Gehalten den 10. Oktober 1858, Vormittags.
Psalm 126, Vers 1 u. 2.
Wenn Gott einst unsre Bande bricht
Und führt gen Zion in sein Licht,
Dann wird wie Träumenden uns sein,
Wir gehn mit unserm Führer ein
Und jauchzen laut in Gottes Freuden
Nach überstandnen Pilgerleiden.
Dann staunt die ganze Welt uns an
Und ruft: Das hat der Herr getan!
O ja, das hat der Herr getan!
Wir staunen auch dies Wunder an
Und stehen da und sehn erfreut
Auf ihn, den Herrn der Herrlichkeit,
Der den Gefangnen Freiheit sendet,
An allen bald sein Heil vollendet.
Du kannst es tun, du, dessen Hand
Uns Bäche schafft im dürren Sand.
Meine geliebten Brüder und Schwestern! Wir erfahren und schmecken etwas von Gottes Gnade, wenn wir davon so einen Strahl zu Gesicht bekommen, dass Gott unser Gott ist; da werden wir allemal reichlich getröstet und dessen gewiss gemacht, dass unser Gott lebt und nicht stirbt.
Wenn er unser Gott ist, wie er ja zu seinem Volk im ersten Gebot gesagt hat: „Ich bin der Herr, dein Gott“, so ist er unser Gott als Bundesgott. Ist er denn unser Gott, so ist er auch unsers Samens Gott ewiglich. Können wir nicht sterben, so kann auch unser Same nicht sterben. Indessen bleibt hienieden das Herzeleid und die Traurigkeit, es bleibt hienieden der Tod und das mannigfache Leiden; aber unsere Traurigkeit ist doch eine andere als die der Heiden, es ist eine gottgeweihte, eine geheiligte Traurigkeit, eine solche Traurigkeit, wobei es dem Menschen stets um Trost Gottes bange ist. Wo dies der Fall ist, da will Gott gegenwärtig sein und trösten, und er tröstet doch am allerbesten damit, dass er es uns zu verstehen gibt: Er sei unser Gott, der Erste und der Letzte, der nicht stirbt, der sein Wort treulich wahr macht, der alle seine Werke zu einem guten Ende führt. Da sehen wir dann auf das Ende. Das ist ja das Ende: die ewige Herrlichkeit, das ewige Leben! Ich sage: das ist das Ende der Traurigkeit, der Anfang der ewigen Freude, wo Gott uns also tröstet, dass wir dessen gewiss gemacht werden: Bald hat alles Leiden ein Ende, bald ist die Zeit der Ruhe da, bald ist es Feierabend, wir legen uns bald zur Ruhe; und: Er kommt, er kommt! er wird nicht ausbleiben, Er, zu dem die Gemeine schreit: Ja komm, Herr Jesu!
Herz, glaubst du's, oder glaubst du's nicht es ist dennoch wahr! Wer es nicht glaubt, der kann es leicht glauben; wer es aber wünscht zu glauben, für den hält es schwer. Es ist leicht, zu sprechen von Seligwerden; es ist leicht, einander in den Himmel zu setzen; Leute, die mit einander hadern und in Zwietracht leben, können sich, wenn der Tod kommt, ganz schnell und leicht in den Himmel setzen, und haben doch hienieden, auf Erden, nie mit einander in Frieden leben können. Aber wo es dem Menschen ernstlich drum zu tun ist, da hält es schwer. Ich habe einem heiligen Mann einmal gesagt, er werde sich einst am meisten darüber verwundern, wenn er sich selbst im Himmel finden werde. Es wird allen Heiligen wahrhaftig sein wie den Träumenden, wenn sie mal erlöst werden von dem Leib der Sünde; es wird ihnen sein wie den Träumenden, wenn sie den Herrn Jesum sehen werden von Angesicht zu Angesicht. Die da nicht selig werden, haben es gleichsam in der Tasche, und es ist ihnen wie ein Rechenexempel, dass sie selig werden, - es kann nicht fehlen; die aber selig werden, haben es nicht in der Tasche, sondern sie sind in Hoffnung selig, und es ist ihnen bang.
