Eine Vorlesung von Dr. Friedrich Adolph Krummacher.
Aus seinem Nachlasse herausgegeben von seinen Söhnen Friedrich Wilhelm und Emil Wilhelm.
Elberfeld 1845,
bei Wilhelm Hassel.
Gedruckt bei F. A. Schober in Elberfeld.
Zu der Aufgabe, welche ich mir gestellt habe: Über die Krankenheilungen unseres Herrn, eignet sich als Wahlspruch und Einleitung das Wort des berühmten griechischen Heilkünstlers, dessen er sich bei der Beschreibung jener psychischen Krankheiten bedient, wo nicht nur der leibliche, sondern auch der geistige Organismus eine eben so wundersame, als schreckliche Zerrüttung erleidet. – Alles göttlich und menschlich zugleich! – sagt der an seiner Kunst verzweifelnde Grieche. – Wir haben das Recht, mit freudigem Glauben und in viel höherem Sinn dieses Wort auf das große Geheimniß der Offenbarung Gottes im Fleisch, und dessen einfache Geschichte, besonders auch auf die Wunderheilungen des Herrn anzuwenden. – Ich nehme es aber auch für mich selbst in Anspruch, mit der Bitte, daß, wenn in meiner philosophirenden und discurrirenden Abhandlung, wie es zu gehen pflegt, hie und da das Menschliche dem Göttlichen vorwalten möchte, meine geneigten Leser solches ohne Ungeduld ertragen, und mir das Streben nach der Wahrheit in Liebe zutrauen wollen.
Ich bemerke nur noch, daß diese Abhandlung in einem jährlichen Convent der hiesigen Stadt- und Landprediger von mir gelesen, und ihr Abdruck gewünscht wurde.
Bremen. Dr. F. A. Krummacher.
Die meisten Thaten Jesu während seines Wandels auf Erden waren Krankenheilungen, von welchen die Evangelisten nur einzelne umständlich beschreiben, die größte Zahl derselben aber bloß im Allgemeinen anführen. So z.B. Matth. 4,23 f.; Kap. 8,16. Marc. 1,32-34. Luc. 4,40. Joh. 21,25. Jesus selbst verweiset die Johannesjünger, die im Namen ihres Meisters ihn befragen: „ob er der sei, der da kommen solle,“ auf die von ihm geheilten Blinden, Lahmen, Tauben und Aussätzigen, als die nächsten, lebendigen Zeugen seiner göttlichen Wirksamkeit und Würde. (Matth. 11,5.) So enthält die ganze Geschichte seines Lebens und Wandels auf Erden der Hauptsache nach nichts anders, als die einfache Darstellung seiner Reden, Wunder und Thaten, und unter letztern vor allen seiner Krankenheilungen. Beide, Reden und Thaten, sind so genau mit einander verbunden, daß durch Aufhebung des einen oder des andern die ganze evangelische Geschichte folgerecht vernichtet, und die Person Jesu sammt seiner Lehre in das Gebiet mythischer Dichtung versetzt werden müßte. So innig ist Alles, Person, Wort und That, in der einfachen Darstellung verbunden, zu einem unzertrennlichen, historischen Ganzen. Die Werke und Thaten des Herrn sind der sichtbare Leib, die Erscheinung und Offenbarung seines Geistes und Wesens, Zeugnisse seiner verborgenen Gottheit, Abglanz und Strahlen seiner Herrlichkeit, als des Eingeborenen vom Vater, welche seiner Jünger sahen, (Joh. 1,14. 1. Joh. 1,1 f.), zugleich die Zeichen und Symbole des Werkes, welches ihm der Vater gegeben hatte, daß er es vollenden sollte. Darum verknüpft auch das Evangelium St. Johannis, welches die Alten vorzugsweise und mit Recht das geistige nannten, inniger, als die andern, Jesu Reden und Thaten.
Jene Benennung sollte nicht eine Zurücksetzung der drei ersten Evangelien bezeichnen, sondern nur ihren von dem Johanneischen verschiedenen historischen Charakter andeuten. Man könnte diesen vielleicht als menschlich- und göttlich-historisch unterscheiden. In den 3 ersten Evangelien kommt die Person der Evangelisten (die Vorrede des Lukas ausgenommen) nirgend zum Vorschein; wohl aber und nicht selten in dem des Johannes, welcher vorzugsweise hier, wie in seiner Offenbarung, als der von dem Geist erfüllte Schreiber erscheint, indeß die 3 ersten Evangelisten mehr als menschliche Zeugen und Berichterstatter sich darstellen. Es ist eine wunderbare Stufenfolge in den Evangelien, sowie überhaupt in der Anordnung und Reihenfolge aller Bücher der gesammten heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments.
Jeder Zweifel an der historischen Wahrhaftigkeit der Thaten Jesu, und somit auch jeder, aus solcher Zweifelei stammende, besonders in unsern Tagen so oft wiederholte, aber auch jedesmal schon an dem gesunden Menschenverstand zerscheiterte Versuch, sie, wie man sagt, natürlich zu erklären, ist ein Beweis menschlicher Ungöttlichkeit und Gefangenschaft unter das knechtliche Joch der Sinnenwelt und des Todesleibes. Daher auch, wo irgend Übernatürliches in die Erscheinung tritt, das aufgeschreckte Erstaunen, Entsetzen und Irrewerden, wie bei dem großen Haufen am Pfingstfeste; oder Furcht bei denen, die Göttliches darin erkennen; oder auch, wie eben daselbst, bei Solchen, die des passiven Zustandes bei ihrem Verstandesdünkel sich schämen, spottende, natürliche Erklärung, welcher die neueren Versuche nur zu sehr gleichen. Je ferner von Gott, desto ferner von, und desto mehr Scheu vor dem Göttlichen. Als die Herrlichkeit Jesu sich dem Petrus zuerst bei jenem Fischfange offenbarte, fiel der erschrockene Jünger vor ihm nieder, und rief: „Gehe von mir aus, denn ich bin ein sündiger Mensch!“ (Luc. 5.) Bald nachher verwunderten sich die Jünger nicht einmal über die Wunderthaten ihres Herrn und Meisters: sie erschienen ihnen als natürliche Attribute seines Wesens, nachdem sie sein überirdisches Wesen näher erkannt hatten. – Wenn wir das größte und geheimnißvollste aller Wunder und Gottesthaten, nämlich das große und gottselige Geheimniß der Offenbarung Gottes im Fleisch, im Glauben erkannt haben, dann werden wir von selbst aufhören, die Wunder und Zeichen des Gottessohnes sowohl zu bezweifeln als anzustaunen. 1)
Die den Wunderthaten Jesu gebührende Ehre und Würde wird auch dadurch geschmälert, wenn man sie, wie häufig geschieht, bloß als Mittel betrachtet, die Aufmerksamkeit des Volkes auf seine Person und Lehre zu wecken; wobei man nicht unterläßt, das jüdische Volk – freilich nicht ohne Grund – als ein wundersüchtiges, und somit die Wunder Jesu als eine herablassende Anbequemung zu dessen Vorurtheilen darzustellen.2) Dieser Behauptung liegt aber, bei dem Unglauben an die Herrlichkeit des menschgewordenen Gottessohnes, die Absicht zum Grunde, die Wunder, verstohlener Weise, als abgethane Dinge, die uns nicht sonderlich angehen, in den historischen Hintergrund zu schieben, und zu einem Örtlichen und Zeitlichen zu machen, das auf sich selbst beruhen möge. So hat man auch, ich möchte sagen lächerlicherweise, die Behauptung aufgestellt, unsere fortschreitende Naturwissenschaft würde bald dahin gelangen, die sogenannten Wunder als natürliche Ereignisse zu erweisen! Es ist eine seltsame Ignoranz und Beschränktheit, von keiner höheren Natur, als der in der äußern Welt erscheinenden, wissen zu wollen, und dennoch den Glauben an ein Dasein Gottes in Anspruch zu nehmen. Ist doch in dem Menschen selbst und in seinem Wesen eine höhere Natur, der z.B. sein Gewissen angehört, als ein geheimnißvolles, übermenschliches Gericht, welches alle Einwendungen und Entschuldigungen zu Boden schlägt.
Jedoch soll mit Obigem nicht geleugnet werden, daß mehrere Thaten Jesu, die vor den Augen des Volkes und vieler Zeugen geschahen, die Gemüther lebhaft bewegten, und die Aufmerksamkeit des Volkes auf ihn zogen, und das Gerücht von ihm weit verbreiteten, wie die Evangelien mehrmals bemerken; ja, sie sollten es auch. Denn die Erscheinung des Verheißenen und Erwarteten, der nun in ihre Mitte trat, und als solcher sich ankündigte vor ihren Augen und Ohren (Luc. 4,21.), war nicht ein Licht, das unter den Scheffel gestellt, sondern eine Thatsache, die allgemein und zunächst im jüdischen Lande ruchbar werden sollte, - damit sie keine Entschuldigung hätten, und die, auch ihrer Natur nach, allgemein bekannt werden mußte. Aber für den eigentlichen Zweck seiner Thaten kann es deshalb doch nicht gelten. Jesus selbst gibt einen solchen nirgend zu erkennen; ja, er selbst würde dieser Absicht entgegengewirkt haben, wenn er, wie mehrmals geschah, den Geheilten ernstlich verbot, die ihnen durch seine göttliche Kraft erwiesene Wohlthat bekannt zu machen, und so ungeweihte Lobredner seiner Thaten zu werden, die ja nicht Zweck, sondern heilige, und darum in einem stillen Herzen zu bewahrende Mittel seiner Sendung waren und sein sollten. Nicht Aufsehen bei der Menge, wohl aber ein ernstes Aufmerken und einen entschiedenen Glauben an seine Person und göttliche Sendung wollte er bewirken, und ihre Blicke und Herzen zu dem neuen „Aufgang aus der Höhe“ richten. Darum auch schweigen die Apostel in ihrem Sendschreiben an die schon in der Wahrheit gegründeten Christengemeinden von den Wunderthaten, welche der nun erhöhete Herr während seines Wandels auf Erden vollbracht hatte; bei dem Heiden Cornelius bedurfte es noch deren Erwähnung, und auch dieser nur mit wenigen aber kräftigen Worten. (Apostg. 10,38.)
Überhaupt scheint es ebenso ungeziemend von einem beabsichtigten, äußeren Zweck und Effect der göttlichen Kraftäußerungen und Thaten des Herrn, als von einem Zwecke der Allmacht, Weisheit und Güte Gottes zu reden: Diese haben – wenn das menschliche Verstandeswort auf das, über allen Verstand erhabene angewendet werden soll, - ihren Zweck, wie ihren Grund, in sich selber, und alle Offenbarungen, sei es der Allmacht oder der Gnade des lebendigen Gottes, sind nur einzelne, dem geöffneten Auge des Menschen sichtbar werdende Ausflüsse der ewig fortströmenden Quelle alles Lichts und Lebens – Offenbarungen seiner Herrlichkeit. Hier ist die Sonne wieder Abbild dessen, der sie, das große Licht, an den Himmel gesetzt hat. Ihr Dasein, ihre Erscheinung ist ihr Zweck, und daß durch sie die Erde Licht, Wärme und Segen empfängt, ist Ausfluß und Wirkung ihres Wesens. Wer ihrem Lichte sich nicht entzieht, erfreut sich ihrer Gaben. Dem Gottmenschen, dem Eingebornen, vom Vater, war und blieb in seiner freiwilligen Entäußerung und angenommenen, menschlichen Knechtsgestalt, in der Gestalt unseres sündlichen Fleisches (Philipper 2,6. 7. Röm. 8,3.), die ursprüngliche Gotteskraft eigen, als – wenn auch verborgen- nothwendig zu seinem Wesen gehörig. Ihre sichtbaren, thätlichen Äußerungen waren die Zeichen und Erweisungen der Herrlichkeit, von welcher Johannes bezeugt, daß er und seine Mitjünger sie mit Augen gesehen, und des wahrhaftigen Lichts und Lebens, das in ihm und welches er selbst war. (Joh. 1,14. 1. Joh. 1,1. 2. Kap. 5,20.) Diese göttliche Kraft und Herrlichkeit wohnete in ihm und ging von ihm aus, wie der Gedanke und das Wort in und aus der Seele.
