Spr. 8. v. 31.
„Ich spielte auf seinem Erdboden, und meine Lust ist bei den Menschenkindern.“
Den Schlüssel zu diesem geheimnisvollen Kapitel brauchen wir nicht lange zu suchen. Er wird uns schon durch die Überschrift in die Hand gegeben. Diese Überschrift nämlich eröffnet uns, dass das Kapitel von der wesentlichen Weisheit oder vom Sohne Gottes handle. Christus trägt an vielen Stellen der Schrift den Namen „Weisheit“. Er sagt selber Math. 11, 19: „Die Weisheit muss sich rechtfertigen lassen von ihren Kindern;“ ferner steht Luk. 11, 49: „die Weisheit Gottes spricht: Ich will Propheten und Apostel zu ihnen senden,“ und Paulus sagt: „Gott habe uns Christum gemacht zur Weisheit.“ In unserm Texte wird uns nun auch etwas von dieser selbständigen Weisheit, Christus, offenbart, das, zumal im Lichte der fröhlichen Weihnacht, nicht schwer zu deuten und zu verstehen ist. Wir betrachten dem Texte zufolge:
1. Christi Lust und
2. Christi Spiel.
„Meine Lust ist bei den Menschenkindern.“ So Christus. O welch ein reicher, hoch erfreulicher Sinn blitzt aus diesen Worten uns entgegen. Sie gleichen einem kostbaren Edelsteine, der, wie man ihn wenden und drehen mag, von allen Seiten schön ist und immer neue Lichter und Farben ausstrahlt. Unser Herr tut uns hier kund, dass auch er eine Lust habe, ein Lieblingsvergnügen. Und wo hat er diese seine Lust? Ei, sollte man sagen, wo anders als da, wo das Holz des Lebens wächst und die Ströme lebendigen Wassers rauschen, wo er die Krone der Ehren trägt und die Tausend mal tausend mit ihren goldenen Harfen seinen Stuhl umgeben! Aber nicht also. Sein Sinn und Gelüst steht anderswohin. „Meine Lust ist bei den Menschenkindern.“ Und wisst, er spricht das nicht etwa im Anbeginn der Zeiten und am letzten Schöpfungstage. Ei ja, da hätte sich's unter den Menschen noch wohl wohnen lassen. Denn es war gut sein unter den Bäumen Edens, und die Menschen waren schöne, liebe Kinder. Er spricht es aber zu einer Zeit, da schon alles drüber und drunter ging in der Welt, da das Dichten und Trachten der Menschen schon böse war von Jugend auf, und die ganze Menschheit, in Sünden tot, verstrickt in den Ketten des Teufels und mit Gottes Zorn und Fluche beladen ein erbärmlicher Haufe bis über das Haupt im Schlamme steckte. Wie billig erstaunen wir doch, dass unter solchen Umständen der Herr der Herrlichkeit sprechen konnte: „Meine Lust ist bei den Menschenkindern.“
„Meine Lust.“ Was ist das nun? Mancherlei, Geliebte. Es ist zunächst dasjenige, was von Ewigkeit her seine allergrößte Freude, ja der höchste und einzige Gegenstand seines Ergötzens war. Und wie heißt dieser Gegenstand? Er selbst, Christus; denn er allein ist schön und liebenswert und alles andere ist nur schön insoweit, als es ein Teil ist von ihm, und aus ihm geflossen und mit ihm verwachsen. Er hat Wohlgefallen an ihm selber, denn er ist die einige, alleinige und ewige Schönheit. Die Strahlen seiner eigenen Vollkommenheiten und Tugenden, die ergötzen sein Auge. Und diese seine Augenlust, die wäre bei den Menschenkindern? Ja, wo wollte sie anders sein? Bei den Engeln etwa? Die haben ihre eigene Herrlichkeit; die Herrlichkeit Christi aber ist bei den Sündern. Ja, wie wunderbar das klingen mag, es ist Wahrheit; und das ist noch wunderbarer. Er hat seinen königlichen Purpur ausgezogen und hat ihn seinen Schafen geschenkt, er hat seine weiße Leinwand nicht für sich allein wollen behalten, sondern hat sie seiner Braut gegeben zur Zierde, und das Würmlein Jakob prangt in seinem Glanze, in seinen Juwelen, Ketten und Kronen. Ei ja! wie sollten wir doch sonst so getrost sein wenn nicht seine Gerechtigkeit unsere Sünden bedeckte? Woher sollte uns doch dieser freudige Ausblick kommen zu dem, vor welchem die Himmel nicht rein sind, wenn wir nicht wüssten, dass wir bekleidet seien mit der Reinheit des Allerreinsten und mit der Heiligkeit des einzig Heiligen? Wie sollten wir geknickte Röhrlein doch so trotzig allen Teufeln und ihren Kriegsgeschwadern gegenüber stehen, wären wir uns nicht bewusst, dass wir an seiner Helden- und Königsherrschaft Teil empfangen