Zehnte Predigt
Hohelied Salomons 6,9
Wer ist die, die hervorbricht - schön, wie der Mond?
Der Vers, dem wir unser heutiges Texteswort entnommen, enthält ein begeistertes Loblied des Bräutigams Christus und der Töchter Jerusalem auf die Vorzüge und glänzenden Eigenschaften der Sulamith, der geistlichen Braut, sei's nun die einzelne begnadigte Seele, oder die erwählte Gemeine als Ganze. „Wer ist,“ tönt der freudige Ruhm, „die hervorbricht wie die Morgenröthe, schön wie der Mond, auserwählt wie die Sonne, schrecklich wie die Heeresspitzen?“ Das Wort, das wir für unsere diesmalige Betrachtung aus dem Preisgesang hervorgehoben, zeichnet sich sonderlich durch Gedankentiefe und Bedeutungsfülle aus. Wohlan, graben wir den verborgenen Schätzen in demselben nach.
Wir reden:
Schön; ja, was ist schön? Schön ist, wobei man mit Wohlgefallen und Lust verweilt. Ein Gegenstand, dessen Anblick mit heiteren, angenehmen Empfindungen uns erfüllt, ist schön. Freilich, Schönheit ist Sache des Geschmacks. Was wir Menschenkinder schön nennen, ist's nicht immer auch in Gottes Augen.
Allerdings liebt auch Gott das Schöne; aber das, was Er schön nennt, ist immer auch gut und heilig. Schön ist Gottes Wohnung; es sind wunderschön die Wesen, die Ihn dort umgeben; schön die Chöre und Harmonien, die seinen Thron umrauschen; und wie unvergleichlich schön mögen die Lichtgewänder sein, in welche Gott die Seinen droben kleidet, und die Kränze der Gerechtigkeit und des Lebens, die Er den Vollendeten aufs Haupt drückt; wie zum Entzücken schön die ewig grünen Auen, auf denen das Lamm dort seine Auserwählten weidet, und die Haine von Lebensbäumen, und das Crystallmeer, oder dasjenige vielmehr, was darunter verstanden ist. Kann doch auch nur Schönes aus Gottes Hand hervorgehen. Alles Unschöne und Mißgestaltete in der Welt ist nicht von Ihm, sondern von der Sünde und vom Teufel. Der Fall und der Fluch haben furchtbare Verzerrungen herbeigeführt, und überall den ursprünglichen Stempel der Creatur verwischt oder doch stark getrübt. Das schönste Gotteswerk in der sichtbaren Schöpfung war der Mensch, Adam, dieses lebendige Spiegelbild des Urquells alles Schönen. Seine leibliche Gestalt war der Ausdruck vollendeter Harmonie und blühendster Lebensfrische, und sein innerer Mensch glich einem lichthellen Diamant, in welchem alle Tugenden Gottes strahlend wiederschienen. Mit innigem Wohlgefallen ruhte das Auge des Ewigen auf diesem Werke. Schön war der Mensch vor Ihm; denn schön vor Gott ist das, aber auch das allein, was sein Bild trägt, was Ihm ähnelt, was aus Ihm geflossen ist: denn Er selbst ist die einige, alleinige und ewige Schönheit.
