Einer der erschütterndsten Auftritte, denen wir in der Geschichte Israels begegnen, war derjenige, da nach 1. Sam. 4. in den Tagen des Hohenpriesters Eli der aus der blutigen Schlacht mit den Philistern entronnene Unglücksbote gen Silo kam, und mit der Nachricht von der gänzlichen Niederlage Israels zugleich die noch ergreifendere überbrachte, daß die Bundeslade in die Hände der Heiden gefallen, und Eli's beide Söhne, Hophni und Pinehas, auf der Wahlstatt geblieben seien. Für Eli, den acht und neunzigjährigen Greis, war dies des Niederschmetternden zu viel. Wie von einem Wetterstrahl getroffen sank er rücklings von seinem Sitz und brach das Genick. Seine Schnur, des Pinehas Weib, nannte das Söhnlein, das sie in demselben Moment vor Bestürzung sterbend gebar, mit ihren letzten Athemzügen „Ikaboth!“ und verdolmetschte diesen Ausruf selbst mit den herzbrechenden Worten: „Die Herrlichkeit Israels ist dahin, denn die Lade Gottes ist genommen!“ Vieltausendstimmig hallte diese Wehklage des armen Weibes in dem zum Himmel dringenden Geschrei des ganzen Volkes wieder. Einen Trauertag, wie diesen, hatte Israel noch nie erlebt. Das fruchtlos hingeopferte Blut seiner jungen Mannschaft, der Triumph der Unbeschnittenen, und dazu der Verlust seines höchsten Kleinods, der heiligen Lade, die den Israeliten unendlich mehr bedeutete, als was den Griechen ihr Palladium: welche Häufung von Unglück! Die Bundeslade war den Kindern Israel das sichtbare Symbol und Unterpfand der Gnadengegenwart ihres Gottes. Jehova selbst hatte sie durch seinen Knecht Moses dazu verordnet. Erachten wir dies nicht unter Gottes Würde. Groß ist der Herr, wo er seine Majestät vor uns entschleiert, damit sie uns die unermeßliche Kluft beleuchte, die scheidend zwischen ihm und aller Kreatur befestigt sei; aber nicht minder groß, wo er leutselig zu seinen Geschöpfen sich herabläßt, den Bedürfnissen ihrer Schwachheit sich bequemt, und, um mit Salomo zu reden, „auf dem Erdboden spielend,“ durch Bilder und greifbare Zeichen sich ihnen offenbaret und verständlich macht. Ein Zeichen dieser Art war die heilige Lade, und als solches diente sie zugleich als Klammer und Reif, Israel zu einen und zusammenzuhalten. Was Wunder, daß dem Schmerze, mit welchem damals das ganze Volk dem Weibe des Pinehas das „Ikaboth!“ nachschrie, an Kraft und Tiefe vollkommen die Freude entsprach, mit der das Volk das Ereigniß begrüßte, dessen wir heute Zeuge sein werden!
2. Sam, 6, 15. David sammt dem ganzen Israel führete die Lade des Herrn herauf mit Jauchzen und Posaunen.
David steht auf dem Höhepunkte sowohl seiner königlichen Macht als seines geistlichen Lebens. Der Herr hat, wie er rühmend singt, „seinen Berg stark gemacht,“ er fähret auf mit Flügeln wie ein junger Adler. Die bedeutsame Feier der Einholung der Bundeslade ist es, zu der wir heute kommen. Zwar sehen wir dieselbe zunächst in einer erschütternden Weise unterbrochen; aber dann unter lauter Lobpreisung Gottes in ungetrübter Freude zum Abschluß gedeihen.
Die Feinde Israels sind gedämpft. Von der Zinne der Zionsburg weht die Siegesfahne. Friedensgedanken bewegen Davids Seele. Was längst ihm am Herzen lag, soll setzt zum Vollzuge kommen. Es soll das religiöse Leben, welches trotz des Buß- und Bettags, den man unter Samuel zu Mizpa mit vielen Thränen gefeiert hatte, schon seit den Tagen Eli's in fortschreitendem Verfall begriffen war, neu geweckt, und die gänzlich durchlöcherte levitische Gottesdienstordnung in Israel wiederhergestellt werden. Bereits seit 65 Jahren stand die Bundeslade einsam und verlassen in der auf der Grenze zwischen Juda und Benjamin gelegenen Waldstadt Kiriath Jearim, und dann unter dem Dache des Leviten Abinadab zu Gibea. Abinadabs Sohn, Eleasar, war nach empfangener Weihe zum Hüter derselben bestellt. „Niemand aber,“ heißt es, „fragte mehr nach ihr,“ am wenigsten Saul, der König selber. Die Stiftshütte mit dem Brandopferaltar weilte inzwischen, von der heiligen Lade getrennt, zuerst zu Nob und dann zu Gibeon unter der Hut des Priesters Zadok. Aber auch um sie war wenig Bekümmerns mehr in Israel. David kannte den weissagenden Spruch des sterbenden Moses über den Stamm Benjamin: „Das Liebliche des Herrn wird bei ihm sicher wohnen; allezeit wird er über ihm halten, und wird wohnen zwischen seinen Schultern.