(Homiliae Mathesii, das ist Auslegung und gründliche Erklärung der ersten und andern Epistel des heil. Apostels Pauli an die Corinthier. Leipzig 1590. Fol. 281. (Über 1. Cor. 13. finden sich im Ganzen 11 Homilieen.)
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.
Der heilige Apostel St. Petrus saget und verjahet am letzten Capitel, dass in St. Pauli Schriften etliche und zwar nicht wenige Dinge schwer sind zu verstehen, welches uns denn in diesem Capitel auch begegnet und in unsere Hände kommt. Darum bitten wir den Sohn Gottes, dass er durch seinen Geist in uns ein Licht des Verstandes anzünde und er uns die Schrift eröffne.
Inhalt diese 13. Capitels der ersten Epistel St. Pauli an die Corinthier.
Dieweil St. Paulus im vorigen zwölften Capitel die Lehrer zu Corinth, die da stolzierten und sich mit einander wegen der Gaben und Ämter zankten, gestrafet hat, so lehret er nun in diesem Capitel, dass die Gaben, das Amt und die Wirkung nicht einem Jeglichen insonderheit nutze und fromme ohne die Liebe. Darum weiss er bald nicht, wie er die Liebe genugsam rühmen, preisen, hochmachen und erheben soll und spricht, dass ohne die Liebe weder Glaube, noch Wunderwerk, weder Gaben noch Lehre und Geschicklichkeit nutze und fromme, die Liebe sie doch ja etwas Ewiges und das Grösste, und setzt auch daran eine Definition und Beschreibung der Liebe, welche er mit anderen Tugenden und Gaben vergleichet.
Aus dieser herrlichen Ruhm- und Preispredigt St. Pauli wollten die Papisten als unsere abgesagten Feinde und Widersacher gern ihre Argumente wider unsere Lehre erbauen und herfürbringen, als würden wir nicht durch den Glauben allein gerecht und selig. Darum will es uns hoch von Nöthen sein, dass wir allhie eine kurze Vorrede einbringen von der Summa und Inhalt unserer Lehre und der Widersacher, die sie anfechten.
Ihr habt’s aber oft von uns gehört, und bekennen’s auch heute noch frei heraus mit Herzen und Munde, dass wir allein durch den Glauben gerecht und selig werde, das ist, allein um der Barmherzigkeit Gottes willen, oder allein um des Mittlers Jesu Christi und seines Blutes willen. Denn diese propositiones oder Reden sind gleich, und gilt eine so viel, als die andere. Denn wiewohl das Leiden und der Tod des Herrn Christi das einige und genugsame Opfer ist für die Sünde und die Genugthuung für alle unsere Sünde und die ganze vollkommene Ursach unserer Seligkeit, totalis causa nostrae salutis: so ergreift doch allein der Glaube in die Verheissung diesen Schatz und applicirt ihn ihm selbst mit oder im Glauben, als durch das einige Instrument, damit man diesen Schatz ergreifen und ihm selbst appliciren und zueignen kann.
Dieser Glaube aber entsteht und ist in einem zerknirschten, zerschlagenen und zerbrochenen Herzen, der da gläubet und empfähet die Erstlinge des heiligen Geistes lauter umsonst aus Gnaden und fähet in den Gläubigen einen neuen Gehorsam an nach allen Geboten Gottes. Diese zusammenlaufenden und miteinkommenden Werke, das ist: 1. Reu und Leid, 2. der Glaube, der sich verlässet und steuert allein auf Gottes Barmherzigkeit und auf das Blut des Herrn Christi und 3. die Früchte des Glaubens oder die guten Werke, so nach dem Gesetze Gottes im Glauben an Christum geschehen, - nennet man Busse oder Bekehrung.
Dies ist nun also die Summa und der Inhalt der christlichen lehre, die da in den prophetischen und apostolischen Schriften begriffen ist und recht und richtig in den Kirchen und Schulen Sachsens und Meissenlandes und in den anderen Kirchen, so es mit ihnen einhellig halten und einstimmen, unter welche ich mich und diese unsere Kirche auch einrechne und zähle, gelehret wird.
Diese Lehre hat der Satan von Anfang der Welt angefochten oder doch ja verfälscht. Denn Cain und seine Nachkommen haben gelehrt, dass durch Opfer, das ist, durch unsere Werke, Gott versöhnet und die Sünde weggenommen und vergeben werde. Also haben auch ihrer Viele von dem Volk Israel und von den Baaliten den wahren Gott mit ihren von ihnen selbst erdichteten und erwählten Werken, oder auch wohl mit den Werken, die von Gott befohlen und geboten sind, wollen versöhnen, wenn sie meinen und fürgeben, dass sie durch das Werk ihres Opfers, Besprengung oder Waschung und Reinigung können gereinigt und von Sünden gewaschen und entsündigt werden, in welcher Meinung und gefasstem Aberglauben denn noch heutiges Tages die Juden, Türken und Mönche halsstarriglich verharret und versauert sind, ob sie wohl ihrer Phantasei und Gaukelwerk etlichermaassen eine scheinbare Farbe anstreichen, wie wir hören werden.
Denn das ist die Meinung und der glaube der mahometischen, jüdischen und papistischen lehren bei unserer Väter und Vorfahren Gedächtniss gewesen: Wenn die Menschen thun, so viel sie vermögen, so erlangen und haben sie die Gnade Gottes aus ihrer Geschicklichkeit und mit Bequemlichkeit, und darnach verdienen sie durch ihre von ihnen selbst erwählten und klösterlichen Werke und Wandel aus Mitwürdigkeit Vergebung der Sünden und das ewige Leben: Homines faciendo quod in se est, habere gratiam Die ex congruo, et postea operibus eclecticiis mereri ex condigno remissionem peccatorum et vitam aeternam.
Als nun diese Abgötterei und gräuliche Gotteslästerung die Kirche Gottes wie eine Sündfluth überfallen und durchschwemmt hatte, hat Gott am Ende dieser Welt etliche fromme, reine und in der Lehre gesunde Lehrer gesandt, die da St. Pauli und der Propheten Lehre rechtschaffen lehrten und wiederum rein und fein auf die Bahn brachten und darthaten: Dass wir nicht selig würden aus unseren Werken, das ist, aus unserm Verdienst, Würdigkeit, Herrlichkeit oder Wichtigkeit unserer guten Werke, sondern umsonst, aus lauter Barmherzigkeit, allein um des Blutes willen Jesu Christi, welche gnädige Geschenke und Gaben allein der Glaube im Worte und Sacramenten erkennet und ergreifet, und durch eigene Zuversicht und Vertrauen im selbst appliciret und zueignet.
Der Satan aber nimmt Ursach, uns zu lästern und zu schänden, unsere Meinung zu erkennen und übel zu deuten, verdammt diese gute und gewisse Grundlehre durch seine Lehrer und Gliedmaassen und giebt uns Schuld, wir verbieten gute Werke und die Liebe selbst und strafen ehrbare Zucht und feine äusserliche Disciplin, oder können nicht leiden, dass die Leute ein fein ehrbares und unsträfliches Leben führen.
Dass aber dies eine lautere calumnia, Verleumdung und Übeldeutung und eine offenbarliche, gute, grobe, dicke und feiste Lüge sei, Das wisset ihr Alle wohl; denn wiewohl wir nach St. Pauli Lehre das Verdienst, die Schwülstigkeit, Hochmuth, Vermessenheit und das Vertrauen unserer guten Werke ausschliessen, so lehren wir doch, dass die guten Werke und der neue, angefangene Gehorsam von Noth wegen in den wieder und auf’s neue Geborenen und Gerechtfertigten, als eine Frucht des Glaubens und der wahren Busse, folgen soll; denn Gottes lautere und umsonst gnädige Barmherzigkeit schleusst nicht aus oder verbeut gute Werke als Früchte und effectum des Glaubens, sondern das Verdienst oder Vertrauen der Werke.
