Als eine der geheimnißvollsten Gestalten der Urgeschichte des Reiches Gottes begegnet uns, dem Monde vergleichbar, der durch Wolken bricht, (1 Mos. 14, 18) Melchisedek. Priester und König in einer Person, Herr über Salem, die „ Stadt des Friedens“, vaterlos, mutterlos und ohne Geschlecht (d. h. des für den Aaronitischen Priester unentbehrlichen Nachweises seiner Abstammung, in der biblischen Urkunde wenigstens, ermangelnd), ohne Anfang der Tage und ohne Ende des Lebens (sofern nemlich weder des einen noch des andern in der mosaischen Erzählung gedacht wird), steht er da als der merkwürdigsten und hervorragendsten Typen des zukünftigen Messias einer. Schon der 110. Psalm schaut ihn aus diesem Gesichtspunkte an; und welch' ein helles Licht der Hebräerbrief im 7ten Kapitel über jene „dem Sohne Gottes verglichene“ hieroglyphische Erscheinung uns verbreitet, muß euch ja bekannt sein. Das Vorbildliche in der Person Melchisedeks beschränkt sich aber nicht blos auf die eben angegebenen Züge, sondern dehnt sich bis auf das Verhältniß aus, in welches wir ihn zu dem aus dem Kampfe mit Kedor Laomer und dessen Bundesgenossen siegreich wiederkehrenden Abraham sich stellen sehn. Er tritt dem Vater aller Gläubigen im Weichbilde Salems huldvoll entgegen, ertheilt, als der Größere, denn Abraham, diesem, und in ihm dessen Samen, seinen priesterlichen Segen, reicht ihm Brod und Wein zur Stärkung und Erquickung dar, und Abraham entrichtet ihm den Zehnten von aller seiner Beute. Wie beziehungsreich ist dieses Alles! Wie bedeutsam sehen namentlich die jedenfalls als Symbole aufzufassenden Elemente des Brodes und des Weines in der Hand des Priestertöniges uns an! Ihrem nächsten Sinne nach bedeuten dieselben allerdings im Allgemeinen die Schätze des Friedens und der Freude, welche der wahre Melchisedek der Menschheit bringen werde. In ihrem tieferen Gehalte aber sehen wir sie bis auf das Opfer des Leibes und Blutes Christi, und schließlich gar bis auf das heilige Abendmahl, in welchem dem geistlichen Abrahamssamen der gekreuzigte Leib und das vergossene Blut des wahren Hohenpriesters als Speise und Trank des ewigen Lebens dargereicht werden sollte, hinüberzielen. Also schon an der Schwelle der göttlichen Reichsgeschichte ein Vorbild unseres Sakraments! Wie hoch heißt schon dieser Umstand von des Sakramentes Bestimmung, Sinn und Zweck uns halten!
Matthäus 26, 26 u. 27. Marcus 14, 22-24. Luk. 22, 19 u. 20.
Da sie aber aßen, nahm Jesus das Brod, dankte, und brach es, und gab es den Jüngern, und sprach: Nehmet, esset, das ist mein Leib, der für euch gebrochen und gegeben wird; das thut zu meinem Gedächtniß; desselbigen gleichen nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl, und dankete, und gab ihnen den, und sprach: Trinket alle daraus.
So thut sich denn das Heiligthum selbst vor uns auf, auf dessen Vorstufen wir mit unserer letzten Betrachtung steh'n blieben. Die Schuhe von den Füßen! Der Ort, den wir betreten, ist heilig Land! - Wer, wenn er's nicht schon wüßte, sollte glauben, daß die eben verlesenen, einfachen und unscheinbaren Worte, in einem noch unscheinbareren abendlichen Freundeskreise gesprochen, die Stiftungsurkunde einer Feier enthielten, welche, von Jahrhundert zu Jahrhundert sich vererbend, ganze Völker und Reiche mit deren scheinbar für die Ewigkeit gegründeten Staatsordnungen und Religions-Verfassungen überdauern, und bis ans Ende der Tage in zusehends sich erweiternden Kreisen erhalten würde? Und doch hat sich's so. Wer kann darum noch zweifeln, daß wir es hier mit göttlich gebieterischen, ja, mit schöpfungskräftigen Worten des Königes aller Könige zu thun haben?
Jene Worte selbst, und noch nicht der durch sie in's Leben gerufenen Stiftung Wesen und Sinn, mögen unsrer heutigen Betrachtung zum Grunde liegen. Wir verweilen mit unsrer Erwägung zuerst bei ihrer Form; und schauen dann die Handlungen an, die der Herr mit jenen Worten begleitete.