“ Er zweifelte nicht, daß dieses geheimnißvolle Wort dahin zu deuten sei, daß Jehova einst jenen Stamm vor allen übrigen zu seiner Offenbarungsstätte sich ersehen werde. Daß aber die Weissagung sonderlich auf Jerusalem, die Perle des Stammes, hinüberwinke, dafür schien ihm schon das uralte Vorbild des Altarbaues und der Opferhandlung Abrahams auf dem Hügel Morija zu sprechen. Hoch fühlte sich feine Seele durch den Gedanken gehoben, daß neben seiner Behausung künftig diejenige des Gottes seiner Väter stehn solle. Wohl war auch ihm bewußt, daß Jehova „nicht wohne in Tempeln mit Händen gemacht“ ; sondern daß „der Himmel sein Stuhl und die Erde seine Fußbank“ sei. Doch, wußte er nicht minder um die anbetungswürdige Herablassung seines Gottes, nach welcher er an einem Orte der Erde vorzugsweise von seinem Volke sich finden lassen, und die Seinen gleichsam an den Stufen seines Thrones, sie segnend, um sich versammeln wolle. Freilich gebührt es den Trägern der weltlichen Macht und Herrschaft nicht, mit dem Schwerte das Rauchfaß in ihrer Hand zu vereinigen, noch zu bestimmen, in welcherlei Formen Gott verehrt werden solle. Aber wenn sich's einem Fürsten, wie damals dem David, an das Herz legt, „wie die Schwalbe ihr Nest“, so geistlicher Weise seine Hofburg dem Tempel anzubauen, und nach dem Worte des Propheten als „Pfleger“ der Kirche Gottes sich zu erweisen, so freuen sich die Frommen im Lande, jauchzend: „Glück zu dem Könige!“ und belassen's den Kindern der Welt, kopfschüttelnd oder gar spöttelnd darein zu sehn.
David berief eine große Versammlung von Kriegs- und Stammobersten, Priestern und Leviten nach Jerusalem, 30,000 an der Zahl, und theilte ihnen den Gedanken mit, der seine ganze Seele erfüllte. Unter Anderm sprach er zu ihnen: „Gefällt es euch, und ist es von dem Herrn unserm Gott beschlossen, so laßt uns allenthalben hin zu unsern Brüdern in dem Lande Israel Boten senden, und die Lade Gottes zu uns herüberholen, nach der wir bei den Zeiten Sauls nicht mehr gefragt haben.“ „Und allem Volke,“ heißt es, „gefiel Solches wohl.“ Sie billigten sein Vornehmen als ein unzweifelhaft dem Willen Gottes entsprechendes. Nachdem nun die Vorbereitungen zu der bedeutsamen Feier getroffen waren, machte sich der König im Geleite der zahlreichen Menge, die aus allen Gauen des Landes sich um ihn vereinigt hatte, nach Kiriath Jearim auf den Weg, „daß er von dannen heraufbrachte die Lade Gottes, von der es heißt: „der Name des Herrn Zebaoth wohnet darauf über den Cherubim.“ Bekanntlich enthielt dieser auf Gottes Geheiß aus dauerhaftem Akazienholz gefertigte und innen und außen mit Goldblech überzogene Schrein die beiden steinernen Tafeln des Gesetzes, daher sie auch „die Lade des Zeugnisses“ genannt ward, und neben denselben (nach Hebr. 3) die Ruthe Aarons, die gegrünet hatte, und ein Krüglein unverweslichen Mannas aus der Wüste. Eine schwere goldne Platte, „der Versöhndeckel oder Gnadenstuhl“ genannt, schloß die Lade. Zwei goldne Cherubsgestalten, mit dem Antlitz einander zugewendet, erhoben sich an den beiden Enden der Platte, und überschatteten, in anbetender Stellung niederblickend, die Lade mit weitausgebreitete!! Flügeln. Sie stellten die über dem Gesetze und dem Volke Israel wachende und waltende Majestät Jehovas dar. Das Ganze aber veranschaulichte sinnbildlich den Thron des Gottes Israels als des ewig heiligen, aber auch als des gnadenreichen und die Welt mit sich versöhnenden Gottes. Denn das Gesetz mit seinen Forderungen und Drohungen erschien b e deckt, eine prophetische Hindeutung dies auf die zukünftige Erlösung, und die Cherubin standen da als solche, die, wie der Apostel Petrus später sich ausdrückt, „gelüstete, in das Geheimniß der Sünderversöhnung hineinzuschauen.“ Einmal alljährlich am großen Versöhnungstage nahte der Hohepriester dem heiligen Schreine, jedoch nicht ohne Opferblut, den Schatten desjenigen, durch welches einst, was vorbildlich im Allerheiligsten des Tempels sich darstellte, seine Verwirklichung erhalten sollte. - Gott offenbarte sich alsdann dem Hohenpriester, wie wir auch von Mose und Samuel lesen, daß Jehova „von dem Orte zwischen den Cherubin her“ mit ihnen geredet habe. Ob er jedesmal in gleicher Weise dem eintretenden Priester sich kundgegeben habe, steht dahin. Der Gnadenstuhl an sich aber blieb dauernd ein göttliches Unterpfand, daß der Herr bei seinem Volke bleiben und ihm Wort und Bund halten werde bis an's Ende.