Denn St. Paulus lehret doch ja, dass die Wiedergeborenen und Gerechtfertigten noch Schuldner sind dem Gesetze, was den Gehorsam und die Verpflichtung und Verbindung anlanget, ob wir wohl von dem Fluch des Gesetzes durch den Sohn Gottes erlöset sind. Aber der Satan, der da ist ein Tausendkünstiger, erdichtet auch noch neue Fündlein und falsche Glossen, schleusst und decerniret: Wir werden gerecht durch den Glauben und durch die Liebe. Durch den Glauben werde die Erbsünde getilgt, durch die Liebe die wirklichen Sünden. Denn dies ist die neue Sophisterei der Papisten und ist ein geschwinder Griff; denn wir dringen auch auf den Glauben und auf die Liebe, aber auf eine andere Weise, denn es von unseren Widersachern verstanden, gemeinet und fürgegeben wird. Wir fordern die Liebe als eine Frucht des Glaubens, sie aber als eine Ursache der Genugthuung. Das ist nicht recht; denn es raubet dem Sohne Gottes seine Ehre, und die Liebe, da sie gleich in den Wiedergeborenen ist, so ist sie doch noch unrein und unvollkommen.
Darnach erwecket der Satan auf der anderen Seite aus den Unseren Lehrer, welche die guten Werke verlästern, geben ihnen scheussliche Namen. Die Antinomer und Gesetzstürmer sagten, man sollte das Gesetz an den Galgen weisen; so einer nur den Glauben hätte, Demselbigen könnte gar Nichts schaden, ob er gleich ein Ehebrecher oder Dieb wäre. Und heutiges Tages findet man Andere, die auch wohl verdiente alte Lehrer anstürmen, darum, dass sie sagen und verjahen, man müsse von Nothwegen gute Werke thun als einen effectum und Frucht des Glaubens und nicht als eine causam oder Ursach, und dass dieselbigen guten Werke Verheissung und Vergeltung hätten in diesem und in dem künftigen Leben, nach Besage der Schrift.
Diese Lehre höret und hat der gemeine Pöbel und Herr – Omnes – Haufe gerne, denn derselbige Haufe höret nicht gern das Gesetz Gottes schärfen und auf gute Werke dringen. Darum ist alle Zeit dem Licht des Evangelii gefolgt ein rohes, wüstes, wildes, freches, liebloses Leben, wie wir an der Corinthischen und auch an der Ephesischen Kirche sehen. Darum wissen St. Paulus und St. Johannes nicht genugsam die Liebe zu loben, zu preisen und wundersamer Weise zu erheben und vermahnen die Lehrer zur Liebe. Und St. Paulus sagt deutlich und klärlich: Ohne die Liebe hilft es nicht, dass Einer grosse Gaben, Lehre und Geschicklichkeit hat. Als, so ich ohne Liebe lehrete, hilft mir’s nicht, dass du Fleisch issest, brauchest beider Gestalt, hast ein Weib, bist in einem gewissen und dazu berufenen Amte.
Dies wird nun uns gesagt. Denn von dem Herrn Christo wird verkündiget und zuvorgesagt, dass am Ende der Welt, darinnen wir leben, werde die Liebe in Vielen erkalten (Matth. 24.). Und St. Paulus 2. Tim. 3. beschreibet mit gar vielen Worten die böse, arge, letzte und verkehrte Welt, in welche wir leider gerathen sind. Derhalben merkt, warum St. Paulus in diesem Capitel so fleissig und heftig auf die Liebe dringe, und lasset uns auch selber nach der Liebe streben und darinnen leben. Dazu helfe uns Gott der Vater durch Jesum Christ mit seinem heiligen Geiste. Amen.
2. Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.
Die Summam und den Inhalt dieses dreizehnten Capitels und unserer und der Widersacher Religion habt ihr zunächst gehöret. Jetzund nun wollen wir zum Text greifen.
Ihr müsset aber fleissig Achtung geben und wohl merken das Ende des zwölften und den Anfang des vierzehnten Capitels dieser Epistel. Denn St. Paulus vermahnet seine Corinthischen Lehrer zur Liebe, welche er vergleichet zwar nicht mit Christo und seinen Wohlthaten, sondern mit den anderen Gaben, damit Gott seine Kirche schmücket und zieret, begnadet und begabet.
Derhalben so wird die Liebe unter allen Gaben, ausserhalb des Herrn Christi, welcher die fürtrefflichste und edelste Gabe Gottes ist, so da weit die Liebe übertrifft und überwiegt, in alle Ewigkeit bleibe, da gleich sonst viele Gaben aufhören werden und ihre Endschaft nehmen, wie ihr hören werdet. Unsere Widersacher aber missbrauchen diesen Text wider den Herrn Christum und sein Verdienst. Das ist nicht recht, sondern, gegen die anderen Gaben zu rechnen, ist die Liebe die grösste Tugend und nicht zu rechnen gegen Christum, den der Glaube ergreift und ihm applicirt. Aber lasst uns den Text hören:
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht. Das ist, wenn ich alle Sprachen könnte, wie Mithridates 22 Sprachen gekonnt hat, oder wenn ich also beredt wäre, wie Cicero und Demosthenes gewesen sind, und so ich auch mit Engelzungen redete und könnte so gewaltig reden wie Gabriel oder die Engel, so da auf dem Berge Sinai das Gesetz gestellet haben, da es tönete, dass 600,000 Mann in freiem Felde einen Engel höreten, oder Die, so des Herrn Christi Geburt verkündigt haben, und hätte die Gabe der Sprachen und der Beredtsamkeit höher, denn ein Prophet, Apostel oder Doctor gehabt, und mangelte der Liebe, so wär’ ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.
Hie lernet und merket nun die Beschreibung der Liebe. Denn die Beschreibung der Liebe, die man vor Zeiten unter’m Papstthum geführet und gebraucht hat, ist entweder ganz falsch oder gar zu enge gespannt gewesen. Denn die Werke der Liebe hat man genannt allein die zusammengetragenen oder gesammelten Collectas, die man nicht allein zur Erhaltung des Predigtamtes, sondern auch zur Erbauung und Erhaltung der Klöster, Stifte und Kirchen gegeben und gewandt hat, und, wenn’s hoch kam, zur Erhaltung der Armen im Spital, dass wir der anderen Menschenwerke geschweigen. Darum wollte vor Zeiten Jedermann zu Klöstern, Kirchen- und Spitalgebäu geben, Das nenneten sie άγάπην und eleemosynam, Liebe und Almosen, oder Werke der Barmherzigkeit. Und die Liebe erfordert und will nicht allein haben die Werke der anderen Tafel Mosis, als da sind: 1. Die Ältern lieben und ihnen gehorsam sein und folgen. 2. Willig und gerne dienen den Herren und Frauen, ihnen zur Hand gehen. 3. Gerne dienen den Kindern und Erben der Herren und Frauen. 4. Item, dienen und förderlich sein der Kirche, den Nachbaren und Armen. 5. Die Unterthanen regiren und beschützen, wie im Spruch Daniel’s (Cap. 4.) das Wort Almosen gebraucht wird. Sondern der Apostel Paulus beschreibet die Liebe, dass sie sei eine Erfüllung des ganzen Gesetzes. Röm. 13. Und 1. Joh. 5. spricht St. Johannes: Das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer. Darum, so ist das die Liebe, das wir sonst die allgemeine Gerechtigkeit, justitiam universalem, und Gottes Bild, imaginem Dei, nennen und begreift den Gehorsam gegen beide Tafeln Mosis, dass wir Gott und die Menschen lieben und haben Freude und Wohlgefallen an Gott und thun Alles willig und gerne zu Gottes Ehren, oder um Gottes willen, oder in Gott, Joh. 3., und lieben unsern Nächsten als uns selbst, wie uns denn auch Gott liebt, oder ein Vater seinen Sohn, oder ein Bräutigam seine Braut. Also redet der Herr Christus (Matth. 22.) und Moses (Deut. 6.).
Das heisst Lieben, wie denn unser Katechismus alle Gebote auf die erste Tafel zeucht, führet und referiret: Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir u.s.w. Denn ohne die Liebe Gottes kann die Liebe des Menschen nicht sein. Aber wenn wir um Gottes willen die Kirche, unser Weib, Kinder, Obrigkeit, Nächsten, Schüler u.s.w. lieben, und haben Freude und Wohlgefallen an Gott in allem unsern Thun und Lassen, das ist wahre Liebe und ist die allergrösste Gabe, welche hie in diesem Leben durch den heiligen Geist allein angefangen wird und folget auf die Erkenntniss und Glauben an Christum, als eine Frucht oder effectus des Glaubens. Aber diese angefangen Liebe in diesem Leben wird im ewigen Leben durch des heiligen Geistes Flammen vollkommen werden, da wird unser Herz voll völliger Liebe sein. Aber diese Liebe wird in diesem Leben durch den heiligen Geist, der in uns wohnet, allein angefangen.
