Predigt am dreizehnten Sonntage nach Trinitatis.
Es segne uns Gott, unser Gott, er segne uns und sei gefürchtet bis an der Welt Ende. Amen.
Ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht, denn es ist eine Kraft Gottes selig zu machen Alle, die daran glauben! Das, geliebte Gemeinde, ist ein herrlicher Ausspruch des Apostel Paulus; die Kraft, die er aus dem Evangelio schöpfte, zeigte sich in seinem ganzen Leben und Wirken. Gleiche Kraft wird ebenfalls ein Jeder empfangen, der das Evangelium von Christo in seinem Herzen und Geist völlig aufnimmt. Denn stark ist des Christen Glaube! Er ist kein unbestimmtes banges Ahnen, kein schwankendes Meinen; er ist eine feste Zuversicht dessen, das man hofft und nicht zweifelt an dem, das man nicht sieht. An Gott, der der Vater aller Welt und die ewige Liebe ist, glaubt der Christ durch Jesum. Dieser Gott ist seine Stärke. Wenn die Welt ihn lockt mit ihrer Lust, wenn die Versuchung ihm die süßesten Verheißungen zuflüstert, so findet er in dem Glauben an diesen Gott die Kraft, den Trug der Sünde zurückzuweisen, und er steht fest, indem er spricht: Wie sollte ich so großes Übel tun und wider Gott meinen Herrn sündigen! - Gott ist sein Trost. Wenn die Welt ihn verkennt, ihn ungerecht schmäht und fälschlich beschuldigt, so erhebt über ihre Ungerechtigkeit ihn der Gedanke: Siehe, Gott ist mein Zeuge, und der mich kennt ist in der Höhe! Gott ist seine Zuflucht. Wenn er leidet, wenn kein irdisches Ohr sich seiner Klage öffnet und nirgends Hilfe und Rettung sich zeigt, so steht seine Zuversicht auf den, dessen Wege und Gedanken höher sind als die unsrigen, und der stets gerecht richtet. Gott ist sein Trieb. Wenn schwere Pflicht ihn zu ihrem Dienst fordert, so gibt der Aufblick zu Gott ihm die Freudigkeit, Lasten zu tragen und Opfer zu bringen; denn was der Herr ihm gab, soll dem Herrn wieder dienen. Gott ist sein Licht! Wenn er dem Dunkel des Todes und des Grabes entgegengeht, so hält er mit innigem Glauben fest an dem Wort Gottes, das ihm Jesus verkündet, durch welches Unsterblichkeit und ewiges Leben an das Licht gebracht wird. - Das ist die Kraft des Glaubens, die das Evangelium von Jesu Christo denen verleiht, die es von Herzen annehmen; die Kraft, welche den Menschen bindet an den Willen Gottes, auch in dem Schwachen mächtig wird; die Kraft, von welcher die Geschichte der christlichen Kirche glänzende Beweise aus jedem ihrer Blätter aufzeigt, welche noch immer auf dem Plan ist, und welche, als aus Gott geboren die Verheißung hat, die Welt zu überwinden. - Dieser Glaube nährt die christliche Hoffnung, und alle Kraft, die er selbst besitzt, alle Zuversicht, die er selbst erweckt, teilt er auch dieser zu.