Nachdem David mit dem Volke in Gibea angelangt war, wurde ein zu dem heiligen Zweck besonders erbauter neuer Wagen herbeigebracht, und die Lade Gottes, in Teppiche gehüllt, aus der Wohnung Abinadabs hervorgeholt und darauf gehoben. Es folgte ein feierlicher Opferakt, und nach demselben setzte sich ein unabsehbarer Festzug hinter dem Heiligthum her in Bewegung. Harfner, Posaunisten und ein großer Chor anderer Musiker mit Blas- und Saiteninstrumenten zog voran. Getragen von harmonischen Akkorden ertönte der vieltausendstimmige Gesang beflügelter Psalmen, welche David selbst zu dieser Feier gedichtet, und wahrscheinlich auch mit ihren Singweisen versehen hatte. Er selbst, der König, folgte im schlichten Levitenkleide ohne irgend ein Abzeichen seiner königlichen Würde unmittelbar dem von Stieren gezogenen Wagen, einstimmend in den Chor mit einer Begeisterung, die sich nicht blos in seinem freudestrahlenden Antlitz und seiner mächtigen klangreichen Stimme, sondern zugleich in allen seinen Bewegungen kund gab. So gelangte man in ungestörtem Jubel bis zu der Tenne Nachon, ohnfern Jerusalem, als plötzlich die feierliche Scene durch einen beklagenswerthen Vorfall unterbrochen wurde. Die von Ufa und Ahio, den Söhnen Abinadabs, geleiteten Rinder, welche den Wagen zogen, traten, vielleicht von dem Vorrath der benachbarten Tenne angelockt, bei Seite aus, der Wagen schwankte und neigte sich, und die Lade schien in Gefahr, von demselben herabzugleiten. Da sprang Ufa bestürzt hinzu, griff nach ihr in wohlgemeinter Absicht, um sie zu halten, und sank in demselben Augenblicke, vom Zorne Gottes geschlagen, todt zur Erde nieder. Man denke sich die Bestürzung, die Aller sich bemächtigte. Der Zug machte halt. Instrumente und Gesang verstummten. Wir theilen den Schrecken des Festzugs. Das Befremden aber, das gleichzeitig jenes Ereigniß in uns hervorruft, ist größer noch, als das, welches die Kinder Israel dabei empfanden. Man schaue aber der Sache etwas tiefer auf den Grund. Das jedem Israeliten bekannte mosaische Gesetz verordnete ausdrücklich, daß das „Heiligthum,“ d. i. die Lade, an Stangen getragen und von Niemandem unmittelbar berührt werden solle, „auf daß ein Solcher nicht sterbe.“ Dieses Gebot war bei der Abholung des Heiligthums außer Acht gelassen worden. Man war nachlässig mit letzterm umgegangen, und hatte weit mehr die Weise, in der einst die Philister das heilige Geräth zurückgebracht hatten, befolgt, als die mosaische Vorschrift im Auge behalten. Getragen mußte die Lade werden, statt gefahren, und zwar von Priestern getragen, und nicht, wie es geschah, von zwei Knaben, die überdies nicht einmal vom Stamme Aarons waren. So trat bei dieser an sich so schönen Feier doch wieder der in Israel eingetretene kirchliche Verfall zu Tage und es that noch, daß dem tiefgesunkenen Ansehn des Gesetzes in einer durchschlagenden Weise wieder aufgeholfen wurde. Durch die Gewohnheit des täglichen Anblicks jenes alten Geräths in ihres Vaters Abinadabs Hause hatten die Söhne wahrscheinlich den letzten Rest von Ehrfurcht vor demselben verloren, so daß sie nichts Absonderliches mehr darin erblickten; und diese gottvergessene Gleichgültigkeit gegen das geheimnißvolle Kleinod war es auch, die den Ufa zu jenem leichtfertigen Zugreifen veranlaßte, welches er, dem ganzen Volk zur Lehre und, Warnung, laut göttlicher Drohung mit seinem Leben büßen mußte. Ein ähnliches Gottesgericht erging einst über Nadab und Abihu, die Söhne des Hohenpriesters Aarons selbst, als sie, leichtfertiger noch, als Ufa, statt des heiligen Feuers vom Opferaltar gemeines mit dem Räuchwerk vor den Herrn brachten. Auch sie tödtete ein Feuerstrahl, der von dem Herrn ausging. Hatten diese sich, wie es freilich scheint, durch unzeitigen und unmäßigen Genuß geistigen Getränkes der dem Dienst am Heiligthum entsprechenden Besonnenheit und Nüchternheit beraubt gehabt, so waren sie allerdings doppelt schuldig und strafbar.