Das ist die Beschreibung der Liebe, davon St. Paulus redet, nämlich: Alles reden und thun aus der Liebe Gottes, wie Christus zu Petro sagt (Joh. 21.), das ist, lehren, anhalten, studiren, Etwas gedulden und leiden um des Sohnes Gottes willen. Derhalben so will der Herr Christus diese Liebe in St. Petro haben, da er sagt: Hast du mich lieb? Oder: Liebst du mich? Weide meine Schafe. Und St. Paulus erfordert sie auch, diese Liebe, in seinen Lehrern zu Corintho.
Derhalben, so ich schon mit vielen Sprachen reden könnte, wie Lucretius der Baier, -
und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.
Hie gebet gute Achtung und merket auf die Beschreibung oder Gemälde eines Doctoris oder Lehrers, der da mit grossen oder vielen Gaben geschmückt und gezieret ist und Anderen dienet und frommet mit Lehren wie Bileam, ihm selbst aber unfrommet und schadet und, wie St. Paulus 2. Corinth. 9. sagt, Anderen predigt und selbst verwerflich wird. Ein solcher Doctor und Lehrer ist wie eine Cymbel, Schelle oder Glocke. Und siehet St. Paulus ohne Zweifel zurück in das alte Testament, da Aron Schellen an seinen Amtskleidern hatte. Item, die Posaunen und Cymbeln hat man allerwege im Tabernakel oder Stiftshütte gehabt, wie bei uns die Glocken (Exod. 28. Levit. 25. Num. 20.).
Ihr wisset aber wohl den Brauch der Glocken, und wozu man sie nützet, wie das gemeine Räthsel vermag: Laudans Deum, congregans plebem, vocans clerum. Die Glocke lobet Gott, versammelt das Volk zur Noth und ruft den Geistlichen zum Gebet. Summa, die Glocken dienen anderen Leuten wie eine Seigerglocke; aber ihnen selbst dienen sie nicht. Also ist auch nun ein Lehrer ohne Glauben und Liebe ein schöner Seiger, güldene Glocke, Zinke, Posaune. Anderen Leuten kann er dienen, sie lehren, ihnen den Weg weisen, sie von Gott erinnern und sie heissen zur Kirche gehen und uns den Mond weisen. Aber fürwahr, die Glocke verstehet selber Nichts, und frommet, noch nützet ihr auch selber nicht; je länger sie sich lässet gebrauchen, je geringer sie wird, consumitur usu, wird verzehret und vernützet, wie ein brennend Licht. Derhalben so hat es nun auch eine solche Gestalt und Weise mit einem Doctor oder Lehrer, der ohne Glauben und Liebe ist.
Denn Das ist einmal wahr und gewiss, dass man viele Lehrer findet, die da anderen Leuten können dienen, frommen und nütze sein, wie Judas, Bileam und die da aus Zank, aus Geiz und um ihrer eiteln Ehre, Ruhms und Namens willen in den Kirchen lehren und Gottes Wort handeln, wie St. Paulus klärlich bekennet, und die Gottlosen sind oft mehr Sprachkündiger und vieler Zungen oder Sprachen versucht und geübet, machen gar gute Dolmetschung, arbeiten uns für, wie Osiander und der Mönch Santes gethan, dafür sie ihre Ehre und Geniess haben. Aber für sich sind sie wie ein Seiger und eine Glocke, ihnen selbst dienet es nicht zur ewigen Seligkeit, und es kommt selten, dass sie in reiner, wahrer, gesunder, seligmachender Lehre verharren. Darum spricht St. Paulus: Im alten Testament waren solche Schellen und Posaunen, derhalben so muss es ein Lehrer, der da Andere lehret, auch selber gläuben und mit der Liebe beweisen, was er Andere lehret, auf dass er nicht Anderen Gutes predige und selbst verwerflich erfunden werde (1. Cor. 9.).
Dies kann und soll man nun auch auf die Zuhörer appliciren und deuten. Man findet ihrer Viele, die anderen Leuten gute Bücher schicken, reden recht und wohl von der Religion. Aber sie leben selbst dahin in’s blinde Feld ohne alle Liebe hinein. Darum sind sie nichts Anderes, denn ein tönend Erz und eine klingende Schelle. Ach hilf, Herr Jesu Christe, dass wir, was wir mit dem Herzen gläuben und mit dem Munde bekennen, auch mit der Hand und That thun und vollbringen. Amen. Herr Jesu Christe, Amen. Um deines heiligen Namens willen Amen. Amen. Amen.
3. Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntniss und hätte allen Glauben, also, dass ich Berge versetzte und hätte der Liebe nicht, so wäre ich Nichts; und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und liesse meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s Nichts nütze.
Geliebte im Herrn, wie der Apostel St. Paulus zur Liebe vermahnet und dieselbige der Gabe der Sprachen und Beredtsamkeit weit verzeucht, habt ihr gehört. Denn die Vielplauderer und auch die gar gelehrten Prediger, wenn sie ohne Liebe sind, das ist, wenn sie nicht trachten, wachen und sehen auf Gottes Ehre und Erbauung der Kirchen, sind sie nur Glocken, Schellen und Cymbeln.
Jetzund fähret er fort und vergleicht die anderen Gaben der Frommen und Gottfürchtigen mit der wahren Liebe, welche ist eine Frucht des Glaubens, und spricht:
Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse.
Droben habt ihr gehöret, dass weissagen heisse und sei die heilige Schrift erklären und auslegen oder verdolmetschen und fein richtig rein und fein, bequemlich und dem Fundament ähnlich in andere Sprachen und Gezünge bringen. Das ist fürwahr eine gar grosse Gabe und ist Wenigen von unserm Herrn Gott bescheeret und gegeben und ist etwas Anderes und Sonderlicheres, denn die Gabe der vielen Sprachen haben oder sprachkündig sein, wie ihr droben gehört habt. Hieronymus hat viel Sprachen gekonnt, aber Augustinus thut’s ihm weit zuvor mit Interpretiren und die Schrift Auslegen und kann es besser geben. Aber diese Gabe ohne Liebe ist gar Nichts, das ist, so Einer mit seinem Weissagen nicht Gottes Ehre sucht und solches Alles thut aus der Liebe gegen Gott, und dass er Anderen damit nütze, diene und fromme, Der ist Nichts, oder ist ganz und gar ein Taugenichts.
Und (so ich) wüsste alle Geheimnisse.
Das ist, heimliche, verborgene Dinge, geistliche und heimliche Auslegung, oder allegorias und versteckte Dinge in heiligen und geistlichen Gemälden und Figuren.
Denn das Wort Mysterium kommt entweder her von μύω graeco oder von Satar hebraico. St. Paulus weiss gar viele Geheimnisse, erklärt viele Figuren und hat ausgesagt: Es werden nicht alle Menschen sterben, sondern es sollen etliche verwandelt werden. 1. Cor. 15. Also sind zu unserer Zeit ihrer Viele gewesen, die besondere mysteria und Geheimnisse aufgemerkt und aus der Bibel herfürgebracht haben.
D. Luther hat aus Genes. 4.: Possedi virum Johovah, ich habe den Mann, den Herrn (oder den Herrn selbst), - den Sohn Gottes ersehen. Andere haben im Regenbogen (oder Zeugen in Wolken aus dem 89. Psalm) Christum sammt seinen beiden Naturen ersehen. Alesius hatte ersehen, wie die Söhne Noä in ihren Vaters Lenden oder Schooss den Sohn Gottes, das ist, den verheissenen Samen veneriren und verehren, und dass des Jakob Hüfte verrenkt ist, bedeutet, dass allein aus seiner Tochter der Herr Christus geboren werde. Solcher Geheimnisse und verborgener Dinge offenbaret und erklärt der Sohn Gottes und Johannes der Täufer nun gar viele. Denn die heilige Schrift hat viele Wundergeheimnisse, die uns fremd und unbekannt sind. Die Wiedertäufer und viele Andere suchen verborgene Geheimnisse und besondere Mysteria in dem Propheten Ezechiel, Daniel und in der Offenbarung Johannis und wollen gern etwas Heimliches und Neues herfürbringen und damit ihre Autorität und Ansehn wider ihre Collegas und Mitarbeiter also erhalten; aber diese narrationes sind dem Glauben nicht ähnlich. Und ich setze es im Fall, wenn Einer gleich nun solche Dinge alle hätte und wäre ein grosser Meister und suchte damit seine eigene und eitele Ehre, wäre damit neidisch, vortheilig und wollte nicht gern seine Kunst und Geschicklichkeit lauter umsonst mittheilen, so wäre er doch Nichts. Folget
und (hätte) alle Erkenntniss.
