Das lautere Evangelium war in Deutschland schon Jahrzehnde lang gepredigt worden, ohne daß seine zahlreichen Bekenner eine reichsgesetzliche Anerkennung ihres Glaubens und Kirchenthums hätten erlangen können. Das Höchste, was man ihnen auf ihr vielfaches Anbringen von Seiten des Kaisers und Reiches zugestand, war eine sehr zweifelhafte und immer nur für eine bestimmte Zeitfrist eingeräumte Duldung in denjenigen Gebieten, wo die Obrigkeiten ohnehin auf Seiten des reinen Glaubens standen und ihm nöthigenfalls gegen äußere Angriffe Schutz zu gewähren vermochten. Unter diesen Umständen war die gegenseitige Spannung der beiden Religionsparteien natürlich im beständigen Wachsen. Die Römischgesinnten erbitterten sich über das stets weitere Vordringen der gereinigten Lehre selbst unter dem katholischen Szepter; die Evangelischen fühlten sich herausgefordert durch die zum Theil blutigen Verfolgungen, denen sie ihre Glaubensgenossen unter jenem Szepter ausgelegt sahen. Almählig bildeten sich auf beiden Seiten Schutzbündnisse. Den Anfang machten die nicht bloß ohne alle Rechtssicherheit gelassenen, sondern vielmehr stets bedrohten evangelischen Stände. Sie schlossen schon am 19. März 1531 den sogenannten Schmalkaldischen Bund, der alsdann unter Hinzutritt von vielen neuen Bundesgenossen am Ende des Jahres 1535 bis Febr. 1547 erneuert wurde. Ihm wurde unter Aegide des Kaisers im Juni 1537 der sogenannte heilige Bund der römischgläubigen Reichsstände entgegengestellt. Seitdem schwebte Jahre lang ein kriegerischer Ausbruch drohend über Deutschland. Gehindert wurde derselbe einstweilen nur dadurch, daß Kaiser Karl V. noch zu sehr mit den auswärtigen Angelegenheiten beschäftigt war, um seine volle Kraft der längst beschlossenen Unterdrückung der Reformation in Deutschland zuwenden zu können. Endlich im Jahre 1546 war der langersehnte Moment gekommen, indem es dem Kaiser möglich wurde seine spanischen und italienischen Truppen gegen den Schmalkaldischen Bund aufzustellen. Der sogenannte Schmalkaldische Krieg brach - wenige Monate nach dem Tode Luthers - aus und war leider durch die Uneinigkeit und Saumseligkeit der Schmalkaldischen Bundesgenossen rasch und gänzlich zu Gunsten des Kaisers entschieden. Das Haupt des Bundes, Churfürst Johann Friedrich von Sachsen wurde in Folge dessen der Churwürde entsetzt, Landgraf Philipp von Hessen vertragswidrig als Gefangener festgehalten, viele Reichsstädte hart bestraft, und allerlei drohende Anstalten getroffen Deutschland wieder unter das Joch des Papstthums zurückzuführen. Bevor jedoch die letztern in Ausführung gebracht werden konnten, änderte sich unerwartet rasch die Lage der Dinge wieder zu Gunsten der Evangelischen. Immer deutlicher enthüllte es sich nehmlich, daß die eigentliche Absicht des Kaisers nicht bloß dahin gehe, die evangelische Partei niederzuwerfen, sondern zugleich die Selbstständigkeit des deutschen Fürstenthums zu brechen und das deutsche Wahlreich zu einer Erbmonarchie des Hauses Habsburg umzugestalten. Durch diesen Plan waren nicht nur die evangelischen, sondern auch die katholischen Fürsten bedroht; der Kaiser verlor ihr Vertrauen und ihren Beistand, indem bei ihnen doch das politische Interesse das religiöse überwog. Selbst der Papst sah nicht gerne, daß der Kaiser übermächtig werde und wünschte im Geheimen die Widerstandsfähigkeit der deutschen Fürsten durch den evangelischen Theil derselben verstärkt. Auch fehlte es diesem Interesse nicht an einem Vertreter. Der Herzog Moritz von Sachsen, ehemals den Schmalkaldischen Bundesgenossen zugehörig, war mit diesen zerfallen, hatte sogar in dem letzten unglücklichen Krieg gegen sie auf Seiten des Kaisers gefochten und war dafür mit der seinem Vetter Johann Friedrich entzogenen Churwürde belohnt worden. Jetzt im drückenden Gefühl der Gehässigkeit und Unwürdigkeit seiner bisherigen Stellung, so wie in der Ueberzeugung von der Bedrohlichkeit der ehrgeizigen Pläne des Kaisers für die deutsche Reichsfreiheit, fiel er plötzlich vom Kaiser ab und überraschte denselben mit einem unter täuschenden Vorwänden gesammelten Heere, als derselbe unvorbereitet in Oberschwaben und Tyrol stand. Ein kühner Zug Moritzens nach Inspruck Ende März 1552 vereitelte nicht nur jeden Widerstand des Kaisers, sondern brachte diesen beinahe selbst in Moritzens Hände. Dadurch wurde Karl V. genöthigt, sich den Forderungen Moritzens zu fügen und in einem im Monat August zu Passau abgeschlossenen Vertrag zunächst alle die Vortheile wieder aufzugeben, welche ihm der Schmalkaldische Krieg gebracht hatte, insbesondere aber den evangelischen Reichsständen Religionsfreiheit zuzusichern. Auf diesen vorläufigen Vertrag folgte dann 1555 ein entscheidender Reiches Beschluß auf dem Reichstag zu Augsburg, daher der augsburgische Religionsfriede genannt. Wie wichtig und vortheilhaft dieser Religionsfriede für die evangelische Partei in Deutschland war, beweist der Hauptinhalt der in demselben enthaltenen Festsetzungen:
