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Hofacker, Wilhelm - Am zweiten Sonntag nach dem Erscheinungsfest.

Text: Röm. 12, 6-16.
Wir haben mancherlei Gaben, nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich. Hat jemand ein Amt, so warte er des Amts. Lehret jemand, so warte er der Lehre. Ermahnet jemand, so warte er des Ermahnens. Gibt jemand, so gebe er einfältiglich. Regieret jemand, so sei er sorgfältig. Uebet jemand Barmherzigkeit, so thue er es mit Lust. Die Liebe sei nicht falsch. Hasset das Arge, hanget dem Guten an. Die brüderliche Liebe unter einander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge, was ihr thun sollt. Seid brünstig im Geist. Schicket euch in die Zeit. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet. Nehmet euch der Heiligen Nothdurft an. Herberget gerne. Segnet, die euch verfolgen; segnet und fluchet nicht. Freuet euch mit den Fröhlichen, und weinet mit den Weinenden. Habt einerlei Sinn unter einander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Niedrigen.

Oft hört man gegenwärtig die Behauptung aufstellen, unsere Zeit sei eine Zeit der Reformen, und ihre ächte und hauptsächliche Aufgabe sei, zu reformiren, zu erneuern und zu verbessern, ja es gibt ein Land in unserm Welttheil, in welchem Reform das dritte Wort ist, das man von den Lippen des Volkes hört. Es ist nur zu bedauern, daß so gar Viele dabei gänzlich in Finsterniß tappen, und die Sache häufig nicht nur von der unrechten Seite zu betrachten, sondern sogar auf oft ungeschickte Weise von der unrechten Seite anzufassen pflegen. Viele glauben nämlich, es müsse von Oben herab reformirt werden; neue Staats-Einrichtungen, neue Verfassungen, neue Gesetze, neue Verordnungen werden den Schaden Josephs heilen und Glück und Segen unter den Völkern verbreiten; ein neues Geschlecht werde dann erstehen, das in ungeschmälertem Wohlstand, in ungebundener Freiheit sich ergehen und die Fabel von jener märchenhaften Glückseligkeits-Insel zur Wirklichkeit bringen werde. Wohl ist es wahr, daß von Oben herab außerordentlich viel Heil und Segen ausgehen kann, wenn Gottesfurcht und Frömmigkeit der heilige Gurt der Obrigkeiten ist, wenn Gerechtigkeit und Wahrheit der Throne Festung ist, wenn das theure Evangelium von Oben herab als Wort aus Gottes Munde geschützt, geliebt und empfohlen wird, - o dann strömen Gießbäche des Segens von Oben herab, dann gleichen die Hohen der menschlichen Gesellschaft jenen in der Glorie morgendlichen Glanzes thronenden Alpenfirnen, von denen herab crystallhelle und klare Bäche fließen, an deren Ufern gesegnete Völker wohnen und an deren Saum herrliche Städte und Landschaften sich ausbreiten. Aber was helfen die besten Staatseinrichtungen, was helfen die frömmsten Obrigkeiten, wenn das Volk in der Nacht des Unglaubens dahinlebt und Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Wesen ihren furchtbaren Sitz unter demselben aufgeschlagen haben? was helfen die besten Gesetze, wenn Frechheit statt Gottesfurcht, wenn Leichtsinn statt Frömmigkeit, wenn Ueppigkeit statt Rechtschaffenheit unter ihm herrscht, und die Laster und Sünden der Finsterniß an seinem Lebensmark nagen? Die Erfahrung antwortet; ich kann darüber schweigen.

