„Was soll ich dir tun? Hast du eine Sache an den König oder Feldhauptmann?“ So fragte der Prophet Elisa 2. Könige 4,13 jene reiche Frau zu Sunem, bei welcher er auf seinen Reisen oft einzukehren pflegte, und die ihren Mann veranlaßt hatte, ihm in seinem Hause eine eigene Kammer mit dem nötigen Hausgerät einzurichten. Der dankbare Prophet wollte ihr gern einen Beweis seiner Erkenntlichkeit geben und fragte deswegen, ob sie vielleicht irgend eine Angelegenheit beim Könige oder dessen Feldhauptmann habe, worin er ihr mit seinem Fürwort dienen könne. Sie bedurfte dessen aber nicht und bedankte sich.
Ohne Zweifel merkt ihr schon, in welcher Absicht ich diese Geschichte erwähne. Es könnte jemand in der Lage sein, wo ein solches Eingang findendes Fürwort beim Könige ihm sehr willkommen wäre, wie Absalom die Fürsprache des Joab bei seinem Vater, dem Könige David, nachsuchte, damit es ihm wieder erlaubt werde, vor seinem Vater erscheinen zu dürfen, welches ihm David verweigert und gesagt hatte: Er soll mein Angesicht nicht sehen. Und Joab bewirkte dies doch durch sein Fürwort für den in Ungnade gefallenen Prinzen, daß sein Vater ihn küßte. (2. Sam. 14)
Bei den Königen dieser Erde können wir aber nur irdische Wohltaten erlangen, es gibt aber einen König, der die irdische Majestät an- und absetzt, der ihr Mut und Verstand gibt und nimmt, wie es Psalm 76 heißt, der selig machen kann und verdammen, in die Hölle und herausführen, Sünde behalten und vergeben, töten und lebendig machen kann, in dessen Hand stehet Kraft und Macht, und außer dem nichts ist. Von ihm hangen wir gar ab, und er kann uns geben, was wir bedürfen nach Seele und Leib, für Zeit und Ewigkeit.
Aber wir sind Sünder, wir haben diesen großen König beleidigt und seinen Zorn verdient, und seine Ungnade ist das fürchterlichste aller fürchterlichen Dinge. Wie, wenn denn auch jemand zu uns sagte: Was soll ich dir tun? Hast du eine Sache bei dem Könige? Kann ich dir mit meinem Fürwort bei diesem Könige dienen? Wenn dies einer sagte, der ganz gewiß Eingang fände, und uns das auswirkte, was er uns erbitten wollte, wäre das nicht eine köstliche Sache? Oder haben wir keine Sache bei diesem Könige?
Und sehet! Wir haben einen solchen Fürsprecher. Nicht einen Elisa, nicht eine Maria oder andere Sünder, die selbst eines Fürsprechers bedürfen, sondern den einigen geliebten Sohn dieses Königs, Jesum Christum, den Gekreuzigten.
Und davon gedenken wir unter göttlichem Beistand zu reden.
„Und ob jemand sündiget, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christum, der gerecht ist“
1. Joh. 2,1
Nachdem der Apostel erklärt hat, der Zweck, warum er schreibe, sei der, daß sie nicht sündigen, stellt er jetzt den Fall auf: Und ob jemand sündigt.