Wie steht es mit unsrer Schönheit, mit der, deren wir uns jetzt noch rühmen dürfen? Nun, fragen wir den und den darnach, so mögen wir uns wohl noch sehen lassen. Es gibt gar mancherlei Geschmack; dem einen oder anderen entsprechen wir wohl noch. Ein schmeichelnder Spiegel ist Eigenliebe, und wie der unsre Bilder uns zurückwirft, mag man sie sich noch wohl gefallen lassen. Doch wir fragen hier nicht nach Lügenbildern, sondern nach unserer wahren Beschaffenheit, und die enthüllt sich uns, wenn wir in den Spiegeln uns beschauen, die Gott uns vorhält. Ein solcher Spiegel ist die Person des Schönsten der Menschenkinder; ein solcher die reine Engelwelt vor seinem Thron; ein solcher, klar und hell geschliffen, das göttliche Gesetz, das Gesetz nach seinem ganzen, den inneren wie den äußeren Menschen in Anspruch nehmenden Inhalt. Ja, dieser Spiegel lügt, heuchelt und schmeichelt nicht. Beschaue dich darin! Was siehest du? Einen Aussätzigen vom Haupte bis zur Sohle; einen Mohren, nicht bloß von Haut, sondern auch von Herzen; einen Barabbas, des Todes würdig; einen Schuldner sämmtlicher Gebote; einen Menschen, untüchtig zu einigem Guten, zu allem Bösen geneigt; ja, daß ich mit dem Bekenntnißbuche unsrer Kirche rede, geneigt von Natur, Gott und seinen Nächsten zu hassen. Erkenne nun diese Mißgestalt in jenem Spiegel, oder bedecke sie mit dem Mantel der Lüge und der Selbstverblendung; ein solcher bist du; so siehst du aus vor Gott. Schön? Nein! in der That, du bist es nicht. Du warst es einmal in Adam; aber wo ist dein Schmuck geblieben! Ei so laß denn, was wahr ist, wahr auch sein. Was willst du dich nur selbst belügen? Beiß' in die saure Frucht hinein, und gib Gottes Wort die Ehre durch das Anerkenntniß: „Ja, ich war schön; ach ja, ich war es!“ Gottes Wort nennt dich „Fleisch vom Fleisch geboren“; „todt nennt es dich in Sünde und Uebertretung;“ nennt selbst das scheinbar Löbliche an dir „ein beflecktes und besudeltes Gewand, und stellt dich dar als „in deinem Blute liegend, und weder mit Wasser gebadet, daß du sauber würdest, noch mit Salz gerieben, noch in Windeln gewickelt, sondern auf's Feld geworfen; also verachtet sei deine Seele!“ Unterschreib's. Das ist dein Bildniß. Und nun verschwende du nur nicht deine Mühe an Verschönerungs-Versuchen, die sich doch nur erfolglos erweisen werden. Eine häßliche Creatur wird durch ein gülden Halsband noch nicht schön. Ein verwesender Leichnam wird dadurch kein Gegenstand des Wohlgefallens, daß du einen Blumenkranz ihm umhängst. So gelingt es dir auch nicht, dich durch deine sogenannten Werke vor Gott zu restauriren: seien's Andachten, Gottesdienste, milde Spenden oder Schminken andrer Gattung. Es kann dir in der That nichts Besseres gerathen werden, als: gib dich bloß; stelle dich, wie du bist, mit der Schaam des Zöllners vor Gottes Augen hin, und sprich: „Herr, sieh, so steht's um mich. Blind, bloß und jämmerlich erscheine ich vor Dir. Ach, weißt du Rath für mich, so hilf, so hilf! Ich kann mich selbst nicht umgestalten!“ Wer weiß, ob's dann nicht auch im Blick auf dich bald heißen wird: „Wer ist die, die hervorbricht - schön?“ Ja, so spricht der Bräutigam, und er spricht's nicht beim Anblick einer Engelschaar, sondern einem Haufen Sterblicher gegenüber spricht Er's. Ein auffallender Umstand das. Ist denn nichts Unebenes an diesen Leuten mehr? O gar Manches noch, was sie selbst nicht leugnen. Haben sie denn ein anderes Fleisch, als andere Adamskinder? Mit nichten; sie sind wie Alle von Erde und verweslich. Sind sie denn leiblich schöner und ansehnlicher gestaltet? O ihre äußere Erscheinung ist nicht selten unansehnlicher noch, als andrer Leute. Fehlen sie denn etwa gar nicht mehr? „Ach, wir fehlen noch Alle mannigfaltig!