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Huhn, August Ferdinand - Predigten über die Heiligen Zehn Gebote - III. Dritte Predigt über das erste Gebot.

Herr Gott, Vater! Also hast du die Welt geliebt, dass Du das Liebste, was Du hast, Deinen eingebornen Sohn, gegeben. Und für das forderst Du von uns nur unser Herz, Du willst von uns nur Liebe. O, wie müssten wir das auch heute mit Freuden darbringen! Wie müsste auch heute jeder Pulsschlag, jeder Gedanke, jede Kraft in uns Liebe sein, Liebe zu Dir, der Du uns zuerst geliebt! Aber ach! wir verstehen Deine große Liebe zu uns armen Sündern immer noch nicht; wir wissen noch immer nicht recht, dass Du nur unsere Seligkeit willst, wenn Du von uns unser Herz, wenn Du Liebe von uns begehrest. O siehe mit Erbarmen auf unsere Armut, auf unseren Mangel, auf unser kaltes liebloses Herz! Gib uns Deinen Geist, lehre und Deine Liebe, lehre uns Dich lieben! Darum bitten wir Dich für diese Stunde. Sei Du mit uns, dann kommt die Liebe in uns; denn Du, Gott, Du bist die Liebe. Amen.

Wir setzen heute, versammelte Christen, unsere Katechismus-Betrachtungen fort, und zwar stehen wir, wie Ihr Euch erinnern werdet, bei dem ersten Gebote, welches wir auch heute noch vor uns nehmen wollen. Hört es mit Andacht.

2 Mos. 20, 2 und 3.
Ich bin der Herr dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthause geführt habe. - Du sollst keine andere Götter haben neben mir.

Luthers Erklärung:
Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.

Das zweite Hauptstück aus dem verlesenen Gebote soll heute der Gegenstand unserer Betrachtung sein. Dies lautet aber:

Wir sollen Gott über alle Dinge lieben.

Lasst uns nun sehen:

  1. was das eigentlich heiße,
  2. warum Gott dieses vor Allem Anderen fordere,
  3. wie es um die Erfüllung desselben bei uns stehe, und
  4. wodurch wir allein zur Erfüllung desselben kommen können.

I.

Also, was heißt das: wir sollen Gott über alle Dinge lieben? wonach unser Herz sich sehnt, wonach es verlangt, woran es sich hängt, was es haben und besitzen möchte, wem es sich hingibt, was es erfreut, was ihm angenehm ist, das liebt es. Verlangt Dein Herz vor Allem nach Geld, nach Ehre und Wollust dieses Lebens, so liebst Du eben das. Ist dir Menschenlob und Schmeicheln angenehm, erfreut Dich die Augenlust, hängt sich Dein Herz an das, was in dieser Welt ist, gibst Du Dich dieser Neigung oder jener Liebhaberei, oder dieser Leidenschaft und jenem Laster hin, - so liebst Du eben das. Nun will Gott aber, wir sollen Ihn über alle Dinge lieben, oder wie es ausdrücklich in seinem Worte heißt: Liebe Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte, von allen Kräften. - Was fordert er damit? Doch offenbar, dass wir unsere Liebe auf keine Weise teilen, dass wir sie keinem Dinge, als solchem, sondern nur Ihm allein zuwenden. Wir sollen Ihn nicht allein mehr lieben, als alle Dinge, sondern wir sollen kein Ding, keine Kreatur, als solche, lieben: nur Gott allein sollen wir lieben über alle Dinge und in allen Dingen. So muss es sein, weil niemand zwei Herren dienen kann, und weil es sonst nicht hieße: Liebe Gott von ganzem Herzen, von allen Kräften, Gott fordert das ganze Herz, die ganze Seele, das ganze Gemüt, alle Kräfte. Nichts von unserem ganzen Menschen darf irgend etwas Anderem, außer Gott gehören; Ihm allein müssen wir mit Allem, was wir sind und haben, gehören; nach Ihm allein verlangen, Ihn allein besitzen, in Ihm allein unsere Freude, unsere Ruhe, unser Alles suchen wollen.