Darf der Begebenheit bei der Tenne Nachon auch eine geistige Deutung gegeben werden, so legt dieselbe uns eine ernste Warnung an das Herz. Sie predigt, daß auch wir der Ehre Gottes schon zu nahe treten, wenn wir uns überhaupt nur um den Sieg und den Fortbestand seiner Sache ernstlich bange werden lassen, und daß wir in bedenklicher Weise die Grenzen der uns geziemenden Selbstbescheidung überschreiten, so oft wir gar zu dem Wahne uns versteigen, als sei es an uns, die Bundeslade vom Untergange zu retten, wenn einmal der Kirchenwagen, von der sie getragen wird, durch die Nachlässigkeit und Untreue derer, die zu seiner Lenkung bestellt sind, dem Abgrunde zuzurollen scheint. In der That fehlt es in unsern Tagen an Ufas-Genossen nicht, die sich gebehrden, als sei es um das Christenthum geschehen, wofern sie dasselbe nicht der Macht moderner Verneinungen gegenüber aufrecht und über'm Wasser hielten. Da sehn wir sie bald in seltsamer Verblendung an demselben herumhanthiren, um es, was immer es koste, dem herrschenden Zeitgeschmacke mundrecht zu machen, und sie merken nicht, daß sie selbst es einem Zersetzungsprozeß überliefern, aus dem es seines wesentlichsten Gehalts entleert als etwas ganz Andres hervorgeht, als es ursprünglich ist und sein will. Bald finden wir sie im Schweiße ihres Angesichtes bemüht, den Unglauben um sie her, vielleicht auch den eignen, zu übertäuben, oder in Ermangelung des Heiligen Geistes durch allerlei andere selbsterwählte Mittel, bald rednerische, bald künstlerische, bald liturgische, das Reich Gottes zu stützen und vom Untergang zu retten. Dieser trotz allen Wohlmeinens doch unheilige, weil eben so kleingläubige als dünkelhafte Eifer erfreut sich gegenwärtig wohl einer göttlichen Nachsicht, wie sie dem Geist und Charakter des Alten Testamentes nicht entsprochen haben würde; doch werden auch ihm die Wehen des Läuterungstiegels schwerlich erspart bleiben. Der Herr begehrt Gehülfen solcher Gattung nicht.
Der „Riß“, den nach dem Ausdruck unserer Geschichte der Herr an Usa that, versetzte ganz Israel in nicht geringe Bestürzung. Dem Könige selbst zitterten bei dieser Kundgebung des göttlichen Ernstes die Gebeine. „Wie mag nun“, rief er mit beklommener Seele aus, „die Lade des Herrn zu mir kommen!?“ Er meinte schon in ihrer Einholung selbst einen eigenmächtigen und darum dem Herrn mißfälligen Schritt gethan zu haben, und wußte nicht Muth zu finden, sie noch weiter voran zu führen. Er ließ sie unterwegs im Hause eines Leviten, Namens Obed-Edom, zurück, und kehrte ohne sie in tiefer Niedergeschlagenheit mit dem erschütterten Festzuge heim. Diese Unterbrechung des schönen Jubelfestes war indeß für jeden eine neue Mahnung, daß Gottes Leutseligkeit und Huld niemals allein, sondern jederzeit im Geleite seiner Heiligkeit gehe. Gott läßt es nicht zu, daß man sündige, und sündigend doch vor ihm sich freue und Feste feiere. Drohen seine Wohlthaten uns zu Leichtsinn und Uebermuth zu verleiten, so werden wir ihn bald, und ob er uns auch den schönsten Tag des Lebens dadurch vergällte, den Stab „Sanft“ wieder mit dem Stabe „Wehe“ vertauschen sehn. Gottes Erziehersorge geht mehr dahin, daß wir ihn, je kindlicher freilich, desto besser, als den Heiligen und Heiligkeit Fordernden fürchten, als dahin, daß wir mit immer ungetrübter Heiterkeit hienieden unsre Pilgerstraße ziehen. So ereignet sich's öfter, daß wir mitten im Ueberschwang des Glückes und der Freude plötzlich veranlaßt werden, in die Klage Hiobs einzustimmen: „Du bist mir verwandelt in einen Grausamen, und zeigest deinen Gram an mir mit der Stärke deiner Hand!“ Wie spricht aber der Prophet? „Was murren die Leute im Leben also?“ ruft er aus; „es murre ein jeglicher wider seine Sünde!“ Mag übrigens auch der Herr zeitweilig sein Angesicht verstellen; mit den Seinen meint er es allezeit treu, und läßt ihnen nach dem Wetter zu seiner Zeit stets die Sonne wieder aufgehn. Wie schmerzlich er sie züchtige, es bleibt doch bei seinem Verheißungsworte: „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselbigen vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen! Siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet.“
Zum ewigen Gedächtniß, daß der Herr ein „eifriger Gott“ sei, der auch die unscheinbarere Uebertretung irgend eines seiner Gebote nicht dulde, nannte David die Stätte, wo der Todesblitz auf das Haupt Usas niederzuckte, Perez-Ufa, d. i.: „Riß“ oder „Wegraffung Ufas“. Obed-Edom, der Levite aus Gad-Rimmon in Manasse, hatte die Lade ehrfurchtsvoll und genau der göttlichen Vorschrift gemäß unter sein Obdach aufgenommen. Von dem Tage an bot das Haus dieses frommen Hüters das Schauspiel eines weithin leuchtenden Gegensatzes zu dem erschütternden Zeichen dar, das an Ufa geschehen war, indem Gott dasselbe andauernd, ja durch ganze Menschenalter hindurch, mit Segnungen der mannichfaltigsten Art überschüttete. Unter Anderm wuchs die Schaar der Kinder und Kindeskinder Obed-Edoms im Laufe der Zeiten bis zu zwei und sechzig rüstigen, angesehenen und