Zuvörderst bemerken wir, daß es scheine, als ob der Apostel durch diesen Zusatz seine vorhergehende Ermahnung entkräfte und der Erreichung des vorgestreckten Zieles eine Art von Hindernis in den Weg lege. Man möchte sagen: Er hätte diesen lähmenden Zusatz lieber weggelassen, und gar geschrieben: Wer aber sündigt, der soll verdammt werden, um den Eifer seiner Leser, deren doch unzählige sind, desto mehr zu entflammen. Wenigstens möchte man sich, hätte nicht der Mann Gottes geredet, getrieben durch den heiligen Geist, die Frage erlauben: Ob er vorsichtig genug rede? Der Hang zum Bösen ist ja so groß wie die Neigung, ihn zu entschuldigen, und die Trägheit, ihn zu bekämpfen. Möchte es nicht ratsam gewesen sein, irgend ein Wort zur Verhütung des Mißbrauchs einzuschalten? Hätte es nicht etwa heißen mögen: Wenn jemand sündigt und es alsbald herzlich bereut, oder desgl.? Könnte nicht jemand aus diesen Worten, die so nackt da stehen, den Schluß machen: Sündigt jemand nicht, so ist es besser, sündigt er aber, so hat sie's auch nichts zu sagen, wir haben ja einen Fürsprecher? Und wäre es nicht wohl der Mühe wert gewesen, eine solche böse Folgerung geflissentlich zu verhüten, da die Menschen ohnehin leichtsinnig genug sind, eine einzelne Stelle, die mit ihren sündlichen Neigungen übereinzustimmen scheint, begierig als einen Schild zu ergreifen, um damit hundert andere von ihrem Gewissen abzuwehren, die ihnen mißfallen? Könnten nicht Menschen durch diese Stelle (freilich zu ihrem ewigen Verderben) verleitet werden, zu denken: Jeder mache es nach seinem Belieben und bekümmere sich nicht darum, ob er sündigt oder nicht, genug, wir haben einen Fürsprecher? Und sollte ein Apostel nicht auf eine Weise geschrieben haben, daß auch kein einzig Wort den geringsten Anlaß dazu gebe?
Wir führen dies freilich nicht an, den Apostel, d.h. den heiligen Geist, zu meistern, welches erschrecklich wäre, sondern wir machen diese Anmerkung bloß deswegen, um anzudeuten, wie eine Spinne aus denselben Blumen Gift saugen kann, woraus die Biene ihren Honig saugt, und wie die Schrift aus ihrem Zusammenhang gerissen und nicht Schrift verglichen, mißbraucht werden kann. Als wes Geistes Kinder würden sich aber diejenigen beweisen, die das täten? Gewiß nicht als Kinder desjenigen Geistes, der uns einen Sinn gegeben hat, zu erkennen das Geheimnis Gottes und des Vaters und Christi, sondern als Kinder des Geistes dieser Welt, welche im argen liegt. Aber warum reden denn die heiligen Männer Gottes oder vielmehr der Heilige Geist durch sie nicht vorsichtiger, so daß dergleichen Mißbrauch nicht möglich wird? Ich will annehmen, es wäre möglich gewesen, so möchte man mit dem nämlichen Recht oder vielmehr Unrecht fragen: Warum schuf Gott den Baum der Erkenntnis, warum setzte er ihn mitten ins Paradies? Petrus gesteht von allen Schriften, sonderlich aber von den Briefen unsers lieben Apostels und Bruders Pauli, ohne ihn zu tadeln, daß einige Dinge in demselben schwer zu verstehen, welche verwirren die Ungelehrigen und Leichtfertigen zu ihrer eigenen Verdammnis (2. Petr. 3,16), und sagt 1. Petr. 2,8 von denen, die sich an dem Wort stoßen, sie seien dazu gesetzt. Jesus sagt: Euch ist's gegeben, das Geheimnis des Reiches Gottes zu vernehmen, den andern durch Gleichnisse, daß sie es nicht sehen, ob sie es schon sehen, und nicht verstehen, ob sie es schon hören. Wer daher Ohren hat zu hören, der höre. Die Weissagung des Propheten Hosea wird mit den Worten beschlossen: Die Wege des Herrn sind richtig, und die Gerechten wandeln darinnen, aber die Übertreter fallen darinnen. Paulus sagt: Den Reinen ist alles rein, den Unreinen aber und Ungläubigen ist nichts rein, sondern unrein ist beides, ihr Sinn und Gewissen. Und unser Apostel beschließt die ganze heilige Schrift mit den Worten: Wer böse ist, der sei immerhin böse, wer aber fromm ist, der sei immerhin fromm! Wer das Wort Gottes mißbrauchen will, der mißbrauche es! Sein Blut aber sei auf seinem Kopf!