“ ist ihr Bekenntniß. Ist ihr Inneres denn völlig unbefleckt und rein? Daß es das wäre! Man hört sie ohne Unterbrechung klagen: „Ich bin schwarz, ihr Töchter Jerusalem; sehet mich nicht an, daß ich so schwarz bin!“ - Und doch spricht der Bräutigam zu solchem Haufen; ja, „du bist schön,“ spricht Er zu ihm. Merkt! nicht: „du bist leidlich;“ „schön.“ Nicht: „erträglich bist du;“ „schön;“ nicht: „dich qualificirend für die Gnade!“ Nein: „Ein Gegenstand, an dem das Auge mit Wohlgefallen, mit Freude haftet.“ Ja, schön muß sie auch sein die Braut, wie konnte sonst Gott sie nennen: „Meine Lust an ihr;“ wie könnte er sonst sagen: .“Ich will in ihr wohnen und wandeln;„ wie könnte wahr sein sonst, was der Hohepriester Johannes 17 spricht: „Vater, du liebest sie, gleichwie du mich liebst!“ Wer nun diese „schön“ Genannte sei, wißt ihr ja. Ihr kennt die Sulamith, ihr kennt das Häufle, in Israel, das, weil es sich mitten im Tode liegend findet, sein Leben außerhalb sich in Christo sucht, und Christo, als dem einigen Manne seiner Hoffnung, gläubig am Halse hängt. Bist auch du von diesem Volke, und auch du, und du desgleichen? O daß ihr's wäret! Auf wie verlähmten Füßen ihr auch persönlich noch einhergingt, auch euch gölte dann der Ruhm: „Wer ist die, die hervorbricht - schön?“
In welcher Art ist sie nun aber schön, die Braut des Herrn? In einer eigenthümlichen und wundersamen. Sie ist schön, sagt unser Spruch, wie der Mond, und wie ist diese Vergleichung so reich, so vielsagend, so tief bedeutsam! , Schön - nicht wie die Sonne, die ihr Licht in ihr selber hat; unser Glanz ist Planetenglanz. Wie der Mond in sich selbst nichts weniger, als schön, sondern ein dunkler Körper ist: eben so wir arme Sünder. Er erhält aber sein Licht, und zwar ein schönes, von der Sonne. Wir nicht anders. Ist was Schönes, Reines, Lichtes an uns, so ist es Abglanz der göttlichen Gerechtigkeitssonne; und die ist Christus. In Christi Gerechtigkeit, der stellvertretend aufgerichteten und erworbenen, prangt die Gottesbraut. Diese Gerechtigkeit ist ihr Schmuck, ist das ihr zugerechnete und zu eigen geschenkte Geschmeide, darin“ sie dem Herrn gefällt. Und ebenso ist auch, was sie etwa Schönes in sich trägt, es heiße Verlangen, Glaube, Liebe, oder wie es heiße, nicht ihr Eigenes, sondern ein aus Christo in sie Ausgestrahltes, ein ihr Mitgetheiltes und Geborgtes, also, daß Braut und Mond in einem Chore selbander singen mögen: „Strahlt die Sonn' uns nicht mehr an, ist's um unsern Glanz gethan!“ und die erstere für ihre Person noch hinzufügen mag: „Wenn Du entzeuchst das Deine, bleibt Sünd' und Schwachheit meine!“
Der Mond, ihr wißt es, bewegt sich mit der Erde um die Sonne. Dieselbe Bahn verfolgt auch Sulamith. Es bleibt doch Christus der Mittelpunkt ihrer Hoffnung Was von Erwartungen, Wünschen und Begierden im Kern ihres Herzens ist, um Christus dreht sich's. Und die mütterliche Sonne läuft dem Monde nicht aus dem Weg. Wie eine Henne ihre Küchlein, so nimmt sie den dunkeln Stern unter ihre strahlenden Flügel. Ihr eigenes Lichtkleid wirft sie über ihn her; mit ihrem eigenen Festschmucke bedeckt sie seine Blöße. Und fort und fort wird sie das thun, und nimmer sich ihm entziehn; daß, so lange die Sonne am Himmel steht, auch der Mond in ihrer Schöne prangen wird.