hätten? Wie sollten wir so in die feurigen Ungewitter des nahenden Gerichts hinein schauen können, wären wir nicht vom Kopfe bis zu den Füßen in seinen glänzenden Gehorsam eingewickelt und könnten wir nicht vor Gott auf seine Weisheit trotzen, auf seine Liebe, auf seine Herrlichkeit, als auf die unsrige, als auf ein wirklich zugerechnetes Eigentum! Da wird nun freilich mancher denken, mit fremdem Verdienste prangen und in eines andern Glanze leuchten sei eben keine Kunst. Mag sein, und doch, wer tut's uns nach? Genug, es ist also. Seine Lust ist bei den Menschenkindern. „Vater, spricht er kurz und unzweideutig, ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast.“ Und diese Herrlichkeit ist seine Lust.
So wie nun der Herr Jesus seine größte Lust hat an seinen eigenen Vollkommenheiten, so ist das Vergnügen nicht geringer, das ihm seine eigenen Werke machen. „Denn der Herr hat Wohlgefallen an seinen Werken,“ bezeugt David. Wo ist denn nun sein Werk? Bei den Teufeln in der Hölle? Behüte Gott! die waren ihre eigenen Werkmeister und Töpfer und haben sich selber die Gestalt gegeben. Bei den Engeln im Himmel? Mitnichten; die haben ihre Kronen erstritten und im Werkbund ihre Herrlichkeit erarbeitet. Bei den Tugendhaften und Gerechten nach dem Fleische? Bei Leibe nicht; die haben sich selbst gemacht und werden sich auch selbst vertreten müssen. Wo aber ein Zöllner an seine Brust schlägt: „Gott sei mir armen Sünder gnädig!“ und ein Bartimäus am Wege schreit: „Du Sohn Davids! erbarme dich meiner!“ wo so ein kananäisch Weib von Hündlein redet und von Brosamlein und eine arme Magdalena sich die Augen ausweinen möchte zu seinen Füßen; wo ein Paulus jauchzt: „Mir ist Barmherzigkeit wiederfahren,“ und ein Assaph: „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und nach Erden;“ wo ein Simon anfängt zu stottern und zu stammeln: „Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe!“ und wo ein Hiob spricht: „Und wenn du mich erwürgen wolltest, so lass ich nicht von dir!“ seht, wo dergleichen Sachen vorgehen und dergleichen Bewegung an den Tag kommen, wo steinerne Herzen zu Ton werden in seiner Hand und eiserne Stirnen zu Wachs, dass er sein Zeichen drauf kann drücken, und gläserne Augen wie Brunnquellen, deren Wasser gegen Morgen fließen; wo Gerechte anfangen, auf den Ruinen ihrer Gerechtigkeit zu girren, wie die Tauben, und Weise zwischen den Trümmern ihrer Weisheit, wie die Kraniche zu winseln beginnen; wo arme Sünder sich ein Herz fassen Jesu zu lieben und verworfene Übeltäter es fröhlich wagen, vor ihren Verklägern auf ihn als ihren Advokaten und Schirmherrn sich zu berufen: da, da, liebe Brüder, ist sein Werk, und wo sein Werk ist, ist seine Lust. So ist denn seine Lust bei Menschenkindern, und zwar bei seinen armen Sündern. Bei denen ist sein Vergnügen; bei ihnen seine Augenweide. Was dem Naturfreunde eine angenehme Gegend, was dem Liebhaber der Malerei ein schönes Bildnis, das ist dem Herrn Jesus die neue Kreatur in einem Sünder. Da kann er sich nicht satt daran sehen; denn sie ist sein Werk. Darum spricht er auch zu seiner Taube: „Zeige mir deine Gestalt; denn deine Gestalt ist lieblich.“
Haben wir nun den Sinn der ersten Worte unseres Textes erschöpft? Mitnichten. Es liegt noch mehr darin. Der liebe Herr spricht ein wenig kurz; aber das ist so seine Weise, mit wenigem viel zu sagen, während wir mit Vielem wenig zu sagen pflegen. „Meine Lust ist bei den Menschenkindern,“ spricht er, hält aber noch ein Wörtlein im Sinne, das Wörtlein „wohnen“. Warum tut er das? Schämt er sich vielleicht, diese seine Liebhaberei zu armen Sündern auszusprechen? Ja, ihr kennt unseren Heiland nicht. Was sagt Paulus von ihm aus? „Er schämt sich nicht,“ spricht er, „sie Brüder zu heißen.“ Also wohnen, wohnen will er unter uns, und das ist seine Lust. „Der Himmel ist mein Stuhl, die Erde meine Fußbank, ich wohne aber bei den Elenden.“ Aber, liebster Heiland, wie kann denn da deine Lust sein, wo deine größte Unlust sein muss; wie kannst du da dein Vergnügen haben, wo niemand sein Vergnügen hat an dir; nein niemand aus sich selber.
