(Neujahrspredigt)
Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. So schließt der 124. Psalm, und mit diesen Gedanken treten wir dies neue Jahr an, beginnen wir unsere Vorträge. Dies ist unsere Bitte, unser Verlangen, unsere Hoffnung, gleichsam die Grundlage und Bedingung, unter welcher wir es wagen, in ein neues Jahr einzutreten. Wir müßten wie ohne allen Verstand sein, wenn wir nicht erkennten, viel Hilfe nötig zu haben; desto mehr werden wir die Wahrheit dessen einsehen, was Psalm 74,12 gesagt wird: Gott ist's, der alle Hilfe thut, die auf Erden geschieht. Je ärmer am Geist wir sind, desto bedürftiger für Hilfe werden wir uns erkennen, desto weniger ohne dieselbe irgend zurecht zu kommen wissen. Unser Spruch lehrt uns zuvörderst, daß die wahre Hilfe weder bei uns selbst, noch sonst außer Gott anzutreffen ist. Und wenn es wahr ist, was der Herr 5. Mos. 32,36 sagt: Der Herr wird sich seiner Knechte erbarmen, denn er wird ansehen, daß ihre Macht dahin, und alles im äußersten Elend ist, so sieht man daraus, daß unsere eigene Hilfe erst verloren werden muß, ehe des Herrn Hilfe recht anhebt. Aber unser Spruch zeigt uns auch die wahre Quelle aller Hilfe an. Sie ist im Namen des Herrn: Er gedenkt der Schöpfung, als des stets sichtbar vor uns liegenden Beweises seiner unendlichen Macht, welche auch im Geistlichen dem ruft, das nicht ist, daß es sei, und wie die Heilige Schrift 1. Sam. 2 sagt: Die Schwachen umgürtet er mit Stärke.
Und so wagen wir es denn, o Herr, in deinem Namen, in welchem unsere Hilfe steht, dies Jahr zu beginnen. Weß sollen wir uns getrösten? Wir hoffen auf dich. Wie die Augen der Knechte auf die Hände ihrer Herren sehen, also sehen unsere Augen auf den Herrn, unsern Gott, bis er uns gnädig werde. Ach Herr, verleihe uns, daß wir in tiefer und gelassener Anerkennung unserer gänzlichen Untauglichkeit zu allen deinen Sachen, zugleich mit großer und kindlicher Zuversicht stets auf deinen Namen hoffen! laß uns deine gnädige Hilfe, Aushilfe und Durchhilfe reichlich und gnädiglich erfahren! Die Freude an dir sei unsere Stärke! Tröste uns, damit wir dich loben! Herr, wir wissen's nicht, was uns alles begegnen kann, was uns alles vorkommen mag. Sei du aber unser Führer, unser Ratgeber, unser Vater und Versorger und Freund und verleihe, daß wir uns dir gänzlich anvertrauen und übergeben! So hilf denn, Herr, und laß alles wohlgelingen! So du uns segnen wirst, so wollen wir dich loben ewiglich. Amen.
Jaebez aber war herrlicher denn seine Brüder; und seine Mutter hieß ihn Jaebez, denn sie sprach: Ich habe ihn mit Kummer geboren. Und Jaebez rief den Gott Israels an und sprach: Wo du mich segnen wirst und meine Grenze mehren, und deine Hand mit mir sein wird, und wirst mit dem Übel schaffen, daß es mich nicht bekümmere. Und Gott ließ kommen, das er bat.
1. Chron. 4,9.10
Die neun ersten Kapitel dieses Buches haben für uns keine Wichtigkeit, weil sie blos jüdische Geschlechtsregister enthalten, welche besonders deswegen unter den Juden so sorgfältig geführt und aufbewahrt wurden, um die wirkliche Abstammung Christi von David und Juda nachweisen zu können. Mitten in dies Namenregister tritt mit einmal das hervor, was wir eben verlasen, das Gebet des Jaebez. Es wird auf einmal abgebrochen, da der Leser erwartet, daß noch etwas, daß der Nachsatz folge, und es etwa heiße, so sollst du mein Gott sein, und ich will dir dienen. Aber Jaebez bricht mit einmal ab, ohne so etwas hinzuzusetzen. Es überfällt ihn eine kindliche Freude und heilige Scham, daß er so etwas, das doch in seinem Herzen lebte und sich bewegte, nicht aussprechen darf. Es kommt ihm ungereimt vor, so etwas versprechen zu wollen, da er ja, wie Josua sagt, dem Herrn nicht dienen konnte, es sei denn, daß er dazu tüchtig gemacht werde, und da ja seine eigene Glückseligkeit ausmachte, dem Herrn zu dienen, da es, wie Hiob sagt, dem Allmächtigen nichts half, wenn er sich fromm machte. Es konnte auch so scheinen, als wollte er damit etwas verdienen, dies alles verschloß ihm den Mund, und er brach ab. Seine Bitte ist eine solche, welche sich zu jeder Zeit paßt; aber auch für die Gelegenheit dieses Tages, wo wir in ein neues Jahr getreten sind.
