(* 12. Dezember 1784 in Duisburg; † 15. Mai 1845 in Erlangen)
Predigt über Ev. Luk. 12,4.5. gehalten den 30. Oktober 1831 von J. C. G. L. Krafft, Pfarrer und Professor in Erlangen.
Es ist in diesen Zagen so viel von „Furcht,“ von „sich fürchten“ die Rede, dass es wohl zweckmäßig sein mag, den Ursprung und den Gegenstand der Furcht der Menschen, so wie die Wirkungen derselben genau und klar nach Schrift und Erfahrung ins Auge zu fassen. Im ursprünglichen Zustand des Menschen, als er das göttliche Ebenbild noch an sich trug und mit seinem Schöpfer vertraulichen Umgang hatte, wie ein Kind mit dem Vater, fand unstreitig keine andere Furcht als eine solche statt, die mit diesem seligen Verhältnis genau übereinstimmte, nämlich die kindliche. Sobald aber unsere ersten Eltern, diese kindliche Furcht aus den Augen setzend, Gottes Gebot übertraten, und von der Frucht des verbotenen Baumes aßen, hören wir auch, dass sie sich anders fürchteten, und sich nichts Gutes zu Gott versahen, und sich versteckten, den eigentlichen Grund dieser Furcht aber lügnerisch vor Gott und sich selber verbargen. Ich hörte Deine Stimme im Garten, sprach Adam, und fürchtete mich, denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. (1 Mos. 3,10.) Die Erfahrung lehrt, dass beides, die misstrauische Furcht so gut, wie die Neigung den rechten wahren Grund nicht anzugeben, sich auf alle Menschen vererbt hat. Die Schrift lehrt auch deutlich, dass diese Furcht, wie alle Übel, lediglich eine Frucht und Folge der Sünde ist; wie denn auch die Erfahrung bestätigt, dass, je mehr ein Mensch in das ursprüngliche Verhältnis zu Gott wieder zurückehrt, durch die neue Schöpfung in Christo Jesu, durch eine wahrhaftige Bekehrung, er desto mehr auch wieder frei wird von der ihm inwohnenden angeerbten knechtischen Furcht vor Gott, und den Übeln des Lebens. Fragen wir nach den Gegenständen der Furcht des Menschen im Einzelnen, so heißt ihre Zahl Legion. So viel die Sünde Übel und Leiden und Krankheiten ohne Zahl, und den Tod in die Welt gebracht hat, so vielfältig sind auch die Gegenstände, die das arme unbekehrte Menschenherz in Furcht und Zittern erhalten bei ihrer Annäherung. Besonders aber wohnt dem Menschenherzen die Furcht vor dem Tod ein. Mag es auch Beispiele gegeben haben und geben von Menschen, die mit fast unbegreiflichem Leichtsinn und Stumpfsinn dieser Furcht Trotz geboten, das beweist wenigstens wider das Ganze nichts. Haut für Haut, und alles was ein Mann hat, lässt er für sein Leben. Der Tod ist eine höchst ernste Sache für jeden Menschen, und wir haben allerdings Ursache, uns vor ihm zu fürchten, da er uns vor ein Gericht bringt, bei dessen Urteil es auf ewig sein Bewenden hat. -
In ihren Wirkungen endlich ist die Furcht des unerlösten Menschenherzens eine Zerstörerin aller Ruhe und Freude. Wenn ihr nicht auf die rechte im Wort Gottes gewiesene Weise gesteuert wird, so gleicht das arme Menschenherz einen Schiffenden auf schwankendem Fahrzeug, auf ungestümen Meer umhergeworfen, zwischen Klippen und Sandbänken, ohne Steuer und Kompass. Nun, Geliebte! die Furcht ist einmal unser aller Adamserbteil, wir können uns ihrer aus uns selbst nicht erwehren. So lasst uns den Unterricht des göttlichen Worts über dieselbe vernehmen, ob hier nicht die Weisung zu finden, wie wir dieses Feindes los werden können, ob hier nicht die Kraft Gottes zu erfahren, die diesen Riesen überwindet, indem sie ihn zu den Füßen des Lammes legt, das der Sünden Sold für uns getragen hat.