Wie magst du da dich ergötzen können, wo alles dich verdrießen und anekeln muss? Ja, sei's; er bleibt dabei, „meine Lust ist bei den Menschenkindern wohnen,“ und dass diese Lust nicht eine vorübergehende Gemütserregung, sondern eine tief gewurzelte, ewige Neigung ist, das hat von Anbeginn der Welt bis diesen Tag ohne Unterbrechung ein Jahrhundert und Jahrtausend dem andern verkündigt.
Da ist nun fürs erste schon einmal ins Auge zu fassen, was für Mühe sich der liebe Gott schon mit den Menschen gegeben hat, ehe noch ein Mensch vorhanden war; wie er diesen Herrn der Erde, nicht wie die übrigen Kreaturen in einem Augenblick durch ein „Werde“ seines Mundes und einen Akt der Gewalt ins Dasein rief, sondern wie er ein Töpfer ward um des Menschen willen, wie er denselben nach und nach mit vielem Fleiße und großer Sorgfalt aus einem Erdenkloße bildete und dann, nachdem er den Staub geformt, dem irdischen Gebilde seinen eigenen, heiligen Gottesodem in die Nase blies, „da ward der Mensch eine lebendige Seele.“
Kaum sind nun Menschen da, so ist der liebe Heiland auch schon mitten unter ihnen und wandelt mit ihnen unter den Bäumen des Gartens. Nun damals, denkt ihr, damals ging's noch wohl. Das wäre noch nichts Sonderliches. Aber wie, wenn ich euch nun sagte, durch unseren Fall und unsere Sünde sei seine Lust bei uns zu wohnen erst recht bestärkt geworden und warm gemacht, solltet ihr das wohl glauben können? Und siehe! so ist es wirklich. Nun fingen die Eingeweide seiner Barmherzigkeit gegen uns zu brausen an; denn er hat eine gnädige Seele, und Retten ist seine Begierde. Und nun erst galt's in vollem Sinne, was Zacharias sagt: „Alles Fleisch sei stille vor dem Herrn; denn er hat sich ausgemacht aus seiner heiligen Stätte.“
Und nun, liebe Brüder, sollte ich euch hineinführen in die Tage des alten Bundes und euch mit Augen sehen lassen, wie der liebe Heiland von Anbeginn bei seinen Sündern ist aus- und eingegangen und hat sich Hütten gebaut unter Staub und Asche. Nun sollte ich mit euch gehen in jene Wildnis, wo er die Hagar besucht, die ägyptische Magd, und mit ihr freundlich redet; sollte euch hinausbegleiten jetzt in den Hain Mamre und euch das liebliche Schauspiel sehen lassen, wie der Herr des Abends unter den kühlen Bäumen mit Abraham zu Tische sitzt; sollte dann mit euch nach Bethel gehen und dann nach Pniel und nach Horeb, wo unser König statt auf dem Throne in einem brennenden Dornbusche erscheint; sollte dann ein wenig die Wolken- und Feuersäule auseinander tun, dass ihr auch hier sein Angesicht erblicktet, denkt nur, 40 Jahre lang in einer Wolke zu stecken des Tags, des Nachts in einem scheinenden Feuer, und das, um einem halsstarrigen Volke Wegweiser zu sein und Bedeckung und Schild und Laterne im Dunkeln, es ist erstaunlich; was gehört nicht dazu für eine Lust zu Menschenkindern? Nun sollte ich euch ferner bringen nach Ophra, wo Gideon den lieben Heiland unter einer Eiche sitzen sieht, und dann nach Jerusalem in den Tempel, wo er wohnt über dem Gnadenstuhle. Das sollte ich tun; aber, liebe Brüder, wozu die weiten Reisen? Wir haben's näher, wo sind wir heute? Zu Bethlehem, nicht wahr? Nun da guckt in den Stall hinein und in die Krippe. Was seht ihr da? „Ein Kind.