Das ist, so ich gleichwohl könnte zwischen dem Gesetz und Evangelio, unter weltlichen und geistlichen Sachen, zwischen politischen und Kirchenhändeln, unter dem Glauben und der Liebe, unter nothwendigen und freien oder Mitteldingen unterscheiden, und könnte unterschiedlich und bescheidentlich von allen und jeden Artikeln der Religion reden, wohl definiren und beschreiben, wohl theilen und argumentiren und Eins aus dem Andern schliessen und lassen fliessen, welches auch ihrer Wenige können, so es aber ohne Liebe geschähe, würde es mir Nichts nützen, noch dienen, ob ich schon Anderen damit diente und nützte. Denn ohne Liebe wäre ich doch ein tönend Erz, klingende Schelle und Nichts. Und so ich Solches nicht thäte aus der Liebe zu Gott und gegen den Nächsten, durch fürleuchtenden Glauben und Erkenntniss Christi, durch welchen ich allein lauter umsonst Gott angenehm bin und ihm gefalle, und sähe nicht an Gottes Ehre und der Kirche Heil, Erbauung, Besserung und Seligkeit, so wäre ich Nichts.
Und hie redet St. Paulus, wie er auch sonst oft thut, auf hebräische Weise, Nihil, so wäre ich Nichts, das ist, ich wär ein Ölgötze, ein Idol, vanitas, Götze, Eitelkeit, Nichtigkeit, Elul, steinerne Marter oder Scheideseule, statua Mercurialis, eine eiserne Hand wäre ich, der ich wohl Anderen den Weg weisete, aber mir selbst gar Nichts frommte. Denn Elul heisst nichtig, eitel, unnützlich, und erklären’s Etliche für Hebel, davon kommt Habel, das ist, vanitas, Eitelkeit. Zach. 11. Levit. 19. Ihr sollt euch nicht wenden zu der Eitelkeit, das ist, zu den Götzen, Wahrsagern und Zeichendeutern.
Dies ist nun gar ein geschwinde und scharf Gemälde; denn St. Paulus will so Viel sagen: Ein Prediger ohne Liebe ist Nichts, das ist, er ist eine Seule, so an den Scheideweg gesetzt ist, Anderen die Wege weiset, theilet und scheidet und aber selbst stockstille stehet und nirgend hin gehet, ist ein operarius iniquitatis oder Übelthäter. Matth. 7.
Und hätte allen Glauben also, dass ich Berge versetzte.
Hie müsset ihr fleissig merken und darauf Achtung geben, dass der Apostel Paulus hie nicht redet von dem gerechtmachenden Glauben, der da Christum ergreifet und nicht ohne heiligen Geist und Liebe ist. Denn die ganze heilige Schrift bekennet und verjahet: Der Gerechte lebe seines Glaubens (Habac. 2. Röm. 1. Gal. 3.), aber eines solchen Glaubens, der da wahrhaftig, lebendig und nicht geschminkt oder gefärbt, sondern kräftig, schäftig und thätig ist durch die Liebe (Gal. 5.6.).
Denn allhie redet St. Paulus von einem heroischen Heldenglauben, welcher eine besondere Gabe ist, Wunder und Zeichen oder sonst etwas Grosses und Sonderliches zu thun, als: Teufel austreiben, Berge versetzen. Denn Das ist gewiss wahr und offenbar, dass ihrer Viele in ihrem Amte Andern zu gut und Frommen viel heilsame und dienstliche Gaben haben, aber mit ihrem eigenen Schaden, Verderbniss und Nachtheil, wie denn der Herr Christus solche eitele Übelthäter verwirft und von sich weiset. Matth. 7. Und der Apostel Paulus zählet im vorigen Capitel den Glauben unter die Gaben oder Wirkungen, und hie setzet er deutlich und klärlich von dem heroischen Wunder- und Heldenglauben hinzu, dass er könne Berge versetzen. Denn er siehet auf den Spruch des Herrn Christi: Wahrlich, ich sage euch, so ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein Solches mit dem Feigenbaume thun, sondern so ihr werdet sagen zu diesem Berge: „Hebe dich auf und wirf dich in’s Meer!“ so wird’s geschehen.
Oder aber redet der Apostel St. Paulus hie sammt dem Herrn hypothetice und spricht: Wenn ich allen Glauben hätte, nämlich, so es möglich wäre, und mangelte doch der Liebe, so wäre ich Nichts. Denn also pflegen wir oft zu reden, wir setzen und geben eine unmögliche Sache und Ding für, so doch nicht geschehen, noch sein kann, und sprechen: Wenn die Sau Federn hätte, so wäre sie das beste Wildprett. Aber eine solche Sau, so da Federn hätte, findet man gar nicht in der natürlichen Schöpfung oder unter allen Thieren in der Welt.
Denn Das ist wahr, der wahre Glaube kann nicht ohne Liebe sein, wie die Sonne nicht ohne Glanz, Hitze und Wärme ist. Denn wer den Bruder nicht liebet, Der bleibet im Tode, sagt Johannes.
Derhalben so redet und handelt St. Paulus allhie wider die Heuchler, so sich gar zu sehr auf die Gaben werfen und darauf verlassen, und wären gerne gelehrt, und achten gar nicht der Liebe Gottes und des Nächsten.
Darum so ist dies ein nützlicher Spruch und gute Lehre nicht allein wider die Papisten, sondern auch wider die bösen, eigenwilligen Evangelisten, die sich oft ihres Glaubens rühmen, so sie doch nicht allein der Liebe mangeln, sondern auch in öffentlichen, bekannten und landrüchigen Lastern, Sünden und Schanden leben, Dieselbigen sehen zu, dass sie sich nicht selber betrügen; denn sie gläuben noch gar Nichts und können, noch sollen nicht für gläubige Christen gehalten werden. Denn ob wir schon lauter umsonst aus Gnaden gerecht werden und durch den Glauben selig sind, so ist doch diese Lehre auch gewiss und wahr, dass in einem Gläubigen oder mit Gott Versöhnten, Angenommenen oder Gerechten müsse sein und gefunden werden die Liebe oder der neue Gehorsam, wie ihr zunächst in der Passion vom rechten Schächer gehöret habt. Jetzund erzählet er nun die anderen Werke, damit er auch den Zuhörern predigen möge und spricht:
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und liesse meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s Nichts nütze.
Dieser Spruch ist wider die Mönch, die da sagen und fürgeben, man könne durch Almosengeben der Sünden los werden. Aber St. Paulus sagt klärlich: Dies Werk der Almosen taugt, noch gilt Nichts, wo es nicht geschieht in der Liebe Gottes und des Nächsten. Niemand aber liebet Gott, er sei denn mit ihm durch den Mittler versöhnet.
Item, dieser Spruch verdammet auch unsere Heuchler. Man findet ihrer Viele, so die Armen zu Tische und Gastung einladen, geben ihnen Etwas; aber Das geschieht entweder, dass sie Dess wollen gerühmet sein, oder ihre Sünde damit zudecken und beschönen, oder sie haben viel gestohlen, wollen Gott also ein Auge zukleiben. Darum nutzt und frommt es ihnen nicht.
Denn was Christo gegeben wird als ein Dankopfer in der Erkenntniss Christi, zu Gottes Ehren, mit fürleuchtendem Glauben, Das rühmet Christus am jüngsten Tage. Das Werk aber von und an ihm selbst, so man thut, machet uns Gott nicht lieb, noch angenehm.
Item, so sich Einer brennen oder sonst umbringen liesse, wie vor Zeiten die Priscillianistae und bei unsern Zeiten die Wiedertäufer gethan haben und noch thun, und thäte es nicht aus Liebe Gottes und des Nächsten, mit fürleuchtendem Glauben, so wäre es ihm Nichts nütze.
