Text: Röm. 12, 6-16.
Wir haben mancherlei Gaben, nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat Jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich. Hat Jemand ein Amt, so warte er des Amts. Lehret Jemand, so warte er der Lehre. Ermahnet Jemand, so warte er des Ermahnens. Gibt Jemand, so gebe er einfältig. Regieret Jemand, so sei er sorgfältig. Übt Jemand Barmherzigkeit, so tue er es mit Lust. Die Liebe sei nicht falsch. Hasset das Arge, hanget dem Guten an. Die brüderliche Liebe unter einander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge, was ihr tun sollt. Seid brünstig im Geist. Schicket euch in die Zeit. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet. Nehmet euch der Heiligen Nothdurft an. Herberget gerne. Segnet, die euch verfolgen; segnet und fluchet nicht. Freuet euch mit den Fröhlichen, und weinet mit den Weinenden. Habt einerlei Sinn unter einander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Niedrigen.
In unserem heutigen Texte hören wir 27 Lebensregeln des Apostels. Über jede derselben könnte eine besondere Predigt gehalten werden. Aber was helfen hundert Predigten über hundert Regeln, wenn nicht der Geist GOttes innerlich predigt, innerlich die Gebote und Regeln des Wortes GOttes lebendig in uns macht. Daher kann Eine Predigt über die 27 Regeln genug sein, wenn wir dadurch angeregt werden, diese Befehle im Herzen zu bewegen, unser Leben prüfend darin zu beschauen, wie in einem Spiegel, und darnach einzurichten als nach einer göttlichen Richtschnur.
Vor acht Tagen haben wir gehört, der rechte Gottesdienst sei der, dass wir um der Liebe GOttes willen Ihm unsere Leiber und Seelen zum Opfer heiligen und in seinem Willen leben. Wie das im Einzelnen geschehen solle, davon handelt nun unsere heutige Epistel. Sie zeigt, wie die Heiligung oder das Leben nach dem Willen GOttes sich in den einzelnen Verhältnissen unseres Lebens offenbaren müsse. Das Christentum ist nicht bloß Glaubenssache, nicht bloß Gegenstand der Erkenntnis und des Nachdenkens, noch weniger besteht es in schönen Gefühlen und Rührungen, oder auch bloß im Beten und Bibellesen, sondern es muss Tat und Leben sein, muss dem ganzen Leben eine andere Gestalt geben und unsern täglichen und stündlichen Wandel mit seinem Licht und seiner Kraft durchdringen. In allen Lagen und Umständen unseres Lebens, in den verschiedensten Berührungen, in die wir mit Menschen aller Art kommen, in unserem Berufsleben mit seinen Geschäften und Sorgen, in dem Allem soll man es uns ansehen, dass das Gesetz des Geistes in Christo JEsu uns regiert, dass der Wille GOttes unsere Richtschnur und göttliche Liebe unser Trieb ist. Nach dem Evangelium hat JEsus auf einer Hochzeit seine Herrlichkeit geoffenbart. So können auch wir in den gemeinsten Dingen GOtt verherrlichen und unser Leben zu einem vernünftigen Gottesdienst machen, wie ihn Paulus in unserer letzten Epistel verlangt. Darüber wollen wir weiter nachdenken, indem wir die Regeln unserer Epistel zusammenfassen in der Hauptregel:
Unser täglicher Wandel sei ein Gottesdienst,
Liebe, die mich hat gebunden
An ihr Joch mit Leib und Sinn;
Liebe, die mich überwunden
Und mein Herz hat ganz dahin,
Liebe, dir ergeb' ich mich
Dein zu bleiben ewiglich.
Amen.