Laßt uns denn 1. auf den Beter, 2. auf sein Gebet achten.
Der Beter war Jaebez, auf deutsch: Schmerzensmann, welchen Namen ihm seine Mutter deswegen gab, weil sie ihn mit Kummer geboren. Dieser Kummer konnte verschiedene Ursachen haben. Sie hatte etwa bei seiner Geburt vorzüglich gelitten und an ihrem eigenen Leben und an der Erhaltung des Neugeborenen gezweifelt. Zum Gedächtnis ihrer ausgestandenen Not und der wunderbaren, mächtigen Durchhilfe Gottes gab sie ihm deshalb den so bezeichnenden Namen, um sich bei Nennung desselben an jenes zu erinnern. So nannte Jakob jene Stätte, wo ihm so viel Gutes widerfahren war, Pniel, des Herrn Angesicht. Auch scheint sein Vater schon vor seiner Geburt gestorben zu sein, da es sonst dessen Sache gewesen wäre, den Namen seines Sohnes zu bestimmen. Seine Mutter war also eine betrübte Witwe, und da dieser die Zahl ihrer Kinder vermehrte, so vermehrte er auch zugleich ihre Last und ihre Sorgen, sodaß seine Geburt ihr mehr Kummer als Freude machte. Sie steckte in Dreck und Armut und wußte nicht, wie sie durchkommen wollte. Sie beklagte also sich selbst samt ihrem Söhnlein, der an ihrer Drangsal teilnehmen mußte und die Summe derselben vermehrte. Mit betrübtem Herzen nannte sie ihn daher Jaebez, das Kind des Kummers. Die Bedeutung dieses Namens wird auch er auf mancherlei Weise an sich bestätigt gefunden haben, denn von einer geringen Witwe erzogen, konnte seine Jugendzeit nicht ohne manche Entbehrung dahinfließen, und er mußte teil an ihrer Lage nehmen. Vielleicht hat er manchmal mit seiner Mutter geweint und es bedauert, daß er nicht alle Kümmernisse aus ihrem Leben wegräumen konnte, sondern wie sein Name, den sie ihm gegeben, andeutete, sie noch vermehren müsse. Seine Brüder mochten wohl alle herrliche Namen haben, hergenommen von Freude und Glück, weil sie unter glücklichen häuslichen Umständen zur Welt kamen, die sich aber bei seiner Geburt sehr nachteilig verändert hatten. Er kam also früh in die nützliche, aber nicht angenehme Schule der Demut, der Selbstverleugnung und Erniedrigung. Aber gerade dies mußte für ihn das gesegnete Mittel sein, ihn auf den rechten Weg, ihn zu dem Gott Israels zu leiten, zu dem mit seinem Gebet und Vertrauen seine Zuflucht zu nehmen, er sich genötigt sah. Und so that er das Gebet, welches in unserm Texte angeführt ist.
Laßt uns aber jetzt von ihm absehen und bedenken, daß wir alle teils ein Jaebez sind, teils er werden müssen, um zu lernen, uns so zu verhalten, wie er that. Wir sind alle ein Jaebez, Kinder des Kummers von Geburt her. Teils ist dies Erdenleben ja wirklich im Grunde betrachtet nur Mühe und Arbeit. Die meisten haben ihre Mühe, um von einem Jahre ins andere zu kommen, und Ursache sich zu freuen, wenn sie die erforderliche Nahrung und Kleider haben.