“ Ja wohl ein Kind, und zwar dasselbe, das da gesagt hat: „Meine Lust ist bei den Menschenkindern.“ Gott im Fleische, Gott in der Krippe, Gott in Windeln, Gott an einer Mutter Brüsten; hier steht der Verstand einem stille, hier beben. einem die Knie, hier entsetzt sich das Herz, das Wunder ist zu groß für schwache Menschen. Gut, dass unsere Augen blöde sind, gut, dass wir's nur aus der Ferne schauen und kaum den tausendsten Teil davon verstehen: es würde uns das Leben nehmen, es würde uns erdrücken, wir könnten's nicht ertragen. Ja, wie er bei Israel war und mit Israel verkehrte, das war ihm noch kein rechtes Wohnen bei den Menschenkindern; das war ihm noch ein zu fremdes Verhältnis, eine zu laue Freundschaft. Er Gott, und sie arme Sünder, die Kluft war all zu weit. Gleich und Gleich gesellt sich besser. Da ward er selbst ein Menschenkind, unser Blutsverwandter, unser Bruder. Ja, wir können das so dahin sagen, als wäre es nichts, und die Seraphinen, die sitzen nun schon an die zweitausend Jahre auf ihren Hügeln und schauen hinunter in diesen Liebesabgrund, und können den Boden nicht erreichen, und können nicht aufhören zu erstaunen, und der Stoff zu allen ihren Hallelujagesängen wird nur aus dieses Brunnen Grund geschöpft.
Was hat den Herrn nun dazu getrieben? Doch rein nichts anders, als weil er Menschen wollte und keine Engel bloß. „Meine Lust ist bei den Menschenkindern.“ Woher aber ist ihm diese Lust gekommen? Woher? Aus seinem eigenen Herzen, und hier sind wir am Ende, weiter schauen wir nicht durch. Und nun wisst, liebe Brüder, obgleich er nun nicht mehr im Kripplein liegt, so ist er doch noch Mensch, und unser Bruder bis diesen Tag, obgleich er wieder auf dem Throne sitzt, und hat noch immer ein menschlich, brüderlich Herz, und ist versucht in allem, gleichwie wir, dass er wohl kann Mitleid haben mit unserer Schwachheit. Und obgleich wir ihn nun nicht mehr können auf die Arme nehmen, wie Maria damals, und Simeon, so ist darum seine Lust, bei den Menschenkindern zu wohnen, um nichts geringer geworden, und sein Wohnen unter uns noch ebenso nah, ja viel näher noch und inniger. Und es ist nun ein Wohnen und kein Herbergen mehr, noch zu Gast sein, noch ein Aus- und Eingehen; darum sagt er uns auch, so wie er sei im Heiligtume und in der Höhe, und da ist er ja immer, so sei er auch bei den Seinen auf Erden, also auch da beständig. Er ist unser Hausgenosse, Hallelujah! Und was für ein Hausgenosse? Ein vornehmer Herr etwa, da es schon Ehre und Gnade genug wäre, dass er nur bei uns abgestiegen, und wir ihm aufwarten könnten, von dem wir aber keine Gegendienste begehren dürften? Ei, bewahre! Er will dienen, und wir sollen uns dienen lassen, das sagt er selbst.