Der erste Theil unseres Textes handelt von den verschiedenen Berufs arten und verlangt, dass wir sie alle zur Ehre GOttes, also als einen Gottesdienst üben sollen. Man dient GOtt nicht bloß mit Beten, mit öffentlicher oder häuslicher Andacht und Betrachtung seines Wortes, sondern der ganze Wandel im täglichen Berufsleben soll ein Gottesdienst sein. Nach der letzten Epistel sind wahre Christen lebendige Opfer GOttes, und als solche sind sie geistliche Priester. Wie nun die Priester des Alten Bundes allerlei, auch niedere Geschäfte hatten, z. B. Schlachten, Ausweiden, Zerhauen des Viehes, Holzanzünden, Räuchern, Lampenzurichten u. dergl. und wie das Alles bei ihnen ein schöner Gottesdienst war, so sollen auch die täglichen Geschäfte der geistlichen Priester, die Arbeiten des irdischen Berufes selbst, das Handwerk und die Haushaltung ein Gottesdienst sein. Nur dann ist unser Leben gesund, und unser Wandel GOtt gefällig. Wo der Gottesdienst bloß in geistliche Übungen gesetzt und die Berufsarbeit vernachlässigt wird, da ist gewiss das geistliche Leben nicht gesund, und der Wandel nicht im Licht.
Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brod essen. Das hat der HErr nach dem Sündenfall zwar als Fluch, aber zur Heilung der üblen Folgen des Sündenfalles als Segen uns gegeben, und nur wo tüchtige Arbeit ist, nur da ist tüchtiges Christentum. Paulus sagt: „wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.“ Wie der Faule des Essens nicht wert ist, so ist er auch unwert und unfähig des geistlichen Essens, der Segnungen des Wortes und des Umgangs mit GOtt. Deswegen ermahnt uns unser Text: „seid nicht träge, was ihr tun sollet, seid brünstig im Geist.“ Die Kräfte, die der HErr unserem Geist und unserem Leib gegeben hat, sollen nicht schlummern, sondern in frischer Tätigkeit zu GOttes Ehre wirken. Das Was bei der Arbeit, ob äußerliche, irdische Geschäfte oder mehr geistige Dinge, das ist zunächst nicht so wichtig, wenn nur das Wie seine Richtigkeit hat, d. h. wenn wir nur in dem, was wir tun, gewissenhaft, treu und eifrig sind oder wie Paulus sagt: „brünstig im Geist, „ wörtlich: siedend oder brennend. Alles also in unserem Geiste soll durch den heiligen Geist in lebendiger Regsamkeit und Beweglichkeit sein, damit so die edle, kostbare Zeit wohl ausgekauft werde. Arbeiten wir so im Gehorsam gegen den göttlichen Befehl, so ist das ein Gottesdienst, und wenn es die geringste Verrichtung ist. Weinberge besorgen, Felder pflügen und düngen, Holz spalten und anzünden, Kochen und Nähen, Kinder Pflegen und waschen, Vieh füttern und reinigen - das Alles sind geringe Dinge: aber wenn sie im Gehorsam gegen GOtt geschehen, so sind sie ein Gottesdienst. Der äußere Beruf richtet sich nach der Art, wie GOtt durch unsere Lebensschicksale uns berufen und mit Gaben ausgerüstet hat. Über diese Gaben, wie über die äußeren Mittel sind wir Haushalter, und an den Haushaltern sucht man nichts mehr, als dass sie treu erfunden werden.
Dazu ermahnt unser Text, indem er einzelne Berufsarten betrachtet und zeigt, wie GOttes Gaben von uns treu angewendet werden sollen. Hat Jemand Weissagung, griechisch: Prophetie, d. h. nicht bloß Voraus-, sondern überhaupt Verkündigung des Willens GOttes, die Gabe zu lehren, und das Geheimnis der göttlichen Wahrheit zu verkündigen, so geschehe es nach der Ähnlichkeit des Glaubens, d. h. nach dem Maaß seines Glaubens und des allgemeinen Schriftglaubens. Ein Lehrer in Kirche, Schule, Familie oder im Privatumgange spreche aus, was er im Glauben erkannt und in der Erfahrung erlebt hat und was der ganzen Schriftlehre gemäß ist. Manches hat einen Schein von Wahrheit, aber es hängt mit den Hauptlehren der Schrift nicht zusammen oder widerstreitet denselben gar; auf solche Nebenlehren falle man nicht als auf Hauptsachen hinein, und was bloße Menschenfündlein sind, lasse man liegen, und bleibe bei dem, was zum allgemeinen Besten, zur Begründung in der seligmachenden Wahrheit dient.