Führe uns der Geist des Herrn in alle Wahrheit, und entsiegle er uns selbst das erhabene Geheimniß, vor dem wir stehn!
Das Ostermahl in dem trauten Freundeshause zu Jerusalem ist genau nach israelitischem Brauch gehalten, das Lamm mit tiefbewegtem Gemüth von den Gästen verzehrt, und der Festbecher nach herkömmlicher Sitte zu verschiedenen Malen herumgereicht. So wäre nun der Moment gekommen, da unter Anstimmung des großen „Hallel“, oder Psalmlobgesanges die Tafel aufgehoben, und den Gästen hiedurch das Zeichen zum Ausbruch und Heimzug ertheilt werden müßte. Was aber ereignet sich statt dessen? Der Meister, auf den Aller Blicke gerichtet sind, erhebt sich allerdings von seinem Sitze, aber nicht, wie man bald bemerkt, um den Saal zu verlassen, sondern um einen neuen, noch feierlicheren Akt, als das Passahmahl, einzuleiten. Er nimmt hausväterlich aufs neue das Brod, bricht's, gibts nach vorhergegangener Danksagung seinen Jüngern, und ihr kennt die Worte, mit denen er diese Handlung begleitete. Dann reicht er ihnen ebenso den Kelch, gebeut Allen, daraus zu trinken; und was er bei diesem Akte sprach, wißt ihr gleichfalls. Die Apostel werden uns im Himmel einst davon erzählen, wie in diesen Augenblicken seine ganze Haltung eine feierlichere geworden sei, seine Stimme sich wunderbar gehoben, und sein Auge in hellerm Glanz geleuchtet habe, denn zuvor. Zugleich aber werden die Verklärten dann auch den befriedigendsten Aufschluß darüber uns ertheilen, aus welchem Grunde sie uns die Einsetzungsworte ihres Meisters nicht in vollständig übereinstimmender Form und Fassung überliefert haben. - „Das hätten sie wirklich nicht?“ Nein, Freunde. Bei Matthäus und Marcus spricht der Herr beim Brechen des Brodes: „Nehmet, esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird, das thut zu meinem Gedächtniß. - Nach Paulus 1. Cor. 11 sprach er dasselbe; bediente sich jedoch statt des „der für euch gegeben,“ des Ausdrucks: „der für euch gebrochen ist.“ Bei Matthäus spricht er bei Darreichung des Kelches: „Trinket Alle daraus; denn das ist mein Blut, das des neuen Testaments, welches vergossen wird für Viele zur Vergebung der Sünden.“ - Bei Marcus fehlt sowol das „Trinket Alle daraus,“ als das „zur Vergebung der Sünden.“ - Lucas läßt den Herrn sagen: „Dieser Kelch ist das Neue Testament in meinem Blute, das für euch vergossen wird.“ Paulus zwar ebenso; doch läßt er den Herrn hinzufügen: „Solches thut, so oft ihr's trinket, zu meinem Gedächtniß.“ - Offenbare Verschiedenheiten also, wenn auch nichts weniger, als Gegensätze und Widersprüche. Wie hat man sich aber dieses Variiren der vier Berichterstatter zu erklären? Es sind darüber, wie ihr denken könnt, seit achtzehn Jahrhunderten der Vermuthungen nicht wenige aufgetaucht. Gegen die, unbegreiflicherweise sogar von manchen Gläubigen getheilte, Annahme, als habe der eine und andere der vier Berichterstatter sich verthan, und nicht mehr mit vollständigster Genauigkeit auf den Wortlaut der Rede Jesu sich besinnen können, muß ich als wider eine Erfindung des Unglaubens, oder doch der Glaubensschwäche protestiren. Die Apostel wurden bei Abfassung ihrer heiligen Schriften vor jedem Irrthum bewahrt. Hatte ihnen doch ihr Herr und Meister die ausdrückliche Verheißung gegeben, daß der Tröster, der Heilige Geist, sie in alle Wahrheit leiten, und alles dessen sie erinnern werde, das er zu ihnen geredet habe. Und dieser Geist sollte bei einer so gewichtvollen Sache, wie die Anordnung unseres Sakramentes, jenes seines Amtes gefehlt, und nicht vielmehr desselben grade hier aufs pünktlichste gewartet haben? Glaube dies, wer da wolle, ich werde es nimmer glauben. „Aber die Abweichungen,“ wendet ihr ein, „sind nun doch einmal vorhanden; und wie willst du ihre Ausgleichung erzielen?