Das heißt im Sinne der Schrift: Gott über alle Dinge lieben. Doch hier könnte jemand sagen: soll ich denn nun Vater und Mutter, Weib und Kind und meine Nebenmenschen, soll ich die übrigen Dinge, die Gott mir zum Segen doch erschaffen hat, denn gar nicht lieben? Soll ich von meinem Kinde, das mich so lieblich anlächelt, mir sein Händchen entgegenstreckt, mich kalt wegwenden? Soll ich zu den Blüten und Blumen im Sommer sprechen: blüht immerhin, ich darf mich an euch nicht freuen? Christen, das wäre ein arger Missverstand des Wortes Gottes. Aber es ist ein Missverstand, mit dem gar Manche das reine Evangelium von Jesu Christo verdächtigen, als nähme es dem Menschen alle wahre Lebensfreude, als töte es in ihm alle Menschenliebe, und was dergleichen mehr. Ich bitte Euch, lasst Euch durch solche Verdächtigungen, die zum Teil aus Unwissenheit, zum Teil aus Unglauben und böser Absicht kommen, nicht irre machen. Missversteht das heutige Wort Gottes hier darum auch nicht. Hört und seht, wie der Herr es meint. Warum hat Er uns Vater und Mutter, Weib und Kind gegeben? warum hat Er Wesen, wie wir sind, neben uns gestellt? Sagt es Euch nicht Euer Christengefühl? Was hättet Ihr von Vater und Mutter, von Weib und Kind, von jedem Menschen, wenn Gott sie nicht nach seinem Bilde geschaffen, wenn nicht etwas von seinem Wesen in ihnen wäre und Euch aus ihnen entgegen käme, wenn Ihr in ihnen nicht Gott, den lebendigen Gott fändet? Was hättet Ihr von den Blumen und Blüten und von allen den schönen Werken, die Gott um Euch gestellt, wenn Ihr in ihnen nicht seine Macht und Güte, wenn Ihr in ihnen nicht seine freundlichen und allweisen Gedanken fändet? Mit Einem Worte: was haben wir von allen Dingen, wenn wir in ihnen nichts von unserem Gotte fühlen, sehen und erkennen? Bedenkt einmal diese Frage recht, meine Lieben, und sagt dann, ob Ihr als Christen die Forderung Gottes, Ihn über alle Dinge zu lieben, noch misszuverstehen könnet? Ist es möglich, dass der Christ ein Ding an sich, ohne Beziehung auf Gott, lieben kann? Gott allein ist ja das höchste Gut, Gott allein ist ja das einzig Wahre und Schöne, Gott allein ist ja das Ewige, Selige, Unvergängliche. Ohne Gott ist kein Ding etwas wert. Ja, was ist denn die höchste aller Kreaturen, der Mensch, ohne Gott? Nur durch Gott hat jedes Ding seinen Wert. Was werden wir also in allen Dingen lieben und suchen müssen? Nichts anderes, als Ihn, den lebendigen Gott. Und in welchen Dingen oder Kreaturen werden wir Ihn am deutlichsten finden, aus wem will er uns am lieblichsten erscheinen und entgegentreten? Nun, Ihr wisst es wohl: aus der Kreatur, die Er nach seinem Bilde geschaffen, aus dem Menschen. Ja, in dem Menschen und durch den Menschen will der ewige, lebendige Gott sich uns vorzugsweise offenbaren; da will Er von uns gesucht und gefunden sein. Darum stellet Er neben das Gebot, Ihn von ganzem Herzen zu lieben, das Gebot: liebe deinen Nächsten als Dich selbst. Darum sagt Johannes: So jemand spricht, ich liebe Gott und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner; denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Begreifet Ihr nun, m. Fr, warum wir Euch immer bitten, Christum lieb zu haben, Ihn zu suchen, auf Ihn zu sehen? Weil in Ihm erschienen ist die Fülle der Gottheit leibhaftig, weil, wer Ihn sieht, den Vater selbst sieht. Begreifet Ihr aber auch nun, was der Heiland an uns armen Sündern gesucht und geliebt? warum er das zerstoßene Rohr nicht zerknickt und den glimmenden Docht nicht auslöscht? Wo auch nur ein Fünkchen von dem Ebenbilde Gottes in dem Menschen sich regt, da sucht Er, da wartet Er, da nährt und pflegt, da kräftigt und stärkt Er, da will Er nicht verloren gehen lassen, da liebt Er mit mehr als Vater- und Mutterliebe. Begreifet Ihr nun, wie der Christ mit seinem Heilande auch für seine Feinde beten muss, wie er nicht anders kann, als segnen, die ihm fluchen, wohltun denen, die ihn beleidigen und verfolgen?

