„Eure Untugenden scheiden euch und euren Gott voneinander, und eure Sünden verbergen das Angesicht von euch, daß ihr nicht gehöret werdet“, heißt es Jes. 59,2. Diese Worte lehren uns, daß die Sünde eine Scheidewand zwischen Gott und den Menschen errichtet, welches ein großes, ja das größte Übel ist, und enthalten eine nachdrückliche Aufforderung, die Sünde aus uns wegzuschaffen, weil mit derselben auch jene Scheidewand wegfällt. Diese Scheidewand besteht teils darin, daß der Mensch keine Zuversicht zu Gott haben kann, sondern durch sein böses Gewissen von Gott zurückgescheucht wird, teils darin, daß Gott sich solchem nicht mitteilt. Wirst du diese Scheidewand gewahr, so bist du elend, noch elender aber, wenn du sie nicht gewahr geworden bist. Wirst du sie gewahr, so fühlst du dich freilich elend, aber dies Gefühl kann eine heilsame Wirkung haben. Welche denn? Die, daß du nachfragst, ob es denn nicht möglich sei, diese Scheidewand wegzuschaffen; wodurch das geschehen möge, und wie? Und diese Fragen, wenn sie von einem ernstlichen, aufrichtigen Gemüt getan werden, können zu sehr erfreulicher und gesegneter Antwort leiten. Wirst du diese Scheidewand nicht gewahr, so fühlst du dich freilich nicht elend; aber gerade dies ist schon Elend zuviel. Die Scheidewand steht darum doch da, und du armer, sorgloser Mensch läßt sie stehen? Was soll denn unter solchen Umständen noch einmal aus dir werden, wenn der Tod, der auch deiner wartet, dich alles Sinnlichen und Sichtbaren beraubt, und du keinen Ersatz dafür hast, weil du Gott nicht hast?
Kann denn diese Scheidewand weggenommen werden? Das kann sie, aber sie muß vorher gefühlt werden. Wodurch kann sie das? Darauf soll mit des Herrn Hilfe die weiter anzustellende Betrachtung antworten.
In welchem Willen wir sind geheiliget, einmal geschehen durch das Opfer des Leibes Jesu Christi.
Hebräer 10,10
In dieser merkwürdigen Epistel handelt der heilige Apostel Paulus, den man allgemein für den Verfasser dieses Briefes hält und von Alters her dafür gehalten hat, von einem sehr wichtigen Gegenstand, nämlich von Christo als dem wahren Opfer für unsere Sünde. Waren die Opfer das Hauptstück des alttestamentlichen Gottesdienstes, so ist das Opfer Christi das Hauptstück des neuen Testamentes und unserer andächtigen Erwägung aufs höchste wert. Laßt uns denn nach Anleitung unsers Textes eine Betrachtung Christi, als des wahren Opfers für unsre Sünde anstellen, nach dem Vermögen, was Gott darreichen wird. Unser Text gedenkt aber sowohl: Des Opfers Christi, als seiner vornehmsten Frucht. Und dies seien denn auch die beiden Hauptteile unserer Betrachtung.
Die Bedeutung des Worts Opfer müssen wir, da es kein ursprünglich deutsches Wort ist, in der lateinischen Sprache suchen. Es heißt soviel, als eine dargebrachte Gabe, wiewohl die gedachte Sprache auch andere Wörter für die nämliche Sache hat, namentlich eins, welches eine Heiligmachung anzeigt. Die hebräische Sprache bedient sich zur Bezeichnung des nämlichen Begriffs von einem Opfer, Wörter, welche eine Erhebung, ein Hinzunahen bedeuten, ja, in dieser Sprache werden Sünde und das Opfer für dieselbe durch das nämliche Wort ausgedrückt, welches in der einen Form Sünde, in der andern die Versöhnung derselben bedeutet.
