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Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Epheser in 34 Predigten - Achte Predigt.

Die ganze Kirche rufe laut:

Wer ist, wie Gott, so gut?
Heil jedem, welcher Gott vertraut,
Der solche Wunder tut!

Es ist ein schöner Anblick, wenn man von einer Höhe herabsieht auf fruchtbare Felder, auf prangende Wiesen, auf grüne Wälder. Gott will die ganze Erde in einen Lustgarten verwandeln durch Menschenhand, und wäre ihre Oberfläche überall anzusehen wie bei uns, so wäre die Erde schon ein Luftgarten. Ich denke mir, dass in der ganzen Welt, wo nur eine Sonne glänzt oder ein Planet, auch Wesen von Gott geschaffen sind, welche die Sterne in himmlische Luftgärten verwandeln sollen. Aber das Vaterhaus mit den vielen Wohnungen soll zugleich und vor allen Dingen ein Himmelreich sein. Wie steht's nun um die geistlichen Äcker dieses Himmelreichs? Auch Brügge ist ein Acker in diesem Reich, und jede Gemeinde ist es, heiße sie so oder so. Sind denn alle diese Äcker gesegnet mit der Frucht des Geistes, welche ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit? Ach, es sind noch viele öde Strecken zu finden; manche Gegenden liegen noch in der alten Wildnis, andere, die einst mit dem Segen an himmlischen Gütern prangten, sind wieder verödet. So auch Kleinasien und die Gemeinden in Kleinasien, an die Paulus den Epheserbrief geschrieben hat. Wie stand es dort ehemals so schön! Hört nur, wie die Worte in unserem heutigen Texte lauten:

Ephes. 1, V. 15-19:
Darum auch ich, nachdem ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesum, und von eurer Liebe zu allen Heiligen, höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet, dass der Gott unsers Herrn Jesu Christi, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und der Offenbarung, zu seiner selbst Erkenntnis, und erleuchtete Augen eures Verständnisses, dass ihr erkennen mögt, welches da sei die Hoffnung eures Berufs, und welcher da sei der Reichtum seines herrlichen Erbes an seinen Heiligen, und welche da sei die überschwängliche Größe seiner Kraft an uns, die wir glauben, nach der Wirkung seiner mächtigen Stärke.

Eben hat der Apostel hergezählt die Großtaten Gottes zu unserer Erlösung, und zuletzt insonderheit unsere Berufung zum Erbe und die Versiegelung dieser Berufung durch den heiligen Geist, welcher ist das Angeld unseres Erbes auf die dereinstige völlige Erlösung des Volkes Gottes, zum Lobe seiner Herrlichkeit. Dieser Gedanke an das Lob der Seligen zieht auch ihn, beim Hinblick auf den blühenden Zustand der kleinasiatischen Gemeinde, in den Kreis der Lebenden hinein. Denn auch dort blühte der Segen Gottes. Auch dort hatte man das Wort der Wahrheit gehört, und hatte geglaubt, und hatte das innere Pfand der Hoffnung empfangen. „Darum auch ich“ spricht der Apostel „höre nicht auf für euch zu danken.“ Aber weil die Gemeinden, für die er dankt, noch nicht im Himmel verklärte, sondern noch unvollendete, auf Erden kämpfende Gemeinden sind, so fügt er allezeit in seinem Gebet zu dem Dank die Bitte, dass Gott ihren Schatz mehren und sie immer tiefer in die Erkenntnis führen möge. Hört denn nun das Nähere über das Gebet für die Gemeinde, welches ist 1. ein Dank für das, was sie hat, und 2. eine Bitte um das, was ihr noch fehlt.

O du Glanz der Herrlichkeit,
Licht vom Licht, aus Gott geboren,
Mach uns allesamt bereit;
Öffne Herzen, Mund und Ohren!

1.