Mit dem christlichen Glauben und der christlichen Hoffnung im Bund, und, nach dem Ausspruch des Apostel Paulus, die größte unter ihnen ist die christliche Liebe; sollte sie nicht eine gleich kräftige sein müssen? Ja gewiss, teure Mitchristen, die wahre christliche Liebe ist keine weichliche und schwächliche, sondern gerade in ihr zeigt sich des Glaubens Heldenkraft. Nur Missverständnis ist es, wenn man unter einem liebevollen Gemüt sich immer ein solches denkt, welches der innern Kraft entbehrt, und die Liebe, die ein Herz unkräftig macht, kann nie die rechte sein. Diese besteht in dem reinsten Wohlwollen gegen alle Welt, in dem edlen Bestreben, dass es jedem Wesen so wohl gehe, wie es nur möglich ist, d. h. wie es der Zweck seines Daseins und seine eigene Sittlichkeit nur gestattet. Solche Liebe erweist uns Gott; solche Liebe ist es, die uns auferlegt, im Schweiß unseres Angesichts unser Brot zu essen, weil die Arbeit uns zum Heil Leib und Seele stärkt, die Untätigkeit dagegen die Mutter der Versuchungen und Lüste ist, und jedes wahre Glück totet. Solche Liebe sucht den Menschen auch mit Prüfungen und Leiden heim, damit sie seinen Geist anregen, den weltlichen Sinn in ihm dämpfen und ihm zur Läuterung dienen. Solche Liebe ist es auch, die den Spruch der Gerechtigkeit fällt, den Frommen krönt, und dem frechen Übertreter der göttlichen Gebote Strafe droht. Die christenmenschliche Liebe soll aber ein Abbild der höheren göttlichen sein; es darf ihr weder Mut noch Kraft zum rüstigen Vollbringen fehlen, und selbst des strafenden Ernstes darf sie da nicht entbehren, wo die Milde nur das Herz verstocken und die Kraft des Bösen verstärken würde. - Es ist eine noch aus dem Heidentum uns vererbte Lüge, wenn man noch oft die glühenden Leidenschaften, Hass und Rachsucht, wegen ihrer Kraft und Stärke entschuldigen, ja wohl gar als männlich und ehrenvoll rühmen und bewundern hört. Als Leidenschaften sind sie ein krankhafter Zustand des Gemütes und die Kraft, die sich in ihnen offenbart, ist keine gesunde, daher auch keine rühmenswerte. Jede Folgerichtigkeit des Handelns kann nur dann eine wirklich ehrenwerte und rühmliche sein, wenn sie aus der Liebe hervorgeht, und von ihr durchdrungen ist. Die weltliche Liebe, die ihren Grund bloß in dem sinnlichen Gefühl hat, ist eine schwache und veränderliche; die wahre christliche Liebe ist eine dauernde, ewige. Sie hört nimmer auf, sie verleiht dem Leben des Christen die schönste Würde, den rechten Mut und die wahre Kraft. Ein Bild solchen edlen, kräftigen Wirkens in der Liebe stellt der Heiland uns in dem heutigen Evangelio dar; nach ihm wollen wir heute dem Satz betrachten, dass die christliche Liebe stets eine mutige und kräftige sein müsse.
(Gesang. Gebet.)
Lukas 10, V. 23-37.
Seht die Tat christlicher Liebe von dem Heiland verherrlicht in dem Bilde des barmherzigen Samariters. Er fragte nicht danach, ob der Leidende sein Nächster sei; sein Herz sagte ihm: er sei dem Leidenden der Nächste, und es trieb ihn Menschenpflicht an ihm zu üben. Er eilt nicht flüchtigen Schrittes von dannen, wie der Levit und der Priester; er bleibt und hilft, ob auch Gefahren, Lasten, Unannehmlichkeiten und Nachteile damit für ihn verbunden sein mochten. Jene kannten auch das Gebot der Schrift: Du sollst Gott lieben über Alles und deinen Nächsten als dich selbst; aber die wahre Liebe empfanden und bewährten sie nicht. Der Samariter dagegen soll uns ein Vorbild christlicher Liebestat sein; an seinem Beispiele wollen wir lernen, dass die wahrhaft christliche Liebe stets eine mutige und kräftige sein muss; welche Gefahren nicht fürchtet, Opfer nicht scheut, unermüdet ausdauert und die selbst der Tod nicht schreckt.