Deßwegen sagen andere: es muß von Unten herauf reformirt werden. Das Volk muß gebildet und aufgeklärt werden; da muß man dem Aberglauben wehren, da muß man wichtige Kenntnisse und Fähigkeiten verbreiten; von da muß das Heil ausgehen; darum muß der Volks-Unterricht der vorgeschrittenen Aufklärung der Zeit angepaßt, überall muß Licht verbreitet werden; dann wird's besser gehen, dann wird das Heil auf einer guten und soliden Unterlage beruhen. Wohl ist's wahr, daß auch dem Niedrigsten im Volke Licht und Wahrheit gebracht werden muß; leuchtet ja die Sonne auch über Berg und Thal, und Jeder, der auf Erden wandelt, wird von ihr bestrahlt. Auch nützliche Kenntnisse und Fertigkeiten sollen Gemeingut der Menschen werden. Aber prüfet wohl, ob das auch wirklich Licht und Aufklärung ist, was das Geschrei der Menschen dafür ausgibt. O wie gewöhnlich ist's geworden, daß der Kopf mit allerlei Wissen gefüllt, und der äußerliche Mensch geglättet und überfirnißt wird, während der Wurm des Verderbens und des Todes am Herzen nagt. Da kommen dann Leute zum Vorschein, verständig und geschickt, glatt und gebildet, aber eiskalt und todt am inwendigen Menschen; kein Lebenshauch aus der Liebe Christi bewegt sie; sie sind zwar künstlich geformte, aber erstarrte Bildsäulen ohne irgend eine höhere Sehnsucht, alles berechnend, alles beurtheilend, über alles hinwegsehend; sie haben, wie sie sagen, Raum in ihrem Herzen für alle Interessen der Menschheit und doch kein Plätzlein, auch nur eine Hand breit, für Christum und seine Sache. O arme Welt, die also reformirt, o arme Menschheit, der also geholfen werden soll! Aber wie nun? soll denn Alles beim Alten bleiben? Da sei Gott für! Die Welt liegt im Argen, wie die Schrift sagt, und darum muß sie reformirt werden. Und wie geht das zu? Antwort: sie muß von Innen heraus reformirt werden, das ist der Schlüssel zum Geheimniß. Erneuert euch aber im Geiste eures Gemüths, - hat der Apostel Paulus gesprochen, und bei diesem Größten aller Reformatoren sollten Alle in die Schule gehen, die reformiren wollen. Ja im Gemüthe, und nicht bloß im Gemüthe, sondern im Geiste des Gemüths, in der tiefsten Wurzel des Gemüths, wo alle Lebensadern wie in Einem Mittelpunkte zusammenlaufen, und von wo aus alle Lebensthätigkeit bis in die äußersten Fasern hinausgesendet wird, dort muß begonnen werden. Wenn hier einmal der Geist von Oben umwandelt und neu gebieret; wenn dort einmal die Frage entsteht: was muß ich thun, daß ich selig werde, und wenn einmal von dort aus durch die Gaue eines Volks die Feuersignale eines neuen Lebens sich verbreiten; dann ist die rechte Zeit der Reformen angebrochen. Dann wird in allen Sphären des bürgerlichen Lebens eine gesegnete Wirkung sich verspüren lassen und das Wort Christi in vollem Sinn sich bewähren: Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.

So haben die Apostel reformirt und der ganzen Welt eine neue Gestalt und Form gegeben, und ihr Werk ist geblieben bis auf den heutigen Tag. So hat Luther reformirt, und dem Rade der Weltentwicklung einen veränderten Umschwung gegeben, und was seine Hand gesäet, haben drei Jahrhunderte nicht auszureuten vermocht. Denn was von Innen heraus durch Gottesfurcht reformirt wird, das hat den Keim der Ewigkeit und Unauflöslichkeit in sich, weil Gott ewig ist, und während alle übrigen Reformen in den Staub dahinsinken, so bleiben die, die von Innen kamen, und blühen und grünen in ewiger Jugend und unvergänglicher Herrlichkeit.

Dieß leitet uns zu der wichtigen Frage:

Wann wird's besser werden?

Wir antworten im Sinne und im Geiste des Apostels, dessen Textesworte uns Regel und Richtschnur sind:

Dann, wenn Christus allenthalben und in allen Lebens-Verhältnissen mehr und mehr zur Herrschaft gelangt.

I.