Nun meine Freunde, sollte das Gebot, Gott über alle Dinge zu lieben, noch von uns missverstanden werden, wahrlich! dann wären wir nicht aus Gott, dann wären wir nicht aus der Wahrheit. Wer aus der Wahrheit ist, spricht der Herr, der hört meine Stimme. O lasst sie uns hören!!

II.

Und so fragen wir denn zweitens: warum fordert Gott vor allem Anderen gerade die Liebe von uns? warum ist die Liebe gerade die Hauptsumme, ja die Erfüllung des ganzen Gesetzes und aller Gebote? und warum hat unser Katechismus-Vater, Luther, also bei der Erklärung jedes Gebotes zu dem: wir sollen Gott fürchten, wir sollen Ihn lieben noch dazu gesetzt? Die Antwort darauf ist sehr einfach. Wir haben ja nichts, das wahrhaftig unser wäre, als eben nur die Liebe. Seht doch in Euch und um Euch, was habt Ihr denn, das Euch gehört und das Ihr Ihm, dem Herrn, bringen könntet? Ist es nicht Alles Sein? ist es nicht alles nur von Ihm Anvertrautes und Geliehenes? Spricht Er nicht selbst: Opfer und Brandopfer gefallen mir nicht? Wollte aber jemand sagen: ja das Gute, das man tut, die erfüllte Pflicht, das könnte und müsste man Gott darbringen, den frage ich wieder: was ist denn all Dein Tun, wenn es nicht eben aus der Liebe zu Gott kommt? Sieht Gott die Werke, oder sieht er das Herz an? Ist es nicht am Ende gleichviel, ob der Heide seinem Götzen ein Opfer bringt, oder ob Du Deinen Gott mit dem und dem Werke zufrieden stellen willst, ohne darauf zu achten, wie es mit Deinem Herzen bestellt ist und wie dieses zu dem lebendigen Gotte steht? Oder was ist es denn, wenn Christus sagt: Habt acht auf Euer Almosen!? und Paulus: Wenn ich auch alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre es mir nichts nütze!? Nein, Christen, unser Gott ist ein heiliger und wahrhaftiger Gott; Er lässt sich mit Lippendienst, oder mit der bloßen bürgerlichen Gerechtigkeit, oder mit dem guten Rufe und Namen, den jemand vor der Welt hat, und womit der Mensch Ihn sonst noch zufrieden zu stellen trachtet, nicht abfinden. Das alles ist seiner unwürdig, das ist des Menschen unwürdig, darin ist keine Seligkeit. Wie Er das Beste, was Er nur hat, dem Menschen gibt, sein ganzes Herz, seine ganze Liebe: so fordert Er auch das Beste, was der Mensch nur hat, sein ganzes Herz, seine ganze Liebe. Ja die Liebe, wie sie das Einzige ist, was der Mensch hat, so ist sie auch das Beste, das Höchste, das Edelste, was er nur hat. Das, meine Freunde, brauche ich Euch nicht zu beweisen. Lest das 13. Kapitel im ersten Briefe an die Korinther. Da hat der heilige Geist uns ein Wörtchen von der Liebe gepredigt, wie es wohl nie aus eines Menschen Munde gegangen ist und wohl auch nicht gehen wird. Da fängt es an: Wenn ich mit Menschen und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Da endet es: Nun aber bleibt Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Die will Gott haben, die fordert Er von uns.

