Predigt über Matth. 26, 63. 64.
gehalten bei Gelegenheit der Kirchenvisitation zu Görlitz
Seid mir gegrüßet, theure Freunde, mit dem Gruße der Liebe und des Friedens, als die Unbekannten, und doch bekannt, als die Entfernten, und doch nahe! Gesendet stehe ich vor euch; aber nicht, als ob ihr meiner bedürftet, sondern daß ich Seitens der ehrwürdigen Männer, denen in höchster Stelle die Pflege unseres evangelischen Kirchenthumes obliegt, Gruß und Segenswunsch euch entbiete, und zugleich euch sage, wie wohlwollend dieselben auch eurer gedenken, in der Hoffnung fröhlich, daß auch ihr je länger je mehr in die geistliche Lebensströmung mit hinein gerathen werdet, die nach langer Dürre und Verödung durch Gottes Gnade aufs neue durch die christlichen Lande geht. Der wesentlichste Zweck dieser kirchenregimentlichen Sendungen kann ja nur der sein, Bande der Liebe zu knüpfen von Gemeine zu Gemeine, und mit dem Bewußtsein der Fülle göttlicher Gnadenschätze, deren wir als Kirche der Reformation in dem Herrn uns zu rühmen haben, zugleich dasjenige zu stärken und zu beleben, daß wir Evangelische Preußens Einer Landeskirche angehören, die zwar in einer Mannichfaltigkeit reformatorisch kirchlicher Bekenntnisse auseinandergeht; aber nicht auseinandergeht wie Raketen, die, obwohl auch aus einem Feuerkelche ihren Ausgang nehmend, je ihre sonderen Bahnen ziehen, und, wo sie zusammentreffen, sich einander nur feindselig berühren, und wechselweise sich zu zerstören trachten; sondern wie ein Stamm in seinen Zweigen und Aesten sich entfaltet, die einander freundnachbarlich zunicken, sich gegenseitig tragen, stützen, ja befruchten, und vereint die schöne volle Krone bilden, in der die gottbefruchtete Wurzel den Reichthum ihrer Lebenskraft entwickelt. Möge auch unser brüderliches Zusammentreffen dem genannten Zwecke dienen, und zur Erfrischung jenes Bewußtseins das Seinige beitragen! Walte dies in Gnaden Der, der durch den Mund seines Apostels uns zurufen lasset: „Seid fleißig zu halten die Einigkeit im Geist, durch das Band des Friedens. Ein Leib, und Ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eures Berufs. Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater unser Aller, der da ist über euch Alle, und durch euch Alle und in euch Allen!“
Daß mir der Auftrag ward, grade dieser freundlichen Stadt den Friedensgruß zu überbringen, gereicht mir zu besonderer Freude. Gäbe nicht schon die Geschichte davon Kunde, daß das Reich Gottes hier von Alters her eine gute Statt und gastliche Herberge gefunden habe, so bezeugte es hinlänglich die reiche Zahl eurer schönen Gotteshäuser, von denen übrigens die außer Gebrauch gesetzten nicht wie ausgeflogene Vogelnester daran mahnen mögen, daß der Frühling vorüber sei, sondern den offenen Bienenstöcken zu vergleichen seien, die erst der jungen Schwärme warten, welche der Frühling bringen wird! Wenn jene weltberühmte, freilich in wunderlichen Farben spielende, aber nichtsdestoweniger mit himmlischem Thau getränkte theosophische Gottesblume auch die einzige ihrer Art geblieben wäre, die sich in dem Geistesgarten dieser Stadt entfaltete, so würde doch sie schon, deren Düfte, ich möchte sagen, fast zauberisch in die Gedanken- und Gemüthswelt der Menschheit hinein gewaltet haben, die geistliche Fruchtbarkeit eures kirchlichen Bodens außer Frage stellen. Es trieb aber dieser Weinberg unter dem Wehen des Südwindes, der die Wüsten ergrünen macht, zu allen Zeiten der lieblichen Blüthen noch mehre, die, wenn auch in enger gezogenen Kreisen, als jene, Wohlgeruch des Lebens zum Leben um sich streuten. Und erfreut eure Stadt sich nicht bis zu dieser Stunde vor vielen andern des weithin erklungenen schönen Rufes besonderer geistiger Regsamkeit, ja wissenschaftlicher Vertiefung? Die Wissenschaft aber, wo sie nicht in die Breite nur geht, sondern mit ihrem „Gieb mir, wo ich stehe!“ ihre Richtung nachhaltig in die Tiefe nimmt, wird zuletzt nach allen ihren Argonautenzügen unfehlbar an der goldenen Küste des Evangeliums unsres Gottes landen müssen.
