Inhaltsverzeichnis

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Neunte Predigt.

Ach Herr, gewähr' uns Einigkeit
Als deines Leibes Gliedern.
Entferne Alles, was entzweit
Die Brüder mit den Brüdern.
Wie einst im Himmel, so auch hier
Sei Eintracht deiner Kinder Zier!

Siehe, wie fein und lieblich ist's, daß Brüder einträchtig bei einander wohnen (Psalm 133,1)! Uebel stehts um ein Haus, wo die Eintracht fehlt zwischen Mann und Weib, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Herrschaften und Dienstboten, denn es wohnt keine Liebe dort und keine Freude, und auf dem Werk der Hausgenossen ruhet nicht der Segen Gottes. - Uebel steht's um eine Stadt, um einen Staat, wo innere Zwietracht herrscht. Wodurch sind die blühendsten Staaten anders zu Grunde gegangen, als durch Streit und Parteisucht ihrer Bürger, die sich einander haßten, einander bekämpften, und durch Kampf und Fehde den Wohlstand des Vaterlandes zerrütteten, bis ein Mächtiger über sie kam und sie alle unterjochte. Uebel vollends steht's um die christliche Gemeinde, die christliche Kirche, wenn Zwietracht ihre Glieder unter einander entzweit. Wo sollte mehr die Eintracht wohnen, als unter den Bürgern des Reiches, wo der Friedefürst Christus thront und wo das Friedensevangelium das Grundgesetz ist! Wenn es heißt: Wandelt würdig des Evangelii von Christo (Eph. 1,27): liegt darin nicht auch die Aufforderung für uns, daß wir als Brüder in Christo einträchtig bei einander wohnen sollen? Heißt Christus nicht „unser Friede“, und ist das nicht eben sein Werk, dazu er in die Welt gekommen ist, daß er uns, wie mit Gott, so unter einander versöhnen wollte? Ist daher nicht auch sein Evangelium, das er ausgehen ließ in alle Welt und auf allen Kanzeln predigen läßt, ein Friedenswort, das Liebe und Eintracht in die Herzen, in die Häuser, in die Dörfer und Städte, in die Länder und Reiche bringen will? Nennt euch also nicht Jünger Christi, wenn ihr nicht demüthig, sanftmüthig, friedfertig, versöhnlich seid wie euer göttlicher Meister es war; nennt euch nicht Bekenner des Evangeliums, wenn ihr durch Zwietracht, Zank, Streit, Feindschaft wider das Evangelium sündigen wollt. Wie ein treuer, standhafter Kampf für den Glauben an das Evangelium zu dem würdigen Wandel der Bürger des Himmelreichs gehört, so ebenfalls die Eintracht dieser Bürger unter sich, und das ist es, wozu uns der Apostel Paulus heute kräftig ermahnt. Er spricht

Phil. 2, V. 1-4:
Ist nun bei euch Ermahnung in Christo, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so erfüllet meine Freude, daß ihr Eines Sinnes seid, gleiche Liebe habet, einmüthig und einhellig seid. Nichts thut durch Zank oder eitle Ehre, sondern durch Demuth achtet euch unter einander Einer den andern höher denn sich selbst, und ein jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, das des Andern ist.