Hat Jemand ein Amt, so warte er des Amts, und erfülle gewissenhaft auch die kleinen Pflichten, die das Amt mit sich führt. Was da in die Augen fallt, was Ehre bei der Welt bringt, oder worin sonst unser Ich sich zeigen kann, das tut man gerne: aber die unscheinbaren Pflichten und Geschäfte, das Kleine und im Verborgenen Bleibende, das nimmt man oft nicht so genau. Und doch legt der Heiland gerade auf die Treue im Geringsten so großes Gewicht, und Jakobus sagt: „Witwen und Waisen in ihrer Trübsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt erhalten, das sei ein reiner Gottesdienst vor GOtt, dem Vater.“ Das Lehren ist nicht so schwer, als das Ermahnen, von dem unser Text spricht, d. h. die Seelsorge und priesterliche Teilnahme, die wir Andern widmen sollen. Kranke besuchen, Fehlende zurechtweisen mit sanftmütigem Geist, Zweifelnde, Angefochtene und Irrende in Geduld und Liebe unterweisen - das erfordert ein Brechen des eigenen Willens, und ein Eingehen in Andere, das vor GOtt mehr wert hat, als das Lehren und Predigen, in dem oft die Natur sich gefällt. Doch ist Beides nötig, und der lehrt, sowie der ermahnt, soll als treuer Diener GOttes seines Amtes fleißig warten. Ebenso auch der, der zu regieren hat, soll sorgfältig sein, mit Umsicht und Einsicht, mit der rechten Mischung von Strenge und Milde die Anordnungen treffen, die für die Ordnung des Ganzen und für die Erziehung der Einzelnen nötig sind. Wie Vieles können die Regenten tun? Zuerst die der, Familie, Hausväter, Hausmütter, dann die der Schule, der Gemeinde, des Staates und des ganzen Volkes. Auch die kleinen Besorgungen, die zu ihrem Geschäft gehören , sollen sie als einen Gottesdienst im Gehorsam und zum Besten des Ganzen versehen. GOtt ist ein GOtt der Ordnung, und wie Er im Gottesdienst, des Alten Bundes selbst in den geringsten Kleinigkeiten die größte Pünktlichkeit verlangte, so müssen wir in allen unsern Besorgungen und Verwaltungen als in der Gegenwart GOttes handeln.
Dies gilt auch für die allgemeinen Berufsgeschäfte, die Paulus noch in unserem Texte nennt. Gibt Jemand, so gebe er einmütiglich, d. h. in reiner Absicht und wie ihn die Liebe treibt. Übt Jemand Barmherzigkeit, so tue er es mit Lust. Diese Geschäfte sind der Beruf aller Christen. Nicht alle haben zu lehren und zu ermahnen und zu regieren, aber Alle zu geben, und mit Trost, Rath und Tat Andern zu helfen, besonders der Armen und Verwahrlosten, Kranken und Leidenden sich anzunehmen. Besonders die, welche keinen äußerlichen Beruf haben, sollen den allgemeinen Christenberuf um so treuer erfüllen, und die äußerlichen Gaben, Geld, Vermögen, Haushaltungs-, Wirtschaftsgabe u. dergl. für das Beste der Gemeinde und ihrer Glieder anwenden. Wie viel kann da eine Seele tun, die, von der Liebe JEsu getrieben, GOtt gerne dient in ihrem Wandel! Die Liebe schafft sich selbst ihren Beruf, sie sieht Alles, was GOtt zur Ehre und dem Nächsten zum Nutzen dient, als ihren Beruf an. Deswegen verlangt Paulus in unserem Texte als weitere Eigenschaften, durch die sich der tägliche Wandel als Gottesdienst zeigen soll,
