Luther, Martin - Predigt am 5. Sonntag nach Epiphanias.

Epistel: Coloss. 3, 12-17.

„So ziehet nun an rc.“

Was das Anziehen sei, ist gesagt in der Epistel am Neujahrstage, wie wir Christum anziehen und er uns wiederum, im Glauben, und wie wir unsern Nächsten anziehen und er uns wiederum, in der Liebe. Daß also der Christen Kleid zweierlei ist, Glaube und Liebe; gleich wie Christus auch zweierlei Röcke anhatte, einen unzertheilten, welcher den Glauben bedeutet, und den zertheilten, der die Liebe bedeutet. So redet nun hier S. Paulus von dem andern Kleide, der Liebe, und zeigt uns Christen, was wir für Schmuck und Kleider tragen sollen in der Welt, nämlich nicht Seide noch köstlich Gold; wie auch Petrus den Weibern gebietet, 1. Petr. 3,3 und Paulus 1. Tim. 2,9. Uns steht wohl an unser Kleid, nämlich die Liebe gegen den Nächsten, damit wir uns sein und seiner Noth annehmen; das heißt der christliche Schmuck vor den Leuten1).

„Herzliches Erbarmen“.

Dies ist ein Stück dieses Schmucks und ein feines liebliches christliches Kleinod, das besser ansteht vor Gott, denn alle Perlen, Edelgesteine, Seide und Gold vor der Welt, welches auch rechter Art Christen beweist; und will also sagen: Ihr sollt nicht allein barmherzig sein mit äußerlicher That oder Schein, sondern aus Herzens Grund; gleichwie Vater und Mutter aus Herzens Grund und allen Sinnen bewegt werden, wenn sie des Kindes Noth sehen oder hören, darüber sie wagen und lassen Leib und Leben und alles, was sie haben; daß also Muth und Herz allezeit überschwänglich sei im Werk der Barmherzigkeit, und gleich2) nicht sehe noch merke vor großer Brunst, daß es barmherzig sei oder Gutes thue3).

„Freundlichkeit, Demuth, Sanftmuth, Langmuth“.

Das sind die andern Stücke christlichen Schmucks. Freundlichkeit, was das sei, findest du in der Epistel in der Christmesse, nämlich das liebliche Wesen eines Menschen, der sich zu Jedermann freundlich stellt, Niemand mit Sauersehen und harten Worten oder wilden Geberden von sich jagt, welche man auf Deutsch also nennt, und spricht: Ei, er ist so freundlich, er kann sich so freundlich stellen und zuthun4). Darum betrifft solche Tugend nicht einerlei Werk, sondern das ganze Leben, daß sich ein Mensch gegen Jedermann lieblich stelle5), lasse sich jedermanns Weise gefallen, um welchen Jedermann auch gerne ist. Dagegen sind die seltsamen Köpfe, die sich nichts gefallen lassen, außer was sie vorgeben, Jedermann soll sich nach ihnen richten und in ihr Ding schicken, sie aber wollen sich nach Niemand richten, die man heißt unfreundliche Leute.

Demuth, meine ich, sollte nun fast bekannt sein, was sie sei, nämlich, daß ein jeglicher sich für den Geringsten halte und den Andern höher denn sich, und wie Christus sagt, untenan sitzen zur Hochzeit. Und dasselbige aus rechtem Grunde des Herzens, auch gegen die, so es nicht verdient oder auch Feinde sind; wie Christus vor seinem Verräther Judas, und uns allen sich gedemüthigt hat und nicht gekommen ist, sich dienen zu lassen, sondern zu dienen. Ob nun diese Tugend seltsam6) ist, das ist nicht Wunder; sintemal alles, was christlich ist, auch seltsam ist, und am wenigsten7) bei denen, die am meisten wissen wollen, was Christus sei und alle Christen wissen zu tadeln; es heißt ein Gottes-Geheimniß, wie S. Paulus sagt, da bleibt es auch wohl dabei.

Sanftmuth ist wider den Zorn, daß man sich nicht Lasse erzürnen, fluche nicht, schlage nicht, hasse nicht, und thue noch wünsche Niemand etwas Arges, auch dem Feinde; das ist Kunst. Denn den Freunden sanft sein, und die dir Gutes thun, können die Heuchler auch wohl und alle Welt; aber recht sanftmüthig und demüthig sein will wohl bleiben allein bei den Auserwählten und lieben Heiligen Gottes; wie hier S. Paulus sagt. Und dazu sind unter denselbigen viel, die gebrechlich sein werden an denselbigen Stücken allen, oder ja etlichen, auf daß die Heuchler etwas zu tadeln haben und sich ärgern mögen an den lieben auserwählten Heiligen Gottes, und die rechten Heiligen etwas haben, daran sie Barmherzigkeit, Demuth, Sanftmuth und Langmuth üben. Denn sie sind darum nicht unheilig noch verworfen und gehaßt, die hier S. Paulus Auserwählte, liebe Heilige heißt, ob ihnen etwas mangelt an Demuth, Sanftmuth und Barmherzigkeit rc.8)

„Ueber das alles aber ziehet an die Liebe, welche ist das vollkommene Band“.

