Am 30. September 1681 verlor Straßburg die seit vielen Jahrhunderten hindurch behauptete Unabhängigkeit; die deutsche freie Reichsstadt wurde an den König von Frankreich, Ludwig XIV, zufolge einer zwischen dem Marquis de Louvois und dem Magistrate in Illkirch abgeschlossenen Capitulation übergeben1). Dieselbe wurde am 3. Oktober darauf vom Könige in Vitry bestätigt, und der Monarch versprach, daß sie buchstäblich solle erfüllt werden2). Von nun an stand Straßburg unter des Königs Schutz; er bestätigte die ihr durch den Westphälischen Frieden zugesicherten Rechte, Privilegien und herkömmlichen Gebräuche3); in kirchlichen Dingen wurde der vorherige Bestand ebenfalls beibehalten, mit Ausnahme des Münsters, welches Gebäude dem Bischof wieder zum Gottesdienst eingeräumt wurde4), wogegen den Protestanten, welche bisher zur Münstergemeine gehört hatten, zu einigem Ersatz die Prediger-Kirche mit allen Rechten einer Haupt- und Pfarrkirche angewiesen wurde. Zur Wiederherstellung dieses, seit vielen Jahren als Magazin dienenden Gebäudes, steuerten die Mitglieder der übrigen Stadtkirchen; Jung St. Peter trug 100 Gulden bei5).
Noch war kein Jahr verflossen, seitdem die Stadt Straßburg unter französischer Herrschaft stand, als sich diejenigen Orden und Stifter, die ehemals in der Stadt ansässig waren, auch wieder einfanden, und aufs Neue aufgenommen zu werden begehrten. Der Bischof verlangte ebenfalls die Rückgabe der drei Kirchen und Stifter: Allerheiligen, Jung- und Alt St. Peter6), welches Begehren aber dahin verglichen wurde, daß ihm das Chor der beiden Peterskirchen nebst allen Einkünften eingeräumt wurde.
Unter der Vermittlung der durch königlichen Befehl ernannten Commissäre, Marquis de Chamilly, als Gouverneur, und Monsieur de la Grange, Intendant d'Alsace, und mit Zuziehung E. E. Raths-Deputierten, wurde dann zur Absonderung des Chors und des Schiffs der Kirche geschritten, welche Absonderung 1683 durch Errichtung einer dicken Zwischenmauer geschah. Die Kosten derselben wurden zur Hälfte von gemeiner Stadt, die andere Hälfte von den HHrn. Capitularen bezahlt7).
Eine Reihe von Jahren hindurch bestehen seitdem beide Kirchengemeinden in Verträglichkeit und Friede neben einander; ein Verhältniß, dem auch nur vorübergehende Mißhelligkeiten bis auf den heutigen Tag gedroht haben. Zu verschiedenen Malen wurden im Laufe des 18. Jahrhunderts, und sogar zu Anfang dieses Jahrhunderts Versuche gemacht, die protestantische Gemeinde ihres, durch die verschiedenen Friedensverträge gesicherten Rechtes und Besitzes zu berauben; allein diese Versuche hatten keinen Erfolg8).
Die zu Ende des 18. Jahrhunderts eingetretenen Zeitereignisse führten auch für unsere Kirche große Unfälle herbei, indem die Revolution allen kirchlichen Anstalten den Untergang zudachte. Am 17. Oktober 1793 wurde von Seiten des Comitê de surveillance des subsistances de la ville de Strasbourg, durch ein Schreiben9) dem Kirchenvorstande die Anzeige gemacht, daß derselbe noch am nämlichen Tage die schnellsten Maßregeln zu treffen habe, um das Heu und Stroh, das der Annäherung der Feinde wegen in die Stadt gebracht werde, in die Kirche aufzunehmen. Da nun für den Augenblick kein Gottesdienst in der Kirche gefeiert werden konnte, so sorgte der Kirchenvorstand dafür, daß derselbe in der nahegelegenen Zimmerleutstube für einige Zeit abgehalten wurde. Wenig Tage darauf, am 9. November 1793, erhielt Pfarrer Leonhard von dem Maire Monet ein Schreiben10), nach welchem alles Gold und Silbergeräthe, das die Kirche besitze, auf das Gemeindehaus abgeliefert werden mußte11); auch die Glocken. Kaum war die Kirche wieder von Stroh und Heu leer, als dieselbe in ein Magazin zur Aufbewahrung von Militäreffekten umgewandelt wurde. Alle Männer- und Frauenstühle, 209 an der Zahl, wurden abgebrochen um Schäfte daraus zu machen. .