Ja, die wahrhaft christliche Liebe hat immer Mut und Kraft;
Wollten wir behaupten, dass der Priester und Levit lediglich aus Gefühllosigkeit vor dem halbtot daliegenden Wanderer vorüber gegangen seien, unbekümmert darum, ob er lebe oder sterbe, so möchten wir leicht zu hart sein. Solche Gefühllosigkeit ist ja kaum denkbar. Vielleicht nur aus Furcht eilten sie so schnell von dannen, dass ihnen ein gleiches Los bereitet werden könne. An einsamem Ort trafen sie den Halbtoten mit Blut und Wunden bedeckt und schauderten. Noch trug die Stelle Spuren des vorangegangenen Kampfes, und schon das erfüllte sie mit Schrecken. Konnten aber die Räuber nicht vielleicht noch wiederkehren, und dann auch ihnen, wenn sie sie mit ihrem Opfer beschäftigt sahen, Gewalt antun? Konnte nicht der Verwundete unter ihren Händen sterben? Alle diese Möglichkeiten regten ihre Furcht wohl so auf, dass das sich etwa regende Mitleid davor verstummte. Die Furcht vor der Gefahr hinderte sie an der Erfüllung ihrer Liebespflicht, und dadurch war der Beweis geführt, dass ihre Liebe nicht die rechte war, weil Mut und Kraft ihr fehlten. In dem Herzen des Samariters aber lebte die rechte Liebe und darum hatte er auch Mut und Kraft. Er konnte sich die möglichen Gefahren ja auch nicht verhehlen, vor welchen Jene die Flucht ergriffen; aber er kann den Unglücklichen nicht verlassen, er weilt bei ihm, er verbindet seine Wunden, hebt ihn auf sein Tier, und langsam und besorglich, wie sein Zustand es erforderte, schreitet er vorwärts, ihn zur sicheren Herberge geleitend. - So mutig und kräftig zeigt sich die wahrhaft christliche Liebe immer. Sie war in Jesu lebendig und bezeichnete sein ganzes Wirken hienieden. Ob er auch wusste, dass seine Feinde ihm auf jedem seiner Schritte auflauerten, und danach trachteten, dass sie ihn umbrächten, ob er auch wusste, dass es ihrem bösen Willen endlich an Kraft und Gelegenheit nicht fehlen würde, ihn zur Ausführung zu bringen, so geht er doch mit freudigem Mut seine Bahn und scheute keine Gefahr, denn seine Liebe trieb ihn, zu tun den Willen seines Vaters im Himmel und zu vollenden sein Werk. - Von gleicher Liebe zu dem Heiland und zu der Welt durchdrungen, gingen seine Apostel denselben Weg ihm nach und bewährten dadurch, dass sie nicht liebten mit Worten oder mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit. - Und wo ist jemals die wahre Liebe ohne Mut und Kraft? Die Liebe zum Vaterland treibt seine Söhne auf das blutige Schlachtfeld hinaus, um seine Ehre und Freiheit zu schützen, und ob der Tod dort auch reiche Ernte hält, sie weichen nicht, sie stehen fest und schützen den heimischen Herd, den sie lieben, und die Teuren, die sie dort zurückgelassen. Die Liebe scheut nicht der verheerenden Seuche giftigen Pesthauch; sie denkt nicht an sich, sie eilt herbei zu treuer Pflege und harrt aus bei den Geliebten trotz der Gefahr, mit jedem Atemzug den Keim des Todes einzusaugen. Aus Liebe opfert die Mutter dem Kinde Alles, deckt das schwache Weib den Säugling mit dem eigenen Leib, bereit den Todesstreich zu empfangen, wenn nur ihr Kind bewahrt bleibt. Die Liebe treibt den Retter in die Flammen oder in die Fluten, um ein dort gefährdetes Leben zu retten, und wo solche Kraft und solcher Mut sich nicht finden, da ist auch keine Liebe. O, es gibt Menschen genug, die gar schön zu sprechen wissen, denen bei dem Anblick des menschlichen Elends augenblicklich das Herz brechen will, denen bei beweglichen Klagen leicht die Augen übergehen, die gern dann ihre Hand öffnen zu einer milden Gabe, von ihrem Überfluss dargereicht, und die sich dann selbst das Lob ihrer Menschenliebe zurufen. Damit habt ihr noch nicht genug getan; mit Geld könnt ihr die Pflicht der Menschenliebe nicht abkaufen; solche weichliche Liebe findet sich auch bei von der Sünde entnervten Gemütern. Wo das Herz nicht stark und mutig genug ist, selbst Hand anzulegen zur Vollbringung der Liebestat, und dabei auszuharren, auch wenn Gefahr droht, da ist die wahre Liebe nicht. Denkt euch in die Lage des Samariters, denkt euch allein in der Wüste mit dem Zerschlagenen, seiner Kleidung Beraubten, vielleicht bald Sterbenden? Bei wie Vielen wird dieser Gedanke allein schon ein Grausen, eine Anwandlung von Ohnmacht hervorrufen, und nun denkt euch noch die Gefahr hinzu von den rückkehrenden Räubern überfallen zu werden, wie Wenige würden da der Furcht genug gebieten können, dass sie den Fuß nicht zur Flucht beflügeln? Überredet euch nicht, dass ein solcher Mut nur durch besondere Naturanlagen erzeugt werden könne. Wie hätten dann schwache Weiber und Kinder sie beweisen können, wie dies in Zeiten allgemeiner Not, insbesondere bei Glaubensverfolgungen oft geschehen ist? Nein, aus der Liebe entspringt die Kraft und der Mut; wo die wahre Liebe fehlt, da fehlen auch sie; wo sie aber ist, da ist auch Kraft und Mut. Da werden Gefahren nicht gefürchtet, da werden auch
