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Luthardt, Christoph Ernst - Die verborgene Herrlichkeit der Gemeinde Jesu Christi.

Predigt am 7. Sonntag nach Trinitatis über 1 Petr. 2, 5-10.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HErrn Jesu Christo! Amen.

In dem HErrn Geliebte! Als der Prophet Elias auf der Flucht war vor den Nachstellungen und Racheplänen der Königin Isebel, und niedergebeugt von dem Gedanken, dass die ganze Arbeit seines bisherigen Lebens vergeblich sei, zu sterben begehrte: „Es ist genug, so nimm nun HErr meine Seele“ - da erhielt er von Gott den Befehl zum Sinai zu wandern, dorthin wo vordem Israel das Gesetz empfangen, von dem es nun abgefallen war zu den Göttern der Heiden. Dort wollte der HErr sich dem Elias offenbaren. Und das Wort Gottes - so erzählt die Schrift - kam an den Propheten und sprach zu ihm: „Gehe heraus und tritt auf den Berg vor den HErrn. Und siehe der HErr ging vorüber, und ein großer starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, vor dem HErrn her; aber der HErr war nicht im Wind. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HErr war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HErr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles sanftes Sausen. Da das Elias hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel.

Was bedeutet diese wundersame Erscheinung welche Elias hatte? Wir können sagen: sie ist ein Bild der ganzen Geschichte, ein Bild der Geschichte wie sie aus dem Zweifachen besteht: aus der Geschichte der Welt und aus der Geschichte des Reiches Gottes. Der Sturmwind und das Erdbeben und das Feuer, sie sind ein Bild der Geschichte der Völker; aber das stille sanfte Sausen ist ein Bild der Offenbarung der göttlichen Gnade. In jenen offenbaren sich die Gerichte Gottes die vor ihm hergehen; aber seine Gegenwart hat Gott in der Offenbarung seiner Gnade; hier ist sein Heiligtum und seine stille Arbeit an den Seelen.

Jene mächtigen Reiche der alten Welt, am Euphrat und am Nil, das Reich des Makedoniers und des völkerbeherrschenden Rom, sie sind wie Sturmwind und Erdbeben über die Erde hingegangen, und unter den Fußtritten ihrer Legionen haben die Grundfesten der Staaten und Länder gewankt. Sie sollten die Gerichte Gottes vollziehen, welche vor ihm selbst hergehen. Aber sein Heiligtum des Friedens und die Offenbarung seiner Gnade war dort in Israel, in Jesu Christo und in der stillen Geschichte seines Lebens: hier erschien Gott wie im stillen sanften Wehen seines Friedensgeistes.

Als die Scharen der neuen Völkerwelt der Barbaren sich wie Meereswogen über die Erde hin ergossen und vor ihrem Anprall das alte Römerreich in Trümmer brach und eine tausendjährige Bildung vernichtet schien, da fegte es wohl wie Sturmwind und Erdbeben und Feuerbrand über die Erde hin; aber hinter diesen Gerichten her kam Gott in jenen Friedensboten, welche die Völker zum Kreuz riefen und das Wort von der ewigen Liebe ihnen ins Herz senkten und eine neue Welt der Barmherzigkeit und des Friedens im Geist aufbauten in den Seelen der Bekehrten.