Brüder, warft ihr hier bereits den Anker aus? Glaubt ihr an den Christus der Schrift, oder, was hier dasselbe ist, an den eurer lutherischen Kirche, an den der Engelgesänge, an den, dem die Zukunft der Welt gehört? - Wisset! meine heutige Aufgabe unter euch sei die, euch darzuthun, daß ihr auf den Ruhm eines folgerichtigen Denkens verzichten müßt; ja mehr noch: daß ihr den Namen unverständiger und thörichter Leute verdient; - ja, mehr noch: daß ihr der Wahrheit ins Angesicht schlagt; ja, noch mehr: daß ihr, heuchelnd mit eurem Christennamen, die Blutschuld der Juden auf euch ladet, wenn ihr an jenen Christum nicht glaubt, noch mit uns Ihm huldigend die Kniee beugt. Ihr müßt mir aber gestatten, daß ich zu dem Ende die Betrachtung des heutigen Sonntags-Evangeliums auf einen andern Tag dieser festlichen Woche erspare, und statt seiner einen euch ebenso wohl bekannten evangelischen Abschnitt, und zwar aus der Passionsgeschichte des Herrn, euch in den Gesichtskreis rücke.
Math. 26. 63. 64.
Und der Hohepriester antwortete und sprach zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagest, ob du seist Christus, der Sohn Gottes. Jesus sprach zu ihm: Du sagest es. Doch sage ich euch: Von nun an werdet ihr sehn des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft, und kommen in den Wolken des Himmels.
Welch eine Scene, geliebte Brüder! Die Sonne der Gerechtigkeit bricht durchs Gewölk. Der König aller Könige lüftet die Schleier! Wer ermißt die großartige Bedeutung dieses Moments? - Herzu, wer auf die Frage: „Was dünket euch um Christum? Weß Sohn ist Er?“ noch die Antwort sucht! Diese Lebensfrage des ganzen Christenthums findet hier ihre schließliche Erledigung. Der Zweifel an der Gottheit Christi erscheint nach diesem Vorgange als Attentat. Der Unglaube wird nach ihm zum Mordschrei: „Kreuzige, kreuzige!“ - Wir werden uns hievon näher überzeugen, wenn wir das eidliche Zeugniß Jesu von sich selbst zum Gegenstande unsrer näheren Betrachtung machen. Wir richten unsre Blicke zuerst auf die Veranlassung zu diesem Zeugniß; sodann auf das erhabene Bekenntniß selbst; und endlich auf die Entscheidung, zu welcher es nöthigt.
Walte der Herr in Gnaden, daß sich das Ergebniß unsrer Betrachtung darin bekunde, daß wir am Schlusse derselben sämmtlich dem Könige der Ehren mit einem freudigen: „Wir haben geglaubt und erkannt, daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes,“ zu Füßen fallen!
Der Gerichtssaal des Hohenrathes zu Jerusalem ist der Schauplatz unserer Begebenheit. Wie wir hineintreten, herrscht daselbst eine auffallende unheimliche Stille. Alles schweigt; aber auch diese Pause hat ihren Inhalt. Der Geist der Wahrheit schreitet richtend durch die Versammlung; Schaam und Verlegenheit halten die Gemüther umfangen. Die falschen Zeugen sind mit ihren von Widersprüchen wimmelnden Anklagen gegen Jesum kläglich zu Schanden geworden. Das erhabene Verhalten der Verklagten, dieser reine Widerglanz seiner Unschuld, hat die Feinde vollends gebunden und gelähmt. Aller Augen sind auf das Vorsitzende Kirchenhaupt, den Caiphas, gerichtet. Jeder Blick scheint ihn verwundert zu fragen: „Priester des Allerhöchsten, wohin gerathen wir? Wo bleibt deine Weisheit und deine Würde?“ Er aber befindet sich in der peinlichsten Lage von der Welt. Die ernsteste Besorgniß um die Wahrung seiner amtlichen Ehre, wie um den Ausgang des ganzen richterlichen Handels foltert seine Seele. Dort sitzt er, der stolze Hierarch, und seine Gedanken halten tumultuarischen Rath, wie dieser Knoten zu lösen, und solcher Klemme zu entrinnen sei. -
Seht, Freunde, dies war das Ende des Gerichtsverfahrens gegen den Heiligen in Israel. Seine Sündenreinheit hatte sich als eine schlechthin unantastbare herausgestellt. Aber schon dieser Umstand, daß in Jesu wirklich einmal eine unsündliche Persönlichkeit die Erde betrat, nöthigt den ernsten und ehrlichen Denker zu einer Reihe von Schlüssen, deren letzter nicht bei der Anerkennung stehen bleiben kann, daß Jesus nur die edelste Blüthe des - keinesweges unsündlichen - Menschengeschlechts gewesen sei. - O, glaubt es, ein gleiches Ende, wie der Prozeß dort zu Jerusalem, nimmt einst auch der große welthistorische gegen Christum. Auch dieser wird enden mit der äußersten Bestürzung, ja Verzweiflung Aller, die Ihm entgegenstanden. Haltet darum eure Acten noch ungeschlossen, ihr, seine Widersacher. Wir sind mit dem Spruche der neuesten ungläubigen Wissenschaft im Gerichtsverfahren gegen Christi Person noch nicht weiter vorgerückt, als der Hoherath zu Jerusalem in dem Momente es war, da die falschen Zeugen wider Jesum ihren Mund aufthaten.