“ Brüder, nicht einen Augenblick ist mir's zweifelhaft, daß der Herr die Worte, welche die vier Berichterstatter ihm in den Mund legen, auch sämmtlich gesprochen habe, und daß die vier Zeugen sich in ihren Darstellungen nur wechselweise ergänzen. - Aber wie sprach denn nun der Herr? Sagte Er: „Dies ist mein Leib, für euch gegeben, oder für euch gebrochen?“ Sagte Er: „Dieser Kelch ist das Blut des neuen Testaments;“ oder: „Dieser Kelch ist das Neue Testament in meinem Blute?“ Sprach Er: „Das Blut, das für euch;“ oder „das für Viele vergossen wird?“ - Ich lebe der Ueberzeugung, daß er bei Austheilung des Brods und Darreichung des Kelchs mehrmals die Einsetzungsworte wiederholte, und sie bald in dieser, bald in jener Fassung aussprach. - Freilich war es nicht gleichgültig, daß wir in dieser Sache unsern Fuß auf sicheren Boden sehen, und mit vollster Bestimmtheit sagen konnten: „Dies sind die urkundlichen Stiftungsworte des Herrn in ihrer authentischen, d.i. rechtsgültigen, weil vom Herrn selbst herrührenden, Zusammenfassung! Dies ist ihre wesentliche Grundsubstanz; dies die heilige Formel, die für alle Zukunft nach dem Willen unsres Meisters selbst die stehende bleiben, und bei der Feier des heiligen Abendmahls immer wieder verlauten soll!“ - Um nun aber solchem Bedürfnisse seiner Kirche auf Erden wirklich zu entsprechen, hat der Herr nachmals die große Gnade gehabt, in einer unmittelbaren Offenbarung seinem Apostel Paulus eine unzweideutige Eröffnung über die Einsetzungsformel seines Sakraments zu ertheilen. Hört den Apostel 1 Corinth. 12, 1: „Ich habe es,“ spricht er, „von dem Herrn empfangen, das ich euch überliefert habe; nemlich dieses: „daß in der Nacht, da er verrathen ward, nahm er das Brod, dankete,“ und wie es weiter heißt.
Ganz unverkennbar bezeugt hier der Apostel, daß er nicht etwa aus Mittheilung anderer Jünger, sondern direkt und unvermittelt von dem Herrn seine Belehrung über die Einsetzung des heiligen Abendmahls erhalten habe. Das Wesen der Einsetzungsworte findet demnach seinen Ausdruck beim Brode in der Formel: „Das ist mein Leib, der für euch gebrochen wird; Solches thut zu meinem Gedächtniß;“ - und beim Kelche in dieser: „Dieser Kelch ist das Neue Testament in meinem Blut; Solches thut, so oft ihr's trinket, zu meinem Gedächtniß.“
Dies über die Form der heiligen Einsetzungsworte. Werfen wir nun einen Blick auf die Handlungen, die der Herr mit jenen Worten begleitete. Zuerst lesen wir: „Der Herr nahm das Brod.“ Merkt, Brod nahm er, und nicht etwa Fleisch vom Osterlamme. Letzteres schon darum nicht, damit er keinerlei roh-sinnlichen Vorstellungen vom heiligen Abendmahle, wie dergleichen z. B. schon in Capernaum auftauchen wollten, irgendwie Vorschub leistete, und von vornherein dem Irrthume begegnete, als bleibe auch im neuen Testamente noch Raum für das Opferwesen der alten Hütte, welches ja in Ihm als ein kraftloses Schattenwerk zu seiner vollen Endschaft gediehen war. Das Brod, das er nahm, war das ungesäuerte Osterbrod; in welchem Umstände jedoch sicher nicht ein Wink für die spätere Wahl des sakramentlichen Elementes liegen sollte. Die ersten Christen, die Apostel an ihrer Spitze, bedienten sich bei ihrer Communion, welche sie fast täglich am Schlusse ihrer gemeinsamen Liebesmahle zu feiern pflegten, des gewöhnlichen, das heißt des Brodes, das sie über Tische aßen, also des gesäuerten. Brod nahm der Herr, dieses uns unentbehrlichste aller Nahrungs- und Erhaltungsmittel; dieses durch die gewaltsamen Prozesse des Dreschens, Mahlens, Knetens und Backens aus der kostbarsten Frucht der Erde gewonnene Produkt, welches ein so überaus treffendes Bild Desjenigen abgibt, ohne Den wir kein Leben haben nach dem Geist, sondern dem ewigen Tode verfallen sind. - „Aber das Brod nur ein Emblem, ein Bild?