Die Worte des Apostels: „Ob aber jemand sündigt,“ erfordern eine nähere Bestimmung, was für Personen hier gemeint sind. Alle Menschen sündigen, aber nicht alle können sich ohne weiteres des getrösten, was Johannes hinzusetzt. Zwischen Sündigen und Sündigen ist ein großer Unterschied, deswegen schreibt er Kap. 5,16: Es ist eine Sünde nicht zum Tode, und so jemand seinen Bruder so sündigen sieht, der mag bitten, so wird er geben das Leben denen, die da sündigen nicht zum Tode. Es ist eine Sünde zum Tode, dafür sage ich nicht, daß jemand bitte. Die Lehrart des Apostels ist merkwürdig. Wer in ihm bleibet, sagt er z.B., der sündigt nicht; wer da sündigt, hat ihn nicht gesehen noch erkannt; wer Sünde tut, ist vom Teufel; wer aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt bei ihm, und kann nicht sündigen, denn er ist von Gott geboren. Daran wird es offenbar, welche die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels sind. Und doch sagt er: Und ob jemand sündigt, da er doch gesagt hat: Er kann nicht sündigen.
Es ist aber nicht nur zwischen den Sünden ein großer Unterschied, unter welchen der Unglaube die allergrößte, diejenige ist, welche schlechterdings die unausbleibliche Verdammnis nach sich zieht, welches von jeder andern Sünde, ja auch von allen zusammengenommen, nicht gesagt werden kann, da Christus nach Mk. 3,28 mit einem Amen versichert: alle Sünden werden vergeben den Menschenkindern, auch die Gotteslästerung, womit sie Gott lästern, aber wer nicht glaubt, ist schon gerichtet. Es findet auch zwischen den Personen, die da sündigen, ein großer und wesentlicher Unterschied statt, und wie allgemein auch der apostolische Ausdruck lautet: „Ob jemand sündigt“, so ist er doch keineswegs auf alle und jede, sondern nur auf die wenigsten anwendbar.
Auf die Frage: Welche Sündigende so sündigen, daß es keineswegs zu ihnen heißen kann: „Wir haben einen Fürsprecher“, antworten wir: Solche, die auch keinen andern Willen und auch kein aufrichtiges Begehren haben, in dem im Worte Gottes vorgezeichneten Wege befreit zu werden, solche, die entweder ihre Sünde und Elend für unbedeutend und es für unbillig, grausam und tyrannisch achten, wenn Gott sie dafür strafen, ja gar ewig strafen wollte, welches sie mit nichts verdient zu haben glauben, oder welche die Sünde für etwas Unvermeidliches achten, weil die menschliche Schwachheit und Gebrechlichkeit zu groß sei, als das irgend jemand ein ganz unsündliches Leben zu führen vermöge, da doch ein Paulus sage: Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, und das Böse, das ich nicht will, das tue ich, und Salomo fragt Spr. 20,6: Wer will einen finden, der rechtschaffen fromm sei? also müsse man eine Sache so hoch nicht nehmen, da niemand davon ganz frei sein könne; solche, die sich entschuldigen, und sich damit als rechte Kinder Adams erweisen, der auch die Schuld auf das Weib, ja auf Gott selbst schob, der ihm dasselbe gegeben. Man entschuldige sich, womit man will, man sei so höflich, wie jene Geladenen, die dem König sagen ließen: Ich bitte dich, entschuldige mich, so kann's nicht heißen: Wir haben einen Fürsprecher. Das gilt auch für solche, die hart und frech werden und, wo nicht im Wort, doch in ihren Gesinnungen mit denen übereinstimmen, die beim Hiob sagen: Wer ist der Allmächtige, daß wir ihm gehorchen sollten, die ein abgebranntes Gewissen haben, das fühllos und unempfindlich geworden ist, so daß es wie beim Hiob heißt: Sie fürchten sich kaum einen Augenblick vor der Hölle, jauchzen mit Pauken und Harfen, und sind fröhlich mit Pfeifen. Was sollte solchen Säuen das goldene Halsband, vielmehr gehört der Stock auf ihren Nacken, es gilt nicht für solche hohe Augen, die sich rein dünken, und sind doch von ihrem Kot nicht gewaschen. Was soll diesen Starken ein Arzt, diesen Gerechten, die der Buße nicht bedürfen, ein Fürsprecher, der gerecht ist, er läßt sie in der Wüste. Es gilt auch nicht für solche, die ihre Sachen selbst gut machen wollen. Meinet ihr, daß es dem Allmächtigen gefalle, daß ihr euch fromm machet? Ihr machet eure Vorsätze zu euren Fürsprechern und verleugnet über denselben den rechten. An ihm haben auch diejenigen keinen Teil, welche verzweifeln und ihre Erlösung und Seligmachung für unmöglich halten, also auch Gott selbst verleugnen, bei dem kein Ding unmöglich. Alle solche sündigen, aber nicht auf eine solche Weise, daß zu ihnen gesagt werden könnte: So jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher.