III.

Geben wir Ihm nun die, meine Freunde? Oder fordert Er, der uns seine ganze Liebe, der uns sich selbst gibt, fordert Er zu viel, wenn Er Liebe begehrt? Er will ja nur unser Herz. Ist das zu viel? Hat er das nicht verdient? Christen, wenn Ihr aus der Wahrheit seid, wenn Ihr jemals geschmeckt, wie freundlich der Herr ist, müsstet Ihr dann nicht mit Einem Munde und mit Einem Herzen bekennen: Ja, wahrlich! jeder Pulsschlag, jeder Gedanke, jede Kraft, unser ganzes Denken und Sinnen, Leib, Seele und Leben, Ihm, Ihm, dem lebendigen Gott allein, müsste das Alles gehören. Keine Stunde des Lebens dürfte vergehen, wo wir Ihn nicht gesucht, uns nach Ihm nicht gesehnt, wo wir nach seinen Willen nicht gefragt, wo wir auf seine Winke nicht gewartet und geachtet hätten. Kein Tag des Lebens dürfte uns dahin gehen, wo wir nicht nach seinen Befehlen getrachtet, wo nicht sein Wort die Speise unserer Seele gewesen. Ach! und ist denn irgend ein Ding, wie groß und wichtig, wie angenehm und begehrlich es auch der Welt scheine, ist es denn auch nur einer Sorge, einer Stunde, eines Tages wert, ohne Gott? Ist es auch die ganze Welt mit Allem was sie ist und hat, es wert, dass wir auch nur einen Augenblick unser Herz daran hängen und Gott verlassen? Sagt nicht Johannes: Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. So jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters; denn Alles, was in der Welt ist, Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Leben, das ist nicht vom Vater. Und die Welt vergeht mit ihrer Lust. Nein, für Wesen, die nach dem Bilde Gottes geschaffen, taugt keine andere Liebe, als die zu ihrem Urbilde! Für die, welche sich Kinder Gottes nennen, passt keine andere Sehnsucht, als die nach Gott; kein anderes Verlangen, als nach dem Vater, kein anderer Besitz, als der des höchsten Gutes. Gottes Volk darf nur nach seinem Gotte fragen, Gottes Auserwählte dürfen nur Ihm ihr ganzes Herz, ihr ganzes Leben weihen!