Freilich gehen mit dem Monde mancherlei Wechsel und Veränderungen vor, je nachdem er in dieser oder jener Stellung zur Sonne sich befindet. Bald ist die ganze Scheibe erleuchtet, bald die halbe nur; bald strahlt er wie eine silberne Sichel durch die Wolken, bald gar ist kaum etwas mehr, als ein heller Strich von ihm bemerkbar. Aber gleicht nicht auch hierin die Sulamith dem Monde? Hat sich's mit den Kindern Gottes, mit den Erwählten des Herrn nicht eben so? Bald erscheinen sie ganz von der Sonne Christus in Glanz gefetzt. So Stephanus, da sein Angesicht leuchtete wie eines Engels; da er über Welt, Tod und Teufel wie ein junger Adler die Flügel der Glaubensfreudigkeit entfaltete, und mit seinem: „Herr Jesu, behalte ihnen diese Sünde nicht!“ mit seinem: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!“ wirklich kaum etwas Anderes noch, als das reine, volle Bildniß Christi von sich strahlte. Das war der Vollmondsglanz. Bald sieht es wieder anders aus, daß nur ein Theil an den Kindern hell ist, der andere dunkel. So stand's mit Simon Petrus auf dem Wege zum Oelberg. Die helle Seite an ihm war die feurige Liebe zu seinem Meister, die in seiner Seele flammte, und in so hohen und begeisterten Betheuerungen sich in die Erscheinungen drängte; die dunkle dagegen seine Eigenliebe, seine Selbsterhebung, sein keckes Versprechen , Großthun und Geloben auf eigene Hand und Kosten. Bald stehen die Kinder da als erstes oder letztes Viertel nur, und bald gar sind sie nur der schmalen Sichel gleich, kaum wahrnehmbar, und fast erloschen. Keine Glaubenskraft ist mehr da, keine Liebesflamme, keine Spur von geistlicher Lebensfrische. Nichtsdestoweniger ist doch auch jetzt an ihnen etwas Helles noch, sei es auch ein leuchtend Strichlein nur, eine schimmernde Linie. Es ist ihr Verlangen nach dem Herrn; es ist ihr geheimes Sehnen nach Jesu Angesicht. Ist das auch nur ein schmaler, duft'ger, zarter Lichtstreif, so ist derselbe doch immer noch Zeichen genug, daß die Sonne aus ihrer Verbindung mit dem Monde nicht heraustrat. Freilich kann noch Schlimmeres sich ereignen. Es kann geschehen, daß plötzlich die Erde zwischen die Sonne und den Mond sich in die Mitte schiebt. Dann gibts eine Mondfinsterniß, und wohl gar eine totale. Ach ja, die Erde mit ihrer Lust, ihrem Tand, oder ihrem Ungemach, wie kann sie manchmal auch theure Gotteskinder für eine Weile allem Anscheine nach ganz von der großen Gottessonne scheiden, wenn auch nicht die Sonne von den Kindern. Da sind sie finster um und um. Da ist nichts Helles mehr an ihnen wahrzunehmen. Da zeigt sich keine Lust mehr an Gottes Wort, keine Anhänglichkeit an die Heiligen des Herrn, kein Gebet mehr, noch der Art etwas. Da mögte man wohl sagen: der Mond ist gesunken und ist's für immer. Doch ehe man sich's versieht, weicht die Zwischenwand, und das scheinbar erloschene Gestirn steht wieder im lieblichsten Lichte an seinem Himmel. Und es war auch nur eine Seite dunkel, wie denn nur immer eine Seite der geistlichen Monde verfinstert sein kann: die uns zugekehrte nämlich. Die andere, die Gott zugekehrt ist, ist immer helle. Gott sieht die Kinder nur leuchtend, weil er sie nur in Christo ansieht, und in dessen glänzendem Gehorsam.