O welch ein liebenswerter, teurer Gast! So wird er denn wohl ein Ratgeber sein, den wir in wichtigen Angelegenheiten fragen dürfen? In wichtigen Angelegenheiten, warum denn nur in denen gerade? Er will gehalten sein, als gehörte er in die Familie, will bei allem selbst mit anfassen und zur Hand gehen, im großen und im kleinen, im wichtigen und geringen. Ihr sollt nur alles vor ihn bringen. Und denkt nur ja nicht, er sei gar zu andächtig, dass ihr nur von geistlichen Dingen mit ihm sprechen dürftet. Ich sage euch, er will sich bekümmern um das Mehl im Kad, und um das Öl im Krüglein. Er will fragen nach dem Vorrate des Brots im Schranke und des Fleisches in den Töpfen. O dass ihr Glauben hättet, ihr würdet die Herrlichkeit des Herrn sehen. Israel, Israel! wo ist ein Volk, zu dem sich Götter also nahe tun, als zu uns der Herr, unser Gott, so oft wir ihn anrufen, der an unseren Betten wachen, in unseren Werkstätten helfen will, und dessen Sorge sich erstreckt bis auf die Fischlein in der Pfanne. Denn seine Lust ist bei den Menschenkindern.
Dies Wohnen nun des lieben Herrn bei den Menschenkindern ist ein Spielen. Er sagt es selbst. „Ich spielte auf Gottes Erdboden,“ spricht er. Nach dem Grundtexte: „Ich spielte, und ich spiele.“ Der Herr Jesus und Spielen, wie passt das aber zu einander? Es wird wohl passen; wie sagte er es sonst. Lasst uns denn mit Christi heiligem Spiele uns näher bekannt machen.
Dass der Herr Jesus im buchstäblichen Sinne auf Erden gespielt habe, warum sollte man sich das nicht denken; war er doch einmal ein Kindlein wie andere Kindlein auch, ihnen in allem gleich, Die Sünde ausgenommen. Hatte er doch einmal eine Zeit, da sein Herz noch unbeschwert war, und seine Augen noch heiter und tränenleer, wie zwei helle Sternlein; da seine Füßchen noch nicht wund und blutig waren von den Disteln und Dornen der Opferstraße, und Schmach und Kreuz und Tod und alles noch vor ihm verschleiert im Schoß der Zukunft lag. Da wird er ja kein mürrisch und trübselig Knäblein gewesen sein, sondern heiter und freundlich, weshalb er auch Gnade fand, nicht allein bei Gott, sondern auch bei Menschen, wie Lukas sagt. Und ei, was für ein holdselig Spielen wird das gewesen sein, auf seiner Mutter Schoß und an der Mutter Brust, wenn er sie wird angelächelt, gestreichelt und mit seinen Händlein sie umhalst haben. Die lieben Engel Gottes mussten ihre Lust daran sehen, und mögen oft dazu gekommen sein, um mitzuspielen. Und was für ein Anlächeln und Spielen wird das mit dem alten Simeon gewesen sein, da er das Knäblein auf den Armen wiegte, dass der alte Mann schier darüber selbst zum Kinde wird, und tut und hüpft und weint und lacht in einem Atem, als ob ihm, wer weiß was, geschehen wäre; ja als hätte er nun alles, als wär' er schon im Himmel. Doch das Wörtlein „spielen“ bezeichnet auch noch andere Sachen, wie wir sehen werden.