Also erscheint auch in der evangelischen Geschichte die göttliche Kraft des Herrn, wenn sie in seinen Thaten an’s Licht trat, als eine, so zu sagen, natürliche Eigenschaft dessen, der vom Himmel gekommen und, wie er selbst (Joh. 3,13.) von sich sagte, auch als Menschensohn, im Himmel war. Sogar die feindselig gesinnten Pharisäer und Schriftgelehrten konnten seine wunderbaren übermenschlichen Thaten, so gern sie es gewollt hätten, nicht ableugnen, sondern nur dadurch bestreiten, daß sie solche der unsichtbaren Macht der Finsterniß und dem Teufel, also einer überweltlichen Gewalt, zuschrieben. Dagegen bei den Jüngern scheint die Überzeugung von der Erhabenheit und Gotteskraft ihres Herrn und Meisters mit der im Glauben an ihn erwachsenen Erkenntniß seiner Person und Würde sich so verschmolzen zu haben, daß seine göttlichen Thaten ihnen an sich gar nicht mehr als auffallend und außerordentlich, sondern als natürlich und nothwendig zu seinem Wesen gehörend erschienen. Dies mußte um so mehr der Fall sein, da ihnen der Herr, schon während seines Erdenwandels und ihrer eigenen Unmündigkeit, dieselben Kräfte mittheilte, als er sie je zween aussandte (Matth. 10, 1. Mark. 6,7 f.), und für die Zukunft in größerem Maße ihnen verhieß. (Mark. 16,17 f. Joh. 14,12.)
Darum ist auch späterhin, als nach der Verherrlichung Jesu Christi durch Mittheilung des Heiligen Geistes die geistlichen Wunder und Zeichen zu diesen leiblichen hinzugekommen waren, in den Sendschreiben der Apostel von den Wunderthaten Jesu so gut als gar nicht weiter die Rede. Daher ferner auch die bewundernswürdige Einfalt und Ruhe in den nach der Verherrlichung Jesu verfaßten geschichtlichen Darstellungen seiner Wunderthaten und Heilungen. Von den letztern nennt Petrus in seiner durchaus geschichtlichen Rede an den Cornelius nur die „Gesundmachung derer, die vom Teufel überwältigt waren,“ freilich nicht ohne Bezug auf den heidnischen Hauptmann, als die ausgezeichnetsten, und Paulus zu Athen die Auferstehung Jesu von den Todten. – Aus dieser durchaus einfachen Haltung und dem kunstlosen Zusammenhange der evangelischen Geschichte erkennt man den Standpunkt, aus welchem diese heiligen Historiographen die Person und die Thaten ihres Herrn und Meisters anschauten und darstellten. Aber auch zum rechten Lesen und Verstehen gehört ein einfältiges Herz und Auge.
Obgleich indessen der Verstandesbegriff eines auf Zeit und Ort berechneten Zweckes sich nicht auf die Wunderkraft Jesu anwenden läßt, so verhält es sich doch anders hinsichtlich der Offenbarung und äußern Erweisungen dieser göttlichen Kraft in einzelnen Wirkungen und Thaten. Auch als Argumente für die Wahrheit einzelner Lehren und Aussprüche Jesu konnten und sollten seine Wunderthaten nicht gelten, wie man mehrmals diese Behauptung fälschlich supponirt hat, um überhaupt die Beweiskraft der Wunder zu schwächen, und dieselben in Schatten zu stellen. Wohl aber sind sie Zeugnisse, daß Jesus, wie Nikodemus sagte (Joh. 3,2.), sei ein Lehrer von Gott gesandt, indem Niemand die Zeichen thun kann, die er that, es sei denn Gott mit ihm. Gleichwie das unsichtbare Wesen, d.i. die ursprüngliche Kraft und Gottheit des Ewigen, in der uranfänglichen Schöpfung Himmels und der Erde, als das Alles erschaffende und das Chaos neugebärende Wort in die Erscheinung trat, und seitdem in der Erhaltung und Regierung der Welt, als einer fortwährenden Schöpfung, sichtbarlich sich äußert und offenbart zu seiner Verherrlichung – denn Kraft, Licht und Liebe müssen ihrem Wesen nach sich äußern, wirken und schaffen, - also geschah es auch in dem menschgewordenen Sohne Gottes und seinen Thaten in gleicher Weise und zu demselben Zweck, nämlich zur Offenbarung und Verherrlichung seiner in Menschengestalt verhüllten Gottheit, und durch diese zur Errettung und Beseligung des sündigen Menschengeschlechts. In ihm erschien und in seinen Thaten offenbarte er sich als das, was er war, - das Licht, die Wahrheit, das Leben, die Liebe; mit einem Worte: als das Ebenbild des unsichtbaren Gottes. So konnte er von sich sagen: Mein Vater wirket bisher, und Ich wirke auch, - und: Wer mich siehet, der siehet den Vater. (Joh. 5,17., und K. 14,19.)
Hier ist das Evangelium des Jüngers, den der Herr lieb hatte, welches Calvin den Schlüssel zur Eröffnung des Einganges zu den drei andern nennt, unser Führer, obwohl es nur sechs oder sieben Wunderthaten Jesu enthält. Bei dem ersten Zeichen, welches Jesus zu Cana that, bemerkt Johannes, Jesus habe dadurch seine Herrlichkeit, d. i. sich selbst als Abglanz der Herrlichkeit Gottes und Ebenbild seines Wesens offenbart (Hebr. 1,3.) und seine Jünger hätten an ihn geglaubt (Joh. 2,11.), d. h. ihr Glaube an Jesum, als den Messias, sei dadurch gestärkt worden. Eben so sagt Jesus selbst, als der Blindgeborne ihm begegnete, dem er das Gesicht wieder gab (Joh. 9,3.): es geschehe deshalb, damit die Werke Gottes an ihm offenbar würden, und solche müsse er wirken, so lange Tag sei, so lange der große Gottestag seiner Erscheinung auf Erden währe. Und bei der Nachricht von der Krankheit des Lazarus spricht er: „Die Krankheit desselben sei nicht zum Tode sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, auf daß der Sohn Gottes durch dieselbe verherrlicht werde.“ (Joh. 11,4.) In gleicher Weise gibt der Evangelist den Zweck an, weshalb er die Zeichen, die Jesus gethan, aufgezeichnet habe, nämlich: “Daß ihr glaubet, Jesus sei der Christ, der Gesalbte Gottes.“ (Joh. 20,31.)
Dies ist es, was Jesus, nach seiner eigenen, oft wiederholten Aussage, durch seine Wunderthaten zunächst bezweckte; weshalb er sie auch nicht aus eigener menschlicher, sondern durch die ihm von dem Vater, mit welchem er Eins sei, verliehene Kraft vollbracht darstellte, und als solche Zeichen und Zeugnisse vom Vater, zur Bestätigung seiner Sendung und seines Mittleramts, angesehen haben wollte; so wie er sich darauf berief, zum Beweise, daß seine Lehre nicht eine menschlich-eigene, sondern göttliche Offenbarung und Wahrheit sei. (Joh. 5,36. Kap. 10,37. 38. ff.) Also die Anerkennung seiner Person, als des von Gott gesendeten Gottessohnes, der dazu in menschlicher, demüthiger Gestalt erschienen sei, um einen neuen Bund, ein neues Verhältniß des Menschen zu Gott, mit Einem Worte: das Reich Gottes auf Erden zu gründen – das ist der nächste und höchste Zweck der Gottesthaten des Herrn. Petrus sagt zum Cornelius: „Gott habe Jesum gesalbet mit dem heiligen Geiste und mit Kraft, und so sei er im Lande umhergezogen, und habe wohlgethan und gesund gemacht Alle, die vom Teufel überwältigt waren, denn Gott war mit ihm.“ (Apostelg. 10,38.) In diesem Sinne nennt auch Jesaias den verheißenen Messias den Knecht Jehovah’s. Dies ist die in der evangelischen Geschichte und dem ganzen Neuen Testamente historisch begründete Ansicht von dem Zweck der Wunderthaten Jesu. Vielleicht benennt auch deshalb Johannes in seinem Evangelium die Wunder Jesu mit dem Ausdruck: Zeichen, und nur in der Stelle, wo Jesus den Juden ihre Wundersucht tadelnd vorwirft, heißt es Zeichen und Wunder (Joh. 4,48.).
Ein anderer Zweck der Gottesthaten unsers Herrn war unleugbar auch die Wohlthat, die dem dadurch Geretteten zu Theil wurde, zugleich zum Zeichen, wie Liebe und Kraft in dem Heilande, wie in Gott, sich vereine, und, zum Erweise des großen Wortes, welches er zu Philippus sprach: „Wer mich siehet, der siehet den Vater!“ und: „Ich und der Vater sind eins!“ Zu diesen Thaten des Herrn, worin er die Herrlichkeit seiner Liebe offenbarte, gehören vor allen die unzähligen, von den Evangelisten nur zum kleinen Theil aufgezeichneten, Heilungen der Kranken und Gebrechlichen aller Art. Diese Heilungen selbst sind mit der größten Einfalt, jedoch zum Theil so umständlich dargestellt, daß über ihre Beschaffenheit, als ächter, nur durch unmittelbare Gotteskraft bewirkter Wunder, gar kein Zweifel obwalten kann, wofern man nur die Evangelien als einfache menschliche Geschichtswerke anerkennt, wie sie ja jedem gesunden Sinn nach Ton, Form und Inhalt sich als solche erweisen, und sie nicht, dem schlichten Wahrheitsgefühl zum Trotz, in die Klasse der Mythen herabsetzt. Die Bestrebungen neuerer Zeit, diese großen Thaten Gottes unter und in die Botmäßigkeit der gemeinen seufzenden Thaten Gottes unter und in die Botmäßigkeit der gemeinen seufzenden Creatur herabzuziehen, d. h. sie natürlich erklären zu wollen, verdienen daher kaum einer Beachtung, viel weniger einer Widerlegung, mögen sie auch aus dem Munde hochgestellter Schriftgelehrten kommen: sie reden aus ihrem Eigenen, und die Wahrheit ist nicht in ihnen.
Jesus spricht, gebeut, berührt, dräut – und Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Stumme rede, Aussätzige werden rein, Todte erstehen, der Sturm schweigt, die brausenden Wellen legen sich. – Freilich eröffnet sich hiermit unserm Blicke eine ganz neue Welt, und eine von unserer alltäglichen Erfahrung durchaus verschiedene Wirklichkeit. Aber das soll es eben; und was hat die gegenwärtige irdische, daß wir uns in ihrer Beschränkung wohl gefallen könnten? Ruhet denn nicht auf unserer Erde der Fluch? Herrscht und waltet nicht überall der Tod, das Schrecklichste in der Natur, Todeskampf, Todesfurcht, Todesflucht? Sind wir nicht mitten im Leben vom Tod umfangen? Und wie könnte ein Himmlischer der Erde seine Abkunft anders bekunden, als dadurch, daß er seine Erhabenheit über das Ersterbende, Erstorbene und Todte, und sich selbst als den Herrn der Natur überhaupt erweiset, dem es möglich sei, die gebundene Lebenskraft neu hervorzurufen, alles Schlafende zu erwecken, alles Todte zu beleben, alles Kranke zu heilen? – Es ist nichts auf Erden, was das Leben aus und in sich selber hätte. Jeder Athemzug unsers Mundes, jeder Pulsschlag unsers Herzens, so wie jede Regung und Wirkung unserer Organe ist eben Erzeugniß und Erweis einer übersinnlichen, geistigen Welt, die wir in uns tragen, und welche wir eigentlich Leben nennen sollten. - Tod und Ersterben ist das eigentliche Wesen der Erde und des Irdischen, sofern es Leben hat; nur das an sich Leblose, der Staub (die Hyle) bleibt. Alles Leben und jegliche Lebenskraft und Lebensregung muß der Materie von oben kommen. So erscheint demnach der Sohn Gottes, im strengsten Gegensatz gegen die Erde, wenn er durch die That erweiset, daß er “das Leben in sich selber“ habe, oder, daß ihm des Lebens und des Todes Gewalt gegeben war, und er die Feinde, Hemmungen und Hindernisse des irdischen oder vielmehr zeitlichen Lebens (denn irdisch ist auch eigentlich das zeitliche Leben nicht, da die Erde so wenig Leben als Licht geben kann) eben so wie des geistlichen, göttlichen und ewigen zu überwinden wußte. Und ist nicht auch das menschliche Leben und der Tod, die Vereinigung und die Trennung des Geistes und der Materie, ein Räthsel und Geheimniß, dessen Lösung nur einem Geiste zustehet, der alle Dinge, auch die Tiefen der Urquelle alles Lebens zu erforschen vermag? Kannst du den Gürtel des Orion auflösen? oder die Bande der sieben Sterne zusammenbinden?
