„Kinder, Kinder verlasset mich nicht, knieet, betet, betet und lasset nicht ab, daß Gott meiner armen Seele gnädig sei“ - so schrie ein sterbender Hausvater, obschon er die letzte Oelung bekommen und mit allen Sacramenten der römischen Kirche versehen war. Der arme Mann! Er hat den Muth nicht gehabt, in seinem Leben zu glauben daß Gott alle unsere Sünden auf Christum geworfen, und daß dieser unsere Sünden getragen hat. Er hat in seinem Leben seine Stütze gesucht in seinem Gottesdienst und in einem Kirchenglauben, darum fehlte ihm der wahre Trost im Sterben. Er hat nicht wissen wollen in seinem Leben wer er sei, und hat in der Sünde bleiben wollen, darum wollte er Christum nicht kennen als den ewigen Sündentilger; er hat die Ungerechtigkeit, die Welt, ein Stückchen Gold und Silber, vergängliche Ehre und einen guten Namen bei den Menschen gesucht, nun verließ ihn dieses alles, er mußte vor Gott erscheinen, vor dem heiligen Gott, er fühlte sich nackt wie Adam, nunmehr wollte er Barmherzigkeit, ohne sich zu beugen unter die Gerechtigkeit, ohne die Gerechtigkeit zu ergreifen welche vor Gott gilt.
Gott gebe uns Gnade, daß, wo wir eines Besseren belehrt sind, wir auch demgemäß handeln und wandeln. Unser lieber und gnädiger Heiland Jesus Christus hat uns gelehrt, was er uns von Gotteswegen geworden ist. Er hat uns gelehrt, wie wir ihn zu betrachten haben: nämlich als Sünde für uns und als einen Fluch für uns. Auch hat er uns gelehrt, daß wir uns selbst zu betrachten haben als Gerechtigkeit in ihm und als einen Segen in ihm. Er will, daß wir ihn betrachten als eine Schlange, welche uns nicht allein heilet von dem Biß der höllischen Schlange und von dem Gift der Sünde, sondern uns auch, das Leben das ewige gibt, wo wir ihn ansehen. Es hat indeß was Entsetzliches in sich, ihn zu betrachten als einen, der einer Schlange gleich sein sollte. Ist er doch an und für sich heilig und unschuldig, ohne Gift und ohne Biß. Strömt doch Gnade von seinen Lippen, und sein Hauch ist eitel Leben. Bei allem dem will er, daß wir an ihn glauben als an den Gekreuzigten, an ihn glauben, so wie er die Person des Sünders auf sich genommen hat und unter Gesetz gethan wurde, so daß er den letzten Heller hat bezahlen müssen und auch die Hefen der Zornschale Gottes für uns ausgetrunken hat. Das Weltkind, der Eigengerechte, der Pharisäer, der Falsche will ihn nicht als solchen betrachten, durch welchen allein wir mit Gott versöhnet sind, und der Bekümmerte hat den Muth nicht ihn als solchen für sich zu betrachten. Es ist allem Fleische eigen, mit dem Herzen Stützen zu suchen in Werken der Selbstwahl, in Menschengebot, in Dingen die Gott nicht befohlen hat. Das Gebot des Lebens wird vernachlässigt und in dem Herzen ist Wahn der Gottseligkeit und Haß Gottes und des Nächsten, und der äußerliche Wandel ist wie das Herz ihn eingibt.