Auch dies Evangelium wird nur den Armen gepredigt, nur solchen, welche aller Sünde von Herzen feind sind und Lust zu aller Gerechtigkeit haben, welche wiedergeboren sind und also einen Geist ohne Falsch haben, welche die Erstlinge besitzen des Geistes, den wider das Fleisch gelüstet, deren Zweck die Heiligkeit ist, und die so weit entfernt sind, irgend auf eine Weise eine Erlaubnis zum Sündigen zu begehren, daß sie es vielmehr für einen sehr wesentlichen Teil ihrer Seligkeit ansehen, daß der Sohn Gottes sie wahrhaftig von allem Sündendienst frei macht, welche durch wahren Glauben mit Christo verbunden sind, der ihnen zur Heiligung gemacht ist.
Von solchen heißt es in gewissem Betracht: Sie sündigen nicht, ja können nicht sündigen. (Kap. 3,9) Nicht in dem Sinne, wenn sie etwas Böses sagen oder tun, so ist's ihnen nicht böse, da es dies ja dem andern sein würde, das wäre eine höchst gräuliche und verabscheuungswürdige Meinung, welche nur ein Werk des Teufels sein könnte. Wer in solchem Sinne sagte: Wir haben nicht Sünde, der betrüget sich selbst, und die Wahrheit ist nicht in ihm. Jenes gilt von der neuen göttlichen Natur, der sie vermittels der Wiedergeburt teilhaftig worden sind, von dem Sinne, den sie empfangen haben, zu erkennen den Wahrhaftigen, und sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohne Jesu Christo, derselbe sündigt nicht, und kann nicht sündigen. Es ist die pure Unmöglichkeit selbst; solche sündigen auch nicht so, daß sie darin umkommen. Der Gerechte fällt, aber er wird nicht weggeworfen.
Sie können aber sündigen durch Begehung des Bösen oder Unterlassung des Guten. Es ist möglich, und die Heilige Schrift lehrt uns, daß schon bei manchen aus der Möglichkeit die Wirklichkeit geworden. Es ist möglich, daß auch wahre Christen eine schwere Sünde begehen oder in allerhand Irrtümer geraten, sie können noch allerlei Unarten an sich haben und sich in Wort und Werk versehen. Es kann aber auch geschehen, daß sie ein tiefes Gefühl ihrer Sünden haben, daß sich ihr inneres Verderben gewaltig bei ihnen regt, daß sie mit Psalm 65,4 ausrufen müssen: Unsre Missetat drücket uns hart, so daß die Sünde durchs Gesetz in ihnen lebendig, ja überaus mächtig wird, daß sie sich dem Gefühl nach mit Paulus für die größten unter den Sündern halten müssen und für die elendsten unter den Menschen. Irrt, strauchelt, fällt aber ein Begnadigter, versieht er es irgend in Wort und Werk, so ist es gar nicht zu entschuldigen. Wäre es auch, mit Unbekehrten verglichen, gering, so sind es bei ihm doch schwere Sünden, da er ein Licht hat, was jene nicht besitzen, da er tausend mal mehr Verpflichtungen zur Dankbarkeit und Liebe hat, wie jene Elendigen. Seine Versehen sind der alleräußersten Verdammnis wert, sie sind Gott höchst mißfällig, der sie deswegen auch stäupet, schilt und sein Angesicht oft sehr gegen sie verbirgt. Sie können ihre Versehen nicht hoch genug aufnehmen, nicht genug verabscheuen, sich ihretwegen nicht genug anklagen und verdammen, und erheben sich billig so wenig über einen Unbegnadigten, ja Gottlosen, dem noch keine Barmherzigkeit widerfahren ist, und wäre er auch noch so schnöde, daß sie sich vielmehr ganz unten an stellen und ihren Mund nicht auftun, nachdem der Herr ihnen alles vergeben, was sie getan. Und gewiß, ist derjenige im Reiche Gottes der Größte, welcher der Kleinste ist, so ist auch jemand in dem Maße der Kleinste, als er sich der Größte zu sein dünkt.