Dies soll man nun heute merken wider die Heuchler, und dass wir nicht unbescheiden und unbedächtiglich richten, urtheilen und schliessen aus der äusserlichen Larve der Werke. Denn der Satan pflegt also ihrer Viele zu bezaubern und zu blenden, ihrer Viele findet man, die da äusserliche Scheinwerke thun, auf dass sie also damit ihre falsche Lehre mögen bestätigen und ihr ein Ansehn und ihnen selbst einen Grad machen. Derwegen die Papisten mehr Almosen oder um Gottes willen geben, denn wir. Also thun auch die Wiedertäufer mit Geben und Leiden; aber ihr Geben und Leiden ist verloren. Denn gleich wie die Strafe, das Leiden und die Marter keinen Märtyrer macht, sondern die Sache, also machen die Almosen keinen Christen, sondern die Ursache und der Quell, daraus die Almosen quellen, nämlich, ein thätiger Glaube. Denn wir lehren recht, geben und kleiden arme Leute und verbieten keineswegs gute Werke, sondern lehren, wie sie Gott gefallen. Und bei dieser Lehre wolle uns Gott bis an unser Ende erhalten. Amen.
4. Die Liebe ist langmüthig und freundlich.
Ihr habt gehört, dass die Liebe, die da ist eine Frucht des Glaubens und ein gewiss Kennzeichen eines Christen und begreift die Liebe Gottes und des Nächsten und den Gehorsam des ganzen Gesetzes, allen anderen Gabe, damit Gott seine Kirchen und Diener schmücket, begnadet und begabet, fürgezogen wird.
Jetzund wird er die Liebe beschreiben und derselbigen eine besondere Definition machen und fein nach einander die herrlichsten Tugenden, so aus der Liebe entspringen und fliessen, ordentlich erzählen.
Aber hie sollet ihr merken, dass allein die Tugenden der andern Tafel Mosis erzählet werden. Denn von den Tugenden der ersten Tafel Mosis, dass wir Gott über alle Dinge aus ganzem Herzen lieben und Alles zu Gotte ehren, zu Heil seiner Kirche, mit Freude, Lust und Wohlgefallen thun und in Christo beruhen sollen, hat der Apostel Paulus droben im 10. Capitel gesagt. Dieweil wir aber zu seiner Zeit diese herrliche Lehre und guten locum in der Auslegung des fünften Gebots unseres grösseren Katechismi erkläret und mitgenommen haben, doch obiter und nicht nach der Länge, so wollen wir nun eine jede Tugend auch mit Einbringung der Exempel, etlichermaassen desto fleissiger handeln und euch fürhalten.
Die Liebe ist langmüthig.
Das ist, die Liebe gehet gemach, nimmt ihr wohl Weile, übereilet sich nicht, rächet sich nicht balde, kann eine Örten borgen, lässet ihr nicht balde (wie die Deutschen reden) die Pferde oder Kühe nehmen, oder sich aus der Wiege werfen, aufbringen, entrüsten, erzürnen, wird nicht unwillig und ungeduldig.
Dies ist nun gar eine göttliche und heldische Tugend, und in Gott siehet man sie sehr klar, welcher denn von seinem gelinden und sanften Gemüthe oft langmüthig genannt wird und kann mit grosser Geduld und Langmüthigkeit, lenitate animi, die Gefässe des Zorns (Röm. 9.) dulden und tragen, bis ihr Maass voll wird, und dass er Jedermänniglich durch seine Sanftmuth, Geduld und Gelindigkeit zur Busse reize, vermahne und bringe und übereile Keinen, wie die Heiden sagen: Der zorn’ge Gott schleicht fein gemach Zur Rach, geht leise und gemach.
Diese Tugend sehen wir auch an David. Derselbige, da er gleich von Simci freventlich angegriffen und verletzet ward, so will er sich doch nicht bald an ihm rächen, ihn strafen und Böses mit Bösem vergelten, und wie er schon wiederum in’s Regiment kommt, schonet er auch noch seiner, damit er nicht dem wieder von Neuem errichteten Regimente möchte einen Schaden thun und ein Unglück zufügen; da er aber stirbt, befiehlt er seinem Sohne, wie er’s mit Simci machen und ihn strafen soll (2. Sam. 16. 1. Kön. 2.).
Diese Tugend will St. Paulus sonderlich an einem Lehrer wissen und haben, dass er die Bösen wisse mit Langmüthigkeit und Sanftmuth zu ertragen und zu dulden; denn Gelindigkeit des Gemüths, Sanftmuth, Geduld, Mässigkeit, Gleichheit, Langmuth und Vergeben, des Unrechts vergessen wegen des gemeinen Nutzens sind die nächsten und befreundetsten Tugenden der Langmüthigkeit.
Der liebe David verzeihet, vergiebt und hält viel zu gute seinem Schwäher, dem Saul.
Thrasibulus, wie er wollte seine Stadt und Vaterland verfassen und Friede stiften, musste er eine Amnestie, das ist, ein solch Gesetz und Statut, dass Niemand erlittenen Raub oder Gewalt rächen sollte, sondern wer da hätte, Der sollte behalten, aufrichten. Und Kaiser Conrad hat dem Guelpho auch verziehen.
Das ist die Liebe, welche, so sie kommt, quillet und entspringt aus dem Glauben an den Sohn Gottes, so ist sie eine rechte, christliche Liebe.
Dieweil aber eine jegliche Tugend auch ihre besonderen extrema und abträgigen Laster hat, so heisst nun das eine: all zu jach und frech sein mit Zorn und Begierde der Rache oder jachzornig und rachgierig sein und sich nicht wohl zuvor bedenken. So Einer verletzt ist worden oder meint, es sei ihm Gewalt und Unrecht geschehen, oder es gehe die Kirche oder das gemeine Beste und Polizei an, die dadurch sind verletzt und beschädigt worden, da Einer in einem jähen Zorn zu geschwinde ist, wie Theodosius, der lässet um eines Wortes willen in einem Tumult und Empörung viel tausend Menschen niederstechen, um welcher That willen ihn dann Ambrosius auch straft, oder wie Arius, der in der Wahl eines Bischofs überschritten wird, gedenkt er balde, wie er sich wolle und könne rächen und bringt seine Privathändel in die Religionssachen und richtet viel Meuterei an. Ach, wie eine böse und schädliche Seuche ist dieses Laster, Beide in der weltlichen Polizei und in der christlichen Kirche. Darum sagen die Deutschen: Jählinge Sprünge thun selten gut. Ein Jäher giebt keinen Jäger. Ad poenitendum properat cito qui judicat: Wer balde richt’t, Den todte die Gicht.
Derwegen ist dies ein guter und bequemer Rath, den weiland ein guter alter Greis einem jähzornigen, geschwinden Herrn, der die Leute bald anfuhr und beantwortete, gegeben hat. Herr, sagt er, ihr wollet doch zuvor, ehe ihr also auffahrt und euch ergrimmet und ehe ihr Antwort gebt, ein Ave Maria beten, so könnet ihr euch in Dem wiederum besinnen und zu euch selbst kommen.
Also ist es in den Kirchen auch misslich und schädlich, da man allein mit zornigem Gemüth Etwas von öffentlichen und gemeinen Sachen reden und handeln will; denn ein schnelliger Kopf richtet selten etwas Gutes aus. Doctor Martin Luther, als er in der Bauern Tumult und Aufruhr auf die Kanzel steigt zu predigen, hat er gesehen, wie man mit den Crucifixen und Bildnissen des gekreuzigten Herrn Jesu Christi umgegangen, dieselbigen zerbrochen und die Stücke in den Predigtstuhl geworfen und gestreuet hatte. Aber was sollte er machen? Er verbeisst’s, hält an sich und stellet sich die ganze Stunde, dieweil er predigt, als sehe oder merke er Alles nicht, auf dass er nicht Etwas unbescheidentlich möchte herausfahren lassen und das Nöthigste und Beste vergessen oder zu sagen unterlassen. Und unser Herr Kaiser hat diesen Ruhm und Lob billig, der lässet ihm selbst die Weile, kommt langsam, fertigt langsam ab, und da Etliche darob unwillig und ungeduldig wurden, hat er gesagt: Es ist besser langsam und wohl, denn balde und übel abgefertiget.