Nachdem man die Kirchen ihres bescheidenen Schmuckes beraubt, und alles was Werth hatte herausgenommen war, ging es an ein eigentliches Bilderstürmen. Wie am Münster, so wurden am Eingang der großen Thüre unserer Kirche, wo in 16 Nischen steinerne Figuren standen, dieselben nicht nur weggenommen, sondern auch sonstige Verstümmelungen an Bildhauerarbeiten angerichtet, und die zahlreichen Spuren von Meiseln zeigen noch jetzt das Geschehene. Im Innern der Kirche wurde der steinerne Altar, der 1781 war errichtet worden, und als ein Meisterstück des Steinmegen Pfunth gegolten, abgebrochen, so wie auch das aus geschlagenem Eisen gemachte Gitter der Kanzeltreppe.
In einem Augenblick stand selbst der Glockenthurm in Gefahr abgebrochen zu werden, indem der Jakobiner Teterel, aus Lyon, darauf antrug, die Pyramide des Münsterthurms bis zum Wächterhäuschen abzutragen, welche Maßregel einige Monate später durch die Departements-Verwalter auf alle Kirchthürme im ganzen Lande auszudehnen, vorgeschlagen wurde; nur die am Rhein stehenden Thürme sollten verschont bleiben, weil sie zur Beobachtung der Feinde dienen könnten12). Als durch Beschluß des Municipalrathes vom 12. Frimaire II (2. December 1792), die Benennung der Plätze, Straßen, Brücken u. s. w. geändert wurde, so erhielt der Platz vor der Jung St. Peter Kirche den Namen: Place des bons enfants13).
Vom 17. Oktober 1793 an, bis alle Kirchen geschlossen wurden, hatte der Gottesdienst, wie oben schon gemeldet worden ist, vorläufig in der Zimmerleut-Zunftstube statt; allein da das Lokal nicht geräumig genug war, so trennte sich die Gemeinde, und der eine Theil hielt seine gottesdienstlichen Versammlungen in einem Saale des Gasthofes „zum Pflug“ in der Steinstraße, bei welchen Pfarrer Leonhard sein Amt verrichtete, und der andere Theil im großen Auditorium bei der Neuen-Kirche, welchen Pfarrer Fritz vorstand.
Gegen Ende des nämlichen Jahres, 30. Brumaire oder 21. November 1793, erging aber das förmliche Verbot jeder öffentlichen Gottesverehrung, und zugleich an die Lehrer aller Religionsbekenntnisse die Aufforderung zu einem Widerruf und zur Erklärung vor dem versammelten Volke, daß ihre bisher vorgetragene Lehre nur Betrug und sie selbst Betrüger gewesen seyen. Wer sich weigere, habe Gefängniß, Verbannung oder Tod zu erwarten14). Sechzehn Monate lang waren die Kirchen geschlossen. Zu Anfang des Jahres 1795 erließ der National-Convent ein Decret, in welchem erklärt wurde: daß zwar in Frankreich keine herrschende Staats-Religion mehr statt finde, daß aber alle Bürger völlige Gewissensfreiheit in der Ausübung ihrer Religion genießen sollten, doch so, daß jede Religionspartei ihre Lehrer selbst besolde, und alle Kosten des Cultus trage15).
Diesem Decret zufolge wurde auch die Jung St. Peter Kirche wieder geöffnet, und nachdem die nothdürftigsten Reparaturen gemacht, und die Männer- und Frauenstühle wieder hergestellt worden waren, fand am 24. Pluvios IV (Monat März 1795) wieder der erste öffentliche Gottesdienst statt; Magister Fries hielt die Morgen- und Pfarrer Leonhard die Abendpredigt16). Die Freiheit der gottesdienstlichen Versammlungen an den Sonn- und Festtagen, welche die Bürger seit mehr als zwei Jahren wieder genossen hatten, war nicht sowohl durch Gesetze erlaubt und gesichert, sondern vielmehr als ein heiliges, unverletzliches Recht von den Bürgern selbst genommen worden17). Als daher die heftige Partei den 18. Fructidor (4. September 1797) abermal ein entscheidendes Uebergewicht über die billiger denkende und gemäßigte erlangt hatte, so erwachte auch der Verfolgungsgeist wieder, und es wurde, aus Haß gegen die Priester, die Religionsfreiheit wiederum eingeschränkt.
Die Feier des christlichen Sonntags sollte den Decadifesten18) weichen, der neue republikanische Kalender mit der größten Strenge beobachtet und der sonntägliche Gottesdienst auf den Decaditag verlegt werden. Der Kirchenvorstand und die Notables19) unserer Gemeinde, denen das Arrêté du Directoire exécutif rücksichtlich der Decadifeier war mitgetheilt worden, beschlossen am 26. Frimaire VI: daß der Decadi solle gefeiert werden wie sonst die Festtage; daß aber am Sonntag eine Amtpredigt, und bis auf weitere Verfügung. Nachmittags eine Betstunde solle gehalten werden. Doch mußte bald aus Mangel an theilnehmenden Gemeinde-Mitgliedern die Decadifeier, wo nicht ganz aufhören, doch eingeschränkt werden, und der christliche Sonntag behielt am Ende wieder sein Recht, da am 26. Juli 1800 die Regierung erklärte, daß die Feier des Decadi nur für die öffentlichen Beamten verbindlich sey20).