Wenn es besser werden soll, so muß Christus allenthalben und in allen Lebensverhältnissen mehr und mehr zur Herrschaft gelangen: dieß ist ein so einfacher und für jeden Christen so einleuchtender Satz, daß er eigentlich keines Beweises bedarf. Sagt doch auch die Heilige Schrift auf allen ihren Blättern, daß für alle Bedürfnisse der Menschheit in keinem Andern Heil, und kein anderer Name den Menschen gegeben sei, darin sie sollen glücklich und selig werden, denn allein der Name Jesu Christi. Der Lebenskreise aber, in welcher sich die Menschheit bewegt, gibt es gar vielerlei, wir bleiben jedoch bei den bedeutendsten und allgemeinsten stehen, in welchen wir alle uns bewegt haben, und noch bewegen. Je allseitiger und ungetheilter Jesus Christus in ihnen zur Anerkennung kommt, desto sicherer und reichlicher kommt Segen und Heil über die Menschheit. Wir beginnen mit dem kleinsten Lebenskreis mit dem Haus, mit der Familie. Daß es dort vor allen Dingen durch Christum besser werden muß, wenn es überhaupt besser werden soll, ist eine ausgemachte Sache.

1)

Gut aber steht es im Hause, in der Familie nur dann, wenn das Wort des Apostels in unserer Epistel Grundgesetz und Fundament ist: Habt einerlei Sinn unter einander. Einigkeit, Eintracht und Friede ist allein diejenige solide und haltbare Grundlage, auf welcher das Glück eines Hauses dauernd begründet werden kann. Schon in zeitlicher und irdischer Hinsicht ist nur da Segen, wo Friede herrscht; es ist ein wahres Sprüchwort: Friede nährt, Unfriede verzehrt; es ist durch unzählige Erfahrungen bewährt, daß nur Einigkeit der feste Kitt ist, welcher den Wohlstand der Familien dauernd zusammenhält. Noch viel weniger aber ist an die innerliche Wohlfahrt eines Hauses zu denken, noch viel weniger ist Wachsthum der einzelnen Glieder desselben in der Gnade und Erkenntniß Jesu Christi, in lebendiger Gottseligkeit und Frömmigkeit zu erwarten, wenn Zwietracht die Gemüther zertheilt, wenn die Furie des Streites durch, die Gemächer schreitet, wenn Hader und Zank die Brandfackel losgelassener Leidenschaften in den Giebel schleudert. Innerlich gedeihen in Gottseligkeit kann in einem unfriedlichen Hause höchstens nur ein oder das andere Glied, wenn es sich leidet als ein guter Streiter Christi unter einem verkehrten und unschlachtigen Geschlecht; nie aber alle zusammen; nie wird dann das ganze Haus blühen und grünen als ein Garten Gottes, als eine Pflanzstätte seines Geistes. Herrscht hingegen ein Friedensgeist in einem Hause; bindet Eintracht die Herzen zusammen, o das wirkt wie ein befruchtender, wie ein segensreicher Sonnenstrahl von Oben; da kommen Früchte des Geistes zum Vorschein, da blühen die Blumen des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung; da wird der Vater gepriesen im Sohne. Wer kann denn aber so die Seelen mit dem Band des Friedens umschlingen, wer kann die oft widersprechenden Temperamente in Harmonie verknüpfen, wer kann die oft so schroffen und eckigen Seiten unsers Wesens, womit wir die andern leicht verwunden und verletzen, schleifen und glätten? - Niemand anders, als Jesus Christus der Friedensfürst, der zugleich der Arzt unsrer Seele ist, und uns alle zusammenhält durch die stille Macht der Liebe, dieses zarte Band der Vollkommenheit.

Darum leuchte in unsern Häusern, als erster Hoffnungsstern unvergänglichen Segens, das Wort: Habt einerlei Sinn unter einander.