Wer es aber hören und zu Herzen nehmen will, der höre es von neuem in dieser Morgenstunde, wie ich unverdrossen die Posaune an den Mund nehme, auf daß ein jeglicher abgestanden habe von aller Ungerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit, und ein jeglicher das „Heraus“ und „Weg von mir“ allen seinen argen Gedanken ankünde, die er von Gott hegt. Denn wenn wir gute Gedanken von Gott bekommen, ist auch alsbald das Herz gut, der ganze Mensch gut und sein Wandel gut. - Und das wird davon die Frucht sein, daß wir, wenn dann unser letztes Stündlein kommt, unsere Zuflucht nicht nehmen zu einer verborgenen Barmherzigkeit, welche in Widerspruch stehen würde mit Gottes Gerechtigkeit, sondern die Zuflucht genommen haben zu Gottes geoffenbarter Barmherzigkeit, durch welche wir arme und verdammungswürdige Sünder getrost vor Gott erscheinen dürfen. Dies hat unser Herr Jesus Christus selbst in einem Worte ausgesprochen, welches wohl das Evangelium des Evangelii heißen mag:
Text: Ev. Joh. 3, V. 16.
Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Ein griechisch Wörtlein „denn“ geht voran, so daß es heißt! „denn also hat Gott die Welt geliebet“. Dieses „denn“ verbindet unsere Textworte mit den vorigen Worten des Herrn: „wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden“. Dafür geben mithin unsere Textworte den Grund an, auf welchem es beruht, daß des Menschen Sohn wie die Schlange in der Wüste mußte erhöhet werden. Dieser Grund lag in der Liebe Gottes. Das waren nun alles unerhörte Sachen für Nicodemus. Sie waren aber ganz geeignet, um den Mann mit seinem pharisäischen Stolz zu brechen, gründlich zu demüthigen und ihm das Herz zu Gott zu erheben.
Es wird uns hier von dem Herrn vorgehalten
„Gott hat die Welt geliebet“, sagt unser Herr. Warum sagt unser Herr nicht: Also hat Gott sein Volk geliebet? Darum nicht, weil das kein Trost für Nicodemus gewesen wäre, wenn er später zur Erkenntniß seiner Verlorenheit würde gekommen sein. Denn wer ein armer Sünder geworden ist, kann sich nichts mehr anmaßen, er ist mit der Welt auf einen Haufen geworfen. Er ist der allergrößeste Sünder; es gibt keinen größeren auf der Welt, Bis dahin aber war Nicodemus der Meinung, daß er und die ihm Gleichgesinnten das erwählte Volk seien, daß Gott nur ihn und die Pharisäer lieben könne, weil sie so gottesdienstlich und aus Abraham entsprossen waren. Ein solches Volk macht nun der Herr zu einem „Nicht-Volk“, und was „Nicht-Volk“ und die „Nicht-Geliebte“ war, macht er zu einem Volk und zu der Geliebten. Unter „die Welt“ verstand der Herr die Gesammtheit der Völker, sowohl Heiden als Juden. Wie denn Gott zu Abraham gesagt: „In deinem Samen sollen alle Völker der Erde gesegnet werden.“
Wenn der Herr es nicht gesagt hätte, wer würde es glauben können? Die Welt ist ein unzähliger Hause Menschen, alle in directem Widerspruch gegen Gott: Abtrünnige von Gott, Rebellen, Verbrecher wider seine heilige Majestät, Todte in Sünden und Missethaten, Sclaven der Sünde und des Teufels, Entfremdete von dem Leben Gottes; ohne Gott und ohne Hoffnung; Uebertreter aller seiner Gebote, Abgöttische, Lästerer seines Namens, Schänder, Zerstörer seiner durch ihn gebotenen Ruhe, Ungehorsame, Mörder, Diebe, Ehebrecher, Verleumder, voller Begierde dessen, was des Nächsten ist; fluchwürdige Sünder, deren Sünde hauptsächlich darin besteht, daß sie sein wollen wie Gott, halten Gott für unheilig, für den Teufel und sich selbst für Heilige, Weise und Edele. Ein Klumpen und Chaos von Sünden und Finsternis), von Feindschaft und Haß wider Gott, - das ist die Welt. Wer kann die Millionen Sünden eines Einzelnen von uns aufzählen? - Wie groß wird die Sündenzahl einer ganzen Welt zu rechnen sein?