Unmittelbar vorher hat uns der Apostel gesagt, wie wir als Bürger des Himmelreichs uns gegen die Widersacher verhalten sollen. „In Einem Geiste und einmüthig kämpfet für den Glauben an das Evangelium.“ Aber eben an dieser Einmüthigkeit fehlte es noch bei den Philippern. Einige unter ihnen vergaßen der Demuth und suchten in verkehrtem Wettstreit und eitler Ehrsucht sich über die Andern zu erheben, wobei denn auch die Schranken der Liebe übertreten wurden. Daher wendet sich der Apostel jetzt zu dem Verhalten, das sie in diesem Betrachte unter sich beobachten sollen. „Seid gleich gesinnet,“ spricht er, das heißt: Seid und lebet einträchtig unter einander. Er meint nicht die Eintracht des Friedhofes, die man in manchen Gemeinden findet, wo das kirchliche Leben erstorben ist, und Feder seinen stillen Gang für sich hingeht, unbekümmert um den Andern; wo Jeder schon um der fleischlichen Ruhe willen, die er liebt, jede Berührung mit seinen Nachbarn meidet, wodurch sein Lebensgenuß und seine Gemächlichkeit gestört werden könnte. Unter den Philippern war ein reges Gemeindeleben, das Alle in den lebendigsten Verkehr mit einander setzte. Aber wie zum weltlichen Sinn, so gesellt sich der Hochmuth leicht auch zu dem geistlichen Sinn, und wird dann ein verderblicher Baum, der die Blüthen und Früchte auf dem Altar des Gemeindelebens zerstört. Daher sind auch die christlichsten Gemeinden von Zwietracht und innerer Zerrüttung bedroht, wenn sie sich nicht vor dem Hochmuth, diesem Erbfeinde der Christenheit, hüten, der sogar unter der Maske der Demuth in die Herzen zu schleichen weiß, und, hat er dort Wohnung gemacht, die Kinder Gottes unter einander entzweit. Diese Gefahr drohte den Philippern; daher Pauli Wort über

die christliche Eintracht in der Gemeinde.

Ihr Werth, ihre Gestalt, ihre Hindernisse und ihre Schutzmittel - das ist es, worauf uns das Wort des Apostels hinweist.

Lieber Heiland, laß nun dies Wort an die Philipper zu einem Wort an uns werden, was es ja heute auch in Wahrheit ist, auf daß wir es willig annehmen und zu unserm Heile dienen lassen.

1.

Paulus sagt: So erfüllt „nun“ meine Freude, daß ihr gleichgesinnet seid. Durch das Wort „Nun“ ist unser Text als durch einen Faden an die vorhergehenden Worte geknüpft. Es weist uns hin auf den Kampf, den wir in und mit der Welt haben (Cap. 1,30), welchen Kampf wir in Einem Geiste und einmüthig mit einander kämpfen sollen. Können wir das, wenn keine Eintracht in unserm eigenen Lager ist? Können wir das, wenn wir selbst mit einander im Streite sind und mit Zank und eitler Ehre wider einander gerüstet stehen? Bedenkt doch, mit welchen und mit wie vielen Feinden ihr nach außen hin zu kämpfen habt, und daß dieser Kampf, wenn er zum Siege führen soll, vor Allem Eintracht und Einmüthigkeit in eurer eigenen Mitte fordert. Schon an sich ist die Eintracht der Brüder von hohem Werth, denn sie ist eine Frucht des Geistes, woran auch die Engel im Himmel ihre Freude haben; aber erwägen wir nun auch dieses noch, daß wir Streiter Christi sind, die immerdar mit der Welt in Fehde liegen, so muß vollends der Werth der Eintracht uns einleuchten, weil sie eine unentbehrliche Waffe in unserm Streite ist. Schon der einzelne Christ vermag nicht siegreich gegen die Welt zu kämpfen, wenn in ihm die Gedanken und Gefühle unter einander streiten und sich aufreiben. Fürwahr, du bist, wenn dir Feinde deines Glaubens entgegentreten, nie weniger lustig und munter zum Kampfe, als wenn Unruhe in deinem Gewissen ist und deine Gedanken wie Kläger und Angeklagte wider einander stehn. Aber ist in dir Alles einträchtig und friedlich, stehen sämtliche Gedanken deines Geistes, sämtliche Gefühle deines Herzens, sämtliche Bestrebungen deines Willens wie Brüder zusammen, deren einer nichts wider den andern hat, sondern die Alle mit einander in Freundschaft leben, siehe, dann fehlt es dir nicht an Lust, Munterkeit und Muth zum Kampfe. Ist es anders mit der Gemeinde, mit der Kirche? Sie ist ja nicht eine Sammlung von Tausenden, die der Zufall zusammengeworfen hat wie Weizenkörner, die in einem Haufen beisammenliegen; sondern Einer sind sie in Christo, Ein Mann, und gilt also von ihnen dasselbe, was von dem Einzelnen gilt. Eintracht ist das gute, Zwietracht das böse Gewissen der Gemeinde. Sind da Etliche oder gar Viele, die sich hervor: drängen, die Andern übersehen, verachten, und aus ihren irdischen oder geistlichen Vorzügen einen Spiegel machen, in den sie wohlgefällig blicken, und einen Wagen, worein sie sich setzen, um die Andern zu überholen und stolz an ihnen vorüber zu fahren, so leidet wahrlich die innere Verfassung der Gemeinde an einem großen Uebel, und an Tüchtigkeit zum Kampfe mit der Welt ist nicht zu denken.

