gehalten am 29. August 1830
Römer 3, 22-24
Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbaret und bezeuget durch das Gesetz und die Propheten. Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christ zu allen und auf alle, die da glauben. Denn es ist hier kein Unterschied; sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollten; Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist.
Der Brief, aus dem diese Worte genommen sind, gehört zu den allerwichtigsten Stücken der heiligen Schrift. Der heilige Apostel handelt in demselben von der Haupt- und Zentrallehre des Evangeliums, nämlich von der Glaubensgerechtigkeit. Zuerst beweist er, daß sowohl Juden als Heiden der Gerechtigkeit gänzlich ermangeln, und zeigt sodann, wodurch die Sünder allein gerecht werden können. In unserem Text drängt er das Ganze zusammen. Wir finden hier:
Die Beschreibung des natürlichen Zustandes aller Menschen liegt in den Worten des 23. Verses. die Beschaffenheit dieses natürlichen Zustandes wird in den Worten angegeben: Sie sind Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten, oder eigentlich, entbehren der Herrlichkeit Gottes. Die Allgemeinheit dieses elenden Zustandes drücken die Worte aus: Allzumal, sie haben alle gesündigt, und: Es ist hier kein Unterschied.
Die Beschreibung des natürlichen Zustandes der Menschen zerfällt in zwei Teile.
Der erste lautet so: Sie sind Sünder, oder sie haben gesündigt. Sündigen ist das Allerschlimmste, was ein vernünftiges Wesen tun kann, das Allerschändlichste und Allerschädlichste, das wir nicht genug verabscheuen, hassen, meiden und fliehen können; das einzige, was Gott selbst haßt, worüber er zürnt, ja ergrimmt, dem er sich mit seiner ganzen Allmacht und seinem ganzen Wesen widersetzt, da er sonst die Liebe selber ist. Die Schrift nennt sie Fleisch, Finsternis, Tod, und diejenigen, die mit der Sünde behaftet sind, Unreine, Hunde, Dornen, Disteln, Unkraut, Schlangen, ja, Kinder des Teufels und des Zornes; sie spricht über dieselben den Fluch aus, kündigt ihnen alles Unheil, den Zorn Gottes an, eine endlose Verdammnis an dem Ort der Qual, um uns so einen Abscheu gegen dieses höchste Übel einzuprägen. Das Sündigen besteht aber nicht bloß in bösen Taten, wie wenn jemand seinen Eltern und Vorgesetzten ungehorsam ist, einen Totschlag begeht, ein Hurer und Ehebrecher ist, stiehlt und betrügt; es besteht nicht bloß in bösen Worten wie fluchen und schwören, Mißbrauch des göttlichen Namens, lügen und falsch Zeugnis reden; nicht bloß in bösen Vorsätzen und Anschlägen, sondern das Sündigen hat seinen Hauptsitz in der ungöttlichen Gesinnung, die die Wurzel alles Bösen ist. Macht die Gesinnung an sich schon strafbar, wie viel mehr muß sie es tun, wenn die Tat hinzutritt.