2)

Das zweite Wort, das in unserer Epistel besonders dem christlichen Hause gilt, ist die Mahnung: seid geduldig in Trübsal. Das Haus, die Familie ist der hauptsächlichste Schauplatz der Leiden der Menschheit; hier gibt's Gemächer des Kummers und Stätten der Trauer; hier gibt's blutige Risse, wenn ein theures Haupt in jammervoller Krankheit dahinsiecht, und der Tod die enggeschlossene Kette der in Liebe verbundenen Glieder zerreißt; hier gibt's schwere Sorgennächte und düstere Jammertage, wenn die Frage ertönt: Was sollen wir essen, was sollen wir trinken, womit werden wir uns kleiden? und es will uns keine Antwort werden weder im Hause noch außer dem Hause; hier gibt's verborgene Thränen, die Niemand zählet, und verborgenen Kummer, den Niemand errathet; hier gibt's Wunden, die uns an der empfindlichsten Seite verletzen, und innere Läuterungen, die das Gold des Glaubens mit siebenfachem Feuer durchglühen. Darum ist hauptsächlich im häuslichen Kreise Geduld in den Trübsalen von Nöthen, willige Ergebung in den alles wohlmachenden Willen des HErrn und kindliche Nachfolge auch durch die finstersten Nächte zu den lichten Höhen, in welche sich Gottes heilige Führungen endlich siegreich verlieren. Wer kann denn aber die Hausgenossen mit diesem heiligen Dulders-Sinn erfüllen? Wer kann denn unsere so leidensscheue Natur unter das Joch der Ergebung beugen? und wann wird im stillen Familienkreise die edle Geduldsblume erblühen? dann am Gewissesten, wenn Christus in ihm herrscht, Er, der durch Leiden des Todes vollendet wurde, Er, der allen Leidenden leuchtende Fußstapfen zurückgelassen und am Stamme des Kreuzes auch ihnen die Kräfte erworben hat zum Ausharren und zur Geduld in der Hoffnung. An seiner Hand und in seiner Kraft macht uns auch das schwere Wort nicht mehr bange: „seid geduldig in Trübsal.“

3)

Daran reiht sich aber noch die dritte Mahnung, die gerade für den häuslichen Kreis von Wichtigkeit ist: Haltet an am Gebet. Kein Lebenskreis schließt mehr Gefahren in sich, den Menschen nach und nach in Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit gegen das Ewige einzuwiegen, und durch die Bande des irdischen Besitzes und des häuslichen Erwerbs zu verstricken, und in ein elendes, mechanisches, ungesalzenes Alltagsleben hinabzuziehen, als eben der Familienkreis. Schiffen wir auf unsrer Lebensbarke auf ruhiger wellenloser See dahin, lächelt uns vielleicht ein irdisches Glück, erleben wir Freude an Kindern und im Berufe, - o wie vergessen wir dann sobald des HErrn! wie nimmt der äußere Beruf all unser Dichten und Trachten gefangen, wie werden wir in Hochmuth und in Eigenliebe, in Wohlleben und Weltförmigkeit, in Geiz und Habsucht gefangen, so daß wir dadurch um unser ewiges Erbe auf traurige Weise betrogen werden. Was kann uns da retten aus den Gefahren des häuslichen Kreises? was kann uns da allein unüberwindlich machen gegen die listigen Anläufe des Teufels, was kann uns den Blick auf das unvergängliche Kleinod allein unverrückt erhalten? o nichts anders als das Anhalten am Gebet. Wer nicht betet, wer diesen verläßlichen Stecken und Stab aus der Hand gibt, der begibt sich eben damit des sichersten Führers zum ewigen Leben; und wo in einem Hause nicht gebetet wird, da ist dem Feinde der Seelen Thür und Thor geöffnet, da dringt der Weltsinn zu jeder Spalte und zu jeder Oeffnung herein; da wanken die Säulen und stürzen die Wände. Christus aber allein ist's, in dessen Namen unser Gebet ein wohlgefälliges Rauchwerk vor dem Vater ist; Christus allein ist's, dessen Geist in uns das erhörliche Abba stammelt und uns mit kindlichem Vertrauen vor den Thron der Gnade treten heißt; Christus allein ist's, der, wenn auch lauter Nein erscheinen, uns Muth gibt, auszuhalten und nicht zu wanken, bis der Scepter der Barmherzigkeit sich gegen uns neigt und ein göttliches Ja uns zugeflüstert wird. Und darum, ist Christus A und O, der Erste und der Letzte, einiger Gott und unentbehrlicher Schild eines jeden christlichen Hauses - dann ist Friede das Fundament desselben, dann Geduld seine Stütze in den Stürmen der Welt, dann das Gebet die Seele, die darin weht und waltet und jedem, der hineintritt, mit freundlichem Himmelsgruß entgegenkommt.