Haben sie hinlängliche Arbeit und die Gesundheit dabei, so sind dies große Geschenke. Aber welche Mühseligkeiten können uns nicht auf dieser armen Erde treffen, wovon auch diejenigen nicht ausgenommen sind, die im Überfluß leben. Welche Ungewißheit ist in allen menschlichen und irdischen Dingen, sie mögen heißen wie sie wollen, Gesundheit, Vermögen, das Leben selbst, sowohl unser eigenes, als das der Unsrigen. Wie unbekannt ist uns die Zukunft, selbst des heutigen, will geschweigen des morgenden Tages, und wie unzulänglich oft alle unsere Vorsicht und Klugheit! Und dann, je besser uns dies Leben gefällt, desto unangenehmer muß es uns sein, zu wissen, daß es uns so sehr schnell genommen, und wir aus allen unsern angenehmen irdischen Verhältnissen gerissen sein können, ehe wir's uns versehen, und wie verdrießlich muß dies denen sein, deren ganzes Beginnen nur auf die Spanne dieses zeitlichen Lebens gerichtet ist! Ehe wir's uns versehen, sind wir aus Kindern zu Jünglingen herangewachsen, aus Jünglingen Männer, aus Männern Greise geworden und haben unsere irdische Laufbahn beendet, nicht zu gedenken, wie der Tod seine Beute aus allen Altern nimmt, und niemand im voraus weiß, wie hoch er seine Jahre bringen wird. Ist es also nicht ein jämmerlich Ding um dieses Leben, und wer's im Grunde und nach seiner nichtswürdigen Beschaffenheit betrachtet, sollte der's nicht ordentlich leid werden, denn was ist's zuletzt mit allem Wirken und Treiben, mit Stand, Ansehen und Vermögen, und wie es sonst heißen mag? Eitelkeit der Eitelkeiten, so daß wir alle mit Recht Jaebez genannt werden mögen, weil wir im Kummer geboren sind. Doch dies ist nun freilich einmal so und hat nicht viel zu bedeuten. Es dauert nicht lange mehr, so hat der Tod uns alle gleich gemacht, der König ist kein König mehr, kein Reicher und kein Armer. Laßt uns selig essen und trinken, denn morgen sind wir tot! Aber der Name Jaebez, Kummerkind, gebührt uns allen in einem noch viel mehr bedeutenden Sinne, wenn wir erwägen, was z.B. David von seiner Geburt sagt, wenn er Psalm 51 schreibt: Siehe ich bin aus sündlichem Samen gezeuget, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen; wenn Christus sagt: Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch, der Apostel uns aber dieses Fleisch als ein solches beschreibt, in welchem nicht nur nichts Gutes wohnt, sondern dessen Gesinnungen sogar Feindschaft gegen Gott sind, und das wider den Geist gelüste, dessen Werke die allergräulichsten sind, und das gekreuzigt, ja gar getötet werden muß, woher es heißt Coloss. 3,5: So tötet nun eure Glieder, die auf Erden sind, Hurerei, Unreinigkeit, schändliche Brunst, böse Lust und den Geiz, welcher ist Abgötterei! Wenn wir erwägen, daß wir in und mit der Sünde geboren, mit ihr ein Ding geworden sind, daß sie uns durchdrungen und sowohl unsern Verstand als Willen, sowohl unser Gewissen als Gemüt verdunkelt, verfinstert und vergiftet hat. Wie müssen wir den Namen Jaebez als den unsrigen betrachten, wenn wir erwägen, daß wir als Kinder des Zorns, als tot in Sünden, als entfremdet von dem Leben, das aus Gott ist, geboren sind, da mögen wir wohl ausrufen: O ich Jaebez, ich elender Mensch! Bedenken wir ferner, wie unzähligemal, und zum Teil wie gröblich, wie gern wir gesündigt haben, welche böse Früchte dieses angeborene Verderben bei uns und andern hervorgetrieben hat, und in welche Ausbrüche es losbersten kann, wenn nicht jemand, der größer ist als unser Herz, es in Schranken hält, wenn wir bedenken, daß wir ein Herz in uns tragen, aus welchem nach dem Zeugnis eines untrüglichen Zeugen hervorgehen arge Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerungen (Matth. 15,19); bedenken, daß dabei der Teufel umhergeht, wie ein brüllender Löwe (1. Petr. 5,8), und daß ein heiliger und gerechter Gott dies nicht ungestraft lasen kann, noch will, müssen wir da nicht sagen, daß wir der Jaebez sind, mehr als sich aussprechen läßt?