Dem Apostel, der zwar in Ephesus gewesen war, aber die übrigen Gemeinden, an die er zugleich schreibt, nicht gesehen hatte, war eine erfreuliche Kunde zugegangen über den dortigen Gemeinde-Zustand. „Ich habe gehört von dem Glauben bei euch und von eurer Liebe.“ Wie? sind denn Glaube und Liebe etwas, das man hören oder sehen kann? Zunächst zwar sind sie wie Wurzeln verborgen im Herzensgrund, dahin kein sterblich Auge dringt; aber von da dringen sie hervor, so dass man sie sehen und von ihnen hören kann; wie Luther vom Glauben sagt: „Ist er rechtschaffen, so bricht er heraus und bringt Frucht. Ist der Baum grün und gut, so ist kein Aufhören, er schlägt aus und bringt Früchte und Blätter; die Natur gibt es, ich darf's ihm nicht gebieten und sagen: Hörst du Baum, trage Äpfel. Denn, wenn der Baum da ist und gut ist, so folgt die Frucht ungeheißen. Ist der Glaube da, so müssen die Werke folgen.“ So auch die Liebe sie an sich eine inwendige Bewegung des Herzens gegen Gott und gegen den Nächsten, bleibt doch nicht drinnen, sondern geht wie eine lebendige Wasserquelle reichlich heraus, und ist jedermann offen, dass er aus ihr schöpfen kann. Solch ein Fruchtbaum nun, solch eine hervorbrechende Wasserquelle waren der Glaube und die Liebe der kleinasiatischen Gemeinden. Und dann lassen sie sich sehen und lassen von sich hören. O, wollte Gott, man hätte solche Kunde von allen Gemeinden! Von vielen hört man Derartiges nichts, sie sind wie die nordischen Felsen, woran nichts wächst als verkrüppeltes Gestrüpp, daher auch keine Rede weiter von ihnen ist; andere lassen zwar von sich hören, aber was man hört - Irrlehre, Unglauben, Verfolgung, Aufstand ist von der Art, dass man sagen möchte, wie jener Mann zu seinem Haushalter (Luk. 2): Wie höre ich das von dir? Je mehr Glaube und Liebe in einer Gemeinde, desto weiter dringt ihr Ruf.

Es mögen immerhin auch in guten Gemeinden Ungläubige, Lieblose sein wo hätte der Teufel nicht neben der Kirche Gottes seine Kapelle; aber von dem Glauben der Einzelnen ist auch nicht die Rede in unserem Texte, sondern von dem Glauben gleichsam als einem Gemeinde Acker, woran Jeder seinen Anteil hat; etliche aber lassen ihr Teil unangebaut und in Unkraut liegen, während der Acker im Ganzen mit herrlichen Saaten prangt. Daher heißt's: ich habe gehört von dem Glauben bei euch oder unter euch. Wie aber wird nun dieser Glaube näher bezeichnet? Als ein Glaube an oder vielmehr in dem Herrn Jesus. An Jesum glauben ist noch etwas anderes als in Jesu glauben. Wie die Magnetnadel immer ihre Richtung nach dem Nordpol hat und, wie man sie auch drehe und stelle, doch allezeit wieder durch eine unsichtbare Kraft nach Norden geht: also hat unser Glaube beständig seine Richtung auf den Heiland, und verlöre er diese Richtung, so wäre er kein Glaube mehr. Rede nicht von deinem Glauben und Christentum, wenn nicht der Gekreuzigte und Auferstandene und in die Herrlichkeit Aufgenommene gleichsam der Pol ist, der deinen Glauben beherrscht. Aber an ihn glauben kannst du nicht, wenn du nicht zugleich in ihm glaubst. Es sagen zwar Viele, wie im Katechismus steht: „Ich glaube an Jesum Christum“; aber dies An ist eine Lüge ohne das In. Da werden wir wieder erinnert an das schöne Wort: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben; wer in mir bleibt und ich in ihm (Joh. 15). Ja, wie die Rebe im Weinstock, oder der Baum im Garten, also haben wir durch den Glauben unsere Wurzel in dem Herrn und nehmen von ihm all unser Leben und Kraft. Willst du nun erforschen, ob dein Glaube wahrhaftig ein Glaube in Jesu ist, so frage dich, ob er mittel dieses In dein Herr ist, der dich, wie innerlich, so äußerlich regiert in alle deinem Tun. Ist noch ein Anderer, der Macht über dich hat - du kennst die drei Gewaltigen: Fleisch, Teufel, Welt, so sage nicht: ich glaube in Christo. Denn ob er freilich dann immer noch dein Herr ist, als dem gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden, so stehst du doch nicht unter ihm als ein Schäflein, das des lieben Hirten Stimme hört und ihr folgt. Ach, dass Christus, wie zu Ephesus, so in allen Gemeinden Herr wäre, ihr himmlischer Bischof, der sie alle regierte, Lehrer und Hörer, Reiche und Arme, vom Palaste bis in die Hütte hinab! Dann wären nicht Saufen und Fressen, Huren und Buben und andere große Schande und Laster in ihr, sondern sie alle wären wie Eine treue Herde unter Einem treuen Hirten.