Die Bedrängniß des Hohenpriesters ist groß. Es muß der Sache eine neue Wendung gegeben werden; aber welche? Er sinnt und sinnt. Wie ein Feuerrad kreisen die Gedanken in seinem Haupte. Da kommt ihm, wie er meint, ein glücklicher Einfall; und in der That kommt dieser Gedanke ihm nicht von Ohngefähr. Krampfhaft rafft der Prälat seine hingesunkene Würde gleichsam vom Staube wieder auf, und, mit sichtlicher Anstrengung in die Gravität seines Amtes sich verhüllend, tritt er in feierlicher Haltung einige Schritte vor, und giebt die Absicht zu erkennen, den Verklagten vor den Thron des Allmächtigen zu laden, und ihm die eidliche Erklärung abzufordern, ob er der wirklich sei, für den er von seinem Anhang gehalten werde, oder ein Anderer. Wir begrüßen diese Maßregel mit Freuden. Jetzt kommt ja die Kapitalfrage des Christenthums zu ihrem Abschluß. Denkt: ein eidlich Zeugniß Jesu über sich selbst! In der That! dies fehlte nur noch, um auch dem letzten unsrer geheimen Wünsche ein Genüge zu thun.
Hört denn! Der größte und feierlichste Moment des Prozesses ist herbeigekommen. Himmel, Erde, Hölle, hört! Der Hohepriester öffnet zu der bedeutungsvollsten aller Fragen, die jemals in der Welt verlautet, seinen Mund: „Ich beschwöre Dich“, spricht er, „bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagest, ob Du seist Christus, der Sohn Gottes, des Hochgelobten?“ Er bedient sich der in Israel göttlich gebotenen und allgemein gebräuchlichen Beschwörungsformel. In jener Form wurde der Eid zugeschoben und abgenommen. Der Schwörende antwortete ohne die Formel selbst zu wiederholen mit einem einfachen Ja oder Nein; war sich aber dabei bewußt, daß er dieses Nein oder Ja bei dem lebendigen Gott, und unter dem zwar stillschweigenden, aber nichtsdestoweniger feierlichen Anerkenntniß ausspreche, daß, falls er von der Wahrheit weiche, der Erhabene, den er zum Zeugen angerufen, ihn ewig strafen, und in Seinem gerechten Zorne der zukünftigen Seligkeit verlustig erklären werde. Unter so feierlich ernstem, die Grundfrage des ganzen Evangeliums in den Vordergrund stellendem Aufruf verlangt der Hohepriester dem Herrn Jesu gleichsam sein Beglaubigungsschreiben ab, und ist als Wächter Israels, der nicht dulden darf, daß ein falscher Messias sich geltend mache, kraft seiner amtlichen Stellung vollkommen hiezu berechtigt. Was also soll der Herr beschwören? Setzen wir hierüber uns vor allen Dingen ins Klare. Zuvörderst soll er bezeugen, ob er „Christus“, d. i. der verheißene Messias sei. Caiphas, der Haushalter über Gottes Geheimnisse, bezeichnet mit diesem Namen die Blüthe, den Stern und Kern der ganzen alten Prophetie, und faßt hier im erinnernden Geiste alle Weissagungen und Vorbilder des alten Testaments zusammen, aus denen, wie aus geheimnißvollen Hüllen und Windeln, eine hehre Gestalt hervorsteigt, welche einst als Prophet das Licht der Ewigkeit zur Erde niedertragen, als Hoherpriester das eigene Leben als Sühnopfer für die Welt dahingehen, und als König ein ewiges Reich der Gnade und des Friedens gründen werde. Diese Persönlichkeit heißt der „Gesalbte Gottes“ oder Christus. Caiphas aber weiß, dieser Christus werde sein „ein Mensch“, der zugleich, wie David und Daniel ihn sahen im Gesichte, „Gott in der Höhe“, und „der Herr, dessen Ausgang“, wie Micha verkündete, „von Anfang und Ewigkeit her gewesen sei.“ Ihm ist bewußt, der Messias werde in einem Sinne „Gottes Sohn“ heißen, wie kein Anderer im Himmel und auf Erden so heißen könne. Er werde nicht blos Jehova ähnlich, sondern Jehova gleich, ja selbst Jehova sein. Auch aus dieser erhabenen Anschauung heraus, und mit klarbewußter Unterscheidung der Gottheit von der Menschheit, fragt Caiphas: „Bist Du Der?