ebenfalls reich gesegneten Männern heran, und ihm, dem Ahnherrn selbst, wurde nachmals auch das ehrenvolle Amt eines Thorhüters bei dem heiligen Zelte anvertraut, in welchem später die Lade ihre Stätte fand. Drei Monate waren vergangen, als David in dem Segen, womit der Herr die Hütte Obed-Edoms krönte, einen unzweideutigen göttlichen Wink zu erkennen glaubte, daß er es jetzt wagen dürfe, das Heiligthum zu sich herüberzuholen. Ihm geschah, was im geistlichen Gegenbilde häufig um ihre Schuldenlast bekümmerten Seelen zu widerfahren pflegt, daß sie nemlich erst durch den Trost, womit sie andre Sünder ihres Gleichen von dem Herrn getröstet sehn, selbst den Muth gewinnen, die göttlichen Gnadenverheißungen sich anzueignen. Mit gutem Gewissen traf nun der König Anstalt, die einst in so tief erschütternder Weise unterbrochene Abholungsfeier in erhöhtem Glanze, aber jetzt überall dem göttlichen Gesetze genau entsprechend, zu erneuern. Abermals beschied er die Vertreter des ganzen Volkes nach Jerusalem, und sprach zu ihnen: „Die Lade Gottes soll nunmehr getragen werden, und zwar ausschließlich von den Priestern; denn diese sind es, die der Herr dazu ersehn, und erwählet hat, daß sie ihm ewiglich dienen sollen!“ Zu den Priestern und Leviten aber aus dem Hause Aaron sprach er: „Ihr seid die Häupter der Familien unter den Leviten. So heiliget denn euch und eure Brüder, daß ihr die Lade des Herrn, des Gottes Israels, dort hinaufbringet, wo ich ihr ein Zelt bereitet habe. Denn vorhin, da ihr nicht da wart, that der Herr unser Gott einen Riß unter uns, darum, daß wir ihn nicht suchten.“ Nach diesen Worten, mit welchen er dem Priesterstande, dessen seit den Tagen Elis tief gesunkenes Ansehn durch den an Ufa geschehenen Riß wieder eine neue Besiegelung empfangen hatte, vor allem Volk die ihm gebührende Ehre gab, setzte sich die Menge der Feiernden, der König, wie damals, persönlich an ihrer Spitze, nach dem Hause Obed-Edoms in Bewegung. Dort wurde die Lade mit größter Vorsicht nur von Priestern aufgehoben, hierauf der Festzug geordnet, und nachdem man sechs Schritte vorwärts gethan, die Feier mit dem Opfer eines Stiers und eines Schafes eingeleitet. Dann stimmten die Sänger zu den Akkorden der Instrumente ihre Chöre an. Und höher und höher hoben sich die Herzen in ernsterer, aber nur um so gründlicherer und geheiligterer Freude, als einstmals. Eine Betfahrt von so großartiger Bedeutung, wie diese, hatte man nie zuvor in Israel gesehen. Was Wunder, daß Jerusalem in einem Schmucke prangte, wie die Braut an ihrem Hochzeitstage. Zog doch mit dem Sinnbilde seiner persönlichen Gegenwart zugleich Jehova selbst in die Davidsstadt ein, und die Tage, da „Gottes Leuchte“ noch über dem Haupte seines Volkes war, kehrten in erhöhter Klarheit wieder. Man horche! Klänge des 24. Psalms schlagen an unser Ohr. Lobpreisung Jehova's zunächst: „die Erde ist sein, und Alles, was darinnen ist; sein der Erdkreis, und Alle, die auf demselben wohnen!“ Hierauf die ernste Frage an die Herzen: „Wer wird gehn auf des Herrn Berg, und stehn an seiner heiligen Stätte?“ Die Antwort lautet: „Wer unschuldige Hände hat und reines Herzens ist, und nicht Lust hat zur Lüge und schwöret nicht fälschlich.“ „Ja, der“, frohlockt der Chor, „wird Segen von dem Herrn empfangen und Gerechtigkeit von Gott seinem Heiland. Dies ist das Geschlecht, das nach ihm fraget; die dein Antlitz suchen sind Jakob“, (d. i. dessen rechte Kinder.) Endlich ein lauter, an dem Berge Zion wiederhallender Jubel: „Ihr Thore, erhebet eure Häupter; öffnet euch ihr ewigen Pforten, (Pforten des uralten Salems, des Bildes der ewigen Gottesstadt,) daß der König der Ehren einziehe! Wer ist der König der Ehren? Der Herr, stark, und ein Held; der Herr ein Kriegesheld. Machet die Thore weit, und die Pforten in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe! Wer ist der König der Ehren? Es ist der Herr Zebaoth, der ist der König der Ehren!“
David selbst hatte dieses Lied eigends für den Festeinzug in Jerusalem gedichtet, und wer stimmte freudiger in dasselbige mit ein, als er? Wie unter den Tönen dieses Gesanges „im höheren Chore“ ihm geschah, wer vermöchte es zu schildern? O der heiligen Bewegungen, die da sein Herz durchwogten! Der mächtigen Andachts- und Dankesflamme, die vom Altar seiner Seele zum Himmel emporschlug! An diesem Tage trat noch einmal in den frischesten Farben des gegenwärtigen Lebens alles das vor seine Erinnerung, was der Herr je Großes an ihm gethan hatte: wie er von Kindheit auf ihm feinen Namen offenbarte, ihn leitete und seine Jugend behütete, den Wundersieg über den Philister ihm in die Hand gab, ihn vor der Wuth seiner Verfolger in seine gnadenreiche Obhut nahm, dann ihn, den armen Hirtenknaben, von der Heerde sogar auf den Thron des auserwählten Volkes erhob, die Feinde alle vor ihm her zu Paaren trieb, und nun mit diesem herrlichen, verheißungsreichen Einzugstage allen übrigen Tagen seines Lebens die Krone aufsetzte! Wie zerschmolz ihm das Herz in Beugung und Beschämung vor dem