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Krummacher, Friedrich Wilhelm - Gott in der Schrift.

Predigt über 1. Thess. 2,13. gehalten den 16. Juli 1854.

1. Thess. 2,13.
Darum auch wir ohne Unterlaß Gott danken, daß, da ihr empfindet von uns das Wort göttlicher Predigt, ihr es aufnahmet, nicht als Menschenwort, sondern (wie es denn wahrhaftig ist) als Gottes Wort; welcher auch wirket in euch, die ihr glaubet.

Wenn ihr von einer eurer Anhöhen her des Abends die Sonne sinken sehet, so wisset ihr, daß, während ihr dämmerungsumschattet wieder in die Niederung herab steigt und der Nacht entgegenwandelt, eure Brüder auf der andern Halbkugel der Erde freudig erwachend den aufleuchtenden Morgenstrahl des herrlichen Gestirns begrüßen, und mit demselben nicht der Nacht, sondern dem Tage entgegen schreiten. Der Sonne des Himmels gleich Gottes Wort, welches wie sie nimmer ruhet, sondern irgendwo auf Erden immer seinen Lichtessegen ausströmt. Als im Oriente einst sein Leuchter um der Sünde der Menschen willen von seiner Stelle gestoßen wurde, sah man sein Licht in um so hellerem Glanze im Abendlande aufgehn. Während Europa übersättiget dem Worte den Rücken kehrt, und dafür je länger je tiefer in das Dunkel des Unfriedens und der Entsittlichung hineingeräth, durcheilt das Wort, einer Segen verbreitenden Feuersäule gleich, mit jugendlicher Kraft, erleuchtend und Leben zeugend, die Heidensteppen Afrikas, Asiens und Australiens, und schafft daselbst eine neue, lichte, lebensvolle, glückliche Welt. Unablässig ist das Wort in Bewegung, und verrichtet in der menschlichen Gemüthswelt seine Wunder wie vor Alters. Tag wird’s, wo es Eingang findet; Nacht, wo es abgewiesen wird. Ein Wort aber, mit welchem so augenscheinlich Gott ist, sollte nicht mehr sein, als trüglich Menschenwort? Wir wissen: es ist das Wort des lebendigen Gottes!

„Ist’s das in der That?“ Brüder, wir nehmen heut den Faden unserer Betrachtungen über die verschiedenen Richtungen und Parteien innerhalb der evangelischen Kirche wieder auf, dieser Betrachtungen, zu denen wir geschritten sind, um nach allen Seiten hin die Perle des ächten biblischen Christenthums von den unächten und menschlich gefälschten unterscheiden zu lernen. Ihr erinnert euch, daß wir uns zuletzt mit derjenigen theologischen Genossenschaft beschäftigten, welche wähnt, zwischen Vernunft und Offenbarung, ja zwischen Glauben und Unglauben vermitteln zu müssen und vermitteln zu können. Als einen der Hauptgrundsätze, von denen diese Fraction sich leiten läßt, lernten wir den kennen, daß zwar in der heiligen Schrift das Wort Gottes enthalten, keineswegs aber die Schrift Gottes Wort sei. Wir widersprachen solcher Behauptung auf das entschiedenste im Einklange mit der ganzen christlichen Kirche, welche Schrift und Gottes Wort als durchaus identisch, d.h. gleichbedeutend nimmt und setzt, und stellten euch eine nähere Begründung dieses unseres Protestes für eine spätere Betrachtung in Aussicht. Wir bringen diese Begründung nun heute und, geliebt es Gott, in unserem nächst folgenden Vortrage nach. In dem eben verlesenen Textesworte tritt schon eine mächtige Autorität, der Apostel Paulus, wenigstens insofern entschieden auf unsere Seite, als derselbe das, was er und seine Mitapostel predigten, ausdrücklich im Unterschiede von allem Menschenworte für Gottes Wort erklärt; eine Erklärung die er an vielen Stellen seiner Briefe auch auf die Gesammtheit der Schriften des Alten Testamentes ausdehnt. Wollte Gott nur, wir dürften die Danksagung, die er für seine Thessalonicher dem Höchsten darbringt, im Blicke auf euch, geliebte Brüder, auch zu der unsrigen machen! Was aber noch nicht ist, wird ja, ja muß noch werden. Denn wo bliebet ihr, wenn ihr einst, nachdem ihr den kurzen, armen Traum des Erdenlebens ausgeträumt, unter denen erfunden würdet, die dem Worte des lebendigen Gottes sich nicht beugten? Oder gehört etwa auch ihr zu den unglückselig Bethörten, in deren vom Satan verblendeten Augen die Heilige Schrift die Majestät eines aus dem Himmel auf die Erde herabgesandten Wortes längst verloren hat? In diesem Falle kommt eilends herzu, und werdet inne, in welchen Wahn ihr verstrickt seid! Indem ich mir’s vorbehalte, die Beweisführung, daß die ganze Schrift Gottes Wort sei, in unserer nächsten Betrachtung nachzubringen, beschränke ich für heute meine Aufgabe lediglich darauf, zwei Sätze in eurer Mitte geltend zu machen. Der erstere derselben lautet: Die Heilige Schrift erzählt und bezeugt eine göttliche Geschichte; der andere: Gott selbst spricht und zeuget in der heiligen Schrift. Sei der Herr uns nahe mit Seinem Licht, und lasse er in Gnaden uns erreichen, was wir bezwecken!