Das ander Laster ist: allzu nachlässig und verdrossen sein, Alles hinhangen und schlafen lassen, nicht sauer sehen, wenn es übel zugeht, wie Eli (1. Sam. 2.), oder nimmermehr Keinen strafen, wie die verschmitzten Prediger und weltweisen Regenten zu sagen pflegen: Ich mag mir und meinen Kindern keinen Schandflecken machen; ich muss meiner und der Meinen selber schonen und mit Strafpredigten an mich halten u.s.w. Aber wir kommen wieder auf St. Pauli Wort:
Die Liebe ist langmüthig.
Und derer sollt ihr euch zu Corinth befleissigen, Beide öffentlich in der Gemeinde und im Besondern daheim. Da richtet ihr mehr mit aus, als wenn ihr hebräisch redet und Berge versetzen könntet.
Die Liebe ist freundlich.
Das ist nun die Freundlichkeit, Gütigkeit oder Wohlthätigkeit, da man geneigt und willig ist, den Leuten, und auch bösen Leuten dazu, zu dienen, Gutes zu thun und zu helfen, unangesehen, ob sie es nicht werth und wohl verdient hätten. Also thut Gott wenn er Regen und Sonnenschein über Böse und Gute kommen lässt, giebt seinen Sohn für seine Feinde, wäschet Judä die Füsse und will ihm helfen. Moses betet und legt eine starke Collecta bei Gott für seine aufrührerischen Unterthanen ein und begehrt für sie ein Fluch und Anathema zu werden. Also betet St. Paulus für seine Philippenser (Phil. 4.) und befiehlt sie den Hofleuten an des Kaisers Hofe, ob sie wohl unverhöret ihn im Rücken in einer Eile verdammten und gestäupt hatten (Act. 16.). Camilus wird aus Rom verstossen; doch aber, da er darum gebeten und angelangt, springt er der Stadt bei und errettet sie von ihren Feinden. Also thut Joseph seinen Brüdern alles Gute. Das ist nun eine schöne Tugend, und daher sagen die Griechen: άνήρ χρηστδς χοινόν άγαδόν. So einer ist ein frommer Mann, Jedermann sein geniessen kann.
Die nächsten Tugenden aber, so zu dieser Freundlichkeit gehören, sind Glimpf, das Beste der Sachen reden, einen Schmitz verhalten, in einen sauern Apfel beissen wie Isaak, da er’s nicht gut um seine Nachbarn hatte (Genes. 26.), wich er und liess seinen gegrabenen Brunnen fahren.
Die Laster, so dieser Tugend entgegen und zuwider sind, ist eins: allzu scharf, hart, ungeduldig, unbarmherzig, unerbittlich, verhärtet und hartnäckig sein, wie Achilles, einen thörichten, unsinnigen Kopf aufsetzen, einer ganzen Kirche und Gemeinde Schaden thun, dass er nur seinen Muthwillen kühle, ehe denn er wollte von seinem harten Sinn abstehen oder irgend Jemand ein gut Wort sagen oder zusprechen und um eines gemeinen Nutzens willen etwas Gutes thun. Ein Solcher ist Saul, der böse Mensch, gewesen.
Das ander Laster ist: gar zu gütig, milde und gelinde sein, Jedermann dienen, hofieren, gute Worte geben aus einem falschen herzen und um eigenen Nutzens und Ruhmes willen Gott geben, wo Kirchen, Gemeinde und Kinder in den Schulen bleiben, ja, mit anderer und fremder Leute Gut ihm Gunst und Liebniss kaufen; denn sie sind nicht Alle fromm, die gern geben, zumal, wenn es Fremde thun. Also thut Mitio im Terentio und Andere mehr. Item Bardas, der Hofmann und Kaiser Michael. Aber davon jetzt genug. Gott sei mit uns! Amen.
Die Liebe eifert nicht, die Liebe treibet nicht Muthwillen (oder schalket nicht); sie blähet sich nicht.
Die dritte Tugend ist:
Die Liebe eifert nicht.
Denn Zelus oder Eifer ist ein zweihändig Wort, nomen medium. In Gott, im Ehestand und grossen Ingeniss oder guten Köpfen und Heldenleuten ist es eine Tugend. Also nennt sich Gott selbst Zeloten (Exod. 20.), einen Eiferer, der da aus Liebe zürnet. Aber hie stehet das Wort Eifer für Neid und Bösesnachahmung oder Feindschaft und heisst so Viel, als scheel und sauer sehen, wenn es ein Anderer besser hat, denn ich. Darum so ist Das St. Pauli Meinung: Die Liebe eifert nicht, das ist, die Liebe siehet nicht scheel und sauer, wenn es einem Andern wohlgeht, sie giebt anderen Leuten ihre Ehre und hilft sie herfürziehen, die tüchtig sind. Denn so Viel heisst diese Tugend: Nicht eifern; nämlich Jedermann gönnen, was ihm Gott gönnt und sich freuen, wenn es einem Andern wohlgeht und andern Leuten ihre Ehre geben und Die, so tüchtig zu einem Ehrenamt sind, herfürziehen.
Dies ist eine grosse oder gar seltsame Tugend, welche schimmert und herfürleuchtet in den guten Engeln, die freuen sich, dass Gott uns seinen Sohn schenkt, und dass Christus unser blut und Fleisch an sich nimmt. Sie freuen sich auch über einen bekehrten Sünder, der Busse thut, helfen, fördern und dienen uns.
Also eifert Jonathan nicht wider David, da er ihm wurde fürgezogen, sondern umstehet und weicht ihm gerne, gönnet ihm die Ehre, freuet sich, dass das Reich Israel einen solchen guten und frommen König bekommen und haben werde.
Also weicht und umstehet der Bischof Valerius dem heiligen Augustino und freuet sich der herrlichen Gaben Augustini, und weil er gelehrter war, lässt er ihn an seiner Statt predigen.
Dieser Tugend sind zunächst verwandt und zugethan diese Tugenden, als nämlich: Demuth, davon wir drunten haben werden, und die Liebe des gemeinen Besten. Also giebt und lässet Protogenes, der Schulmeister, ein herrlicher Mann wegen der Gaben, Wunderwerk zu thun, dem Bischofe Eustachio den Fürzug, wie in den Kirchenhistorien bei Theodoreto und Andern zu finden ist.
Das widerwärtige Laster aber ist der heilige Neid, Feindseligkeit, böser Eifer, welches Terentius vecordiam nennt, Wehmuth des Herzens oder Herznagung, ihm lassen wehe thun und Schmerzen im Herzen darum haben, dass es Andern wohlgehet, Hans Schadenfroh sein, in die Faust lachen, wenn dem Nächsten ein Unglück zu Handen kommt und unter die Augen stösset, sich fürchten und besorgen, ein Anderer möge ihm fürgezogen werden, andere tüchtige Leute helfen abschöpfen, hindern, dämpfen, nur, dass er sich und die Seinigen herfürbrächte, und dies Alles mit bösen Praktiken und falschen Ränken thun und ausrichten und nicht darnach fragen, mit was für Recht oder Unrecht, Billigkeit oder Gewaltsamkeit Solches geschehe. Dies ist eine eigentliche teuflische Art, der in die Faust lacht, wenn es Einem wohlgeht, wie zu sehen ist an dem Fall unserer ersten Ältern, da er dem Adam seine Ehre missgönnte. Saul ist auch ein solcher έπιχαιρέχαχος und Neidling, und des Saul Hofleute neiden und feinden David an, wie er den Goliath überwindet, stechen alle heimlich auf ihn und sehen ihn über eine Achsel an. Mordent omnes, invident clanculum, sagt jener Thraso im Terentio. Also neiden und feinden an Mosem Aron, Mirjam, Dathan, Korah u.s.w.
Dieser neid wächst und entspringt aus einem hochtrabenden, grossen und ungelehrten Gemüth und Herzen, wenn Einer Nichts kann und blähet sich doch auf, wie allhie folget:
Sie blähet sich nicht.
Denn der Neid und die Feindseligkeit wollten sich gern obenan setzen, darum denkt er auf Wege, wie er andere Leute dämpfen und heben kann, tadelt Alles, was andere Leute thun und fürnehmen, wie Absalom.
Dies Laster ist zu Corinth gar gemein gewesen, da es denn sehr stolze, giftige und neidische Prediger hatte, die den andern wollten zu’n Häupten wachsen, und heutiges Tages hat dies teuflische Laster weit und breit in Kirchen, Polizeien und Schulen die Oberhand gewonnen und genommen, ja, wie man sagt: victo dominatur in orbe, ist es Alles mit einander worden.