Und ich will euch noch ein anderes Kennzeichen des rechtschaffenen Glaubens nennen. Das ist die Liebe, die immer bei dem rechten Glauben ist, wie die Schrift sagt: In Christo Jesu gilt der Glaube, der durch die Liebe tätig ist (Gal. 5, 6). Auch in unserem Texte stehen sie nebeneinander wie Morgenstern und Sonne. „Ich habe gehört von eurer Liebe“. Kennt ihr die? Wir haben ein schönes Kapitel von ihr in der Heiligen Schrift, 1 Kor. 13, lest das. Aber verwechselt diese Liebe nicht mit der sogenannten Liebe, deren auch die Kinder der Welt sich rühmen. Der Hauptunterschied ist der, dass die eine vermählt ist mit dem Glauben, die andere aber sich vom Glauben geschieden hat und nichts mehr von diesem Manne wissen will. Weil sie denn nicht mehr mit dem Glauben zusammen ist, so hat sie auch ihre Wurzel nicht in Christo, sondern, wie die Liebe des Vogels, in der Natur. Sie ist Christo, dem Gekreuzigten, feind, und weil sie Ihn hasst, so hasst sie auch seine Freunde. Sie Gebärdet sich, als wäre sie eine Sonne, die die ganze Welt bestrahlt, oder ein Baum, der die ganze Erde beschattet; aber in Wahrheit schließt sie Alles aus, was nicht zu ihrer Familie gehört. Sie zeigt Werke, die sie tut, große gewaltige Werke, welche schimmern und flimmern, aber die Werke sind wie die Sternschnuppen, wo nichts dahinter ist, und wie die Irrlichter, die über Sümpfen gaukeln. Die echte Christenliebe ist unzertrennlich vom Glauben, und wie sie gewurzelt ist in Christo, so hat sie auch das Siegel seines Geistes, nämlich die Kindschaft Gottes und den Frieden und die Freude im heiligen Geiste. Glauben ohne Liebe ist tot, aber Liebe ohne Glauben ist zweimal tot. Paulus bezeichnet die Liebe näher in unserem Texte als eine Liebe zu allen Heiligen. Wie? umfasst sie denn nicht alle Menschen? Sondert sie sich mit denen, die Christo angehören, ab und hasst die Welt? Nein, wenn das wäre, liebe Christen, wie wäre dann die Liebe mit dem Evangelium ausgegangen in die Welt und hätte Blut und Leben gelassen, um sie zu retten, wie doch die gewöhnliche Liebe nimmer tut? Wie könnte sie dann ein so herzliches Erbarmen haben mit denen, die noch ferne stehen vom Himmelreich, und selbst die lieben, von denen sie gehasst wird? Sie stellt sich zwar nicht der Welt gleich und tut nicht, wie die Liebe der Weltkinder, schwesterlich mit Jedermann, sondern kämpfet wider den Unglauben, straft die frechen Sünder, und macht den Weg, der zum Leben führt, nicht breiter als er ist. Dabei aber sinnet sie, wie sie möge Gutes tun an Jedermann, sonderlich wie sie möge die Verlorenen zurückführen von dem Irrtum ihres Weges. Meint ihr denn nun, man könne die Welt wahrhaftig und von Herzen lieben, wenn man sie nicht in Christo liebt? So aber ist sie zunächst eine Liebe zu den Heiligen oder, wie Petrus sie nennt, eine brüderliche Liebe. Wie die rechte Vaterlandsliebe ihre Wurzel hat in der Familie - ist doch auch das Vaterland nichts anders als eine erweiterte Familie: so hat die weltumfassende Liebe eines Christen ihre Wurzel in der göttlichen, himmlischen Familie, die Christus gestiftet hat. Erst muss diese Familie da sein, die ihr Haupt in Christo hat, der sie sich erworben hat durch sein Blut; erst müssen in ihr die Brüder sich zusammengefunden haben, die Ein Herz und Eine Seele sind in dem Herrn, und miteinander verbunden wie die Trauben in den Reben des Weinstocks, sonst wird's nimmer eine rechte allgemeine Liebe. Wie aber die Liebe Gottes Alle erwählt hat in Christo und daher auch Alle beruft: so geht diese Liebe Gottes auch auf die Christen über, dergestalt, dass sie von Christo aus, ihrem Haupt und Herrn, ihre guten Werke an allen Menschen tut. Könnte deine Hand dem Nächsten wohltun, wenn sie nicht zunächst mit allen übrigen Gliedern deines Leibes zu der innigsten Gemeinschaft verbunden, wäre unter deinem Haupt? Siehe, so sind wir Christen, oder wie Paulus uns nennt, wir Heiligen, zunächst unter uns Einer in Christo und diese Liebe der zu Einem Leibe verbundenen Glieder ist die brüderliche Liebe, die so wenig die Andern von sich abweist wie deine Hand dem Armen, der dir naht, die Tür verschließt.

