1. Joh. 4,1-6.
Ihr Lieben, glaubt nicht einem jeglichen Geist, sondern prüft die Geister, ob sie von Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt. Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: Ein jeglicher Geist, der da bekennt, dass Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist von Gott; und ein jeglicher Geist, der da nicht bekennt, dass Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Widerchrists, von welchem ihr gehört habt, dass er kommen werde, und ist jetzt schon in der Welt. Kindlein, ihr seid von Gott und habt jene überwunden; denn, der in euch ist, ist größer, denn der in der Welt ist. Sie sind von der Welt; darum reden sie von der Welt, und die Welt hört sie. Wir sind von Gott, und wer Gott erkennt, der hört uns; welcher nicht von Gott ist, der hört uns nicht. Daran erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Irrtums.
Es ist nur wenigen gegeben, in den Fragen, die das öffentliche Leben bewegen, mit vollkommener Selbständigkeit, ausschließlich den Ergebnissen eigener, unbefangener Untersuchung folgend, ihr Urteil abzugeben. Mehr oder weniger werden die meisten von allgemeinen Strömungen geleitet, welche die Zeit beherrschen, von Anschauungen und Überzeugungen, welche in den Kreisen, denen sie angehören, sich Geltung und Macht erworben haben. Und wer dürfte es tadeln, dass wir es nicht vermögen, auf allen Gebieten, denen sich das Interesse des menschlichen Geistes zugewandt hat, auf den Gebieten der Gemeindeverwaltung und der Staatskunst, er Kirchenleitung, den mannigfaltigen Gebieten menschlichen Könnens und Wollens, ein durch Einsicht in den inneren Zusammenhang wohlbegründetes Urteil zu gewinnen! Dazu fehlt uns sowohl die ausreichende Begabung, dazu der erforderliche Aufwand an Zeit. Es wird nur ein beschränkter Kreis des Erkennens bleiben, in dessen Grenzen wir uns mit voller Sicherheit bewegen können; sobald wir dieselben überschreiten, werden wir uns gern dem Urteil andrer anschließen, deren Persönlichkeit uns Vertrauen einflößt, oder wir werden, sei es dieser, sei es jener Richtung folgen, zu der wir uns nach der Eigenart unsers Charakters hingezogen fühlen!
Aber, meine Lieben, es gibt Fragen von so eingreifender Bedeutung für unser inneres Leben, von so schwerem Gewicht, dass wir uns bei ihrer Beantwortung nicht von fremder Meinung bestimmen lassen dürfen, dass wir hier nach voller Gewissheit streben müssen. Es sind dies die Fragen nach der Wahrheit im höchsten Sinne des Worts, die Fragen nach des Menschenlebens letztem Grunde und letztem Ziele, es sind die Fragen nach dem Wege des Heils, es sind die Fragen, von deren Entscheidung der Friede unsers Herzens, die Gestaltung unsers Wandels, die Richtung unsers Lebens, die Freudigkeit unsers Gemüts abhängt; es sind die Fragen, auf die nicht das Wissen, sondern das christliche Gewissen, nicht die natürliche Klugheit, sondern der Ernst der Selbsterkenntnis, nicht der Scharfsinn, sondern die heilige Einfalt, nicht die Erfahrung der Weltkinder, sondern die Erfahrung der Gotteskinder die Entscheidung gibt. Und doch, wie schwer ist es auch hier oft, Irrwege zu vermeiden; wie schwer oft, der lockenden Stimme der Versuchung das Ohr zu verschließen; wie schwer oft, den falschen Propheten zu erkennen, der sich in der täuschenden Maske der Wahrheit verbirgt! Schmückt er sich doch so oft mit hohen Worten, wirbt er doch so oft mit herrlichen Verheißungen um unsere Zustimmung! Wie groß die Gefahr der Verführung! So war es immer, so ist es noch heute. Hüten wir uns daher vor den falschen Propheten! Der Apostel Johannes warnt uns vor ihnen und zeigt uns den Weg, auf dem wir ihrer Versuchung entgehen. Er lenkt unseren Blick auf den Irrweg der falschen Propheten. Woran erkennen wir sie, fragen wir zuerst, mit welchen Waffen besiegen wir sie, sodann.