Wichtiger aber als die Wortbedeutung ist der Begriff, den wir uns von einem Opfer, dessen Absichten und Wirkungen machen sollen. Man braucht dieses Wort nicht selten in einem gemeineren, niedrigeren Sinne. Wir begreifen es z.B., was man damit sagen wolle, wenn man spricht: Das Vaterland erfordert diese oder jene Opfer; wenn jemand sagt: Er opfere sich selbst, oder seine eignen Vorteile, Wünsche, Neigungen andern auf, wo er sie zu Gunsten anderer verleugnet, und sich um ihres Vorteils willen des Seinigen begibt. Wir begreifen auch, wie es gemeint sei, wenn man sagt: Der opfert Gott seinen Willen auf, oder sonst etwas, oder wenn man spräche: Fordert der Herr dies Opfer von mir, z.B. ein geliebtes krankes Kind, so will ich's ihm bringen.
Im nächsten Sinne aber bezeichnet das Opfer etwas, das Gott zur Genugtuung für die Sünde überhaupt, oder eine einzelne sündliche Tat insbesondere, dargebracht, geleistet wird, um die ihm durch die Begehung des Bösen angetane Beleidigung oder Unehre wieder gut zu machen und zu erstatten, so sein Wohlwollen und seine Liebe wieder zu erwerben, das Unheil abzuwenden, was aus der Sünde zu entspringen droht, und mit seinen Wohltaten wieder gesegnet zu werden. Diese Handlung verrichten heißt opfern, und wer das tut, heißt Priester, auf hebräisch eine Person, die sich zu Gott naht, wie Gott beim Jeremia fragt: Wer ist der, so mit willigem Herzen zu mir nahet?
Daß das Opfer in dieser Sprache die Bedeutung eines Hinzunahens und Emporsteigens habe, ist schon bemerkt worden, und die aus dem Jeremia angeführte Stelle: Wer ist der, so mit willigem Herzen zu mir nahet? deutet auf die Wichtigkeit dieser priesterlichen Handlung des Hinzunahens zu Gott, um Versöhnung zu bewirken. Kein Mensch ist dazu tüchtig, keiner darf sich des unterfangen. Daher verwarf Gott auch alle Opfer und das ganze Priestertum, weil es einem Einzigen vorbehalten war, beides in gehöriger Weise zu verwalten, worauf jenes auch nur als Bild und Schatten hinwies.
Das Opfer ist eine uralte und fast bei allen Völkern übliche Sache. Wir sehen schon die beiden ältesten Söhne des ersten Menschen opfern, den einen Feldfrüchte, den andern das Beste von seiner Herde. Wie sie auf diesen Gedanken kommen, läßt sich nicht nachweisen, sondern nur vermuten. Gott kleidete die ersten Menschen nach dem Fall mit Röcken von Fellen. Wurden die Tiere, von denen diese Felle genommen wurden, etwa geopfert, das ist verbrannt, und Adam und seine Söhne dadurch veranlaßt, etwas ähnliches zu tun? Wir sehen auch den Noah einen Altar errichten und darauf opfern, nachdem er wieder aus der Arche hervorgegangen.
Aber auch bei den Heiden finden wir Altäre, Priester und Opfer, wodurch sie die Götter zu verehren, ihre Sünden zu versöhnen, sich ihre Geneigtheit zu erwerben und für ihre Wohltaten zu danken gedachten. Wie kamen sie an so etwas? War diese Idee von Noah herab zu allen Völkern übergegangen, oder liegt das Gefühl von der Notwendigkeit einer Versöhnung so tief und unverkennbar in dem menschlichen Herzen? Wir glauben beides zugleich. Alle Völker stimmen in dem Gefühl der Notwendigkeit einer vermittelnden Person bei Gott überein, weil ihnen allen das Gefühl der Schuld und Strafbarkeit beiwohnt. man opferte hauptsächlich Tiere, welche man schlachtete und sodann verbrannte. So geschah es auch bei dem Volke Israel. Es ist ja aber sonderbar, daß Menschen glauben konnten, dadurch begangene Sünden wieder gut, und sich die Gottheit geneigt zu machen. Wie war es möglich, zu glauben, daß das Schlachten und Verbrennen gewisser Tiere der Gottheit so angenehm sein sollte? Einige gingen daher so weit, daß sie Menschen, und namentlich unschuldige Kinder opferten, weil sie dir es für ein würdigeres Opfer hielten, das wegen seines höhern Wertes, der Gottheit sonderlich gefallen werde. Daher fragt auch jener beim Micha 6.: Womit soll ich den Herrn versöhnen? Mit Bücken vor dem hohen Gott? Mit Brandopfern