Daher ermuntert uns der Apostel so kräftig zur Eintracht, was er gewiß nicht thäte, wenn nicht diese Eintracht einen so hohen Werth für uns hätte. Er ermahnt uns bei dem Namen Christi und fügt zu der ernsten Ermahnung die freundliche Zusprache der Liebe; er beschwört uns bei der Gemeinschaft des Geistes, die ja doch ein Ohr für Ermahnungen und Bitten habe, und bei der erbarmungsvollen Liebe, die Niemanden gern betrübt, daß wir doch mögen gleichgesinnet oder einträchtig sein. Gibt es, spricht er, irgend eine Ermahnung in Christo - und wer bezweifelt, daß die Gemeinschaft mit Ihm reich an Stoff und Worten der Ermahnung ist! - nun, so laß ich Christum, der in uns ist und wir in ihm, ich lasse ihn für mich reden und euch zur Eintracht vermahnen. Er mag euch an seine Menschwerdung erinnern, die ja zu unserm Frieden geschehen ist, mag euch an sein Kreuz erinnern, woran er, um uns zu versöhnen, gehangen hat; mag euch auf das Vorbild seiner Demuth, Sanftmuth, Friedfertigkeit hinweisen, und auf sein Evangelium, welches rufet: Friede auf Erden! mag euch seinen Geist vorhalten und fragen: Wisset ihr, welches Geistes Kinder ihr seid? mag euch die Verfassung seines Reiches zeigen und die Zukunft auf: schließen mit ihrem Gericht über Alle, die nicht den Weg des Friedens und der Eintracht gehen. - Gibt es ein Zureden der Liebe - und wer kennt sie nicht, die Liebe, die ja auch euch und mich verknüpft! - nun, ich lasse auch sie ihren holdseligen Mund aufthun und ihre freundliche Bitte an euch richten, der ihr nicht werdet widerstehen können; denn auch die Bäume möchten weinen und die Felsen weich werden, wenn die Liebe ihren Mund aufthut. - O, hört doch, Christen, wie der Apostel uns kräftig zur Eintracht ermahnt. Er tritt nicht vor uns hin mit Rad und Schwert, er droht uns nicht mit einer eisernen Bibel, sondern auf den Namen Christi und auf die Macht der Liebe baut er seine Vermahnung zur Eintracht. Werden wir denn seiner Bitte Gehör geben und Alles, was uns bisher entzweiet hat, fahren lassen? Er hält uns die Beweggründe zum Gehorsam gegen seine Ermahnung und Ansprache vor. Gibt es eine Gemeinschaft des Geistes - und gibt es nicht eine solche auch unter uns? Wir sind ja nicht von einander innerlich geschieden, wie Heide und Jude, Jude und Christ, so daß, wenn ich eine Bitte an euch richtete, ihr als Fremde mich damit zurückwieset; sondern es besteht zwischen uns ein von dem Herrn geknüpftes Band so inniger Herzensgemeinschaft, daß meine Bitte Anklang bei euch finden muß. Noch mehr: gibt es herzliche Liebe und Erbarmen, wie bei den Christen überhaupt, so bei euch, so muß auch sie die Erhörung meiner Bitte zu Wege bringen. Denn ihr würdet mich tief betrüben, und nicht nur mich, sondern auch den heiligen Geist, wenn ihr das unruhige Uebel der Zwietracht nicht aus eurer Mitte verbannen wolltet. Könnt ihr das? mich betrüben und elend machen? mich, euren Freund, euren Bruder, euren Vater? Nun, so wisset, meine Freude an euch ist groß, wie ich schon zuvor gesagt1); aber Eins fehlet noch, daß das Maß voll werde. Ich höre, daß Zwietracht in eurer Mitte ist, die der Teufel durch den Hochmuth gesäet bat: dies böse Unkraut reißet samt der Wurzel aus. O, erfüllet meine Freude an euch, macht voll ihr Maß, dadurch, daß ihr gleichgesinnet seid.