Die letzten Jahrzehnte des ersten Jahrhunderts, das wir nach dem Namen Christi nennen, waren von Stürmen erfüllt, welche den Bau des Reiches Gottes auf das höchste gefährdeten. Hier bedrohten ihn die Verfolgungen der heidnischen Weltmacht, dort die ersten Regungen einer Irrlehre, deren weitere Entwicklung im zweiten Jahrhundert die Christenheit auf das tiefste erschüttert hat. Auf sie bezieht sich die Mahnung des Apostels Johannes. ES waren Irrlehrer aufgetreten, welche leugneten, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen sei. Sie unterschieden einen höheren, himmlischen Geist, Christus, von dem Menschen Jesus. Jener habe sich mit diesem bei der Taufe verbunden und ihn vor dem Leiden verlassen. Hier wurde die Grundlehre des Evangeliums untergraben. Geleugnet wurde die vollkommene Vereinigung Gottes und der Menschheit in Jesu Christo, bestritten die versöhnende und erlösende Kraft seines Leidens und Sterbens. Jesus Christus blieb Prophet, aber er hatte aufgehört, unser Hohepriester zu sein. Er erschien nur als der ausgezeichnete Mensch, der einige Jahre das Werkzeug eines himmlischen Geistes gewesen war. Vor allem das Kreuz Jesu Christi war dieser Irrlehre ein Ärgernis und eine Torheit. Gegen sie erhebt nun der Apostel Johannes seinen Warnruf: „Glaubt nicht einem jeglichen Geist, sondern prüft die Geister, ob sie von Gott sind, denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt.“ Er hatte nur allzu vielen Grund zu dieser Mahnung. Die Irrlehre fasste Wurzel in den Gemeinden, breitete sich in ihrer Mitte aus. Heidnische Gedanken hier, jüdische dort, noch immer im Verborgenen wirksam, kamen der Irrlehre entgegen. Das seelsorgerliche Herz des Apostels war auf das tiefste bewegt. Er sah eine Irrlehre in die Gemeinde eindringen, die den Mittelpunkt des Evangeliums antastete, die den Glauben, auf dem die christlichen Gemeinden erbaut waren, zu zerstören suchte, eine in der Tat antichristliche Irrlehre, die um so gefährlicher war, als ihre Boten gerade in ihr das wahre Geheimnis des Christentums zu enthüllen behaupteten. Als Propheten traten sie auf. Aber der Apostel Johannes reißt ihnen den Prophetenmantel ab und ruft ihnen zu: Nicht der Geist Christi, sondern der Geist des Widerchrists leitet euch, ihr seid nicht Propheten der Wahrheit, sondern Propheten der Lüge. Das Bekenntnis, dass Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, scheidet die Wahrheit von der Lüge.
Wer in dies Bekenntnis einstimmt, ist von Gott; wer es bestreitet, ist nicht von Gott. So sehen wir den Apostel als treuen Seelsorger in den ihm befohlenen Gemeinden walten. Er, der Apostel der Liebe, der nicht aufhört, zur Bewährung der Liebe aufzufordern, ist zugleich der Apostel des Glaubens und der Wahrheit, der sich selbst, seine ganze Kraft dafür einsetzt, dass der Grund des Evangeliums unerschüttert bleibe. Aber, meine Teuren, weshalb vergegenwärtigen wir uns eine Irrlehre längst verflossener Zeiten, der niemand jetzt folgt, die auf niemand unter uns verführenden Reiz ausübt, die uns so fremd erscheint, dass wir Mühe haben, uns in ihre Gedankengänge hineinzuversetzen? Meine Lieben, urteilen wir nicht zu früh! So unleugbar es ist, dass jene Irrlehre in der Gestalt, in der sie ursprünglich erschien, keinen Zusammenhang mit den geistigen Bewegungen aufweisen kann, welche auf die Gegenwart Einfluss ausüben, so wahr ist es doch, dass diese nur zu sehr für die Grundgedanken empfänglich ist, aus denen jene Irrlehre sich erbaut. Sie scheidet zwischen Jesus und Christus, sie lässt Jesus nur in beschränktem Maße an der Vollkommenheit des Christus teilnehmen, sie wendet sich vom Kreuzestode des Herrn ab. Klingt der Ton dieser Irrlehre nicht vernehmlich in jenen Stimmen wieder, die in dem Heiland nur einen unter den großen Geistern der Menschheit erkennen, die sie auf dem Wege zur Vollkommenheit weiter geführt haben; die ihn preisen als einen unter den vielen, welche die Menschheit dankbar verehrt, aber nicht als den Einen, in dem alle Vollkommenheit des Lebens in Gott und für die Brüder offenbar geworden ist; nicht als den Einen, der uns allein von der Sünde erlösen und zur Freiheit der Kinder Gottes führen kann. Hier spricht vielleicht eine Begeisterung für alles Edle, Gute, Wahre, hier bezeugt sich vielleicht ein Streben nach hohen Zielen, aber jene Begeisterung gilt nicht der Herrlichkeit Jesu Christi, und dieses Streben wird nicht zu seiner Nachfolge. Und wie fremd bleibt dort das Kreuz des Herrn! Sie begleiten ihn wohl nach Gethsemane und Golgatha, sie bewundern die Treue, mit der er bis in den Tod die Fahne der Wahrheit hochgehalten hat, sie weihen die Träne des Mitleids dem edlen Dulder, dem Märtyrer seiner Überzeugung, aber das Kreuz wird ihnen nicht zum heiligen Opfer, in dem unsere Schuld gesühnt ist, nicht zur Stätte der Vollendung, die auch uns die Vollendung verbürgt. Wer unter uns hätte diese Stimme noch nicht vernommen! Und wie viele sind von ihnen getäuscht und gelockt worden!