Dazu, o Gott, wollest Du die Betrachtung Deines Wortes uns segnen, dass wir lernen Furcht und Weisheit, die Deinen Augen gefällt, dass wir lernen, Dich alleine fürchten und außer Dir nichts, und unser Vertrauen auf Dich alleine setzen und von allen Kreaturen es abzielen. Gründe und befestige uns in Buße und Glauben, und heilige uns durch Kraft Deines Wortes und Heiligen Geistes, dass der alte Mensch mit seinen Sorgen, wie mit seinen Lüsten von Tage zu Tage mehr sterbe, und dass wir uns Dir aufopfern zum lebendigen Opfer, zur Ehre Deines Namens, zur Erbauung des Nächsten, durch Deinen Sohn unsern Herrn, der mit Dir in Einigkeit des Geistes wahrer Gott lebt und herrscht in Ewigkeit! Amen.
Evangel. Luk. 12,4.5.
Ich sage euch aber meinen Freunden: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, und danach nichts mehr tun können. Ich will euch aber zeigen, vor welchem ihr euch fürchten sollt: Fürchtet euch vor dem, der, nachdem er getötet hat, auch Macht hat, zu werfen in die Hölle. Ja, ich sage euch, vor dem fürchtet euch.
Da durch die Sünde der Mensch verderbt und die ursprüngliche göttliche Ordnung der Dinge verkehrt worden, so kann jetzt auch nur auf umgekehrtem Weg Alles wieder zurechtgebracht und die ursprüngliche göttliche Ordnung wieder hergestellt werden. Durch die Beiseitesetzung der Furcht Gottes ist der Mensch eine Beute der Todesfurcht und der Furcht vor jeglichem Übel geworden. Die Rückkehr zur Furcht Gottes ist der allein richtige Weg der Erlösung von jeder andern Furcht. Diese Wahrheit ist es, welche der Erlöser in den vorgelesenen Worten seinen Freunden nahe legt, in den beiden Ermahnungen, vor Gott sich über Alles, außer ihm aber auch sich vor Niemanden und vor keinem Übel zu fürchten. Er richtete diese Ermahnungen zunächst an seine ersten Jünger, die in dem Werk ihres Berufes der Verkündigung seines Namens und Evangeliums aller Orten unter Juden und Heiden der Verfolgung bloßgestellt waren. Aber der darin enthaltene Unterricht ist allgemein gültig, und auf die Furcht vor drohenden Übeln jeglicher Art anwendbar. Er segne unsere Betrachtung hierüber zur Ehre seines Namens, und zu unserer Erbauung!
1) Zuerst lasst uns hören, vor wem wir mit Grund und Recht uns über alles zu fürchten haben. Das Gefühl der Furcht überhaupt ist Niemanden unter und unbekannt. Wir fürchten uns vor einem Übel, und vor solchen, die es uns zufügen können, in dem Maße, als das Übel und groß erscheint, und die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit uns vor Augen tritt, dass es uns treffen könne oder werde, und je größer das Übel und je augenscheinlicher und näher die Gefahr, desto peinlicher in der Regel auch das Gefühl der Furcht und der Eifer in der Vorkehrung der Mittel, die uns zu Gebote stehen zur Abwehr des Übels. - Was heißt nun sich vor Gott fürchten? Wir fürchten uns vor Ihm, wie wir in unserm Text hören, wenn wir mit gläubiger Überzeugung in Ihm den Allmächtigen und den Gerechten erkennen, der nicht nur Macht hat, uns elend und unselig werden zu lassen, der uns nicht nur verderben kann, sondern der diejenigen, die Ihm nicht gehorsam werden, auch elend machen und verderben will. Wir fürchten uns also vor Ihm, wenn wir uns fürchten vor allem, was seinem heiligen Auge an uns missfällt, und was seinen richterlichen Zorn wider uns reizt, wenn wir uns fürchten vor allem, was Ungehorsam und Unrecht, mit einem Worte, was „Sünde“ ist. Der Grund also, warum wir uns vor Gott fürchten sollen, liegt in Seiner Macht und in Seiner Gerechtigkeit. Seine Gewalt über uns ist unumschränkt. Wer kann vor seinem Arm, wenn er ihn wider uns aufhebt, uns schützen? Schon hier auf Erden kann er uns seinen Ernst zu fühlen geben. Er schlägt, womit Er will, mit Krieg, Misswachs, Mangel, Krankheit, Pest und Tod, alles steht Ihm zu Befehl. Er darf nur winken, und die Kräfte der Natur