Das andere Stück unseres verderbten Zustandes wird in den Worten geschildert: sie ermangeln der Herrlichkeit Gottes. Die Herrlichkeit Gottes im Menschen ist sein Ebenbild, ist die Ähnlichkeit und Übereinstimmung mit Gott. Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Das war, darin bestand seine Herrlichkeit, und sie heißt die Herrlichkeit Gottes, weil Gott sie ihm verliehen hatte, er seinem Schöpfer ähnlich war und in Gemeinschaft mit ihm stand. Dies machte seinen höchsten Vorzug, dies die eigentliche Würde des Menschen aus. Aber es ist eine verlorene Würde. Der Mensch hat sie nicht mehr. Ikabod! Die Herrlichkeit des Herrn ist dahin. Mögen die Menschen auch gern mit ihrer Würde prangen und sich derselben rühmen wollen; sie gleichen darin nur jämmerlicherweise den Wahnsinnigen, die sich einbilden, vornehme Personen zu sein, und die erst dadurch ihre Rückkehr zur gesunden Vernunft beweisen, daß sie diese Einbildung fahren lassen. Diese Reden von der Würde der menschlichen Natur, wie sie jetzt ist, und worin sich die Menschen von jeher so wohl gefallen haben, stehen in offenem Widerspruch gegen das gesamte Wort Gottes und namentlich gegen dieses Wort: Sie ermangeln der Herrlichkeit Gottes. Ist sogar das Licht in uns Finsternis, wie groß muß dann die Finsternis selber sein? Ist unsere Gerechtigkeit ein unflätiges Gewand, was muß dann unsere Untugend sein? Ist unsere Weisheit Torheit und ein Hindernis, Gott in seiner Weisheit zu erkennen, was muß dann die wirkliche Torheit sein? Mangelt uns die Herrlichkeit Gottes, so mangelt uns mit derselben alles, was ihm an uns gefallen könnte - dem Verstand Licht und Wahrheit, dem Gewissen Friede und Freude, dem Herzen Aufrichtigkeit, Glauben und Liebe, dem ganzen Gemüt die Richtung auf Gott. Wo jenes Licht der Herrlichkeit Gottes mangelt, da ist Finsternis eingetreten, wo dies Leben fehlt, da tritt der Tod ein, wo diese Liebe gewichen ist, da haben die Feindschaft, Zwiespalt, Zerwürfnis mit Gott, Haß und Unfriede ihr Lager aufgeschlagen, wo dies alles gewichen ist, da ist alles wüst und leer und bleibt es, sofern nicht eine neue Schöpfung vorgenommen wird.
Das also, das sind wir. Jedoch geht der Apostel noch einen Schritt weiter. Er sagt nicht nur: Sie sind allzumal Sünder, sondern lehrt auch: Es ist hier kein Unterschied. Dieser Zusatz ist für die Eigenliebe eine höchst empfindliche Beleidigung. Weil sie aber von einem solchen Werkzeug Gottes uns zugefügt wird, werden wir wohl tun, wenn wir uns darunter beugen und demütigen. Weil er muß. gibt der eigenliebige Mensch es etwa zu, daß es einzelne Ausbünde von Niedertracht, Grausamkeit, Gottlosigkeit, Geiz, Unzucht und anderen Unarten gegeben hat und noch gibt. Aber sie verbitten es sich sehr eifrig und entschieden, daß man von diesen einzelnen, die doch von vielen verabscheut dastehen, einen Schluß auf alle übrigen macht, und weichen nur in dem Fall von dieser Regel ab, wenn etwa ein Christ von einem Fehl übereilt würde, das müssen alle entgelten, dann taugen sie gleich alle nicht, womit sie ihren feindseligen Sinn offenbaren. Aber „sie taugen alle nicht“, das dehnt das Wort Gottes alten und neuen Testaments über alles, was Mensch heißt und noch in seinem Naturzustand steht, wirklich aus. Es ist hier kein Unterschied. Die wirklich schauderhafte Beschreibung, die der Apostel vom 10. bis 18. Vers aus den Psalmen von der menschlichen Natur macht, paßt wirklich auf alle Genossen dieser Natur, auf alle Menschen. Hiermit wird aber gar nicht der große Unterschied geleugnet, den die Gnade unter Menschen und Menschen macht, da es von manchen heißen kann: Solcher sind euer etliche gewesen, ihr seid allzumal Gottes Kinder. Wenn der Apostel im vorhergehenden sagt, da ist nicht einer gerecht, nicht einer, der verständig sei, der nach Gott