Ähnlich sehen wir es zu allen Zeiten. Wenn die Länder ringsumher vom Kriegsgetümmel widerhallen und wir nichts hören als Krieg und Kriegsgeschrei sind die Wetter Gottes und seiner Gerichte die vor ihm hergehen. Aber ihn selbst finden wir nur, wenn wir in die Stille gehen und in sein Heiligtum, welches er im Sturm der Welt so gut sich baut wie in den Friedenszeiten. Hier will er wohnen und seine gesegnete Arbeit des Geistes an den Seelen haben. Das ist das verborgene Reich Gottes, welches hinter den Reichen der Welt und ihren blutgetränkten Pfaden hergeht, in welchem die Geister des Friedens und der Eintracht wohnen und das Leben aus Gott seine Stätte hat. Jene Reiche und ihre Werke werden dahingehen, wie ein Wetter dahingeht; aber das Reich das Gott sich baut in der Stille und im Verborgenen, das wird zuletzt auf dem Plan bleiben und ewig währen. Dieses Reich hat aber seine Stätte in der Gemeinde Jesu Christi. Das ist ihre Herrlichkeit, dass in ihr und durch sie das Reich Gottes sich baut - eine verborgene Herrlichkeit, aber sie wird einst offenbar werden. Daran sollen wir in solchen Zeiten doppelt gedenken, wenn wir wanken und stürzen sehen was unerschütterlich schien. Und das Wort unseres Gottes will unsere Herzen und Gedanken vom Getümmel der Welt wegrufen in dieses stille Heiligtum Gottes und seiner Heilsgedanken; damit wir nicht vergessen, dass wir Christen sind, die nicht bloß dieser vergänglichen Welt angehören sondern der ewigen, und deren Beruf weiter reicht als die Grenzen der irdischen Heimat, und welche Güter besitzen, welche kein Feind zu rauben vermag. Das ist die verborgene Herrlichkeit der Gemeinde Jesu Christi. Von ihr redet unser heutiger Text.

1 Petr. 2,5-10.
Und auch ihr, als die lebendigen Steine, baut euch zum geistlichen Haus und zum heiligen Priestertum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind durch Jesum Christum. Darum steht in der Schrift: Siehe da, ich lege einen auserwählten köstlichen Eckstein in Zion; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zu Schanden werden. Euch nun, die ihr glaubt, ist er köstlich; den Ungläubigen aber ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben, und zum Eckstein geworden ist, ein Stein des Anstoßens und ein Fels der Ärgernis; die sich stoßen an dem Wort und glauben nicht daran, darauf sie gesetzt sind. Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht. Die ihr weiland nicht ein Volk wart, nun aber Gottes Volk seid, und weiland nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid.

Wovon Petrus in diesen Worten zu seinen Christen spricht, das ist die verborgene Herrlichkeit der Gemeinde Jesu Christi.

Er redet zu den Christen Kleinasiens, welche unter den ungerechten Anklagen und Bedrückungen, die man auf sie häufte, denselben Geist der Feindschaft zu erfahren hatten, der auch ihren Mitchristen in Rom unter Nero so schwere Verfolgungen und Leiden bereitete. In solcher Zeit tröstet er sie mit seinem Sendschreiben und weist sie hin auf das unverwelkliche Erbe, das ihnen aufbewahrt ist im Himmel und dessen sie gewiss sein dürfen in Hoffnung.

Hienieden sind sie Fremdlinge und Pilgrime und wandern der ewigen Heimat entgegen. Aber schon hier in der Fremde und im Pilgergewand tragen sie in sich eine verborgene Herrlichkeit. An diese erinnert er sie, damit sie nicht kleinmütig werden und nicht vergessen, was sie sind und was ihres Berufs ist. Und diese verborgene Herrlichkeit, wie sie ihnen eignet, schildert er zweifach: sie sind das geistliche Haus Gottes und das priesterliche Volk Gottes. Das ist es denn wovon ich auf Grund unseres Textes zu euch zu reden habe.

1.

Die Gemeinde Jesu Christi ist das geistliche Haus Gottes.

Was die Menschen bauen, verfällt dem Staub. Wir wandeln allenthalben auf dem Staub der Vergangenheit. Und auch von den größten Werken der alten Zeiten erzählen uns nur die Trümmer die von ihnen übrig geblieben sind. Gottes Werk allein ist ewig.

Gott baut im Verborgenen an einem geistlichen Haus, an einem unsichtbaren. Durch alle Zeiten und allen Wechsel der Zeiten und Dinge auf Erden hindurch dauert diese Arbeit Gottes, bis sie fertig sein wird, die Hütte Gottes bei den Menschenkindern, die Stadt des lebendigen Gottes, das himmlische Jerusalem.

Es ist ein unsichtbarer Bau. Aber was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Es ist eine langsame Arbeit die Gott tut. Aber Gott misst mit andern Maßen als wir kurzlebige Menschenkinder. Denn tausend Jahre sind vor ihm wie ein Tag. Und eine stille Arbeit. Nicht im Lärm des Tages sondern im Verborgenen baut er seinen Bau, der bleiben wird wenn die stolzen Werke der Menschen einst alle in Trümmer fallen. Und was die Menschen schaffen und arbeiten, es muss Alles diesem unsichtbaren Bau Gottes dienen und seinen Heilsgedanken die er darin zur Ausführung bringt.