Die aber an dieser Seuche des Neides und der Feindseligkeit krank liegen, besorgen sich für einem Collega, Diacona, Schulmeister, Die mangeln der Liebe, und per consequens, oder aus nothwendiger Folge, auch des Glaubens und guten Gewissens. Darum sind sie Nichts und lehren aus Zank und Hader, können sie dich nicht ausheben und stürzen, oder fürchten und besorgen sich, sie legen einen Blossen, so streichen sie davon und suchen andere Heilstädte und Fuchsgruben. Ach, wie könnten wir so viele Exempel davon erzählen und einbringen; aber sie sind verdriesslich und gehässig. Gott behüte alle frommen Lehrer und Regenten vor diesem Laster. Die Erde verschlinget Datham und Abiram, Doeg und Saul kommen gräulich und erschrecklich um und alle Neidischen verdorren und mergeln sich selber wegen anderer Leute guten Zustand ab. Omnes invidi aliorum rebus marcescunt opinis! singet der Poet.
Die Liebe schalket nicht (oder sie treibet nicht Muthwillen).
Was eigentlich hie das griechische Wort ού περπερεύεται heisse, befehlen wir der Schule. Wir bleiben bei dem deutschen Wort: Sie schalket nicht, oder, wie es heute verdolmetscht ist: die Liebe treibet nicht Muthwillen, das ist, sie ist nicht muthwillig, wissentlich und fürsätzig böse, sie handelt nicht tückisch, falsch, verschlagen, sie tockmauset nicht wie ein Fuchs und fleissiget sich nicht freundlicher böser Stücke, wie böse, falsche und muthwillige Leute thun, sondern sie handelt geradezu, aufrichtig, bedächtig.
Saul ist ein solcher muthwilliger Schalk und böser, falscher Mensch, dass, da er gleich überzeuget und seiner Sünde und Verbrechung und der Unschuld und Aufrichtigkeit halber des lieben David überwunden ist, dennoch fähret er wissentlich und fürsätziglich fort, giebt gute Worte aus einem falschen Herzen. Also ist Laban auch ein solcher Heuchler, ungerade und ein muthwilliger Schalk und will den armen und guten Jakob, den frommen, rechten, aufrichtigen, redlichen und getreuen Mann, den die heilige Schrift Tham, davon Thomas kommt, nennet, gar unterdrücken.
Dies ist nun eine grosse Tugend. Der Römer Camillus warnt Pyrrhum vor seinem eigenen Arzte, der da Pyrrho wollte Gift beibringen und ihn also austilgen und wegräumen und schickt den Paedagogum oder Zuchtmeister den Pharisäern mit den Kindern wiederum anheim. Das heisst redlich, bedächtig und freundlich gehandelt. Aber verschmitzt, abgerichtet, verschlagen, krumm und falsch sein, sich böser Ränke und Griffe befleissigen und immer mit Bubenstücken trotziglich fortfahren, und so man Einen mit Gewalt nicht kann vertreiben oder gar aufreiben (den er doch anfeindet und neidet), wie Cain mit Abel, der Papst mit frommen, christlichen Leuten thut, so greift er’s mit Schalksnägeln an, bestellet heimliche Meuchelmörder oder welsche Süpplein. David schreibt Uriasbriefe, Ahitophel schmiedet Hundsketten, hängt sich an des Königs Sohn, macht Anhang und Meuterei oder sonst heimliche Praktiken, da man Einen mit Gericht verleumdet, hebet oder mit Schrauben aufbringet.
Das höret ein Exempel von zweien Studenten, einem frommen und einem boshaftigen. Der fromme ward zu einem Schuldienst berufen, Das verdreusst den bösen; wie er’s erfährt, locket und beruft er den andern zur Zeche und Gesellschaft, machet ihn trunken, bestellet Gesellen, die ihn gassatim führen, schreien und göcken. Wie Solches für die Herren kommt, so ihn zum Schuldienst berufen und wollten gefördert haben, wurden sie anders Sinnes, und musste der gute Geselle seines Dienstes Schabab sein.
Mancher giebt seinem Herrn und Haupte auch Rath, da es aber nicht wohl hinausgehet, zeucht er den Kopf aus der Schlinge.
Summa, die Welt ist geschwinde und verschmitzt, und ihrer Viele habenden Schalk hinter den Ohren, und Mancher, ob er schon allein ist, so trotzet und rühmet er sich’s, dass er könne Schaden thun, wie David von seinem Doeg singet. Ps. 52.
Aber die christliche Liebe brauchet der faulen Fische nicht, sondern handelt aufrichtig; will es gehen, wohl gut; wo nicht, so befiehlt sie es Gott. Zu Corinth aber ist der Schalkheit und des Muthwillens viel gewesen, wie es denn noch in dieser Welt heisst: Practica est multiplez, qui eam nescit est homo simplex. „Die Ränk’ jezund vielfältig sind; Wer’s nicht versteh’t, ist wie ein Kind. Und muss lang Zeit dahinten stehn, Auch wohl gar ledig ausser geh’n.“
Aber endlich wird der Fuchs in seiner listigen und tückischen Art auch ergriffen und betreten, und Geradezu währet am längsten, wie wir sehen an Haman (Esth. 2. 3. 4.).
Daraus aber lasset uns lernen, wer sich solcher Tücke fleissiget, Der hat die Liebe nicht, oder ist lieblos, er sei auch gleich, wer er wolle, und ist kein Christ, er regire oder lehre, so kratzet er sich mit Schalksnägeln. Nun, darauf folget die vierte Tugend, die wir auch droben mit eingebracht haben:
Die Liebe blähet sich nicht.
Das ist, sie blähet sich nicht auf, sondern ist fein demüthig und lässt sich an ihrer Gabe und Gottes Gnade begnügen, verwundert sich nicht mehr anderer Leute Gaben, denn ihrer eigenen, hält von anderen Leuten Viel und Alles, von sich selbst aber Wenig und Nichts. Nun, davon genug. Gott sei mit uns. Amen.
6. Die Liebe stellet sich nicht ungebärdig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern.
Ihr habt gehört, wie St. Paulus bei seinen Corinthiern auf die Liebe dringet und treibet und sie gar vielen anderen Gnaden und Gaben in der Kirche fürzeucht. Nun ist das die Beschreibung der Liebe, dass sie die allerhöchste Gnade und Gabe sei. Aber hie ist Dies zu merken, dass wir mit St. Paulo in diesem Capitel nicht Morales, philosophi oder Moses sind, die wir lehren sollten, wie Weise von guten Sitten lehren, dass man der Tugend begehren oder derselbigen nachsteigen soll für sich selbst, oder wegen der Ehrbarkeit oder Nutzbarkeit, oder wegen der Verheissung dieses und des künftigen Lebens. Denn diese Locos und Ursachen treiben die Heiden und Moses; sondern wir lehren an diesem Orte mit St. Paulo in diesem Capitel, dass die Tugend als ein gewiss Zeichen des gegenwärtigen heiligen Geistes und eine Frucht des Glaubens in den gläubigen Herzen sei. Denn Das ist einmal wahr und gewiss: Ein jeder Gläubige hat den heiligen Geist. Derselbige heilige Geist aber ist die wesentliche Liebe des Vaters, so in uns die Liebe anzündet und macht uns, wie er selbst ist, und transformirt oder verklärt uns in Gottes bild, wie ihr diese Feiertage über (der Pfingsten) gehört habt. Derhalben, wo der heilige Geist ist, da leuchten und schimmern diese Tugenden herfür, und auch die Liebe selbst. Wer aber nicht liebet, Der bleibet im Tode, und die Wahrheit ist nicht in ihm. Wer aber in der Liebe bleibet, Der bleibet in Gotte. 1. Joh. 4.
Aber lasset uns fortfahren und St. Pauli Text anhören:
Die Liebe stellet sich nicht ungebärdig,
sondern sie ist ehrbar, züchtig, glimpflich, bescheiden, sittlich, vernünftig, thut Alles mit guter Bescheidenheit und Wohlstand in allen ihren Händeln, Thun und Reden.