In diese natürliche aber geheimnißvolle Wunderwelt – in welcher wir leben, ohne das Mindeste davon zu begreifen, was über die äußere Erscheinung hinausreicht – mit göttlicher Allmacht einzuwirken und den Blinden, Tauben und Stummen das Gesicht, Gehör und Rede, dem Kranken Gesundheit, dem Todten das Leben durch Wort, Wink und Berührung wiederzugeben, war dem menschgewordenen Sohne Gottes von dem Vater verliehen. Dieses Einwirken einer höheren Natur in eine niedere, einer himmlischen in unsere irdische, ist an sich nicht wunderbarer und unbegreiflicher, als das Einwirken der Sonne auf unsere Erde und jeden Halm, den sie erzeugt, und unsers Geistes auf unsern Leib und dessen Glieder. Ja, im rechten Lichte gesehen, ist das Sehendwerden der Blinden auf Jesu Gebot kein größeres Wunder und Geheimniß, als daß die Sehenden sehen und die Hörenden hören. Nur dadurch ist und ward es ein Wunder, daß solches auf das Gebot des Menschensohnes, vor den Augen der Menschen in der Zeit und Erfahrung zusehends geschah, und somit als ein unmittelbares Gotteswerk sich erwies. Und warum geschah dieses Außerordentliche sichtbarlich? Darum, weil der Mensch Jesus das innige Verhältniß und Band, welches Ihn, den Mittler und Stellvertreter der Menschheit, mit Gott, dem Vater der Menschen, vereinigte (Joh. 14,11.), auf keine andere denkbare Weise offenbaren, und sich selbst, der an Wesen und Geberden als Mensch erfunden ward, nicht anders als den von Gott Gesendeten vor menschlichen Zeugen erweisen konnte, als durch Thaten, Wunder und Zeichen, die, wie Petrus sagte, Gott durch „Jesum von Nazareth, den Mann von Gott,“ vor den Augen der Menschen that. (Apostelg. 2,22.)
So wie der Verfasser des Briefes an die Hebräer den menschlichen, für uns geopferten Leib Christi mit dem Vorhange vergleicht, durch welchen der neue lebendige Weg zum Heiligthum führe (Hebr. 10,20.), so könnte man den irdischen Leib des Menschen, wie er seit dem Falle ist, einen, das Heilige verhüllenden Vorhang (Paulus nennt ihn einen Leib des Todes, Röm. 7,24.) nennen, weil durch ihn der natürliche Mensch (der sinnliche, seelische), von Gott getrennt, von der unsichtbaren Welt geschieden, gleichsam der chaotischen Erde wieder anheim gefallen ist. Der Sohn Gottes hob durch seine Menschwerdung (dadurch, daß er, weil die Kinder Fleisch und Blut haben, es gleichermaßen theilhaftig worden und in der Gestalt unsers sündlichen Fleisches erschienen ist, Hebr. 2,14. Röm. 8,3.) diesen Gegensatz, diesen Vorhang, diese Schranke auf, und gab dadurch dem Leben im Fleische seine Ehre wieder, daß er durch seine, seinem eigenen menschlichen Leibe inwohnende, und an menschlichen Leibern wohlthätig sich äußernde Gotteskraft, als den „Fürsten des Lebens“ (Apostelg. 3,15.) sich erwies und offenbarte.
Zwar der Leib in seiner jetzigen Beschaffenheit ist nur ein Kleid, die irdische Uniform des inwendigen Menschen, und ohne diesen kein nütze; er bleibt dieses in seiner irdischen Gestalt auch nur eine Zeit lang und ist zur Verwesung – Auflösung in seine Bestandtheile und Rückkehr in den Kreislauf der Natur – bestimmt; jedoch darum nicht minder, als der inwendige Mensch, der Geist, wenn gleich in anderer Weise und aus irdischem Stoff, von Gott erschaffen und gebildet; folglich ein göttliches Gewand, ein Vorhang, der das Heilige nur eine Zeit lang umhüllet – und die h. Schrift nennet ihn in dieser evangelischen, die Hülle durchschauenden Ansicht, einen Tempel Gottes. Dadurch, daß das Wort Fleisch ward, daß der Sohn Gottes und das Ebenbild seines Wesens in das Erdengewand unseres sündlichen Fleisches sich kleidete, in demselben starb und wieder erstand, und seine Kraft und Herrlichkeit auf mancherlei Weise in und an ihm erwies, hat der Leib aufgehört, ein Leib des Todes – und wir selbst, wenn wir auch nicht im Schauen, sondern am Fußschemel seines Heiligthums und, getrennt vom Vater, im Glauben wallen – Pilger und Fremdlinge zu sein. Zeit und Ewigkeit, irdisches und himmlisches Leben, Glauben und Schauen sind nur durch den Vorhang des Leibes geschieden und fallen, sobald jener sinkt, in Eins zusammen. „Siehe, ich mache Alles neu,“ spricht das Lamm, das auf dem Stuhle sitzet. – Jedoch ist unser Leib nicht in dem Maße ein Tempel Gottes, wie der menschliche Leib des Herrn es war, der in allen Stücken unserm sündlichen gleich war, die Sünde ausgenommen. Diese wohnet in unserem Leibe, und eben darum können auch unsaubere böse Geister (Geister der Krankheit), Geister der Finsterniß in ihm wohnen und ihn überwältigen. – Mit der Sünde ist auch das Siechthum mit allem seinem Heer in die Welt gekommen. Krankheit und Tod sind, wie die Sünde, nicht ursprünglich und anerschaffen, sondern unnatürlich, ungöttliche, mit der Sünde, dem Abfall von Gott, als ungöttliches Wesen in den Menschen eingedrungen. Krankheit und Tod sind chaotische Erscheinungen, denen die Menschheit durch Abweichung von dem Reiche des Lichts verfallen ist. Wo das Lichtreich aufhört, da tritt in mancherlei Gestalten das Reich der Finsterniß an dessen Stelle. Hierzu gehören Seuchen, Krankheiten und der Tod. Im Himmel erkrankt und kränkelt man nicht. Der Herr erwies sich als Sieger des Einen wie des Andern. Fürwahr, „er trug unsere Krankheit,“ aber er selbst ist nie krank gewesen, auch am Kreuze nicht.
Eine eigene Art, in den Tagen Jesu besonders zahlreicher Kranken waren die Dämonischen oder Besessenen. Nach den Beschreibungen der Evangelien waren Melancholie und Wahnsinn, dabei oft unbändige Wuth und außerordentliche Körperkraft, die gewöhnlichen Symptome dieses Übels. Nach den Berichten des Josephus und der alten Ärzte gebraucht man dagegen, wie bei andern Krankheiten, Arzneimittel, und Josephus macht die Bemerkung, daß die Dämonen abgeschiedene Geister böser Menschen seien, welche in die Lebenden übergingen und tödteten (nach Marc. 9, ins Wasser und Feuer würfen, sie umzubringen). Dies war allerdings die Vorstellung der damaligen Zeit von dieser Art Krankheit, und man kann zugeben, daß Jesus und seine Apostel sich hierin dem Sprachgebrauch des Landes und der Zeit anbequemt haben; ja, man siehet keinen Grund, warum sie davon hätten abgehen sollen, so lange man diese Benennung nicht als abergläubisch und falsch erwiesen hat.
Aber rückt man hiedurch der Sache selbst und der Erklärung des innern Wesens des Übels um ein Haarbreit näher? Ist es damit abgethan, daß man einen andern Namen für die Plage gefunden, und sie unter die Kategorie der Krankheiten gebracht hat? Ist sie eine Körper- oder Seelenkrankheit, ist die Ursache und Quelle psychisch oder somatisch? Der Körper erscheint keineswegs als krank, d.i. schwach, sondern überkräftig; er zerreißt Ketten und Bande. Auch kann man zugestehen, daß jetzt noch ähnliche (ich sage: ähnliche, nicht gleiche; denn die Zeit der leiblichen Gegenwart des Herrn macht einen großen Unterschied) bei Wahnsinnigen und Fieberkranken sich finden. Aber die Menge ähnlicher Fälle erklärt das Wesen einer Erscheinung eben so wenig, als alle Electrificirmaschinen und Luftpumpen in der Welt das Wesen der Luft und Electricität. Wir befinden uns auch hier wieder in einer Welt von Erscheinungen und Wirkungen, deren Substrat uns gänzlich verborgen ist. Im Grunde ist derselbe Fall bei jeder Krankheit, - man kennt nur deren Symptome und benennt sie darnach, darum aber nicht ihr eigentliches Wesen, weil man ja das Wesen des Lebens, als einer übersinnlichen Erscheinung, nicht nach Begriffen construiren kann. Krankheit ist Störung, Hemmung des Lebens, mag diese sich überwiegend geistig oder leiblich offenbaren. – Das ist Alles, was sich darüber sagen läßt. Der Arzt sieht nur die Symptome, nicht aber den „Geist“ der Krankheit. Die Arzneikunde ist eine sehr materielle Wissenschaft; daher oft sehr dünkelhaft.
Geschähe die Heilung dieser Kranken in den Evangelien auf dieselbe Weise, wie die der andern, d. h. so, daß bloß dabei gesagt würde, ihnen sei durch die Kraft Jesu ihr gesunder Zustand wiedergegeben worden; so könnte man die Aussprüche der Dämonischen als Einbildungen und Volkssprache gelten lassen. Denn Jesus Christus war nicht dazu erschienen, um medizinische Irrthümer und den gemeinen Sprachgebrauch zu berichtigen. Aber diese Heilungen, sowie die Krankheit selbst, haben so viel Eigenthümliches, daß sie der unbefangene, weder wunderscheue, noch wundersüchtige Beobachter unmöglich so obenhin abfertigen kann.
Die ganze evangelische Geschichte enthält nur sechs solche umständlich dargestellte Heilungen dämonischer Personen, wovon sich zwei, nämlich die Heilung der Gergesener und des Besessenen, den die Jünger nicht heilen konnten, bei allen drei Evangelisten; Eine, nämlich die Heilung des Sohnes der Canaaniterin, bloß bei Matthäus und Marcus, Eine in der Synagoge zu Capernaum, bloß bei Marcus und Lucas; Eine einzige, die des Stummen, bei Matthäus allein; desgleichen die eines taubstummen Dämonischen bloß bei Marcus finden. Außerdem wird mehrmals bemerkt, daß Jesus eine große Zahl solcher Besessenen geheilt habe, jedoch ohne ihre Heilung und die Umstände näher zu beschreiben. Johannes hat in seinem Evangelium kein einziges Beispiel dieser Krankheit und ihrer Heilung. Indeß enthält dasselbe auch nur im Ganzen sechs Wunderthaten des Herrn, und unter diesen drei Heilungen, und diese wahrscheinlich und vorzüglich um der besondern Reden und Rechtfertigungen willen, die sie veranlaßten, und welche dem eigenthümlichen Zwecke des Evangelisten bei Anfertigung seines Evangeliums gemäß waren. Johannes schrieb sein Evangelium, das letzte und der Schlüssel der Andern, in einer Zeit, wo schon, nach Paulus 1. Cor. 13,8., die Weissagungen und die Sprachen, kurz, die außerordentlichen und äußeren Zeugnisse der Göttlichkeit des Evangeliums anfingen, aufzuhören, und wo es der Wunder weniger bedurfte, als Creditive der Wahrheit. Aus seinem Stillschweigen kann also eben so wenig etwas gegen die andern Evangelien gefolgert werden, als es der Wahrheit Eintrag zu thun vermag, wenn überhaupt in den andern Schriften des N. T. ihrer nur selten oder gar nicht Erwähnung geschieht, obwohl der Herr den Aposteln unter andern Verheißungen auch die Gewalt über die Dämonen verlieh. (Marc. 16,17. Luc. 10,19.) Nur in der Apostelgeschichte findet sich ein merkwürdiges Exempel eines Dämonischen, der den in den Evangelien beschriebenen völlig ähnlich ist. (Apostelg. 19,13. f.)
Die Evangelien selbst enthalten demnach keine Angaben, woraus sich die Art und Beschaffenheit dieser Krankheiten genau erkennen ließe, oder woraus sich ergäbe, wie man behauptet hat, es seien bloß Melancholie, Epilepsie und dergleichen gangbare Übel gewesen. Vielmehr unterscheidet die evangelische Geschichte, und nicht minder der Sprachgebrauch der damaligen Zeit, den Zustand der Dämonischen von jeder andern Krankheit. Man schrieb sie der geheimnißvollen Einwirkung böser Geister zu, und hatte, wie aus Apostelgeschichte 19 erhellt, allerlei Bücher, welche abergläubische Vorschriften zur Entzauberung solcher Unglücklichen enthielten.