frage, der Gutes tue, auch nicht einer, so wissen wir, daß es deren auch in unseren Tagen viele gibt, die gerecht, die verständig sind, die nach Gott fragen, jedoch durch Gnade. Der Apostel redet hier aber von der Natur. Er streitet auch gar nicht dagegen, daß nicht ein Unterschied der Sünde und Verhältnisse und endlich ein großer moralischer Unterschied unter den Menschen sei, so nämlich, daß etliche ehrbar leben, während andere sich in allen Lastern wälzen und eine Menge von Untaten ausüben. So finden wir ja in den Evangelien häufige Meldung der, freilich von vorn herein, aber meistens ohne Verstand, verrufenen Pharisäer, die aber in der Tat das nicht waren, was man schlechte Leute und Heuchler nennt. Aber wie beurteilt der Mund der Wahrheit sie? Jener reiche Jüngling war gewiß, natürlich zu reden, ein vortrefflicher Mensch und ging doch, als es darauf ankam, traurig weg, und Jesus erklärte sogar, es sei leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr ginge, als daß so geartete Leute ins Reich Gottes kämen. In der Apostelgeschichte lesen wir von andächtigen und ehrbaren Weibern, von denen man ja viel Gutes erwarten sollte, da ja offenbar zwischen leichtsinnigen und irreligiösen und solchen Weibern ein sehr große Unterschied stattfindet, und doch finden wir bald darauf, daß sie mit den Obersten der Stadt gemeinschaftliche Sache wider das Christentum machen und nicht ruhen, bis sie den Prediger desselben verdrängt haben. Das Wort „Es ist hier kein Unterschied“ ist ein ungemein demütigendes, alle Selbstgerechtigkeit gänzlich niederdonnerndes Wort, obwohl es nicht von den Ausbrüchen nach außen, sondern nur von der Wurzel, Fähigkeit und Anlagen redet, deren Entwicklung aber nicht bei allen gleich ist. Welche vortrefflichen Anlagen hat nicht mancher Jüngling! Weil es ihm aber an Gelegenheit, sie zu entwickeln, mangelt, werden sie nicht offenbar. So geht es auch mit dem Bösen, was im Menschen steckt. Erziehung, Beispiele, Umgang, Temperament, Verhältnisse halten es bei dem einen in Schranken und fördern es bei anderen zum Durchbruch. Als Gott den Hiskia verließ, wurde alles kund, was zwar bisher in seinem Herzen, aber nicht offenbar war.
Niemand hat Ursache, sich für spezifisch besser zu achten wie jeden anderen, wohl aber Gott zu danken, wenn er nicht ist wie andere Leute, Räuber, Ehebrecher, Ungerechte. Zwar ist diese Aufhebung alles Unterschiedes eine große Beleidigung für die Eigenliebe. Es ist aber verderblich, gegen das Wort Gottes anzutreten, heilsam aber, sich unter dasselbe zu beugen, damit man auch durch dasselbe aufgerichtet werde.
Dies nun, diese Lehre von unserem gänzlichen Mangel an aller eigentümlichen Gerechtigkeit, mögen wir sein, wer wir sind, ist die Grundlage oder das Grundstück, worauf das Gebäude der wahren Gerechtigkeit errichtet wird, von der unser Text nun weiter evangelisiert.
In ihm ist die Rede von gerecht sein, von gerecht werden vor Gott. Es stellt sich also zuerst die Frage, was das sei, deren Beantwortung vielleicht durch die Bemerkung erleichtert wird, daß es eigentlich heißt: gerechtfertigt, d.h. für gerecht und unschuldig angesehen, erklärt und demgemäß behandelt worden, und zwar nicht in einem menschlichen, sondern in dem göttlichen Gericht. Das will aber doch unbeschreiblich viel sagen. Sind doch die Himmel nicht rein vor ihm, und unter seinen Knechten ist keiner ohne Tadel, wie vielmehr die in Lehmhütten wohnen, die auf Erde gegründet sind und von Würmer gefressen werden (Hiob 4). Wird jemand von Gott, dem Richter über alle, für gerecht erklärt, wer darf das Gegenteil behaupten? Er wird seinem richterlichen Ausspruch allen nötigen Nachdruck zu geben wissen, und indem er alle Einreden dagegen abweiset, zugleich die Gerechtfertigten in den Besitz und Genuß alles Guten setzen.