Der Selbstsucht ist es eigen, ihre Tat vorher eigennützig abzuwägen, und auch die schwache Liebe fragt wohl, ob das darzubringende Opfer nicht etwa zu groß sei, ob es wohl eine entsprechende Vergütigung, wenn auch nicht gerade an Geld, so doch an Lob und Ehre eintragen werde. Wo eine solche aber nicht abzusehen ist, wo vielleicht das Gegenteil erwartet werden muss, da stirbt die Liebe an dieser Berechnung. Die wahre Liebe aber rechnet nicht so, sie gibt sich dem inneren Ruf der Pflicht hin von ganzer Seele, mit ganzem Gemüt und mit allen Kräften. So taten der Priester und der Levit nicht; sie wären vielleicht auch vorübergegangen, wenn keine Gefahr zu befürchten gewesen wäre, bloß weil sie sich gescheut hätten, ihre Zeit, ihre Kraft, ihr Geld zur Rettung des Verunglückten zu opfern, gegen den sie keine Liebe, sondern als gegen einen Unbekannten eine vollkommene Gleichgültigkeit empfanden, und ihn daher seinem Schicksal teilnahmlos überließen. - Anders empfindet und handelt die wahre Menschenliebe, wie uns das Beispiel des Samariters zeigt. Auch er zog seinen Geschäften nach, aber wo die Liebe ruft, da gibt es für ihn keine Versäumnis. Er opfert gern seine Zeit dem edlen Zwecke der Rettung eines Menschenlebens; er weilt bei dem Verwundeten, er pflegt seine Wunden und verbindet sie; er opfert seine Bequemlichkeit, und wandelt den beschwerlichen Weg zu Fuß, beschwerlicher noch, da er den Kranken, den sein Saumtier trägt, fortwährend stützen und auf demselben erhalten muss; er opfert sein Geld, und erst als er durch dasselbe ihm Pflege gesichert und sich verpflichtet hat, die etwaigen Mehrkosten zu bezahlen, damit nichts an seiner Pflege versäumt werde, zieht er von dannen. In seinem ganzen Benehmen spricht sich eine Festigkeit des Willens, eine opferbereite Entschiedenheit und Kraft des Handelns aus, die sich durch keinerlei Erwägungen der Selbstsucht irre machen lässt. So aber erfüllt die wahre christliche Liebe stets ihre Nächstenpflicht; sie hat unter allen Umständen Kraft und Mut genug, um auch das Opfer nicht zu scheuen. -
Mutterliebe und Muttertreue pflegt aller Liebe als Muster vorgestellt zu werden, und mit Recht; denn sie ist die natürlichste, die sorgsamste, die ausdauerndste, die uneigennützigste, die edelste. Aber sie ist auch die opferreichste, und was würde sie leisten ohne den Mut und die Kraft, nach welcher sie das Opfer nicht scheut? Die Ruhe des Tages, den Schlummer der Nacht opfert sie auf, das Kind sorgsam zu bewachen, und wo ist ein Gut der Welt, welches ihr zu kostbar wäre, um es dem Heil des Kindes zu opfern? Ja das Leben setzt sie ein, ihr Herzblut gibt sie hin für des Kindes Leben! Darum spricht auch die Schrift: Kann auch eine Mutter ihres Kindes vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Nur an der Hand solcher Liebe kann ein Kind aber auch nur freudig gedeihen. - Soll nun irgend etwas Anders von uns vollbracht werden, so kann es auch nur dann zu gedeihlicher Reife gelangen, wenn es von uns mit gleicher Liebe umfasst wird. Unsere Pflicht, welche uns Gott auserlegt, sei sie eine fortdauernde in einem Amte oder Berufe, oder eine einzelne, aus besonderen Umständen sich ergebende, muss als ein Kind unseres Geistes und Herzens uns erscheinen, muss mit dieser opferbereiten Liebe und Treue von uns erfüllt werden, wenn sie ihren Segen bringen soll, und ist solche Liebe da, dann wird die Aufopferung des Einzelnen für das Wohl des Ganzen selbst eine freudige Genugtunng gewähren. -
Auch die ewige göttliche Liebe zu dem Menschengeschlechte erscheint nach dem Evangelio als eine aufopfernde, denn es verkündet uns, wie Gott die Welt also geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. - Und war denn Jesu ganzes Leben nicht eine fortdauernde Aufopferung, in dem er nie sich, stets nur dem Willen Gottes und für das Heil der Brüder lebte, in dem er Allem entsagte, was die Welt an zeitlichem Glück, an irdischer Herrlichkeit darbietet, um zu suchen, was verloren war, um das Reich Gottes sicher zu gründen, den Menschen den Weg des Heiles zu verkünden, und sie durch die Hoffnung der Gnade Gottes und des ewigen Lebens zu erquicken?