Die Macht der Verführung, die ihnen einwohnt, ist nicht gering. Wie umfassend und weit erscheint der Blick, die ganze Entwicklung der Menschheit wird umspannt, jedem großen Geiste, der sie gefördert, wird der Kranz dankbarer Verehrung gespendet, und so empfängt auch der Herr Jesus Christus das Opfer der Huldigung. Wie eng und beschränkt erscheint dagegen der Sinn der Gläubigen, die, obwohl sie nicht minder verehrungsvoll und dankbar zu den großen Geistern der Menschheit aufschauen, doch in Jesu Christo allein ihren Herrn und Meister, ihren Führer und Wegweiser, ihren Versöhner und Erlöser erblicken, zu ihm allein sprechen: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens,“ vor ihm allein sich beugen und bekennen: „Wir haben geglaubt und erkannt, dass du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Ev. Joh. 6,68.69). Aber nicht wahr, in dem Herrn Geliebte, wir sehnen uns nicht nach jener Freiheit und Weite, die nach der Wahrheit strebt und sie doch immer entschwinden sieht, nach jener Freiheit und Weite, die doch die Vollgewissheit des Glaubens und die Seligkeit des Friedens nicht zu gewinnen vermag, die sich dem Rätsel des Lebens gegenüber nur auf unbestimmte Ahnung, auf eine ungewisse, dem Zweifel nicht gewachsene Hoffnung zurückzieht. Wir wollen in der Enge und Gebundenheit bleiben, in der Gebundenheit an den Heiland, die ihn nimmer verlassen will, in der Enge der Schranken, die nur die Herrlichkeit begehrt, die uns in der Nachfolge Jesu Christi zu teil wird. In dieser Gebundenheit sind wir doch frei als die Kinder Gottes, die rufen: Abba, lieber Vater, in dieser Enge haben wir doch ein weites Herz, welches von der Liebe zum himmlischen Vater und von der Liebe zu unseren Brüdern erfüllt ist. Und so hat die Irrlehre der falschen Propheten für uns keine verführende Kraft, und wir besitzen die Waffen, mit denen wir siegreich ihren Versuchungen Widerstand leisten können.
Wo sollen wir diese Waffen suchen? Unsre Augen können sie nicht sehen, unsere Hände nicht ergreifen. Nicht Gewalt und Zwang, nicht Feuer und Schwert können Irrlehren überwinden.
Wenn die Christenheit vergisst, wes Geistes Kinder die Jünger Jesu sein sollen, wenn sie mit fleischlicher Macht niederwerfen will, was nur durch des Geistes Macht kann und soll überwunden werden, dann sündigt sie gegen das Evangelium, gegen Gott und sein Wort und ruft seinen Zorn auf sich herab. „Denn ob wir wohl im Fleisch wandeln, so streiten wir doch nicht fleischlicherweise. Denn die Waffen unserer Ritterschaft sind nicht fleischlich“ (2. Kor. 10,3,4). Und so hat denn auch die Christenheit in den Zeiten der Apostel und in den zwei folgenden Jahrhunderten einzig und allein durch die Macht der Wahrheit die Irrlehre besiegt und aus ihrer Mitte ausgeschlossen. Sie erkannte es, dass die Irrlehren und die Irrlehrer von der Welt und nicht von Gott sind, und, sobald sie dies erkannt hatte, trennte sie sich von ihren Wegen. Hier erblicken wir die siegreiche Waffe, die auch wir ergreifen sollen, um den Kampf gegen die Irrlehren unserer Zeit zu bestehen. Wir müssen untersuchen, ob eine Lehre, die sich als Lehre der Wahrheit ausgibt, aus dem Geist Gottes oder aus dem Geist der Welt geboren ist, ob sich in ihr der Geist Gottes oder der Geist der Welt offenbart. Haben wir die Gewissheit gewonnen, dass es der Sinn und Geist der Welt ist, die sich hier bezeugen, dann haben wir auch die Gewissheit gewonnen, dass wir gegen eine Irrlehre streiten müssen, zugleich die Gewissheit, dass wir über sie den Sieg davontragen werden. „Denn, der in uns ist, ist größer, als der in der Welt ist.“