verwandeln sich in Ruten seines rächenden Armes, und wer kann diesem Arm entfliehen, oder sich vor seinem Zorne verbergen? Diese Macht Gottes wird von Ihm selber durch den Propheten Amos, im 9ten Kapitel seiner Weissagungen also beschrieben: „Wenn sich die Sünder gleich in die Hölle, in den Hades, vergrüben, so soll sie doch meine Hand von dannen holen; und wenn sie gen Himmel führen, so will ich sie doch herunterstoßen. Und wenn sie sich gleich versteckten, oben auf dem Berg Carmel, will ich sie doch daselbst suchen und herabholen, und wenn sie sich vor meinen Augen verbärgen im Grunde des Meeres, so will ich doch den Schlangen befehlen, die sie daselbst stechen sollen.“ Und wie über alle Orte, so erstreckt sich die göttliche Gewalt auch über alle Zeiten. Alles Übel, was Menschen uns zufügen können, Beraubung, Vertreibung, Verurteilung, Gefängnis und Marter, hat mit dem Tod sein Ende. Vom Augenblick des Todes an hat kein Mensch mehr irgend eine Macht noch, uns zu schaden oder weh zu tun. Der Leichnam fühlt kein Schneiden oder Brennen mehr, und wer will der abgeschiedenen Seele weiter was anhaben? Der göttlichen Gewalt aber entgeht man auch durch den Tod nicht. Er kann die abgeschiedene Seele hingeben in die Pein der Unruhe und Angst und äußersten Qual. Den Leib aber kann Er auferwecken, und samt der Seele in das höllische Feuer werfen. „Ich will euch zeigen, sagt darum Jesus, vor welchem ihr euch fürchten sollt. Fürchtet euch vor dem, der, nachdem Er getötet hat, auch Macht hat zu werfen in die Hölle. Ja, ich sage euch, vor dem fürchtet euch.“
Indessen könnte man, wenn man versichert wäre, dass Er seine Macht nie hierzu gebrauchen würde, immer noch sicher und sorglos sein. Aber nun will Er seine Macht hierzu wirklich gebrauchen, Er will sie offenbaren an denen, die Ihn nicht fürchten, zu ihrem Verderben. Dies ist ebenso wahr und gewiss, als dass Gott gerecht und aller Welt Richter ist. Diese Wahrheit steht in den Gewissen aller Menschen geschrieben, und ist darum auch den Heiden nicht unbekannt, im Worte Gottes aber ist sie in beiden Testamenten bezeugt durch furchtbare Drohungen wider die Ungehorsamen und die Verächter. Es verkündet Ungnade und Zorn, Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun, und sagt, dass es schrecklich ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Es sagt uns, dass ein Tag kommt, wo Er einem jeglichen nach seinen Werken vergelten wird, ohne Ansehen der Person. Es sagt uns, dass Er an diesem Tag das Urteil der Verdammnis aussprechen wird über alle, die hier seinem Wort, dem Evangelium unsers Herrn Jesu Christi nicht gehorsam geworden. Es sagt uns mit der größten Bestimmtheit und Deutlichkeit, dass aus dieser Verdammnis keine Errettung ist. Unser Heiland sagt: die Verurteilten werden in die ewige Pein gehen. Ihr Wurm wird nicht sterben, und ihr Feuer wird nicht verlöschen. Es steht geschrieben, dass der Rauch ihrer Qual von Ewigkeit zu Ewigkeit aufsteigen wird. Das ist der feurige Pfuhl, die Feuerhölle, die Gehenna, woraus keine Errettung ist, nach der Schrift, und von dieser, der eigentlichen Hölle, redet Jesus auch hier in unserm Text.
Jesus, der Mund der Wahrheit, macht uns kein Schreckbild vor, wo nichts zu fürchten ist. Wo er sagt: ich will euch aber zeigen, vor welchem ihr euch fürchten sollt, und hinzu setzt: ja, ich sage euch, vor dem fürchtet euch, wahrlich, da ist zu fürchten. Wir können darauf rechnen, dass Seine Drohungen, wie Seine Verheißungen wahrhaft sind, und dass gegen dieses Schicksal, von Gott in das höllische Feuer geworfen zu werden, jede Verfolgung oder Peinigung bis auf den Tod von den Menschen, auch jeder sonstige, bald überstandene, leibliche Schmerz und Todeskampf, auch die Pest und die Cholera. seuche mit ihren bald vergangenen Schmerzen und Ängsten, eine kaum der Rede werte Kleinigkeit, ein Nichts ist.