Im Texte spricht der Herr zunächst von den Tagen der Schöpfung. „Da,“ sagt er, „als der Vater den Grund der Erde legte, da war ich der Werkmeister bei ihm, und hatte meine Lust täglich, und spielte vor ihm allezeit, und spielte auf seinem Erdboden.“ Was will er damit nun wohl sagen? Nichts anderes dünkt mich, als dass er den Erdboden gemacht habe, nicht allein mit Weisheit, sondern auch mit Liebe, nicht allein zu Nutz, sondern auch zur Freude und Ergötzung seiner Menschenkinder, an die er damals schon mit Zärtlichkeit gedacht habe. Ja, liebe Brüder, als er die Blumen kleidete auf den Feldern, und zog den Lilien ihr Sonntagsröcklein an; als er den Himmel blau färbte, und die Blumen schmückte mit lieblichem Grün; als er Berge schuf und zwischen den Bergen die angenehmen Gründe, die stillen, trauten Täler mit den kühlen. Bächlein; als er den Vögeln im Gezweig die süßen Stimmen gab, und die Lerchen in den Lüften Psalmen singen lehrte; als er so am Verzieren war und Schmücken, am Färben und am Kränzen, da spielte er auf dem Erdboden. Und als er es so einrichtete, dass die äußerlichen Gegenstände der Natur zugleich Buchstaben und heilige Schriften wurden, die wir freilich jetzt nur stückweise noch verstehen können; als er die Kreaturen zu Hüllen und Bildern unsichtbarer, geistlicher Dinge machte, und allerlei hohe und ewige Wahrheit darin verschloss, als in anmutige Rätsel und Zeichenschrift, daran wir ja noch heute buchstabieren; als er z. B. die Sonne setzte zu einem Bildnis seiner selbst, und in ihrem Wirken sein Wirken im Bereich der Geister anschaulich machte; als er dem Samenkörnlein gebot, dass es im Verwesen und im Keimen mit zartem Stimmchen uns zu verstehen gebe: „Es sei denn, dass jemand von neuem geboren. werde; so kann er das Reich Gottes nicht sehen!“ und als er den Schmetterling, der sich mit farbigen Flügeln auf den Rosen wiegt, uns zum holdseligen Prediger bestellte von Tod und Auferstehen, und künftiger Freiheit aller Kinder Gottes: da, da war unser Jesus der Werkmeister vor dem Herrn, und spielte auf dem Erdboden.
Und am Spielen ist er geblieben. Wenn ein Erwachsener mit einem kleinen Kindlein sich abgeben will, sagt, kann das anders wohl geschehen, als mit Spielen? Und so hat auch der Herr gespielt mit seinen armen, schwachen Menschenkindern. Jedes Herablassen zu menschlichen Begriffen, Vorstellungen, Wünschen und Ausdrücken war für ihn ein Spielen. Ach, hört doch nur allwärts in seinem Wort, wie er da so lieb und hold und kindlich lallt und stammelt mit seinen schwachen Kindlein, wie er sich nicht schämt, ihre armselige Sprache sich anzueignen und ihnen sich verständlich zu machen in ihrem eignen, gebrochenen Kinderdialekte, der ja ein Kauderwelsch vor seinen Ohren sein muss, und ihn nicht anders antönen kann, als uns das erste Stammeln eines kleinen Säuglings. Seht nur, wie er überall zu unseren menschlichen Begriffen heruntersteigt, um uns nur nah zu kommen, um uns nur fasslich und erkenntlich, um nur ein Gott zu werden für Staub und Asche, für arme, blöde Sünder. Merkt darauf, wie er hier von „gereuen“ spricht, es gereue ihn dies und das, und eigentlich kann ihn doch nichts gereuen, und wie er dort uns versichert, sein Vaterherz blute und sei zerrissen, und wie er dann, um uns von unserer zukünftigen Herrlichkeit einen Begriff zu geben, die Bilder hernimmt von unserm menschlichen Spielzeug, von unseren kindischen Ergötzungen, von Gastmählern, Hochzeiten, schönen Häusern und Palästen, von bunten Steinen und glänzenden Metallen, von grünen Bäumen und von süßen Früchten; und dieses herablassende Eingehen in unsere kindischen Begriffe und Gedanken, um uns allmählich wie auf einer Leiter zu den seinigen zu erheben, ist das nicht ein Spielen mit kleinen Kindern von Seiten des großen Gottes? Und fürwahr, wer diesen in seinem Worte mit uns lallenden und stammelnden Gott noch nicht gefunden hat, der hat Gott überhaupt noch nicht gefunden.