redliche und tätige Liebe in der Demuth. Die Liebe ist das, was unserem ganzen Leben erst seinen Werth gibt, auch unserer Berufstreue und Arbeit. Was ist es, wenn bei unserer Arbeit bloß unser Nutzen oder unsere Ehre der Trieb ist! Auch die Heiden arbeiten so. Und was hilft alles Lehren und Ermahnen und Regieren, wenn es nicht beseelt ist durch Liebe? Selbst das Geben und Barmherzigkeit-üben hat vor GOtt keinen Werth, wenn nicht Liebe dazu treibt. Daher ist unser ganzer Wandel nur dann ein rechter Gottesdienst, wenn die unreine Quelle, Eigennutz, Hochmut!), mit einem .Wort: Selbstsucht bei uns zugestopft ist, und dagegen Liebe in Demuth und Demuth in Liebe uns erfüllt. Diese zwei Eigenschaften sahen wir in unserer letzten Epistel als die ersten Erfordernisse eines gottesdienstlichen Lebens in der Heiligung, und was darauf folgt von den mancherlei Gaben und Berufsgeschäften, das soll nur eine Offenbarung der Liebe und Demuth sein. Diese beiden Eigenschaften sind so unzertrennlich, dass wo die eine fehlt, auch die andere nicht ist. Ohne Demuth gibt es keine Liebe, wie auch keinen Glauben und nichts Göttliches in uns. Unser Ich muss abnehmen, damit GOtt in uns wachse. Nur wenn wir für uns selbst Nichts mehr sein wollen, kann GOtt in uns Alles sein. Nur wenn wir in tiefer Erkenntnis unseres natürlichen Sündenelends alle Einbildung von eigenen Vorzügen und alles Vertrauen auf uns selbst aufgegeben haben, nur dann können wir Andere höher achten, weil wir an uns mehr Fehler, als an Andern, und an Andern mehr Vorzüge, als an uns selbst sehen, nur so können wir statt der Selbstsucht, die unser ganzes Wesen durchdringt, der Liebe uns hingeben.
Deswegen gebietet unser Text: „Trachtet nicht nach hohen Dingen, „ sondern haltet euch herunter zu den Niedrigen; verachtet auch die Niedrigsten nicht und gehet mit Geringen, vor der Welt wenig Geltenden gerne um, wie JEsus zu Zöllnern und Sündern sich gesellte. Und in allem eurem Umgang komme Eines dem Andern mit Ehrerbietung zuvor, Eines achte das Andere höher, als sich selbst, und bezeuge solche Achtung auch mit äußerlicher Ehrerbietung in Freundlichkeit, Höflichkeit, Dienstfertigkeit und williger Unterordnung unter den Willen Anderer, so weit das dem Willen GOttes gemäß ist. Solche Demuth verlangt das Wort des HErrn von uns. Ach, wie weit ist unsere Natur davon entfernt mit ihren tausendfachen Ansprüchen, mit ihrem Richten über die Fehler Anderer, als ob wir keine hätten, und mit so viel Eitelkeit, Ehrbegierde, Eigenliebe, Empfindlichkeit und Rechthaberei! O Geliebte, wenn wir nicht das in den Tod geben, so ist unser Gottesdienst eitel, und unser Christentum stets in Gefahr, Heuchelei zu werden.