So stand's in den Gemeinden zu Kleinasien. Sie waren Christen - Familien, mit ihrem Herrn verbunden durch den Glauben und unter sich durch die Liebe, die Gutes tut an Jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen (Gal. 6, 10), Waren doch diese Christen selbst früher Heiden gewesen und nur gerettet worden durch die Liebe, welche von Ephesus oder anderswoher kam und sie zu Christo führte. Weil nun aber Glaube und Liebe gewissermaßen die Türangeln waren, worin ihr geistliches Leben sich bewegte, so strömte das Herz des Apostels über von Dank gegen Gott. Ich höre nicht auf zu danken, spricht er. Wie fleißig er im Danken war, das lehren auch seine Briefe an andere Gemeinden, wie er sagt (Röm. 1, 8): Aufs erste danke ich meinem Gott euer aller halben, und (Phil. 1, 3): Ich danke meinem Gott, so oft ich euer gedenke. Damit gibt er alle Ehre Gott, von dem jegliche gute Gabe kommt, und der in uns schafft beide, den Glauben und die Liebe, beide, das Wollen und das Vollbringen. Sollte der geistliche Vater nicht danken für seine Kinder, die Gott gesegnet hat? Ja, der Dank ist die Krone des göttlichen Segens, wie er auch wiederum die Wurzel desselben ist. Denn in dem Danke tut sich das Herz auf, so dass Gott neue Bäche des Wohltuns in dasselbe strömen lässt.

2.

Der Dank öffnet der Bitte die Tür. Weil der Apostel es mit einer irdischen Gemeinde zu tun hat, so kann er nicht danken, ohne zugleich zu bitten. Denn wie reichlich sie auch gesegnet sei, so ist sie doch noch nicht vollendet, und bedarf zu ihrem Wachstum der Hilfe Gottes. Welche Gemeinde wollte sagen: Ich bin reich, und habe gar satt und bedarf nichts? Lieben, lasst euch durch das, was ihr habt, erinnern an das, was euch noch fehlt. Wer Nichts hat, dünkt sich reich zu sein, wenn er einen Gulden in seiner Tasche hat, aber wer Tausend Taler besitzt, der erkennt, wie wenig er hat. So fügt denn nun Paulus zum Dank die Bitte. „Ich gedenke euer bei meinen Gebeten“. Er hatte viel zu beten; auf seinem Herzen lagen nicht nur zahlreiche Gemeinden, auf seinem Herzen lag gewissermaßen die ganze Welt, in die er von dem Herrn hineingestellt war als Heiden- Apostel. Darin war sein Gebets-Tisch so groß, dass Alle Platz daran fanden, auch die Gemeinden, die er nie gesehen hatte, und selbst für viele einzelne Christen fielen Brocken von dem Tische ab. Lasst uns lernen von dem Apostel, wie wir beten sollen.