Die Welt will Gott sein, und Gott soll von seinem Stuhl herunter; die Welt will ihren Willen haben, und Gott soll nicht regieren. Die Welt will durchaus gerecht sein, und Gott soll kein Recht haben in allen seinen Worten. Ueberdem schlägt und speiet die Welt Gott in's Angesicht, überladet ihn mit allerlei Hohn und Schimpf, schlägt ihn an's Kreuz und tödtet ihn. - Sie will von ihrem eignen Gott etwas wissen, aber nichts von dem lebendigen Gott und seiner Seligkeit; versteht auch nichts davon. Gänzlich von Gott abgekommen liegt sie in den Banden der Sünde und des Todes und kann aus sich nie und nimmer heraus.
So hat denn der Herr allgemeine Gnade gelehrt? Mitnichten. Der Herr, der auch mal gesagt: „Ich bitte nicht für die Welt, sondern für die, die du mir gegeben hast“, - weiß wohl, was er unter Welt versteht. Aber wozu der Zank darüber, ob allgemeine, ob besondere Gnade gemeint sei? Schrieb sogar Luther: die Erwählten werden selig, die Uebrigen hole der Teufel. Es geht um die Anwendung auf sich selbst. Darauf kommt es an, ob man sich mit der Welt auf einen Haufen will werfen lassen durch den Herrn, so daß man in Wahrheit bekennt, daß es freie, unverdiente Gnade ist. - Nicodemus hätte lieber gehört: Also hat Gott die Pharisäer geliebt, - und so kommt der Teufel allerwärts und steckt des Menschen Frömmigkeit dazwischen, daß ein Mensch wohl von der Liebe Gottes wissen möchte, aber nicht von der Liebe mit welcher Gott in Wahrheit liebt. Da will sich der fromme Mann nicht zu der Welt schlagen lassen, er meint, er sei seiner Frömmigkeit wegen etwas Apartes vor Gott. Da soll es aber heißen und stehen bleiben: „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde und zur Erkenntniß der Wahrheit kommen“. Und wiederum: „Er ist die Versöhnung für unsere Sünden und nicht allein für unsere, sondern für die Sünden der ganzen Welt“. Und wiederum: „Lieber, verdirb den nicht mit deiner Speise, um deswillen doch Christus gestorben ist“. Dagegen, wo Jemand solche Sprüche als Schild erheben möchte, seinen freien Willen, der doch sclavisch ist, zu behaupten, und für eine allgemeine Gnade eifern, ohne mit der Welt auf einem Haufen liegen zu wollen, soll es stehen bleiben: „Es glaubten so viele, als zum ewigen Leben verordnet waren“.
Gott ist ein großer Gott und er verdammt jede Anmaßung, wobei man sich vor Andern etwas herausnimmt. Darum sagte unser Herr nicht: „die Pharisäer“, nicht „das Volk Gottes“, nicht „seine Erwählten“, sondern „die Welt“. - Nämlich, auf daß Nicodemus anerkennen möchte, wer er sei, - und dazu lesen und vernehmen wir es auch: „Also hat Gott die Welt geliebet“.
So ist es denn zum Troste gesagt derer, die auf nichts hinweisen können, das sie zur Gnade berechtigen sollte. Solche fühlen und erkennen es wohl an, daß sie in die Welt hinein gehören, Wovon der Herr spricht. Darum soll ein jeder von euch, der dieses Wort „die Welt“ hört, an sich selbst denken und sagen: Damit bin ich gemeint. Da darf er aber nicht an Tugenden und Heiligkeit denken, sondern er hat zu denken an seine Gottlosigkeit, welche so groß war und annoch so groß ist, daß an und in ihm nichts ist, gewesen ist oder sein wird, weßhalb ihm Gott würde können gewogen sein. Wer sich also unter allen tief Gefallenen und von Gott Abgekommenen als den tiefst Gefallenen und als den von Gott am meisten Abgekommenen kennt, der wird gerne zu der Welt gehören wollen, welche Gott geliebet.