Zu jedem Haus aber gehört ein Dreifaches: der Grund, die Steine und der Bau selbst.

Welches ist der Grund auf welchem Gott sein Haus errichtet? Siehe da heißt es in unserem Text: „Ich lege einen auserwählten köstlichen Eckstein in Zion, und wer an ihn glaubt, der soll nicht zu Schanden werden.“ Es ist ein Wort des Propheten Jesaja, welches der Prophet mitten in die Bewegung seiner Zeit und der Gemüter jener Tage hineinrief. Denen gegenüber welche von der politischen Macht Assyriens oder Ägyptens Hilfe hofften und die Hilfe Jehovas verachteten, erinnert der Prophet daran, dass allein das Wort Gottes und seine Verheißung der Grundstein sei, auf welchem sich der Bau des Volkes Gottes sicher zu erheben vermöge. Denn sein Wort der Verheißung hatte Gott eingesenkt in Israel. Auf diesem sollte der Bau der Zukunft ruhen. Denn sicherer als alle menschliche Hilfe und mächtiger als alle Macht der Menschen ist das Wort des lebendigen Gottes und seine Verheißung der Gnade. Aber das Wort ist Fleisch geworden in Jesu Christo, in ihm sind alle Verheißungen Ja und Amen. Diesen hat Gott zum Grund- und Eckstein gemacht, auf dem auch wir uns erbauen sollen im Geist. Einen andern Grund aber kann Niemand legen als den der gelegt ist, nämlich Jesus Christus.

Geliebte! Wenn es verstattet wäre dies Wort zu gebrauchen, wir müssten sagen: es ist eine stolze Rede, die Jesus führt, wenn er seinen pharisäischen Gegnern zuruft: „Was ist denn das, das geschrieben steht: der Stein den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden? Welcher auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf welchen aber er fällt, den wird er zermalmen“ (Luk. 20,17 f.). Jesus hat sich für den Grund- und Eckstein der Menschheit, des Reiches Gottes, aller Zeiten erklärt. Und so tut er durchweg in den Evangelien. Wir mögen aufschlagen, wo wir wollen, überall sehen wir, wie er das Heil der Menschen an seine Person knüpft und das ewige Geschick aller Menschen davon abhängig macht, wie sie sich zu ihm stellen. Und wie er von sich, so reden seine Jünger von ihm. Einstimmig predigen sie, dass in keinem Anderen für uns Heil sei und, dass kein anderer Name den Menschen gegeben sei, darin sie selig werden, als allein der Name Jesu. Und wie sie gelehrt haben, so ist es geschehen. Der ganze neue Bund, die ganze christliche Kirche ruht auf ihm. Und fragt Christen welcher Zeit ihr wollt, aus den Tagen Augustins so gut wie aus den Tagen Luthers oder Speners, worauf sie ihre Seligkeit gründen - sie antworten euch Alle mit einem Namen, und dieser Name heißt Jesus Christus. „Siehe da, ich lege einen auserwählten, köstlichen Eckstein in Zion.“ Dieser Grund- und Eckstein ist Jesus Christus.

Wodurch ist er köstlich? Was hat ihn zum Grund- und Eckstein gemacht? Er hat einen neuen Geist gebracht; er hat der Welt eine neue Seele gegeben; mit ihm hat eine neue Zeit der Liebe und Barmherzigkeit begonnen; es ist eine Alles umfassende Wirkung von ihm ausgegangen, die sich bis in das innerste Leben der einzelnen Seele erstreckt und zugleich die ganze Gestalt der Welt zu wandeln begonnen hat. Aber wodurch hat er diese Wirkung geübt? Dadurch, dass er die Offenbarung der Gnade und Barmherzigkeit Gottes, dass er die Versöhnung Gottes und der Menschen ist, die Versöhnung durch sein Kreuz. Auf diese Gnade der Versöhnung hat Gott den Bau seines Reiches gegründet. Und sie allein ist der richtige und standhafte Grund auch unseres Lebens. Denn das ists, was wir Alle brauchen und vor allem Anderen brauchen. Bevor wir diese haben, die Gnade Gottes und die Vergebung unserer Sünden, wird es mit uns nicht besser. Wir leben allein von Gnade. Die alte Welt versuchte von ihrer eigenen sittlichen Kraft zu leben, und sie ist zu Schanden geworden. Versuchen wir es von der Gnade Gottes zu leben, und wir werden das Leben finden. Denn wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit. Das ist der Grund, auf dem der Bau des Reiches Gottes ruht.

