederbeuget, und auch dann mit Abraham die glaubensvolle Sprache führen kann: „Der Herr wird's versehen! Er wird helfen und retten, wenn seine Stunde gekommen ist; die Stunde, die am meisten zur Beförderung unseres Seelenheils und Seligwerdens beitragen kann.“

Eben dieses war auch hier der Fall mit Maria und den neu angehenden Eheleuten; ja mit der ganzen hier anwesenden Tischgesellschaft. Dann erst, da die Verlegenheit auf’s Höchste gestiegen war, dann erst erschien die Hülfe; - und die verspätete Hülfe trug dazu bei, um die schöpferische Allmachtskraft des Erlösers recht kenntlich zu machen, - trug dazu bei, nicht nur die Jünger in ihrem Glauben zu stärken, sondern auch die übrigen hier Anwesenden wurden dadurch zum Glauben an Jesum gebracht; denn sie schatteten und erkannten nun die Herrlichkeit Jesu, - als eine Herrlichkeit des eingebornen Sohnes, die sich auch hier so gnadenvoll offenbar machte!

Und nun, meine Geliebten, ist denn dieses nicht ein Wort, das von uns Allen so ganz besonders zu Herzen mag genommen werden? Wir leben in Tagen, befinden uns unter Umständen, wo wir der Hülfe Gottes so ganz vorzüglich benöthigt sind. Daß wir denn Alle als ein Mann uns erwecket finden mögen, öffentlich und im Verborgenen im Namen Jesu vor den Thron Gottes mit unserm Gebet und Anliegen hinzutreten, um uns Barmherzigkeit Hülfe und Gnade zu erflehen zu dieser unserer Zeit, da uns das Eine und Andere so nöthig ist! Daß wir uns dazu erwecket finden mögen durch die wiederholten Verheißungen und Zusagen Gottes in Seinem Worte gegeben, „daß Er thun wolle, was gottesfürchtige und ernstliche Beter von Ihm begehren, daß Er ihr Rufen und Schreien erhören und helfen wolle.“ Wohlan, halten wir denn unserm Gott gleichsam das Wort seiner Zusage vor, und berufen uns auf Seine göttliche Verheißung: „Rufe mich an in der Noth, so. will ich dich erretten, so sollst du mich preisen!“ O daß wir denn in Demuth unserm Gott still halten und in kindlichem Vertrauen auf Seine Hülfe hoffen und harren mögen! Hintennach werden wir das Angesicht Gottes schauen, und die Stunde Gottes wird erscheinen; - dann

Wenn Er uns nur hat treu befunden,
Geduldig ohne Heuchelei,
Dann kommt Gott eh' wir's uns verseh'n,
Und lasset uns viel Gut's gescheh'n!

Halten wir denn nur an mit Moses im ernstlichen und inbrünstigen Gebete. Kämpfen und ringen wir mit Jakob den Gebets- und Glaubenskampf, und sprechen wir mit dem demüthig flehenden Abraham: Herr, der Du aller Welt Richter bist, das kannst und wirst Du nicht thun. - Du wirst ein Volk nicht verlassen, das Dich allein zu seiner Zuflucht wählet; Du kannst, Du wirst uns nicht verlassen, um Deiner Verheißung und Zusage willen! Ja, die Stunde Gottes, die Stunde der Hülfe und Rettung wird kommen; - so wir nur festhalten im Glauben und Vertrauen; - dann werden wir die Herrlichkeit des Herrn in ihrem göttlichen Glanze anschauen; - So wie die frommen Vorväter dieses Landes sie so oft auf eine wunderbare und Gott verherrlichende Weise angeschauet und zu ihrer Hülfe und Rettung erfahren haben!

O meine Freunde, ein Rückblick auf die Geschichte dieses zwar kleinen, doch durch seine wunderbaren Rettungen so höchst merkwürdigen Landes lehrt es uns auf eine anschauliche Weise, „daß der Herr dann oft mit seiner Hülfe am nächsten gewesen sei, wenn die Noth am größten geworden war.“ Dieses erwecke uns denn, uns nur fest an Gott anzuschließen, und mit einem Moses zu flehen: Herr, unser Erbarmer und Gott, bleibe Du unsere Zuflucht für und für!

Doch dieses Vertrauen ist dann erst rechter Art und kann uns der ersehnten Stunde der Hülfe theilhaftig machen, wenn wir einmüthig im Geiste uns fest an Gott halten; wenn wir mit einem aufrichtigen Herzen vor Gott wandeln und fromm sind; - wem ein rechter Christus - Sinn sich mehr und mehr unter uns offenbar macht; wenn die Liebe Jesu uns dringet, zu verleugnen alles ungöttliche Wesen und alle weltlichen Lüste; - wenn es an uns mehr kenntlich wird, daß Christus eine Gestalt in uns gewonnen hat, und daß wir neue Creaturen in Ihm unserm Herrn geworden sind. Finden sich diese Merkmale und Kennzeichen der Wanderer des schmalen Weges an uns, dann mögen wir auch unsere Häupter getrost empor heben, auf Gott hoffen und harren, und mit David voll Glaubens-Zuversicht sprechen: Herr, du bist unsere Burg, unser Fels, unser Hort, unser Gott, auf Den wir trauen! Und so sprechen wir auch nun zum Schlusse mit dem frommen und gottesfürchtigen Dichter:

Herr, Du bleibst unsere Zuversicht;
Auf Dich hoffen unsere Seelen,
Du weißt, was unserm Glück gebricht,
Wenn wir uns sorgend quälen;
Wer wollte sich nicht ganz aus Dich,
Allmächtiger, verlassen,
Und sich im Kummer fassen? Amen! -

Quelle: Fliedner, Theodor - Ein Herr, ein Glaube