2.

In der That, Christen, es muß etwas Großes um die Eintracht der Gemeinde sein, da der Apostel uns so kräftig zu ihr ermahnt. Auch sonst ermahnt er kräftig, z. B. durch die Barmherzigkeit Gottes (Röm. 12,1), oder, wie auch in unserm Texte, durch den Herrn Jesum Christum und durch die Liebe des Geistes (Röm. 15,30); aber eine so herzliche Ermahnung finde ich nirgends wie hier. - Wie sollen wir denn nun die Eintracht unter uns zu Wege bringen? Der Apostel zeigt uns ihre Gestalt. Die Eintracht ist nichts anders als die gleiche Liebe, die Alle durchdringt, und das einmüthige Streben nach Einem Ziel. Seid gleichgesinnet, indem ihr die gleiche Liebe habt. Dies ist das Erste, das Wichtigste. Woraus geht alle Zwietracht hervor? Aus der Verschiedenheit der Menschen, daß sie so ungleich sind nach Herkunft, Stand, Vermögen, Gaben, Werk und Wandel. Mischt sich darein die Sünde, nämlich des Menschen natürlicher Hochmuth, so entsteht Verachtung des Nächsten, Zank, Streit, Feindschaft und dergleichen. Der Vornehme übersieht den Geringen, der Reiche den Armen, der Starke den Schwachen, und macht aus dem, was er ist, hat, kann, einen Götzen, vor dem er seine Kniee beugt. Wie ist nun zu helfen, daß die Menschen um solcher Ungleichheit willen nicht in Zwietracht gerathen, sondern sich einander vertragen und brüderlich mit einander leben? Habt die gleiche Liebe! spricht der Apostel. Denn der Liebe ist es eigen, daß sie alle solche Unterschiede ausgleicht, daß sie den, der hoch steht, hinunter stellt zu dem, der niedrig steht, und den Niedrigstehenden hinaufhebt zu dem Hochstehenden. Sie trägt die Höhen ab und füllt die Tiefen aus, macht aus dem Großen ein Kleines und aus dem Kleinen ein Großes. Hast du Liebe, so verachtest du darum deinen Nächsten nicht, daß er dir nachsteht an Rang, Geld, Einsicht, Verstand und andern Dingen, sondern siehest Alles, was du voraus hast, an als ein Capital oder Pfund, dir von Gott gegeben, daß du damit wucherst zum Besten deines Nächsten. Mit deinen Gütern thust du wohl, mit deiner Macht stehst du den Verlassenen bei, mit deinem Licht leuchtest du, und siehest dich als einen Knecht deiner Brüder an. Hast du Liebe, so bildest du dir nicht etwas ein auf das, was du von Gott empfangen hast, schätzest nicht deinen Nächsten gering, kränkst, reizest, beleidigest ihn nicht, sondern bist freundlich gegen ihn, urtheilest milde über ihn und achtest ihn dir gleich nach dem Stand, den ihr vor Gott und dem Erlöser habt. Hast du Liebe, so ist es dir mit dir und dem Deinigen nicht um dich zu thun, sondern um den Nächsten und um seinen Nutzen; so vereinigest du in dir Alles, was Paulus von der Liebe rühmt (1 Cor. 13): Du bist langmüthig und freundlich, eiferst nicht, treibest nicht Muthwillen, blähest dich nicht, stellest dich nicht ungeberdig, suchest nicht das Deine, lässest dich nicht erbittern, trachtest nicht nach Schaden, freuest dich nicht der Ungerechtigkeit, freuest dich aber der Wahrheit, verträgst Alles, glaubest Alles, hoffest Alles, duldest Alles. Wo nun solche Liebe ist, da hört aller Streit auf, da ist unter den Vielen dieselbe Eintracht, wie bei den Gliedern Eines Leibes, die still und friedlich mit einander wirken, eines zu des Andern Nutz.