1.

Die Heilige Schrift enthüllt uns eine durch Jahrtausende sich hindurchziehende Kette von Thatsachen und Ereignissen, die so unzweideutig den Stempel eines höheren Plans und göttlichen Waltens an sich trägt, daß nur muthwillige Selbstverblendung denselben verkennen kann. Laßt mich diese Reihe geschichtlicher Begebenheiten noch einmal flüchtig an euerem inneren Auge vorüberführen. Vernehmet! Gott, der Lebendige und Allmächtige schafft im Anfange den Menschen nach seinem Bilde. Der Mensch, mit Allem begabt und ausgerüstet, dessen er zur Erreichung seiner höchsten Bestimmung bedarf, mißbraucht den herrlichsten der ihm verliehenen Vorzüge: die Willensfreiheit, und geräth, weil unter die Herrschaft der Sünde, so zugleich unter den Fluch des Gesetzes. Er ist verloren, wenn er sich selbst gelassen bleibt, und durch eigene Kraft sich retten muß. Die ewige Liebe aber tritt in’s Mittel, und verheißt einen Heiland, einen Erlöser. Nichtsdestoweniger schreitet die Entartung des gefallenen Geschlechtes mit reißender Eile fort. Da wird aus der verderbten Menschenmasse ein einzelner Volksstamm ausgesondert, und mit einem Zaune eigenthümlicher Sitten, Lebens- und Kultusformen gegen die übrige Welt abgeschlossen und umhegt: das Volk Israel. Zu welchem Ende dies? Auf daß es zum Gefäße diene, in welches Gott zunächst seine Offenbarungen niederlege, und sie für das Ganze des Menschengeschlechts darin verwahre; und daß es dann die hohe lebendige Bühne bilde, auf der der Ewige Angesichts aller Creatur den Glanz seiner ewigen Majestät und Herrlichkeit nach allen Seiten hin thatsächlich offenbare und entfalte. Damit aber in diesem Volke mit dem Bewußtsein seiner tiefen Verschuldung zugleich das Bedürfniß nach Versöhnung wach, rege und lebendig bleibe, wird ihm vom Berge Sinai herab das positive Gesetz gegeben, und in demselben der heilige, unwandelbare und unverbrüchliche Wille Gottes kund gethan. Vor diesem hellen Spiegel aber muß das Volk, soweit es mit der Sorge um seine Heiligung ihm ein Ernst ist, schlechthin verzagen und an seiner Seligkeit verzweifeln. Verzweifeln soll es aber nicht, und darum wird ihm, wie in den Gottesdiensten der heiligen Hütte, nachmals des Tempels, so in anschaulichen prophetischen Bildern und Schilderungen die für die Zukunft ihm zugedachte Erlösung, so wie das Bild dessen, der dieselbe vermitteln sollte, immer deutlicher vor Augen gemalt. Die Sehnsucht nach dem Aufgang des verheißenen „Sterns aus Jakob“ steigert sich in den Frommen von Jahrhundert zu Jahrhundert; und will sie einmal erflauen oder gar verglimmen, so brechen schwere Gerichte herein, sie wieder anzufachen und neu zu beleben. – Endlich, nachdem die vorbereitende Führung und Erziehung Israels zu ihrem Ziele gediehen ist, und derjenige Theil der Menschheit, der außerhalb der Grenzen Israels sich selbst überlassen war, namentlich zu Athen und Rom, im Jagen nach Wahrheit und Frieden erfolglos seine Kraft erschöpft, und die Erlösungsbedürftigkeit der tief verkommenen Familie Adams über allen Widerspruch erhoben hat, erscheint der lang Erwartete. Und wie erscheint er? Nach allen Seiten hin bis in die kleinsten Züge hinein dem viertausendjährigen Weissagungsbilde der Propheten entsprechend! Sich selbst in unzweideutiger Weise als denjenigen ankündigend, dessen die Väter geharret, tritt er an der Sünder Stelle, erfüllt für sie alle Gerechtigkeit, und bezahlt leidend und sterbend ihre Schuld.