Er sondert die Liebe von der Geduld und Sanftmuth und andern Kleinoden geistlichen Schmucks, davon wir jetzt gehört haben; wiewohl solches alles in der Liebe geschieht. Aber weil der Glaube das Hauptstück ist christlichen Wesens, so ist die Liebe auch der Früchte des Geistes eine, und der Kleinodien des Schmuckes eins: aber freilich das Beste. Darum er hier auch spricht: „Ueber das alles aber ziehet an rc.“, das ist, die Liebe ist mehr, denn Erbarmen, Freundlichkeit, Sanftmuth und Demuth. Und nennt sie ein Band der Vollkommenheit, darum, daß sie die Herzen zusammenhält, nicht stücklich, noch über einerlei Sachen allein oder eines Theils, sondern durch und durch, über allen und in allen Sachen. Sie macht, daß wir alle Eines Sinnes sind, Eines Muthe, Eines Gefallens, und läßt nicht zu, daß Jemand ein ungemeines, sonderliches Vornehmen aufrichte im Lehren und Glauben: es bleibt alles gleich und einerlei. Also macht sie auch gleiche Herzen zwischen Armen und Reichen, zwischen Gewaltigen und Unterthanen, zwischen Kranken und Gesunden, zwischen Hohen und Niedrigen, Ehrlichen und Verachteten, und läßt ihr Gutes gemein sein Jedermann; wiederum, Jedermanns Ungemach nimmt sie sich an, als ihres eigenen: daß allenthalben volle und ganze Einigkeit und Gemeinschaft, in allerlei Dingen, bei Guten und Bösen sei. Das heißt ein recht vollkommenes Band.

Wo aber Liebe nicht ist, da sind die Herzen wohl auch verbunden und Eines Sinnes, aber in wenig Stücken, und sind in dem größern Theil der Stücken uneinig. Als9), die Räuber haben auch ein Band, das bindet nicht weiter, denn über dem, daß sie zugleich gesinnt sind zu rauben und morden. Weltliche Freunde sind Eines Sinnes, sofern der Eigennutz da ist. Die Mönche sind eins, sofern es ihren Orden und Ruhm betrifft. Herodes und Pilatus sind auch eins, aber nur allein über Jesu Christ. Sonst aber ist fast kein Mönch, noch Pfaffe, noch Caie mit dem andern eins; darum ist ihr Band ein loses Band und bindet sich ebenso zusammen, als wenn jemand Spreu mit einem Strohseile bände10).

„Laßt das Wort Gottes reichlich unter euch wohnen in aller Weisheit, lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern in der Gnade, und singet dem Herrn in eurem Herzen“.

Das folgt recht nach dem, das er von der Dankbarkeit gesagt hat; als sollte er sagen: Seht zu, daß ihr die Lehrer und Prediger in Ehren habt, dankbar seid, auf daß sie des Wortes warten mögen und euch reichlich dargeben. Denn ich achte, S. Paulus rede nicht hier von Gottes Wort, wie es vom Himmel gegeben wird; denn das steht nicht in unsern Händen, sondern Gott muß da allein geben, daß es unter uns wohne. Wie er denn gethan hat und thut: so oft er das Evangelium läßt predigen, da schüttet er es reichlich aus, daß er nichts innen hält, das uns noth ist zu wissen. Aber wenn er es uns nun also gegeben hat, sollen wir auch dankbar und wacker sein, dasselbe Lesen, hören, bedenken, singen und sagen Tag und Nacht, und schaffen, daß wir der Lehrer viel haben, die es uns reichlich und ohne Unterlaß vorhalten. Das heißt denn: „lasset Gottes Wort reichlich unter uns wohnen“.

Aber die überdrüssigen, faulen Geister werden es bald müde und lassen die Prediger dann gehen, wie sie gehen. So müssen dieselben denn sich selbst nähren und arbeiten; damit bleibt denn Gottes Wort nach und wird dünne und seltsam; gleichwie Nehemia 13, 10 klagt, daß die Leviten hätten müssen Gottesdienst und den Tempel lassen und auf das Land ziehen, weil sie vom Volk keine Nahrung hatten; oder mußten falschen Gottesdienst und Fabeln aufrichten, damit sie das Volk verführten, da wurden sie nicht allein ernährt, sondern auch reich.