“ - Nun, werdet ihr in Abrede stellen wollen, daß wir die Elemente des Abendmahls zunächst als Zeichen, Symbol und Bild zu fassen haben? Wolltet ihr's, so müßtet ihr das Wort des Herrn Joh. 6 überhören: „Ich bin das wahrhaftige Brod vom Himmel gekommen, und gebe der Welt das Leben,“ und wie manche seiner Worte sonst. Ja wohl, jenes „Waizenkorn“ Gottes, das, damit es nicht alleine bliebe, sondern viel Frucht brächte, in die Erde fiel, und durch die Gethsemanesglut und das Kreuzesfeuer zur Seelenspeise der armen Sünder bereitet ward, spiegelt sich, wie die Sonne in einem Thauestropfen, in dem Nachtmahlsbrode, und wird durch dasselbe zunächst uns vor Augen gemalt und repräsentirt. - Nachdem der Herr das Brod genommen, hob er seine Augen gen Himmel, und „dankete,“ d. h. ergoß sich in lauter Lobpreisung seines himmlischen Vaters. Für was dankte er? O Brüder, für was Anderes doch, als für den Rathschluß der göttlichen Erbarmung, für unsre, der armen Sünder, Erlösung, die er im Geiste schon in seinem Blute vollendet sah, und für der fluchwürdigen Adamskinder Errettung aus des Teufels Gewalt und aus der Hölle Rachen? Waren wir es doch, wir fluchwürdigen Rebellen, auch du und ich, die Ihm Tag und Nacht auf dem Herzen lagen, um deren Wiederbringung all sein Sorgen und Bekümmern sich bewegte, und deren Erhöhung und Beseligung sein höchstes Interesse und süßestes Hoffen war. Er „dankete.“ O, mit welcher anbetungsvollen Wonne werden die heiligen Engel diesen köstlichen Weihrauch in ihre güldenen Schalen gefaßt und zu Gott emporgetragen haben! - Er „dankete.“ - Wir sollten danken. Aber wohl uns, daß er auch in diesem Stücke, wie in Allem, uns vertritt, und unsre Schulden mit seinem Gehorsam deckt, unsern Mangel mit seiner Fülle erstattet! - Uebrigens dankte er nicht blos, sondern segnete zugleich nach Matthäi Ausdruck. Freilich bedeutet das Wort „Eulogein“ bei diesem Evangelisten ebensowol danken und lobpreisen, wie das Wort „Eucharistein“ bei Lucas und Paulus; und es würde nicht eben ein großer Nachdruck darauf zu legen sein, daß es auch den Begriff des Segnens in sich schließe, wenn nicht Paulus 1. Kor. 10, 16 desselben Wortes sich bedienend, den Kelch den „gesegneten“ oder den „Kelch der Segnung“ nennete. Nicht aber über den Kelch nur, sondern auch über das Brod sprach der Heiland seinen Segen. Und wozu? Etwa um die Elemente von dem gewöhnlichen und profanen Gebrauche zu einem höheren, geistigen und heiligen auszusondern? Unzweifelhaft bezweckte er auch dies. Aber wo der Hohepriester Jesus segnet, da mögen wir nur gleich an Wesentlicheres gedenken, als an eine bloße Bezeichnung und Zweckbestimmung eben gedachter Gattung. Wirkung gibt es da, und es bleibt Reales zurück. Und o, wie überschwänglich Reiches und Großes ist bei dem Brod und Wein der Communion von jenem Segensspruche des Herrn zurückgeblieben! Wie vielen Tausenden ward, seit jenem festlichen Abende zu Jerusalem, durch Vermittlung dieser unscheinbaren Elemente himmlische Erquickung, Stärkung und Ermuthigung dargereicht! Wie Manchen ist im Laufe der achtzehn Jahrhunderte durch sie das wunde Herz geheilt, der matte Geist belebt, und namentlich der Gang durchs dunkle Sterbethal erhellt, erleichtert und versüßet worden! Und wie Unzählige werden in Zukunft noch, bis an das Ende der Tage, deß Alles sich zu erfreuen haben! Seht, dies ist des Friedensfürsten Segen. Der Segen Immanuels reicht „bis zu der Wonne der ewigen Hügel.“