Welches sind nun die Steine? „Ihr, als die lebendigen Steine, baut euch zum geistlichen Haus“ heißts in unserem Text. Nicht aus Dingen und Gütern dieser Welt, nicht aus äußeren Ordnungen, Gebräuchen und Übungen baut sich dieser Bau auf, sondern aus lebendigen Menschen. Das Reich Gottes, das geistliche Haus von dem Petrus redet, ist nicht ein äußerliches Ding oder ein künstliches Gefüge, sondern es ist eine Sammlung von Menschen, es ist die Gemeinde Jesu Christi, wir selbst sind es, die diesen Bau bilden, dieses lebendige Gefüge, wo eines am andern hängt, durch unsichtbare Bande an einander gebunden und gehalten, durch das Band desselben Geistes und Lebens, das in Allen lebt, so Viele ihrer wirklich lebendige Steine dieses geistlichen Hauses Gottes, dieses Tempels Gottes im Geist sind. Der uns aber einfügt in diesen Bau, das ist Gott: „ihr als die lebendigen Steine lasst euch erbauen zum geistlichen Haus.“ Der uns erbaut auf jenen Grund, das ist Gott, der uns ruft, der uns holt, der uns drängt, dass wir kommen, der an uns arbeitet, dass wir uns aufnehmen und einfügen lassen in dieses lebendige Gefüge des heiligen Geistes.

Wunderbarer Bau, der durch alle Zeiten sich baut, durch die Jahrtausende hindurch, ein Bau der Ewigkeiten! Von aller Welt Enden holt Gott sich die Steine dazu herbei; wer sich von ihm nur gebrauchen lassen will, ein jeder ist ihm recht. Keiner ist wie der andere, aber Gott weiß einen jeden zu bearbeiten, dass er hineinpasst in seinen Bau. Mit viel Mühe und Arbeit, mit viel Geduld und Nachsicht, mit viel Langmut und Erbarmen arbeitet Gott an seinen Menschen, hat er an uns Allen von Jugend auf gearbeitet, dass wir uns von ihm retten und herzubringen lassen aus der Welt in sein Reich, zu seiner Gemeinde, zu seinem Tempel. „Ihr, als die lebendigen Steine, lasst euch erbauen zum geistlichen Haus.“ Wodurch lassen wir uns erbauen? Durch sein Wort, durch die Taufe beruft und holt uns Gott. Durch den Glauben fügen wir uns, senken wir uns ein auf den Grund, erbauen wir uns. Das ist die rechte Erbauung. Nicht in Rührungen oder Stimmungen besteht sie, die oftmals verfliegen noch ehe wir das Gotteshaus verlassen; sondern das heißt sich erbauen: mit seinem innersten Menschen, mit seiner ganzen Seele sich einsenken in den ewigen Grund den Gott gelegt hat in Jesu Christo, und darin gründen und wurzeln.

Schon mit unserer Taufe begann der Ruf Gottes an uns und wiederholte sich seitdem tagtäglich. So oft wir uns am Morgen und Abend um das Wort Gottes versammeln in unseren Häusern, so oft am Sonntag uns die Glocken zur Kirche rufen, so oft wir das Wort Gottes hören, so oft wir zum Tisch des HErrn gehen, so oft es uns innerlich zum Gebet bewegt, so oft der Geist der Sehnsucht und des Verlangens über uns kommt, wenn uns in späten Tagen etwa die Bilder der Vergangenheit vor die Seele treten, das Bild einer frommen Mutter oder das Gedächtnis eines treuen Lehrers oder ein lang begrabenes und vergessenes Wort, und es uns dann innerlich ergreift und zu Gott zieht - mit dem Allen ruft uns Gott: mein Sohn! meine Tochter! Und unsere Antwort soll sein: Hier bin ich! „Sieh, hier bin ich, Ehrenkönig, lege mich vor deinen Thron“. Unser Herz will der HErr haben, uns selbst, im Glauben. Das heißt dann sich erbauen, im Glauben sich hingeben an die ewige Liebe die uns besucht hat in Christo Jesu und uns selig machen will; unser ganzes Herz, unser Denken und Wollen in Gott versenken, sein eigen zu sein auf ewig. Das heißt glauben. „Und wer an ihn glaubt, der wird nicht zu Schanden werden.“ Denn dies ist der Grund der unbeweglich steht, wenn Erd und Himmel untergeht.