Herrn; aber wie schwang sich's auch wieder aufwärts auf den Flügeln der reinsten Wonne! Was vor allem Andern aber ihn beglückte, war das Bewußtsein, daß Gott der Herr ihm gnädig, hold und gewogen sei. Er fühlte sich der Schuld entlastet im Genusse göttlicher Vergebung. Er schmeckte nur Liebe und Erbarmen. Ja, er schwelgte, als umstrahlte ihn schon die ganze Herrlichkeit des neuen Testaments, im lebendigsten Bewußtsein göttlicher Kindschaft. In der Natur dieser seligen Empfindungen aber lag es, daß sie auch nach Außen hin sich offenbaren mußten. Frohlockende Worte aber reichten zu deren Kundgebung noch nicht aus. In seiner ganzen äußeren Haltung und Erscheinung, in dem strahlenden Glanze seines Angesichtes und in den harmonischen Bewegungen seiner Glieder trat es zu Tage, was ihn bewegte. Die Geschichte sagt: „David tanzte mit aller Macht vor dem Herrn her;“ d. h. er gab dem, was ihm den Busen schwellte, auch in entsprechenden Gebehrden und einem rhythmischen Gange Ausdruck. Singend und gestikulirend schritt er dem goldenen Gnadenstuhl voran. Der Begriff dessen, was die heutige Welt mit dem Worte Tanz zu verbinden pflegt, ist hier gänzlich fern zu halten. Der Reigen war in Israel eine gottesdienstliche Form, in der sich öfter, z. B. bei Mirjam und ihren Freundinnen nach dem Durchzuge durch das rothe Meer, die höchste und heiligste Begeisterung aussprach. Wäre dem nicht also gewesen, wie würde der Geist der Weissagung durch den Propheten Jeremias zu Israel gesprochen haben: „Wohlan, ich will dich, du Jungfrau Israel, wieder bauen, spricht der Herr, und du sollst noch fröhlich pauken und hinausgehn an den Tanz!“ Und wie würde der Sänger des 150. Psalms den Frommen ermunternd zugerufen haben: „Lobet den Herrn mit Pauken und mit Reigen?“
Der Festzug wogt unter dem Jubel des begrüßenden Volks zu den Thoren Jerusalems hinein. Wie er aber bei der königlichen Wohnung auf Zion anlangt, wird die geheiligte Freudenharmonie durch einen schrillenden Mißton unterbrochen. Und leider! ist es Michal, Davids eigne Gemahlin, die Tochter Sauls, von der derselbe ausgeht. Dieses eitle Weltkind, das in David einst wohl mehr den jugendlichen, sieggekrönten Helden, als den frommen Knecht Jehova's liebgewonnen hatte, und durch ihre Verbindung mit dem Phaltiel vielleicht noch gründlicher verweltlicht worden war, stand, als der Zug an der Hofburg vorüberwallte, am geöffneten Fenster derselben, und da sie ihren Gatten von allen Würdezeichen königlicher Majestät entblößt im schlichten Ueberwurf der Leviten mitten unter diesen „gemeinen Leuten,“ als sei er ihres Gleichen einer, singend und gesticulirend daherkommen sah, wollte sie schier vor Scham und Unmuth außer sich gerathen. Hätte ihr Gemahl ein Verbrechen begangen, sie würde dadurch kaum in eine peinlichere Aufregung versetzt worden sein, als durch diese seine vermeintliche Selbsterniedrigung. Die heiligen Engel sahen an diesem Festzuge ihre Lust. Jehova selbst konnte nur sein Wohlgefallen an den geheiligten Bewegungen haben, welche die Herzen des ihm so lange entfremdet gewesenen Volks im Einklange mit demjenigen des „Mannes nach seinem Herzen“ durchwogten. War doch seit den Tagen Josuas ein Tag so allgemeiner begeisterter Huldigung vor dem Thron des Allmächtigen in Israel nicht mehr erschienen, wie dieser Tag, der einen himmlischen Verklärungsglanz auf der Stirne trug, und die tröstlichsten Aussichten in die Zukunft Israels eröffnete. Und während unter Jung und Alt ein Jeder mehr oder minder von dem Geiste, der über dieser Feier schwebte, mit emporgehoben wurde, ist Michal das einzige Wesen, das mit hämisch verstellter Geberde dareinschaut, und die heiligste Scene mit den Mißton ihres Hohns entweiht. Beklagen wir die arme Seele, die ganz in's Eitle verstrickt eines höheren Gedankenauflugs, einer frommen Erhebung kaum mehr fähig scheint. Leider! aber fehlt es auch heute noch an Menschen ihres Gleichen nicht. In dem reinen Feuer des Geistes aus der Höhe erblicken auch diese nur eine krankhafte Schwärmerei; in dem lebenskräftigsten Ausdruck geheiligter Herzenserhebung ein selbstgemachtes frömmelndes Gepränge. Ja, der liebliche Wiederschein des Lebens aus Gott, welches allein den Namen eines Lebens verdient, erscheint ihnen als Heuchelei und Maske. Eine gänzlich verschlossene und unbekannte Welt ist ihnen das Gebiet, wo der Glaube dem Herrn seine geistlichen Brand-, Speis- und Dankopfer darbringt, wo die Liebe ihm mit ihrer köstlichsten Narde Haupt und Füße salbt, und wo die Hoffnung in Erfassung eines unsichtbaren und unvergänglichen Erbes selig über den Höhen der Erde ihre Flügel schlägt. So möge man denn viel eher Mitleid für diese mit Stumpfsinn Geschlagenen empfinden, als daß man wider sie in Zorn entbrenne. Nach der Schrift „vernimmt der natürliche Mensch ja nichts von den Dingen, die des Geistes Gottes sind; denn es muß geistlich gerichtet sein.“ Das Leben aus und in Gott ist und bleibt Jedem so lange ein Geheimniß, bis es durch den Geist Gottes selbst seiner Erfahrung entsiegelt wird.