Aber den Evangelisten mußten auch diese Dämonischkranken viel weniger auffallend sein, da sie dieselben nur dem Grade nach unterschieden, ihrem Ursprunge und Wesen nach aber in die Reihe aller andern Krankheiten setzten. Denn in den Evangelien erscheinen die Krankheiten überhaupt nicht als bloß somatische und pathologische Übel und Erscheinungen, sondern sie werden aus einem einfacheren und höheren Gesichtspunkte angesehen. Auch bei einer Kranken, welche nicht dämonisch, sondern durch Krampf und Gicht so gekrümmt war, daß sie sich nicht aufrichten konnte, ist von einem Geist der Krankheit der Rede, und Jesus selbst, der sie heilete, sagt: „Daß Satanas sie 18 Jahr gebunden habe.“ (Luc. 13,11. 16.) Nach der Idee, sowohl des A. als des N. Testaments, gehören alle Krankheiten zu den Übeln, welche in dem Falle und sündhaften Zustande der Menschheit und in dem Fluche Gottes, der seitdem auf der Erde lastet, nicht aber über den Menschen, zu Gottes Bilde erschaffen, ausgesprochen ward, - weil er dazu erneuert werden sollte, ihren Grund haben. Sie sind Anfang und Stück des Todes, der dem Menschen gedroht wurde, und als ungöttliche Folge des Abfalls und der Trennung von Gott, und Gewalt des Teufels (Hebr. 2,14.) die Erde beherrschet; also ein Theil der Gewalt des Reichs der Finsterniß, dem der Mensch durch seinen Abfall von Gott anheim- und zum Theil wieder in das Chaos zurückfiel. Auf der Erde muß alles Geistige sich körperlich gestalten, um zu erscheinen; die Sünde ist geistige Krankheit, sie muß ihr entsprechendes leibliches Correlatum haben, und dies ist Leiblichkranksein und Sterben. Oder: Die sichtbare Welt steht mit der unsichtbaren, aus welcher sie entsprungen, und um derentwillen und durch deren Einfluß sie besteht, in der innigsten Verbindung, gleichwie die Erde mit dem Sonnensystem. So wie nun durch Störung der Ordnung des Letztern über die Erde Unheil und Verderben kommen würde, so mußte vielmehr aus der Verletzung der höheren in Gottes Wesen gegründeten sittlichen Ordnung, als einer Empörung gegen die Majestät Gottes, den Menschen, durch welche sie geschehen, Unheil an Leib und Seele zufließen, und über die Erde, welche Gott dem Menschen als Eigenthum zur Herrschaft übergeben, sich verbreiten. Als Beispiel diene die Blendung des Obscuranten Elymas. (Apostelg. 13.)
Wir finden keine Andeutung, daß Jesus selbst oder Einer seiner Apostel, nachdem sie durch den heiligen Geist zu seinen Stellvertretern geweiht worden, jemals krank gewesen. Paulus war blind in den drei Tagen seiner Umwandlung, und ward wieder sehend durch des Ananias Handauflegung. (Apostelg. 9.) Aber nachher unter dem vielfältigen Kreuz und Leiden seines Apostelamtes, welche er 2. Cor. 11. und an andern Orten aufzählt, erwähnt er keiner Krankheit. 3)Auch verhieß ja der Herr seinen Aposteln bei ihrer Sendung, daß, selbst wenn sie Tödtliches trinken und auf Schlangen und Scorpionen treten würden, es ihnen nicht schaden sollte. (Marc. 16,18.) Dagegen sagt Paulus ausdrücklich, daß in der Gemeinde zu Corinth deßhalb so viel Kranke und Schwache und Etliche gestorben seien, weil sie mit heidnischem Leichtsinne das Heiligste entweiheten. (1. Cor. 11,30.) Daß im A. T. Krankheiten und Seuchen durchgehends als Folgen der Sünde und des Abfalls von Gott dargestellt werden, bedarf keines Erweises. Z.B. 2. Mos. 23, 25. 26. 5. Mos. 28,59. f.
Was ist Krankheit? Wir können sie, wie die Sünde, nur negativ definiren und nichts weiter davon sagen, als daß sie ein abnormer Zustand, Störung des Organismus sei, d. h. das Gegentheil von Gesundheit, Hemmung des Lebens. Der Arzt mag alle Symptome auf das Genaueste angeben und vorhersagen, und das Übel und dessen Sitz und Wirkung mit der feinsten Diagnose benennen; die Krankheit selbst, von welcherlei Art sie sei, ist eine Erscheinung, deren Wesen ihm eben so unergründlich bleiben wird, als das Wesen des Körpers und dessen Verbindung mit dem Geiste. Jede Wirksamkeit und alles Leben in der Natur verliert sich, wenn wir der Quelle und dem Ursprung nachgehen, in das Geistige, Unsichtbare. – So gibt es auch, nach dem Ausdruck des Evangelisten, einen Geist der Krankheit, des Lebens Feind und Zerstörer, einen oder vielerlei Engel, d.h. Boten und Gehülfen, des Todes. Das verkörperte Bild desselben, so wie alles Geistigen sehen wir in den uns von allen Seiten umgebenden Hieroglyphen der Natur, in dem Gift der Schlangen und der Giftpflanzen. Keine Kunst noch Wissenschaft wird je den Geist uns vor die Augen zaubern, der, in Einem Tröpfchen (z.B. Blausäure) wohnend, in wenig Augenblicken das Gebräu des gesundesten Organismus zerstöret. Wer sah die Schale, aus welcher die Pest über Städte und Länder ausgegossen ward? Wer den Anfangspunkt, von welchem aus die Cholera durch die Welt zog?
So wie es gegen jedes sittliche Übel Heilmittel gibt und geben muß – denn das Gute ist stärker als das Böse, Gott mächtiger als Satan - : so gibt es auch Mittel gegen alle Krankheiten und die, wenn auch noch unvollkommene, doch bewundernswerthe Kenntniß und Anwendung dieser Heilmittel beweiset, daß Gott in dem verlassenen und von allen Seiten bekämpften Zustande der Menschheit nicht aufgehört hat, mit ihr zu sein, und wie anfangs durch Bekleidung für den nackten, so durch Heilmittel für den kranken Leib Sorge zu tragen. Wo Gift sich zeigt, da sucht und findet der Mensch das Gegengift; durch seinen über die Natur so hoch erhabenen Geist erforscht er den verborgenen heilsamen Geist, der dem verderbenden entgegensteht, und bekämpft diesen durch jene. Denn daß die heilsame Kraft der Arznei mechanisch wirke, etwa wie der Hobel eines Zimmermanns die Höcker eines Bretts, oder das Messer des Wundarztes ein schadhaftes Glied wegnimmt, wird kein denkender Arzt behaupten. So ist es auch nicht undenkbar, daß es, wie Josephus nach einer Volkssage erzählt, ein Kraut, man nannte es Baara, geben könne, durch dessen Gebrauch, unter Gottes Segen, Dämonische geheilt und der unsaubere Geist der Krankheit ausgetrieben worden.
Jesus bedurfte eben so wenig der äußern Heilmittel, als er sich derselben bediente, wenn man nicht etwa den einzigen Fall mit dem Blindgebornen ausnehmen will, wo er, zu besonderem Zweck, den mit seinem Speichel vermischten Staub zum Heilmittel machte. 4)Er heilte durch Wort, Wink und Berührung, nach freiem Wohlgefallen, und das Übel verschwand; der Geist, das geistige Princip, die unsichtbare Quelle der Krankheit, war ihm unterthan und entwich. Was jener sei, wird den Menschen eben so sehr ein Geheimniß bleiben, als jeglicher Uranfang jeder Kraft und jedes Lebens; z.B. in dem Ei und in dem keimenden Samenkorn. Hier grenzen die Anfangs- so wie die Endpunkte an ein Reich, das wir nicht zu schauen, sondern nur zu ahnen, und, sofern uns davon Offenbarung und Zeugniß gegeben ist, zu glauben vermögen. Was ist das = x, welches den Keim des Weizenkorns erweckt und belebt? Ist es nicht derselbe Hauch, der den Erdenkloß zur lebendigen Seele machte? Ruhet nicht auch das Körnlein in dem Schoß der unsichtbaren Welt? – Was stillte den Sturm und die brausenden Wogen des Genezareth? Woher dem gebietenden Worte die Kraft?
Jeder denkende Heilkundige wird nicht sagen, daß er und seine Arzneimittel die Krankheit aus dem Menschen fortgeschafft habe, sondern nur, daß er der kämpfenden und bekämpften Naturkraft zu Hülfe gekommen sei, den Krankheitsstoff zu tilgen und den regelmäßigen Gang des Organismus, den normalen gesunden Zustand herzustellen. Dieser Krankheitsstoff ist ein fremdartiges, in den Organismus des körperlichen Menschen eingedrungenes verderbliches Accidens, also das, was die Sünde dem geistigen, sittlichen Menschen. So wie dieser, sobald er zum Gefühl und Bewußtsein seiner Sünde oder einzelnen sündlichen Neigung gelangt ist, sich wenigstens zum Kampf gegen dieselbe verpflichtet fühlen und, je gesunder sein innerer Mensch, um so weniger ohne Widerstand und Widerspruch sich von ihr überwinden lassen wird; - so ist auch in dem körperlichen Organismus ein Kampf, eine widerstreitende Kraft gegen den Geist der Krankheit, der sich dessen bemächtigen will, - gleichsam, nach der Analogie des Gewissens oder moralischen Gefühls, ein Gesundheitsgefühl, welches aus sich selbst – man möchte sagen mechanisch oder instinctmäßig – dem physischen Übel, wie jenes dem sittlichen widerstrebt. Diese gegen das Übel ankämpfende Kraft ist, wie das Gewissen des sittlichen Menschen und wie der Instinct der vernunftlosen Thiere, aus Gott ihnen zu Schutz und Wehr verliehen; jenes aber ist es nicht, sondern, wie das moralische, ein das Gute und Göttliche bekämpfendes Übel; es gehört in das Gebiet des Todes und des Teufels. Darum sagt auch der Herr von der oben angeführten Kranken: Satanas habe sie achtzehn Jahr gebunden gehalten, und bei Marcus wird das Übel des blutflüssigen Weibes eine Geißel genannt. 5)
Allerdings ist es keine erfreuliche und eben deshalb oft widersprochene Ansicht, welche unsere irdische Mangelhaftigkeit und Knechtschaft, und namentlich unsere Krankheiten und leiblichen Gebrechen unreinen Geistern zuschreibt, und ihre Quelle in einem unsichtbaren feindseligen Reiche der Finsterniß nachweiset. Aber können wir denn Krankheit, Blindheit, Taubheit und andere Gebrechen als etwas Gutes, dem Lichtreiche, oder auch nur der Substanz des von Gott gut und zu seinem Ebenbilde erschaffenen Menschen Angehöriges uns denken? Erkennen wir sie nicht für das Gegentheil, für etwas Disharmonisches, Ungöttliches, an sich Böses? Und mit Recht. Denn das sittlich Gute, die Umwandlung und Veredelung des inwendigen Menschen, die oft durch Krankheit und körperliche Leiden in uns geweckt und gefördert wird und werden soll, ist doch nicht die Krankheit selbst; eben so wenig, als Petri Fall und Verleugnung die Selbsterkenntniß, Demuth und Kraft, die ihm daraus erwuchsen, oder als der Tod selbst die Himmelsthür und der Übergang in das bessere Dasein und Leben ist. – Wie könnte das Übel zugleich etwas Gutes sein? Es kann nur, wenn es in seinem Ursprung und Wesen erkannt wird, und indem es den Menschen demüthiget und aus leichtsinniger Zerstreuung zur Selbsterkenntniß treibt, das Verlangen nach dem Guten wecken und stärken.
Aber stehen wir denn unter dem Einfluß einer bösen Gewalt? – Das Wort Gottes lehret uns auf’s Bestimmteste das Dasein, sowie auch den Ursprung und die Wirksamkeit und Gewalt des Reiches der Finsterniß; jedoch bezeuget es zugleich eben so nachdrücklich, daß diese Gewalt nicht nur der Macht und Regierung Gottes unterworfen sei, dessen heilige Absichten sie nicht vernichten kann, vielmehr befördern muß; sondern auch, daß wir von diesem Einfluß mit und durch Gott gänzlich frei werden, und eben in dem Kampfe mit dem Reiche des Satans die Freiheit der Kinder Gottes und die Würde der Erstlinge seiner Creatur durch die Gnade unsers Herrn Jesu Christi und mit Hülfe des Heiligen Geistes, als unseres Bundesgenossen, erringen können und sollen. Muß, seitdem die Sünde und mit der Sünde der Tod in die Welt gekommen, jede Entwicklung des äußern menschlichen Lebens, selbst dessen Eintritt in die Welt, durch Schmerz und Kampf, Disteln und Dornen, Schweiß, Leid und Geschrei gehen. als deren Urheber der seiner Herrscherwürde durch eigene Schuld beraubte Mensch sich selbst zu betrachten hat; so bedurfte es – dürfen wir sagen – der Einwirkung eines widerstrebenden geistigen, d. i. Satansreichs zur Wiedergeburt und Entwickelung des göttlichen Lebens, und zur Erhebung aus dem selbst verschuldeten und durch vermehrte Schuld und Abtrünnigkeit verschlimmerten Zustande der Knechtschaft und der Erniedrigung. Ja, es bedurfte und bedarf der Diabolophanie und Thanathophanie (der Erscheinung, Offenbarung des Teufels und Todes) in ihren Einflüssen und Wirkungen, sowohl zur Erklärung, als zur Wiederherstellung des gestörten göttlich-ebenbildlichen Verhältnisses zur Theophanie in Christo, dem Fürsten des Lebens. 6) Wenn die Pflanze zerstört werden soll, so muß die Wurzel des Unkrauts an das Licht gezogen werden. Jenes ungöttliche Mißverhältniß tritt, wenn wir Augen dafür haben, überall hervor in unserm Leben, Denken und Reden, wo wir uns z.B. genöthigt sehen, Leib und Seele, die doch Gott zusammengefügt hat, zu scheiden; besonders aber, und sicht- und fühlbarlich in körperlichen Krankheiten, mögen sie als selbstverschuldetes Leiden oder als Prüfungen zur Läuterung des inwendigen Menschen erscheinen. Denn wie mit innern, so hatten auch mit äußern Anfechtungen die Auserwähltesten oft am meisten zu streiten. Paulus wurde von einem Satansengel mit Fäusten geschlagen.