Sein Tod aber verdunkelt für einen Augenblick seine Person wie sein erhabenes Werk. Ehe man sich’s jedoch versieht, wird dieser düstere Schleier durch das Wunder der Auferweckung wieder gehoben, und der letzte Zweifel, daß dieser Mittler göttlich gesandt worden sei, und seine Aufgabe nunmehr dort Oben für gelöst erachtet werde, ist zerstreut. Der Verherrlichte verweilt noch eine kurze Zeit auf Erden, um die Seinen seiner Auferstehung völlig gewiß zu machen, und ihnen für ihr zukünftiges Wirken Auftrag und Verheißung zu ertheilen. Dann kehrt er dorthin zurück, von wannen er kam. Was wird aber nun aus seinen Jüngern? Da stehen sie, die ihm die Welt erobern sollen, und es gebricht ihnen zu diesem Riesenwerke wie an der durchschauenden Einsicht in das Geheimniß seines Werkes, so an allen anderen erforderlichen Gnadengaben. Doch auch diesem Bedürfniß bleibt die Abhülfe nicht aus. Der große Pfingsttag bricht an, und der heilige Geist, der verheißene Tröster, hält mit seinen Lichtern und Kräften seinen Einzug. Die Jünger fühlen sich mit einem Male auf’s genügendste und herrlichste gerüstet, und gehen, dem Befehl ihres Meisters gemäß, hinaus, um den Kirchengrund zu legen, den „die Pforten der Hölle nicht überwältigen“ werden.