Er wendet sich an den Gott unsers Herrn Jesu Christi. Das ist vielen Leuten unserer Zeit nicht recht. Warum nicht lieber den Gott anrufen, der Himmel und Erde geschaffen hat, der die Lilien kleidet und die Vögel nährt? Ja, wenn's auf Essen und Trinken, Kleider und Schuhe ankäme! Aber jetzt handelt sich's um Mehrung des geistlichen Segens, um Offenbarung, Erkenntnis, Weisheit, und das kommt nicht von Gott mittelst der Natur, sondern von Gott mittelst unsers Herrn Jesu Christi, der von Gott gesandt ist in die Welt, der von Gott dahingegeben ist in den Tod und wiederum vom Tode auferweckt und aufgenommen in die Herrlichkeit. Darin hat sich Gott erwiesen als einen Gott der Herrlichkeit, das heißt, dem nicht nur Alles inwohnt, was groß und herrlich heißen mag, sondern der es auch offenbart hat an seinem Sohne, welcher ist der Glanz seiner Herrlichkeit. Ist nun das geschehen um unsertwillen, damit die Herrlichkeit auf uns käme, gleichwie durch die Sonne, die Gott aufgehen lässt, Licht und Leben auf die Erde kommt, so weiß ich, an wen ich mich mit der Bitte um geistliche Güter zu wenden habe, nämlich an den Gott unsers Herrn Jesu Christi, den Gott der Herrlichkeit, den ich ebendarum, weil er sich mir so herrlich gezeigt hat in Christo, mit dem kindlichen Namen Vater anrede - Vater, erleuchte mich und gib mir Weisheit und Verstand. Also lehrt uns Paulus, dass, wenn wir um himmlische Güter bitten wollen, wir nicht mögen blöde und schüchtern sein, sondern nur die großen Taten ansehen mögen, wodurch er sich in Christo an uns verherrlicht hat. Der das getan, wahrlich! der ist allezeit bereit, uns zu segnen aus der Fülle seiner Herrlichkeit, wenn wir ihn darum bitten.