In einem der ältesten Bücher unseres Canons, dem Buche Hiob (sein Name heißt der Befeindete), ist diese, von den Menschen aller Zeiten und Gegenden dunkel geahnete oder erkannte Wahrheit mit besonderer Klarheit dargestellt. Nachdem Hiob frühere Unfälle mit unverrücktem Muth und Gottvertrauen ertragen, tritt Satanas zu dem Herrn und spricht: „Recke deine Hand aus und taste sein Fleisch und Gebein an, so wird er dir in’s Angesicht fluchen.“ Und der Herr giebt Hiob in die Gewalt des Satans, und dieser schlägt Hiob mit Schwären von den Fußsohlen bis zur Scheitel. Satanas fordert den Herrn auf, Hiobs Fleisch anzutasten; aber nicht der Herr thut es, sondern gestattet es dem Satan; und dieser, der böse Geist, erzeuget die Krankheit; Satans bindet ihn. So tritt dieselbe Idee auch da im A. T. hervor, wo dasselbe Übel, Davids Hochmuth und Kriegeslust, in der einen Stelle Gott, in einer andern dem Satan zugeschrieben wird.7) Der Grund dieses scheinbaren Widerspruchs liegt in der geheimnißvollen Mischung und Durchkreuzung des zwiefachen, auf unserer, unter dem Fluche seufzenden, Erde waltenden und sich bekämpfenden Reichs des Lichts und der Finsterniß, weshalb auch der Herr selbst den Teufel den Fürsten, und Paulus sogar ihn den Gott dieser Welt nennt. Jedes Übel, folglich auch die körperlichen, Krankheit und Seuchen, haben ihren Urquell in dem Reiche der Finsterniß. Sie sind der Tod im Leben, aber, wie jener, sollten sie unter der Leitung des Lebendigen, der den Tod und die Hölle überwunden hat, zum Leben führen.
Wenn also Jesus einen Kranken heilet, so erweckt er einen Todten, er ruft das erstorbene Auge des Blinden, das todte Ohr des Tauben, die erstarrten Glieder des Lahmen in das Leben zurück. Der Arzt thut dasselbige, indem er durch Anwendung der Mittel, in welche der Schöpfer besondere Heil- und Lebenskraft gelegt hat, die Krankheit und den Tod bekämpft. Dies vermag der Mensch, weil er, selbst göttlichen Geschlechts, durch die Kunst (gleichsam nachahmende Schöpferkraft, von Können) so viel ihm gegeben ist, auf Andere einwirken kann. Ein Analogon – ja man möchte sagen – reines göttliches Wirken findet sich in den Kunsttrieben mancher Thierarten, z.B. der Biene, welche in ihren mathematischen, architectonischen und chemischen Bestrebungen niemals irrt, weßhalb das Alterthum sagte: Numen in illis; es ist Göttliches in ihnen. 8) Ebenso ist die Behauptung der Naturforscher, daß manche Thiere gegen empfangene Verletzungen und Krankheiten, welche sie auf der armen, von so mancherlei Siechthum und Krämpfen heimgesuchten Erde, mit ihrem freilich entthronten Gebieter, dem Menschen, obwohl in viel geringerem Maße theilen, von ihren Trieben geleitet, untrügliche Heilmittel anwenden, keineswegs unglaubhaft. Der Mensch hat solche bewußtlose Triebe nicht, 9) eben weil er unendlich höher steht als jene, durch Vernunft, Bewußtsein, und Willenskraft, und maschinenartiger Instinct ihn erniedrigen würde. Er ist auf sich selbst, auf seinen Geist und seine Denkkraft hingewiesen. Jedoch würde ihm dieses nicht helfen, hätte er nicht zugleich in sich, ursprünglich, oder, welches hier auf Eins hinauskommt, traditionell, die Ahnung oder, um bergmännisch zu reden, die Muthung in dem Schoß der Natur verborgener, belebender Kräfte und Geister, welche den zerstörenden und tödtenden entgegen zu wirken vermögen. Dieser Glaube an vorhandene Heilmittel findet sich, ebenso wie der Glaube an eine unsichtbare Welt in dem Menschen vor, oder vielmehr, da alle Verwilderung ein Verfall, Verthierung ist, außer aller Cultur, und, wenn er sie, wie bei den Wilden gewöhnlich ist, oft in Zaubermitteln sucht, so beweiset dieses um so mehr, daß er, mit Recht, jene Kräfte für geheimnißvolle und übersinnliche hält. Seine suchende (muthende) Vernunft, an der Hand der Erfahrung, leitet ihn nun auf den rechten Weg. Er durchforscht die Erzeugnisse der Natur, vor andern zunächst das Pflanzenreich, in welchem, als besonders von höhern Einflüssen abhängig, eine eigenthümlich stille und unschuldige Lebenskraft sich offenbart, und wie ein Baum des Lebens den Suchenden anzieht. Die eigenthümliche, ruhige, oft auffallende Gestalt dieser Naturgebilde, ihr Geruch und Geschmack leiten seine Forschungen, und so gelangt er dahin, die Heilkräfte derselben zu entdecken und nach und nach eine Heilkunst zu erschaffen, welche selbst tödtliche Gifte in Heilmittel verwandelt.
Dieser, sowie überhaupt aller Kunst, bedurfte es erst nach dem Abfall des Menschen von Gott, als die Sünde und mit ihr der Tod in die Welt gekommen und zu allen Menschen hindurchgedrungen war. Alle Kunst setzet die Reminiscenz eines verlorenen Edens und ein Suchen nach demselben voraus; sie ist, wie Claudius sagt, ein Feigenblatt, unsere Blöße zu bedecken, und die schöne bildende Kunst nach Baader „theils wehmüthige Reminiscenz der ursprünglichen natürlichen Vereinigung des Guten, Schönen und Angenehmen; theils vorbildliche Darstellung einer künftigen unauflöslichen Wiedervereinigung dieses Themas.“ In dem Lande Nod, bei den Nachkommen Kain’s, entstand sowohl die mechanische, als die schöne Kunst; erstere von Tubalkain, dem Meister in allerlei Erz- und Eisenwerk; letztere von Jubal, dem Erfinder der Instrumentalmusik, „von dem gekommen sind die Geiger und Pfeifer.“ (1. Mos. 4,21.22.) Jene zum Ersatz für die verlorene Herrschaft über die jetzt widerspenstige, Dornen und Disteln tragende Erde; also als Wehr und Waffe; diese, um durch die Kraft und den Wohllaut der Töne die erstorbene Harmonie in dem verstimmten Herzen des Menschen wieder zu wecken.10) Die “Kinder des Menschen“ bedurften dieser Hülfs-, Ersatz- und Heilmittel weit mehr, als die “Kinder Gottes,“ eben weil sie sich von der Quelle aller guten und vollkommnen Gaben weiter entfernt hatten. Je weiter von der kindlichen Einfalt des Vaterhauses, um desto mehr Suchen nach Künsten, sich selbst zu helfen. Lucrez hat Recht, nur in anderm Sinn, als er meinte, „daß die Furcht die Götter geschaffen.“ (Timor in orbe fecit Deos.) Wie das aus der Sünde geborene Gewissen – nach Tauler: Regung des in dem tiefsten Grunde des gefallenen sündigen Menschen verborgenen (also nicht vertilgten, sondern nur gleichsam herabgedrückten) göttlichen Wortes; - nach Nitzsch: Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Gemüthe – allerlei Mittel und Zauberformeln, es zu beschwichtigen, erfunden hat, so hat die Todesfurcht zur Erfindung der Heilmittel und Arzneikunde den Antrieb und die Veranlassung gegeben. – „Eure Augen werden aufgethan werden, sprach der erste Verführer, und werdet sein wie Gott, und wissen, was gut und böse ist.“ (1. Mos. 3,5.) In diesem verführerischen Ausspruche des Lügengeistes liegt die Andeutung, sowohl des nun mit der Sünde in dem Menschen erwachten Gefühls eines unseligen Getrenntseins von Gott, als auch seines Suchens nach dem Göttlichen, nämlich insofern dieses ihm dienstbar werden sollte. Das heidnische Alterthum leitete die Heilkunst von den Göttern ab, und sie war, wie die Zauberei, bei den meisten Völkern mit dem Priesterthum verbunden. Und ist sie nicht in der That eine göttliche Kunst und Weisheit, insofern sie das verborgene Göttliche aufsucht, um das Ungöttliche damit zu bekämpfen und zu vernichten? Es verhält sich nämlich mit unserm jetzigen irdischen Zustande etwa also, als ob, nachdem der Fluch über die entweihete Erde ausgesprochen worden, das frühere Eden, welches bestimmt war, mit dem schuldlosen Menschengeschlecht sich über den ganzen Erdboden als ein Garten Gottes auszubreiten, nun in unzählige Bestandtheile aufgelöset und zerstückelt, sich mit der vergröberten, chaotischen Erdmasse vermischt hätte; so wie ja auch in dem Menschen die frühere Ebenbildlichkeit Gottes nicht gänzlich zerstört und vernichtet wurde, wie das sofort nach dem Fall richtende Gewissen beweiset. – So wäre demnach die Heilkunde ein Suchen nach diesen verlorenen, paradiesischen Partikelchen, gleichsam nach den verweheten Blättern des Lebensbaums, - um durch dieselben die ermattende oder verlorene Lebenskraft zu ergänzen, oder wieder herzustellen.
Freilich als menschliches Eigenthum ist und bleibt die Heilkunst ein mangelhaftes Stückwerk, welches dem Irrthum unterworfen, dem untrüglichern Instinct der Thiere nachsteht. So kann sie auch nur langsam, durch die mühsam aus dem Naturgebiete zusammengesuchten und vermischten Mittel, d.h. vermittelst fremder belebender Kräfte und Geister, die Lebenskraft von dem Geist der Krankheit entbinden. Der Arzt darf sich demnach kein anderes Verdienst zuschreiben, als daß er der bedrückten Lebenskraft zu Hülfe gekommen sei, um sie von den Banden, Hindernissen und Hemmungen des sie bekämpfenden Geistes der Krankheit zu befreien. Er muß bekennen, die Natur, d.i., die noch übrige, freilich durch seine Mittel unterstützte Lebenskraft habe den Kranken geheilt, und er sei nur ihr Gehülfe gewesen. Es verhält sich damit, wie mit der Heilung (Bekehrung) eines verblendeten Sünders, welche die Schrift eine Wiedergeburt und neue Schöpfung, Umwandlung und Erneuerung des Menschen nennt. Wenn auch an einem solchen in Sünden Versunkenen nichts Gesundes mehr sich findet, so ist doch in ihm ein, wenn auch tief hinabgedrückter, geistlicher Lebenskeim, an welchen der Heilige Geist seine erweckende und neugebärende Kraft erweisen kann, - ein verborgener Funke, der zur verzehrenden Flamme, aber auch zum läuternden Feuer sich gestalten kann, wie jenes bei Judas, dieses bei dem Schächer. – Andere Menschen und äußere Umstände können dazu mitwirken; aber die Umschaffung des inwendigen Menschen selbst, seiner Vernunft und seines Willens, wird nicht durch diese, die ebenfalls krank und verderbt sind, sondern durch eine göttliche Kraft bewirkt, welche höher als alle Vernunft, sich mit dem verbindet, was noch von göttlicher Art, wenn auch ersterbend, als glimmender Docht in dem Menschen sich findet. Selbst die Apostel, wenn auch ihr Händeauflegen den h. Geist mittheilte und Blinde sehend machte, nannten sich nur Diener und Gehülfen der Wahrheit.