Was sagt ihr, Geliebte, zu dieser Reihenfolge zusammenhängender Begebenheiten, die sich alle wechselseitig bedingen? Was sagt ihr zu dieser wunderbaren Kette von Thatsachen und geschichtlichen Vorgängen, in der ein Ring in den andern greift, und eine Lücke nirgends zu entdecken ist? Nicht wahr, daß hier Vorbedacht sei, bewußter Plan, ja das Walten, Führen und Regieren eines lebendigen und persönlichen Gottes in der Welt, ist schlechthin unerkennbar? Eine göttliche Geschichte ist’s, die wir hier vor uns haben; es ist die von Stufe zu Stufe fortschreitende Entfaltung eines himmlischen Liebesraths zur Rettung, Wiederbringung und Beseligung der Welt. Mit offenen Augen könnt ihr dies nicht leugnen; oder es müßte wider besseres Wissen und Gewissen geschehen. Steht euch aber erst dies Eine fest, daß es in der That ein Veranstalten, Thun und Fügen Gottes ist, was uns die Schrift bezeugt, so werdet ihr euch auch schon zu dem Glauben geneigter finden, daß auch die Männer, welche uns von jenen Wegen Gotte die Decke hoben, nicht aus dem Eigenen, sondern auch göttlicher Offenbarung geredet haben. Zwar ist es wahr, daß eine göttliche Geschichte, z.B. die Geschichte der Bekehrung der Südseeinseln, berichtet werden kann, ohne daß darum das Bericht erstattende Wort selbst etwas Anderes und mehr sei, denn bloßes Menschenwort. In der Bibel aber wird nicht blos Gottes Werk verkündet, sondern Gott selbst ist’s auch, der in ihr redet. Mehr als ein Beweis steht hiefür uns zu Gebote. Wir müssen uns jedoch darauf beschränken, für heute lediglich an den einen zu erinnern, den die biblischen Weissagungen in sich tragen.

2.

Die Weissagungen von Christo lasse ich unberührt. Ich setze das große, weltkundige Wunder seiner Vorherverkündigung als bekannt voraus. Oft habt ihr mit stummem Erstaunen vor dem Bilde des großen Zukünftigen gestanden, wie Moses und die Propheten es bis in die kleinsten Züge hinein dem Volke Israel und der Welt vor Augen malten, und habt es anerkennen müssen, daß solch’ ein genaues Vorhersehen nicht allein seiner Abstammung, seines Geburtsorts, seines Namens, seiner Erscheinungszeit, sondern auch seines Berufs, seines ganzen Lebensganges, seines Thuns und Wirkens, und aller seiner Geschicke, mit natürlichen Dingen nicht zugehe, sondern alles menschliche und kreatürliche Vermögen weit übersteige. Ich schweige diesmal auch von den Gesichten eines Daniel, der im voraus Weltgeschichte schrieb, und mit seinem Jahrtausende durchreichenden Seherblick die auf einander folgenden großen Weltmonarchieen: die babylonische, persisch-medische, griechisch-macedonische, und weltlich- wie geistlich-römische nicht allein nach einander vor sich auftauchen sah, sondern auch kennzeichnete und scharf charakterisirte, und namentlich jener Reiche letztes, das römische, durch alle seine Entwicklungsstufen hindurch bis an das Ende der Tage verfolgte und offenlegte. Der Kürze der Zeit halber die mir noch zugemessen ist, muß ich mich damit begnügen, aus der reichen Zahl biblischer Weissagungen für diesmal nur folgende drei hervorzuheben.

Hundert Jahre vor der Zerstörung der assyrischen Riesenstadt Ninive trat der Prophet Nahum auf, und verkündete nicht allein im Allgemeinen die Zertheilung des assyrischen Reiches durch fremde Mächte und die Zerstörung und Verwüstung seiner stolzen Hauptstadt zur Vergeltung de an dem Volke Gottes verübten Hoffahrt und Ungerechtigkeit; sondern sprach ausdrücklich (Kap. 2,7): „Ninive wird fallen; denn die Thore am Wasser werden sich öffnen, und der Palast wird zergehen!“ Wenn man die beispiellos feste und scheinbar für die Ewigkeit gegründete Stadt ansah, so konnte man nichts für unwahrscheinlicher erachten, als daß dieses Orakel sich je erfüllen werde, zumal, da die Stadt ein “Wasserthor“ gar nicht einmal besaß. Was begab sich aber? Die Chaldäer kamen und belagerten die Riesenstadt; jedoch mit sehr geringer Hoffnung, daß sie sie je erobern würden. Da schwoll urplötzlich in einer Nacht der Tigrisstrom bis zu einer Höhe an, wie man sie bis dahin nie erlebt hatte. Er durchbrach, selbst sich das “Wasserthor“ schaffend, welches der Prophet im Geist gesehen hatte, die mächtige Mauer, wälzte mit hohen, brausenden Wogen sich in die Straßen und Gassen der Stadt hinein, warf Häuser und Paläste um, und überlieferte, was von dem Umsturz stehen blieb, ohne Schwertstreich den Händen der Feinde. Der Prophet hatte (Kap. 1,9) der Stadt Ninive zugerufen: „Der Herr wird’s ein Ende mit dir machen; es wird das Unglück nicht zweimal kommen!“ Und so geschah es. Mit Einem Streiche war’s gethan. Ninive blieb zerstört für immer. Ein weltlicher Geschichtschreiber ruft, wie er des Untergangs Ninives gedenkt, nicht ohne Verwunderung aus: „Wir bemerken hier ein sonderbares Zusammentreffen der Geschichte mit einem uralten, hundert Jahre vor der Katastrophe ausgesprochenen, jüdischen Orakel!“ –