Das ist aber ein Widerspruch, daß Gott eine solche Welt geliebet hat. Denn Gott ist erstens höchst vollkommen und glückselig, auch allgenügsam in sich selbst, so daß er einer Welt gar nicht bedarf, um seliger zu werden, als er bereits ist. Zum andern ist er auch höchst heilig, so daß es ihm nur Mühe und Arbeit machen muß, eine solche Welt bei sich zu haben, und eine solche Welt ihm eigentlich höchst zuwider sein muß, sie bei sich zu dulden. Drittens forderte vielmehr seine Gerechtigkeit, eine solche Welt in ihrer Verdammung liegen zu lassen, oder sie an dem ersten Tage, an welchem er sie geliebet, wieder in die Verdammung zu werfen. Wir sollen doch gut verstehen, von wem hier die Rede ist. Es ist hier nicht die Rede von einem irdischen Kaiser oder König, daß der uns geliebet, sondern von dem höchstseligen Gott, von dem großen und lebendigen Gott, den die Himmel der Himmel nicht umfassen können. Außerdem ist er von der Welt schrecklich beleidiget worden. Denn er hat uns alle gut und nach seinem Ebenbilde geschaffen. Und er hat uns ein schönes Paradies gegeben, die Hülle und Fülle, und nur ein Gebot, welches aber so gut, so gerecht, so weise, ganz so abgefaßt war, daß es nur zu unserm Glücke dienen konnte. Da wurden wir aber argwöhnisch gegen Gott und dachten, er thue alles und sage alles nur seinetwegen, da wollten wir denn auch wissen, was Gutes und Böses ist, und meinten, dann könnten wir Gotte das Gesetz vorschreiben und ihm den Gehorsam weigern, falls er etwa böse Absichten mit uns haben möchte. Solche schrecklichen Gedanken flößte uns der Teufel ein, wir gaben denselben nach, griffen zu der That - und so hatten wir denn dem Teufel das Vergnügen gemacht, daß die ganze schöne Schöpfung des allein guten und weisen Gottes zerstöret war; unser Abfall von Gott war vollkommen, der Teufel hatte uns in der Hölle, und wir bedeckten noch dazu unsere Schande mit Feigenblättern und flohen vor Gott.
Da lagen wir in unserer Verlorenheit; wie wir angefangen hatten von Gott Arges zu denken, so blieben wir in solchen argen Gedanken von ihm; keine Faser von Verbindung mehr zwischen uns und Gott, ja wir konnten nicht mal mehr begehren wieder zu ihm zu kommen, wollten auch nicht, - und Gott saß auf seinem herrlichen Stuhl. Wir waren gefallen; er war wohl sitzen geblieben. Was that er? Sah er sich nicht mehr nach uns um, bekümmerte er sich gar nicht mehr um die Welt? Mensch, kenne deinen Gott! Höre auf, Arges von ihm zu denken. Er saß auf seinem hohen Stuhl, dem Stuhl seiner Heiligkeit und Herrlichkeit. Er sah die Welt tief unter sich liegen, tief in der Hölle, gebunden in Banden des Todes, nicht mal mehr hinaufseufzend, nicht mal mehr verlangend nach ihm. Und - die Welt, welche er selbst hatte müssen verdammen und unter dieses Gericht hatte müssen beschließen, - er liebte sie, - er erbarmte sich ihrer nicht allein, er liebte sie. So heißt es aus dem Munde unseres Herrn, des treuen Zeugen: „Gott hat die Welt geliebet“. Das ist es, was Gott auch durch seine Propheten bezeuget: „Ich habe dich je und je geliebet, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte“. (Jer. 31, 2). Und wiederum: „Ich aber ging vor dir über und sahe dich in deinem Blute liegen und sprach zu dir, da du so in deinem Blute lagest: Du sollst leben. Ja, zu dir sprach ich, da du so in deinem Blute lagest: Du sollst leben“. (Hes. 