und jährigen Kälbern ihn versöhnen? Oder soll ich meinen ersten Sohn für meine Übertretung geben? Oder meines Leibes Frucht für die Sünde meiner Seele? welche Art von Opfern aber Gott gänzlich verwarf. Sonderbar war es jedoch, daß Gott allerlei Opfer von Tieren anordnete und gebot, und es von dem Opfer Noahs heißt: Gott roch den lieblichen Geruch, oder den Geruch der Ruhe seines Opfers, daß er auch sprach: Ich will die Erde hinfort nicht mehr verfluchen um der Menschen willen, denn das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf, woraus man auf ein großes Wohlgefallen Gottes an den Opfern schließen sollte. Es schien sogar, als ob Gott an der Menge der Opfer ein desto größeres Gefallen habe, wie denn Salomo bei der Einweihung des Tempels Tausende von Ochsen und Schafen brachte. Aber wie ernstlich Gott auch die Opfer geboten hatte, so gänzlich verwarf er sie doch wieder, stellte sie selbst als ungereimt und diejenigen, die sie brachten, als töricht vor. Auf die Weise würde Gott in Widerspruch gegen sich selbst und seine eigene Anordnung stehen, läge denselben nicht ein andrer Zweck zum Grunde, den David ein Geheimnis nennt, das der Herr diejenigen wissen lasse, welche ihn fürchten, und erst im neuen Testament völlig geoffenbart worden ist.
Besonders merkwürdig ist der einzige Fall, wo Gott wirklich ein Menschenopfer verlangte, das jedoch nicht vollzogen wurde, nämlich das Opfer Isaaks. Es wurde an ihm nicht vollbracht, sondern der Herr tat dem Glauben und Gehorsam des Abraham in demselben Augenblicke Einhalt, wo er im Begriff war, den tödlichen Streich an seinem einigen Sohn zu vollziehen. Ein Widder ward an seiner Stelle geopfert, bis in der Fülle der Zeit jener große Nachkömmling Isaaks, in welchem auch die Verheißung: Alle Völker auf Erden sollen in ihm gesegnet werden, in Erfüllung ging, statt anderer wirklich geopfert ward. Durch jenes sollten also die Menschen gleichsam darauf im voraus aufmerksam gemacht werden, daß der Herr einmal einen Menschen zum Opfer fordern werde.
Wir wiederholen hier das vorhin Gesagte, daß sich bei den Menschen ein Bedürfnis für ein ihre Sünde versöhnendes Opfer kund tue, wie man vornehmlich an den Heiden sieht. Dies Bedürfnis wird in einem jeden rege, bei welchem ein Gefühl von Sünde und Schuld erwacht. Er merkt's auf eine nachdrückliche Weise, daß zwischen Gott und ihm eine Vermittlung stattfinden müsse, wenn er wegen seiner Vergehungen nichts befürchten und sich zu Gott alles Guten versehen soll. Freilich wird dies der in der Einbildung seiner eigenen Gerechtigkeit und Tugend befangene Mensch eben nicht gewahr. Er denkt: Was fehlt mir noch, und dankt Gott, daß er nicht ist wie andere Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher und dergleichen. Auch mag es leicht, daß ein verblendeter Mensch sich für gerecht halte. Es bedarf dazu oft weiter nichts als ein Freisein von einigen groben Lastern und die Beobachtung einiger bürgerlichen oder kirchlichen Pflichten, so glaubt er fertig zu sein. Geht jemand darin noch weiter, so dünkt er sich auch um so mehr. Daß sich bei ganz rohen Menschen auch kein Bedürfnis für ein sie versöhnendes Opfer findet, aller Sünden, denen sie sich ergeben, ungeachtet, ist auch nicht zu verwundern. Die Sünde hat auch eine verhärtende, fühllosmachende Kraft, und wehe dem, wo sie dieselbe erweiset! Es gibt Menschen, welche sich überhaupt nicht um Gott bekümmern, nicht um Seligkeit, nicht um den Weg, der dazu führt, nicht um ihren Seelenzustand und um alles nicht, was Religion heißt. Kein Wunder, wenn sie kein Bedürfnis für etwas fühlen, das ihnen die göttliche Gewogenheit zuwendete. Und leider ist die Anzahl der toten, fühllosen Menschen nur allzu groß. Nur allzu viele beweisen mit ihrem ganzen Bestehen, daß ihre Herzen recht nach dem Leben gezeichnet sind, wenn sie steinerne genannt werden, ihre Augen, wenn es heißt: Sie schlummern, und ihre Ohren: Sie hören übel.