Fast zweihundert Jahre vor der Wegführung Israels nach Babylon tritt Jesaias auf, und sagt nicht allein auf das bestimmteste diese Wegführung seines Volkes voraus, sondern verkündet zugleich die Wiederkehr desselben aus der babylonischen Gefangenschaft, und beschreibt auf’s genauste die Schicksale, von denen die Stadt Babylon Jahrhunderte hindurch werde betroffen werden. Hört ihn! Kap. 13,4 seiner Weissagungen „versammeln sich gegen Babylon die Königreiche der Heiden,“ (Perser, Meder, Lybier.) V. 17 werden die Meder ausdrücklich hervorgehoben und genannt. Kap. 21,2 lesen wir die Worte: „Zeuch herauf, (gegen Babel) Elam (d.i. Persien,) belagere sie, Madai“ (d.i. Medien!). In demselben Kapitel V. 5 wird in den Worten: „Ja, richte den Tisch zu, laß wachen auf der Warte, esset, trinket!“ auf das schwelgerische Gelage angespielt, während dessen die Riesenstadt erobert werden sollte. Im 44. Kap. 24-27 wird die künftige Eroberung Babels auf das genauste beschrieben. Hier begegnet uns eine bestimmte Hindeutung auf die bekannte Gottesschrift an der Wand, und auf das vergebliche Bemühen der heidnischen Zeichendeuter, dieselbe zu entziffern. „Ich bin’s,“ spricht hier der Herr, „der die Zeichen der Wahrsager zu nichte, und die Weissager unsinnig macht; der die Weisen zurücke kehret, und ihre Kunst zur Thorheit stempelt; aber das Wort seines Knechtes, (Daniels) bestätiget, und den Rath seiner Boten vollführt; der zu Jerusalem spricht: Sei bewohnt; und zu den Städten Juda: Seid gebauet; und der ich ihre Verwüstung aufrichte; der ich spreche zu der Tiefe: Versiege; und zu den Strömen: Vertrocknet.“ Nach diesem nennt der Prophet V. 28 und Kap. 45, 1 u. 2 den Befreier Israels aus der babylonischen Gefangenschaft, den Mann, der erst 150 Jahre nach ihm geboren wurde, mit Namen. Hört den Propheten: „Der Herr spricht: Ich spreche zu Kores (Cyrus): Er ist mein Hirte, und soll allen meinen Willen vollenden, daß man sage zu Jerusalem: Sei gebaut; und zum Tempel: Sei gegründet! So spricht der Herr zu seinem Gesalbten, dem Kores, den ich bei seiner rechten Hand ergreife, daß ich die Heiden vor ihm unterwerfe, und den Königen das Schwert abgürte; auf daß vor ihnen die Thüren geöffnet werden, und die Thore nicht verschlossen bleiben. Ich will vor dir hergehen, und die Höcker eben machen. Ich will die ehernen Thüren zerschlagen, und die eisernen Riegel zerbrechen. Ich habe dich gerüstet, da du mich noch nicht kanntest, auf daß man erfahre von der Sonnen Aufgang bis zu der Sonnen Niedergang, daß außer mir nichts sei. Ich bin der Herr, der solches Alles thut!“ – Kap. 13,19-23 giebt Jesaias eine nähere Schilderung der Zustände, in welche Babylon nach der Eroberung gerathen werde. „Babel, die Zier unter den Königreichen, die herrliche Pracht der Chaldäer, wird umgekehret werden wie Sodom und Gomorrha, daß man hinfort nicht mehr da wohne, noch Jemand da bleibe für und für; daß auch die Araber keine Hütten daselbst machen, und die Hirten keine Heerden daselbst lagern werden. Sondern Raubthiere werden sich da lagern, und die Häuser voll wilden Geflügels sein; und Feldgeister werden da hüpfen, und Schakale in ihren Palästen hausen und Drachen (Schlangen) in den luftigen Schlössern. Und ihre Zeit wird bald kommen, und ihre Tage werden sich nicht säumen!“ Kap. 14,22 u. 23 finden wir zu dem Schreckensbilde noch einen Zug hinzugefügt: „Ich will über sie kommen, spricht der Herr Zebaoth, und an Babel ausrotten Gedächtniß und Uebriges. - - Und will sie machen zum Erbe den Igeln, und zum Wassersee, und will sie mit einem Besen des Verderbens kehren, spricht der Herr Zebaoth.“