Mit Jesus Christus verhält es sich abermals ganz anders. In ihm, dem menschgewordenen Gottessohne, war, nach alter – man darf wohl sagen – ursprünglich-göttlicher und – so lange noch mehr Einfalt und Natur in dem Leben, den Sitten und Krankheiten der Menschen war – natürlicher – endlich auch, in so ferne Leib und Seele den ganzen Menschen ausmachen, schicklicher Weise, - das Propheten- und Hohenpriesteramt mit dem Beruf des Heilenden vereinigt. In ihm wurde das Wort, welches Gott durch Mose zu dem durstenden Volke bei den bittern Wassern zu Mara sagte, nachdem er ihm einen Baum gezeigt, durch dessen Holz das bittere Wasser süß und trinkbar wurde, erfüllt; das Wort: Ich, der Herr, bin dein Arzt. (2. Mos. 15,26.) Jesus heilte alle Arten von Krankheiten; freilich nicht durch irdisch-natürliche Mittel; er bedurfte derselben nicht; d.h. er hatte nicht nöthig, die in der Natur etwa verborgenen oder zerstreuten Heilkräfte zu suchen und anzuwenden, deßhalb, weil er, der Sohn Gottes, das Leben in sich selbst hatte, und ihm alle Dinge übergeben waren von seinem Vater. Die niedere irdische Natur (das Stückwerk, 1. Cor. 13.) mußte ja seiner göttlich-menschlichen gehorchen, sobald er wollte, von dieser abhängig, wie die Erde von der Sonne. Beispiele: Die Stillung des Sturmes und Meeres, die Verwandlung des Wassers in Wein zu Cana u.s.w.
Ja, um noch Einen Schritt weiter in unserer menschlichen Rede zu gehen, - wenn es der ewigen Weisheit und Liebe, die den Eingebornen sandte, gefallen hätte, das Menschengeschlecht – sowie durch die einfache, dem innersten Wesen des menschlichen Geistes und Herzens entsprechende Lehre des Evangeliums, von den Banden der Unwissenheit, des Götzendienstes und des Ceremonienwesens, also auch durch Mittel und Kräfte, die er in die Natur gelegt, von aller Krankheit zu erlösen, oder ihnen den Weg zu zeigen, wie sie sich selbst davon befreien könnten (wie Jehovah den Israeliten in der angeführten Stelle die Befreiung von allen Krankheiten Egyptens bedingterweise verhieß) – so würde Jesus auch auf natürliche Weise geheilt, die in der Natur zerstreuten und verborgenen göttlichen Heilkräfte, vermöge seiner göttlichen Erkenntniß, hervorgezogen, angewendet, den Menschen mitgetheilt, und somit das Reich und die Macht der Krankheiten zerstört haben. Dies ist (ex hypoth.) keinesweges unmöglich, noch undenkbar, und wäre vielleicht mit dem von Johannes, Cap. 21 seines Evangeliums aufgezeichneten, denkwürdigen Vorfall zu vergleichen, wo der Herr den Fischfang der Jünger auf dem Meere segnete, aber zugleich auf dem Lande schon Fische auf Kohlen gelegt und Brot hatte. – Indeß würde es vorher eine völlige Umwandelung des menschlichen Zustandes auf Erden gewesen sein, wofür die Menschheit nur dann reif sein konnte, wenn sie allzumal zuvor mit reinem Glauben Ihn anerkannt hätte und in vollem Sinn des Wortes seine Jünger geworden wären. Alsdann hätte aber auch von selbst alles Siechthum, Geschrei und Leid aufgehört, und diese göttlichen Menschen würden eben so wenig, als die Apostel, von Krankheiten befallen sein.
Ferner war auch der Sohn Gottes nicht erschienen, die Natur und äußere Gestalt der Erde umzuwandeln, und das Reich der Finsterniß mit einem Gewaltstreich zu vernichten; sondern um den von diesem Reiche versuchten und demselben in vieler Hinsicht hingegebenen, von dem Vater durch die Sünde getrennten Gotteskindern den Weg zu öffnen, auf welchem sie selbst, Ihm nachfolgend, in eigener göttlicher Kraft und Freiheit, jenes Reich bekämpfen, dessen Gewalt und Einfluß zerstören und im Glauben an ihn die Freiheit der Kinder Gottes, mit Gott durch den Immanuel, erringen könnten und sollten. – Er ging ihnen voran, als der menschgewordene Gottessohn, und bezwang dieses Reich in dessen einzelnen Theilen, Kräften und Wirkungen; Er gebot, und die Bande, womit Satanas die Einzelnen gebunden hatte, zerrissen. Er, ein Mensch wie andere, uns in Allem gleich, die Sünde ausgenommen, heilte durch Seine Gotteskraft die Kranken, und vor Seinem Geist und Willen mußten die Geister der Krankheit entfliehen, und zwar augenblicklich; übrigens auf dieselbe oder ähnliche und nicht minder unbegreifliche Weise, wie allmälig der anerschaffnen Kraft der Kräuter irgend ein Übel, das Gift dem Gegengifte weichen muß, oder auch durch den Koller oder Schatten des Apostels Kranke genasen. Manchen Leser wird dieser Paragraph seltsam dünken; der Verfasser selbst will sich nicht ausschließen.
In Jesu Christo, dem Sohne Gottes, war der Geist des Lebens, welchen Gott ihm nicht theilweise, sondern ganz gegeben hatte. (Joh. 3,34.) Theilweise und nach dem Maße besitzt ihn auch der Mensch, wie das Ebenbild Gottes auch noch theilweise in ihm ist. Aber wie Letzteres in dem natürlichen Menschen von Finsterniß umhüllt, und dessen Bewußtsein mit dem Verlust der Gemeinschaft Gottes in ihm untergegangen, und gleichsam in dem Todesleibe begraben ist, und nun das sündliche Fleisch in ihm herrschet über den Geist; so auch bekämpfet die Todeskraft die Kraft des Lebens in ihm. Erstere ist so gut etwas Positives, als die letztere, sowie Finsterniß eben so gut positiv ist, als das Licht, und es überhaupt nichts Negatives gibt, als das Nichts, welches wieder sich selbst aufhebt, als ein Wort ohne eigentlichen Sinn, wenn wir uns desselben anders, als in Beziehung auf unsere subjective Beschränktheit bedienen. Diese Kraft und Gewalt des Todes ist, nach der heiligen Schrift, nicht aus Gott; Er ist nicht ein Gott der Todten, sondern der Lebendigen; - sondern der Tod ist durch die Sünde in die Welt gekommen, und gehört also zu dem Reiche des Bösen. Krankheit, Blindheit, Taubheit sind aus dem Reiche des Todes, partieller Tod. Jeder Mensch ist dem Tode unterworfen, so gut als dem Tage die Nacht folgt; und Jesus Christus, der Menschensohn, mußte auch ihm sich unterwerfen, sonst wäre er nicht wahrhaftiger Mensch, erschienen in der Gestalt des sündlichen Fleisches, gewesen. Aber nicht Krankheit, noch Seuche konnten ihn, eben so wenig, als irgend eine Sünde, überwältigen; das Reich des Todes hatte nur von außen Gewalt über ihn, Zugang zu ihm. Er starb den Tod Abels, des ersten Sterbenden; nur durch des Verderbers Gehülfen konnte sein menschlicher Leib gemartert und getödtet werden, und dieses auch nur in so fern, und dadurch, daß er seinen Feinden freiwillig ohne Widerstand sich hingab, um des sterblichen Menschen Loos und Erniedrigung ganz zu erdulden. Darum vielleicht auch nennen die Evangelisten, wo sie geschichtlich davon reden, sein Sterben ein Aufgeben, Übergeben und Aushauchen seines Geistes.
Als der Sohn des lebendigen Gottes, gesalbet mit dem heil. Geiste und mit Kraft, hatte er Macht, nicht bloß sein eigenes, sondern auch Anderer Leben zu nehmen und zu geben. Da er mit den Zwölfen gen Jerusalem, seinem Leiden und Tode entgegen ging, rief er, der da sterben wollte, das Leben in die erstorbenen Augen des Bartimäus zurück, und während er selbst gefangen und gefesselt wurde, heilte er dem Malchus das verwundete Ohr. Dieselbe Kraft ward den Aposteln in gleichem Maße verliehen, nachdem der heil. Geist und mit ihm die Kraft aus der Höhe, nach der Verheißung, über sie gekommen war.
Diese Kraft Jesu Christi – denn auch die der Apostel war die Seinige – war vorerst stärker als die Kraft der irdischen Natur; die himmlische Kraft in ihm beherrschte und bezwang, sobald er wollte, jede irdische Kraft, sein Geist den Naturgeist. Denn jede Kraft der Natur, mag sie den Keim in dem verwesenden Korne beleben, den Saft in die Pflanze treiben und zur Blüthe und Frucht entwickeln, oder das Wasser des Gesundbrunnens bewegen (Joh. 5,4.), und die Mineralien, so wie Schnee und Eis nach festen Gesetzen crystallisiren, ist geistigen Wesens. Dem Menschen, nämlich dem Göttlichen in ihm, seinem Verstande und Willen sind diese, an bestimmte und darum erforschliche Gesetze gebundenen Naturkräfte, bis zu einer gewissen Grenze, also in beschränkter Weise unterthan, und zwar so, daß er durch Anwendung selbsterfundener Mittel, indem er die eine Naturkraft gegen die andere aufruft, und mit der einen die andere bekämpft, seinen Zweck erreicht. Eben so wie die bei weitem größere Kraft mancher Thiere, müssen auch die stärksten und furchtbarsten Naturkräfte, z.B. das Feuer, der Blitz, die Meereswellen u.a. seinem Willen dienen. Dieses bezeugt zwar, daß der Mensch göttlichen Geschlechts ist; aber nicht minder, daß er im Kampf mit den Naturkräften liegt, wie er diesen auch eben so oft unterliegt, als sie überwindet.
In Jesu Christo, dem Menschensohne, verhält es sich, wie die evangelische Geschichte zeigt, anders. Ihm waren die Kräfte der Natur immer, sobald er wollte, unterthan. Sturm und Meer gehorchten seinem Bedräuen, der Feigenbaum verdorrete, die Wellen trugen ihn, die Netze füllten sich mit Fischen, das Wasser ward zu Wein, und wenig Gerstenbrode zur Nahrung für Tausende. Die Behauptung, daß dadurch die Naturordnung aufgehoben oder gestört sein würde, ist ein Mißgriff einer falschen, die Natur vergötternden Philosophie. Ist es denn Störung und Zerstörung, wenn an die Stelle des Schlechtern das Bessere tritt? War die Stillung des Orkans auf dem See eine Unterbrechung der Naturordnung? Würden wir es eine ungeziemende Störung des Naturganges nennen, wenn wir durch unsere Geistes- und Willenskraft die Gewitterwolken und Meereswogen, wie gezähmte Löwen und Elephanten leiten, oder wie die Natur, Regen und Thau in Wein, und wie die Biene, den Blumensaft und Staub in Honig und Wachs verwandeln könnten? Ja, beurtheilen wir nicht selbst die irdische Naturordnung, wie sie uns in der Erfahrung erscheint, eben so, wie wir z.B. die Sittlichkeit und Cultur eines Volks in gewissen Zeitperioden zu richten pflegen, und behaupten etwa, das Clima habe sich verschlechtert, die Sonne scheine ihre Kraft verloren zu haben, oder, wie Luther sagt, sie habe Runzeln bekommen, seit sie auf solche Schälke, die Menschen, scheinen müsse – und bezeichnen den Naturlauf ganzer Jahreszeiten und Jahre mit der Benennung des schlechten? – Geben wir dadurch nicht zu erkennen, daß wir uns, vermöge der höheren Ordnung, der wir angehören, über den Naturlauf erhaben fühlen, und diesen für mangelhaft achten? „Wir warten eines neuen Himmels und einer neuen Erde.“ Die ganze Natur hat Antheil genommen an dem Falle des Menschen und ist mit ihm in einen Stand der Erniedrigung herabgesunken, und unsere Erde, obwohl überall des Herrn, und überall Spuren seiner Allmacht und Weisheit an sich tragend, ist unvollkommen an sich, eben so wie der Mikrokosmus, der Leib, den der Apostel einen Leib des Todes nennt, und der ganze irdische Zustand des Menschen. Wie klein und ungöttlich ist demnach die Ansicht, welche den Beherrscher der Natur an die Gesetze und Formen bindet, denen er sie unterworfen hat. Solche Naturvergötterung ist in ihrem Grunde eine Verleugnung Gottes.