Was ist aber hier für Rat und Trost? Das Gesetz weiß von keinem Rat und Trost. Sündigt jemand, so muß er ohne Barmherzigkeit sterben (Hebr. 10,28), und bestände seine Sünde auch nur darin, daß er am Sabbat einige Hölzer aufgelesen hätte. Hat er an einem einzigen gesündigt, so ist er des übrigen Gesetzes auch schuldig, hat er auch nicht mit der Tat, hat er auch mit Worten nicht gesündigt, so ist die geringste Lust und Gedanke wider irgend ein Gebot eben so scharf und mit den nämlichen Strafen verboten als die größten Vergehungen, welche ja auch nichts anders sind, als die Frucht der sündlichen Gedanken. Und wer hat sich selbst so in seiner Macht, daß er, wenn er auch will, sich der argen Gedanken erwehren kann, die der Natur unsers Herzen gemäß von selbst aus demselben hervorgehn? Niemand. Aber obschon er dies nicht vermag, so hört es darum doch im geringsten nicht auf, seine Schuldigkeit zu sein, so wird's doch von ihm gefordert, und er ohne Barmherzigkeit verdammt. Die Gebote geben weder Trost noch Kraft und sind wohl geeignet, einen Sünder in die erschrecklichste Verzweiflung zu versenken, nicht aber ihm ein Tröpflein Trostes mitzuteilen, und wäre es auch nur dem Wasser gleich, was an den darin getauchten Fingerspitzen kleben bleibt. Ist jemand auch noch so ernstlich darauf bedacht, alle Gebote zu halten, so erlangt er auf diesem Wege entweder keinen Trost, keine Beruhigung, oder der Trost, den er findet, gleicht dem Eise, das unter den Füßen desjenigen bricht, der darauf zu gehen wagt. So ist dies ein Umstand, der viele aufrichtige Seelen zaghaft und ängstlich macht, mühselig und beladen. Sie werden mutlos, als gäbe es mit ihnen nichts, oder gleichgültig und träge, als könne es in diesem unvollkommen Leben nicht anders sein. Sie ringen mit mancherlei Ängstlichkeiten, und haben sie auch ja einmal eine frohe Stunde, so mangelts ihnen doch mehrenteils an Friede und Freude. Und die Freude am Herrn ist doch nicht nur so erquicklich, sondern auch so notwendig. Sie ist ein Haupterfordernis zur wahren Gottseligkeit, und es liegt eine große Weisheit in der Aufforderung des Nehemia und Esra: Bekümmert euch nicht, und des Apostels: Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermal sage ich euch: Freuet euch. Wie soll dies aber möglich, wie soll dies zu stande gebracht werden?