Nähern wir uns nun der Stadt Babylon an der Hand der Geschichte! Was nehmen wir wahr? Zuerst sehen wir die Riesenstadt durch den Perser Cyrus erobert, und zwar in der That während eines üppigen Bankets, und vermittelst einer Ableitung und Trockenlegung des Euphratstromes. Eine geraume Zeit nachher ist die einst so große und prächtige Stadt zur Wüstenei geworden, und von einem tyrannischen Fürsten, einem zweiten Nimrod, zu einem Thiergarten und Jagdrevier umgeschaffen. Wieder später breitet sich, wo die „Pracht der Chaldäer“ stand, in Folge gewaltsamer Einbrüche des Euphrats ein unabsehbarer morastiger Schilfsee vor uns aus, an dem der Igel haust, und zwischen dessen Röhricht die Rohrdommel ihr melancholisches Lied ertönen läßt. Wir besuchen heute die Stelle, wo Babylon ragte, und siehe, mit dem „Besen des Verderbens“ ist sie „gekehrt.“ Vor uns erhebt sich ein Gebirge von Trümmern, und „kein schweifender Araber schlägt hier sein Zelt auf, weidet hier seine Heerden,“ theils des sumpfigen, ungesunden Bodens, theils der Gefahr drohenden wilden Thiere wege, die in den riesigen Ruinen ihr Lager haben. Mancher Reisende schon, der bis dahin nicht glauben konnte, hat, mit dem offenen Buche des Propheten Jesajas vor diesem Bilde der Verödung stehend, erschüttert ausgerufen: „Ja, Gott ist groß, und sein Wort ist wahrhaftig!“