Aber wir müssen auch ein Jaebez werden, das sagt Jakobus: Werdet elend und traget Leide, und weinet; euer Lachen verkehre sich in Weinen, und eure Freude in Traurigkeit (Jak. 4,9). Der Herr sagt: Ich sehe an den Elenden, und der zerbrochenen Geistes ist, und der sich fürchtet vor meinem Wort (Jes. 66,2). David schreibt: Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten (Psalm 51,19). Darauf deuten die Worte Christi: Ich bin gekommen zu trösten alle Traurigen, die zerschlagenen Herzen zu heilen und das Zerstoßene zu verbinden. Ein solcher Jaebez wird man durch das Gesetz, woraus Erkenntnis der Sünden kommt, wie Paulus ein solcher Jaebez wurde, daß er ausrief: Ach ich elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes, welches ungefähr so lautet, als ob er zweifelte, ob eine Erlösung vorhanden und zu erwarten wäre. Alsdann hört die Gleichgültigkeit des Menschen gegen seine Sünden und sein sündliches Verderben auf, und sie werden ihm, wie David sagt, als eine schwere Last zu schwer, worunter er gebückt einhergeht. Jetzt lernt er recht erkennen, welch' ein greuliches Übel die Sünde, welch' ein großes Gut die Vergebung der Sünden und Gottes Gnade sei. Um Trost ist ihm sehr bange, und er winselt wie ein Kranich und eine Taube. Jetzt ist er ein rechter Jaebez geworden, und wohl ihm, daß er' s geworden ist, denn diese Krankheit ist nicht zum Tode. Um uns zu einem solchen Jaebez zu machen, dazu helfen auch trefflich allerhand nachfolgende Leiden und Trübsale. Wie reich war das Leben vieler Heiligen daran, so daß David sagt, er sei zu Leiden gemacht, und sein Schmerz sei immer vor ihm, und Assaph, er werde täglich geplaget, und seine Strafe sei alle Morgen da. Ihre Leiden, welche nicht so sehr den Leib und das Zeitliche, als vielmehr die Seele und das Geistliche betrafen, erstiegen oft einen so hohen Grad, daß David sagt: Das Wasser dringt bis an die Seele, Wellen gehen über mein Haupt, ich versinke in einem tiefen Schlamm, mein Geist vergeht; sie dauerten wohl so lange, daß er fragt: Ist es denn ganz und gar aus, wie lange soll ich traurig gehen? Sie waren oft mit großer Angst und Schrecken verknüpft. Kein Wunder, wenn man in dieser Schule ein Jaebez, ein Sohn des Kummers wurde. Da vergeht, wie die Psalmen reden, alle Schönheit und Kraft, da wird die Seele ausgedörret, wie eine im Sommer durch die Hitze ausgedörrte Flur. Da schwemmt man wohl sein Bette mit Thränen und fragt mit Jeremia: Wo ist ein Schmerz, wie mein Schmerz, der mich getroffen hat? (Klagl. Jerem. 1,12). Daß der Christ auch ein solcher Jaebez werden müsse, erhellet aus allen den Sprüchen, welche sagen: Die müßten mit Christo leiden, die mit ihm herrschen wollten, durch viel Trübsale müßten sie ins Reich Gottes eingehen, daß sie sich nicht darüber wundern dürften, als widerführe ihnen etwas Seltsames (1. Petr. 4,12). Dadurch kann man nun freilich wohl zu einem Jaebez werden, darüber werden schon die selbstgefälligen Gedanken ausgetrieben, da lernt man schon sein tiefes Unvermögen, seine unbeschreibliche Abhängigkeit vom Herrn und seinen Gnadengaben, seine gänzliche Armut und Nichtigkeit erkennen, mehr als der Natur gefällt, die nicht gedemütigt sein will.