16, 6). Ist es möglich? Wer möchte eine durchaus Häßliche, dazu Geschändete, in ihrem Blute Zertretene und von ihrem Blute gänzlich Verunreinigte beim Anblick lieb gewinnen können? Würde nicht die ganze Stadt eine solche Wahl für äußerst verwerflich halten? Würde ein einziger Mann zu einer solchen Wahl zu bringen sein? Und dennoch hat der große Gott eine solche Wahl gethan. Dennoch hat er geliebet, was ihm noch häßlicher und verwerflicher sein muß, als alles was sich auf der Welt häßlich und abscheulich denken läßt. Aber vielleicht ist doch noch was in der Welt, welche Gott geliebet, weßhalb er sie liebte. Ein jeder gebe für sich selbst Antwort darauf, ob etwas in ihm ist oder gewesen ist, wodurch er den heiligen Gott zu seiner Liebe hat bestimmen können. Das Gesetz welches geistlich richtet, die Sünde, - verborgene und aufgedeckte, gedachte und ausgeführte, die schreckliche Untreue gegen Gott, die Herzenshärte, der Unglaube, der vielfältige Tod, welcher in uns steckt, dazu alle die Greuel und Scheuen, die bewegt werden in einem menschlichen Herzen, die tausend Übertretungen mit Gedanken, Worten und Werken, werden einen jeden, der diese Liebe Gottes bei sich erfahren hat, zu dem Ausruf bringen: Was war in mir, daß du nach mir todtem Hund dich hast wollen umsehen, was war in mir, daß du mir hast wollen gewogen sein und mich hast lieben wollen; und er wird, wo bei ihm Beschämung des Antlitzes ist, die Antwort vernehmen, zu seinem Troste: Ich habe dich freiwillig geliebet.
Ja, Gott hat die Welt freiwillig geliebt. Auf die tausendmal wiederholte Frage: warum mir, warum mir? - wird die Antwort tausendmal dieselbe sein: Es war meine Liebe; ich habe dich geliebet, weil ich dich geliebet habe.
Und nun wollen wir den Grund unserer Seligkeit noch in uns selbst suchen? Darin suchen, daß wir dieses, daß wir jenes sind? Und wenn wir solches nicht bei uns finden können, auch an Gott verzweifeln in unserm Unmuth? Warum noch länger da es gesucht, wo es nicht ist? Ist es Liebe, Liebe Gottes, so laßt uns mit dieser Liebe zufrieden sein. Das wollt ihr ja, ihr die ihr seufzet unter der Last eurer Sünden und unter der Last alles dessen, was hienieden ist. - Höret, wie Gott die Welt geliebet hat!
„Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab“. - Das sind Worte seines eingebornen Sohnes selbst. Er, der den Vater kannte, hat sie ausgesprochen in den Tagen seines Fleisches, hat sie ausgesprochen vor Nicodemus. Kommt dem etwas gleich? Ein Freund mag sein Leben zur Bürgschaft stellen für seinen Freund; Gott aber hat es mit einer feindseligen Welt zu thun. „Gott preiset seine Liebe gegen uns, da wir noch Sünder waren“, bezeugt ein Apostel, und wiederum: „Wir sind Gott versöhnt durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Feinde waren“. In uns der Haß Gottes, in ihm die Liebe zu uns. Er hat uns zuerst geliebet, daher lieben wir Gott; und daß wir ihn noch lieben, ist seine Liebe zu uns, ausgegossen in unsre Herzen durch den uns gegebenen heiligen Geist. Welch' einen Geber haben wir hier und welch' eine Gabe! Ist aus der Geschichte der Welt ein Vater bekannt, der seinen einzigen Sohn für seine Feinde gegeben? Das hat Gott gethan. Er gab seinen eingebornen, ja wahrlich seinen alleingebornen Sohn. Er hatte sonst keinen Sohn, es war sein einiger, der vor ihm allezeit spielete. Ich darf mich in die Tiefe nicht hineinwagen der Verborgenheit Gottes und seines Sohnes. „Wie heißt er, und wie heißt sein Sohn?