Vielmehr eben dieser neuen Gottesthaten und Erscheinungen bedurfte es, um die abgewichene, und gleichsam in die gemeine Natur versunkene Menschheit zu Gott zurückzuführen. Die Offenbarung ist ein Wunder an sich; darum geht ihr überall das Wunder der Natur zur Seite. Aber das größte aller Wunder und Gotteserscheinungen ist das Wunder des neuen Bundes. Der Sohn Gottes, in welchem alle Offenbarung erfüllet wurde, unterwarf sich dem unvollkommenen menschlichen Naturzustande, ihn hungerte und durstete, er aß und trank, menschliches Blut floß in und aus seinen Adern, er neigte sein Haupt und verschied. Und daß er, der dieses that und sich diesem unterwarf, der Sohn Gottes, Glanz seiner Herrlichkeit, Ebenbild seines Wesens war und ist, darauf beruhet die Herrlichkeit seines Werkes zur Wiederherstellung und Verherrlichung des entarteten Menschen. Und auf welche andere Weise hätte dieses können bezeugt und erwiesen werden, als durch Offenbarung seines Reichthums in seiner Armuth, seiner göttlichen Gestalt in der menschlichen Knechtsgestalt? Und abermals diese, wie anders, als dadurch, daß die Natur seinem Wort und Wink gehorchen mußte? Darum berief er sich auch auf seine Werke, als vollwichtiges Zeugniß seiner Sendung, aber zugleich schrieb er sie nicht sich selbst zu, als dem Menschensohne, sondern seinem Einssein mit dem Vater, so wie er seine göttliche Kraft auch nie für sich selbst, zu eigenem Vortheil, gebrauchte.
Man kann auch noch folgende Bemerkung hinzufügen. Eben dadurch, daß durch seinen Willen und auf sein Wort die Blinden das Gesicht, die Tauben das Gehör, die Todten das Leben wieder empfingen, und also die gehemmten und erstorbenen menschlichen Kräfte befreit oder von Neuem erweckt wurden, erwies sich der Sohn Gottes thätlich und sichtlich als der Vermittler zwischen Gott und den Menschen, zwischen der unsichtbaren und sichtbaren, der himmlisch-freien, geistigen und der in irdische Leiber beschlossenen zeitlichen Welt. Das Irdische und Leibliche hängt wie ein starrer Vorhand scheidend zwischen beiden. Diesen räumte er hinweg durch seine Wunder, zum Zeichen und Zeugniß, daß leibliches Elend, Armuth und Tod eben so wenig, als der Sturm, den er bedräuete, Gewalt haben, den Menschen zu scheiden von der Liebe Gottes. Sichtbarlich bewies er, daß die Schranken irdischer Natur und Schwachheit, welche den Menschen von Gott zu trennen scheinen, zu seiner Zeit eben so wohl vor der Gotteskraft zerfallen müssen, als die Schranken des Ceremoniengesetzes, welches, auch von Gott stammend, nur eine Zeit lang dauerte, kurz, daß alles Sichtbare, auch Blindheit und Tod, nur zeitlich ist, das Unsichtbare aber ewig.
Jedoch wir kehren von dem Allgemeinen zu dem Besonderen unserer Aufgabe zurück. So wie der Herr Jesus durch seine Gottesthaten überhaupt seine Herrlichkeit offenbarte, so erwies er sich besonders in seinen Krankenheilungen (wozu auch Todtenerweckungen gehören), als den Heiland der Menschen, als den Erretter von Sünde und Tod, als Gründer und König des Himmelreichs auf Erden. Diesem himmlischen Königreiche stehet, oder vielmehr stand und stellte sich entgegen das Satansreich. Dieses hatte zur Zeit Jesu seine größte Höhe erreicht, und äußerte seinen Einfluß durch eine allgemein verbreitete Unwissenheit in göttlichen Dingen, durch Unglauben und Aberglauben. Die mosaische Religion war im jüdischen Lande zu einem bloßen Ceremoniendienst und äußerer Werkheiligkeit versteinert, oder in völligen Unglauben (Saducäismus) aufgelöst, und nur wenig ächte Israeliten erwarteten einen Heiland, und selbst unter diesen Manche mehr einen irdischen als geistigen Retter. Der jüdische Monotheismus war nicht mehr Glaube an den lebendigen Gott, sondern zur todten Form und Formel geworden, und deshalb nicht viel besser, als der heidnische Götzendienst und Aberglaube. Der allgemeine Verfall der Sitteneinfalt und Frömmigkeit unter dem Volke Gottes ergibt sich nur zu sehr aus der ganzen evangelischen Geschichte, besondern aus der Leidensgeschichte des Herrn, und nachher aus den Verfolgungen der Apostel. Die Axt ruhete an der Wurzel und die Wurfschaufel an der Tenne. Die ganze übrige Welt war versunken in Heidenthum, Finsterniß und Laster. Augustus, Tiberius und Nero waren nicht bloß die Beherrscher, sondern auch die Repräsentanten der damaligen Menschheit. Wo fand sich eine Spur von Erhebung des Geistes über das vergängliche Wesen der Welt, als etwa – weil doch das Göttliche nicht mit einem Male von dem Menschen sich trennen kann – in den überhörten Kunstsprüchen und Stilübungen eines Seneka und einiger Philosophenschulen, oder in der verhallenden Seufzern eines zürnend zweifelnden Tacitus? Das Fundament zur allgemeinen Herrschaft des Satans war überall gelegt; die Götter, welche nur noch der Pöbel anbetete, und als geheime Zauberkräfte, um ihren Zwecken zu dienen, durch Gebete und Opfer beschwören zu müssen glaubte, waren nur die Ideale und Idole der Lüste und Laster, und die Kirchenväter und alten Apologeten hatten Recht, wenn sie solche, vom Jupiter bis zum Ganymed, für Mitglieder und Repräsentanten des Satansreichs erklärten. War es doch so weit gekommen, daß man die schändlichen und verhaßtesten Kaiser und Tyrannen, diesen Abschaum der Menschheit, göttlicher verehrte, während man in Jerusalem den Herrn der Herrlichkeit an das Kreuz schlug und Stephanus steinigte. Kurz, niemals war die Menschheit so von allem göttlichen Wesen entblößt und in sich selbst versunken, niemals hatte das Reich des Teufels eine solche Herrschaft über die Menschheit, die cultivirte – denn die rohen Natursöhne des Ostens und Nordens wurden als schneidende und heilende Werkzeuge der Zukunft aufgespart – erlangt, wie damals. Die Zeit und Menschheit war im Begriff, in völlige Fäulniß überzugehen und zum Aas zu werden. Mit der äußersten sinnlichen Verfeinerung war eine solche sittliche Verderbniß verbunden, wie sie der Apostel mit prophetischen Worten im dritten Kapitel seines Briefes an die Römer (10-18.) schildert.
Dieser ungeheure Zwiespalt in dem Innern der zur höchsten sinnlichen Verfeinerung gesteigerten Menschheit, der in dem von Gott so hoch begabten Judenthum in einem hartnäckigen Widerstreben gegen Gott, und in einem geist- und glaubensleeren Festhalten und Vergöttern eines erstorbenen und versteinerten Buchstaben- und Ceremonienwesens, dagegen bei den Heiden in völliger Gottesverleugnung und Vergötterung der Welt und ihrer Lust und Satansdienst sich äußerte, mußte nothwendig solche abnorme Zustände herbeiführen, wie man sie in dem Maße noch nicht gekannt hatte. Dahin gehören vor allen die Einwirkungen der Dämonen, die Teufelsbesitzungen; auch Krankheiten, aber ganz besonderer Art.
So wie (a potiori also benannt) es einen leiblichen Tod und leibliche Krankheiten gibt, also auch geistliche Krankheit und geistlichen Tod; und wie jene Wirkung und Folge der in die Menschen eingedrungenen Sünde und Sündhaftigkeit sind, so werden diese als Überwältigung (ich rede mit Petrus) vom Teufel selbst, von welchem die Sünde ausgegangen ist, bezeichnet. (Apostelg. 10,38.) Das Wesen dieser geistlichen Krankheit ist uns, wie das Wesen unseres eigenen Geistes und der Geisterwelt, der wir angehören, verborgen. Das Wort Gottes hat uns nur so viel davon offenbaret, als wir in unserm beschränkten Kindheitszustande zu wissen bedürfen und zu fassen vermögen. Nur er allein, „der vom Himmel gekommen war und Alles wußte, was in dem Menschen war, und nicht bedurfte, daß Jemand Zeugniß gäbe von Andern,“ er allein erkannte, so wie den Vater, also auch den Sohn und sein Reich, und redete von beiden mit gleicher Bestimmtheit.
Aber noch mehr, er war dazu in die Welt gekommen, um der Menschwerdung des Teufels zu wehren, das Reich des Satans zu zerstören und die Menschheit von seiner Gewalt zu befreien. Um so grimmiger trat das Reich der Finsterniß hervor, denn Christus und Satanas, nicht aber Gott und Satanas, stehen einander entgegen. Gott ist über allen Gegensatz erhaben. Darum mußte jene Zeit wohl reich sein an außerordentlichen, bisher unerhörten Erscheinungen. Hieher gehören besonders die auffallenden Kraftäußerungen und Widerstrebungen der finstern Mächte. Von dieser Art waren die Verblendung, der tiefe Haß und die blinde Wuth, die Verstockung und gänzliche Sinnes- und Gefühlsertödtung der Feinde und Mörder des Herrn, wodurch die Leidensgeschichte auf der einen Seite eine Geschichte der Hölle geworden ist. Dahin gehörten aber auch die häufigen Erscheinungen der Besessenen, in welchen, so viel wir wissen, ohne ihre unmittelbare Verschuldung, das Reich der Finsterniß seine Gewalt übte.
So wie jenen Satanskindern, die sich freiwillig dem Reiche der Finsterniß hingegeben hatten, alles menschliche Gefühl und aller Wahrheitssinn untergegangen war in Sündenliebe und Gotteshaß, so erschienen hingegen die Dämonischen als geistig Kranke, als geistig Gebundene. So wie z.B. ein Krebsschaden den übrigens gesunden Körper polypenartig allmälig umschlingt, und die widerstrebende Lebenskraft bekämpft und zu besiegen sucht, und wir diesen Krebs selbst als ein fremdartiges (unnatürliches) scheiden, so war, nach der Geschichte, auch in dem Geiste jener Unglücklichen ein fremdartiges, geistiges Afterwesen, welches das eigene Geistesleben des Menschen zu fesseln und zu erdrücken strebte. Dieses Übel, dieser unsaubere Aftergeist bemächtigte sich des ganzen Menschen, zum Ebenbilde Gottes erschaffen, um das Menschliche in ihm zu ertödten. Wie konnte Schrecklicheres dem Menschen begegnen? Wahnsinn und Cretinismus können als Beispiele dienen. Sie erniedrigen den Menschen unter das Tier. Denn selbst die Gefühle und Empfindungen, deren Analogon wenigstens sich bei den Thieren findet, z.B. für das Leben selbst, für die äußern Dinge, für Reinlichkeit und Geselligkeit, ist in solchen Unglücklichen gänzlich erstorben.
Ein solcher Zustand in dem Menschen läßt sich nicht als etwas Negatives, als bloßer Mangel denken, wie etwa ein geringerer Grad von Geistesanlagen, sondern er ist eine positive Verrichtung, kann nur als positive Wirkung gedacht werden, der ein wirkendes Princip zum Grunde liegt. Die evangelische Geschichte nennt es Dämon, und weiset also jenem, den Geist umschlingenden Princip, seinen Ursprung und Sitz in der übersinnlichen Welt an. Man könnte es eine versuchte, persönliche Menschwerdung des Satans in dem einzelnen Menschen nennen, wie er sie in dem ganzen Menschengeschlechte, gegenüber der Menschwerdung Gottes in seinem Worte und Sohne, von jeher erstrebte.
Die Dämonischen der evangelischen Geschichte sind sich ihres gebundenen Zustandes, gleichsam eines zwiefachen, ihnen inwohnenden Geistes, bewußt; und wenn sie einestheils sich mit den Dämonen identificiren, oder die Dämonen aus ihnen reden (wie bei dem zu Capernaum, Marc. 1, und den Gergesenern); so unterscheiden sie sich andrerseits wieder von denselben und wünschen davon befreit zu werden. Das Übel hat auch verschiedene Stufen und Grade, und ist bei einigen mit körperlichen Gebrechen, als mit Stummheit, Taubheit, Blindheit, und in den Paroxismen mit gewaltsamen Gliederverrenkungen, Schäumen des Mundes, Zähneknirschen u. dgl. verbunden. Sobald der unreine Geist ausgetrieben ist, hören alle diese Symptome auf, der Zustand der Ruhe und vollen Besonnenheit kehrt zurück, und der geheilte Gergesener begehrt sogar, sich Jesu anzuschließen und ihm nachzufolgen.