Seht da die Furcht, mit der wir Gott fürchten sollen, und mit der Ihn niemand zu sehr, zu viel fürchtet, die Furcht, die uns vor Ihm dem Allsehenden auch alle heimliche Sünde und Schande meiden lehrt, wie Joseph Ihn fürchtete, die Furcht, die uns die Unreinigkeit und alles Unrecht nicht nur in Worten und Werken, sondern auch in Gedanken und Lüsten verabscheuen und bekämpfen lehrt, und vor dem Angesicht dessen uns leben und handeln lehrt, vor dessen Auge alles, auch das Geheimste, was in unserer Seele vorgeht, bloß und aufgedeckt liegt. Die Schrift pflegt darum auch die Frömmigkeit und den heiligen Wandel überhaupt die Furcht Gottes zu nennen, weil sie die Wurzel ist, die solche Frucht bringt, die Furcht des Herrn hasst das Arge, und den bösen Weg. (Sp. Sal. 8,13.)
2) Aber in Kraft dieser gegründeten und gerechten Furcht sollen wir nun auch von jeder anderen Furcht uns loszumachen suchen. Dies ist die andere Wahrheit, die der Herr seinen Freunden in unserm Text nahe legt. Er sagt: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, und danach nichts mehr tun können.“ Der Herr setzt den Fall, dass man seinen Jüngern mit dem Tod drohen werde, wofern sie nicht aufhören würden, Ihn zu bekennen und seine Lehre zu predigen; ein Fall, der in den Leben der Apostel öfter vorkam, wie schon aus der Apostelgeschichte genugsam bekannt ist, und unzählige Christen haben sich nach ihnen in gleicher Lage befunden, dass entweder die Furcht vor Gott verleugnet werden musste aus Furcht vor dem Tod, oder dass die Furcht vor dem Tod verleugnet werden musste, aus Furcht vor Gott. Ein gewaltsamer Tod, der Märtyrertod durch das Schwert oder in den Flammen hat und behält für das natürliche Gefühl seinen Schrecken, sein Fürchterliches, und eben deshalb ist das Bedrohtsein mit solchem Tod, wenn man durch Verleugnung des Glaubens ihn entgehen und sein Leben erhalten kann, eine der gefährlichsten und schwersten Versuchungen. Dies wird in unsern Textesworten auch keineswegs in Abrede gestellt. Der Herr verlangt keine Unempfindlichkeit gegen des Todes natürlichen Schrecken. Den Rat aber gibt er seinen Freunden, es soll ihnen die Furcht vor dem Tod und vor denen, die damit drohen, nichts gelten, nichts über sie vermögen, wo man sie damit bewegen wolle, die Furcht Gottes bei Seite zu setzen durch Verleugnung des Glaubens. Gegen den Zorn des Allmächtigen und Gerechten, womit sie durch solchen Abfall von Ihm sich beladen würden, komme alles Übel, auch der härteste Tod, der ihnen von Menschen könne zugefügt werden, nicht in Betracht. Sie würden also äußerst töricht wählen, wenn sie, um einem, wenn auch bitteren, doch zeitlichen Todesleiden auszuweichen, sich wollten in das Elend der ewigen Verdammnis stürzen. Das heißt: sich nicht fürchten vor denen, die den Leib töten, und auch das nicht einmal ohne Gottes Zulassung können, und danach nichts mehr tun können, den aber fürchten, der auch nach unserem Tod Macht über unsere Seele und über unsern Leib behält, und beide in die Hölle, in den Ort der Verdammnis werfen kann. Das ist der nächste Sinn unserer Textesworte. Indes geht klar daraus die allgemeine Wahrheit hervor, dass wir durch keinerlei Furcht vor irgend einer Drohung oder irgend einem Übel uns sollen bewegen lassen zu etwas, was vor den Augen des Herrn missfällig ist, und was Er mit seiner Ungnade, mit seinem Zorn bedroht hat. Denn wenn selbst der Märtyrertod ein ohne allen Vergleich kleineres Übel ist, als wissentlich und vorsätzlich sündigen, so darf noch viel weniger die Furcht vor geringeren Übeln, vor zeitlichem Mangel, vor Schmach bei der Welt, oder vor der Ungunst und der