Deswegen ermahnt Paulus so ernstlich: „die Liebe sei nicht falsch. Hasset das arge, unlautere, ungöttliche Wesen, hanget dem Guten an, Christo als dem höchsten Guten, seinem Willen und Vorbild als dem reinsten Gesetz. Ihm nach sei eure brüderliche Liebe unter einander herzlich, aufrichtig, redlich, nicht falsch, nicht eigennützig berechnend, nicht schmeichlerisch gewinnend, sondern wahr, rein und klar.“ Solche Redlichkeit der Liebe und des ganzen Wesens ist ein Haupterfordernis für einen christlichen Wandel. Und weil das - so selten ist, daher sieht man so wenige Beispiele ächten christlichen Wandels. Auch Gläubige haben oft noch so viel Unredlichkeit an sich, nicht gerade Lügen oder Heuchelei, aber doch Unlauterkeiten, krumme Wege, ungerades Verbergen und Zurückhalten der Wahrheit, berechnende Klugheit, die nicht offen und redlich mit dem Bruder umgeht, sondern anders spricht, als das Herz denkt. Diese Unredlichkeit kann im Handel und Wandel sogar zur Betrügerei werden, und wo die Welt so etwas bemerkt, da ist es mit dem Zutrauen zum Christentum aus, da lästert sie über heuchlerische Pietisten, und dann weiter über alle ernstlichen Christen und am Ende über das Christentum selbst. Solche Ärgernisse sind für Viele ein Vorwand, sich nicht zu bekehren; denn die wirksamste Predigt ist immer der Wandel, und eine große, ja ungeheure Schuld laden die auf sich, die nicht so wandeln , dass Andere dadurch gewonnen werden für die Wahrheit. Deswegen muss besonders dieses Gebot unseres Textes, dass wir redlich und ohne Falsch sein sollen, uns zu ernstlicher Selbstprüfung und gründlicher Besserung antreiben.
Dass aber die Liebe ohne Falsch und herzlich sei, das muss sich erproben durch die Tat. „Nicht mit Worten, noch mit der Zunge, „ sagt Johannes, „sondern mit der Tat und mit der Wahrheit sollen wir lieben, „ Deswegen sagt unser Text: „Nehmet euch der Heiligen Nothdurft an, herberget gerne, segnet, die euch verfolgen, segnet und fluchet nicht. Freuet euch mit den Fröhlichen und weinet mit den Weinenden. Habt einerlei Sinn untereinander.“ Das Alles sind tätige Erweisungen der Liebe, in denen der Hauptcharakter der Liebe, das Brechen des eigenen Willens und das sich selbst vergessende Hingeben an Andere sich zeigen muss. Für die Bedürfnisse der Heiligen, d. h. der im Einen Glauben mit uns verbundenen Kinder GOttes zu sorgen und in ihren Nöthen mit Rath und Tat uns ihrer anzunehmen, das ist nicht so schwer, obwohl es manche Opfer von Geld und Zeit kostet. Schwerer ist oft das Herbergen, das der Bequemlichkeit als unnötige Störung, dem Fleiß als Zeitverlust und den haushaltenden Personen als lästige Vermehrung ihres Dienstes erscheint. Daher setzt der Apostel über unsere Stuben und Küchen und über unsere Gastbetten die Inschrift: „Seid gastfrei ohne Murmeln.“ Wo Gastfreundschaft fehlt, da fehlt es gewiss noch am rechten Christentum.
Noch schwerer aber ist, was Paulus weiter verlangt: „Sich freuen mit den Fröhlichen und weinen mit den Weinenden.“ Das Weinen ist uns noch leichter, Mitleid ist etwas Natürliches und oft unwillkürlich nimmt das Unglück Anderer unsere Teilnahme in Anspruch. „Aber“ - sagt der Philosoph Kant - „im Unglück unserer besten Freunde ist Etwas, das uns nicht ganz missfällt.“ Solche Schadenfreude rührt von der Selbstsucht her, die unser ganzes Wesen durchdringt. Und um dieser Schadenfreude willen ist es uns schwer, uns ohne Neid zu freuen mit den Fröhlichen; nur dann gönnen wir Andern ihr Glück, wenn auch wir dasselbe genießen, und selbst dann soll unser Glück doch noch höher und besser sein, als das der Andern. Solche unlautere Gesinnungen werden durch unsern Text gestraft; er verlangt eine herzliche Liebe ohne Falsch, die an fremdem Wehe und an fremdem Glück, sich selbst vergessend, innigen Antheil nimmt.