Die Evangelisten, sonderlich aber St. Marcus (C. 15.) eignen diese Tugend zu Josepho, dem Rathsherrn von Arimathia und nennen ihn εύσχήμονα βονλεντήν, einen ehrbaren Rathsherrn. Denn derselbige gute Herr wüthet und tobet nicht, macht nicht ein Zetergeschrei oder Geheule in bösen und unglückhaften Sachen, stolziert auch nicht, wenn’s wohl zugehet, und hält sich nicht leichtfertig und üppig, sondern ist auf beide Part bereit und willig, kann sich in Glück und Unglück schicken. Denn wo der heilige Geist nicht ist, da wollen die Leute sich in Traurigkeit und Gefährlichkeit ungebärdig stellen und zu voraus, wenn es ihnen wohlgehet, und sie auf der Buhlschaft oder Freiheit sind, da narret man, da kälbert man und treibet allen Muthwillen, dass es oft Schande zu hören ist. Also Alexander säuft sich voll und ersticht Clitum, Themistocles lässt sich nach seinem eroberten Sieg von nackenden Weibern auf einem Triumphwagen fahren, Nero setzt sich mitten unter die Sänger. Summa, dass wir’s kurz und deutlich machen, wenn ein ehrbarer Mann auf der Gasse mit der Laute oder Fidel geht und jauchzet und schreiet wie ein Esel, Das ist zu Viel und heisst ungebärdig. Dem lieben David eignet die heilige Schrift diese Tugend zu, dass er, wie ihm sein junges Söhnlein gestorben, habe er’s Gott befohlen (2. Sam. 12.). Dessgleichen, da er vom Reich gestossen und im Elend war, rächte er sich nicht (2. Sam. 15. 16.), und da er gleich wiederum in’s Reich kommt und es wiederum einnimmt, thut er’s viel weniger, wird nicht stolz (2. Sam. 20.), vergisset nicht, dass er ein Schafhirte gewesen ist, wie der Bischof zu Eborach in England, so eines Fleischers Sohn gewesen, sich überhebet und zwischen den zweien mächtigen Herren, Carolo V., römischem Kaiser, und Henrico, Könige von England, einherpranget und, wie man gläublich sagt, jedem Herrn einen Arm oder Hand auf ihre Achsel geleget, aber auch hernach im Gefängniss jämmerlich und elendiglich gestorben ist.
Ein solche sittlicher Lehrer in der Kirche, ob er schon nicht alle Sprachen kann, richtet er doch mehr aus, denn ein Polterer und Schnarcher und bewährt und beweiset damit, dass er ein Haus, Tempel und Wohnung des heiligen Geistes sei. Folget:
Die Liebe suchet nicht das Ihre.
Dies ist nun die siebente Tugend, und ist Das die Meinung: Die Liebe ist nicht vortheilhaftig, geizig, tendelhaftig, nachgreifig, sie machet nicht aus dem Evangelio oder aus ihrem Amte einen Kretschmar oder Schenkhaus und Heinzebank, sondern sie vergisst ihres eigenen Nutzens und Geniesses und siehet an den gemeinen Nutzen und die Erbauung und Besserung der Kirchen und der lieben Jugend. Aber die Kirchen und Rathhäuser werden oft mit solchen Miethlingen und vortheilhaftigen Fresslingen beschweret und belästiget, die oft wenig Gutes ausrichten, sondern verrathen sich, dass sie nicht aus der Wahrheit sind und haben weder den Glauben, noch den heiligen Geist. Der Apostel Paulus nennt sie Ventres, Bauchdiener und Kretschmar oder Weinschenken, die den Wein verfälschen, sehen nur, wo sie blieben, dass sie reich werden. Darum kann es nicht fehlen, sie müssen dem Teufel in seine Netze, Stricke und Garne gerathen, lehren und regiren sich in’s höllische Feuer, wie Bileam und Dionysius.
Der Apostel Andreas und Eunomius wollten sich in ihrer Verfolgung nicht vom gemeinen Pöbel vertheidigen lassen, auf dass der gemeine Friede der Kirche nicht möchte zerrüttet und gestört werden. Also findet man noch ihrer Viele, die da ehrlich und annehmliche Dienste oder conditiones, so ihnen fürgetragen und angeboten, abgeschlagen, da sie gleich gute Besserung gehabt, allein darum, dass sie den Ihrigen möchten länger dienen und für sein, zu welchen sie Gott berufen. Und Diese sind aus dem heiligen Geiste. Folget die achte Tugend:
Die Liebe lässt sich nicht erbittern.
Die Liebe hat ein gutes, süsses, recht festes und verständiges Herz. Es thut ihr (der Liebe) nicht wehe, wenn es Andere besser haben, sondern sie lässt ihr an ihrem Catone, Glück und Zustand, Amt und Namen genügen. Item, sie glaubt auch nicht leichtlich einem Verächter und Ohrenbläser und lässt ihr nicht die Ohren vollbläuen und legt ihr freundliches und sanftmüthiges Herz nicht ab, wird nicht unfreundlich und lässt nicht ab, Gutes zu thun und höret nicht auf, ihre befohlenen und aufgetragenen Amtsgeschäfte, wegen der Unthaten und Undankbarkeit der Leute, auszurichten. Denn wenn Gott unsere Herzen durch den Geist Gottes zufrieden macht, dass sie ihre Freude an Gott haben und in ihrem Amte zur Ruhe sind und sind süss, lieblich und freundlich gegen Jedermann, so pflegt der Satan, der bittere, herbe Geist, die Herzen mit Neid und Feindseligkeit oder Eifer zu verbittern und unruhig zu machen, wenn wir uns mit Anderen und Andere mit uns sich vergleichen. Item, solchen Geist, Frieden und Freude zerstört der Satan oft durch ein unnütz Maul, das Einem die Ohren vollbläuet, läuft Einem zu Ohren, klaget über Pfarrer, Obrigkeit, Richter, richtet Bitterkeit, Streit und Mord an. Derhalben, wer da will ein geruhiges und sanftmüthiges Herz und Gemüth haben, Der lasse ihm nur nicht leichtlich und ohne besondere, grosse Ursach die Ohrenbläser und Verräther Mundmähre oder Mundwerke und neue Zeitung zutragen, höre sie nicht und glaube ihnen nicht bald. Fallax anus rumorum chori, sagt der Poet; ein böses, alt betrüglich Weib kann viel Unfug und Lärmens anrichten.
Diese Tugend will der Apostel Paulus sonderlich und fürnehmlich von Timotheo haben (1. Timoth. 5.), dass er ja nicht leichtlich und ohne grosse, wichtige und erhebliche Ursache den Verräthern und Ohrenbläsern, wenn sie einen Kirchendiener anklagen mögen, glauben wolle. Und Quintus frater vermahnet den Ciceronem, er wolle des Epicharmi Spruchs eingedenk sein, der also sagt: μεμνήσω άπιστεϊν, memento diffidere. Trau, schaue; fide, vide. „Die Welt ist spitzig und verlogen, Trau, schau, so wirst du nicht betrogen.“
Denn der Teufel hat auch seine Apostel. Darnach pflegt der Teufel ihrer Viele aus den Frommen durch Undank der Bösen und Gottlosen zu verbittern. Denn die Welt will, noch kann die Wohltaten, so ihnen doch treulich und wohl fürstehen, nicht erkennen. Und wenn Einer die Welt sanft bis gen Rom trüge, und setzte sie unsanft vor der Stadt nieder, so ist doch Alles vergessen und aller Dank verloren.
Das erfahren alle frommen und guten Leute, Beides, im Regiment und in der Kirche. Denn es geht doch, wie der Fuchs soll gesagt haben: Was in der Welt recht ist, will ich nicht unrecht machen, als er für den Lohn seiner Wohlthat und Erledigung des Bauern von der Schlange seinen Balg daran strecken musste, wie die Fabel von der Schlange dem Bauer und dem Fuchs (davon die Unsern gut Geschirr gemacht haben) vermag. Aber die Liebe siehet Solches nicht an, auf Dank und Loben wird sie nicht bitterer, höret auch nicht auf um Undanks willen. Aber sie erkennet im Geiste die Wohlthaten, so sie von dem Sohne Gottes umsonst und aus lauter Gnaden empfangen hat. Darum fährt sie fort, Allen und Jedermänniglich Gutes zu thun, wie sich denn der liebe Messias durch die Undankbarkeit der Seinigen nicht verbittern lässt. Ach, Herr, verleihe neben dem Glauben auch Geduld, wenn wir leiden ohne Schuld. Amen.
Quelle: Beste, Wilhelm - Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters