Wenn ich auf das hören würde, was Fleisch und Blut in mir sagen, so müsste ich Euch bekennen, dass es mir nicht angenehm ist, bei der Fortsetzung unserer Katechismus-Betrachtungen über das nun folgende achte Gebot zu Euch zu reden. Denn dieses Gebot dringt mich, Wahrheiten auszusprechen, die gar Manchem nicht behagen werden. Doch ich muss voraussetzen, dass Ihr von einem Prediger der göttlichen Wahrheit nicht erwartet, dass er bei seiner Predigt nicht mit seinem Fleische und Blute, sondern vielmehr mit dem Geiste Gottes sich berate. Ich muss weiter voraussetzen, dass Ihr von mir nicht fordern werdet, auf Euer Fleisch und Blut Rücksicht zu nehmen, und das, was an Euch sündlich ist, Euren alten Menschen, zu schonen, oder ihm gar zu schmeicheln, denn das brächte mich und Euch ins ewige Verderben.
Und somit will ich denn, ein armer Sünder, zu armen Sündern reden Gottes ernste und strafende Wahrheit; aber auch zugleich will ich von seiner Gnade und seinem Erbarmen nicht schweigen. Möget Ihr aber nun auch das Wort, wie es aus Liebe zu Eurem Seelenheile kommt, in Liebe aufnehmen!
Wenn man ein Ding nicht beim rechten Ende anfasst, so gelingt es nicht. So geht es namentlich mit dem Kämpfen gegen die Sünde und Sünden. Es gibt gar Manche die es nicht begreifen können, wie sie immer wieder von Neuem in die und die Sünden verfallen, an denen sie selbst doch schon die Lust verloren. Sie zerquälen sich alle Tage, und alle Tage kommt immer wieder dasselbe vor, und wohl noch mehr, als das. Wie kommt das? Antwort: sie sehen den Wald vor Bäumen nicht. Sie sehen vor dem ganzen Sündenmeere die Quelle nicht, sie merken nicht auf ihr Herz und achten nicht auf ihre Zunge. Auf hundert andere Dinge sehen sie; aber was aus ihrem Herzen über die Zunge quillt, darauf sehen sie nicht. Sie wissen nicht, dass die Zunge das Steuerruder ist, welches das ganze Schiff, der Zaum, welcher das unbändige Ross, denn das ist doch der alte, sündliche Mensch in uns, regiert.
Wollt Ihr darum gegen die Sünde Eures ganzen Menschen recht kämpfen, so fangt es mit dem Kampfe gegen das an, was aus dem Herzen über die Zunge geht: mit den Zungen-Sünden. Sie werden am allerleichtsinnigsten begangen und sind doch die gefährlichsten, sie sind diejenigen Sünden, welche Leib und Seele aller Sünde und allem Einfluss des Satans bloß geben.
Das könnt Ihr im Briefe des Jacobus im dritten Kapitel selbst lesen, und ich bitte Euch, tut es.
Doch ich muss es Euch auch gerade heraus sagen, wenn irgendeine Sünde unter uns allgemein begangen wird, so sind es diese Zungen-Sünden; wenn irgendein Gebot unter uns gedankenlos und leichtsinnig übertreten wird, so ist es das achte Gebot. Seht, und darum gemahnt es mich, heute, unter Gottes Beistande, dieses achte Gebot Euch besonders ans Herz zu legen.
2 Mos. 20, 16.
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden, wider deinen Nächsten.
Luthers Erklärung:
Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, afterreden, oder bösen Leumund machen, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden, und Alles zum Besten kehren.
Lasst uns daher sehen:
I. was das achte Gebot in sich schließt;
II. woher die Versündigungen dagegen kommen; und
III. wie wir von der Lust zu diesen Sünden los und in die Erfüllung des Gebotes kommen.
Was hat also das achte Gebot zuerst für uns für eine Bedeutung? Was schließt es in sich? Um Euch dieses zum Bewusstsein zu bringen, will ich Euch nicht erst führen an eine Gerichtsstätte, wo einer seine Hand gen Himmel erhebt, den allweisen Gott zum Zeugen anruft in seiner Sache gegen den Nächsten, und doch einen Meineid tut und Falsches gegen seinen Nächsten aussagt. Ich will Euch auch nicht einführen in die Prozesse und Rechtshändel die öffentlich, und in die Zänkereien und Streitigkeiten, die privatim und in den Häusern geführt werden, wo Gewinnsucht und Rechthaberei, Hoffart und Dünkel, Argwohn und Misstrauen, satanischer Zorn und Mordlust, Lüge auf Lüge und ein falsches Zeugnis auf das andere häufen.
Auch will ich Euch heute nicht vor Augen malen einen Hohen Rat, wie er nicht allein falsche Zeugen gegen den Allergerechtesten und gegen dessen gute Sache annimmt, sondern selbst noch beredet, aufhetzt und dingt; ja wie er (da alles Lügen-Zeugnis nicht helfen will) selbst als ein solcher Lügen-Zeuge auftritt und den Unschuldigsten der Menschen zum Tode verurteilt; wiewohl solch' lügenhaftes Zeugnis gegen Jesum und gegen seine Sache und gegen seine Gläubigen noch heutzutage vorkommt und vorkommen wird, so lange Satan, der Vater der Lügen, sein Werk in den Kindern des Unglaubens treibt. Doch will ich von solchem heute nicht zu Euch reden. Es könnte Mancher bei sich denken: nein, so arg bin ich doch nicht, das habe ich mir noch nicht zu Schulden kommen lassen. Es könnte Jemandem einfallen, sich, wie er da ist, für wahr, für gerecht, für liebenswürdig, für einen Tugendhelden, für einen guten Menschen zu halten; es könnte Jemanden einfallen, sich selbst achten und Andere verachten und verdammen zu wollen. Davor möge uns Gott in Gnaden bewahren! Seht, und darum lasst uns (damit wir ja nicht glauben, dass uns die Versündigungen am achten Gebote fern liegen) nur darauf eingehen, was uns Allen und einem Jeden am nächsten liegt.
Sagt einmal, wenn wir so allein sind, und Zeit haben, über dies und das zu denken, ist unser Herz da so unschuldig, so voll Tauben-Einfalt, so gut und liebevoll, dass wir gar nichts Arges über unseren Nächsten denken? Gibt es nicht Ehegatten, die recht darauf sinnen, um Eins an dem Anderen nur Arges zu finden, und wenn sie es nicht geradezu als Zeugnis aussprechen können, doch wenigstens ihren Argwohn, ihr Misstrauen, ihre Eifersucht, kurz ihre argen Gedanken in Zorn, in Bitterkeit, in Satire, in Spott und Hohn aller Art aussprechen? Gibt es nicht Kinder, die von denen, von welchen sie das Beste denken sollten, ich meine von ihren eigenen Eltern, nur Schlechtes denken, die ihre Liebe und Strenge, ihr Sorgen und Wachen auf alle Weise missdeuten, die ihre größten Wohltäter für unerträgliche Zuchtmeister und Peiniger halten, Kinder, die, ach! von ihren eigenen Eltern vor Anderen Böses reden? Gibt es nicht Schüler und Schülerinnen, die mit Frechheit ihre Lehrer belügen, und Eltern, die schwach genug sind, der Lüge zu glauben, und in Gegenwart der Kinder über Lehrer herzuziehen? Gibt es nicht Freunde und Freundinnen, Verwandte und Bekannte, die einander besuchen, um nur recht viel Stoff zu argen Gedanken über einander mit sich nach Hause zu nehmen? Wenn nun dergleichen Arges schon in den nächsten Verhältnissen gedacht und geredet wird, wie wird man von denen denken und reden, die man wenig oder gar nicht kennt, mit denen man in keinem so nahen Verhältnisse steht, denen man bei seinem Denken und Reden keine besondere Rücksicht und Pflicht schuldig zu sein glaubt? Sehen wir doch einmal unser Tun und Treiben etwas näher an, wenn wir mit anderen Menschen zusammen kommen, beim sogenannten geselligen Umgange. Wir nennen uns Christen, wir nennen uns Kinder Gottes. Wären wir das wirklich, seht, dann könnte es uns an dem schönsten und herrlichsten Stoffe zu unseren Reden und Gesprächen nie fehlen. Wir würden mit einander dem Herrn singen und spielen; wir würden das Wort Gottes betrachten; wir würden lesen und reden, was uns erbaute und besserte, was holdselig ist, zu hören; wir würden unsere eigenen Herzen gegen einander öffnen, und uns mitteilen Freuden und Leiden, uns raten, helfen, trösten, aufrichten und an einander erquicken; wir würden wohl auch zusammen mit dem Herrn reden, mit Einem Herzen und Einem Munde zu Ihm beten; oder wir würden unsere Herzen und Reden auf Werke der Liebe richten, wie diesem Armen und jenem Kranken zu helfen wäre, wie man sich dieser und jener verwahrlosten Kinder annehmen könne, was man zum Heile Anderer, zur Bekehrung der Heiden, zum Baue am Reiche Gottes mit beitragen könne. Kurz, wenn wir wahrhaftige und nicht nur Namen-Christen wären, wir kämen im Umgange mit einander an solchen Reden, die holdselig zu hören, die erbauen, helfen und bessern, nie zu kurz. Es würde uns gar nicht einfallen, unser Herz und Sinnen auf Reden zu lenken, die eitel, unnütz, sündlich sind, die einem selbst und Anderen nur schaden.
Ja, da hört man von gar Manchen sagen: man kann aber doch nicht immer fromm sein; man kann ja doch nicht immer von göttlichen Dingen reden. Siehe, lieber Mensch, das ist eben das Traurige und Sündliche an Dir, dass Du nicht immer fromm sein kannst; das ist das Traurige, dass Dir der Eine noch nicht über Alles geht und dass Du noch nicht Alles in Deinem Leben auf den Einen beziehen kannst! Glaubt ja nicht, meine Lieben, dass Euch hiermit verboten würde, von Eurer Wirtschaft und sonstigen Arbeit und Beruf und Geschäften zu reden und Euch darin zu raten und zu helfen, oder dass hier auf jede sonstige unschuldige Rede scheel gesehen werde. Das hieße ja unerträgliche Lasten, die man selbst mit keinem Finger rührt, auf die Schultern Anderer bürden. Aber sagt mir, wo steht das im Worte Gottes geschrieben, dass man, wenn man zusammen kommt, gleich über seinen Nächsten herfällt, dass man durch ein Achselzucken ihn verdächtig macht, dass man seine Ehre und seinen guten Ruf und Namen antastet, dass man sein Benehmen und seine Handlungen bekrittelt, seine Worte verfälscht und verdreht, ja selbst seine Gesinnungen verurteilt und verdammt? Wo steht das im Worte Gottes geschrieben, dass man die häuslichen oder amtlichen, geheimsten Verhältnisse des Nächsten aufdecken und verraten und ihn als einen schlechten Vater oder Mutter, als einen schlechten Sohn oder Tochter, als schlechten Ehegatten oder als schlechten Berufsmann an den Pranger stellen soll? Wo steht das im Worte Gottes geschrieben, dass man über das Heiligste, was der Christ hat, über seinen Glauben aburteilen soll, und ihn mit einem Spott- und Schimpfnamen belegen? Oder haltet Ihr das für etwas so Unschuldiges, eigenliebige Vermutungen und Ansichten (die gar oft nur die Ausgeburt des Neides, der Scheelsucht und der eigenen, argen Gedanken des Herzens sind) als Wahrheit und Tatsachen zu erzählen, wie das Sprichwort sagt: was ich denk und tu', trau' ich Andern zu? Oder kommt Euch das unschuldiger vor, wenn man diese und jene Geschichte von Jemanden hört, dieselbe sogleich nachzuerzählen, ja sich ein Geschäft daraus zu machen, sie so recht unter die Leute zu bringen, ohne zu prüfen und zu fragen, ohne einmal die Person zu kennen, von der das böse Gerücht erschallt, ja wohl gar seine eigenen giftigen Zusätze noch zu machen? Meint Ihr denn, es werde dem Christen so als nichts von Gott angerechnet, wenn er in gutmütiger, oder eigentlich in boshafter Dummheit Alles glaubt und Alles nachredet, was die Leute sagen? Soll denn der Christ nicht daran denken, dass die Ehre und der gute Name seines Nächsten Gottes Gabe ist, dass jedes Antasten derselben ein Frevel gegen den lebendigen Gott und seine Ordnung, ein Mordstreich ist, der gegen des Nächsten Seele und Leben geführt wird?
O, meine Lieben, lassen wir uns doch einmal über diese Versündigungen gegen das achte Gebot, über diese Zungen-Sünden, in die leider so Viele unbewusst mit einstimmen, an denen leider so Manche ihre rechte Lust und Freude, ja die Würze ihrer geselligen Unterhaltung suchen, lassen wir uns doch einmal über sie die Augen öffnen! Wisst Ihr, wie das Wort Gottes diejenigen bezeichnet und beschreibt, die solche Reden führen und an ihnen Gefallen haben? Ihr Schlund ist ein offenes Grab, so heißt es. Mit ihren Zungen handeln sie trüglich. Otterngift ist unter ihren Lippen. Ihr Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit. Ihre Füße sind eilend, Blut zu vergießen. In ihren Wegen ist eitel Unfall und Herzeleid. Und den Weg des Friedens wissen sie nicht. Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen. (Römer 3, 13-18.)
Seht, dass ist in den Augen Gottes jede Klatscherei und jeder Nach-Erzähler und Neuigkeitskrämer, jeder Verleumder und Afterredner, jeder, der den Mut nicht hat, dem Anderen die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, der vor den Augen freundlich tut und hinter dem Rücken Verleumdung und Ränke und böse Gerüchte schmiedet. Das ist in Gottes Augen Jeder, der sich zum Richter über den Anderen aufwirft, Jeder, der sich seines Nächsten nicht annimmt, der der Verleumdung zuhört, ihn nicht verteidigt, nicht entschuldigt, - nichts weniger, wahrlich nichts weniger, als ein Mörder! Denn wer seinen Bruder hasst, der ist ein Totschläger, und das Urteil Gottes über solchen kennt Ihr. Ist Jemand unter uns, der sich von diesem Urteile ausnehmen wollte? Ist Jemand, den Eins und das Andere der Schilderung der Schrift von den Falschen nicht wenigstens zur Zeit getroffen hätte? Sagt Jemand: ich habe es nie anhören können, wenn es über einen anderen herging, ich habe ihn immer verteidigt? Sagt Jemand: ich bin rein von argen Gedanken und Reden gegen meinen Nächsten? Ist Jemand, der da sagen könnte: es hat mir niemals Lust und Vergnügen gemacht, über meinen Nächsten etwas Böses zu reden, von ihm etwas Sündliches zu erzählen? Sagte Jemand das, nun, dann würde er nichts anderes tun, als falsch Zeugnis von sich selbst reden. Ich sage: falsch Zeugnis von sich selbst.
Und dies, meine Freunde, führt uns auf den zweiten Punkt unserer Betrachtung, indem es uns zeigt: woher das Falsch-Zeugnisreden gegen den Nächsten, das Belügen, Afterreden, Verraten und Verleumden eigentlich komme? Ist es nicht so, dass man den Anderen belügt, verrät und afterredet, um nur selbst besser zu erscheinen; dass man die Sünden und Fehler und Schwachheiten Anderer aufdeckt, um seine eigne Tugend recht heraus zu streichen und ins Licht zu stellen? Man hat ein gewisses Behagen, wenn man sich sagen kann: du bist doch besser, bei dir sieht es doch ganz anders aus, in deinem Hause geht es doch weit ordentlicher zu. Man will mit seinem Sinne für alles Gute, mit seinem Eifer für das Sittliche, Wahre und Rechte paradieren; man will, wo möglich, für den besten, tugendhaftesten und redlichsten Menschen gehalten werden. Und so kann man denn nicht genug eifern und richten und verdammen, wenn hier einmal einer gefehlt hat, oder dort eine Seele gefallen ist. Ganz wie die Pharisäer im Evangelio mit heuchlerischer Sitten-Strenge über die Ehebrecherin herfielen, so fallen noch heutzutage gar Viele mit ihren Zungen über diesen Sünder und jene Sünderin her und können ihre Fehltritte und ihre Schlechtigkeit nicht genug ausreden und ausposaunen. Die Heuchler! Tönen ihnen nicht die Worte des Heilandes in die Ohren: wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie? Die Heuchler! Haben sie auch jemals in ihr eigenes Herz gesehen und in ihre eigenen bösen Lüste und Begierden? Haben sie jemals so viel Mut und so viel Lust zur Wahrheit gehabt, vor Gottes Angesichte von sich selbst ein wahres Zeugnis abzulegen, sich als arme, elende, fluchwürdige Sünder vor Gott und vor den Menschen zu bekennen?
Christen, die selbstgerechten Pharisäer, die es nicht dulden mögen, dass sie von der ewigen Wahrheit Lügner und Heuchler genannt werden, diese Leute, die außer sich werden, wenn das Wort Gottes vom sündlichen Verderben des Menschen redet, die da schimpfen und toben, wenn das Wort Gottes ihnen bezeugt, dass nichts Gutes an ihnen ist, dass sie gar kein Verdienst und Würdigkeit haben, sondern in ihrem täglichen Sinnen und Trachten vor Gott ein Gräuel sind, die selbstgerechten Pharisäer, sage ich, weil sie stets falsches Zeugnis von sich selber denken und sagen, sind es auch, welche falsches Zeugnis gegen ihren Nächsten reden. Denn wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Ist Dein Herz voll Falschheit und Lüge gegen Gott und gegen Dich selbst, so wird dein Mund auch Falsches von dem Nächsten reden.
Fragt Ihr aber, meine Freunde: woher die Lüge und die Falschheit gegen Gott und gegen sich selbst und gegen den Nächsten in dem Herzen des Menschen? Ich will es Euch sagen, oder vielmehr, Christus sagt es uns. Ihr seid vom Vater, dem Teufel, spricht Jesus zu allen selbstgerechten und heuchlerischen Pharisäern, und Eures Vaters Lust wollt ihr tun. Derselbige ist ein Mörder vom Anfange und ist nicht bestanden in der Wahrheit, denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lügen redet, so redet er von seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben. Satan ist der erste Heuchler und der erste Selbstgerechte gewesen. Satan hat die erste Lüge und das erste falsche Zeugnis geredet. Satan hat die erste Lüge in des Menschen Herz gebracht. Und seitdem der Mensch in Satans Lüge gewilligt und auf sein falsches Zeugnis gehört, seitdem ist es des Menschen Streben, ja wohl gar Luft, Gott und sich selbst und seinen Nächsten zu belügen. Und wer heute noch die Lüge aus Satan lieber hat, als die Wahrheit aus Gott; wer heute noch seine eigene Ehre lieber hat, als die Ehre bei Gott, und sein eigenes Flickwerk von Tugend und guten Werken höher anschlägt, als die Gerechtigkeit Christi, die Gott ihm schenken will; wer heute noch lieber mit jenem Pharisäer, als einem tugendhaften und gerechten Menschen, vor Gottes Angesicht sich darstellen will, lieber, als dass er, als ein ganz armer, elender, fluchwürdiger Sünder, sich vor Gott und Menschen bekennt: - der, sage ich, ist heute noch vom Vater, dem Teufel, der tut noch heute nach Satans Lust, der denkt und redet noch heute aus Satans Geiste, der in ihm wohnt.
Merkt es also, meine Freunde, wes Geistes Kinder wir sind, wenn wir falsches Zeugnis reden gegen unseren Nächsten; wenn wir afterreden und bösen Leumund machen. Nicht umsonst nennt die Heilige Schrift den Teufel einen Lästerer, einen Verleumder und Verräter. O bedenkt es, wer sein Werk in Euch treibt, wenn Ihr desgleichen tut mit Eurem Nächsten. Bedenkt es, nach wessen Lust Ihr redet, wenn Eure Zunge über den Nächsten herfällt. Vergesst nicht, dass wir es nicht allein mit Fleisch und Blut zu tun haben, sondern auch mit höllischen Gewalten und Mächten. Regt sich der Neid und der Hass gegen Deinen Nächsten in der Seele, gelüstet Dein Herz, über ihn herzufallen und es brennt Dir diese und jene Geschichte von ihm auf der Seele und du hältst Deine Zunge nicht im Zaume: dann wisse, dass zu der ersten Mordlust, die Du in Deinem Herzen nährst, zu dem ersten, argen Gedanken, dem Du Raum gibst, dass zu dem ersten Worte, das Du aussprichst, sich Satans Gewalt zugesellt. Er entzündet dann Dein Herz und Deine Zunge mit höllischen Kräften. Er führt Dich von einem Verleumden und Afterreden ins andere. Ja, er weiß es Deinem Herzen bald und schnell so süß und lieb zu machen, dass Du fortan kein Gespräch lieber hast, als Afterreden und bösen Leumund machen. Oder glaubt Ihr, dass der Vater der Lügen unter uns sein Werk nicht treibe? Glaubt Ihr, dass die im Grunde unsinnigen und dummen, aber doch boshaft ersonnenen Gerüchte von diesem und jenem, der böse Leumund, welcher der Sache Jesu und seinen Bekennern angehängt wird, die Verdächtigungen und Beschimpfungen, durch die so Mancher gehen muss, so zufällig, so von selbst entstehen? Satan, der Vater der Lügen, ist ihr Urheber, und wer seine Freude und seine Unterhaltung darin findet, sich mit ihnen abzugeben und herum zu tragen, der tut nach Satans Lust, und ist Satans Knecht und Werkzeug.
Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Doch, lasst uns nun zusehen, meine Freunde, wie wir loskommen von der Lust zum falschen Zeugnisse und von dem Fluche, der darauf steht. Lasst uns ergreifen die mächtige Liebe, die da dringt, zu entschuldigen unseren Nächsten, Gutes von ihm zu reden und Alles zum Besten zu kehren; die Liebe, welche da ist des Gesetzes Erfüllung.
Erstens: wenn die Lust zu lügen und zu afterreden sich in Deiner Seele regt, wenn es Dir brennt, über Deinen Nächsten mit der Zunge herzufallen, bedenke es, wo hinein diese Sündenlust Dich führt. Sie führt Dich gerades Weges, wie jede Sündenlust, in Satans Reich, in Satans Gewalt, also in die Feindschaft gegen Deinen Gott und Heiland. Daran erinnere Dich, ehe Du Deinen Mund auftust, das präge Dir ein ehe Du aus Deiner Kammer unter Menschen trittst, sonst wirst Du frech und leichtsinnig in den Tag hinein schwatzen. Erinnere Dich, dass Du bei jedem Lügen und Afterreden nur bösen Leumund-Machen nach Satans Lust tust. Denke daran, dass kein falsches Zeugnis, dass auch nicht ein Wort, womit Du Deinen Nächsten beredest, so in der Luft verhallt, sondern dass der wahrhaftige Zeuge im Himmel es hört und jedes unnütze Wort aufbehalten wird zum Tage des Gerichtes, wo Du wirst Rechenschaft geben müssen. Denke daran, dass geschrieben steht: richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet, und mit welcherlei Maße ihr messt, wird man euch wieder messen, und dass ein unbarmherziges Gericht ergehen wird über die, die nicht Barmherzigkeit geübt haben. Ja, wir sollen Gott fürchten, fürchten sollen wir Ihn, dass wir unseren Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, afterreden oder bösen Leumund machen.
Zweitens: aber auch lieben, lieben sollen wir unseren Nächsten, dass wir solches nicht tun. Bedenkt es, liebste Seelen, mit jeder Lüge mit jedem Afterreden und Verleumden kreuzigt Ihr von Neuem Euren Gott und Heiland. Was hat Ihn vor Gericht geschleppt; was hat ihn da mit Spott und Schmach bedeckt; was hat Ihn den Satans-Knechten preisgegeben und Ihm die Nägel durch Hände und Füße getrieben, und Ihn an den Schandpfahl, ein Schauspiel der Engel und Menschen aufgehängt, und nicht eher geruht, bis Er verschmachtete und auch kein Blutstropfen in Ihm war? Falsches Zeugnis, Lüge, Verrat, Afterrede, Verleumdung, unsere falschen Zeugnisse, unsere Lügen, unser Afterreden und Verleumden haben das getan. Haben wir nicht genug daran, dass wir solches getan haben; wollen wir noch ferner unsere Lust darin suchen, Jesum zu kreuzigen? Und wir tun das, wahrhaftig! wir tun das, wenn wir unsere Zunge nicht im Zaume halten. Seht Ihn an, den Allergerechtesten unter den Menschenkindern, seht Ihn an, Euren Gott und Schöpfer, denn der ist Jesus, wie Er alle die falschen Zeugnisse, alle die Lügen und Verrate und Verleumdung über sich ergehen lässt. Wie viel hätte Er von uns zu sagen und zu richten! Ja, wenn Er seinen Mund hätte auftun wollen zum Gerichte, zum gerechten Gerichte über uns, wir würden Alle hinunter gestoßen in die Hölle. Und uns wäre nur Recht, ich sage nur Recht geschehen.
Aber seht, Euer Gott und Schöpfer bleibt sanftmütig und demütig, da freche Sünder-Zungen Ihn mit Ihrem satanischen Gifte begeifern. Jesus ist still und tut seinen Mund nicht auf; er antwortet nichts auf das, was Satans Knechte wider Ihn zeugen. Er richtet nicht, er verdammt nicht; er fleht: Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun! Glaubt Ihr, dass unser Herr und Heiland das so zufällig gelitten und erduldet hat? Glaubt Ihr, dass Er das so aus bloßer natürlicher Gutmütigkeit oder Schwärmerei über sich hat ergehen lassen, so dass der freche Sünder sich nur lustig darüber machen kann? Ich sage Euch, doch nicht ich, sondern Gottes Wort und Gottes Geist: meine und Deine und unser Aller Lügen und Afterreden hat Jesus damit büßen müssen. Hört es, ihr Sünder, unser gedankenloses, leichtsinniges Schwatzen, unser gehässiges und boshaftes Reden von unseren Nächsten, unser unbarmherziges, selbstgerechtes, liebloses Nichten und Verdammen Anderer, das hat Jesu solche Schmach und solche Schmerzen bereitet, das, das hat Er an seiner Seele und an seinem Leibe strafen lassen müssen! Anders wären wir nicht vom Fluche des falschen Zeugnisses losgekommen; anders nicht, als dass Er durch falsches Zeugnis zum Fluche für uns würde.
Gelüstet es uns nun noch, mit Lügen, Afterreden und Verleumdungen uns abzugeben? Gelüstet es uns noch mit Satans Knechten gemeinschaftliche Sache zu machen und nach Satans Lust zu tun und Ihn, die ewige Wahrheit, zu kreuzigen?
O, meine Lieben, legt die Lügen ab und redet die Wahrheit, sintemal wir unter einander Glieder sind, Glieder des Leibes, der für unsere Lügen sich in den Tod gegeben hat. Wer unter uns ein Gefühl, ein Herz, einen Liebesfunken für Jesum hat, der trete mit mir unter sein Kreuz und schaue hinein in das Angesicht, das auch sterbend noch voller Gnade und Wahrheit ist. Jesus will nichts von uns sagen und richten. Jesus will uns nicht verdammen. Ach, und was hätte Er von uns zu sagen und zu richten, was hätte Er an uns zu verdammen! betet sie an, die unaussprechliche Liebe, welche auch der Sünden Menge deckt! Geht in Euch, denkt an das Wort: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Lasst sie fahren, die schnöde Selbstgerechtigkeit, dieses stolze Sich-Erheben und Besser-Dünken, es kommt vom Satan, es macht Euch zu Feinden Jesu. Erniedrigt Euch selbst, erkennt die Sünden und Gräuel an Eurem eigenen Wesen und Leben; werdet im Angesichte der Gnade und Wahrheit arme Sünder, ach, werdet arme Sünder, die nur von dem Vergebungsworte des Herrn leben, die alle Tage von nichts anderem wissen wollen, als das ihnen Gnade und nur Gnade widerfahren ist. Seht, so viel, so unaussprechlich viel hat uns der Herr vergeben, und wir sollten nun hingehen und unseren Mitknecht würgen? Bedenkt es, was darauf steht! Siehe, wenn Deiner Sünden auch mehr sind, als des Sandes am Meere, und Du kommst zum Herrn und flehst ihn an um Erbarmen, so nimmt Er im Nu sie von Dir und wirft sie in die Tiefe des Meeres. Und wenn Deine Sünde blutrot wäre, der Herr macht sie Dir im Nu weiß wie der Schnee. Aber ein liebloses Herfallen über Deinen Nächsten, ein Richten und Verdammen und Afterreden kann Dich im Nu um alle Gnade bringen. Das lehrt uns die ewige Gnade und Wahrheit selbst. Christen, das lasst uns merken. Das möge uns dringen, abzulegen die Lügen und zu reden die Wahrheit; das möge uns dringen, unseren Nächsten zu entschuldigen, Gutes von ihm zu reden und Alles zum Besten zu kehren. Amen.