“ fragt ein Prophet, und fügt hinzu: „ich bin der allernärrischste und Menschenverstand ist nicht bei mir, ich habe Weisheit nicht gelernet und die Wissenschaft der Heiligen nicht gekannt.“ Wer wird es uns ansagen, was es bedeutet: Sein Bestes ließ er es ihm kosten. Das sollen wir doch glauben, daß Gott ohne seinen Sohn nicht sein kann. Gott ist Geist, es ist alles Leben und Wirkung, was in Gott ist. Den Abglanz seiner Herrlichkeit, das Ebenbild seines Wesens hat er vor sich haben müssen. Wie Gott die Liebe ist, hat er diese Liebe laut machen müssen. Seine Eingeweide, sein selbst Ich hat er für sich nicht behalten können, in ewiger Zeugung hat er den vor sich hingestellt, der ihm gleich ist, der ist was er ist. Nur einen Einigen hat er so zeugen können. An diesem Einigen hing er, dem es ein ewiges Bedürfniß ist, nicht für sich selbst Gott zu sein. Kann ein Vater sein Kind, sein einziges, von seinem Herzen reißen lassen? Kann es eine Mutter? Daß aber Eltern es nicht können, ist von Gott, der gab ihnen solche Liebe zu ihrem Kinde. Was mag Abraham empfunden haben, da er seinen Einzigen opfern mußte! Wer kennt nicht die herzzerreißende Klage Jacobs: „Ich aber muß sein als einer, der seiner Kinder gar beraubet ist“. - Saget es mir an, ihr Eltern, welche Gefühle muß Gott gehabt haben, da er sich entschloß seinen Alleingebornen zu geben, und da dieser Alleingeborne es freiwillig auf sich nahm, sich geben zu lassen. - Und was heißt hier „geben“. Wahrlich, da Loth seine Töchter den schändlichen Sodomiten geben wollte um seine Gäste zu retten, da würde er sie in einen gräßlichen Tod gegeben haben; das hätte er aber durch Noth dazu gezwungen gethan, er hätte seine Gäste gerettet, Gott hätte ihm auch dafür andere Töchter wiedergeben können. Aber Gott gab seinen Eingebornen, er konnte sich keinen zweiten zeugen, und was wäre im Himmel oder auf Erden, das ihn dazu verpflichten konnte? O, es war ein freier Entschluß seiner Liebe! Und wo ging er mit dem Sohne hin, da er ihn gab? Gott gab seine Freude dran, seine Lust, sein Leben, sein anderes Ich, er machte seinen Himmel, seinen Pallast gleichsam öde. Er gab seinen Sohn vor und von seinem Antlitze hinweg und er gab ihn aus der Gottes Freude hinaus und dahin; ließ ihn kommen in diese verpestete Luft hinein, ließ ihn Mensch werden, einen Menschen wie wir; er gab ihn dem Teufel, dem Tode, den Menschen, die ihn nicht kannten und auch nicht kennen wollten, die ihm mit Kannibalen-Wuth nach allerlei Martern den schändlichsten Tod anthaten; - ja er gab ihn, daß er hier wäre in der Person des Sünders, unter Gesetz gethan, Fluch und Sünde für uns, er gab ihn in unsere Verdammung hinein, daß er trüge die ganze Last des Zornes Gottes gegen die Sünde.
Ach! wir sind zu irdisch, zu matt; zu todt, zu eigenliebisch, zu sehr ertrunken in den sichtbaren Dingen, um dieses Geben zu verstehen.
Wunderbares Geschenk, wunderbarer Tausch! Was Gott liebte und allein lieben konnte, schien er zu hassen, und was er hassen mußte mit ewigem Haß, wie es ihn haßte und ihn von seinem Thron werfen wollte, hat er geliebet. Was allein in Gottes Himmel hineingehört, gab er in unsere Verdammung, und was auf ewig vor ihm verworfen sein mußte, nahm er zu sich auf in seinen Stuhl.