David hatte vorüberziehend die Mißlaune und bittre Verstimmung seiner Gattin wohl bemerkt; blieb aber seines Muthes Herr, und zog freudig psalmodirend seine Straße fürder. Bei der Stelle auf dem Berge Zion angelangt, wo er der Lade die neue Wohnung (die alte verblieb als Ruine zu Nob, wohin Saul sie hatte bringen lassen,) aus Teppichen bereitet hatte, befahl er, daß man das wie aus dem Grabe wiederauferstandene Heiligthum, den Hort und das „Herz“ Israels, nunmehr unter Lobgesängen in das Gezelt hinübertrage. Nachdem dies geschehn, und die Priester zur Einweihungsfeier vermittelst eines Brandopfers und Dankopfers in Vertretung des ganzen Volkes ein sinnbildliches Sündenbekenntniß abgelegt und damit das Gelöbniß unbedingter Hingebung an den Herrn erneuert hatten, wurde das bedeutsame Fest damit beschlossen, daß der König die Versammelten im Namen des Herrn segnete, und hierauf einem Jeglichen, Mann und Weib, einen Brodkuchen, ein Stück Fleisch und einen Krug Weins zum Fest- und Freudenmahle, oder, falls sie von ferne hergekommen waren, als Mundvorrath für die Heimreise verabreichen ließ. David selbst trat dann in seinen Palast zurück, um denselben auf's neue durch Lob- und Danksagung zu Gott zu weihen. Aber welch' ein Mißlaut drang da in seine festlich gehobene Stimmung herein. Michal, der es nicht genug gewesen, ihren Grimm wider ihn in Geberden kund zu geben, empfing ihn mit einem Erguß bitterster Vorwürfe, indem sie mit einer entsetzlichen Betonung des Hohns unter Anderm zu ihm sprach: „Wie herrlich war heute der König von Israel, der sich vor den Mägden seiner Knechte (d. i. vor den Niedrigsten des Volks,) blosgegeben, (in Anzug und Haltung seine Würde verleugnet) hat, wie die losen (gemeinen) Leute sich entblößen.“ Ein gehässiger Seitenblick dies auf die unscheinbaren, demüthigen Leviten, die Diener am Heiligthum! Daß in deren schmuckloser Tracht der König, des Landes Herr, mit den geringsten Handwerkern und Tagelöhnern in einem Zuge daherkam, einstimmend in ihren Psalmgesang, und statt seiner hohen Stellung und der Hofsitte entsprechend, mit seinen Gefühlen an sich zu halten, dieselben frei in Mienen und Bewegungen vor allem Volke kundgab: das war ein ungewohntes Schauspiel, und konnte einer Michalsseele, der die Begeisterung des Glaubens und eine wahrhaftige Beugung und Demüthigung vor Gott fremde Dinge waren, nur zu Aergerniß gereichen, und als ein unverzeihlicher Verstoß gegen den Anstand erscheinen. Wie oft aber begegnet man solche Michalsverstimmung auch heute noch, wenn einmal irgend ein den gebildeten Ständen Angehöriger, der durch Gottes Gnade von dem breiten Wege herumgeholt ward, in der Zeit seiner „ersten Liebe“ jeden Genossen seines Glaubens als Bruder begrüßt, am liebsten unter denen sich bewegt, die, gleichviel, ob vornehm oder gering, mit ihm des Herrn sich freuen, gemeinschaftlich mit ihnen bekennt und geistliche Lieder anstimmt, und auch den niedrigsten unter ihnen eine Vertraulichkeit entgegenträgt, als wären Geburt, Stand, Rang und gesellschaftliche Etiquette die gleichgültigsten Dinge von der Welt. Wie häufig sieht man auch da Verwandte und Freunde solcher über die conventionellen Schranken sich Hinwegsetzender ihre Geberden verstellen und sie zu gehässigstem Spotte verzerren. Entging doch solchem Hohne selbst der theure König nicht, den die Geschichte einst mit dem Namen des „Bekenners“ schmücken wird, und der einmal, als er einer Versammlung gläubiger Prediger gegenüber in hoher Begeistrung den Empfindungen seines von der Liebe Christi durchglühten Herzens freien Lauf ließ, selbst bemerkte: „Ich weiß wohl, daß es politisch nicht ist, was ich gegen Sie äußere,“ darum aber doch dem Strome seiner Gedanken und Gefühle nicht einen Augenblick Halt gebot. Wohl bleibt der frommen Begeisterung niemals der Augenblick aus, da sie auch der gewohnten ruhigern und gleichmäßiger n Stimmung wieder Raum gibt. David ist nicht stets so gehoben einhergegangen, wie an jenem Fest- und Freudentage. Bedauernswürdig aber bleibt, wer den Adlerflügelschlag gar nicht versteht, durch den gottgeweihten Seelen in Zeiten besonderer Gnadenheimsuchungen über alle Umzäumungen des gewohnten Alltagslebens hinaufgerückt, und in einen Zustand versetzt werden, da sie mit Gefühl und Wort „über den Höhen der Erde schweben.“