Die merkwürdigste dieser Heilungsgeschichten ist eben die im Lande der Gergesener, welche die drei ersten Evangelisten, mit dem Unterschiede, erzählen, daß Matthäus zweier, die umständlicheren Marcus und Lucas aber nur Eines Besessenen erwähnen, welche Divergenz der Wahrheit keinen Eintrag thut, und schon dadurch gehoben wird, wenn man annimmt, daß in der Quelle der beiden letzteren Evangelisten nur der Eine als der Wortführer, und der Jesu nachfolgen wollte, angeführt und sein Begleiter als weniger merkwürdig übergangen wurde. Es war den Evangelisten nicht darum zu thun, eine aktenmäßige Darstellung jeder einzelnen Begebenheit zu geben, sondern die Kraftäußerung des Herrn selbst war ihnen das Wichtige; auch dachten sie nicht daran, daß künftige Erklärung zweier Dämonischen bedürfen würden, um eine Heerde von beinahe 2000 Schweinen von dem Abhange in das Meer zu stürzen. Daß die einfache Erzählung der Evangelisten dieser Erklärung widerspricht, bedarf kaum der Erwähnung. Es steht mit klaren Worten da, daß die Dämonen (nach Marcus die unsaubern Geister) in, nicht aber die Besessenen unter die Säue gefahren.
Wie aber unreine Geister sich die Leiber des unreinsten Thiers zur Wohnung wählen und erbitten konnten, ist freilich eben so unerklärlich, als, was der Herr selbst von den Dämonen sagt (Matth. 12,40. f.), daß sie, nachdem sie von den Menschen ausgefahren, wüste und öde Gegenden durchirrten, und dann, vereint mit andern, zurückkehrten. Aber wie sollte die Verbindung bösartiger Geister mit thierischen Leibern undenkbar oder auch nur auffallend sein, da ja alle geistige Kraft auf Erden mit Körpern, sowie unser eigener Geist mit unserm thierischen Leibe verbunden ist. Rief nicht der Herr selbst den durch den Tod getrennten Geist sammt der Lebenskraft in den erstorbenen und schon verwesenden Leib des Lazarus zurück? Und belebte nicht sein eigener Geist von Neuem seinen getödteten Leib? Von welcher Art sind die Seelen, die vernunftlosen Geister der Thierwelt? Oder ist Geist und Seele nichts Substantielles, sondern nur Wörter, womit wir den Organismus und dessen mechanische Kraft bezeichnen und also uns selbst betrügen? Liegt nicht dem Unglauben ein solch heimlicher Materialismus zum Grunde? Und, was kann uns dagegen berechtigen, sobald wir den Geist für ein eigenes substantielles Wesen erkennen, und außer unserm eigenen menschlichen, noch das Dasein anderer, guter oder böser Geister, zugeben, ihnen nur die Verbindung zuzugestehen, die wir in der Erfahrung gewöhnlich erblicken? Kann ein fremdartiger, körperlicher Stoff, dessen inneres Wesen uns eben so sehr verborgen ist, als das Wesen unseres Geistes, z.B. das ansteckende, unsichtbare Fluidum einiger Seuchen, oder ein Tröpfchen Gift, sich mit unserm Körper so vereinigen, daß letzterer, von jenem überwältigt, in einen ganz anderen Zustand geräth; warum sollte nicht auch fremdartig-geistiges dem menschlichen Geiste sich in ähnlicher Weise beimischen, ihn durchdringen, und dieser auch wieder durch höhere, geistige Kraft davon befreit werden können? Was wissen wir von dem thierischen Geisterreiche, dem Geist eines Tigers, einer Hyäne, der Brillen- und Klapperschlange? Scheinen diese Thiere durch Charakter, Leben und Gestalt nicht Sphinxe am Eingange einer schauerlich-räthselhaften Mysterienwelt, oder sind es Bilder und Schattenrisse des Zwiespalts und der Entartungen, welche mit der Sünde in die Welt eingedrungen sind? Gehören diese falschen, mordsüchtigen Naturen zu dem Reiche des Guten oder des Bösen, und sind sie im Zustande der Läuterung oder der Verdammniß – oder nur bloßer Organismus ohne Zweck und Bedeutung? - -
Die Beantwortung dieser Fragen liegt uns ob, bevor wir über das Hineinfahren jener Legion unsauberer Geister in die Leiber oder Geister der unsaubern Säue die Entscheidung uns anmaßen. – Konnten, wie die Geschichte sagt, die Dämonen jene unglücklichen Menschen so entmenschen, daß sie, nackend und wild, in Gräbern wohnend, ihr eigenes Geschlecht wüthend befeindeten, so ist nicht zu verwundern, wenn sie, in Thierkörper übergehend, diese, zürnend und ergrimmt, mit sich in den Abgrund zogen. Solches entsprach dem Sinn und Wesen dieser unsaubern Geister, welche die, ihrem Einfluß hingegebenen Menschen, in Grabgewölbe und Einöden trieben, sie in das Feuer oder Wasser warfen (Matth. 17,15.), oder allmälig sie auszehrten. (Marc. 9,18. Luc. 9,39.)
Daß nun diese Thiere, welche wie Kästner, die exegetischen Künsteleien verspottend, einst bemerkte, gerade den, wohin man sie zieht oder treibt, entgegengesetzten Weg einzuschlagen geneigt sind, jetzt, wider ihre Natur sich in das Meer stürzten, ist eine, dem Wesen der entmenschten Besessenen völlig analoge Erscheinung, und eine eben so natürliche Folge des auf diese Thiere abgeleiteten Übels, als es dem tollgewordenen Hunde, so zahm und zuthunlich er vorher auch war, natürlich ist, Alles, was ihm begegnet, zu beißen und anzufallen. – Der Rechtfertigung wegen des, den Besitzern der Heerde aus ihrem Untergange erwachsenen Schadens, wird es wohl nicht bedürfen. Ein Mensch ist doch wohl mehr werth, als zweitausend Schweine, und wenn auf solche Weise eine Legion teuflische Plagegeister in den Abyssus fuhr (Luc. 8,31.) und das Land davon befreiet wurde (Marc. 5,10.), so konnte der Menschheit und dem Lande Gergesa und Gadara keine größere Wohlthat wiederfahren. – Ja, als der geheilte und kaum gläubiggewordene Dämonische sich seinem Retter anschließen, und ihm nachfolgen wollte, entließ ihn der Herr, und gebot ihm, zu den Seinigen zu gehen und ihnen die Thaten Gottes zu verkündigen. „Und er ging hin, und fing an auszurufen in seiner Stadt und in den zehn Städten, wie Großes der Herr Jesus an ihm gethan hatte. Und Jedermann verwunderte sich.“ – Also hatten sie für ihre 2000 Schweine einen Apostel des Evangeliums doch wohl nicht zu theuer gewonnen. –
Wie aber endlich die Herrlichkeit Jesu Christi, des Herrn, sich vor allen in diesen Heilungen der Dämonischen offenbart, bedarf keiner nähern Entwickelung. Auch die Geister sind ihm unterthan; sie erkennen ihn augenblicklich als ihren Herrn und Gebieter, als den verheißenen Davidssohn und Heiligen Gottes, und fahren aus auf sein einfaches Wort! Eben diese Art von Gottesthaten scheint die evangelische Geschichte als die höchsten Erweise der göttlichen Kraft und Herrlichkeit Jesu Christi darzustellen, wie auch Petrus, in seiner Rede an den Cornelius, einzig die Heilung derer, die vom Teufel überwältigt waren, als Beweis seiner Salbung mit dem heil. Geiste, anführt. Auch erregten sie die höchste Bewunderung des Volks, und den Feinden des Herrn war nichts angelegener, als eben diese Wunderthaten Jesu zu bestreiten, und da sie solche nicht zu leugnen vermochten, sie als Werke des Satans selbst darzustellen, welches der Herr ihnen durch die einfache Bemerkung, daß alsdann das Satansreich mit sich selbst zerfallen sein müsse, widerlegte.
Merkwürdig ist auch der Umstand, daß die mit Wunderkraft ausgerüsteten Jünger vorerst nicht vermochten, einen Dämonischen zu heilen (Matth. 17,16.), und als sie m die Ursache dieses Unvermögens sich befragen, nennt ihnen der Herr als solche ihren Unglauben, und fügt, nach Lobpreisung der Kraft des Glaubens, die merkwürdigen Worte hinzu: „Diese Art fähret nicht aus, denn durch Beten und Fasten.“ Das heißt durch Erhebung des Geistes und Bezähmung des Fleisches, oder durch Selbstverleugnung und Vereinigung mit Gott. – Und als nachher die von ihrer Sendung zurückkehrenden Jünger frohlockend rühmen, daß auch die Dämonen ihnen unterthan gewesen in Jesu Namen (Luc. 10,17. f.) – erhebt sich der Herr in feierlicher Gemüthsstimmung und spricht: „Ich sah den Satan vom Himmel fallen als einen Blitz! – Sehet, ich habe euch Macht gegeben zu treten auf Schlangen und Scorpionen, und über alle Gewalt des Feindes, und nichts wird euch beschädigen; doch darum freuet euch nicht, daß euch die Geister unterthan sind, freuet euch aber, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Hier, und in dem darauf folgenden Dankgebet, worin er den Vater preiset, daß er solches nicht den Weisen und Klugen dieser Welt, sondern den Unmündigen offenbaret, - und in dem, was er dann von seiner eigenen Herrlichkeit und Würde, und der Jünger Berufung sagt (V. 21,24.), - entwickelt er das “Geheimniß des Reiches Gottes auf Erden“ als einen siegreichen Kampf, den er und seine Jünger mit dem feindseligen Reiche der Finsterniß zu bestehen hatten. Jenem angehören und dieses bekämpfen, erklärt er für das Höchste. Und eben dieses ist ja auch der Endzweck und das Ziel, sowohl der Erniedrigung des Sohnes Gottes im Fleisch, als seiner Erhöhung zur Rechten des Vaters. „Denn er wird aufheben alle Herrschaft, Obrigkeit und Gewalt (die außer Gott ist), und herrschen, bis er alle seine Feinde, auch den letzten Feind, welcher der Tod ist, wird aufgehoben haben. Alsdann wird er Gott und dem Vater das Reich überantworten, und selbst unterthan sein dem, der ihm Alles untergethan hat, auf daß Gott sei Alles in Allem.“ (1. Cor. 15,24-28.)
Nach Jesu eigener Erklärung sind also die ihm von Gott verliehenen Kräfte und Gewalt über die Materie und sichtbare Natur, so wie übe die unsichtbare Geisterwelt nichts anderes als Zeichen seiner Würde und Sendung als des Sohnes Gottes, zugleich aber auch als der sichtbare, zeitliche Anfang seines in der unsichtbaren Welt durch seine Macht und Herrlichkeit sich vollendenden Königthums und Königreichs, und dessen symbolische Andeutung. Für solche göttliche Auszeichnungen und Andeutungen erklärt er sie selbst, indem er ihnen nur einen untergeordneten, zeitlichen Werth, in Beziehung auf die zukünftige Vollendung, einräumt, welcher auch diese Wunderthaten, wie das Zeitliche dem Ewigen, das Stückwerk dem Vollkommenen, nachstehen. Darauf deuten selbst die Benennungen: Kräfte, Zeichen, Wunder, die sich alle auf die vorübergehende Erscheinung beziehen, wie denn überhaupt keine menschliche Sprache eine umfassende Bezeichnung für die Gottesthaten, die wir Wunder nennen, hat, noch haben kann. –
Auch standen die Apostel, wie schon bemerkt, in Hinsicht dieser ihnen zur Beglaubigung ihrer Sendung von dem Herrn verliehenen Kräfte, ihm selbst nicht nach. Endlich geschieht auch in den apostolischen Sendschreiben, die von dem Herrn nur, als von dem in seine Herrlichkeit Eingegangenen, reden, seiner in den Tagen seines Fleisches vollbrachten Wunderthaten, noch auch, so viel ich weiß, seiner auf Erden bewiesenen Wunderkraft, niemals Erwähnung.
So waren und sind also diese Gottesthaten Jesu nichts anders, als zeitliche und sichtbare Zeichen und Erweise, daß Jesus von Nazareth der Sohn Gottes, der Christ, der Herr und Heiland sei. Nachdem er als solcher kräftiglich erwiesen war, nach dem Geist der Heiligung, seit seiner Auferstehung von den Todten (Röm. 1,4.), bedurfte es jener Erweise nicht mehr; noch auch bedarf es derselben bei denen, die durch den Glauben an ihn, als in welchem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnet, das Leben haben in seinem Namen. Ihm sei Ehre und Anbetung von Ewigkeit zu Ewigkeit! -