Also ist es auch in der Christenheit gegangen: da man sich schwer machte11), fromme Bischöfe und Lehrer zu halten (wie Augustinus auch klagt), mußten sie entweder mit Arbeit sich nähren und Gottes Wort lassen, oder den Jammer erdenken des verdammten Gottesdienstes, der jetzt in aller Welt geht, davon sie nun große Herren in der Welt geworden sind. Also fängt es jetzt auch an, weil das Evangelium wiedergekommen ist; wird auch also fort geschehen, daß man nun nicht hundert Gulden kann aufbringen, einen guten Schulmeister oder Prediger zu bestellen, da man vorher tausend, ja unzähliges Geld gegeben hat zur Kirche, Stiftern, Messen, Vigilien und desgleichen, bis daß abermals Gott die Undankbarkeit strafe und lasse entweder die Prediger gar abtreten und sich selbst nähren, oder schicke andere größere Irrthümer wieder über sie, der sie wiederum betrüge um Geld, Leib und Seele, weil sie nicht haben wollen das Wort Gottes reichlich bei sich wohnen lassen12).

Evangelium : Matth. 13,24-30.

Dies Evangelium lehrt uns, wie es in der Welt zugeht mit dem Reich Gottes, das ist, mit der Christenheit, sonderlich der Lehre halben, nämlich, daß darauf nicht zu warten ist, daß eitel rechtgläubige Christen und reine Lehre Gottes auf Erden sein sollten; sondern es müssen auch falsche Christen und Ketzer sein, auf daß die rechten Christen bewährt werden, wie S. Paulus sagt 1. Cor. 11,19. Denn dieses Gleichniß redet nicht von den falschen Christen, die allein im Leben äußerlich, sondern von denen, die mit der Lehre und Glauben unchristlich sind, unter den Namen Christen, welche schön gleißen und schädlich sind. Es ist um das Gewissen zu thun, nicht um die Hand. Und müssen gar geistliche Knechte sein, die solch Unkraut erkennen sollen unter dem Weizen. Und die Summa davon, daß wir uns nicht wundern noch erschrecken sollen, wenn sich unter uns erheben mancherlei falsche Lehren und Glauben. Der Teufel ist auch immer unter den Kindern Gottes, Hiob 1,6.

Auf's Andere, wie wir uns halten sollen gegenüber denselbigen Ketzern und falschen Lehrern. Nicht sollen wir sie ausrotten noch vertilgen. Er spricht öffentlich allhier, man solle es lassen mit einander wachsen. Mit Gottes Wort soll man hier allein handeln; denn es geht also zu in dieser Sache, daß, wer heute irrt, kann morgen zurecht kommen. Wer weiß, wann das Wort Gottes sein Herz rühren wird? Wo er aber verbrannt oder sonst erwürgt wird, so wird damit gewehrt, daß er nicht kann zurecht kommen; und wird er also dem Wort Gottes entrückt, daß er muß verloren sein, der sonst hätte mögen selig werden: da geschieht denn das, was hier der Herr jagt, daß der Weizen wird auch mit ausgerauft, wenn man Unkraut ausgätet. Das ist denn ein gar greulich Ding vor Gott und nimmermehr zu verantworten13).

Damit daß der Herr den Teufel also malt, daß er den Samen werfe, wenn die Leute schlafen, und davon geht, daß Niemand sieht, wer's gethan habe, zeigt er an, wie sich der Teufel schmücken und bergen kann, daß er nicht für einen Teufel angesehen werde. Wie wir denn erfahren in der Christenheit, da er falsche Lehrer zuerst einwirft: die gehen schön daher, da ist eitel Gott, der Teufel ist weg über tausend Meilen, daß Niemand anders sieht, denn wie sie Gottes Wort, Namen und Werk vortragen; das ist fein verschlagen. Aber wenn der Weizen nun aufkommt, so sieht man das Unkraut; das ist, wenn man recht von Gottes Wort will handeln und den Glauben Lehren, daß Frucht daraus kommen will, da fahren sie daher und setzen sich dawider und wollen den Acker inne haben, sorgen sich, der Weizen werde allein auf dem Acker wachsen und ihr Ding nach bleiben.

So wundert's denn die Knechte, die Prediger; dürfen sie aber noch nicht verurtheilen, wollten's gerne zum Besten deuten, weil jene den christlichen Namen führen. Aber sie sehen, daß sie Unkraut und böser Same sind, vom Glauben getreten und auf die Werke gefallen, und denken es auszuraufen; sie klagen's aber vor dem Herrn, durch herzliches Gebet im Geist. Der sagt denn wieder, sie sollen's nicht ausraufen, das ist, sie sollen Geduld haben und solche Lästerung leiden und Gott befehlen: denn wiewohl sie den Weizen hindern, so machen sie doch, daß er desto schöner anzusehen ist, gegenüber dem Unkraut, wie auch S. Paulus sagt 1. Cor. 11, 19; „Secten müssen sein, daß die, so bewährt sind, offenbar werden“14).

1)
E. A. 8,72 f.
2)
gleichwohl
3)
E. A. 8,74
4)
Wie wir heute noch sagen: zuthunlich sein
5)
verhalten
6)
selten
7)
am wenigsten vorhanden
8)
E. A. 8,77 ff.
9)
Wie zum Beispiel
10)
E. A. 8,82 f.
11)
Sich eine Last daraus machte, als Last empfand
12)
E. A. 8,85 f.
13)
E. A. 11,811 f.
14)
Ebenda, S. 83