Feindschaft von Menschen, die uns schaden könnten, als ein Gegengewicht in der Waagschale für uns gelten gegen das ewige Verderben, womit Gott die Unbußfertigkeit wie den Abfall bedroht hat. Wie könnte auch von denen, über welche die Furcht Gottes nicht so viel vermag, dass sie in der geringeren Versuchung bestehen, die z. B. um sich vor Armut und Mangel sicher zu stellen, zu sündlichen Mitteln, zur Lüge, zur Arglist des Betruges und der Ungerechtigkeit ihre Zuflucht nehmen, und sich einbilden, dass die Not das alles entschuldige; wie könnte von solchen, die sich vor der Armut mehr, als vor dem Zorn Gottes fürchten, erwartet werden, dass sie die schwerere Versuchung bestehen, und aus Furcht vor Gott lieber einen gewaltsamen Tod leiden würden, als wider ihr Gewissen handeln? Dagegen lässt sich von denen, die Gott mehr als einen gewaltsamen Tod fürchten, erwarten, dass sie in Kraft derselben Gesinnung auch sich losmachen und immer freier werden von jeder andern Art von Todesfurcht und Furcht vor Übeln, wie sie Namen haben. Was sollten die mit Furcht sich plagen, die da wissen, dass sie den Allmächtigen zum Freund haben, wider dessen Rat und Zulassung ihnen nicht das Geringste begegnen kann, und wissen, dass sie sich zueignen dürfen, was Jesus gleich nach unsern Textesworten den Seinigen zur Beruhigung über alles, was ihrer in diesem zeitlichen Leben noch wartete, sagt: V. 6,7. Verkauft man nicht fünf Sperlinge um zwei Pfennige? Noch ist vor Gott derselben nicht Eines vergessen. Auch sind die Haare auf eurem Haupte alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; denn ihr seid besser, denn viel Sperlinge.
Lasst mich, geliebte Zuhörer, noch ein Wort der näheren Anwendung unserer Textesworte auf uns hinzufügen, mit besonderer Rücksicht auf die gegenwärtigen Tage der Furcht vor der Seuche, Cholera genannt, die nun unsern Grenzen schon so nahe gekommen. Eine Art Krankheit dieses Namens, wenig gefährlicher Art, ist seit alten Zeiten bekannt. Seit dem Jahre 1817 zeigt sich diese Krankheit als eine der verheerendsten Seuchen, mit denen je das Menschengeschlecht heimgesucht worden ist. Von Ostindien, wo sie zuerst Hunderttausende wegraffte, drang sie schon vor 10 Jahren nordwestwärts bis nach Persien und Arabien, und nordostwärts bis ins Innere des chinesischen Reiches vor, überall ein Schrecken Gottes, wie durch die Menge ihrer Opfer, so durch die Schnelligkeit, womit sie tötet. Im Jahr 1823 erschien sie zuerst im südlichen Russland, in Astrakan und der Umgebung. In den zunächst darauf folgenden Jahren hörte man nur von ihren weiteren Ausbrüchen im südlichen und östlichen Asien, bis sie im Jahr 1829 im östlichen Russland, und im letztverflossenen Jahre 1830 auch in Moskau erschien. Wie sie von dort her im Lauf des gegenwärtigen Jahres immer weiter und näher zu uns nach Westen herangerückt, und wie nahe sie uns jetzt schon gekommen, brauche ich nicht zu sagen, alle Zeitungen sind in diesem Augenblick voll davon. So wenig es nun zweckmäßig und erbaulich sein würde, mit den Schrecken dieser Krankheit unsere Phantasie zu erfüllen, so nötig ist bei der offenbar vorhandenen Gefahr, dass wir mit lebendigem Glauben und mit rechter Ergebung in den Willen Gottes uns waffnen, auf dass wir, was da kommt, aus Seiner Vaterhand annehmen können. Denn dass diese Heimsuchung ihren Endzweck hat, das ist gewiss, gewiss, dass sie einem Teil der Menschen zur Züchtigung dient in Erweckung zur Buße und Befestigung im Glauben, und einem andern Teil zum Gericht in vermehrter Unbußfertigkeit und Verhärtung. In beiderlei Hinsicht nehmt jetzt noch ein Wort der Liebe in Liebe auf.