„Euch nun, die ihr glaubt, ist er köstlich; den Ungläubigen aber ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben und zum Eckstein geworden ist, ein Stein des Anstoßens und ein Fels der Ärgernis, die sich stoßen an dem Wort und glauben nicht daran, darauf sie gesetzt sind.“ Denn darüber scheiden sich die Menschen und sollen sich scheiden nach jener Weissagung des alten Simeon, dass Jesus gesetzt sei zum Fall und Auferstehen Vieler in Israel. Denn wer nicht glauben will, der soll auch nicht zum Glauben kommen, der ist dazu gesetzt, dass er sich daran stoßen soll. Denn Gott hat dafür gesorgt, dass sein Verstand und Scharfsinn immer neue Anstöße findet, über die er zu Fall kommen soll. „Euch aber die ihr glaubt, ist er köstlich.“ So lasst euch denn erbauen zum geistlichen Haus Gottes.

Gott redet zu einem jeden Geschlecht in seiner Weise. Es ist immer derselbe Gott und dieselbe Rede und dieselbe Absicht, aber Gott wandelt seine Stimme. So ruft er auch uns in unseren Tagen in den Wettern und Stürmen dieser Zeit, und was er uns sagt ist dies, dass er uns wegruft von dem eitlen Treiben der Welt, vom Leben des Erwerbens und Genießens und der Eitelkeit der Sinne und Gedanken, und zeigt uns in seinen Gerichten, dass dies Alles dahin fällt wenn er zu reden beginnt im Wetter. Es gibt Höheres als dies Vergängliche, es gibt Höheres als das Höchste, worauf der irdische Mensch stolz ist; denn auch das Höchste vergeht sobald seine Zeit um ist. Was aber bleibt, das ist Gott und sein Wort: und sein Wort ward Fleisch und heißt Jesus Christus; in ihm ist die Gnade und Wahrheit erschienen; und was wir brauchen für Zeit und Ewigkeit, vor allem anderen brauchen ist seine Gnade in Christo Jesu. Wer an ihn glaubt, der soll nicht zu Schanden werden. So denn „ihr, als die lebendigen Steine, baut euch zum geistlichen Haus“.

2.

Wir sind das geistliche Haus Gottes und sind das priesterliche Volk Gottes. Das ist unser Beruf. „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht, die ihr weiland nicht ein Volk wart, nun aber Gottes Volk seid, und weiland nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid.“ Wir sind das priesterliche Volk Gottes: das ist unser Beruf.

Doppelt benennt uns der Apostel: er nennt uns das Volk Gottes und er nennt uns das priesterliche Volk Gottes.

Was heißt das, dass wir Gottes Volk heißen?