Die Irrlehre, gegen die der Apostel Johannes kämpfte, und gegen welche auch wir die Waffe erheben müssen, da sie in erneuerter Gestalt auch unter uns eine Macht geworden ist, stammt von der Welt. Es ist der Sinn der Welt, der sich weigert, vor Gott in Jesu Christo sich zu beugen; der Sinn der Welt, der in der Geschichte der Menschheit die Stätte nicht erkennen will, in der das Gute fehllos offenbar geworden, das Menschenleben nicht zu erblicken vermag, in dem das vollkommene Leben Gottes wie in einem reinen Spiegel sich uns bezeugt hat; es ist der Sinn der Welt, der in Jesu Christo nicht den eingebornen Sohn, aller Gotteskindschaft der Menschen Ursprung, schaut und sich vor ihm beugt. Diese Leugnung ist aber verhängnisvoll für unser Leben. Wer von Jesu Christo nicht bekennt: „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber“ (2. Kor. 5,19), wer nicht einstimmt in das Wort des Glaubens: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (Ev. Joh. 1,14), er kann auch nicht glauben, dass das Gesetz Gottes zu uns spricht: „Ich bin der Herr, euer Gott; darum sollt ihr euch heiligen, dass ihr heilig seid, denn ich bin heilig“ (3. Mos. 11,44), sich nicht gebunden wissen an das Wort des Heilandes: „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Ev. Matth. 5,48), sondern er muss vom heiligen Willen Gottes abziehen und ihn zur sündigen Schwäche der menschlichen Natur herabziehen. Gelähmt in ihm ist das Streben nach dem Höchsten, das doch unerreichbar bleiben soll, das Bild Gottes verliert den Glanz der vollkommenen Heiligkeit, er hört auf, der Gesetzgeber zu sein, dessen Wort und Wille nicht geändert und erschüttert werden kann, dessen Gebot nicht zurückgenommen wird, es schwindet das Ringen nach Heiligung. Die höchsten Ziele werden nicht mehr gestellt, die menschliche Trägheit bleibt bei niederen Aufgaben stehen, sie beschränkt sich darauf, die Gesetze des Staats zu beobachten und den Ordnungen der Gesellschaft zu gehorchen. Der Mensch erhebt sich nicht über die Welt, er tritt nicht in das Reich Gottes ein, in dem Gottes heiliger Wille geschieht, in dem die Liebe und Gnade Gottes uns die Kraft verleihen, seinem Gesetz zu gehorchen, er bleibt unwiedergeboren, Fleisch vom Fleisch, ein Kind der Welt.
Es wird häufig die Behauptung ausgesprochen, die Stellung, die wir in Fragen des Glaubens einnehmen, sei für die Gestaltung unsers Wandels gleichgültig; es gebe viele Gläubige, deren Lebensführung hinter den Forderungen, die auch dem Evangelium Ferne erheben, zurückbleibe, und viele Ungläubige, deren Wandel ein Vorbild auch für Gläubige sei und sie beschäme. Wie viele Missverständnisse liegen in diesem Urteil verborgen, wie wenig kennen doch die, welche es aussprechen, das Wesen des Glaubens und das Wesen eines Gott wohlgefälligen Lebens! Gewiss, wir stimmen darin zu, es hat geringen Einfluss auf unsere Gesinnung und unser Tun, ob es uns gelingt, die Wahrheit des Glaubens in einer Form der Erkenntnis zusammenzufassen und an derselben festzuhalten, obwohl auch dies einen nicht gering zu schätzenden Wert hat, aber, ob wir glauben oder nicht glauben, ob wir unser Vertrauen auf unseren himmlischen Vater und den Heiland setzen, ob wir dem Herrn Jesus glauben, dass er uns von Sünde, Schuld und Tod erretten kann oder erretten will, oder ob wir einem andern Führer folgen, davon hängt unser Heil ab. Denn der Glaube ist die vertrauende Herzensstellung zu unserm Gott und Heiland, er ist die tiefste, verborgenste und doch zugleich die entscheidende, in unserm ganzen Leben sich offenbarende Tat unseres Gemüts, er ist unser inneres Leben, das unser äußeres Leben beseelt, ihm Richtung und Ziel gibt. Daher wenden wir auch das anklagende und verurteilende Wort „Irrlehre und falsche Weissagung“ da nimmer an, wo die Glaubenswahrheit festgehalten und nur in fehlerhafte, irrige Formen der Erkenntnis gekleidet ist, sondern einzig und allein da, wo die Glaubenswahrheit selbst angetastet, wo der Glaube an Gott und den Herrn Jesum Christum selbst bestritten wird. Nur da, aber da auch in der Tat ist Irrlehre, falsche Weissagung, da offenbart sich die Macht des Widerchristentums und des Weltgeistes, da gilt es Kampf bis zum Siege. Und dieser Sieg kann uns nicht entgehen, denn wir kämpfen im Namen Gottes, wir kämpfen als Gottes Streiter und als Gottes Kinder; und, der in uns ist, ist größer, denn der in der Welt ist.