Aber es entsteht eine zweite Frage, diese nämlich: Kann das geschehen? Ist das möglich? Geschieht das wirklich? Das ist glücklicherweise keinem Zweifel unterworfen. Mag die sich selbst überlassene Vernunft auch nicht davon wissen noch ahnen und es ein Geheimnis sei, das vor der Welt verschwiegen geblieben ist, so wird es doch im Evangelium genugsam geoffenbart. Es bejaht mit ungezweifelter Gewißheit und Zuversichtlichkeit und lehr aufs deutlichste, und beweist es auch durch die auffallendsten Beispiele, daß Sünder selig, daß Gottlose, daß schnöde Übertreter des Gesetzes, daß feindselige Verfolger des Evangeliums, daß Leute, die Jesus Christus selbst gekreuzigt und seine Gläubigen verfolgt und getötet haben, gerecht, daß der zeitlichen und ewigen Verdammnis würdige Menschen wie Brände aus dem Feuer gerissen und Gegenstände der Liebe Gottes, Genossen der ewigen Seligkeit und Herrlichkeit werden können, und ihrer nicht wenige wirklich geworden sind. Und eine solche frohe Botschaft kann man verdrängen wollen, lästern, schmähen, verfolgen, da man sie ja auf den Knien aus der weitesten Ferne holen sollte? O heilloses Geschlecht, das mutwillig sich ins Verderben stürzt, zwiefacher Verdammnis wert!
Die dritte Frage ist die: Wie geschieht es denn und wodurch wird ein Mensch gerecht? Laßt uns vorab fragen: Wodurch wird er es nicht? Nicht durch des Gesetzes Werk. Das ist höchst merkwürdig und unerwartet. Nach der Vernunft pflegt man so zu denken: Wenn ein bisher böser, leichtsinniger, gottloser Mensch sich bessert, wenn er seine begangene Sünde bereut, wenn er den Vorsatz faßt, ein anderes, gesittetes Leben anzufangen, und anhebt und sich bestrebt, diesen Vorsatz wirklich in Ausübung zu bringen, so wird Gott ihm seine Sünden vergeben und ihm gnädig sein, ohne daß es nun noch eines anderen und weiteren bedürfte. Nach dem Evangelium würden wir dies umkehren und sagen müssen: Wenn Gott jemandem die Sünde vergibt und ihm gnädig ist, so wird er auf die rechte Weise sein Leben bessern, seine Sünde bereuen usw., sonst aber wird es nie rechter Art sein und ist durchaus nicht der Weg, um vor Gott gerecht zu werden. Kein Mensch wird durch Werke, die das Gesetz befiehlt, gerecht vor Gott, das steht fest, diese Werke mögen nun sein, was sie wollen. Kein Mensch ist imstande, so viele und so vortreffliche Werke zu vollbringen, daß er sich dadurch eine vor Gott gültige Gerechtigkeit, ganz oder teilweise, erringe, und möchte er alle seine Habe den Armen geben und seinen Leib brennen lassen; denn alles, was aus dem Gesetz kommt, ist bloß Erkenntnis der Sünde, nicht ihre Vergebung oder das ewige Leben. So bestätigt es sich auch in der Erfahrung aller derer, die der Mund der Wahrheit mühselige und arbeitende Seelen nennt, aller derer, die mit wahrem Ernst Ruhe für ihre Seelen durchs Gesetz, durch die Ausübung seiner Gebote gesucht haben. Es gelang ihnen nicht einmal durch ihre mühsamsten Anstrengungen, sich eine Gerechtigkeit zusammenzuarbeiten, die nur vor dem Richterstuhl ihres Gewissens Stand gehalten, geschweige denn, womit sie hätten vor dem erschreckenden Richterstuhl der allerheiligsten Majestät Gottes erscheinen mögen. Mochten sie ihre Arbeiten und ägyptischen Frohndienst jahrelang fortsetzen, sie brachten es doch nicht weiter als Paulus es nach Römer 7 brachte: die Sünde wurde überaus sündig durchs Gebot. Es erregte nur allerlei Lust, statt sie zu dämpfen. Es nötigte zu dem Ausruf: Ach, ich elender Mensch!