So lange wir nicht Christen geworden sind, denken wir Alle ein Jeder nur an sich selbst, lebt ein Jeder nur für sich selbst, sorgt für sich selbst und sucht das Seine, nicht das des anderen ist; das ist die selbstsüchtige Art die wir Alle von Natur an uns tragen. Denn wir sind Alle von Haus aus Egoisten. Erst wenn die Macht der ewigen Liebe uns innerlich überwindet in der inneren sittlichen Arbeit des Christwerdens, erst dann tritt an die Stelle der Selbstsucht ein anderer Geist der Liebe, welcher die einzelnen Alle zu Einer großen Gemeinschaft verbindet. Es ist etwas Wundersames, wenn wir uns in diesen Gedanken versenken: die Christen aller Zeiten und Länder, ob sie einander kennen oder nicht kennen, ob sie nahe oder ferne sind, ob hoch oder niedrig stehen, sie bilden Alle Eine große Gemeinschaft miteinander, Einen Bund der Seelen, einen geheimnisvollen, unsichtbaren; sie gehören Alle zusammen wie Glieder Eines Volks, wie Kinder Eines Vaters, wie Angehörige Einer Familie, mit einander verbunden durch Einen Geist zu Einem Leibe. „Ein Leib und Ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eures Berufs; Ein HErr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater unser Aller, der da ist über euch Alle und durch euch Alle und in euch Allen.“ Hinter allen Unterschieden und Trennungen dieser kalten zerrissenen Erde steht dieser verborgene Bund der Seelen; und weit über die Erde hinaus erstreckt er sich hinein in die Tiefen des Himmels. Wie wird uns sein, Geliebte, wenn wir einst eintreten in den Kreis der vollendeten Seligen, unter dieses Volk Gottes, wenn wir sie schauen alle „die Propheten groß und Patriarchen hoch“, wenn wir den Vater der Gläubigen begrüßen und zu den Füßen unseres Großen Lehrers, des Apostel Paulus sitzen, und wenn wir Ihm ins Angesicht schauen, Ihm dem unsere Seele gehört ohne, dass wir ihn sehen, und von dessen Herzen die Bande der Liebe ausgehen, welche dies Volk Gottes aller Zeiten und Länder, Himmels und der Erden verbinden! Sagt nicht: du dichtest! Ich dichte nicht; und ob ich dichtete, so würde ich doch Wahrheit reden. Zwar was unsere Augen sehen ist Hader und Streit, aber hinter diesem Streit steht das Reich des Friedens. Und so sehr auch die Kirche Jesu Christi äußerlich zertrennt erscheint so Viele ihrer an Christum wahrhaft glauben und ihre Knie von Herzen beugen in seinem hochheiligen Namen, diese Alle sind im Herzen zur Einen Liebe mit ihm und untereinander verbunden das Volk Gottes.

Wir sind Gottes Volk, durch tausend Bande und Pflichten an ihn gebunden. Nicht uns gehören wir mehr an, sondern wir sind sein; wir sind seine Leute, seine Untertanen. So sollen wir ihm auch treu sein. Als der greise Bischof Polykarp zum Scheiterhaufen geführt und aufgefordert wurde, Christum zu verleugnen, da antwortete er: „Sechsundachtzig Jahre bereits diene ich meinem HErrn und Heiland und habe immer nur Liebes und Gutes und niemals Übles von ihm erfahren, wie könnte ich ihn nun verleugnen, meinen König und HErrn.“ Getreu bis in den Tod: das verlangt er von uns. Er muss sich auf uns verlassen können, wie wir uns auf ihn verlassen können. Denn wir sind sein Volk. Das gibt uns allzeit einen fröhlichen Christenmut. Wenn auch die dunklen Wolken noch so tief herunterhängen, so greifen wir im Glauben hinter die Wolken und wissen, dass wir da die ewige Liebe finden und ergreifen, deren Hand das Kleinste so gut regiert wie das Größte.

Wir sind das Volk Gottes, und wir sind das priesterliche Volk Gottes. Alle Christen sind Priester und haben priesterlichen Beruf. Zwar unser Hohepriester ist Christus; aber er hat uns zu Priestern gemacht. Der Beruf des Priesters ist Opfer zu bringen. Dies ist unser Beruf. Zwar das Sühnopfer für unsere Sünden hat Christus gebracht, ein für allemal. Wir haben es nicht erst zu bringen, können es auch nicht. Denn kein Mensch kann für seine Sünden genugtun oder versöhnend für einen andern eintreten. Aber nachdem wir versöhnt sind durch das Eine Opfer Jesu Christi, sollen wir nun die Opfer des Lobes und Dankes darbringen im Gebet. Das ist unser Priestertum, ein Priestertum des Herzens, des Hauses und des Lebens.

Denn vom Herzen geht es aus. Dies ist der Altar von welchem aus allezeit zu Gott das Opfer unserer Gebete in Bitte und Dank aufsteigen soll. Denn nicht bloß Worte des Mundes und einzelne Werke des Lebens, sondern das Opfer des Herzens will Gott haben:, dass all unser Denken und Wollen, Sinnen und Wünschen ihm geweiht sei. Und vom Herzen geht es ins Haus. Denn das Haus ist ein Heiligtum.