Nun gedenkt auch an die Art und Weise, wie er seine Geheimnisse uns pflegt nah zu bringen, und wie er uns den Glauben stärkt an seine Zusagen und Verheißungen. Auch das geschieht wieder kindlich spielend als mit Kindern. Da stellt er uns, wie man Kindern zu tun pflegt, allerlei bunte und schöne Bildlein und Figuren vor die Augen, die unsere Blicke auf sich ziehen, und dadurch macht er uns denn begreiflich, und lehrt uns fassen und anschauen, was wir sonst gar nicht würden fassen noch begreifen können. Da hängt er uns z. B., um uns die Verheißung, die er Noah gab, frisch im Gedächtnis zu erhalten und gewiss zu machen, ein schön, farbig Band in die Wolken, mit sieben Farben, daran wir unsere Augen weiden. Von diesem Bändlein sagt er uns, so oft er's sehe, wolle er daran gedenken, dass er den Erdboden nicht mehr verfluchen wolle, als ob sich Gott so ein Gedenkzeichen vor die Augen hängen müsste, um nicht zu vergessen. Aber er wusste, uns werde das gar tröstlich sein, und unseren Glauben stärken; drum spielt er mit uns Kindern. So spielte er auch mit Gideon gar gnädiglich, als er in dessen kindisches Begehren so ganz sich einließ und so bald und gerne das seltsame Wunder tat, das Gideon als ein neues Siegel unter die Verheißung, die er vom Herrn empfangen hatte, von ihm forderte. Zuerst sollte Tau sein auf dem Fell allein und auf der ganzen Erde trocken, dann trocken auf dem Fell und Tau auf der ganzen Erde. Und Gott tat also, beides, eins nach dem andern, wie's Gideon begehrte. Welch freundliches Spielen! Aber, der also spielt ist Gott, und Gottes Spiel hat allzeit tiefen Sinn. So wie der Herr in Noahs Regenbogen zugleich das Bildnis des verheißenen Mittlers malte mit zarten Zügen für geistlich Sehende, so verbarg er nebenbei in jenes Wunder, das er dem Gideon zu Gefallen tat, die Prophezeiung wie es in Zukunft gehen werde mit dem Himmelstaue seiner Offenbarungen und seiner Geistesgaben. Erst Tau auf Israel allein und auf der ganzen Erde trocken; und dann Tau auf der ganzen Erde und trocken auf Israel allein. Wie artig und bedeutsam spielte die wesentliche Weisheit mit den Menschenkindern in der Stiftshütte und im Tempel Salomos, da sie durch allerhand buntes und seltsames Bild- und Schattenwerk die allergrößten und seligsten Geheimnisse ihnen nahe brachte, und wie kindlich lallet sie bis diesen Tag mit uns von den größten Wundern und heiligsten Wahrheiten, durchs Taufwasser und durch des Nachtmahls Zeichen und Unterpfänder. Ist das nicht auch ein Spielen Gottes mit schwachen Kindern, die was Sinnliches und Bildliches haben müssen, um verstehen und glauben zu können? Ja, ein gnädiges, ein holdseliges Spielen.
Und o, wie viel ist dieses Spielens auch in seinem Umgange mit uns, in seinem täglichen Verfahren mit seinen lieben Kindern. Wenn ihr's nur immer wüsstet, dass es nur ein Spielen sei, ihr aber seht's gewöhnlich als sehr ernsthaft an, und macht euch drum viel überflüssige Sorgen. Da geschieht's zum Beispiel bald, dass er sich vor uns verbirgt; nun meinen wir, er sei davon gegangen und habe uns verlassen. Er aber spielt nur und hat sich bloß verborgen; unsere Stimme will er hören: „Herr kehre wieder!“ denn unsere Stimme klingt ihm süß. Bald ereignet sich's, dass es den Schein gewinnt, als gereue es ihn nun wieder, uns verziehen zu haben. Da kommen denn alle unsere alten Sünden, die wir längst in Meerestiefen begraben glaubten, uns wieder vor die Augen, dass wir aufs neue zittern, wie in der ersten Buße. Aber er spielt nur mit uns und möchte die erste Liebe wieder wecken in unserer Seele. Bald lässt er plötzlich mitten im Stand der Gnade uns Blicke tun in die Größe unserer begangenen Missetaten, wie wir sie noch nie darein getan; da ist's, als müssten wir nun wieder vor seinem Zorn uns fürchten; allein, es ist nur Spiel: er tut's, damit uns sein Verdienst nur desto süßer schmecke. Bald erlaubt er's unserm Urfeind, dass er die Hand ausstrecke nach unserer Krone und einen Versuch mache, das Fundament all unseres Trostes und unserer Hoffnung unter unseren Füßen zu erschüttern. Da heißt es denn: „Herr hilf uns, wir verderben.