Es fehlt dann auch das Andere nicht, was Paulus zur Eintracht rechnet. Seid gleichgesinnet, spricht er, indem ihr einmüthig nach dem Einen trachtet. Wie ganz anders ist es da, wo Zwietracht herrscht! Da wird nicht des eines Christen würdige Ziel verfolgt, sondern der Eine hat dies, der Andere das im Auge, wonach er läuft. Gottes Ehre und der Seelen Seligkeit wird aus den Augen gelassen; die Menschen machen sich selbst zu ihrem Ziel, nämlich eigene Ehre, Macht, Ansehen, Reichthum, Freude, Genuß. Du möchtest gern in Allem der erste sein, und bist nimmer froh, wenn du siehst, daß ein Anderer dir vorausgeeilet ist; sondern da bist du neidisch und erbittert auf, ihn und trachtest, daß du der Krösus und Cäsar werdest; dein Name soll glänzen, dein Wort gelten, dein Wohlstand blühen, dein Einfluß entscheiden, deine Ansicht wahr sein, deine Tugend die Krone tragen. Welch ein buntes Gemisch von Zielen, wonach die Menschen trachten, und welch ein unruhiges Durcheinanderwogen, wobei sie nimmer einig sind und sich vertragen! Wenn's so am Himmel wäre, wo die Sterne gehn, so wären sie längst auf einander geplatzt und der ganze Himmel wäre zu Grunde gegangen. Nun aber, wie verschieden sie auch sind nach Größe, Stand, Lauf und Bahn, wandeln sie doch alle in großer Eintracht nach dem Einen Ziel, das Gott ihnen zeigt: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Veste verkündiget seiner Hände Werk. Wie vielmehr sollte es so mit dir sein, liebe christliche Gemeinde, die du den Namen Gottes kennst und nennst, was nicht bei den Sternen ist; die du den Glauben hast, den man bei der Creatur nicht findet; die du ein viel schöneres Ziel hast, als die Vögel in der Luft und die Sterne am Himmel, und auch den Weg genau kennest, der zu diesem Ziele führt! Ist es nun euch Allen bloß darum zu thun, daß ihr in all eurem Sinnen, Streben, Reden, Thun Gottes Ehre fördert, Gottes Namen verherrlichet, eure und eures Nächsten Seligkeit schafft: wie sollte dann noch Streit und Zwietracht unter euch herrschen können? Wie verschieden ihr auch seid, so verfolget ihr dennoch ein Ziel und ist Eintracht unter euch und groß Fried' ohn' Unterlaß, all' Fehd hat dann ein Ende.

3.