1) das Bekenntnis Augsburgischer Confession wurde als gleich berechtigt mit dem römischen Katholizismus im deutschen Reiche erklärt und kein Reichsstand sollte den andern in Uebung seines Gottesdienstes in einem dieser beiden Bekenntnisse stören oder vergewaltigen. Das friedliche Nebeneinanderbestehn derselben wurde also nicht bloß für möglich erklärt, sondern unter den Schutz des Reiches selbst gestellt. Auch konnte jedes der beiden Bekenntnisse mit einer gewissen Sicherheit auf diesen Schutz rechnen. Denn sie waren so ziemlich gleich in Beziehung auf Länder- und Machtbestand. Den drei geistlichen Churfürsten Mainz, Trier, Köln römischerseits entsprachen die drei evangelischen Churfürsten von Sachsen, Brandenburg und Pfalz. Den größern katholischen Reichsfürsten und dem Kaiserhaus gegenüber bildete ein Gegengewicht die große Mehrheit ansehnlicher Reichsstädte, kleinerer Fürsten und zahlreicher Ritterschaften auf protestantischer Seite.
2) Die bischöfliche Gerichtsbarkeit sollte in ihrer Ausdehnung auf die Länder Augsburgischer Confession „suspendiert“ sein bis zu einer endlichen Ausgleichung der religiösen Gegensätze. Eine solche Ausgleichung durch ein Concil oder auf einem andern Wege wurde in dem Friedensinstrument immer noch als möglich angenommen, obschon im Grunde nur Wenige noch wirklich daran glauben mochten. Darum wurde die bischöfliche Gerichtsbarkeit nicht förmlich aufgehoben. Aber von Rechtswegen sollte sie für suspendiert gelten und die kirchliche Organisation der evangelischen Gebiete durch den Anspruch der ehemaligen Diöcesanbischöfe nicht mehr gehemmt werden können.
Indessen besaßen die Bestimmungen dieses Friedens nicht diejenige Ausdehnung, die wir ihnen, obenhin angesehn, heutzutage beilegen würden, vielmehr muß hier auf zwei höchst wesentliche Mängel des Augsburger Reichschlusses ausdrücklich hingewiesen werden:
1) die Gleichstellung beider Religionsparteien war zwar gesetzlich ausgesprochen; dagegen wurde sie nicht so verstanden, daß überall in Deutschland jeder Einzelne die volle Freiheit der Religionsübung in der einen oder der andern der beiden Formen sollte genießen dürfen, sondern diese Freiheit wurde nur den reichsunmittelbaren Fürsten und Obrigkeiten zugestanden. Die Gewissensrechte der mittelbaren Reichsstände und der Unterthanen waren durch den Religionsfrieden nicht im Mindesten gewahrt. Es galt vielmehr seitdem der Grundsatz, daß die Religion der Landesherrschaft auch für ihre Unterthanen maßgebend sei und nur sie zu bestimmen habe, welche Religion in ihrem Gebiete öffentlich oder privatim geübt werden dürfe. Stimmte sonach die Ueberzeugung einzelner Unterthanen mit derjenigen der Landesherrschaft nicht überein, so blieb ersteren nichts anderes übrig, als entweder einer andern Religion sich zwangsweise zu fügen, oder in ein anderes Land auszuwandern.
2) Der Ausdruck: Bekenner der Augsburgischen Confession, wurde im engsten Sinne genommen und bloß auf die Lutheraner ausgedehnt. Diese bildeten nun zwar unter den Evangelischen in Deutschland die überwiegende Mehrzahl; gleichwohl gab es auch viele Calvinisten und namentlich neigten sich zur Calvinischen Lehre die zahlreichen Schüler des eigentlichen Verfassers der Augsburgischen Confession, Melanchthons, der später sogar in diesem Bekenntnis eine Aenderung zu Gunsten der Calvinischen Abendmahlslehre angebracht hatte. Allein der Haß der Lutheraner gegen die Calvinisten war leider schon so groß, daß die gerechten Ansprüche der letztern auf dem Reichstag nicht die gebührende Vertretung fanden und dieser ganze evangelische Religionstheil von den Vortheilen des Religionsfriedens ausgeschlossen, auf den Schutz durch seine eignen Kräfte und durch das glaubensverwandte Ausland angewiesen war.
So waren also zwar durch den Religionsfrieden für den deutschen Protestantismus zwei große Grundsätze gewonnen, und es begreift sich leicht, daß und warum Papst Paul IV. gegen diesen Frieden feierlichen Einspruch that. Allein auf der andern Seite unterlag die protestantische Religionsfreiheit noch immer bedauerlichen Einschränkungen, welche hinwegzuräumen noch schwere blutige Kämpfe und ein ganzes Jahrhundert erforderte.
Karl Bernhard Hundeshagen in Heidelberg.