“ Behaltet dies wohl im Auge. Die Frage des Hohenpriesters geht hoch, steigt über die Erde in den Himmel hinauf, greift hinein in das Geheimniß der Drei in Einem, und umschwebt das ewige „Wort“, das „von Anfang“ war, und in welchem Gott von Ewigkeit her Sich selber gegenständlich wurde. Welche Frage mithin, die dem Herrn hier zur Beantwortung vorliegt! Eine größere und inhaltreichere ist nie in der Welt erklungen. Mein Gott! wenn auf diese Frage ein Nein erfolgte! Dieses Nein würde unsre ewige Verdammniß bejahen. Durch alle Zeiten hindurch gellt zwar ein solches: „Nein, er war es nicht!“ Aber sehen wir näher zu, von wannen diese Verneinung kommt, so sind die Schreienden, wenn nicht Unken im Schlamm der Sünde, wenn nicht Ebenbilder jenes Thieres, das auf dem Bauche kriecht, und Erde ißt, so doch verblendete in argem Selbstbetrug über sich befangene, oder flügellose, und keiner Erhebung vor das Angesicht Gottes fähige Geschöpfe. Ein Chor von Adlern dagegen jauchzte durch alle Zeiten: „Er war's, Er ist's und wird es ewig sein!“ - Ueberblickt nur einmal flüchtig die Reihe, und zugleich die Beschaffenheit der Abstimmenden über Ihn. Wer stimmte Nein? - „Nein“ stimmten wüste Heidenhorden, in viehischen Lüsten ersoffen und verkommen. „Nein“ eine Pharisäerzunft, bis zum Wahnsinn in eigenem Dünkel aufgeblasen. „Nein“ ein Rebellengesindel, das überhaupt von Autoritäten über sich nichts wissen wollte. „Nein“ ein Voltaire, der, nachdem er sich ein ganzes Leben hindurch ein Geschäft daraus gemacht, das Heilige mit frivolem Spott zu begeifern, zuletzt im Rachen der Verzweiflung endete. „Nein“ ein Rousseau, der keinen Gott im Himmel glaubte, aber den Götzendienst der Fleischeslüste nicht verachtete. „Nein“ ein berüchtigter Theologe, der Sodom nach der Universitätsstadt Halle trug. „Nein“ ein Philosoph, der zuletzt seinem christusleugnerischen Leben selbstmörderisch ein Ende machte. „Nein“ stimmt in unsern Tagen eine Rotte, die es nicht Hehl mehr hat, daß sie darüber aus sei, das durch das Christenthum gekränkte Fleisch in seine Rechte wieder einzusetzen. „Nein“ ein Völklein, das sich in öffentlichen Schriften seiner Schanden rühmt. „Nein“ eine Weisheitsschule, die von vorne herein jeden Glauben an überirdische Dinge überhaupt unbesehen für einen Wahn erklärt. „Nein“ eine andere, übrigens wissenschaftlich längst überwundene Richtung, welche die Alltagsbegriffe des sogenannten „gesunden Menschenverstandes“ als die Grenzverzäunung ansieht, jenseits welcher nichts weiter liegen könne. Und „Nein“ stimmten leider! auch einzelne der Männer, die als Dichter und Denker die glänzendsten Zierden unsres Volkes bilden; aber sie stimmten erst „Nein“, nachdem sie den Begriff der Sünde ausgeleert und entkräftet hatten, und dem Wahn des Tages zur Beute geworden waren, der im Anfange der Zeit die Schöpfung, in der Mitte die Erlösung, und am Ende die Weltverklärung leugnet. - Dies die linke Seite der Stimmenden; dies die Häupter und Kohortenführer derer, die da verneinen. -
Und die Bejahenden, welche Jesu die Ehre geben, wer sind sie? „Ja“ stimmten alle heiligen Apostel, die Ihm die Welt erobert haben. „Ja“ die Märtyrer, die unzähligen, die um Christi willen ihr Leben nicht lieb gehabt bis in den Tod. „Ja“ die Kirchenväter, diese ehrwürdigen Säulen der Gemeine des lebendigen Gottes. „Ja“ die Reformatoren: ein Luther, ein Melanchthon, ein Calvin, ein Knox, und wie sie weiter heißen. „Ja“ die in späteren Tagen hoch hervorragenden gottgeweihten Männer, die noch immer in jeglicher Beziehung als Sterne erster Größe am Himmel der Geschichte leuchten: ein Pascal in Frankreich, ein Haller in der Schweiz, ein Newton in England, in Deutschland ein A. H. Franke, ein Spener, ein Paul Gerhard und wie viele sonst! „Ja“ stimmten zu allen Zeiten die Besten die Trefflichsten der Erde, sie, deren die Welt nicht werth war. So sagt denn, auf welche Seite gedenket ihr euch zu schlagen? Wo ist's am wahrscheinlichsten, daß die Wahrheit sei? Unter welchem Paniere mitzustehen deucht euch das Ehrenvollste? Ich meine, die Antwort auf diese Fragen wäre bald gefunden.