Meine deshalb nur niemand, als ob ein tugendhafter Lebenswandel oder eine Reue, ein Vorsatz sich zu bessern, möchte er auch ganz aufrichtig sein, der Weg sei, um von Schuld und Strafe losgesprochen und in das Recht zum ewigen Leben eingesetzt zu werden. Kein Fleisch, kein Mensch wird durch des Gesetzes Werk gerecht vor Gott, und gäbe er alle seine Habe den Armen. Erkenntnis der Sünde kommt wohl aus dem Gesetz, nicht die Gerechtigkeit. Dieser Weg ist also verschlossen und unzugänglich. Gib alle Hoffnung auf, auf demselben zum Ziel zu gelangen, und stelle alle diese Bemühungen ein! Schlage dagegen den rechten Weg ein, der Christus heißt, und welcher dich sicher zum Ziele führt!
Wodurch geschieht aber die Rechtfertigung? Sie geschieht ohne Verdienst, buchstäblich umsonst, als Geschenk. Werke kommen dabei durchaus nicht in Betracht, weder die bösen, daß sie es hindern, noch die guten, daß sie es fördern sollten. Der Zöllner ist sich keiner guten Werke, wohl aber seiner Sünde bewußt, der Pharisäer weiß viel Gutes von sich zu sagen; doch geht jener hinab gerechtfertigt in sein Haus vor jenem. Zwei können auf einem Felde sein: Der eine wird angenommen, der andere verlassen. Rechnet Gott Sünden zu, so ist auch der Beste verloren, denn wer an einem fehlt, ist des ganzen Gesetzes schuldig. In Missetaten sind jene beiden Schächer sich so gleich, wie in der Strafe. Die Gnade aber scheidet sie; dem einen schenkt sie Buße zur Vergebung der Sünden, der andere stirbt in seinen Sünden. Wer hat dich vorgezogen? Wo ist der Ruhm? Willst du was Gutes tun, so glaube, daß du nichts Gutes getan hast, das wird dich viel weiter bringen als die entgegengesetzte Einbildung! Lerne dies „umsonst“, dies „unentgeltlich“ wohl fassen und verstehen, so wirst du sehr weise sein.
Welches ist aber der Beweggrund der Rechtsprechung? Die Gnade; aus seiner Gnade, heißt es. Es gibt sowohl, wie der Apostel im Folgenden redet, Gefäße des Zorns, die zugerichtet sind zur Verdammnis, weil Gott Zorn zeigen und kund tun will seine Macht, wie es Gefäße der Barmherzigkeit gibt, die er bereitet hat zur Herrlichkeit, auf daß er den Reichtum derselben kund machte an denen, die er berufen hat. Der heilige Apostel weiß nur von Verdienst oder Gnade und sagt, es müsse notwendig aus dem einen oder dem anderen sein, wenn jemand selig werde, nicht aus beiden zusammen. Ist es aus Verdienst der Werke, sagt er, so ist die Gnade nichts, sonst wäre Verdienst nicht Verdienst; ist es aber aus Gnade, so ist es nicht aus Verdienst der Werke, sonst wäre Gnade nicht Gnade. Johannes drückt dasselbe mit anderen Worten aus, wenn er sagt: dies ist die Liebe, nicht, daß wir ihn geliebt haben, sondern er hat uns geliebt und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden. Indem der Apostel das eine in jeder Betrachtung ganz darniederschlägt, richtet er das andere allein auf. Er stellt eine Alternative: entweder - oder. Ebenso redet das Alte Testament: Freiwillig will ich euch lieben. Solches will ich tun um meinetwillen, ja um meinetwillen, daß ihr es wisset. Bei dir ist die Quelle des Lebens. Wollte Gott den Beweggrund, wie er den Menschen behandeln sollte, aus dem Menschen selbst und dessen Verhalten hernehmen, so müßte dieses Verhalten durchaus vollkommen und dem göttlichen Gebot gemäß sein. Und wollte jemand es auf diesem Wege erlangen, so wäre es auf jeden Fall zu spät. Er nimmt ihn also aus seiner Liebe und Gnade her, ohne Rücksicht auf uns. Wer es nun versteht und gelernt hat, mit diesem lebendigmachenden Strom zu schwimmen, der wird eine leichte und glückliche Fahrt antreffen, wo ihn auch der Wind begünstigt, und wenn er seinen Blick von allem ab auf diesen Liebesgott heften kann, etwas sehr Schönes und Heilbringendes sehen.