Wer kann dem armen, armen Menschen, dem schwachen, der stark sein sollte und doch schwach ist, wer kann dem armen, armen Menschen helfen, dass er über alles hinwegkomme, über alles hinweggesetzt werde? ich meine, über alles Herzeleid, über alle Anfechtung des Teufels und der Welt, über Tod und Schmerz? Es ist in dem Menschen keine Kraft, keine Lust und kein Sinn zu etwas, das göttlich ist; es kann ein Mensch, der aufrichtig ist, sich selbst nicht trösten und helfen; es kann ein gläubiger Mensch nicht räsonieren und philosophieren; er ist Mensch, um und um Mensch; ihm kann niemand helfen, als nur der Herr; der hilft ihm! Das wollen wir beweisen in dieser Morgenstunde in der Fortsetzung unserer Betrachtung über Psalm 118; daselbst lesen wir:
Vers 13-15: Man stößt mich, dass ich fallen soll, aber der Herr hilft mir. Der Herr ist meine Macht und mein Psalm und mein Heil. Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten: die Rechte des Herrn behält den Sieg.
Zwischengesang.
Psalm 119, Vers 25.
Gedenk des Worts, geredt zu deinem Knecht,
Du selber hast mir Hoffnung drauf gegeben.
Drückt Elend mich, bin ich gering und schlecht,
Dein Wort, mein Trost, muss stets mein Haupt erheben.
Ach, dass ich bald dein Heil erblicken möcht'!
Du sagst es zu, das gibt mir Kraft und Leben. **
Also, meine Geliebten, es spricht hier ein Heiliger Gottes; er klagt laut und verhehlt es der Gemeine nicht: „Man stößt mich!“ Er gibt die Absicht zu verstehen, warum man ihn stößt: „Man stößt mich, dass ich fallen soll“. Da erzählt nun der Heilige, dass er am Abgrund liege, und dass er, wenn er allein auf sich sehe, gar keine andere Aussicht habe, als dass er in die grundlose Tiefe hineinstürzen müsse, wo er zerschellen werde. Aber nein! es fließt mit einem Mal, als aus den Wolken, ihm reichliche Hilfe zu; die kommt vom Herrn -: „aber der Herr hilft mir“.
Da erzählt er nun weiter, wie es ihm geht: In ihm ist keine Macht, und da hat er doch Macht, und die Macht ist der Herr! In ihm ist tiefe Traurigkeit, er ist herzensbetrübt, und gewiss, er kann nicht singen, und er hat doch einen Psalm - denn ohne Lob Gottes geht es nicht - er hat einen Psalm, und sein Psalm ist der Herr! In ihm ist Verderben, ringsum Verderben, und alles raunt ihm in's Ohr: Du bist verloren! hier ist kein Heil und keine Hilfe für dich! es ist mit dir ein Garaus! Und er selbst bekennt es: Ja, ihr habt alle Recht! Und dennoch ist Heil da! Mein Heil, das suche ich nicht im Sichtbaren, nicht bei menschlichem Trost, nicht in äußerlicher Hilfe, aber mein Heil ist der Herr.
Darauf erzählt dieser Heilige, was da stattfindet in gewissen Hütten - nicht Palästen sondern in gewissen Hütten hienieden auf Erden. Da wohnen Gerechte, und von diesen Gerechten sagt er: „Sie singen mit Freuden vom Sieg“. Und das ist der Inhalt ihres Gesangs: „Die Rechte des Herrn behält den Sieg!“
Das geht da alles kreuz und quer durcheinander; denn so heißt es: „Ich will sie zerhauen im Namen des Herrn“, und so wiederum: „Man stößt mich, dass ich fallen soll“.