Jedoch können sich Umstände ereignen, wo jenes Gefühl der Notwendigkeit eines versöhnendes Opfers auch bei den rohesten Menschen kräftiglich aufgeregt wird. Man denke sich ein Schiff voll von den rohsten Menschen; ihre meisten Reden bestehen aus den erschrecklichsten Flüchen und unerhörtesten Verwünschungen ihrer selbst und anderer. Wollte ihnen jemand drein reden und sie ermahnen, so würde er ihren Mutwillen nur vermehren und auf sich selbst leiten. Aber was geschieht? Der Himmel rötet sich zum Sturm, und das Meer fängt an zu zürnen. man hört von ferne den Donner und sieht die zuckenden Blitze. Alle Vorkehrungen werden getroffen, sich gegen Sturm und Wellen zu waffnen, und dies geschieht noch mit Toben und Fluchen. Aber das Gewitter kommt näher. Alles hüllt sich in Nacht. Der Sturm zerbricht die Masten. Die ergrimmten Wellen erheben sie bis an den Mond und schleudern sie wieder hinab in den Abgrund. Alle Vorkehrungen sind am Ende. Das Schiff wird leck, und das Wasser stürzt hinein. Da flucht man nicht mehr, da betet, wer's auch noch nie tat, da wünscht man wohl einen, der machte, daß das aus bloßer Angst ausgestoßene Gebet erhört würde, da fühlt man's wohl, daß es einer Vermittlung bedürfe. Freilich wäre das nun weiter nichts Gutes und Gott gefälliges. Der Sturm legt sich, und die vorige Rohheit tritt wieder ein. Heilsamer als furchterregende Naturereignisse überführt die Buße den Menschen von der Notwendigkeit eines versöhnenden Opfers und bringt eine bleibende Sinnesänderung zuwege. Das Wort ist auch ein Hammer, der den festesten Felsen zerschlägt. Das heilige und strenge Gesetz Gottes kann schon mit einer solchen unwiderstehlichen Kraft an und in den Menschen dringen, daß der roheste wie der ehrbarste Mensch beide mit dem Kerkermeister auf die Knie fallen und ausrufen: Was soll ich tun, daß ich selig werde? Rief ein Jesaja: Wehe mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen; ein David: Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht, ein Jeremia: Wehe, daß wir so gesündigt haben, so kann der Heilige Geist, welcher immer derselbe ist, auch gar leicht ein ähnliches Gefühl erwecken, wodurch der Geist geängstet und das Herz zerschlagen wird, wodurch die Bitte gewirkt wird: Entsündige mich mit Ysop, daß ich rein werde, wasche mich, daß ich schneeweiß werde; wo man es fühlt, wie sehr derjenige, der ein Sünder ist, und es nun zu sein fühlt, eines Fürsprechers, eines Mittlers, eines Opfers bedarf, welches den Grund seiner Freimütigkeit zu Gott abgebe. Für solche ist ein Opfer gebracht, und nur zu solchen reden wir davon.
Von dem großen, alle Zwecke erfüllenden Opfer nun, welches, so lange die Welt steht, einmal gebracht ist, und so lange in seiner Wirkung fortdauert als die Ewigkeit selbst, redet unser Text. Er redet von dem einmaligen Opfer des Leibes Jesu Christi.
Wir fragen hiebei: Wer opferte?
Was und wie opferte er?
Und was heißt das: Er opferte?