Nicht wahr, meine Lieben, das werdet, das müsst Ihr bekennen? Doch legen wir nun die Hand aufs Herz und fragen wir uns vor dem Angesichte des Allwissenden: tun wir auch das, was wir bekennen? leider Nein! geben wir Ihm das Einzige, was er verlangt? abermals Nein! geben wir Ihm Liebe, geben wir unser Herz, Christen! was müssen wir uns bei dieser Frage gestehen? Wie müssen wir uns in dem Angesichte des Alliebenden vorkommen? Bleiben wir auch nur bei dem stehen, was wir gestern, was wir heute Morgen dachten, was wir taten, was wir suchten, wonach wir trachteten. Gehen wir zurück auf die vergangenen Tage und Jahre: ist Alles was wir da geredet und getrieben, um Gotten Willen geschehen? haben wir auch nur eine Sünde, nur eine böse Gewohnheit, nur eine Leidenschaft aus Liebe zu Ihm gelassen? Seine Liebe fordert ja nicht anderes, als dass wir doch nur das Heil unserer eigenen Seele, nur unsere eigene Seligkeit täglich und stündlich suchen sollen. Haben wir das getan? Und wie Vielem haben wir denn aus Liebe zu ihm entsagt, wie Vieles haben wir denn um seinetwillen gekreuzigt und verleugnet, wie viel haben wir denn zu seiner Ehre aufgebaut? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Ist unser Mund alle Tage übergegangen von Lob und Dank, von Bitte und Gebet zum Herrn? Was das Herz liebt, davon redet es täglich, daran denkt es Tag und Nacht. Haben wir von Ihm, dem Barmherzigen und Freundlichen, alle Tage zu unseren Kindern geredet? haben wir uns mit Freuden Allem unterworfen, was er geschickt? haben wir nie gemurrt? sind wir nie unzufrieden gewesen mit dem, was Er gab oder nahm? Ach, Christen, wer könnte bei diesen Fragen seine guten Werke, seine Verdienste und Tugenden herrechnen wollen? Diese Fragen durchschneiden das Herz. Gott sieht nur aufs Herz, und darum können wir nur sagen: Herr! was Du forderst, wir geben es Dir nicht; das Einzige, was Du verlangest, unsere Liebe, unser Herz, wir verweigern es Dir täglich und stündlich. Jede Kreatur folgt Deinem Winke, Du sprichst zu der Sonne, und sie geht auf und leuchtet und wärmet, und geht unter auf Deinen Wink. Du sprichst, und der Mond kehret wieder und scheinet. Du spricht, und alles Kraut geht auf auf Erden, und die Blume blüht auf Deinen Wink, und der Baum trägt Frucht auf Deinen Wink. Alle Kreaturen, welche nur Stimmen haben, sie loben Dich; alle Kreatur folgt Deinen Befehlen. Nur dieses Menschenherz, dies Herz, das Du doch vor Allem anderen zum Wohnplatze der Liebe Dir ersehen, nur dieses Herz widerstrebet Dir, Du Freundlicher und Gütiger; nur dieses Herz, darein Du Deinen ewigen Odem doch gehaucht, das Dein Bild an sich tragen soll, das verleugnet Dich, das verlässt Dich; dieses Menschenherz, das doch den Augenblick voll Lobens und Rühmens über Dich sein sollte, das allein ist Tage lang stumm und weiß von allem Anderen, aber von Dir, dem Vater und Schöpfer, nichts zu sagen und zu rühmen!

Ach, wie tief müssen wir von Deiner Liebe gefallen sein! Wohin muss unsere Seele sich verirret, in welche Finsternis unser Herz geraten; wie weit, wie weit müssen wir mit all unserem Sinnen und Trachten von Dir gewichen sein, Du Vater der Liebe! denn das Einzige, was Du forderst, Liebe zu Dir, wir haben sie nicht, sie fehlt uns!!

Ja, meine Freunde, so ist es mit dem gefallenen Menschen, mit dem Sünder. Das Einzige, was Gott verlangt, er gibt es Ihm nicht.- er hat keine Liebe. Seht, das ist der Sünde Werk und Frucht; das ist des Seelenfeindes List und Trug, dass er dem Menschen die Liebe zu Gott aus dem Herzen gerissen, dass er sein Herz von Gott abgewandt. Seitdem die Sünde in dem Menschen wohnt, seitdem verlässt er Gott und flieht Ihn, und kann nur mit knechtischer Furcht und mit Zittern seiner gedenken. Und seitdem die Sünde aus des Menschen Herzen die Liebe gerissen und es von Gott abgewandt, seitdem ist all' sein Denken und Tun verdorben, er ist ein Übertreter des ganzen Gesetzes: denn die Liebe nur ist des Gesetzes Erfüllung.

So steht es also mit uns, wie wir von Natur und aus uns selbst sind; so steht es um jeden unwiedergeborenen und unerlösten Sünder. Es fehlt ihm die Liebe, welche ist des Gesetzes Erfüllung; die Liebe, welche ist das ewige Leben; die Liebe, welche ist Gott selbst: denn Gott ist die Liebe, und nur wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Fühlet aber auch nun, was das heißt: mir fehlt die Liebe! Das heißt nichts anders, als: ich bin ein Übertreter des ganzen Gesetzes Gottes, mich trifft der Fluch, der auf der Übertretung ruhet, ich bin ein armer, verlorener und verdammter Sünder. Das, das muss uns zum Bewusstsein kommen bei dem Worte: Du sollest Gott über alle Dinge lieben. Denn aus dem Gesetze kommet Erkenntnis der Sünde. O dass wir das nun auch nur recht erkennten, dass wir das doch Alle mit Schmerzen fühlten und beweinten! O dass wir uns Alle doch sehnten, heraus zu kommen aus diesem geistigen Tode, aus dieser Losgerissenheit von Gott; dass uns doch aus Herzensgrunde verlangte nach Lust und Kraft, um Ihn, den lebendigen Gott, zu lieben mit ganzem Herzen!! Denn wahrhaftig, Gott will nicht des Sünders Tod, sondern dass er sich bekehre und lebe. Und kann auch die Mutter vergessen des Säuglings, dass sie sich nicht über den Sohn ihres Leibes erbarme? Vergäße sie sein, ich will dein nicht vergessen! (Jesaia 49, 15.) spricht der Herr.