Wer ist in uns? Es ist der Geist Gottes, der Geist Jesu Christi, der heilige Geist. Es ist der Geist, der uns gewiss macht, dass wir Gottes Kinder sind, und dass Gott unser Vater ist; es ist der Geist, in dem wir Jesum Christum als Gottes eingebornen Sohn erkennen, der, sündlos geboren, sündlos wandelte und in seinem Kreuzestode den vollkommenen Gehorsam bewährt hat, so dass wir in ihm mit Gott versöhnt sind und erlöst von Schuld und Sünde; es ist der Geist, der uns in das Reich Gottes gepflanzt hat und darin erhält, so dass das Grundgebet unsers Herzens: „Dein Wille geschehe“ zugleich der Grundton unsers Lebens wird. Wir haben es erfahren, dass alles Heil für uns, im Leben und im Sterben, in unserm Herrn Jesus Christus ruht, der für uns gestorben ist, der, auferstanden von den Toten, zur Rechten des Vaters sitzt und uns vor ihm vertritt als unser ewiger und himmlischer Hohepriester. Wir haben es erfahren, dass wir in ihm alles empfangen, dessen wir bedürfen, Friede mit Gott, denn er spricht zu uns: Deine Sünden sind dir vergeben, Hoffnung zu Gott, denn er verspricht uns: „Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein“ (Ev. Joh. 12,26), Kraft in Gott, denn er ruft uns zu: „Wer in mir bleibt, und ich in ihm, der bringt viele Frucht“ (Ev. Joh. 15,5), Wahrheit in der Erkenntnis Gottes, Freiheit in der Gebundenheit an Gott, und deshalb Leben, ewiges Leben, denn er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Weil wir diese Erfahrung gemacht haben und immer von neuem machen, deshalb bleiben wir bei Jesu Christo, deshalb werden alle Versuchungen der Irrlehre und Irrlehrer erfolglos, und wir gewinnen über sie den Sieg. Das Band, das uns mit dem Heiland vereinigt, ist so fest geschlungen, dass es nicht gelöst werden kann. Die innere Erfahrung der Herrlichkeit Jesu Christi ist unser Schild. Wo sie fehlt, hat die Versuchung leichtes Spiel. Die Waffen menschlicher Weisheit leisten nicht Widerstand. Deshalb haben auch die Apostel das Evangelium nicht mit Worten hoher Weisheit, aber mit Beweisung des Geistes und der Kraft verkündigt (1. Kor. 2,4). Und zu allen Zeiten sind es die lebendigen, wahrhaftigen Kinder Gottes gewesen, ob aus hohen oder aus niederen Ständen, Vornehme oder Geringe, die durch das warme und kräftige Zeugnis von der Erfahrung der Herrlichkeit Jesu Christi das Reich Gottes gebaut haben. Der fromme Wandel eines Menschen und Kindes Gottes ist eine größere Macht als alle natürliche Weisheit und Kunst. Um die Erkenntnis der Wahrheit, um die Vollgewissheit des Glaubens haben die Großen im Reiche des Geistes oft die schlichte Einfalt beneidet, die, unbeirrt und unerschüttert durch die Versuchungen weltlicher Weisheit, vertrauensvoll und hoffnungsfreudig den Weg des Heils geht.
Darum, meine Lieben, lasst uns nach Wachstum in christlicher Erfahrung trachten, in ihr den festen Grund suchen, der den Bau unsers Lebens trägt; hier in der Gemeinschaft mit dem Herrn den inneren Reichtum, der uns mit Frieden erfüllt, die ewige Wahrheit, in der wir sicher ruhen, die Kraft, die uns heiligt. Dann werden wir alle Versuchungen der Irrlehre überwinden, und aus allen Kämpfen mit ihr wird immer siegreicher die Wahrheit hervorleuchten, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters (Phil. 2,10,11). Amen.