Doch ihr habt Recht: Menschenzeugniß giebt hier nicht den Ausschlag. Vor Allem fragt sich's: Was hat Er selbst von sich bezeugt? Die Frage: „Bist du Christus, der Sohn des hochgelobten Gottes?“ ist Ihm vorgelegt. Wir preisen Gott, daß sie einmal so bestimmt, so ernst, so feierlich an Ihn ergangen ist. Ihr fühlt ihr ungeheueres Gewicht. Ich sage noch einmal: erfolgte ein Nein auf sie, o beklagenswerthe Menschheit dann, geschlagenes Sündervolk! Möchte dann Jesus sonst auch sein, wer immer Er wollte: der weiseste Philosoph, der erste Prophet, das glänzendste Tugendmuster, ja, ein Engel und Seraph höchster Ordnung: es wäre damit uns nicht geholfen, und die Hölle bliebe das Ziel unsrer Wallfahrt. Erfolgte ein „Nein“ auf des Hohenpriesters Frage, dieses „Nein“ verwüstete unsern ganzen Trost. Als Brandfackel fiele es in das Schloß unsrer Hoffnungen; das ganze Haus unsres Heils würfe es als fundamentlos um, und schleuderte uns in den offenen Rachen der Verzweiflung. Denn was Alles umschließt die eine Frage: „Bist du Christus, Gottes Sohn?“ Caiphas fragt damit nach der Stunde unserer Erlösung, ob sie geschlagen habe; nach der Möglichkeit, daß ein Sünder selig werde; nach dem Gehorsam Jesu, ob eine versöhnende Kraft ihm innewohne; nach Christi Bürgschaft, ob sie den Uebertretern in Wahrheit etwas nützen könne? Verneint sind alle diese Fragen, und wie manche sonst, wenn aus dem Munde Jesu, auf jene eine Frage ein „Nein“ erfolgt. Erfolgt dagegen ein „Ja“ auf sie, so sind sie bejaht für alle Ewigkeit. Wer sollte also nicht gespannt sein, wie die Antwort lauten werde? Wohlan! spitzt eure Ohren, und mit den Ohren öffnet eure Herzen!
Nachdem die große Frage erschollen ist, herrscht tiefe Stille in der Versammlung zu Jerusalem. Aller Augen hasten erwartungsvoll an dem verklagten Manne. Und nicht wahr, auch wir schauen in diesem Augenblicke tief bewegt und vor Spannung zitternd nach dem hohenpriesterlichen Gerichtshof hin. - Wir freilich wissen um die erstaunenswerthen Wunder, durch welche Jesus sich bereits verherrlicht hat. Wir sahen im Geiste Ihn am Grabe des Lazarus seine übermenschliche Herrlichkeit entfalten. Wir waren Zeugen, wie er aus dem schwankenden Schifflein her den tosenden Sturm bedräute, und als König der Natur über die Meereswogen festen Gangs wie über einen Teppich aus Crystall dahinschritt. Aber dies konnten möglicher Weise immer nur Thaten eines von Gott gesendeten Propheten, und Wunder eines bloß menschlichen Trägers göttlich mitgetheilter Kräfte sein. Ein Solcher aber war unserm Jammer nicht gewachsen, und vermochte uns Sünder nicht zu erlösen. - Wohl hörten wir auch Ihn sagen: Wer ihn sehe, sehe den Vater, denn Er und der Vater seien Eins; Er sei aus des Vaters Schooß gekommen. Aber bei Aussprüchen dieser Art könnte der Versucher immer noch, wie er tausendmal gethan, uns einreden wollen, sie seien nicht buchstäblich aufzufassen, sondern nur auf die sittliche Herrlichkeit Jesu zu deuten, indem der Herr in ihnen nur seine Willens- nicht aber seine Wesens-Einheit mit dem Vater habe bezeichnen wollen. Wir vernahmen auch die Versicherung des Herrn, daß Er, ehe Abraham war, bereits bei Gott gewesen sei. Aber eine verschmitzte Schriftauslegungskunst weiß sich auch hier zu helfen, und versichert, daß Christus mit solchem Ausspruch nur habe sagen wollen, Er habe dem Geiste und der Gesinnung nach bereits vor Abraham existirt, z. B. in den frommen Ur-Vätern Henoch, Methusalem, Noah u. s. w., oder sei schon in sofern dagewesen, als es bereits, ehe Abraham geboren ward, im Plane Gottes gelegen habe, Ihn