Aber dem Jaebez war dieses sehr nützlich, daß er ein Jaebez, ein Sohn des Kummers war, denn dies war die Zubereitung, daß er herrlicher wurde, als seine Brüder. Den Elenden hilft er ja herrlich. Mußte nicht Josef lange Zeit im Gefängnis geläutert und gedemütigt werden, ehe er ein Herr von ganz Egypten wurde; mußte nicht Hiob eher alles verlieren, ehe er's doppelt wieder erhielt; mußte nicht David aus seinem Königreich vertrieben werden, ehe er ganz darin befestigt wurde; und der erste Tempel, aller seiner Pracht ungeachtet, zerstört werden, damit der zweite entstände, der durch die Zukunft des Herrn zu demselben herrlicher würde als der erste? Ja, mußte nicht Christus selbst erst leiden, und dann zur Herrlichkeit erhöhet werden? Dieser Weg ist also vielfach geweihet und festgesetzt.
Der Hauptnutzen dieses Weges, worauf man ein Jaebez wird, ist derjenige, der sich auch an diesem Sohn des Kummers erwies. Es blieb ihm nichts anders übrig als der Gott Israels, worauf er vertrauen konnte. An den wandte er sich. Wo sollte er anders hin? Seine Verhältnisse waren armselig. Es standen ihm keine natürliche Mittel zu Gebote, sie in günstigere umzuwandeln. Er rief also den Gott Israels an. Das kann nur ein Jaebez, und der ein Sohn des Kummers geworden ist. Wie wird ein Reicher bitten: Gieb uns unser täglich Brot; wie ein Gerechter: Vergieb uns unsere Schuld; wie ein Weiser: Führe uns nicht in Versuchung; wie ein Starker: Erlöse uns vom Bösen? Vielleicht brauchen sie auch die Ausdrücke, um eine gebotene Pflicht zu erfüllen, nicht aber um ein Herzensbedürfnis auszusprechen, denn es heißt: Rufe mich an in der Not, und nur wo diese ist, wird jenes recht geübt werden, da es ohne dies nicht beten, sondern plappern und Worte machen heißt. Aber o, welch eine nützliche Not ist diejenige, welche uns vom Vertrauen auf uns selbst abgeleitet und uns lehrt, mit Jaebez den Gott Israels anzurufen, ein Geschäft, was wir täglich, am heutigen Tage aber, als dem Anfang eines neuen Jahres, besonders bedürfen!
Um was rief Jaebez denn den Herrn an? Es waren 4 Hauptstücke, die auch für uns, sowohl für dieses Jahr, als den ganzen Lauf unsers Lebens sehr begehrenswert sind. Er hebt bei der Quelle alles Guten an, wenn er sagt: „So du mich segnen wirst.“ So erklärte Jakob: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Und der Herr befahl, daß der Hohepriester seinen Namen auf das Volk legen und über demselben sagen sollte: Der Herr segne dich! Christus nennt die Seinigen Gesegnete seines Vaters, und von ihm selbst heißt es bei seiner Himmelfahrt: Er hob die Hände auf und segnete sie. Wenn von Menschen gesagt wird, daß sie andere segnen, wie Jakob seine Söhne segnete, so deutet dies an, daß sie ihnen betend von dem Herrn Gutes anwünschen. Aber sie müssen's bei dem bloßen Beten und Wünschen lassen, die wirkliche Mitteilung des gewünschten Guten Gott übergeben, der der einige Ursprung alles Guten ist. Jedoch haben die Segenswünsche gottseliger Menschen einen nicht geringen Wert, und daher füllt Paulus das letzte Kapitel seines Briefes an die Römer mit lauter Grüßen, das ist Segenswünschen aus und befiehlt den Christen, auch einander zu grüßen und zu segnen. Der Herr aber segnet nicht mit Worten, sondern mit der That. Sein Segen besteht in seinem gnädigen Vorsatz über einen Menschen und der Ausführung desselben zu einem herrlichen Ziel. Was kann begehrenswerter sein als dieses, und mit wie großem Rechte ruft Jaebez den Herrn an: So du mich segnen wirst etc. Denn wie der Fluch alles Unheil, so zeigt der Segen alles Wohlergehen an, nach Leib und Seele, in Zeit und Ewigkeit. Giebt's was Größeres? Verdient der den Namen eines Menschen, will geschweigen den eines Christen, der gegen diesen Segen gleichgültig und unbekümmert ist, da eben aus demselben alles Heil entspringt? Es giebt zeitliche, leibliche Segnungen, die auch etwas Großes sind, wenn jemand in seinen irdischen Unternehmungen glücklich ist, und ihm