Dazu finden wir in unserm Texte eine apostolische Anweisung, enthalten in den Worten: Wir haben einen Fürsprecher, Jesum Christum, der gerecht ist. Die Vorstellung, welche sich die fleischliche Vernunft von der Gottseligkeit, freilich wie ein Blinder von der Farbe, macht, ist diese Anwendung freilich nicht angemessen, derselben gemäß müßte es vielmehr heißen: Sündigt nicht, kämpfet und ringet, es abzulegen! Der Apostel, indem er diesen Sinn voraussetzt, wirft zugleich Waffen und Kräfte zum fröhlichen und glücklichen Kampfe und Siege dar, wenn er schreibt: So haben wir einen Fürsprecher.
Was ist ein Fürsprecher? Eigentlich ein Advokat, der eines andern Sache bei Gerichte führt, und dieser Advokat führt unsere Sache so geschickt, daß diejenigen, für die er spricht, ins Gericht nimmer kommen, daß alle Verdammung, ja alle Beschuldigung abgewandt, ihnen aber alle Gnade, Licht und Kräfte und was sonst zum göttlichen Leben und Wandel dient, ausgewirkt, zuerkannt und mitgeteilt wird. Herrlicher Advokat, Ursprung alles Heils! Unsere Augen sehen auf dich. Allein wie kann die Sache solcher, die da sündigen, also behandelt werden, daß sie einen solchen unverdienten Ausgang gewinnt? In den Händen Mosis schlägt's ja zum Tode, wie denn hier zum Leben aus? Braucht dieser Advokat denn solche Künste, wodurch bewirkt wird, daß Leuten das Leben zuerkannt wird, die den ärgsten Tod verdient hatten? Ja wohl braucht er Künste. Die Künste der kostbarsten Geschenke an den Richter, ohne ihn zu bestechen, die Kunst der größten Beredsamkeit, ohne ihn zu täuschen, wogegen aber niemand seinen Mund auftun kann. Was sind das für Geschenke, die dieser Fürsprecher macht, und wodurch er die Rechtfertigung zum Leben Sündern verschafft, ohne ihn zu bestechen? Es ist die Gabe und das Opfer seiner heiligen Menschheit, geweiht und geheiligt durch die in ihm wohnende Fülle der Gottheit, dargebracht in dem allervollkommensten Gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze, dargebracht in der unbegrenztesten Verleugnung seiner selbst, dargebracht an dem verfluchten Holze des Kreuzes, sonderlich während jener drei großen Stunden der Verlassung von seinem Gott. Da hat er eine Gabe gebracht Gott zum süßen Geruch, köstlicher als alles Gold, welche ewiglich gilt, und hat uns dadurch Gott erkauft. Diese Gabe ist es, die den gerechten Richter bewegt, denen, die nicht mit Werken umgehen, glauben aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, ihren Glauben zur Gerechtigkeit zu rechnen. Es war aber eine große Kunst, solch' eine Gabe zu erfinden. Da aber dieser in die Welt kam, sprach er: Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, den Leib aber hast du mir zubereitet.
Dazu gesellet sich die höchste Beredsamkeit, ohne den Richter zu blenden. „Er hat für die Übeltäter gebeten“ und, da er wußte, daß ihn sein Vater allezeit höret, zwar nicht für die Welt, wohl aber für diejenigen gebeten, welche ihm sein Vater gegeben hat, gebeten, daß seine Freude sein in ihnen vollkommen, daß sie geheiligt, daß sie bewahrt werden vor dem Übel, daß sie da seien, wo er sei; das muß ihnen auch werden. Seine Beredsamkeit, die er zu Gunsten der Seinigen aufbot, bestand in seinen beredten Tränen, die er mit starkem Geschrei vergoß, damit es zu uns heißen könnte: Weinet nicht, sondern freuet euch, damit er abwischen könnte alle Tränen von ihren Augen, und ein Jerusalem baute, wo die Stimme des Weinens nicht mehr gehört würde. Den Donner seiner Beredsamkeit ließ er hören in dem gewaltigen Geschrei: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? in dem großen Ruf: Es ist vollbracht, worüber alle Vorhänge rissen, die Gott und uns von einander schieden, worüber es zu ihm hieß: Komm herein du Gesegneter des Herrn, du und deine Kinder, denn du hast eine ewige Erlösung gefunden! Er ließ seine Beredsamkeit hören, da sein rauchendes Blut zum Himmel schrie, und zwar um bessere Dinge als das Blut Abels, nämlich um Gnade für uns und um Rache für unsere Feinde, und setzte sie bei seiner Ankunft in den Himmel fort, da er sprach: Siehe, hier bin ich, Vater, und die du mir gegeben hast.