Aber was ist die erwerbende Ursache der Gerechtigkeit verdienstloser Sünder? Die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist. Das Wort Erlösung hat in der Schrift zwei Bedeutungen. Die eine bezeichnet überhaupt eine Befreiung von allerlei Trübsal, wie Christus Luk. 21,28 die Seinigen ermuntert, unter den bedenklichsten und Grauen erregendsten Umständen ihre Häupter in die Höhe zu heben, weil ihre Erlösung nahe ist, und Paulus Christus für einen solchen bekennt, „der mich erlösen wird aus aller Trübsal und mit aushelfen zu seinem herrlichen Reich.“. Hier aber bezeichnet das Wort Erlösung einen Loskauf oder die Erweckung des Heils durch einen Gehorsam und weiterhin die Mitteilung dieses erworbenen Heils an alle diejenigen, welche Teil daran haben. Das Wort Erlösung ist also ein ungemein vielsagender, ungemein viel in sich fassender Begriff. Doch wird es hier hauptsächlich in der ersten Beziehung genommen, wie nämlich das Heil erworben ist. Und wodurch ist das geschehen? Durch den allervollkommensten und allerheiligsten Gehorsam unseres Herrn Jesu Christi.
Laßt uns aber hier unsere Betrachtung abbrechen, um sie nicht zu übereilen, und sie, so der Herr will, nächstens wieder fortzusetzen. Laßt uns aber aus dem Gesagten Folgendes uns recht einprägen und beherzigen:
Erstens laßt uns wohl bedenken, daß wir allzumal Sünder sind und der Herrlichkeit Gottes ermangeln, wohl bedenken, daß von Natur kein einziger unter uns und allen Menschen ist, der es so weit gebracht hätte oder es durch seinen, wenn auch noch so ernstlichen Fleiß so weit zu bringen imstande wäre, daß er im Gericht Gottes bestehen könnte. Wisset und bedenket wohl, daß ihr alle, euch selbst überlassen, daselbst nichts zu erwarten habt als Urteil und Verdammnis, weil alle gesündigt haben. Laßt es gänzlich bei euch ausgemacht sein, daß ihr einer Prüfung, einem Examen, einer Untersuchung entgegeneilt, wo ihr auf tausend Fragen nicht ein einzig Wort werdet antworten können, wo aller Mund gestopft und alle Welt als Gott schuldig befunden werden wird. Laßt euch dadurch gutwillig demütigen, euch eure eigene Gerechtigkeit zerstören, eure Sicherheit verscheuchen und zu der ernstlichen Frage bewegen: Was soll ich tun, daß ich im Gericht Gottes bestehen möge?
Bemerke zweitens, daß ein Weg und Mittel vorhanden ist, worauf ihr, und wenn ihr bisher noch so große Sünder gewesen wäret, für so gerecht und heilig geachtet werdet, als ob ihr nie eine Sünde begangen noch gehabt hättet, worauf ihr nicht nur dereinst vor dem Richterstuhle Christi unbeschämt, ja mit Freuden werdet bestehen können, sondern wo ihr schon in diesem Leben wie im Sterben eine Freudigkeit im Gewissen, einen Frieden mit Gott genießen könnt, der größer ist als alle Schätze der Erde.
Beherzigt diese beiden Stücke wohl und beweget sie in eurem Herzen! Sehet zu, daß ihr diesen Schatz nicht versäumet, sondern gehet ein durch die enge Pforte, was der Herr euch aus Gnaden verleihen wolle! Amen.