Aber was stehet mir denn im Wege? Paulus verweiset uns, zum Dritten, auf die Hindernisse dieser Eintracht. Er nennt zwei Stücke: Parteisucht und Verlangen nach eitler Ehre, welches böse Ausschüsse sind aus dem Stamm der Selbstsucht, die im Menschen ist. Thut Nichts aus Parteisucht oder verkehrtem Wettstreit, Nebenbuhlerei. Was wird damit gemeint? Man weiß nicht genau, wie es bei den Philippern stand; doch muß man annehmen, daß Etliche unter ihnen waren, die sich vorzudrängen suchten und für mehr gelten wollten als die Andern. Die Christen zu Philippi waren zu sehr verschieden nach ihrer Herkunft, einige aus den Juden, die Mehrsten aus den Heiden. Jene brachten als ein Erbe von ihren Vätern manche Sitten und Gebräuche und Ansichten mit, die erst nach und nach im Feuer des christlichen Glaubens geläutert werden konnten. Drangen sie auch nicht auf die äußerliche Beschneidung, so mochten sie doch noch viel von der Väter Weise im Fasten, Beobachten von bestimmten Betstunden und Feiertagen und sonstigen Gebräuchen halten. Ihnen standen diejenigen entgegen, welche keinen äußerlichen Zwang oder Joch irgend einer Art zulassen wollten, sondern es für Schwäche und Knechtschaft hielten, wenn man sich durch äußerliche Satzungen binden ließe. Darüber geriethen sie mit einander in Zank und Streit, die Freigesinnten mit den weniger frei Denkenden, die Starken mit den Schwachen. Im Glauben an den Herrn Christum waren sie Alle einig, denn der Apostel rühmt ja an ihnen (Cap. 1, V. 5), daß sie Alle am Evangelium hielten vom ersten Tage an bisher; aber nicht waren sie alle einig in ihrer Ansicht über das Maß der Freiheit in äußerlichen Sitten und Gebräuchen. In den Uebungen der Gottseligkeit mochten wohl Manche es viel strenger halten als die Uebrigen, und ein Aergerniß daran nehmen, wenn sie diese thun oder lassen sahen, was nach ihrer Ansicht mit dem Ernst des Christenlebens nicht übereinstimmte. Statt daß nun die Starken mit den Schwachen hätten Geduld haben, und, um ihnen kein Aergerniß zu geben, Einiges thun, Anderes hätten unterlassen sollen, bestanden sie vielmehr auf ihrer Ansicht, wollten in keinem Dinge nachgeben, sondern allein Recht haben. -

Ferner brachten es die Kämpfe mit den Widersachern mit sich, daß die Einen mehr thaten oder litten als die Andern, und nun ein Streit entstand, wer am mehrsten gethan und am besten gestritten hätte. Sie hätten wohl mit einander wetteifern mögen in allem Guten, aber daß sie aus ihrem Werk, aus ihrer Tugend sich ein Verdienst und eine Ehrenleiter machten, daran sie emporsteigen wollten Einer über den Andern, das war verkehrter Wettstreit, und mußte zu manchen Lieblosigkeiten im Urtheilen und Richten über Andere und in ihrem sonstigen Verhalten führen.

Wo nun solcher Zank und Wettstreit ist, indem der Eine sich mit seiner Einsicht über den Andern stellt, der Eine für besser und tugendhafter gelten will als der Andere, da steht immer die eitle Ehre im Hintergrunde, daher Paulus sagt: Thut nichts aus eitler Ehrsucht. Wie ist denn das Licht der Erkenntniß, ist die Tugend, sind die guten Werke dazu vorhanden, daß wir damit unsern Namen vor der Welt schmücken sollen? Ist nicht die Demuth die Krone aller Einsicht und Tugend, der Stolz dagegen ein Gift, welches auch die hellste Erkenntniß und die herrlichsten Thaten verdirbt? Aber man sieht, wie leicht der Christ auch mit seinem Glauben auf die Klippe des Hochmuths geräth. Gewiß war unter den Philippern kein Wettstreit in weltlichen Dingen, daß es Einer dem Andern in Reichthum, Kleiderpracht, Macht und Ansehen hätte zuvorthun und damit hätte Gepränge machen wollen; sondern Meinungen und Ansichten, die das Leben betrafen, Werke und Tugenden waren es, worin Etliche sich spiegelten und wohlgefielen. Wie oft geschieht es auch noch in unsern Tagen, daß Jemand mit Stolz auf den Schatz seiner Einsicht blickt, und mit Geringschätzung den ansieht, der diesen Schatz nicht aufzuweisen hat, und gegen die erbittert wird, die seine Ansichten und Meinungen nicht gelten lassen wollen! Wie oft geschieht es, daß Jemand seine guten Werke zählt und sich etwas darauf zu Gute thut, daß er der Tugenden mehr bei sich als bei Andern zu finden meint? Siehe, das ist der Acker, worauf der Stolz den Samen der Lieblosigkeit, des Streits, der Zwietracht sät; das ist das Messer, womit er in der Gemeinde das Band der Eintracht zerschneidet. Da blickt der Eine mit vornehmer Miene oder finster auf den Andern hin, und das Blut kocht ihm, wenn er mit ihm in Streit geräth, und sie sagen sich Bitterkeiten, scheiden im Unfrieden von einander und grüßen sich vielleicht nicht wieder, wenn sie sich begegnen. Kein Stolz hat mehr Gift und Galle in sich, als der Stolz in geistlichen Dingen.