zu senden. Ihr seht, es fehlte noch an einem Ausspruch aus Seinem Munde, an welchem alle Künste menschlicher und dämonischer Wortverdreher zu Schanden würden. Ein Zeugniß über Jesu Person blieb noch zu wünschen übrig, an dessen feuerfestem, probehaltigem Kerne der letzte Zweifelspfeil zersplittern müßte. Ja, für eine überaus begehrenswerthe Sache mußte es erachtet werden, daß der Herr einmal ganz unzweideutig mit dürren Worten, für Jedermann verständlich, und wo möglich in feierlicher Eidesform frei heraus erklärte, wer Er sei, und wer nicht. Und wisset, dies eben soll jetzt geschehen. Er ist gefragt, gerichtlich gefragt, von competenter Behörde gefragt, ja, gefragt von dem höchsten, weil göttlich installirten und den Stuhl Mosis einnehmenden Gerichtshofe der Welt, ob er Jehova wesentlich gleich, ja selbst Jehova, der wahrhaftige Gott und das ewige Leben sei; denn nichts Geringeres, als dies, bedeutete der Titel: „Christus, der Sohn Gottes, des Hochgelobten,“ in eines bibelgläubigen Israeliten Munde. Wer denn Ohren hat, zu hören, der höre, was Angesichts des Gottes, der sich nicht spotten läßt, der Mann von sich bezeugt, in dessen Munde auch nach dem Zugeständnis, seiner Mörder nie ein Betrug erfunden ward. So ist denn die Sache des Christenthums auf der Spitze der Entscheidung angelangt. Mein Gott! welch ein Moment, der in die Weltgeschichte eintrat! Neiget eure Ohren, eure Herzen!
Da steht Er, der wunderbare Mann, vor den Schranken seiner Richter. Hoheit und Größe scheinen auf seinen Feinden nur zu ruhen; an Ihm erscheint nur Niedrigkeit und Armuth. Da steht Er, gesenkten Hauptes und gebundener Hand, gleich einem Räuber von Bewaffneten umstellt, zum Umsinken matt von allem Leid, das ihn bereits betroffen hat. Ein Fegeopfer der Welt, ein Elender sonder Gleichen steht er da; und denkt! an diesen gebeugten und geschlagenen Mann im ärmlichen Gewande ergeht nun aus dem Munde des Ersten und Angesehensten der Nation die feierliche Aufforderung, daß Er bei dem lebendigen Gott bezeugen wolle, ob er sei Christus des hochgelobten Gottes Sohn! - So muß Er denn aus Seiner letzten Verhüllung heraus; aber auch im Dunkel der tiefsten Erniedrigung noch ist Er sich klar bewußt, wer Er sei; und mit Freuden lüftet Er den Schleier. So lange es nur um elende Anschuldigungen Seiner Person sich handelte, schwieg er im Bewußtsein Seiner Unschuld, damit wir einst im Gerichte möchten reden können. Nun aber die Sache eine so ganz andere Wendung genommen hat, liegt es ihm ob, der Wahrheit Zeugniß zu geben, und sich auf das bestimmteste über seine Person zu erklären. Er weiß, seine Antwort bringe Ihm den Tod; aber Er darf mit ihr nun nicht mehr an sich halten. Zum Reden drängt Ihn die Ehrfurcht vor dem heiligen Namen, bei welchem Er beschworen wird; die Unterwürfigkeit, die Er der amtlichen Würde dessen zu schulden glaubt, der Ihn zum Eide fordert; Sein heiliger Eifer für die Wahrheit; und vor Allem Seine zärtliche Fürsorge für uns, die armen, zweifelmüthigen Sünder, zu deren Erlösung Er im Gerichte steht. Es ist ja nicht der Hoherath allein, vor den Er sich gestellt weiß; Seine ganze Kirche sieht Er im Geist um sich her versammelt. Er sieht, wie eine Welt in diesem Augenblicke vor Spannung den Athem anhält, und alle Geschlechter der Erde erwartungsvoll sich um Ihn schaaren. Das Ohr Seiner ganzen Gemeine bis an das Ende der Tage sieht Er an Seinem Munde hangen, und ist sich bewußt, daß der Augenblick gekommen sei, in welchem Er dem Glauben derselben für Jahrtausende einen neuen unerschütterlichen Pfeiler und Felsen unterschieben soll. So öffnet Er denn Seinen Mund, und vor dem Throne des lebendigen Gottes, besonnen, bei klarstem Bewußtsein, förmlich und feierlich, bezeugt, versichert, betheuert Er: „Du sagst's; Ich bin es!