Meine Geliebten! Auf den Bilderbogen beschreibt man den Teufel gewöhnlich als mit Hörnern versehen. So sieht er aber nicht aus, sondern er verstellt sich zum Engel des Lichts; aber bestimmt, er hat dennoch Hörner auf dem Kopf; ich meine im geistlichen Sinne. Die falschen Propheten versahen sich auch wohl mal mit Hörnern, setzten diese auf den Kopf und sagten: „So wird man die Feinde zerstoßen!“. (Vergl. 1. Kön. 22,11). Entweder oder! Des Herrn Reich und Stuhl soll stehen bleiben, oder des Teufels und der Welt Stuhl. Nun ist der Teufel darauf aus, seine Macht zu behaupten, und der Herr Christus geht mit den Seinen hienieden den untersten Weg; und der Teufel hat Hörner, aber die armen Schafe nicht, sie können nicht stoßen, und sie stoßen auch nicht. Da gibt es nun für alle Gerechte hienieden Stoß auf Stoß, Stich auf Stich. Ihr sollt aber nicht meinen, die ihr den Dienst Gottes nicht erwählt, als wäre es ein trauriges Leben im Dienste Gottes! O nein! denn es folgt etwas, das ihr nicht habt! Ihr habt Freude hienieden, so lange ihr lebt; aber die Freude ist eine erbärmliche Freude, und es folgt ein ewiges Durchstochen- und Durchstoßen-werden, wenn ihr, nachdem ihr die Freuden dieser Welt durchgekostet, hernach ewiglich zur Hölle fahrt. Dann lieber für eine Weile zerstoßen werden, und alsdann den Sieg errungen und die ewige Krone getragen! Das ist nicht anders in diesem menschlichen Leben! Am meisten Herzeleid, am meisten Traurigkeit ohne Trost findet sich gerade in diesen Palästen, wo man Gott nicht dient. Denn wo dem Teufel gedient wird, da ist das Ende allemal Herzeleid; aber in Gottes Dienst mag der Anfang zwar Herzeleid sein, es wird doch alles durch Gottes Honig versüßt, und es folgt ewige Freude und Herrlichkeit.
Aber wir kommen nun auf den Trost, den Gottes Heilige aus diesem Psalm haben sollen und bekommen. Erstlich verschweigen sie Gottes Gemeine nicht, was sie hier durch machen, und da haben wir denn in erster Linie den Allerheiligsten, unsern teuren Herrn und Heiland Jesum Christum, der diesen Psalm gesungen hat in der Nacht, da er verraten ward. So sprach es also unser Heerführer allererst aus, und er erzählt, dass man ihn stößt, damit er fallen solle. Kann es uns denn besser gehen, wenn wir dem Herrn nachfolgen, sein Kreuz auf uns nehmen und ihm dienen? Da kann es nicht anders gehen, als dass wir bekommen Schlag auf Schlag, Stoß auf Stoß, Stich auf Stich. Ja, es haben es alle Heiligen und Propheten mit durchmachen müssen, was dem Propheten Micha begegnete, da er es wagte, dem König Unglück zu weissagen: der König warf ihn in's Gefängnis und sprach: „Diesen setzt ein in den Kerker und speist ihn mit Brot und Wasser der Trübsal, bis ich mit Frieden wiederkomme!“ So stößt er also mit dem Propheten auch Gottes Wort von sich, und der Prophet hat nichts zu antworten als: „Kommst du mit Frieden wieder, so hat der Herr nicht durch mich geredet“. Ebenso der Prophet Jeremias. Da er Gottes Wort dem Volk ansagt, steht da ein hochangesehener mächtiger Prophet, Hananja, straft ihn Lügen, und Jeremias hat weiter nichts zu sagen als: „Sollte das kommen, was du gesagt hast, so hat der Herr nicht durch mich geredet“.