Um was aber will er gebeten sein? Um den Geist der Weisheit und Offenbarung, in Erkenntnis seiner. Das sind die Gaben, die die Gemeinde schmücken, nicht Wiesen und Saatfelder, nicht Silber und Gold; denn ob sie auch arm wäre an diesen Gütern, so ist sie doch reich, wenn sie jene himmlischen Güter hat. Die aber gibt ihr Gott durch denselben heiligen Geist, der am ersten Pfingsttage ausgegossen ward über die Jünger und nachher über alle, die sich zu Christo bekannten. Es ist hier zu verstehen der Heilige Geist, nicht wie er in Gott ist, sondern wie er von Gott über uns kommt und so uns innerlich erleuchtet, heiligt und erhält, und unserem Geiste Zeugnis gibt, dass wir Gottes Kinder sind. Ohne diesen Geist aber ist es unmöglich, zu Christo und durch Christum zu Gott zu kommen, wie auch die Schrift sagt: Niemand kann Jesum einen Herrn heißen ohne durch den Heiligen Geist (1. Kor. 12, 3). Denn solange du alleine stehst und eine Scheidewand gezogen ist zwischen dir und Gott, magst du graben in dem Acker der Natur oder Vernunft, wie und wieviel du willst du wirst nimmer dazu kommen, von Herzen dich zu deinem Erlöser zu bekennen und mit kindlicher Zuversicht Gott deinen Vater zu nennen, wo nicht der Geist von oben kommt und dich solches lehrt. Von ihm kommt Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis Gottes. Unter diesen dreien steht die Offenbarung oben an. Sie ist das Licht, welches vom heiligen Geiste aus unmittelbar hereinleuchtet in unser Herz. Also es gibt sogenannte unmittelbare Erleuchtungen und Offenbarungen? Ja, lass dich nicht irre machen durch das Gerede der Menschen, welche sagen, solches Offenbaren sei zu Ende gegangen mit Christi und der Apostel Zeit. Damals habe Gott ohne Buchstaben geredet zu den Menschen, jetzt aber sei der Geist eingeschlossen im Buchstaben der Schrift und nur durch diese als durch eine Tür könne der Mensch den Zugang finden zum Geiste Gottes. Wir verachten nicht den Buchstaben der Schrift, sondern glauben und wissen, dass ihn Gottes Finger geschrieben hat; aber er soll uns kein Stein sein vor der Himmelstür und keine Schildwache, die uns den Eingang ins Allerheiligste Gottes wehrt. Bittet Paulus um Offenbarung für die Gemeinden in Kleinasien: wie sollten denn die Gemeinden in Holstein und wo es sei von dieser Gabe ausgeschlossen sein? Wir haben freilich die Schrift, aber die hatten jene Gemeinden auch; sie hatten Mosen und die Propheten, hatten die Evangelien und die Episteln, dazu das lebendige Wort der Apostel, welches alles für sie wie für uns die äußere Veranlassung ihres Glaubens und ihres Kommens zu Gott war. Da ist kein Unterschied zwischen ihnen und uns. Aber auch darin nicht, dass zu dem äußeren Wort der Heilige Geist von oben kommen muss, der durch sein unmittelbares Erleuchten und Überzeugen das Wort wie einen Spieß und Nagel hineintreibt ins Herz. Durchs Wert kommt der Geist ja! aber er ist nicht von dem Buchstaben des Wortes umschlossen als von einem Zauberkreise, sondern hat seine freien Wege, die er geht, und gibt und leuchtet, wie und wohin er will. Ist ein Unterschied zwischen den Gemeinden der ersten und denen der späteren Zeit, so ist's der, dass jene den Offenbarungstaten näher standen als wir und die ersten Kinder waren, denen Gott den Weihnachtstisch mit seinen himmlischen Gaben deckte. Aber doch steht derselbige Tisch noch immer gedeckt und unter den Geschenken, die ihn schmücken, finden wir auch die Offenbarung, ganz wie sie war in jener ersten Zeit.

Daher bittet nur getrost den Vater, dass er euch denselben Geist der Offenbarung wie jenen ersten Christen geben möge. Aber damit nun nicht die Schwarmgeister euch betrügen, welche schreien: Geist! Geist! und die Träume ihrer zerrütteten Einbildungskraft für göttliche Erleuchtung ausgeben, so wisst, dass der Geist der Offenbarung zugleich der Geist der Weisheit ist, und dass er mit seiner Weisheit und Offenbarung in den Schranken der Erkenntnis Gottes geht. Ja, das ist sein Feld, wo er pflügt und sät, das ist die heilige Stadt, wo er seine Lichter anzündet und illuminiert1). Er will dich nicht lehren, wann die Welt untergehen wird und dergleichen mehr, sondern deinen Heiland und deinen Gott will er in dir verklären, denn das ist das ewige Leben, dass wir Gott und den er gesandt hat, Jesum Christum, erkennen (Joh. 17). Je näher dein Gott dir kommt, deinem Verstande, deinem Herzen, deinem Wollen und Tun; je mehr der Zaun des Irrtums, des Zweifels, der Entfremdung von dem Leben aus Gott niedergerissen wird, desto mehr hast du dich des Lichtes der Offenbarung zu erfreuen. Denn die Tiefe und Sicherheit und Fülle der Gotteserkenntnis ist nicht etwas, das Fleisch und Blut dir offenbart, sondern da leuchtet in dir das Licht von oben, wie einst in Petrus, da er sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn (Matth. 16, 17). Die Offenbarung gibt Erkenntnis, die Erkenntnis macht weise und klug, wie der Apostel schon oben gelehrt hat (V. 8 u. 9).