1) Das wahrhaft Schreckliche und Entsetzliche, was wir zu fürchten haben, ist, wie wir gehört haben, der Tod in Sünden, der Tod mit unbekehrtem, unbußfertigem Herzen, der dem Wesen nach gleich schrecklich ist, man sterbe ihn früher oder später, man sterbe ihn an der Pest oder an sonst einer Krankheit. Hiervor nun fürchten sich unzählige, die sich davor fürchten sollten, nicht, und leben wegen der Zukunft unbesorgt und sicher dahin, ohne sich zu entsetzen von dem Verderben der Hölle. Einige, weil sie nicht glauben, dass es je dazu kommen werde, weil sie die Drohungen des göttlichen Worts für eitle Drohungen ansehen, und meinen, es gebe keine Hölle, keine höllische Verdammnis, so deutlich und bestimmt die Schrift es auch sagt. Wo aber haben sie die Schrift und ihre Aussprüche je falsch befunden? Auf was für Grund also ruht ihre Sicherheit? Würde nicht, wenn jemand im Finstern ginge, und andere, die ihn gehen hörten, riefen ihm zu, er solle ja umkehren, wenn er einige Schritte seines Weges noch weiter gehe, werde er in einen Abgrund stürzen, würde er, selbst wenn er die, die ihm zuriefen, nicht kennt, nicht stillstehen und die Sache wohl untersuchen, ob sichs auch also verhielte? In den zeitlichen Dingen geschieht dies. Nur im Geistlichen, auf dem Weg zum Abgrund der ewigen Verdammnis, sind unzählige, die sich nicht sagen noch raten lassen. Jesus Christus, die Propheten des alten und die Apostel des neuen Bundes und viel tausend andere Stimmen rufen den Unbekehrten zu, dass ihr Weg in einen schrecklichen Abgrund hinunterführt, und sie wandeln ihn fort, ohne es auch nur einer gründlichen Untersuchung wert zu halten, ob es wahr sei. Andere bestreiten die Wahrheit des göttlichen Wortes und seiner Drohungen nicht, und schlagen sich dieselben doch aus den Gedanken, weil sie sich nicht beschäftigen mögen, mit dem, was sie unruhig macht und in Furcht setzt. Was würde man aber wohl von einem Menschen denken müssen, der, wenn ihm von einem Bauverständigen gesagt würde, dass das Haus, welches er bewohnt, nach wenig Stunden unfehlbar zusammenstürzen werde, statt sich herauszumachen, darinnen bliebe, und sich fortwährend darin zu tun machte, und den Gedanken an die Gefahr damit wieder aus seiner Seele entfernte? Würde man ihn nicht mit Recht für den leichtsinnigsten Toren halten? Ungleich größer jedoch ist unwidersprechlich der Leichtsinn und die Torheit derer, die das Wort Gottes gelten lassen, und sich doch, um nicht unruhig zu werden, die Gerechtigkeit Gottes und das Gericht aus dem Sinn schlagen.
Woher denn solche große Torheit? Wahrlich, sie ist ein Beweis, wie irgend einer, dass der Mensch von Geburt Fleisch ist und irdisch gesinnt, und sein Sinn mit überwiegender Neigung aufs Sichtbare gerichtet, und dass sein Wahrnehmungsvermögen für das Unsichtbare und Überirdische so schwach geworden, dass er bei aller Macht der Zeugnisse des göttlichen Wortes von dem, was uns sichtbar und ewig ist, doch nicht darauf achtet, und meint, was er mit seinen Sinnen nicht wahrnehme, sei darum auch nicht da, oder für ihn nicht vorhanden. Seht da den Esaussinn des natürlichen Menschen, der am Sichtbaren haftet, und in der Zerstreuung im Irdischen und Gegenwärtigen die Verheißungen des lebendigen Gottes verachtet und seine Drohungen nicht fürchtet. Diesen Esaussinn zu erschüttern und womöglich zu brechen, kommt der Herr von Zeit zu Zeit mit ernsteren Heimsuchungen und Gerichten, ob etwa Einer oder der Andere aus dem Schlaf der Unbußfertigkeit zur gegründeten und heilsamen Furcht vor Seiner Allmacht und Seiner Gerechtigkeit sich erwecken, und sich wie ein Brand aus dem Feuer erretten lasse, dieweil es noch heute heißt. Da Jesus in unserm Text diese Furcht mit großem Nachdruck und mit wiederholter Beteuerung für notwendig erklärt, so ist hiermit in unserm Text auch ein Kennzeichen, ein Merkmal gegeben, woran jeder sich prüfen kann. Es frage sich jeder unter uns, ob solche Furcht, von der Jesus hier redet, schon im Grund seines Herzens jemals lebendig und kräftig gewesen, und wenn dies, ob diese Furcht auch im Grund seines Herzens dauernd wohnhaft geworden, und ob rechtschaffene Früchte der Buße zum Vorschein gekommen sind. Wo diese Furcht fehlt, die Jesus hier für notwendig erklärt, da fehlt ein Hauptkennzeichen der Wiedergeburt und