Eine nochmalige Unterbrechung des kaum vor wenigen Jahren wieder errungenen öffentlichen Gottesdienstes, erfuhr unsere Jung St. Peter Kirche durch den aufs Neue ausgebrochenen Krieg, und sie mußte jetzt als Magazin für gesalzenes Fleisch dienen, welches vom 2. Ventose VII an, während zwei Jahren in Fässern daselbst aufbewahrt wurde. Der Gottesdienst wurde wieder im Auditorium bei der Neuen Kirche gehalten.
Nach geschlossenem Frieden richteten die Vorsteher unserer Kirche eine dringende Bittschrift an den Kriegsminister Berthier, so wie an den Obergeneral der Rheinarmee, Moreau21), mit dem Begehren, daß das Fleisch, das bereits zwei Jahre lang in der Kirche liege, und das bei längerm Aufhalten zu Grunde gehen würde, öffentlich versteigert und die Kirche wieder der Gemeinde zu ihrem Gebrauch übergeben werden möchte. Endlich wurde, nach manchen Reclamationen, die Kirche geräumt, und auf die Erklärung der Vorsteher hin, daß sie auf alle Schadloshaltung, so wie auf den schon früher versprochenen (aber nie erhaltenen) Miethzins für die ganze Zeit, da die Kirche zu den verschiedenartigsten Magazinen gedient hatte, Verzicht leisten wollten, befahl der Kriegs-Commissär des Niederrheinischen Departements, Ducrot, daß die Kirchenschlüssel ausgeliefert werden sollten.
Durch das am 18. Germinal X oder 8. April 1802 erlassene organische Gesetz, wurde der protestantische Cultus wieder hergestellt, und den Kirchen der Besitz ihrer Güter feierlich bestätigt. Durch dasselbe Gesetz wurden ferner die protestantischen Gemeinden des Elsasses, und Frankreichs überhaupt in Consistorien eingetheilt, deren eines je 6000 Seelen begreifen sollte.
Im Jahre 1803 (9. Fructidor XI) wurde unsere Kirche zu einer Consistorial-Kirche erhoben, zu welcher die Pfarr-Gemeinden St. Wilhelm, Ruprechtsau, Schiltigheim, Bischheim und Hönheim gezogen wurden, welche zusammen ein Consistorium, unter dem Namen: Consistorium von Jung St. Peter und St. Wilhelm, bildeten22). Nicht geringe Bewegung verursachte damals die Einführung eines neuen Gesangbuchs. Schon lange vor Ausbruch der Revolution hatte man gefühlt, daß das alte straßburgische Gesangbuch nicht mehr genüge, daß viele Lieder desselben veraltet, schwer verständlich oder anstößig in ihren Ausdrücken seyen, und das religiöse Bedürfniß der Gemeinden nicht befriedige. Schon damals waren Anstalten zu einem neuen Gesangbuch getroffen. Aber verschiedene Umstände verzögerten die Herausgabe. Erst im Jahr 1798 erschien es, von Dr. Blessig und Dr. Haffner gesammelt. Mehrere Stadtgemeinden nahmen dasselbe alsobald an. Aber die Jung St. Peter Gemeinde, oder vielmehr deren Presbyterium23) (Vorsteher, Kirchenpfleger) widerstanden aus dem angeblichen Grund: „Das neue Gesangbuch entbehre der Autorisation der obersten Landesbehörde.“ Um den in die Weite gehenden Wirren ein Ende zu machen, erließ das Directorium des General-Consistoriums Augsburgischer Confession an die widerstrebenden Gemeinden ein Proclama, in der Amtpredigt von der Kanzel zu verkündigen, worin die Einführung eines und desselben Gesangbuchs für alle Stadtgemeinden als eine Nothwendigkeit erkannt und verordnet wird, daß dasselbe auf das Osterfest 1807 eingeführt werde. Der Kirchenvorstand von Jung St. Peter war darüber hoch aufgebracht, und verbot den Pfarrern dieses Proclama zu verkündigen. Aber Pfarrer Johann Jakob Kreiß, seinem Gewissen folgend, hatte den Muth diese Verlesung dennoch vorzunehmen, ohne Beifügung der Protestationen des Presbyteriums, und das Blessig'sche Gesangbuch wurde so eingeführt24).
In neuester Zeit wurde eine andere Liedersammlung zum gottesdienstlichen Gebrauch begonnen und nach acht Jahren vollbracht. Diese neue Sammlung ist vollständiger als jene frühere und dem Zeitbedürfnisse angemessen, voll schöner, ächt evangelischer Lieder. Wie in den andern Kirchen der Stadt Straßburg, so wurde dieses Gesangbuch für die evangelischen Gemeinden Frankreichs am 1. Advent 1853 zu Jung St. Peter eingeführt.