4.

Mit welchen Mitteln soll man die Eintracht in der Gemeinde gegen solche Feinde schützen? Es werden uns zwei Schutzmittel in unserm Texte genannt: die Demuth und die Selbstverläugnung. Wie lauten die Worte des Apostels? Achtet in der Demuth Einer den Andern höher denn sich selbst. - Aber wie? wenn ich nun dem Nächsten an Einsicht und Tugend wirklich überlegen bin: soll ich gleichwohl denken und sagen, daß ich geringer sei? soll ich gegen meine Ueberzeugung ihn hoch und mich niedrig stellen? soll ich ihm Gutes zuschreiben, das er nicht hat, und mir Böses andichten, das sich nicht an mir findet? Es hat wirklich Christen gegeben, welche gemeint, daß man seine eigenen Mängel und Sünden, die man habe, mit 10 multiplicieren, die fremden Gebrechen dagegen mit 10 dividieren, und dort das Produkt als das richtige, hier den Quotienten als den wahren annehmen solle. Aber das liefe ja auf eine Heuchelei hinaus, die uns Paulus nicht lehren will. Damit kommen wir auch nicht aus dem Hochmuth heraus, denn es gibt eben so sehr einen Stolz, wonach der Mensch sich in seinem Nichts, als es einen Stolz gibt, wonach er sich in seiner Größe spiegelt. Zunächst ist in unserm Texte nicht von dem die Rede, was wir sind in Vergleich mit den Kindern der Welt. Wer im Glauben steht und in wessen Herz die Liebe Christi ausgegossen ist, sollte der seinen innern Stand nicht für einen bessern halten als den Stand derer, die noch in der Finsterniß des Unglaubens und der Sünde leben? Aber da lehrt ihn die Demuth, daß er Gott preisen, den Sünder aber nicht verachten, sondern herzliches Erbarmen mit ihm haben und ihn in's Himmelreich zu ziehen suchen solle. Paulus redet aber von dem gläubigen Christen, wie er dem gläubigen Christen gegenübersteht. Er hat es mit seinen Philippern zu thun, die alle treu am Evangelium hielten; da spricht er: Achte in Demuth Einer den Andern höher als sich selbst. Die Demuth nämlich lehret uns, daß wir, was uns selbst betrifft, mehr auf unsere Mängel als auf unsere Vorzüge, was aber den Nächsten betrifft, mehr auf seine Vorzüge als auf seine Mängel sehen sollen. Thue das, mein Christ: nimm dein Herz und Leben vor dich und beschaue es von allen Seiten und genau. Ein Sternkundiger sagt von dem Monde: je genauer man eine und dieselbe Stelle auf ihm betrachtet, desto mehr entdecket man. Ein Herzenskundiger wird sagen: je genauer ein Mensch sein Herz, sein Leben, ja selbst seine Tugend betrachtet, desto mehr Mängel entdeckt er. Dagegen dein Mitchrist hat vielleicht mehr Gutes an sich, als du auf den ersten Blick meinst. Es ist verkehrt, daß du ein schärferes Auge für sein Böses, als für sein Gutes hast. Sieh doch einmal von seinen Mängeln ab und suche mit Fleiß die Vorzüge an ihm auf. Und nun, wenn Böses an dir ist, was du doch nicht läugnen wirst, aber freilich Böses auch an deinem Mitchristen: wie sollst du verfahren in deinem Urtheil und Gericht? Die Demuth spricht: sei strenge gegen dich und milde gegen ihn. Dich selber sollst du nicht entschuldigen, sondern es möglichst genau mit deinen Sünden nehmen. Auch die kleinste ziehe vor deinen Richterstuhl und sprich nicht, wie viele sprechen: Das ist Nichts! Hat dich Gott gelehrt, irgend einer deiner Sünden den Namen Nichts zu geben? O nein, und wenn es nur ein verkehrtes Wort wäre, das einmal über deine Lippen ginge, so laß es dir nicht ungestraft hingehen. Dagegen deinen Nächsten entschuldige, selbst bei großen Irrthümern und Uebertretungen, wenn er nur überhaupt ein Mann ist, der Christo angehört. Weißt du doch auch nicht, welche Versuchungen und Kämpfe er hat, und was nach einer solchen Uebertretung in seinem Herzen und in seiner Kammer vorgeht. Es mag in seiner Sünde wohl mehr Demuth sein als in deiner Tugend. - Thust du nun so, dann wirst du vermöge der schuldigen Demuth den Andern höher achten als dich selbst.