Ja wahrhaftig, wir können aus dem Tode in das Leben, wir können aus der Sünde in die Gerechtigkeit, wir können aus der Feindschaft in die Liebe kommen!!

Doch wie? das lasst mich Euch Viertens noch sagen.

IV.

Man hat sich viel darum gemüht, zu zeigen und zu beweisen, auf welche Weise in dem Menschenherzen die Liebe zu Gott zu Stande kommen und warum man Ihn notwendig lieben müsse. Die Worte, die man dabei gemacht, die klingen recht gut, aber mit der Tat sieht es übel aus; denn die Liebe, die ist etwas, was man dem Menschen weder andemonstrieren, noch anbefehlen, noch abzwingen kann. Freiwillig will sie gegeben sein, sonst ist es keine Liebe. Und das ist es eben, warum es sich handelt: das widerstrebende, feindlich gegen Gott gesinnte Herz zum freiwilligen Gehorsame, zur hingebenden Liebe zu bringen. Man hat z. B. gesagt: schon die Betrachtungen der Eigenschaften und Vollkommenheiten Gottes oder seiner Werke in der Natur müssten das Herz zur Liebe treiben. Oder der Gedanke an das, was Gott uns täglich gibt, der Hinblick auf die Fügungen unseres Lebens und Ähnliches, müsse den Menschen schon zur Liebe bewegen. Das ist wohl wahr, aber das Alles setzt in dem Menschen etwas voraus, was in ihm, als in dem abgefallenen Sünder, gar nicht ist, die lebendige, wahre Erkenntnis Gottes. So mag dann vielleicht manche Seele glauben, weil sie nun eben weiß, woraus die Liebe zu Gott entstehen kann, und weil sie nun nicht gerade vorsätzlich Gott widerstreben will, es sei die Liebe zu Gott in ihr. Irret Euch nicht, meine Lieben, unser Herz, wie es ist, braucht mehr, als alle Welt- und Menschenweisheit geben kann. Wir kommen nicht aus dem Tode ins Leben, es werde uns denn das Leben gegeben. Wir kommen nicht aus der Feindschaft in die Liebe, es erscheine uns denn die ewige Liebe selbst und gebe sich uns zuerst. Nicht eher geben wir freiwillig unser ganzes Herz dem lebendigen Gotte, wir erkennen denn, wie er uns arme, verlorene Sünder zuerst geliebt. Darin steht die Liebe, sagt, Johannes, nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt hat. Nun ist sie aber uns erschienen, diese Liebe Gottes; sie ist herabgekommen in unser Elend; unser Fleisch und Blut hat sie angenommen; sie hat gewandelt unter uns; sie hat gesucht, was verloren, und sucht es noch, sie hat gesegnet die Elenden; sie hat erquickt die Mühseligen und Beladenen; sie hat geheilt die Zerbrochenen; sie hat sich für uns mit Dornen frönen und geißeln und kreuzigen lassen; sie hat für die Feinde gebetet. Ja in Christo, da ist sie uns erschienen, die wesentliche Liebe Gottes, die Liebe zu uns Sündern. Alles, was wir an Christo sehen, das ist Gottes Liebe zu uns, das ist sein Vaterherz gegen uns. Denn wer mich sieht, spricht der Herr, der sieht den Vater. Ohne Christum, wer kann, wer darf es glauben, dass Gott ihn liebt? ohne Christum, wer kann auch nur ein Herz zu Gott fassen? Das ist ja die Unseligkeit der Sünde, dass der Mensch an die unaussprechliche Liebe Gottes gar nicht glauben kann, dass er sich nicht mit Gott versöhnen kann. Das ist das Werk der Finsternis, dass sie die Liebe Gottes in des Menschen Brust zur Tyrannei verkehrt, dass sie das sanfte Joch und die leichte Last zur unerträglichen Fessel macht, so dass der natürliche, unbekehrte Mensch alle Gebote Gottes lieber übertreten, als erfüllen möchte. Christus, die gekreuzigte Liebe, das ist das eine und einzige Licht, das diese Finsternis und Verkehrtheit bricht, das Eine und Einzige, das uns mit Gott versöhnen, das uns an Gottes Liebe und Erbarmen glauben machen, das uns zur wahren Erkenntnis Gottes bringen kann.