alles wohl von Statten geht. Ein Segen, den sich jeder wohl würde gefallen lassen, ein Segen, ohne welchen kein Fließ, Klugheit und Anstrengung hilft, ein Segen, ohne welchen auch ein großes erworbenes oder ererbtes Vermögen keinen Bestand, ohne welchen man kein Geschick und Verstand hat, weder es zu erwerben, noch das Erworbene zu verwalten, zu erhalten, noch zu gebrauchen. Hiervon sagt man, jemand habe viel, wenig oder kein Glück. Die Heilige Schrift lehrt uns, auch dieses Gott zuzuschreiben, ohne welchen selbst Rosse vergeblich zum Streittage gerüstet werden. Diejenigen versündigen sich also schwerlich, welche es sich selbst zuschreiben und des Dankes vergessen. Jedoch ist dies nur ein irdischer Segen, der auch Gottlosen zuteil wird und oft den Frommen mangelt. Geistliche Segnungen, welche das Geistliche und Ewige betreffen, haben allein wahren und ewigen Wert. Bei denselben muß alles zum Vorteil gereichen, sei es auch noch so unangenehm, und zu ihrem ewigen Heil mitwirken. Denn freilich darf man nicht erwarten, daß alles nach unserm Wunsche ausfallen werde, wenn der Herr uns segnet, sondern daß es uns bei allen Segnungen des Herrn ergehen kann, wie dem Gideon, welcher fragte: Ist der Herr mit uns, warum ist uns denn solches alles widerfahren? (Richt. 6,13). Der Herr kann uns auch in Gnaden, uns zum Segen vieles mißlingen lassen, wie er die Jünger eine ganze Nacht arbeiten ließ, da sie doch nichts fingen. Kurz, er heißt Wunderbar und erweiset sich also. Genug, wenn er uns nur segnet, mag's dann gehen, wie es will. Von Natur liegen wir aber unter dem Fluche, und alle Segnungen senken sich durch Christum auf uns nieder, so wie sie danksagend durch ihn wieder müssen emporsteigen. Er ward ein Fluch für uns, damit wir von dem Fluch des Gesetzes erlöset würden (Gal. 3,13). Wir sind des Segens in uns unwürdig, und nur durch die Hand unsers Priesters kommt er über uns. Der Herr segne uns denn allzumal bei dem Antritt dieses neuen Jahres, unser ganzes Leben hindurch in jeglicher Beziehung, so wollen wir ihn preisen! Er segne uns im leiblichen so weit es heilsam ist, sonderlich aber segne er uns mit geistlichen Segnungen in himmlischen Gütern durch Christum und lasse kommen, um was wir ihn in dieser Hinsicht bitten!
„Und meine Grenze mehren“, setzt Jaebez hinzu. Zwar scheint er hier nur die Erweiterung seines irdischen Erbteils zu verlangen, aber ohne Zweifel sieht er auch aufs Geistliche, wie David, wenn er rühmt: Der Herr führet mich in einen weiten Raum. Dies bezeichnet eine Vermehrung der geistlichen Gaben und die Ausbreitung des Herzens in Friede und Freude und allem Guten, ein reicheres Maß des Heiligen Geistes. Der wahre Christ begehrt aufs innigste die Mehrung der Gemeine Jesu Christi durch gründliche Bekehrung recht vieler äußerlicher Bekenner der Wahrheit zu wahrhaftigen Christen, die nicht blos durch ein äußerliches Bekenntnis, sondern vielmehr durch wahren Glauben mit Christo verbunden sind. Ja, der Christ begehrt die Mehrung der Grenze der Kirche durch die Beifügung der Juden und Heiden zu derselben, ermuntert durch die großen Verheißungen, nach welcher die Erde voll werden soll der Erkenntnis des Herrn, deren Erfüllung er mit Sehnsucht entgegensieht. Namentlich begehrt er eine mehrere Ausgießung der Gabe des Heiligen Geistes über sein eigenes Gemüt, daß seine Erkenntnis klarer und lebendiger, sein Glaube zuversichtlicher, seine Liebe brennender, seine Hoffnung seliger, seine Ruhe inniger, seine Selbstverleugnung ausgedehnter, daß er stark werde nach dem inwendigen Menschen, der alte Mensch aber mehr und mehr ersterbe, damit so seine Gerechtigkeit sei wie des Meeres Wellen, und daher ist es sein Gebet: Mehre meine Grenzen, daß ich nicht so eingeengt, sondern weit und ausgebreitet sei, so will ich deinen Namen preisen und dem Evangelio würdiger wandeln, wie es bisher geschah. Diese Mehrung unserer Grenzen finde denn dieses Jahr unter uns und in uns reichlich statt!