Als etwas noch Schwereres verlangt er, „dass wir einerlei Sinn unter einander haben, „ dass also verschiedene Ansichten und Meinungen über einzelne Lehrpunkte uns nicht zur Trennung und Parteisucht verleiten, sondern dass wir auch die Ansichten Anderer ehren, Glaubensverschiedenheit in Liebeseinheit ausgleichen, und im Festhalten an den wesentlichen Grundwahrheiten einerlei Sinn haben in Einem Glauben, Giner Liebe und Hoffnung. Da gilt es wiederum, das Ich nichts gelten zu lassen. Parteiungen haben ihren Grund in der Ichheit. Streit und Trennung rührt meist daher, dass Jeder seine Ansicht für die beste hält, also sich für weiser und besser, als Andere.
Demütiger Sinn macht Einerlei Sinn. Und demütiger Sinn lehrt auch das Schwerste, was unser Text als Beweis redlicher und tätiger, sich selbst vergessender Liebe verlangt, nämlich Feindesliebe. Nicht fluchen, nicht Böses mit Bösem, Scheltwort mit Scheltwort vergelten, sondern selbst Verfolger segnen - das kann die Natur nicht, vielleicht wohl äußerlich aus Berechnung, innerlich aber kann sie es nicht. Das kann nur ein Herz, in dem die Liebe JEsu so regiert, dass die Selbstliebe dadurch zum Schweigen gebracht wird. Aber so soll es bei uns sein. . Feinde lieben, Beleidigungen verzeihen, Böses mit Gutem vergelten - das ist die Probe der wahren Liebe. Bestehst du in dieser Probe? Hast du überhaupt die tätige und redliche Liebe in wahrer Demuth, wie sie unser Text verlangt? Prüft dich ernstlich, und wenn der HErr hierin Vieles wider dich hat, so bitte in gründlicher Buße um Vergebung und bitte um ein neues Herz. Aber trachte auch selbst aus aller Macht, deinen Wandel durch solche Liebe zu einem Gottesdienst und so dein Christentum zu einer Wahrheit zu machen. Hierzu gehört
Geduld, Hoffnung und Anhalten am Gebet. Dazu ermahnt unser Text mit den Worten: „Schicket euch in die Zeit, seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet.“ Schicket euch in die Zeit, wörtlich: dienet der Zeit wie Knechte, kaufet die Zeit aus und nehmet willenlos Alles an, was die Zeit bringt, Böses wie Gutes, Mühevolles und Beschwerliches, wie Angenehmes und Heiteres, unter allen Umständen beweiset euch als Knechte GOttes, und erfüllet, wie es vor GOtt und Menschen recht ist, die Aufgaben, die jeder Tag und jede Stunde mit sich bringt. Wer so der Zeit dient, der herrscht über die Zeit mit allen ihren Widrigkeiten und zieht aus allen Umständen Nutzen. Den bösen Tag nimmt er auch für gut und das Bittere wird ihm süß. Auch in der Trübsal kann er geduldig sein und selbst die schwersten Leiden als eine weise und sogar gnädige Schickung GOttes annehmen. Dadurch erst wird unser Wandel zu einem Gottesdienst verklärt. Nur in der Trübsal wird die Naturkraft geläutert, der Eigenwille gebrochen, der Hochmuth zerschlagen, die Lust des Fleisches gedämpft, - und alle die Stimmen, die aus unserem alten Menschen kommen und unsern Wandel verderben, im Kreuze werden sie zum Schweigen gebracht. Daher findet man auch die rechte Liebe und Demuth fast nur bei solchen Seelen, die durch die Kreuzesschule gegangen sind, während die Leute, die immer gute Tage hatten oder sie sich machten, noch viel in der Ichheit und Fleischlichkeit gefangen sind.
Deswegen sagt Paulus: „Wen der HErr lieb hat den züchtiget Er, Er stäupet aber einen jeglichen Sohn, den Er aufnimmt.“ Eine so heilsame Schule durchzulaufen, ist zwar der Natur schwer, aber die soll ja sterben, wenn unser Wandel ein Gottesdienst werden soll.