“ Indes so groß ist die Gefahr nicht, als wir meinen. Genau besehen ist es nur ein Spiel von Seiten Gottes. Er lässt es geschehen, damit wir desto fester fassen und umklammern sollen was wir haben; nicht aber, wenn's auch so scheint, dass wir's verlieren. Und wenn er uns allerlei Rätsel aufgibt in unserer Führung, woran wir unseren geistlichen Scharfsinn üben können; und wenn er die allergeringsten Umstände in unserm Leben aufgreift und benutzt, um dadurch etwas Tröstliches, Lehrreiches oder Nützliches uns an das Herz zu reden; wenn er die unbedeutendsten Gegenstände, die uns in unserm alltäglichen Treiben begegnen, uns so höchst geschickt und artig zu beredten Bildern macht von allerlei lieblichen, geistlichen Dingen, und zu Gedenktäflein, sei es an eine Lehre, oder Warnung, an einen Trostspruch oder eine Verheißung und Geschichte in seinem Worte; wenn er auf unsere kleinsten Wünsche so zarte Rücksicht nimmt und in den geringfügigsten Angelegenheiten so leutselig mit seinem Rat und Segen uns überrascht, und beim Bibellesen mit heiligem, wunderbarem Witze, wenn ich so sagen mag, bald hier bald dort die unbedeutendste Begebenheit, den ärmsten, unfruchtbarsten Auftritt oder Umstand uns in ein tiefes, erquickliches, geheimnisreiches Sinnbild oder Gleichnis wandelt, und Feigen zaubert an die Distel und süße Trauben an ein Dornensträuchlein; so ist das alles ein zärtliches Spielen Gottes bei und mit den Menschenkindern.
Wollt ihr nun endlich bei dem Wörtlein „spielen“ auch noch ans Musizieren denken, so mag die Weisheit auch in diesem Sinne sagen: „Ich spielte und spiele auf dem Erdboden.“ Ja, alle Musik, die er selber sich nicht macht auf Erden, ist Missklang vor seinem Ohr und wie Gekrächz der Raben. Wie er es war, der der Harfe Davids so süßen Klang verlieh, und ihre Saiten rührte auf den Hügeln Betlehems und die lieblichen Psalmen sang durch den Mund des königlichen Sängers, so ist er's noch bis diesen Tag, der seinen geistlichen Vöglein die Lippen öffnet und den Wohllaut legt in ihre Stimme, der den Psalter rührt in ihrer Brust und der da spielt auf den verborgenen Saiten ihrer Seele mit dem Hauche seines Mundes. Er ist in ihrem Seufzen und Jauchzen, in ihren Liebesklagen und Lobgesängen; er in ihrem Geschrei zum Kreuze und ihrem Frohlocken auf den Bergen der Versiegelung; ja in jedem Ach und O des neuen Herzens, in jedem Hosianna! der Huldigung und jedem „Heah!“ heiliger Freude, und in dem großen allgemeinen Tempelchore des sehnenden Jerusalem: „Ach komm Herr Jesu, ja komm balde! Amen“: darin ist er, der Herr und sein Geist; er ist der Spieler und Musizierende auf unseren Herzensharfen, und nur die Lieder, die er aus uns sich selber anstimmt, fallen harmonisch in sein Ohr, wie arm und wie verstümmelt sie auch zum Vorschein kommen.
Seht, meine Brüder, in dieser Weise ist seine Lust bei den Menschenkindern, und solche Spiele spielt er auf dem Erdboden. Glückselige Leute, die den Herrn Zebaoth selber zum Gespielen haben. Aber ihr wisst ja, mit großen und verständigen Leuten spielt man nicht. Ach lasst uns Kindlein werden, liebe Brüder, unmündige, kleine Kindlein. Nach solchen steht Immanuels Sinn; nur unter Kindern mag er wohnen, und wo er wohnt, gewiss, da ist es gut sein und schon ein wenig Himmels in der Wüsten. Drum singt auch einer:
„Und wär's eine Hütte von Holz und Stroh,
Ist Er bei mir, so bin ich froh.
Und wär's eine Wüste, ein Scheiterhaufen,
Ich will mit Freuden durchs Feuer laufen,
Geht Er nur mit!“
Ach liebliches Verslein! Wann wird der Herr einmal so was auch auf den Saiten unserer Harfen spielen! Ach tu' es bald, Herr Jesu; werde uns recht köstlich und alle Tage süßer und vertrauter, und stelle uns zur Hüterin jene Liebe, die deine Lust gekettet an verkommene Menschenkinder und dir ein kindliches Spielen auf der Erden mit armen Sündern zur höchsten Freude machen konnte.