Der hundertachtzehnte Psalm, meine Geliebten, zeugt an vielen Stellen davon, dass der heilige Dichter, welcher den Psalm gemacht hat, und also alle, die diesen Psalm zu ihrem Trost verstehen, nicht anders denken als: Wir können nicht stehen bleiben, die Macht der Feinde ist zu groß, wir müssen fallen! Wer da meint zu stehen, ist seiner Sache gewiss, bis dass alles in Trümmer geht. Wer aber in Wahrheit steht, fragt hundertmal an einem Tag: Hälts auch wohl? Aber wirf einen solchen nur um, du Feind! du hast ihn doch nicht umgeworfen, er wird immer wieder dastehen. Bedenken wir, meine Geliebten, indessen, was ein Heiliger klagt, und was alle Heilige mit ihm klagen, Ps. 25,15 ff: „Meine Augen sehen stets zu dem Herrn, denn er wird meinen Fuß aus dem Netz ziehen“, sonst bin ich ein gefangener Vogel. „Wende dich zu mir und sei mir gnädig, denn ich bin einsam und elend. Die Angst meines Herzens ist groß, führe mich aus meinen Nöten. Sieh an meinen Jammer und Elend und vergib mir alle meine Sünde. Siehe, dass meiner Feinde so viel ist, und hassen mich aus Frevel. Bewahre meine Seele und errette mich, lass mich nicht zu Schanden werden, denn ich traue auf dich“. Und Psalm 38,2: „Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn, und züchtige mich nicht in deinem Grimm. Denn deine Pfeile stecken in mir, und deine Hand drückt mich. Es ist nichts Gesundes an meinem Leib vor deinem Drohen, und ist kein Friede in meinen Gebeinen vor meiner Sünde. Denn meine Sünden gehen über mein Haupt, wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden. Meine Wunden stinken und eitern vor meiner Torheit. Ich gehe krumm und sehr gebückt, den ganzen Tag gehe ich traurig. Denn meine Lenden verdorren ganz, und ist nichts Gesundes an meinem Leib. Es ist mit mir gar anders und bin sehr zerstoßen. Ich heule vor Unruhe meines Herzens“.
Es kommt der falsche Prophet, der Engel des Lichts, der Teufel, und bedient sich der Menschen und der Welt, allermeist aber unserer eigenen Vernunft und Gedanken, unsers Unmutes und Unglaubens, um uns also Stoß auf Stoß, Stich auf Stich beizubringen. Nun ist es dem Aufrichtigen, dem Gerechten, um Eins zu tun, nicht um sich selbst, sondern um dieses Eine: um Gottes Wort, um Gottes Wahrheit. Gottes Wort und Gottes Wahrheit wird aber von Teufel und Welt heftig gehasst; sie möchten nichts lieber, denn Gottes Wort zu Lügen machen und seine Wahrheit vernichten. Da wird der Gerechte eben deshalb hart angefochten: Ist es wahr? Hast du Gnade? Hast du Vergebung von Sünden? Du? Ist Gott wahrhaftig dein Gott? Ist er wirklich mit dir auf dem Plan? Ist er dir wirklich gnädig und gut? Ist er wahrhaftig dein Heil? Sollte er so besonders dein Gott sein? dir, dir deine Sünden vergeben haben? dich, dich selig machen? Ist er wahrhaftig bei dir in diesem Kot? in diesem Abgrund? in diesem Leiden? in dieser Not? - Ach, es ist alles Sache des Glaubens, und wo Glaube ringt, da ist wahrlich nur das Widerspiel vorhanden; aber fallen, fallen kann ein Kind Gottes vor dem Feinde nicht! Das kann es nicht des Namens wegen des allmächtigen und lebendigen Gottes, das kann es nicht der Wahrheit wegen; eher lässt es sich zerfleischen, als dass Gottes Wort sollte aufhören bei ihm Gottes Wort zu sein. Dieses Wort ist ihm anvertraut, ist ihm gegeben worden; das Wort von Heil, von Gnade, von Güte, von väterlicher Güte, von Vergebung der Sünden, von Leben, von Seligkeit ist ihm gegeben worden, und nun ist ihm in solcher Not - ja, es weiß wohl: ich habe den ewigen Tod verdient und habe nichts zu fordern, aber es ist ihm in solcher Not bange, es möchte mit dem Worte fallen.