Wunderbare Gerechtigkeit Gottes, wie strahlt sie aus dem Evangelio von Jesu Christo einem armen Sünder entgegen, nicht um sich an ihm zu rächen, sondern ihn auf ewig gerecht und selig zu machen! Und wir nehmen Gott noch in Verdacht, der sein eignes Ebenbild gab, weil wir aus seinem Bilde getreten, - der sein eignes Ebenbild gab, auf daß wir in diesem Ebenbilde vor ihm Gnade hätten! Und wir wollen Gott was geben, was bringen, weil wir Sünder sind, weil wir Sünden haben, weil wir immerdar mehr und mehr erfahren, in welchem tiefen Verderben wir liegen, erfahren was aus unsern Herzen hervorgeht, - da meinen wir mit einer Opfergabe, mit Rindern und Böcken aus unserm Stall Gott versöhnen zu müssen? Weil wir so sündig sind, meinen wir, Gott sei uns gram, meinen wir, Gott sei wie wir! Weil wir so sündig sind, meinen wir, Gott werde uns erst gewogen sein können, wenn wir solche Leute geworden wären, die was anderes sind als die Welt! O ihr alle“ die ihr mich höret, lasset euch zu der Welt schlagen. Schauet und schmecket, mit welcher Herrlichkeit der Liebe Gott dem vor ihm fliehenden Adam, Gott uns entgegentritt. Die Welt ist ein Madensack, wenn man mich herausnimmt, bin ich die allerelendeste Made. Diese Welt hat Gott geliebet, so geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab; von hinnen mit den Gaben, und als Welt dem Geber geglaubt und ihn gelobt für seine Gabe und wunderbares Geschenk!
Oder wozu gab Gott seinen eingebornen Sohn? Auf daß ein Nicodemus durch seine Frömmigkeit und Tugend in den Himmel komme? Auf daß wir an Christo ein Vorbild der Vollkommenheit, des Gottgefälligen hätten, um alsdann, wenn wir diesem Vorbilde so viel möglich gleich gekommen wären, zu Gott zugelassen zu werden? Gab er dazu seinen Sohn, um uns zu lehren ein Gegengift zu suchen wider das Gift der Sünde in unsern Gliedern, uns zu lehren, daß wir durch Bußkämpfe, durch ein allmäliges Schwächen und Tödten der Sünde, durch Selbstkurirung des Schlangenbisses uns selbst vergöttlichten? Gab er dazu seinen Sohn, auf daß er uns einen Leitfaden in die Hand gebe, auf unserm Sterbebett sagen zu können: ei du frommer Gott, nun habe ich mich durch deine Hülfe auch fromm gemacht, ich bin so heilig geworden wie der Herr Jesus, durch ihn hast du mich gelehrt zu wallfahrten, zu beten, die Sünde zu bezwingen, - ich bin auch vielen Pflichten der Menschen- und Nächstenliebe nachgekommen, ich bin ein guter Jünger gewesen, darum mache mir auf? - So spricht der Zeuge, der Wahrhaftige, der jetzt auf dem Stuhl der Herrlichkeit sitzt und bald kommen und richten wird die Lebendigen und die Todten, so sprach er in den Tagen seines Fleisches, da er vor. Nicodemo stand, - und was er gesprochen hat, hat er noch nie widerrufen, sondern es als zuverlässig behauptet bis auf diesen Tag: „Auf daß alle die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern ewiges Leben haben“. Nach dem Griechischen heißt es: „Auf daß ein jeglicher an ihn Glaubende, ja nicht verdorben sei, dagegen habe ein ewiges Leben“. Ist das „Glauben“ wovon hier der Herr spricht, etwa eine Bedingung? Wie man's nimmt. Ist es Bedingung, so wird damit jede andere Bedingung ausgeschlossen. Es heißt also nicht, auf daß ein jeder, der keine Sünde hat, der sich Heiligkeit erworben hat, der ein gutes Herz