„Und deine Hand mit mir sein wird.“ Diese Bitte entspringt aus dem Gefühl der Ohnmacht und eigenen Untüchtigkeit, etwas von Bedeutung auszurichten, die das Gemüt zu dem Herrn treibt, daß er seine Kraft in unserer Schwachheit mächtig sein lasse. Denn wenn deine Hand mit mir ist im Streit, so werde ich siegen, wenn in Trübsal, so werde ich nicht verzagen, wenn sie mit mir ist im Wirken, so werde ich alles wohl ausrichten. So sei denn deine Hand stets mit uns und schaffe in uns, was vor dir wohlgefällig ist, dann wird dein Dienst uns nicht schwer und die Last uns leicht werden. Sie sei mit uns, denn ohne dieselbe wissen wir nicht durchzukommen.
„Und wirst mit dem Übel schaffen, daß es mich nicht bekümmere.“ Jaebez spielt in den letzten Worten auf seinen Namen, den er vom Kummer hatte, an. Er begehrt nicht, von allen Leiden und Unannehmlichkeiten befreit zu bleiben, welches ein unbilliges Begehren gewesen wäre, da auch die Schrift des Alten Testaments sagt: Der Gerechte müsse viel leiden. Er begehrt nur, daß es ihn nicht bekümmere oder befremde, sondern daß er auch die Trübsal in einem so heitern Licht erblicke, daß er geduldig darin aushalte, nicht aber verlange, alsbald davon befreit zu werden. Und gewiß ist es etwas Größeres, gelassen im Leiden auszuhalten, als ohne alles Leiden zu sein, womit auch die Natur sehr wohl zufrieden wäre. Will uns denn der Herr im Laufe dieses Jahres durch Leiden üben, so schaffe er auch bei uns, daß es uns nicht bekümmere, sondern daß wir geduldig in Trübsal und fröhlich in der Hoffnung seien, oder gar noch einen höhern Stand erreichen, wo wir uns gar der Trübsal rühmen, wissend, daß Trübsal Geduld bringt, Geduld aber bringt Erfahrung, Erfahrung aber bringt Hoffnung, Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden (Röm. 5); ja, daß wir's für eitel Freude achten, wenn wir in mancherlei Anfechtungen fallen (Jak. 1).
Sehet nun, dies sind meine Wünsche an euch, ihr Geliebten, so wie über mir selbst bei dem Wechsel dieses Jahres. Der Herr segne uns und mehre uns! Der Herr versiegele diese Wünsche, daß es auch heiße: Und Gott ließ kommen, das er bat! Diese Bitte und Wünsche des Jaebez enthalten dasjenige, was uns allen ersprießlich und heilsam ist. Mögen der Jaebez viele sein und viele werden, denn den Elenden hilft er herrlich. Möge der Herr das, was er bat, kommen lassen über den König und sein königliches Haus, seine Diener, seine Seelsorger, seine Räte, seine Armee und seinen ganzen Staat; kommen lassen über unsere Provinz und ihre Regierung; kommen lassen über unsere Stadt, deren Obrigkeit und Stadtrat; kommen lassen über das Predigtamt überhaupt, über das bei dieser Gemeinde insbesondere, über das Konsistorium und die Gemeinde-Vertretung derselben, über diejenigen, welche sich demselben widmen, und über die höhern und niedern Schulen; kommen lassen über das Werk der Verbreitung der heiligen Schrift und des Evangeliums unter Christen, Juden, Heiden und Türken; kommen lassen über dich, du teure Gemeinde!
Der Herr segne dich, er mehre dich! Dies lasse er insbesondere kommen über die Jaebez, dann wollen wir den Herrn loben, ihm würdiglich wandeln, und seinen Namen preisen ewiglich! Amen.