Zu einer Zeit, da Tyrus, die glänzende Handelsstadt Phöniciens, in ihrer höchsten Blüthe stand, verkündete Hesekiel (leset’s im 26. Kap. seiner Weissagungen) nicht im allgemeinen nur, die Stadt werde untergehen, sondern ganz speciell: Der richterliche Gott werde sogar “ihren Staub wegfegen, und sie machen zu einem Wehrd im Meere, zu einem kahlen Felsen, darauf der Fischer seine Garne ausspanne.“ Nicht abzusehen war es, wie solch’ Orakel sich jemals in buchstäblicher Weise sollte erfüllen können. Und dennoch ist’s geschehen. Nebukadnezar zerstörte die Stadt. Die Tyrer bauten sie, und zwar auf einem Felsplateau im Meere, nur prächtiger wieder auf. Da kam, als Hesekiels Gebeine längst im Grabe ruhten, der große Macedonier Alexander, und faßte, um der Stadt beizukommen, den kühnen Plan, in die Wogen des Meeres hinein einen Riesendamm zu bauen. Woraus aber baute er denselben? Aus den Trümmern der alten Stadt, die er aufwühlen ließ; aus dem “Staube“ des vor Jahrhunderten durch die Chaldäer zerstörten Tyrus, den er “wegfegend bewegte.“ Die Stadt wurde erobert und auf’s neue zerstört. Und jetzt, nachdem seit der Weissagung Ezechiels mehr denn zweitausend Jahre verflossen sind, ist das einst so prächtige Tyrus wirklich noch „ein Wehrd, ein kahler Fels im Meer,“ von Fischern bewohnt, die dort “ihre Netze ausspannen.“ – Ein Pilger im Oriente schreibt: „Wer etwa noch Zweifel hegt, ob Gott der Herr wirklich durch die Propheten geredet habe, der reise im Geleite des alten Sehers Ezechiel nach dem heutigen Tyrus, und – lerne glauben!“

Doch die Zeit nöthigt zum Schlusse. Wir müssen uns für diesmal an den wenigen Beispielen genügen lassen, die wir nur wie einzelne Aestlein aus dem großen prophetischen Bibelwalde herausgebrochen haben. Wisset, daß die Heilige Schrift durch und durch mit solchen Weissagungen durchwoben ist, die in der Bestimmtheit, mit der sie auftreten, in der Ausführlichkeit ihrer historischen Züge, und dann in ihren oft nach dem Verlaufe von vielen Jahrhunderten erst eingetroffenen buchstäblichen Erfüllungen so unzweideutig das Gepräge unmittelbarer göttlicher Eingebung an der Stirne tragen, daß es unmöglich ist, dies bei offenen Augen zu verkennen. Uebrigens ist der aus den Weissagungen entnommene Beweis für die Thatsache, daß Gott in der Bibel rede, wenn auch der handgreiflichsten einer, doch lange noch nicht der schlagendste und entscheidenste. O glaubt es, glaubt es, der Ewige hat uns nicht rathlos gelassen in der Welt, sondern in herablassender Huld und Gnade seinen Mund, zu uns aufgethan. Hier ist sein Wort! Was aber uns Allen hienieden zuerst, und dringender als irgend etwas obliegt, ist, daß wir der Majestät dieses Worts uns beugen, dasselbe Tag und Nacht nicht aus den Augen lassen, und unser ganzes Sein und Leben ihm unterthänig machen. Schieben wir das Wort bei Seite, so sind wir einem unsinnigen Schiffer gleich, der Seekarte und Compaß über Bord wirft, und der Willkühr der Winde die Leitung seines Schiffs vertrauen will. Strandet dieser Thor und geht zu Grunde, wer wird nicht sagen, daß ihm Recht geschehen sei? So wird aber auch für uns kein Mitleid sein im Himmel noch auf Erden, wenn wir trotzdem, daß Gott der Herr selbst die Leuchtthurmsflamme uns angezündet, muthwillig scheitern und Schiffbruch leiden. Sei denn, wo wir gehen und stehen, sein Wort auch uns ein Licht auf unsern Wegen und eine Leuchte unserer Füße; und sorgen wir, daß bald auch uns ein Zeugniß werden können, wie der Apostel es in unserem Texte seinen Thessalonichern ertheilt: „Darum auch wir ohne Unterlaß Gott danken, daß ihr, da ihr empfinget von uns das Wort göttlicher Predigt, nahmet ihr es auf, nicht als Menschenwort, sondern (wie es denn auch wahrhaftig ists als Gottes Wort; welcher auch wirket in euch, die ihr glaubet.“ Amen.