hat, der Aufrichtigkeit hat, der die Sünde haßt, der fromm ist, der etwas für Gottes Reich gethan hat, der den Leib getödtet u. s. w., nunmehr durch Gottes Barmherzigkeit vielleicht in den Himmel gelassen werde, wenn er sein Bestes wird gethan haben, um Gottes Gebote zu erfüllen, - sondern es heißt: „auf daß ein jeglicher Glaubende an ihn“. Der Herr will also den Glauben an ihn, den Glauben lediglich, so daß wir uns an ihn halten als an den, der uns von Gott aus lauter Liebe gegeben ist. - Dieses Glauben steht hier indeß nicht als Bedingung, sondern als Mittel, als etwas das Gott allein gefällt. Mancher wird nun denken, ja um den Glauben gehts mir eben, ich kann nicht glauben. Lieber, wie stellest du dir das Glauben vor? als ein Werk deiner Macht? So bist du verkehrt unterrichtet. Fühle dich verloren, verdorben, so will dich Gott haben. Wirf dich mit der ganzen Welt auf einen Haufen, so wird dich Gott geliebet haben. Da liegst du zu Boden in der Wüste. Das Gift wirkt, in den Gliedern, du fühlst dich ohne Gott und in dir ist der Tod mit seiner ganzen Macht. Ja, wäre noch Hoffnung der Seligkeit für dich da in solchem Zustande, wie würdest du dich freuen. Das sagt dir aber kein Mensch. Aber was sagt der Herr Jesus? Was hast du anzufangen, was will Gott von dir? Er will, daß du an seinen Sohn glaubest; - oder sage doch, will er etwa, daß du das Gift selbst aussaugest, will er, daß du den Tod selbst aus diesen Gliedern hinwegschaffest? Du hast Freiheit von dem Vater und von dem Sohne, da wo du nun gar keinen Boden mehr unter deinen Füßen hast, dich mit deinen beiden Händen zu stützen auf das Lamm, für dich geschlachtet; denn damit du in deiner Verlorenheit von der Verlorenheit nicht verschlungen werdest, in deinem Verderben nicht verdürbest, hat er, Gott selbst, vor dem du bebst und zitterst, als wolle er dich deiner Sünde wegen nicht haben, seinen Sohn auch für dich gegeben; - auf daß du in deinem Tode nicht von dem Tode verschluckt seiest, sondern dein Tod verschlungen oder verschluckt seie in Christo, gab er seinen eingebornen Sohn. Er gab ihn, auf daß wir ewiges Leben hätten. Es geht um's haben; wer in dem Tode liegt, kann sich mit der Zukunft nicht trösten, er muß es haben das Leben aus Gott, das ewige. Es ist da. Es sollte da sein, darum gab Gott seinen eingebornen Sohn. Wir sollten es uns nicht erst noch auswirken; - was kann der noch wirken, der zu Tode gebissen ist? Was können wir denn Anderes thun, als das was wir auch gethan haben: uns um Gott und um das ewige Leben bringen; - nur Gott allein konnte das Leben uns wiedergeben. Leben haben, ewiges Leben, das ist doch um aufzuspringen vor Jubel und Freude. Von hinnen mit allen argen Gedanken von Gott, als müßten wir es erst noch verdienen dieses Leben, als seie es noch etwa abhängig von unserer Frömmigkeit und Werk; - und uns gestützt mit allen unsren Sünden auf das Lamm, - gesehen mit sterbenden Augen auf den eingebornen Sohn Gottes! Kein Elender ist hier ausgeschlossen. Es heißt aus seinem Munde: ein jeder an ihn Glaubende soll es haben, hat es! O! solche Liebe Gottes, sie habe uns allen das Herz erobert; nur sie ist der Sünde Tod, nur sie macht die Todten lebendig und das betrübte Herz auf ewig froh und setzt den Angefochtensten in Ruhe und stolzen Frieden. Amen. -