des Gnadenstandes, da hat das heilige göttliche Gesetz, das scharfe zweischneidige Schwert noch nicht im Herzen, seine Wirkung getan. Dieses Gesetz spricht den Fluch aus (und aus der Wiederholung dieses Fluches aus dem Mund Jesu am Lage des Gerichts: „Geht hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer“ können wir sehen, ob es auch Ernst damit ist) es spricht den Fluch aus über Jedermann, der nicht bleibt (mit einem jeweiligen Versuch, das Gesetz zu halten, ist man also keineswegs diesem Fluch entronnen) der nicht bleibt in allem dem, was geschrieben steht im Buch des Gesetzes (nicht unser eigenes Meinen und Dünken, sondern das Wort ist die Regel im Gericht) dass er es tue. (Das bessere Wissen machts auch nicht aus, sondern das Tun.) Sehet da das Amt des Gesetzes, seine nächste Bestimmung, dass es uns zur Erkenntnis und zum Gefühl der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes, und unsers Sündenelends und unserer Schuld bringe, und die heilsame notwendige Furcht vor Gott in uns wecke. Von Natur ist niemand geneigt, auf diese Betrachtung näher sich einzulassen, und sich mit dieser Furcht zu befassen. Die große Mehrzahl auch derer, die das Gesetz Gottes und sein heiliges Evangelium von Jugend auf gehört, ist so ins irdische Leben versetzt und zerstreut, dass ihnen diese Dinge nur selten, wie bei der Feier des heiligen Abendmahls oder der Konfirmation vor die Augen treten, und was sie in der Predigt davon hören, meist schon auf dem Weg beim Nachhausegehen wieder den Gedanken und Sinnen entrückt ist.
Ich bitte einen jeden unter uns, der sich getroffen fühlt, es nicht abermals in den Wind zu schlagen, sondern tiefer als bis dahin in sich zu gehen. Es wolle niemand es von sich weisen, und denken, was soll mir diese Furcht nützen? Es ist schon der Furcht vor den zeitlichen Übeln und dem leiblichen Tod genug, und ich soll mich vor dem, was nachher kommt, noch mehr fürchten? Was nützt mir solche Predigt? Aber, Geliebte, der Nutzen ist groß, und nicht auszurechnen, wie groß er ist, wenn man sich fürchten lernt vor dem heiligen Gott. Denn da lernt man sich auch umsehen nach Einem, der etwa zwischen dem heiligen und gerechten Richter und denen, die allzumal mit dem Fluch Seines Gesetzes beladen sind, vermittelnd eintreten kann. Und zu dem kommen wir nicht mit ernstlichem Suchen, bevor wir nicht die Furcht vor der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes empfunden haben. Den suchen und begehren wir nicht, bis wir den Zorn des Richters, den Fluch des Gesetzes fürchten gelernt. Haben wir aber den Mittler gefunden, und Gnade empfangen, und sind durch den Glauben an Ihn Kinder Gottes geworden, so nimmt Er mit der knechtischen Furcht vor Gott auch alle ängstliche Furcht vor den Übeln des Lebens, wie sie Namen haben, von unseren Herzen hinweg. Auf Seinen Befehl kann das jetzt drohende Übel selbst noch von uns abgewendet, und die Plage von unsern Grenzen weggewiesen werden. O, wenn das Volk, wenn die Mehrzahl im Volk Buße täte, und sich von Herzen zu Gott kehrte, wenn das Volk sich und seine Sünden vor Gott verklagte, und um Gnade und Verschonen bäte, wer weiß, was geschähe! wie es von Ninive hieß, da sie Buße tat: da reuete Ihn des Übels, das Er geredet hatte, ihnen zu tun, und tats nicht. Er, der die Übel sendet, kann auch sagen: Bis hierher und nicht weiter. Will Er aber das Land schlagen, und mit der Seuche auch uns hier heimsuchen, diejenigen, die mit dem Frieden Seiner Gnade gesegnet sind, fürchten sich auch dann mit keiner andern, als der kindlichen Furcht. Sie haben großen Frieden in der Gnade dessen, ohne den Seuche und Tod nichts über sie vermag. Seht nun, ob es Grund hat oder nicht, wenn es jemanden scheinen möchte, es sei nicht Liebe, dass der Diener des göttlichen Worts in solchen Zeitläufen, wie die gegenwärtigen, statt Trost zuzusprechen, noch mehr in Furcht setzen wolle. Der Weg zur wahren Ruhe, zum ewigen Frieden geht nicht anders, als durch diese von dem Herrn hier in unserm Text gebotene Furcht hindurch, und ein Knecht des Herrn hat sich nur zu freuen, wenn er dieser Furcht Spuren bemerkt, die da zur Frage dringt: Was muss ich tun, dass ich selig werde? Wo diese Furcht lebendig wird, da ist auch der Trost des. Evangeliums, da sind die Früchte des Geistes nicht ferne.