Bei solchen Gaben und Opfern, bei solcher unüberwindlichen Beredsamkeit mußte es dem Fürsprecher gelingen, seinen armen Klienten alles auszuwirken, was er wollte, wie er auch erklärte: Vater, ich will, daß wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast. Um dieser Ursache willen heißt er der Gerechte, und er ist dies in einem wunderbaren Sinne. Er ist der einzige unter uns Menschenkindern, der diesen Namen verdient, denn da ist sonst nicht der gerecht sei, auch nicht einer. Aber nicht bloß der einzige, er ist auch der Gerechte als der zweite Adam, als das Haupt, durch welchen gerecht wird aller Same Israels, denn er ist des Gesetzes Ende; wer an ihn glaubt, der wird gerecht. Der Gerechte, an welchen der Vater alles Wohlgefallen, und um des willen der Vater Wohlgefallen an den Menschen hat, daß es ihm außer diesem Gerechten gereuet haben würde, die Menschen geschaffen zu haben. Er ist gerecht, und deswegen teilt er auch die Gerechtigkeit und die herrlichen Güter, welche damit verbunden sind, denen wirklich und unfehlbar mit, denen er sie erworben hat, damit die, welche den Herrn fürchten, keinen Mangel haben an irgend einem Gut, damit seine Schafe das Leben und volle Genüge haben. Er ist der Gerechte, und darum hat seine Fürsprache ihre volle Wirkung. Sein Vater hört ihn allezeit.
Wo ist der Fürsprecher? Bei dem Vater. Wie lieblich! Der allgenugsame Gott als Vater! Wie Zutrauen erweckend, wie zur Liebe reizend, wie Ruhe gebend! Selig derjenige, der durch den Geist der Kindschaft Gott Vater nennen mag, wozu Christi Fürsprache und seine Verwandtschaft mit uns berechtigt!
Nun setzt der Apostel noch hinzu: Den haben wir. Wichtiges Wort. Freilich hatte die gefallene Menschheit ihn von Anbeginn, wie sollte sie sonst selig geworden sein? Schon Elihu gedenkt seiner beim Hiob als des Engels, der da sagt: Erlöse ihn, denn siehe, ich habe eine ewige Versöhnung gefunden. Doch haben wir ihn jetzt in vorzüglicherem Verstande. Aber dies: „Wir haben“ ist ein Wort des Glaubens, der eine gewisse Zuversicht ist dessen, so man hoffet und nicht zweifelt an dem, so man nicht siehet, des Glaubens, der das für ausgemacht und gewiß halten, und sich gänzlich darauf verlassen und des getrösten kann, wozu wir eben ermuntert werden, wenn es heißt: Lasset uns aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens, was wir aus uns selbst nicht vermögen, welches eine herrliche Wirkung des Geistes des Glaubens ist. Wir haben einen Fürsprecher, durch welchen alle Verdammung abgewandt, und alle Gnade ausgewirkt wird. Das ist der einige Trost für solche elendige Seelen, wie wir sind, welche kein Leben und keine Kraft in sich selbst haben, in deren Fleische nichts Gutes wohnt, und aus welchen nichts Gutes entstehen kann. Diese große Wahrheit ist aber ganz dazu geeignet, unser Augenmerk auf den wahren, eigentlichen Gesichtspunkt und Gegenstand zu richten, wie Moses die eherne Schlange errichtete und dadurch den armen Verwundeten das wahre Mittel anwies, durch welches sie auf eine zwar geheimnisvolle, aber ganz zuverlässige Weise Heilung erhielten. So ist unser Fürsprecher erhöht zur Rechten der Majestät, und dies schrieb Johannes darum, „daß ihr nicht sündiget.“ Dadurch und dadurch allein wird dies zustande gebracht, wie durch dies Vorbild die Heilung jener und sonst durch nichts in der Welt, es heiße und werde so hoch angepriesen als es wolle. Es ist lauter Lüge und Verführung und nirgends Heil als im Sohn.