Solcher Art also, meine. Christen, ist die Liebe, die uns als des Christentums erstes und einziges, darum aber auch um so heiligeres Gebot verkündet wird. Es ist nicht eine solche, die nur schöne Worte und rührende Tränen besitzt, sondern die mutig und kräftig genug ist, um auch das Opfer nicht zu scheuen, denn: in Christo gilt der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Und das Opfer, daS wir bringen, soll kein bedächtig abgewogenes und schmerzlich entbehrtes, sondern ein von dem liebenden Herzen freudig dahin gegebenes sein. Der barmherzige Samariter fragt auch nicht: Wird's auch etwa zu viel kosten? sondern er spricht mit edler Bereitwilligkeit: Was du auch mehr tun wirst, ich will dirs bezahlen, wenn ich wiederkehre; - denn es handelte sich ja um eines Menschen Leben und Gesundheit. - Es gibt aber noch höhere Güter für den Menschen und das Menschengeschlecht als Leben, Gesundheit und zeitliches Wohlergehen. Recht und Licht, Wahrheit, Freiheit und Sittlichkeit sollen gefördert werden auf Erden, dass das Reich Gottes komme, des Herrn Name geheiligt werde, dass sein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden. Sie werden nicht gewonnen ohne einen Kampf mit gegenüberstehenden feindlichen Machten, der, obwohl rein geistiger Natur, doch schon viele Opfer gekostet hat, und vielleicht noch mehrere kosten wird. Das sind Güter, nach denen die christliche Liebe uns ringen heißt, wozu sie dem, den sie wahrhaft durchdringt, die Kraft und den opferbereiten Mut verleiht. Die Gewalt der Willkür soll gebrochen werden, das Recht soll herrschen; die Macht des Unglaubens und des Aberglaubens soll vernichtet werden, Licht und Wahrheit sollen des christlichen Geistes schöne Errungenschaft sein; das schändende Sklavenjoch der Sünde soll abgeworfen werden, und die wahre sittliche Freiheit soll die Christenheit zu einer Gemeinde der Heiligen veredeln. Für solche Güter war ja Jesus unser Vorkämpfer, und er siegte, indem er ein Opfer wurde. Zu solchem Kampf für der Menschheit höchste Güter fordert Jesus, fordern seine Jünger uns auf; sie zeigen uns durch Wort und Vorbild, welche Opfer er kosten kann, aber Paulus rühmt auch von der Gnade Gottes, dass sie uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft der Liebe und der Zucht. Nicht durch die Gewalt des Schwertes, durch diesen Geist, dessen Waffe die Liebe ist, werden die Wunden geheilt werden, an denen das Menschengeschlecht noch vielfach leidet. Er verleiht auch Mut und Kraft, Gefahren nicht zu fürchten und Opfer nicht zu scheuen, und
Darin eben, dass die Liebe nimmer aufhört, bewahrt sich ihre wahre Kraft. Auch das reinste Wirken wird oftmals von der Welt verkannt, von Unwürdigen gemissbraucht, von Bösen mit Undank belohnt. Da wird denn leicht ein Missmut rege, der die Freudigkeit des Wirkens lähmt, und dadurch seine Erfolge schmälert. Solchem Allen gegenüber im menschenfreundlichen Wirken auszudauern, - dazu gehört vielleicht mehr Mut und Kraft, als zur Verachtung äußerer Gefahren, zur Darbringung von Opfern. - Wirke nur für der Brüder Wohl, an Verkennung, an Richtern und Tadlern wird es dir nicht fehlen; du wirst's nie Allen recht machen. Bemühst du dich ihre zeitliche Not zu mildern, so heißt es: „Du willst ein durchlöchertes Fass ausfüllen, denn die Not auf Erden hat einen unerschöpflichen Quell, der nur durch Bildung des Geistes zu verstopfen ist. Darauf musst du hinwirken, denn dort ist des Übels Wurzel.