Wer opferte? Es ist merkwürdig, daß Christus alles in seiner Person war, ist und vereinigt. Er ist das Himmelreich und auch die Tür zu demselben. Er ist der Hirte und zugleich die Weide; der Quell und zugleich das Wasser; das Ziel und der Weg. Also das notwendige Eins und das eine Notwendige. So war er auch in der Absicht des Opfers zugleich das Lamm, der Priester und der Altar. Wohl mag er wunderbar, wohl mag er zugleich Kraft heißen, da er allen, und zwar den höchsten Geschäften allein und auf einmal gewachsen ist. Mit Recht nennt ihn der Apostel in dieser Epistel mehrmals den Großen.
Wir müssen's uns merken: Jesus opferte, ja dies war sein vornehmstes Geschäft, der Grund alles Heils, und wir lassen etwas höchst Wesentliches in der Lehre von ihm weg, wenn wir nicht all' das Gewicht auf diesen Umstand legen, den er verdient. Es ist wahr: Er lehrte, er ging umher und tat wohl, aber es ist auch vor allen Dingen wahr: Er opferte, was ja nicht übersehen werden darf, weil es die Angel ist, um welche sich alles dreht. Niemand bei seinen Lebzeiten bis in seinen Tod merkte davon das allergeringste. Er verrichtete durchaus keine Handlung des levitischen Priestertums, welches ihm als einem aus dem Stamme Juda auch nicht zustand. Dennoch opferte er, ja er war's allein der opferte, und die Opfer, welche im Tempel gebracht wurden, waren keine eigentlichen Opfer, versöhnten keine Sünden, brachten Gott nicht näher, sondern waren bloße Schatten und Bilder des Opfers Christi. Auf dasselbe wiesen diese Opfer hin, besonders aber der Eid Gottes: Du bist ein Priester ewiglich.
Was opferte er denn? Seinen Leib, sagt der Apostel hier. Sich selbst, sagt er im vorigen Kapitel. Gebet und Flehen samt starkem Geschrei und Tränen, sagt er Kap. 5 Petrus aber sagt 1. Pet. 2,24, er habe unsre Sünden, und 3,18, er habe uns Gott geopfert.
Er opferte seinen Leib, d.h. seine Menschheit. Weil ein jeder Priester, sagt der Apostel Kap. 8,3 gesetzt ist, Opfer und Gaben zu opfern; so mußte auch dieser etwas haben, das er opferte, und zwar etwas um so Vortrefflicheres wie jene, als der Zweck, der dadurch erreicht werden sollte, vortrefflicher war. Deswegen ward er ein Mensch, damit er diese seine angenommene menschliche Natur als ein Opfer für die Sünde darbrächte. Diese seine menschliche Natur war rein, unschuldig und unbefleckt, worauf der alttestamentliche Gottesdienst dadurch hinwies, daß nur reine und durchaus fehlerfreie Tiere zum Opfer dargebracht wurden, auch die Priester keine körperliche Fehler oder Ungestalt an sich haben durften. Wir mußten einen Priester haben, der nicht nötig hatte, für eigene Sünde zu opfern. Er mußte von den Sündern abgesondert und höher denn der Himmel sein. An dieser heiligen Menschheit Jesu hatte der Vater all' sein Wohlgefallen, denn er war der einzige Reine, wo sonst keiner rein ist. Aber wie rein auch in sich selbst, warf doch der Herr den ganzen Unflat unsrer Missetaten auf ihn; obschon ein unschuldiges Lamm, trug es doch die Sünde der Welt; obschon von keiner Sünde wissend, ward er doch zur Sünde gemacht, und zwar nicht von Menschen, welche ihn freilich als den größten Übeltäter betrachteten und behandelten, der je die Erde betreten, sondern wunderbarer Weise von Gott. Dem gemäß betrachtete Jesus, welcher alles tat, was er den Vater tun sah, sich selbst auch als die Sünde, oder wie Paulus Röm. 6 sagt, als unsern alten Menschen, der samt ihm gekreuzigt und getötet wurde. Sein heiliger Leib und seine heilige Seele, dieser Tempel Gottes war es, was er opferte, ganz opferte, ohne Einschränkung und Vorbehalt zu allem Willen Gottes, möge er auch mit sich bringen was er wolle, recht ein anderer Samuel: Rede, Herr, denn dein Knecht höret.