Habt Ihr, meine Freunde, diese Liebe, wie sie in Christo erschienen und sich für uns dahingegeben, so recht in Euerem Herzen beweget? habt Ihr es recht bedacht, welch' Unaussprechliches der Sohn Gottes für uns getan, und was es Ihm gekostet, uns vom Verderben zu erretten? Ach, wenn wir sie sehen könnten, die Liebesarme, wie Er sie täglich und stündlich nach uns ausstreckt! wenn wir es Alle wüssten, wie Er vom ersten Hauche unseres Lebens an uns getragen; wie Er uns umgeben; wie Er täglich vor der Tür unseres Herzens gestanden; wie Er durch tausend und tausend Stimmen uns gelockt, gebeten, gewarnt, doch ja zu bedenken, was zu unserem Frieden dient!

Und nun, da wir seine Liebe erkannten, nun, da wir auf seine Stimme hörten, nun, da wir anfingen, zu glauben an Ihn: mit welchem Erbarmen mit welcher Langmut, mit welcher Schonung und Geduld hat Er uns getragen? O Christen, sind Euch die Augen aufgegangen über die Liebe des Heilandes Euerer Seele, habt Ihr in sein Herz gesehen, in das Herz ohne Falsch, in das ewige treue Freundes- und Bruderherz, und müsst Ihr nun bekennen: das ist Gottes Liebe, das ist Gottes Herz, also hat Gott die Welt geliebt! sagt, werdet Ihr dann noch diesem Euerem Herrn und Gotte Euer Herz verschließen, Euere Liebe entziehen wollen? Werdet Ihr hingehen und Euch von Ihm abwenden und Euer Herz mit Freuden noch an die Welt, und was in ihr ist, hängen wollen? Christen! Er will ja nichts mehr, als unser Herz; er fordert ja nichts, als Liebe. Wäre es möglich, dass wir Ihm das verweigerten? Nein, nein, wir können nicht anders, wir müssen Ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte, oder wir haben die Liebe Gottes in Christo noch nie erkannt!

So gebe denn der Vater der Barmherzigkeit Euch die lebendige Erkenntnis seines Sohnes selbst in Euere Herzen, auf das Ihr begreifen möget, welches da sei die Länge und Breite, die Höhe und die Tiefe seiner Liebe! Er verhelfe Euch aus Gnaden zu der Liebe, welche ist des Gesetzes Erfüllung, welche Gott selbst ist! Er lasse Euch täglich und stündlich fühlen seine Sünderliebe, auf das Ihr nichts anderes begehren möget, als Ihm zu gehören mit Leib und Seele und Ihn zu lieben über alle Dinge! Und so lasst uns denn mit einem Herzen ohne Falsch zu Ihm sagen:

Ich will Dich lieben, meine Stärke,
Ich will Dich lieben, meine Zier;
Ich will Dich lieben mit dem Werke
Und immerwährender Begier;
Ich will Dich lieben, schönstes Licht,
Bis mir das Herz im Tode bricht.

Amen!