Nach geschehener Danksagung und Segnung „brach“ der Herr das Brod. Auch dies, wie er gleich darauf in den Worten: „Das ist mein Leib, für euch gebrochen,“ selbst erklärt, nicht ohne Absicht, nicht ohne tieferen Sinn. Es haben deßhalb auch sämmtliche apostolischen Berichterstatter nicht unterlassen, dieses Brechen des Brodes ausdrücklich zu melden. Jesus brach's zum symbolischen Zeugnisse von dem, was bald mit seinem eigenen Leibe geschehn, und wodurch er erst zum Sühnopfer und zum Lebensbrod uns werden würde. Sein Sterben malt er mit dem Brodbrechen seinen Jüngern vor Augen; und die erhabene, bewunderungswürdige Ruhe, womit er dies thut, zeuget nur wieder von der unendlichen Sünderliebe, die Sein Herz für diejenigen durchglühte, denen das große Opfer gelten sollte. In der ersten Kirche vergaß man bei der Feier des heil. Mahles nie nach Christi Vorgang das Brod, ehe man sich's reichte, zu brechen; und wenn später dieser Gebrauch abhanden, und statt des Brodes die sogenannte Hostie aufkam, so ist dies, wenn es auch für etwas Erhebliches und Wesentliches grade nicht zu erachten ist, doch eine mit nichts zu rechtfertigende Abweichung von der ursprünglichen Sitte. Luther behielt die Weise der römischen Kirche bei. Wenn dagegen wir den ursprünglichen Gebrauch wieder herzustellen uns bewogen fanden, so verfuhren wir hierin nur biblisch, und darum mit voller Berechtigung. Gottes Wort steht uns allewege über aller Menschensatzung, und dürfte diese auch sich rühmen, die theuern Reformatoren zu ihren Urhebern zu haben. Haben doch diese Gottesmänner selbst ausdrücklich von uns gefordert, daß wir, wo es nöthig erschiene, ihr Werk nach der einzig untrüglichen Richtschnur der heiligen Schrift vervollständigen und verbessern möchten. - Das gebrochene Brod reicht der Herr seinen Jüngern dar; und hier erblicken wir Ihn so recht in seinem Amt und Lieblingsberufe. Geben, Darreichen, Mittheilen ist seine Lust. Wie damals, so ist seine Hand bei seinem Liebesmahle auch heute noch ausgestreckt, wenn auch jetzt verhüllt in die Hand seines menschlichen Botschafters und Dieners. Wir, seine armen Knechte, treten bei der Verwaltung der Communion für unsre Personen ganz zurück. Nichts sind wir da, als seine Werkzeuge und Organe. Er ist immer wieder selbst der spendende Wirth, der darreichende Geber. Deßhalb ertönen beim heiligen Mahle auch nur seine Worte, und andre Worte, wie schön und glaubensstark sie klingen möchten, sollen und dürfen dabei nicht verlauten.
Bei der Kelchstiftung wiederholte sich, was bei der Weihung des Brodes geschah. Nach erneuerter Danksagung und Segnung reicht der Herr denselben seinen Jüngern, und fordert sie auf, alle daraus zu trinken. Er nennt den Wein sein „Blut“, wie er das Brod seinen „Leib“ nannte; und beide Elemente vereint bezeichnen und vertreten somit den ganzen Christus, sofern derselbe sein Leben, das „im Blute“ ist, für uns zum Schuld- und Sühnopfer in den Tod gab. Daß der Herr nicht etwa Wasser, sondern Wein zum Symbol seines vergossenen Bluts sich ersah, geschah aus tiefen Gründen, und erweitert und vermannigfaltigt nur den Gedankeninhalt des gewählten Bildes. Christus ist der wahrhaftige „Weinstock“, und wir haben nur ein göttliches Leben in uns, sofern wir, den Reben vergleichbar, mit Ihm verwuchsen, und mit Seinen Kräften getränkt und durchdrungen wurden. Der Wein erinnert überdies an die Angst- und Marterkelter, in der der Sohn Gottes erst zu unserm Heiland und Mittler zubereitet ward; und deutet dann auf die Fülle himmlischer Ermuthigungen, Freuden und Wonnen hin, welche Christus gleichsam als Zuthat und Ueberschwang seinen Gläubigen darreicht, während das Brod mehr das zu ihrer Rettung und Seligkeit Nothdürftige und schlechthin Unentbehrliche veranschaulicht, welches sie an seiner Erlösung und Vertretung besitzen.
Wir schließen. Wenn wir das Ziel des Verständnisses unseres Sakraments noch nicht erreichten, so sind wir demselben doch wieder um eine bedeutende Strecke näher gekommen. Helfe der Herr uns weiter, und stelle er auch in der Abendmahlslehre unsre Füße auf einen festen und gewissen Grund, auf daß auch wir in tiefer Wahrheit sprechen können:
Mich stört kein Schulgezänke mehr,
Noch fahr ich zweifelnd mehr umher,
Seitdem Du selber mir gedeutet,
Was Du in Deinem Bundesmahl
An Gnaden sonder Maß und Zahl
Mir armem Sünder hast bereitet.
Ich folge still der Biene Spur
Auf Deiner Heilsgebäudenflur, - Amen.