Es ist ein wichtiges Ding, dass du lernst, wessen du dich zu Gott und seinem Geiste zu versehen hast. Auf Offenbarung hast du zu rechnen, und in der Offenbarung auf eine tiefe und reiche Erkenntnis, und in der Erkenntnis auf Weisheit, die den Weg Gottes dich recht lehrt und dir zugleich die Schlangenklugheit und die Taubenunschuld gibt. Und ist das noch nicht genug gesagt, so höre, wie der Apostel sein Wort von der Offenbarung durch den Heiligen Geist noch näher erklärt. Er sagt, der Geist mache erleuchtet die Augen. Welche Augen? Er schreibt der Seele Augen zu, nach ihrem Gefühl, womit sie empfinden, nach ihrem Willen, womit sie wählen, nach ihrem Verstande, womit sie erkennen kann. Aber sieht der natürliche Mensch mit diesen Augen, was er sehen, und erkennt er, was er erkennen soll? Nein, des Menschen Sinn, das ist, sein Herz, Wille und Verstand, sieht wohl die Welt und was in der Welt ist; da ist er nicht blind, sondern weiß sich klug durch die Welt zu finden, und erforscht mit seinen Augen die Tiefen der Kunst und Wissenschaft. Aber wenn's nun gilt, über die Welt hinauszukommen zu Gott, und die göttliche Wahrheit und das göttliche Leben in sich zu gründen, da ist's mit seinem Auge, wie wenn der Maulwurf hervorkommt aus seinen unterirdischen Gängen und mit seinem blöden Auge sich umblickt in der Oberwelt. Wir wissen ja, wie tot und abgestorben die Welt vor Christo war, und in welcher Finsternis des Verstandes, Herzens und Lebens sie ging. Wir wissen auch, wie noch jetzt der natürliche Mensch zum Reiche Gottes steht, wie es ihm eine Torheit ist und er es nicht erkennen kann (1 Kor. 2), wo nicht Gott, der Vater des Lichts, einen hellen Schein gibt in sein Herz (2 Kor. 4, 6) und seine Augen auftut, dass er sich bekehrt von der Finsternis zu dem Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott (Apg. 26, 18).

Nun, um diese Erleuchtung ist es dem Apostel für uns zu tun. Aber sind wir denn noch Heiden und stehen dem Offenbarungslichte fern? Das nicht, sagt Paulus; aber das Licht, welches in euch brennt, muss noch heller werden und so hell, dass ihr erkennt, nicht nur schwach und unkräftig, sondern tief und lebendig, mit dem Verstande, wie im Herzen, welches die Hoffnung seiner Berufung und welches der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes sei unter seinen Heiligen. Also darauf geht es mit der Offenbarung des Geistes und mit der Gotteserkenntnis in ihr hinaus, dass wir eine lebendige Anschauung davon bekommen, was wir als die von Gott zum Himmelreiche Berufenen zu hoffen haben, und diese Hoffnung als ein Stern der Weisen vor uns hergehe und uns den Weg nach dem gelobten Lande weise? Darauf geht's hinaus, dass wir den Wert und die Fülle der geistlichen und ewigen Güter begreifen lernen, wovon wir jetzt schon die Erstlinge besitzen, einst aber ein voll gerüttelt und geschüttelt Maß empfangen werden? Ach, Christen, wähnet nicht, dass dem Apostel die Gotteserkenntnis bloß ein Kapital sei, womit es ihm zu tun ist um den Zins der Seligkeit. Gäbe es eine Seligkeit ohne Christum, ohne Gott, fürwahr! er würde sie, wie viele kostbare Perlen auch an ihrer Krone hingen, von sich werfen wie Dreck, und lieber mit Gott in Sibirien leben als ohne Gott in einem Lande, wo Milch und Honig fleußt. Es ist ihm, für sich selbst und für uns, nicht mit Gott um die Seligkeit, sondern mit der Seligkeit um Gott zu tun. Er würde sagen mit Assaph: Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde, nach der Erde, und wenn sie ein Eden wäre, nach dem Himmel, und wenn er voll güldener Kronen hinge. Wisst, Gott und Seligkeit sind nicht zu scheiden, so wenig wie die Strahlen von dem Diamant. Wer verächtlich lächelt, wenn er die Christen von ihrer Hoffnung und von der Herrlichkeit ihres Erbes reden hört, der hat Gott nicht erkannt. Mag er als Astronom schwärmen in den Regionen der Sterne oder als Geologe wühlen in den Eingeweiden der Erde; mag er eine Logik oder Ethik oder Metaphysik produzieren oder was er will, so kann er als Verächter der christlichen Seligkeit nimmer ein Freund Gottes sein. Auch lehrt's die Erfahrung unserer Tage, dass, die unsern Himmel verachten und das selige Leben in ihm, auch Verräter Christi und des Evangeliums sind. Du musst wissen, was du zu hoffen hast, mein Christ, sonst wirst du auch nicht wissen, was du zu tun hast; du musst kennen dein Ziel, sonst wirst du nicht kennen deinen Weg und laufen auf diesem Wege, wie Paulus tat, (Phil. 3): Ich vergesse was dahinten ist, und strecke mich zu dem, das vorne ist.