Was heißt das denn: Er opferte sich selbst? Wer darf sich eigentlich erkühnen, eine so große Frage beantworten zu wollen? Sehen wir's nicht etwa an Isaak, was es anzeige? Dieser 18jährige Jüngling läßt sich geduldig von seinem opfernden Vater binden und auf den Altar legen. Er sieht ohne Widerrede das Feuer, welches das Holz, das er selbst auf den Berg getragen, anzünden und ihn verzehren; ohne Widerrede das furchtbare Messer, das ihn töten soll, in der Hand seines erblaßten Vaters, beide in gleicher, endloser Resignation. Jesus sieht sein Leiden vor sich. Er ist kein Stein, und seine Kraft nicht ehern. Er gesteht, ihm sei bange, bis die ihm bevorstehende Taufe an ihm vollzogen sei; er betet: Vater, hilf mir aus dieser Stunde! Nicht mit triumphierenden Lobgesängen, sondern schweigend und ernst geht er über den Bach Kidron, den Ölberg hinan und gesteht, seine Seele sei betrübt bis in den Tod. Er erbittet's von seinen Jüngern, eine Stunde mit ihm zu wachen, und bekommt seine Bitte nicht. Er wendet sich an seinen Vater, fußfällig betend, aber er antwortet ihm nicht. Die Angst steigt bis zum Blutschweiß, bis zum Erliegend er Natur, bis zum Ringen mit dem Tode, bis zur Gefahr, zu sterben. Aber er opfert seinen Willen auf, und ruft einmal über das andere: Abba, mein Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe! Ein hohes, ein unbegreifliches, ein alle menschlichen Kräfte übersteigendes Opfer, in welchem alles eigne Wollen unter den schwersten Proben zum Opfer, zum gänzlichen Opfer gemacht wurde! Und wie hoch auch, doch noch nicht das Höchste. Hat er in Gethsemane seinen innern Menschen, seinen Leib, seinen Rücken, seine Wangen, seine Zunge, seine Hände und Füße zum uneingeschränktesten Opfer zu machen, und die rohesten, ergrimmtesten Menschen nach aller ihrer Willkür damit schalten zu lassen, ohne seinen Mund aufzutun. Er läßt sich jeglicher Erquickung so gänzlich berauben, daß sogar seine Zunge vor Durst am Gaumen klebt, und wird nach Jesaias Ausdruck ein Mann der Schmerzen, versucht im Elend. Man hätte denken sollen, wie er in der tiefsten Erniedrigung, voller Schmerzen, ein Gegenstand des allgemeinen Hohns als ein Fluch am Kreuze hing, hätte sein Leiden nicht noch höher steigen können. Und doch stieg's noch höher und erreichte seinen höchsten Gipfel, als er von Gott verlassen ward. Dies war aber auch des Opfers Vollendung. Wer vermöchte aber die innere heilige Arbeit der Seele Jesu unter diesem allen zu fassen und zu beschreiben, wovon Jesaja sagt: Seine Seele hat gearbeitet! Was für ein Beten muß das gewesen sein, was für eine Geduld, Rechtfertigung Gottes, Demütigung unter seine gewaltige Hand!
Wofür opferte er sich? Wofür anders, als für die Sünde. Wäre sie nicht in die Welt gekommen, so wäre auch kein Opfer nötig gewesen. Hätte der eine Adam nicht von dem Baum gegessen, so hätte der andre nicht am Holz zu hangen brauchen. Ein vollkommen Heiliger bedarf keines Vermittlers, keines ihn versöhnenden Opfers; der Sünder aber bedarfs. Aber hier mag man sagen: Wo die Sünde mächtig geworden, ist die Gnade noch mächtiger. Welch ein Opfer! Wer kann seines Lebens Länge, wer die Würde, den Wert dieses Opfers für die Sünde ausreden, dessen ganzen Wert nur Gott begreift! Mag die Sünde ein noch so großes und zu verabscheuendes Übel sein, mag es den schrecklichsten Zorn Gottes noch so sehr verdienen, mag sie an Zahl und Gewicht dem Sand am Meere gleichen, so wird sie doch von dem Gewicht dieses Opfers unendlich überwogen. Köstliches Evangelium für solche, denen mit David ihre Sünde als eine schwere Last zu schwer geworden, und die krumm und gebückt unter dieser Last einhergehen, ja ganz davon erdrückt zu werden besorgen. Mögen rohe Menschen, welche der Welt und Sünde dienen, dies nicht achten und so auch das Opfer nicht. Mögen andere, sich selbst für gerecht haltende, eben so gesinnt sein, das ändert in der Sache nichts. Es ist ihnen zu gönnen, daß sie ihre Sünde so zu sehen und zu fühlen bekommen, daß sie die Hörner dieses Altars umfassen. Welch ein unerdenklicher Greuel muß aber nicht die Sünde sein, da ihre Tilgung ein solches Opfer erforderte, das mehr wert ist, als Himmel und Erde!