Zum Andern hält uns der Apostel die Selbstverläugnung vor. Die Demuth stellt er dem Hochmuth entgegen, die Selbstverläugnung aber der Lieblosigkeit, die mit dem Hochmuth verbunden ist. Fasset nicht Jeglicher das Seine, sondern auch jeglicher das des Andern in's Auge. Hörst du? Nicht bloß auf deinen Gewinn sollst du ausgehen, sondern auch deines Nächsten Wohl zu fördern suchen. Die Sorge für dich selbst und dein Bestes ist dir nicht verboten, darum heißt es: „sondern auch.“ Anderswo finden wir nicht dies auch, z. B. 1 Cor. 10,24: Niemand suche, was sein ist, sondern ein Jeglicher, was des Andern ist. Es ist auch wirklich der rechten Liebe Art, daß sie nur für Andere wirken und sorgen will, gleich dem Lichte, das sich selbst verzehrt, indem es Andern leuchtet. Niemand sorgt mehr für sein eigenes Wohl, als wenn er Sorge trägt für Anderer Wohl. Aber bei den Philippern betraf der Wettstreit die Einsicht, die Tugend, das christliche Leben. Diesen Wettstreit tadelt Paulus nicht. Suche immerhin Einer dem Andern es zuvor zu thun und bleibe nicht zurück in der Sorge für das Eine, was noth thut; aber Hochmuth und Selbstsucht soll nicht in diesem Streben sein. Fördere Jeder das Heil seiner eigenen Seele, aber nicht so, daß er dem Seelenheile seines Nächsten schadet, noch so, daß er weniger auf des Nächsten Heil bedacht ist als auf sein eigenes. Vielleicht könntest du besser für dich sorgen, wenn du mehr ein zurückgezogenes, stilles, einsames Leben führtest; aber dennoch tritt hervor aus deinem Winkel, wenn du durch ein öffentliches Wirken Anderer Seelen retten kannst, gleich wie Paulus frei war vor Jedermann, und doch sich selbst Jedermann zum Knechte machte, auf daß er ihrer Viele gewänne (1 Cor. 9). Manche sorgen für ihre eigene Seligkeit, als gäbe es sonst keine Seelen, die selig werden sollen. Sie richten sich ganz so ein, als wären nur sie alleine in der Welt. O lernet doch von Paulus, daß die Liebe ihren schönsten Schmuck in der Selbstverläugnung hat.

Legt diesen Schmuck der Selbstverläugnung an, thut es Alle. Paulus legt einen besondern Nachdruck darauf, daß nicht bloß die Mehrzahl in der Gemeinde es thun soll, sondern Jeglicher. Denn ob es auch nur Wenige wären, die sich aus Ehrsucht geltend machen wollen, so können sie Verwirrung und Zwietracht unter Hunderte bringen. Die christliche Eintracht kann nur da gedeihen, wo die Milde der Demuth, wo die Selbstverläugnung der Liebe waltet.

Erhab'ner Gott, ich klag' es dir,
Gebeugt, mit Reu' und Wehmuth :
Mein Herz ist stolz; gewähre mir
Des Christen Schmuck, die Demuth!
Laß mich von allem Stolze rein,
Nicht eitler Ehre geizig sein;
Dich nur, nicht mich erheben.

1)
Cap. 1,4 rc.