Der Mond, wie ein stiller Schiffer zieht er seine hohe Himmelsbahn dahin. Auch unser Wandel ist im Himmel. Wir fahren dahin durch die Wolken und Schatten der Welt im Schifflein der Sehnsucht den Friedenshütten der Gottesstadt entgegen. Wenn die Sonne aufgeht in heiterer Morgenfrühe, sofort tritt der Mond erbleichend zurück, und geht in ihren Strahlen gleichsam unter. So die Sulamithin, wenn sich ihr Christus offenbart mit aufgedecktem Angesicht. Da vergeht sie zu seinen Füßen in wonnevoller Beugung, und wie vernichtet ist sie vor dem Glanze seiner Herrlichkeit und Gnade. Der Mond, von der Sonne erleuchtet, erleuchtet wiederum die Nacht der Erde. „Ihr seid das Licht der Welt. Lasset euer Licht denn leuchten vor den Menschen!“ spricht der Meister. Der Mond begehrt nicht zu strahlen in eigenem Licht, sondern ist mit fremdem, von der Sonne ihm geliehenen, wohl zufrieden. O daß wir Alle auch in diesem Punkt dem Monde glichen und uns gerne, von Herzen gerne an seiner Gnade genügen ließen. Der Mond will sich nicht selber helle machen. Er kehrt sich stille, empfänglich und leidsam der Sonne zu. Versteht ihr, Brüder, den Wink in diesem Zuge? O wären wir klug und thäten immerdar ein Gleiches. Wenn der Mond manchen Menschen den Kopf verstellt und sie nachtwandeln macht, so ruht die Ursache davon mehr in der Organisation dieser Leute, als in dem unschuldigen Gestirn. So kann auch die Sulamith nichts dafür, wenn ihr Auftreten und Erscheinen Anlaß wird, daß da oder dort die Leute rasend werden, ihr Herz verstecken, und wider den Eckstein Christus rennen, um vielleicht ewig daran zu zerschellen. Der Mond schwebt über den Höhen der Erde. Das Getümmel der Welt bringt ihm keine Gefahr. So ruhen wir unantastbar und wohl geborgen hoch im Arm und Herzen Gottes, in seiner Lieb' und Treue Schutz, und Verderbendes dringt auch an uns nicht mehr heran. Was auch den Mond mitunter für Dünste und Gewölke umhüllen mögen, - sein Glanz erleidet dadurch keinen Abbruch. Was sich um uns und unser Leben je und dann für Schatten lagern, - vor Gott stehen wir ewig in derselben Helle da in Christo Jesu.
Was sagt ihr nun, Geliebte: ist's nicht ein begehrenswerthes Ding, im Sinne unseres Textes schön zu sein, wie der Mond?
Aber noch begehrenswerther ist es, in dieser Schöne sich auch selbst zu finden. Das bringt ach! welchen Frieden in's Herz, und welche Freude! Manchmal wissen die Kinder um ihr Schönsein in dem Herrn; ein andermal auch wieder nicht, oder minder gründlich. Da mögten sie in geistlichem Sinne sagen, wie Paulus dem Timotheus schrieb: „den Mantel, den ich zu Troas ließ, bringe mir wieder mit, sonderlich aber die Pergamente.“ „Den Mantel der Gerechtigkeit, die Pergamente, die mir meine Kindschaft beurkunden, meinen Antheil an dem großen Erbe!“ Sagt man solches zu dem rechten Manne, so spricht Er: Ich will es thun. Und wie Er's spricht, läßt Er die Bundestafel vor uns decken, und ladet uns zu seinem Liebesmahle. O hieher dann, meine Lieben; hier wird uns eine göttliche Handschrift ausgestellt, daß die Zeit unsres Nacktseins vor Gott vorüber sei, und auch wir im strahlenden Schmucke der Sonne Christus prangen. Hier ist's, wo die geistlichen Monde wie in einem hellen, klaren See sich spiegeln, um sich ihres schönen Lichtes selbst bewußt zu werden. Hier lernen sie sich bei aller persönlichen Gebrechlichkeit auf's Neue in dem fremden Glanze fassen. Und o wie oft enttauchen darum auch bei diesem Abendmahle die Sternlein dem Gewölk der Trauer wieder, um auch wieder einmal in Freudenglanz zu strahlen! Wie oft gibt's Neulicht hier! Wie oft kommt's hier zum Vollmondsscheine! –
Mögtet denn ein solches auch ihr erleben, wenn Er in diesen Tagen euch die Tafel deckt. Mögte das heilige Mahl auch an euern Seelen seine zueignende, versichernde und versiegelnde Kraft bewähren! O kommt ihr nur ausgeleert, kommt hungernd, und allein auf Gnade; was gilt's, es geschiehet so. Gott wird an euch im Nachbilde thun, was Er zum Vorbilde that an Adam und Eva, denen Er die Kleider aus Fellen nicht bloß fertigte, sondern auch anzog. Immanuel wird einen entzückenden Blick euch eröffnen in das wundervolle Verhältniß, in welches ihr, seine gebenedeiten Glieder, zu Ihm, dem großen Haupte, versetzet seid. Ihr werdet Ihn, den König, sehen in seiner Schöne, und zieht ihr wieder ab, auch hinter euch tönt's dann her, dem Glaubensohr vernehmbar, aus seinem Munde: „Wer ist, die hervorbricht, schön wie der Mond? Du bist es!“ Amen.