2) Wie nun die Kinder dieser Welt als Toren offenbar werden darin, dass sie, wo sie sich fürchten sollten, leichtsinniger Weise sich nicht fürchten, da hingegen, wo sie der Furcht (durch den Erlöser) los werden könnten, furchtsam sind, so soll nun auch die Klugheit der Gerechten darin offenbar werden, dass sie, indem sie vor Gott sich kindlich fürchten, und vor Seinem heiligen Zorne sich scheuen, jede andere Furcht aus ihren Herzen verbannen, und allewege in Hoffnung selig sind. In der rechten Furcht bringt es Niemand zu weit. In der sollen wir allesamt wachsen. Der Herr empfiehlt und gebietet sie in unserm Text Seinen Freunden; wie auch der Apostel Paulus zu den Gläubigen spricht, im Brief an die Philipper: „Schafft, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern,“ - und wie Petrus sagt in seinem ersten Brief (1,17.): „Sintemal ihr den zum Vater anruft, der ohne Ansehen der Person richtet, nach eines Jeglichen Werk, so führt euren Wandel, so lange ihr hier wallt, mit Furcht.“ Dazu soll uns nun auch alle Züchtigung dienen. Er züchtigt uns zu Nutz, auf dass wir Seine Heiligung erlangen. Alle andere Furcht aber wird durch die Liebe in Kraft des Glaubens ausgetrieben und abgetan. Also auch die Furcht vor der drohenden Seuche. Auch sie steht in Seiner, des Allmächtigen, Hand. Ohne Ihn hat sie keine Macht über uns, so wenig, als ein Mensch ohne Ihn Macht über uns hat. Wer die rechte Furcht vor Gott gründlicher lernt, und den gefunden, der den Tod überwunden hat, und in welchem auch der Tod verschlungen ist in dem großen ewigen Sieg, zu dem heißt es: Fürchte dich nicht. Die den Herrn lieb haben, sollen sich, wann sie von viel Abfall, von Revolutionen, Kriegen, Pest und Erdbeben hin und wieder hören, nicht entsetzen, sondern ihre Häupter aufrichten bei den Zeichen der Zeit, und warten der Zukunft ihres Erlösers. Was soll uns die Seuche bange machen, wenn Christus unser ist. Sie kann uns, auch wenn sie uns töten sollte, vorher nichts ohne Ihn, und nachher gar nichts mehr tun. Ja, ist Christus unser Leben, so ist Sterben unser Gewinn. So kommen die Gläubigen vor der Einen Furcht vor dem leiblichen Übel vorbei, und die andere, die Furcht vor dem was nachkommt, ist in Christo auch überwunden. Den Unbußfertigen aber, und Kindern dieser Welt, bleibt ein vollgerütteltes und geschütteltes Maß der einen wie der andern Furcht. Was sie nicht geglaubt, von dem was nachher kommt, werden sie müssen erfahren. Der Glaube, dass eine Hölle ist, wird ihnen in die Hand kommen. Aber auch die Gerechten werden schauen, was sie geglaubt, die Stadt Gottes und ihre Herrlichkeit, und werden sich freuen mit ewiger und unaussprechlicher Freude, wenn sie sehen werden den, den sie geliebt, und in den Leibern der Verklärung triumphieren werden: der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg! Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum. Amen.