Was dem hämischen Ausfall der Michal gegenüber in Davids Brust sich regte, war mehr Mitleid und schmerzliches Bedauern, als Zorn und Erbitterung. Mit der milden Betonung vollkommener Besonnenheit und Ruhe antwortete er ihr: „Vor dem Herrn will ich spielen, der mich erwählet hat vor deinem Vater und all' seinem Hause, daß er mir befohlen hat, ein Fürst zu sein über das Volk des Herrn, über Israel. Und ich will noch geringer werden, denn also, und will niedrig sein in meinen Augen, und mit den Mägden, davon du geredet hast, zu Ehren werden!“ Wie unvergleichlich dieser Herzenserguß! Lag in den Worten neben dem Schmerz über die Seitens seiner Gattin ihm widerfahrene Verkennung zugleich ein gewisser Trotz, ja Stolz, so war's ein geheiligter, weil in tiefster Demuth wurzelnder. Er ähnelte dem Hochsinn, mit welchem einst der König, dessen wir vorhin gedachten, die Schmach um des Namens Christi willen sich zur Ehre rechnend, vor den Bewohnern der Stadt Königsberg bezeugte: „Ich bin stolz, dem Glauben anzugehören, den ich bekenne!“ David rühmte, was Gott Großes an ihm gethan, da er ihn vor Saul und dessen Hause so hoch erhöhte; aber er bezeugte dies lediglich zu Gottes Preise. Er räumte in seiner Erwiderung der Michal ein, daß er sich erniedrigt habe; aber nicht vor Menschen, sonder n vor dem, der im Himmel wohne. Er fühle sich des hohen Vorzugs, die Lade Gottes heimzuführen, gänzlich unwerth, und erscheine sich selbst noch ungleich niedriger, als ihr, der höhnenden Gattin. Er wolle aber noch niedriger werden (nemlich in der Beugung vor Gott), und begehre keine höhere Ehre, als die, welche er mit den frommen Mägden, von denen sie geredet, einst theilen könne.
Ist es nicht etwas Köstliches um diesen Herzenszug des Königs von Israel? Glaubt man sich nicht wie im Fluge aus den Tagen des alten Bundes in die des neuen versetzt, in denen dem Apostel Paulus die Worte entströmten: „Ich achte Alles für Schaden gegen die überschwängliche Erkenntniß Christi meines Herrn, und achte es für Unrath, auf daß ich nur Ihn gewinne?“ Freilich weissagte David sich mit den Worten: „Noch geringer will ich werden,“ etwas, wovon er damals noch keine Ahnung hatte. Wohl wurde er in schmerzlichster Weise „noch geringer“ in Folge eines Erlebnisses, das ihm in dem Momente, in welchem er jene Aeußerung that, ein unmögliches gedünkt haben würde. Der Michal blieb übrigens für die gehässige Verleumdung, durch die sie ihren Gemahl in einem der heiligsten Augenblicke seines Lebens so empfindlich kränkte, die göttliche Züchtigung nicht aus. Als Erbin des Sinnes ihres Vaters theilte sie zugleich darin ihres Vaters Loos, daß sie, die kinderlos blieb bis an ihr Ende, dem Throne Israels keinen Erben gab.
Auf die Einholung der Bundeslade gen Zion bezieht sich unverkennbar das „Lied im höheren Chor“, dessen Feierklänge wir in dem 122. Psalm vernehmen. „Ich freue mich derer,“ beginnt hier David, „die zu mir sagen: Wir wollen zum Hause des Herrn gehn. Unsre Füße weilen in deinen Thoren, Jerusalem!“ Hierauf preist er Jerusalem, die hochgebaute, als die Stadt, da „die Stämme hinaufziehn nach der Ordnung für Israel, dem Namen des Herrn Lob zu sagen, und da die Gerichtstühle sich erheben, die Stühle des Hauses Davids.“ Weiter richtet er an das Volk die Aufforderung, es wolle der Stadt Jerusalem Heil erbitten, und zum Herrn flehen, daß es Allen, die die heilige Stadt lieben, wohlergehe, und Friede wohne in ihren Mauern, und Ruhe in ihren Palästen. Indem er dann Jerusalem selbst anredet, schließt er mit dem Gelübde: „Meiner Brüder und Freunde wegen will ich dir Frieden wünschen, und um des Hauses des Herrn unseres Gottes willen dein Bestes suchen!“
Stimmen auch wir freudig in dieses Festlied ein, indem wir des Jerusalems gedenken, von dem der Apostel spricht: „Das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie, die ist unser Aller Mutter.“ Im Hinblick auf diese Gottesstadt geben auch wir dem Zuruf des Propheten Gehör: „Lasset Jerusalem in euerm Herzen sein,“ und erneuern unser Gelübde in den Worten des 137. Psalms: „Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde meiner Rechten vergessen!“