Noch bemerkt der Apostel, Christus habe sich einmal geopfert. Zwar war sein ganzes Leben auf Erden ein beständiges Opfer, da er ja seine Herrlichkeit verließ und der Schande nicht achtete, welches Opfer er am Kreuz durch seinen Tod und Blutvergießen vollendete. Aber da war's auch vollendet, und alles, was bewirkt werden sollte, so ganz und gar vollbracht, daß nichts mehr zu vollenden, nichts mehr zu berichtigen, nichts mehr auszumachen war. Dies dringt der Apostel sonderlich in dieser Epistel an, und will davon eine so klare, so lebendige Erkenntnis begründen, daß daraus ein gänzliches Loswerden von bösen Gewissen, ein „kein Gewissen mehr haben“ von den Sünden, welche in die Tiefe des Meeres versenkt sind, eine völlige, kindliche und feste Zuversicht zu Gott und Freudigkeit zu ihm, daß daraus ein kindlich seliger und heiliger Wandel vor ihm in allen seinen Geboten, Satzungen und Rechten erwachse.
Jetzt sollten wir noch die Frage beantworten, wozu sich Christus geopfert habe, welche Beantwortung jedoch schon in dem zuletzt Gesagten angedeutet ist. Paulus faßt die ganze Frucht des Opfers Christi in dem Wort geheiligt werden zusammen. In des Willen wir sind geheiliget. Doch möchten wir, so der Herr will, über diese Frucht wohl ein andermal weiter reden.
Ach daß wir dieser köstlichen Frucht einer so köstlichen und mühsamen Aussaat nur recht teilhaftig würden! Wie beklagenswert ist es, daß die Anzahl derer so groß ist, die darnach nicht einmal ein Verlangen haben, will geschweigen, daß es ihnen Sorge machte und eine ihrer Hauptangelegenheiten wäre, so daß Jesus leider schon die selig preisen muß, welche nur nach Gerechtigkeit hungern und dursten.
O ihr Menschen, ihr seid Sünder. Sollte es euch denn nicht billig angelegen sein, statt euer Sündenregister täglich zu vermehren, euch allen Ernstes nach dem es tilgenden Opfer umzusehen? Wie, seid ihr so unverständig? Den vergänglichen Scheingütern könnt ihr mit so rastlosem Eifer nachjagen, ein zeitlicher Gewinn macht euch solch' Vergnügen und das Höchste achtet ihr nicht! Was soll man Unverstand nennen, wenn es das nicht ist? O wie sehr bedürft ihr der Sinnesänderung. Tut deshalb Buße und sehet zu, daß ihr euch des nicht weigert, der da redet! Denn wie wollen wir entfliehen, so wir eine solche Seligkeit nicht achten? Das Opfer ist gebracht, das Heil erworben, die Sünde getilgt, die Seligkeit erlangt worden. So schaffet denn, daß ihr selig werdet mir Furcht und Zittern!
Über euch aber, die ihr den Namen des Herrn fürchtet, gehe auf die Sonne der Gerechtigkeit, und Heil unter ihren Flügeln! Der Heilige Geist verkläre euch den am Kreuz geopferten Christus also, daß die durch sein Opfer erworbenen Güter sich reichlich in euer Herz ergießen, daß ihr mit aller Freudigkeit euch Gott selbst opfert und ihm dienet im heiligen Schmuck, bis ihr endlich der ganzen Fülle des Heils vollkommen teilhaftig werdet! Amen.