“ - Hört, hört! Da habt ihr Sein Bekenntniß! Welch ein „Ja“ dies! Dieses „Ja“ macht allem Hader ein Ende. Dieses „Ja“ untermauert den Glauben an Seine Gottheit mit einem Fundamente der Ewigkeit. Dieses „Ja“ besiegelt die ganze Erlösung, und gräbt allen unsern Zweifeln und Bedenken auf ewig das Grab. Und glaubt es, wäre der Schwörende damals nicht zugleich das Opferlamm gewesen, zum Dulden ausersehen, Millionen Stimmen hätten Sein Zeugniß mit ihrem Amen besiegelt. Die Engel wären mit goldenen Harfen über Ihm erschienen, und hätten Ihm zugejauchzt: „Ja, Christe, du bist es;“ und der ewige Vater selbst hätte aufs neue, und zwar mit der Stimme, die die Berge erzittern macht, vom Himmel herab gerufen: „Dieser ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“ - Doch vernehmt! Damit auch nicht ein Schatten von Zweideutigkeit über dem Sinn seines Zeugnisses schweben bleibe, fügt der Heiland ergänzend seinem eidlichen „Ja“ noch ein Weiteres hinzu. Er lüftet die Schleier der Zukunft, und spricht: „Ich sage euch: von nun an wird es geschehen, daß ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten Hand der Kraft (d.i. mit Gott die Welt regierend), und kommen in den Wolken des Himmels,“ (nemlich Gericht zu halten über die Lebendigen und die Todten.) Mit seiner Auferstehung und Himmelfahrt begann dies große Wort sich zu erfüllen. Die Erfüllung schritt fort mit der Ausgießung des heiligen Geistes und der Gründung Seiner Kirche, und in ununterbrochenem Siegesgange ihrer Vollendung entgegeneilend, wird dieselbe einst unter dem millionenstimmigen Lobgesange: „Nun sind die Reiche dieser Welt unsres Gottes und seines Christus worden,“ ihren Zielpunkt erreichen.
„Was bedürfen wir weiter Zeugniß?“ rief der Hohepriester, nachdem die eidliche Versicherung des Herrn erschollen war. Und nicht wahr, Freunde, ihr gebt es zu, daß er Recht hatte in diesem seinem Ruf: denn unmöglich hätte die Gottheit Christi unzweideutiger bezeugt werden können, als es nun dort vor dem Hohenrathe durch Ihn selbst geschehen ist. „Wohl,“ höre ich sagen; „aber“ - - Wie, noch ein Aber? - Was für ein Aber doch? - „Ja,“ sprecht ihr, „wer weiß, ob jenes Zeugnis; wirklich aus Seinem Munde gegangen ist?“ - Wie, das bezweifelt ihr noch? Dann zweifelt nur die ganze Weltgeschichte an: denn so ist die geschichtliche Thatsächlichkeit keines Ereignisses bestätigt, wie diejenige jener eidlichen Bezeugung Jesu. Schon die Folgen, die jenes Sein Zeugniß gehabt, besiegeln's vollkommen: denn um jenes Zeugnisses willen ist Christus gekreuzigt worden. Im Glauben an jenes Zeugniß sind alle seine Apostel freudig in den Tod gegangen. Ueber jenes Zeugnisses Grunde hat sich die Kirche erhoben, in der ihr geboren seid. Und fragt einmal den alten, wunderbaren Gewährsmann, der noch unter uns lebt, ich meine das Volk Israel, dem ihr eine eiserne Treue und Consequenz in Bewahrung seiner nationalen Ueberlieferungen nicht absprechen werdet; fragt jeden Juden, der euch auf der Straße begegnet, warum Jesus gekreuzigt worden sei, und er wird euch verwundert darum ansehen, daß ihr das nicht wisset, und wird, ohne sich zu besinnen, im Namen seines ganzen Volkes euch die Antwort geben: „Gekreuzigt ist der Nazarener, weil er sich meineidig Gott gleichgestellt, und hiemit einer Gotteslästerung sich schuldig gemacht hat.