Wie das Heiligtum Israels seinen Vorhof hatte und sein Heiliges und sein Allerheiligstes, so hat auch das Haus seinen Vorhof, in welchem es dem Verkehr mit der Außenwelt offen steht; aber wen ich in mein Haus selbst aufnehme, den nehme ich in mein Heiligtum auf. Denn mein Haus ist mein Heiligtum. Wie aber dort im Tempel zu Jerusalem Morgens und Abends das Rauchopfer des Lobes zu Gott aufstieg, so soll im Heiligtum des Hauses tagtäglich Morgens und Abends von der priesterlichen Gemeinde des Hauses das Opfer des Gebetes dargebracht werden. Und wenn den Tag über die einzelnen Glieder des Hauses durch die Arbeit ihres Berufs voneinander getrennt werden und ihre besonderen Wege gehen, so versammeln sie sich zu den bestimmten Stunden um jenen gemeinsamen Tisch, den man mit reinlichem weißen Linnen deckt, und an dem man die Gaben, die man aus Gottes Händen empfängt, zuerst immer ihm darbringt im Gebet. Das Haus ist ein Heiligtum. Wenn aber Mann und Weib in verborgener Stille ihre Gedanken und Sorgen vor Gott besprechen oder gemeinsam ihre Knie beugen vor seiner Nähe - das ist das Allerheiligste des Hauses, in welchem Gottes Gegenwart wohnt.

Das Haus ist ein Heiligtum; der Priester dieses Heiligtums aber ist der Mann, der Herr des Hauses. Das ist sein schönstes Vorrecht, der Priester seines Hauses zu sein. Aber nicht der Mann allein, auch die Frau übt priesterlichen Dienst, wenn sie die Kinder um sich versammelt und sie beten lehrt, wenn sie das schwache Opfer der kindlichen Lippen, vielleicht der noch stammelnden Lippen mit dem Gebetsopfer ihres Herzens vereinigt Gott darbringt. Gewiss, es gibt nichts Lieblicheres in Gottes Augen und seiner heiligen Engel als eine betende Mutter mit ihrem betenden Kind. Und nicht die Mutter bloß ist eine Priesterin Gottes; eine jede Frau kann dienend priesterlichen Dienst üben an den Nächsten oder an Fernstehenden, an den Armen und Kranken, an den Bedürftigen und Hilfesuchenden, den Dienst der barmherzigen, der helfenden, tröstenden, erquickenden, dienenden Liebe. Nichts ehrt eine Frau mehr als solcher Dienst der Liebe. Das ist der Triumph der christlichen Frau.

Und so geht es vom Haus hinaus ins Leben, das Priestertum der Botschaft von der göttlichen Liebe: „dass ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“ Wir sind berufen Prediger zu sein, nicht wir bloß, die das Amt der Predigt des Wortes führen; alle Christen sind Prediger, Prediger der göttlichen Barmherzigkeit. Nicht seine heiligen Engel, sondern gefallene aber gerettete Menschen hat Gott erwählt, Prediger der Barmherzigkeit zu sein. Denn tiefer als das Wort eines Engels, der nicht gefallen, dringt ins Herz das Wort eines verlorenen Sünders, den die Gnade Gottes gerettet hat. Wir sollen Alle Prediger sein, Prediger nicht bloß mit unserem Wort, sondern auch mit unserem Leben, nicht bloß mit Reden, sondern auch mit Schweigen, Prediger in unserem Wirken, Prediger in unserem Leiden, Prediger einst auch mit unserem Sterben. Unsere Predigt aber ist die eine selbe stets, der Preis der Gnade, die Verkündigung der Barmherzigkeit Gottes in Christo Jesu.

Das ist der Beruf der Gemeinde Jesu Christi, des priesterlichen Volkes Gottes. Das ist unser Beruf, in der Gegenwart doppelt. So lasst uns denn mit solcher Predigt des Lebens nachfolgen den Segensspuren dessen, der mit dem Wort seiner Gnade und mit der Tat seiner Barmherzigkeit ein Segen geworden ist den Seelen, den Völkern, den Geschlechtern der Menschen, und lasst uns so unseres Berufes warten in seiner Nachfolge. Denn „ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht“. Amen.