Da geht es denn so daher, ist selbst nichts, es trägt aber bei sich einen köstlichen Schatz in einer wunderschön gebildeten Vase, und eben dieses Ding, welches das Kind in seiner Hand hält, möchte der Feind gern zertrümmern, und darum stößt er das Kind, dass es fallen soll. Er hört nicht damit auf. Wenn er anhebt zu stoßen, dann stößt er gewaltiglich, nur in der Absicht, um das Kind mit dem Schatz in den Abgrund zu stürzen. - „Das tut Gott deiner Sünde wegen, darum geht es dir so! Du hast es schlecht liegen lassen! Du hast es so und so gemacht, darum trifft dich jetzt dies alles!“ Mit solchen Einflüsterungen erregt der Feind die Angst, um das Wort: „Ich habe dich je und je geliebt!“ dem Kindlein aus. der Hand zu reißen, den Glauben an ewige Gnade zu verdunkeln: Hat der Teufel einmal dieses wirklich aus dem Herzen hinweg, den Glauben an Gnade, an Vergebung von Sünde, an ewige Herrlichkeit, dann liegt das Kind im Abgrund und kann nicht wieder daraus hervor.
Das also erzählt uns unser Herr Jesus Christus, der Allerheiligste Gottes, und es wird gepredigt, auf dass alle, die Gottes Wort lieben und trotz alles Widerspiels daran hangen bleiben, wenn sie sehen und erfahren, wie sie Stoß auf Stoß, Stich auf Stich bekommen, doch ja des eingedenk seien: Allen meinen Brüdern und Schwestern, allen Heiligen Gottes geht es nicht anders.
Fallen aber soll ein Kind Gottes doch nicht. Der Herr ist da, er hilft, er kommt mit seiner Hilfe. Er ist gerade wie eine Mutter, die ihr Kind gehen lehrt; sie kennt die schwachen Tritte des Kindleins wohl und hält ihre Arme ausgebreitet hinter ihm; das Kind ist im Begriff zu fallen, es fällt und es fällt in den Schoß der Mutter hinein. Wo ist nun die Macht bei dem Kind? Es kann ja nicht gehen! Wo ist das Lied bei dem Kind? Es hat einen Schrecken beim Straucheln bekommen, darum ist es traurig, sodass es gewiss nicht an Singen denkt. Wo ist nun das Heil bei dem Kind? Ach, es verliert beinahe die Besinnung vor Schrecken, bis die Mutter es aufgefangen hat. Es ist unbegreiflich für alle Vernunft, wie der eine und andere noch den Mut behalten kann bei so manchem, wobei das Weltkind sagen muss: es ist um ihn geschehen! Es ist für die Vernunft unbegreiflich, wie es kommen kann, dass jemand in Asche und tiefer Traurigkeit sitzt und doch die Harfe von der Wand nehmen und dem Herrn, seinem Gott, ein Loblied spielen kann. Es ist für die Vernunft unbegreiflich, wie es hergeht, dass nichts gesehen wird als Not und Tod, und dennoch bekannt wird: Heil, Rettung, Seligkeit ist da! Frage es einmal diesen armen Mann, woher das komme. Die Antwort ist: Das ist nicht von mir, das bin ich nicht, das tue ich nicht; ich liege danieder, ich kann mir nicht helfen, kann nicht singen, will mich nicht mal trösten lassen, es ist aus und vorbei mit mir, mit der ganzen Sache, kein Heil ist zu hoffen, alles ist tot, tot. So kann einer daniederliegen, und bald wird er in seiner Schwachheit umgürtet mit Macht. Der nicht singen will, fängt an zu singen; und der nichts anderes sieht, als dass alles verdorben sei, jubelt doch von Errettung. Woran liegt das? Ach, das liegt nicht an Fleisch und Blut, nicht am Schrank, dass etwa hundert Taler hineingekommen sind, nicht daran, dass die Umstände sich verändert hätten, nein, nein! Wir reden davon gerade da, wo es auf's äußerste gekommen ist und nichts gesehen wird von Hilfe: eben da ist es der Herr, der Herr allein, der treue Bundesgott, der mächtige Heiland, der ewige Erbarmer.