II.

Wir verlassen den häuslichen Kreis und treten in einen weitern Lebenskreis ein, in den umfassenderen, in den größeren der Schule. Soll es besser werden auf Erden, so muß Jesus Christus vor allen Dingen eine Gestalt gewinnen in der Schule.

l)

Dieß geschieht aber hauptsächlich dann, wenn die Lehrer zuerst das Wort vernehmen und verstehen, das der Apostel in der Epistel besonders ihnen zu Gemüthe führt: Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet Euch herab zu den Niedrigen. Die Niedrigen, die Kleinen, die zarten Kinderherzen sind ihnen zugewiesen, deren Engel alle Zeit das Angesicht des Vaters sehen. Soll aus diesen etwas werden zum Lobe der herrlichen Gnade Gottes, so muß der Lehrer zu ihnen sich herniederhalten, zu ihnen herabsteigen, um sie so mit sich zur Sonnenhöhe der Gnade Gottes emporzuführen. Das Trachten nach hohen Dingen führt nur zum Tode und zum Verderben. Zwar nach den höchsten Dingen sollen die Lehrer trachten, denn Höheres und Größeres gibt es ja nicht, als die Seelen, die ihnen anvertraut sind, Christo zuzuführen, bei Christo zu bewachen und zu bewahren und in seiner Gemeinschaft, in seiner Erkenntniß und Gnade ihnen zu einem fröhlichen Wachsthum zu verhelfen. Das sind hohe Dinge, die ihnen unverwehrt und unbenommen bleiben, - aber wehe ihnen, wenn sie die Höhen der Vernunft besteigen, auf welchen man herabsieht auf das einfache und ungeschminkte Evangelium, wehe ihnen, wenn sie, statt die Kinder in die Fülle des göttlichen Worts hineinzuleiten, ihnen taube Schalen von Menschenweisheit und selbst erdachte Fündlein vorzeigen. O wann wird es doch aus) einmal zur allgemeinen Anerkennung kommen, daß alles Wissen unserer Kinder nur Stück- und Lappenwerk ist, wenn sie Jesum Christum nicht kennen, den Kern und Stern aller menschlichen und göttlichen Wissenschaft, in welchem alle Strahlen der Wahrheit wie in einem Brennpunkte zusammenlaufen? O, wann wird es einmal allgemeiner anerkannt werden, daß wie das Kindesalter auch nur körperlich gedeiht bei der lauteren Milch, so die lautere unversetzte Milch des Evangeliums die gesundeste Nahrung für den jugendlichen Geist ist? Das Wort von Jesu verstehen auch die kleinsten Kinder; diesen Felsengrund aller Erkenntniß faßt auch das zarteste Alter, dieser Kern erschließt sich auch geringern Gaben. Aber bei wem können die Lehrer jenes Sichherunterhalten zu den Niedrigen, und jenes Hochhalten der theuer erkauften Seelen besser und anschaulicher lernen, als bei dem, der aller Lehrenden und aller Lernenden heiliger Vorgänger ist? Er hielt sich herab zu den Niedrigen, Er kleidete die Geheimnisse seines Reiches in geringe und einfältige Worte; Er hat sich in unbeschreiblicher Huld und Milde selbst den Kleinen besonders zugeneigt und jenes mahnende Wort gesprochen, das durch alle Jahrtausende forttönt: „Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes.“ Wo dieses Wort zur Wahrheit und zum Leben wird, da wird die Schule blühen in unvergänglichem Flor.