Wir haben einen Fürsprecher. Diese große geheimnisvolle Wahrheit lernt im Lichte des Jesum verklärenden, von den Seinen es nehmenden und verkündigenden Heiligen Geistes recht verstehen; denn ohne ihn könnt ihr Jesum eben so wenig einen Fürsprecher als einen Herrn heißen; so werdet ihr inne werden, wie geschickt derselbe sei, eure Herzen zusammenzufassen in dem einen, das Not ist, euch abzuziehen von der Menge eurer Wege, daß ihr nicht mehr viel Sorge und Mühe habt, daß ihr euren Weg auf den Herrn wälzen und eure Sorgen auf ihn werfen könnt, weil er für euch sorgt; inne werden, daß er sein Fürsprecheramt wahrlich treu verwaltet und euch allerlei seiner göttlichen Kraft darreicht aus seiner Fülle.
Wir haben, wir haben einen Fürsprecher. Lernet diese heilsame Wahrheit verstehen, besonders ihr bekümmerten Seelen„ Was stehet ihr hier und sehet immer die Erde an, die doch der Herr verflucht hat, und die nur Dornen und Disteln trägt? Hinauf die Herzen, hinauf die Blicke! Wie jene Weiber den auferstandenen Jesum im Grabe, so sucht ihr euren Geliebten, eure Liebe, eure Heiligung, eure Rettung bei euch selbst, nähret euch mit Mühe euer Leben lang, und die Erde, die ihr bearbeitet, trägt euch, ihrer Natur nach, nur Dornen, und wie kann sie es anders?
Meinet ihr, euer Lazarus, der doch die Verheißung hatte, müsse notwendig tot bleiben, weil er nun im Grabe liegt und verweset? Meinet ihr, ihr müßtet eben so elend, eben so unartig, so ungläubig, so schwach bleiben, weil ihr keinen Rat sehet, wie es anders werden möge? Kennt ihr also Den nicht, der Rat und zugleich Kraft heißt? Haben wir nicht einen Fürsprecher, Jesum Christum, der gerecht ist? Wir haben ihn, ja wer will uns das streitig machen? Er darf ja nur ein Wort sprechen, so seid ihr ja gesund. Und ihr wollt ja gesund werden? O er spreche dieses Wort! Ist wohl geredet. Aber laßt ihn auch die beste Stunde wählen! Euer Herz sei dennoch wohlgemut, ob ihr auch voll Gebrechen!
Wir haben einen Fürsprecher. Nun wollen wir schon durchkommen, nun wollen wir schon siegen, nun wollen wir schon nicht sündigen, und ob wir sündigen, wollen wir schon wieder empor kommen und unsern Feinden auf den Nacken treten. Nun wollen wir uns schon bekehren, glauben, lieben, vollkommene Menschen sein, die alles wohl ausrichten und das Feld behalten (Eph. 6).
In uns ist zwar keine Kraft, wir wissen nicht was wir bitten sollen, aber wir haben einen Fürsprecher, Jesum Christum, der gerecht ist, welcher sitzt zur Rechten Gottes und vertritt uns.
Nun haben wir auch noch guten Mut über euch, ihr bis dahin feindseligen geistlich toten Seelen. Nun weissagen wir getrost über die Totengebeine: Höret des Herrn Wort! Und weissagen zum Winde und sprechen: Geist komme herzu, und blase diese Totengebeine an, daß sie lebendig werden! Und sie wurden lebendig, und ihrer war ein großes Heer. (Hes. 37) Denn der Sohn macht lebendig, welche er will.
Wehe denen, deren Namen er nicht in seinem Munde führen will, denen, die zu derjenigen Welt gehören, für welche er nicht bittet! Wohl allen, die einen Fürsprecher haben! Amen.