Wohl dem, der die gute Wahl getan hat, mit Ruth - ob auch die Mutter spricht: „Mein Kind, du hast nichts bei mir, der Allmächtige hat mich bitter betrübt“, - dennoch zu sagen: „Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott!“ Ruth 1,16. Da ist mitten im Tod Leben, mitten in der Sünde Reinigung im Blut Christi, mitten in der Unreinigkeit Heiligung im Blut und Geist Christi, mitten im Abgrund begegnet man dem Herrn mit lieblichem Angesicht, und man erfährt es, dass dem Herrn kein Grabstein zu schwer ist, sondern er wälzt ihn von dem Armen und Elenden ab, ihn zu erretten.
Es heißt Vers 14 nicht: „Der Herr gibt mir Macht“; es heißt nicht: „Der Herr gibt mir einen Psalm zu singen“; es heißt auch nicht: „Der Herr gewährt mir Heil“; sondern es lautet anders: „Der Herr ist meine Macht“. Das heißt tabula rasa machen1) mit der sichtbaren Macht. Alles ist weg, aber: „Der Ihn einmal kennt, des Wohlstand nimmt kein End!“ Alles ist weg, aber nicht der Herr! Wenn der Herr nur da ist in der Macht seiner Gnade und Erbarmung, möge auch alles weg sein, der Herr ist doch da! Ich sehe ihn aber nicht! Es ist ein Schreien um Hilfe in deinem Herzen nach ihm, es ist ein Seufzen und Stöhnen da in deinem Herzen nach ihm, wenn bei dir alles aus ist, es ist ein Seelenleiden da bei dir, ein Verlangen nach dem Herrn; - den Herrn selbst, den musst du haben. Was göttlich betrübt ist, hat nicht genug an Vergebung von Sünden, an Leben und Seligkeit, es muss den Herrn zuvor haben, und dann Vergebung von Sünden und Leben und Seligkeit.
Seht, meine Geliebten, da hat sich der Herr Jesus, indem er in der Nacht vor seinem Leiden diese Worte aussprach, und indem er den Tod vor Augen hatte, etliche Stunden vor seinem schrecklichen Leiden in Gethsemane, nochmals herzlich gefreut, und er, der all unser Leiden an sich hat, singt: Der Herr ist meine Macht und mein Psalm, und ist mein Heil! Das Gesetz will Macht, und alle, die unter Gesetz sind, verlangen von andern Macht und Stärke; aber sie selbst sind Feiglinge, wo es auf die Probe kommt. Das Gesetz will Psalmen, Gott soll gelobt sein, und alle, die unter Gesetz sind, sind bald fertig, dem heiligen Hiob nachzuäffen und zu sagen: „Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt!“ Das Gesetz will, dass ein Mensch sich selbst helfe, dass er nicht in der Asche sitzen bleibe, dass er sich trösten lasse, aber man mag den Armen schelten, so viel man will, dass er sein Gut vergeudet hat, er kann nicht mehr prozessieren, er kann sich nicht wehren, der Arme schweigt; er ist lahm an Händen und Füßen, gelähmt an der Zunge, aller Mut und alle Kraft ist weg! Was vermag der arme Mensch in seiner Not, in seinem Leiden? Er ist verdammt um und um vor Gottes Gesetz, Not und Sünde verdammt ihn, alles verdammt ihn, und zwar dies am meisten, dass er nicht Glauben hat, dass er nicht Mut und Kraft, dass er keinen Psalm und kein Heil hat, und da bleibt er denn, wenn er nicht Gottes Kind ist, darin hangen; wenn er aber Gottes Kind ist, so hat er keine Ruhe, bis er Macht und Psalm und Heil hat.