“ Ja, der Herr Jesus schwur wirklich jenen Eid, und so ist denn nun der Moment gekommen, Brüder, Schwestern, in dem ihr euch zu einer Entscheidung entschließen müßt. Heraus aus den Verstecken, in die ihr euch mit der scheinbar huldigenden Anerkennung zurückgezogen habt, Jesus sei der herrlichste, weiseste, heiligste und nachahmungswürdigste aller Menschen, aber immer doch nur ein Mensch gewesen. Für solche Vorstellung, für diese sogenannte „rechte Mitte“ bleibt schlechterdings kein Raum mehr. Vielmehr bleibt hier nur die Wahl, daß ich so sagen mag, zwischen zwei Extremen. Entweder war Christus der, für den Er sich eidlich ausgab; oder Er war der nicht. Haltet ihr dafür, Er sei der Gottgleiche nicht gewesen, dann liegt es euch als vernünftigen und folgerichtig denkenden Leuten ob, den Hohenpriester zu loben, der, in frommer Entrüstung sein Kleid zerreißend, laut daherrief: „Er hat Gott gelästert! Jetzt habt ihr seine Gotteslästerung gehört!“ Es liegt euch ob alsdann, unumwunden zu bezeugen, daß nie ein gerechteres Urtheil in der Welt gefället worden sei, als jenes, und festen Ganges zum Tempelberge hinan zu schreiten, um das Bluturtheil des Hohenrathes: „Er ist des Todes schuldig,“ mit zu unterzeichnen. Ja ihr unterschriebt es stillschweigend schon durch eure Verneinung. Als Männer von Consequenz und Ehre müßt ihr aber dann noch weiter gehen. Warum setzt ihr dann noch einen Fuß in eine Kirche, wo - Er vergebe den Ausdruck! - der größte Lügner, den die Welt gesehen, zum Gott gemacht wird? Warum schleppt ihr dann noch den Christennamen mit euch herum, der unter eurer Voraussetzung nichts besser ist, denn ein Brandmal an euren Stirnen? Warum eilet ihr dann nicht, von einer Religionsgemeinschaft euch los zu sagen, die euch zumuthet, vor einem falschen, ja meineidigen Propheten als vor einem Gott das Knie zu beugen? Eure heiligste Pflicht ist es dann, unverzüglich von den Bänken, die ihr eben einnehmt, euch zu erheben und für immer diesen Götzentempel zu verlassen. Thut ihr solches nicht, was bleibt uns übrig, als euch als Schwächlinge, als Menschen, die im grellsten Widerspruche mit sich selbst verharren, ja als Heuchler der gröbsten Gattung zu verachten? - War Er aber der, für den Er eidlich sich erklärte, - und ich bitte euch, hört euch nur um, wie viele Tausende von Stimmen in Persönlichkeiten, in Thatsachen und Fügungen der Weltgeschichte Ihm die Ehre geben, daß Er keinen Meineid geschworen habe! - warum zaudert ihr dann, vor einem Könige hinzustürzen, der Macht hat, euch nach Leib und Seele in der Hölle zu verderben? Warum macht ihr dann nicht Anstalt, in die Hände dessen zu fallen, außer dem kein Helfer ist im Himmel und auf Erden? Warum seid ihr dann euch selbst so feind und gram, daß ihr Fluch und Tod euch wählet, obwol das Leben erschienen ist?
Wohlan! ich werfe seine Fahne unter euch auf! Wollt ihr derselben den Rücken kehren, so verkündige ich euch Zorn, Gericht und ewigen Tod: denn Er ist euer König, euer Herr, und ihr seid Rebellen, die nicht wollen, daß Er über euch herrsche. Doch nein, nicht wahr, ihr gebet dem Unglauben heute Valet, und sprechet nicht mehr von einem Menschen Jesus, sondern huldiget Ihm als dem, der zugleich Gott ist, hochgelobet in Ewigkeit! Ja, sie sind vorüber die Tage, da ihr die Unterwerfung Ihm versagtet, die Ihm gebührt. Laßt mir die Hoffnung, daß ihr heute einen Bund mit mir schließet, Seiner nicht länger mehr euch schämen zu wollen, und schreibt mit mir, die Thüren eurer Herzen und Häuser Ihm erhöhend, und anbetend zu seinen Füßen niederfallend als Losung in euer Lebensfähnlein: „Alles und in Allem Christus!“ Amen.