Und das Alles macht der Apostel uns leicht, indem er in unserem Texte sagt: „Seid fröhlich in Hoffnung.“ Wäre freilich unser Blick nur auf diese Welt eingeschränkt, so könnten wir alle Aufgaben unseres Textes nicht erfüllen; denn für das irdische Leben würde durch das, was unser Ich begehrt und treibt, am besten gesorgt sein, während der Wandel, den unser Text verlangt, Verleugnung des Irdischen und Aufgeben unserer Selbstsucht gebietet. Aber wer in der Hoffnung steht, die unser allerheiligster Glaube eröffnet, dem ist das nicht schwer. Unter aller Trübsal und unter aller Schwierigkeit der Selbst- und Weltverleugnung kann eine vom Sonnenlicht der Hoffnung bestrahlte Seele fröhlich sein. Diese Hoffnung zeigt uns einen ganzen Himmel voll Seligkeit und Herrlichkeit, und macht, dass wir die Leiden, so wie die Freuden dieser unteren Welt als gering ansehen gegen das, was an uns soll geoffenbart werden. Da können wir die gegenwärtige Last und Lust durch die zukünftige Herrlichkeit der himmlischen Dinge überwinden, und das stärkt zum Aushalten in jeder Arbeit, Entbehrung, Verleugnung und Kampfesmühe. Darum:
Was sorgest du, dass dir's an Kraft gebricht?
Bedenke, wie viel Kraft uns GOtt verheißen!
Wie gut wird sich's doch nach der Arbeit ruh'n!
Wie wohl wird's tun'.
Zur Belebung solcher Hoffnung, wie zur Stärkung für alle Aufgaben unseres Textes dient die letzte Regel desselben, die uns noch übrig ist: „Haltet an am Gebet.“ In diesen Worten schließt das Ende sich zusammen mit dem Anfang. Beten heißt leben in GOtt, und das ist das A und das O unseres ganzen geistlichen Lebens. Alle die vielen Gebote unseres Textes sind unmöglich zu erfüllen ohne Gebet, leicht aber für einen betenden Geist, dessen Element GOtt ist, der fortwährend die Luft eines höheren Lebens einatmet durch den Umgang mit dem ewigen Gut, mit der unversieglichen Quelle aller Kraft, alles Lichtes, aller Heiligkeit, alles Lebens. Dieses Atmen ist das Gebet, nicht bloß das Förmliche, sondern das Anhalten am Gebet, das Beten ohne Unterlass, der stete Umgang unserer Gedanken und innersten Wünsche mit GOtt und JEsu. Bei solchem Gebetsleben wird immer mehr unser Geist in das Bild JEsu hineingebildet und so unser Wandel verklärt zu einem heiligen Gottesdienst. Denn wo so die Richtung auf GOtt und Ewigkeit Grundbestimmung des Gemütes ist, da wird alles Einzelne, auch das Kleinste und Gemeinste, worauf unsere Tätigkeit sich richtet, in der Furcht und Liebe GOttes, weil in seiner Gegenwart geschehen, und so wird der Wandel zu einem heiligen Gottesdienst. Da verklärt sich das ganze Leben zu einem herrlichen Weg zur Heimat und der Friede GOttes erfüllt das Herz mit unaussprechlicher Wonne.
Ist das Alles nicht zu viel verlangt? JEsus hat es geleistet, und wie Er war, so sollen auch wir sein in dieser Welt, und wir können es, denn Er selbst will mächtig sein in unserer Schwachheit. Er will durch seinen Geist sich in uns verklären von einer Klarheit in die andere, und wer Ihn recht kennt, dem ist es gar nicht mehr wohl, wenn er nicht alle die Gebote unseres Textes zu befolgen trachtet. Einem Geistesmenschen wird ein solcher Gottesdienst zur anderen Natur, und im Umgang mit JEsu vermag er, was keine menschliche Kraft vermag. Und:
Was wird man an dem Ziel
Herrliches erfahren
Bei dem süßen Saitenspiel
Der bewährten Schaaren,
Da wird nicht mehr Glaube sein,
Noch die Feuerproben:
Liebe währet da allein
Und ein ewig Loben.
Amen.