Und was ist dies? Christus! Christus! In mir nichts; aber mein Bürge, er ist es! Und wo Er erfasst wird, er, der Gott Himmels und der Erde, in der Macht seiner Gnade, da beginnt das Kind etwas zu lallen von der Macht seiner Gnade und Erbarmung. Es weiß nicht, dass es etwas kann, es geht daher in Gottes Wegen, und Gott hält es; Christus ist seine Macht, Christus ist sein Heil, Christus ist sein Psalm.
Das sagt der Herr zu seinen Armen und Elenden in der Nacht seines Leidens; da hat er alles ausgesagt, wie der Weg in Wahrheit liegt; und in all dem Leiden hat der Herr vor sich hin gelächelt und gesagt: Das ist wahr! und in seiner Seele, wo er das Grausen des Todes vor sich sah, wo er im Rachen der Hölle sich befand, hat er gesprochen: Es ist dennoch wahr! So wird mein Gott und Vater gelobt werden! So ist es wahr, und so geht es her in den Hütten aller Gerechten; so kommt es hervor und so kommt es heraus.
Begeben wir uns hinein in solch eine Hütte eines Gerechten; - es kann meinetwegen auch ein schöner Palast, ein gutes Haus sein, es wird doch eine Hütte sein, wenn ein Gerechter darin wohnt, aber „nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen, sondern das Törichte, das Schwache, das Unedle und Verachtete vor der Welt, das hat Gott erwählt, auf dass er zu Schanden mache, was etwas ist“. Der Sturmwind fährt durch diese Hütte, Regen und Schnee dringen hinein, denn sie ist nur mit Stroh bedeckt, es sieht wahrlich armselig aus. Wenn wir die Kirchengeschichte durchgehen - was haben Gottes Heilige nicht alles erlebt! Wie oft haben sie erlebt, dass sie nicht einmal eine Hütte hatten! Und wenn sie eine Hütte besaßen, ein gebrechliches Ding, im Nu war es abgerissen, wie auch ihre Leibeshütte, so dass nur der Trost blieb: „Wir wissen aber, so unser irdisches Haus dieser Hütte zerbrochen wird, dass wir einen Bau haben von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel“ (2. Kor. 5,1). So haben wir denn zusammen Eine Sprache und sagen: Du hast keine Gerechtigkeit, ich auch nicht; du hast keine Heiligkeit, ich auch nicht; du hast keine Werke, ich auch nicht. Ach, das Kind kann besser seine Frage aufsagen: „Wie bist du gerecht vor Gott?“ als ein Erwachsener; es kann besser die Frage aufsagen: „Was glaubst du von Vergebung der Sünden?“ als der Erwachsene; denn das Kind sieht auf die Frage und Antwort, der Erwachsene aber sieht auf sein Schuld- und Sündenregister, und da wird ihm denn bang. Ja, wie die Kinder Gottes gerecht sind, das weiß Gott; aber das ist gewiss: Er hat sie bekehrt, wiedergeboren und zu sich gezogen aus lauter Güte, und hat den Samen seines Wortes in sie gelegt. Es ist wahr, mit den Lippen scheinen sie die ungerechtesten Leute zu sein, und sie bekennen: Wir sind die Vornehmsten der Sünder, und dennoch ist es eingegraben in ihr Herz, und sie sind dessen gut versichert durch das Zeugnis des Heiligen Geistes: Also bin ich gerecht vor Gott lediglich durch einen wahrhaftigen Glauben in Jesum Christum, meinen Herrn; in ihm habe ich Gerechtigkeit und Stärke.