Sollten wir denn dies Ziel, dies himmlische, wohl erreichen? Ach, es will uns mitunter dünken, als ständen wir noch allzu fern davon und sei der Weg des Kampfes, der nach oben führt, allzu steil. Aber siehe, eben darum bittet der Apostel für uns um erleuchtete Augen, damit wir erkennen, welches sei die überschwängliche, das heißt, die alle unsere Fassungskraft übersteigende Größe der Macht Gottes gegen uns. Da will er unsere Zuversicht und Vertrauen stärken, indem er uns die Gottesmacht als den Grund und Boden zeigt, worauf wir mit unserer Hoffnung stehen. Es ist, als sagte er zu uns, was er einst zu den Ältesten der Gemeinde zu Ephesus sagte, da er von ihnen Abschied nahm (Apg. 20, 32): Ich befehle euch Gott, der da mächtig ist, zu geben das Erbe, unter allen, die geheiligt werden. Wo aber sehen wir denn die überschwängliche Größe der Gottesmacht? O, dafür haben wir ja einen Maßstab in der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke, welche er gezeigt hat in Christo, da er ihn von den Toten auferweckt hat und gesetzt zu seiner Rechten im Himmel. Wie der Apostel reich an Worten ist, wenn er uns den Gott unsers Macht Herrn Jesu Christi malen will! Wirksamkeit Stärke wie sollen wir diese drei voneinander unterscheiden? Stärke das ist die Gott inwohnende Kraft, aber nicht eine ruhige, müßige; nein, sie ist offenbar geworden an und in der Welt und hat sich so gezeigt als Macht; und wenn wir nun sehen, wie sie da in allerlei göttlichen, herrlichen Taten uns entgegentritt, so ist das ihre Wirkung oder Wirksamkeit. Seht da, wie ein Baum steht vor unsern Augen die Allmacht Gottes, wie ein Baum, der mit seiner Stärke in Gott wurzelt, aber mit dem Stamm und Ästen der Macht sich in der Welt vor uns ausgebreitet hat, und als Früchte seiner Wirksamkeit die großen, herrlichen Taten zeigt, die Gott vollbracht hat an seinem Sohn und durch ihn an uns. Stellt euch vor diesen Baum, wenn euch euer Weg als zu steil und euer Kampf als zu heiß und euer Ziel als zu hoch erscheinen will. Der Gott, der jenen köstlichen Baum hat wachsen lassen, der wird auch an uns überschwänglich tun über alles, das wir bitten und verstehen. Nun, so offenbare denn Gott an uns allen seine Stärke durch den heiligen Geist.

Wir wissen, Herr, wir sind dir lieb,
Gib, Vater aller Güte, gib
Uns allen diese Gabe;
Dass jeder deinen guten Geist,
Bis er am Throne einst dich preis't,
Zu seinem Führer habe!

1)
erleuchtet