“ - Folge diesem Rat, und von anderer Seite wird man rufen: „Törichtes Beginnen! Gib ihnen vor Allem Brot zu essen!“ Verbinde beide Zwecke, so werden wieder andere Ausstellungen laut werden. - Wird die Liebe darum unwillig oder mutlos werden? Nein, sie lässt sich nicht erbittern, sie hat Mut und Kraft genug fest zu bleiben im treuen Wirken nach bestem Wissen und Gewissen. - Und wenn auch der Zweck deines Strebens Billigung fände, wie wenig wird es dir jemals gelingen, der Art deines Wirkens die allgemeine Zustimmung zu erwerden? Bald wirst du den Leuten zu viel, bald zu wenig tun; bald wirst du parteiisch, bald unweise, bald zu streng, bald zu gelind genannt werden. Das trägt die Liebe sich ihrer selbst bewusst; Verkennung entmutigt sie nicht. - Und welchen Missdeutungen wird nicht deine Absicht bei solchem Wirken ausgesetzt sein? Wird es nicht Menschen geben, die nur der Eitelkeit, dem Scheinenwollen vor der Welt, wenn nicht gar dem eigensüchtigen Streben nach Vorteilen das zuschreiben werden, wobei doch nur die reinste Liebe dich leitete? Wahrlich es gehört Mut dazu, den oft so unverständigen und böswilligen Urteilen der Welt zu trotzen, und ihn gibt nur die wahre Liebe. - Aber auch an denen, für deren Wohl du wirkst, wirst du leicht schmerzliche Erfahrungen machen. Da wird bald Heuchelei dich täuschen, erdichtete Klagen werden dich irre führen, frecher Missbrauch der Gaben der Liebe wird dich betrüben, ungenügsame Begehrlichkeit dich bestürmen, neidische Zuflüsterung dich schwankend machen, offener Undank roher Gemüter dich bitter verletzen - und doch wird das Alles dich nicht abwendig machen, wenn wahre christliche Liebe dich belebt, du wirst dich nicht scheuen den Jüngern des Herrn zu folgen durch Ehre und Schande, durch gute und böse Gerüchte, um dich zu beweisen als ein Diener Gottes! - Auch der Samariter hatte möglicher Weise Missdeutungen seiner Liebestat zu fürchten. Es bestand ia zu jener Zeit eine so bittere Feindschaft zwischen den Juden und Samaritern, dass sie sich gegenseitig verachteten, keinerlei Gemeinschaft mit einander haben mochten, und der Anspruch auch der Feinde auf Menschlichkeit war damals noch keineswegs anerkannt. Konnte ihm nicht daheim ein Vorwurf daraus erwachsen, dass er sich eines Feindes so tätig angenommen habe? Konnte nicht möglicher Weise der Gerettete auch ein Undankbarer oder Unwürdiger sein? Aber ihn kümmern alle diese Möglichkeiten nicht; er tut, wozu das menschenfreundliche Herz ihn treibt, und tut darin sich nur selbst genug, unbekümmert um das unzuverlässige Urteil der Welt. - Wahrlich es gehört Mut und Kraft dazu, Gefahren nicht zu achten und schwere Opfer zu bringen; aber einen freudigeren Mut, eine größere Kraft erfordert es, der hämischen Einflüsterung, der böswilligen Verdächtigung, der offenbaren Verkennung, dem frechen Undanke, der unwürdigen Täuschung gegenüber fest zu bleiben, weder Lust noch Geduld zu fernerem Wirken zu verlieren, und solchen Mut gibt nur die treue Gott erfüllte Liebe. - Wer für des Menschen höchste und heiligste Güter kämpft, hat selten die Genugtuung, den Tag des Sieges zu sehen. Die von ihm gestreuten Samenkörner brauchen meist lange Zeit um zu keimen, und gewöhnlich erfreut erst die Nachwelt sich der Ernte. Den Schwachen und Eitlen schreckt solches Wirken ab, er weiß es nicht zu schätzen, er ist wohl gar geneigt es zu verspotten. Wer aber wahre Liebe zu den Brüdern und zu dem Reich Gottes hat, den irrt das nicht; sie gibt Kraft und Mut unter allen Umständen unermüdet auszudauern, und
Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe. So spricht sehr wahr Johannes; ihm schwebte gewiss sein göttlicher Heiland dabei vor Augen. Hat die wahre christliche Liebe Kraft und Mut genug, Gefahren nicht zu fürchten und Opfer darzubringen, so muss sie auch, wenn die Verhältnisse das höchste Opfer zur Pflicht machen, der Gefahr des Todes mit heiterem Mut entgegen sehen. Solchen freudigen Mut gewahren wir in dem ganzen Leben Jesu, obgleich er wohl wusste, welche Leiden seiner warteten. Aber er muss den Kelch leeren, den sein Vater ihm darbietet, denn er ist ein guter Hirte, und ein guter Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Er opfert es aus Liebe, und spricht dies aus in den Worten: Eine größere Liebe hat Niemand, denn dass er sein Leben lässt für seine Freunde. - Ist ja doch Alles, was wir haben, Gabe von Gott, und uns nur gegeben, damit Haus zu halten nach seinem Gebot; so auch unsere ganze Lebenskraft und unser Leben selbst. Wer die Welt mehr liebt als Gott, der klammert sich an dieses vergängliche Dasein an, dem ist es das höchste Gut, und doch kann er es nur um wenige Jahre verlängern; denn endlich kommt ja doch der Tod! Aber freilich erscheint dieser auch dem Sinnlichen und weltlich Gesinnten als das größte Unglück, da ein solcher nur Güter dieser Welt liebt und erstrebt, also Güter, deren Besitz und Genuss der Tod jedenfalls ihm raubt. Darum hat das Irdische nimmer die Kraft die Furcht vor dem Tod zu überwinden; es verstärkt sie vielmehr. Nur in dem Göttlichen ruht solche Kraft, in der Liebe zu Gott, in der durch Gott geheiligten Liebe zu den Brüdern, und wenn Salomo sagt: Die Liebe ist stark wie der Tod, weil sie gleich ihm alle Menschen besiegt, so hat er damit noch nicht die volle Wahrheit gesagt: Die Liebe ist stärker wie der Tod, sie überwindet ihn selbst und seine Schrecken. Der wahren christlichen Liebe Gegenstand ist in seinem letzten Ende immer Gott; sie wird entzündet durch seine Liebe, sie hat darin Zuversicht zu seiner Gnade, und weil sie der Sünden Menge deckt, hat sie auch eine Freudigkeit auf den Tag des Gerichts, und diese ist es wiederum, die dem Tode seine Schrecken nimmt. -
Das, Geliebte, ist die Höhe der christlichen Liebe, zu der auch wir uns aufschwingen sollen, wie uns denn Jesus als ihr reinstes Vorbild gegeben ist. Nur wenn der Glaube in uns recht fest ist, dass der Gott, der da recht richtet und vom Tode errettet, und die Hoffnung auf die Unsterblichkeit und das ewige Leben, das Jesus uns verheißt, hat auch die mit ihnen verbundene Liebe die Kraft, das Leben zu regieren und den Tod zu überwinden. Solcher Liebe Erhabenheit und Verheißung möge uns Wort und Vorbild Jesu zu Herzen führen, und uns anregen seiner Mahnung zu folgen: So gehe hin, und tue desgleichen!- Ja selig sind die, welche auf ihn sehen, und ihn hören; denn sie werden stark sein in der Liebe, und das ewige Leben ererben. Amen.