In diesen Hütten, da singt man mit Freuden vom Sieg. Ach, meine Geliebten, das geht anders her, wie dies beim Singen so gewöhnlich verstanden wird. Wenn ein Geist der Schwärmerei weht, dann geht es freilich leicht; aber wenn es einem Menschen zu tun ist um Gottes Wahrheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit, um Erfüllung seines heiligen Wortes und seiner Verheißung, und nun Fleisch und Blut im Menschen aufkommt und mächtig wird, wenn auf den Menschen die ganze Macht der Hölle anstürmt, wenn er heilig werden will, und er sinkt nur immer tiefer und tiefer in die Sünde hinein, wenn er gemeint hat, eine Sünde überwunden zu haben, und sie tritt nur um so mächtiger auf; er hat von Gott bekommen diese und jene Verheißungen, und das Widerspiel davon bricht hinein in die Hütten, - was dann? Da kann das Kind Gottes niedersitzen im Staub und ist unglücklicher in seinem Innern als die Teufel in der Hölle, ist der unglücklichste Mensch auf Gottes ganzem Erdboden; er hat Gottes Wort und hat es doch nicht; er hat Glauben und hat doch nichts; er hat Gewissheit von Gottes Gnade und Hilfe und hat nichts! - Das ist ein heißer Kampf, ein harter Streit; das Widerspiel wird gesehen, und der Not ist kein Ende; vielmehr kommt von neuem Stoß auf Stoß, Stich auf Stich, Schlag auf Schlag; es ruft Teufel und Welt: Nun haben wir dich! ha, ha! so hätten wir's gerne! Es kommt Simei heraus und Flucht David; es kommen die Freunde, die nicht mit auf dem Aschenhaufen gesessen, und trösten Hiob; der eine weiß dieses, der andere jenes; und Hiob, der doch die Sprache Kanaans zu sprechen gelernt hat, fängt an ganz barbarisch zu reden, so dass ihn kein Mensch versteht. Ein niedergeschmettertes und zerschlagenes Gemüt wird durch Menschen nicht aufgerichtet; wer in Wahrheit in den Staub gebeugt, und wes Seele betrübt ist in seinem Innern, der wird von Menschen nicht getröstet, ihm wird von Menschen nicht geholfen; Gott selbst muss kommen, der Allmächtige, der Erbarmer, und sein Kind, wie eine Mutter tut, bei der Hand greifen und leiten; er muss kommen und von neuem in die Seele hinein sprechen: Ich bin dein Heil!
Unser teurer Herr und Heiland hat auf seinem Weg über den Bach Kidron gelächelt, da er an die Seinen dachte -: Das werde ich meinem lieben Volk schaffen, dass, wo es in Finsternis ist, dennoch in ihren Wohnungen Licht sei.
Gnade ist bei dem Herrn Gnade, und die rechte Hand des Herrn trägt alles in wunderbarer Weise, all die Sterne und Kometen und noch weit mehr; Tod, Sünd, Teufel und Hölle hat er in seiner Rechten; er greift hoch zum höchsten und tief zum tiefsten, und indem die Armen und Elenden Christum erblicken zur Rechten Gottes, so ist der Herr da, - und die Sünde ist weg, die Not ist weg, die Traurigkeit ist weg; der Himmel steht offen!
Amen.
Schlussgesang.
Psalm 118, Vers 7.
Der Herr ist meine Hilf und Stärke,
Mein Psalm singt seine Treu und Macht,
Mein Heiland hat durch große Werke
Sieg und Erlösung uns gebracht.
Nun jauchzen meines Gottes Knechte,
Dass ihre Hütt' davon ertönt:
Gelobt sei unsers Gottes Rechte,
Die uns mit Sieg und Frieden krönt.