2)

Aber auch für die Kinder enthält unsere Epistel ein reiches Ermahnungswort, denn sie müssen auch dabei sein, wenn es soll besser werden in der Schule und durch dieselbe in der Welt. Hasset das Arge, hanget dem Guten an, spricht der Apostel. O es ist unbegreiflich, wie oft schon die Argheit des menschlichen Herzens in der Schule zu Tage tritt, wie oft der Arge, der Seelenmörder hier schon sein finsteres Panier ausbreitet, wie oft die Schule die Stickluft des Verderbens und des geistlichen Todes in sich schließt; da hausen oft Lüge und Trägheit, Dieberei und Leichtsinn, ja oft sogar Greuel der Finsterniß und des Entsetzens. Und darum kann nicht frühe genug- den Kindern zugerufen werden: Hasset das Arge in allen seinen Gestalten; fliehet vor der Sünde, wie vor einer Schlange, denn so du ihr zu nahe kommst, so sticht sie dich, ihre Zähne sind wie Löwenzähne und tödten den Menschen; und darum können auch die Kinderherzen nicht angelegentlich genug von ihren Eltern und Lehrern dem großen Erzhirten der Schafe und Lämmer zur Bewachung und Pflege empfohlen werden. Wann aber werden sie das Arge am sichersten hassen? wann werden sie die Greuel der Sünde am sichersten fliehen und meiden? dann wenn sie dem Guten anhangen, ja dem besten und treuesten Freund ihrer Seelen, in dessen Person alles Gute, alles Heilige, alles was keusch, was wahrhaftig, was ehrbar, was züchtig, was gerecht, ist etwa ein Lob, ist etwa eine Tugend, wie im Mittelpunkte zusammengefaßt ist. Ja, liebe Kinder, hanget dem Guten, dem Heiland an; hanget dem an, der euch geliebt, der für euch geblutet und gestritten, der euch erkauft und erlöset hat; erfüllet seine Freude, daß ihr Ihm lebet, Ihm dienet, Ihm leidet, Ihm sterbet, - o dann blühet eure Schule, dann wandeln Friedensengel durch eure Gemächer, dann thronet seine Gnade in eurer Mitte und über euch stehet der Himmel offen. Hasset das Arge, hanget dem Guten an!

3)

Dann wird auch das dritte Wort wahr werden, das seine beste Anwendung in der Schule findet: Seid nicht träge zu dem, was ihr thun sollt. In, der Schule soll ein reger thätiger und fleißiger Sinn herrschen, da soll die Arbeit nicht rasten, der Eifer nicht verglühen. Wie die Bienen die Frühlings- und die Sommermonate benutzen und allezeit eintragen den Honig, von welchem sie in der rauhern Jahreszeit leben sollen, so soll Strebsamkeit und Emsigkeit die Schule beleben. Denn die Schule soll brauchbare, geschickte, anstellige Schüler in das öffentliche Leben entlassen, kein zuchtloses, unwissendes und träges Geschlecht soll heranwachsen. Wann aber wird dieser Geist des Fleißes und der Arbeitsamkeit herrschen? wann wird man, ohne die oft so verderblichen Triebfedern des Ehrgeizes in Bewegung zu setzen, Freude und Wohlgefallen an den Schülern erleben? o dann am sichersten, dann am gewissesten, wenn der Geist Christi in der Schule weht; dieser Geist ist ein lebendiger und lebendigmachender Geist, der die Trägheit verscheucht, der die schlummernden Kräfte weckt, die Lässigen spornt, die Lauen begeistert. Darum ist auch für die Schule kein besseres Heil, als wenn Christus in ihr herrscht, und sein Scepter in ihr regiert.

III.

Jedoch wir verlassen die Schule, und treten in einen noch umfassenderen Lebenskreis, von dessen Blüthe und gedeihlichem Wachsthum unendlich viel abhängt, ich meine die Kirche, die Gemeinde. Daß die Mauern Zions durchbrochen sind und die Kirche des HErrn vielfach wüste liegt und öde, das ist eine Klage, die weit über die Grenzen unseres Vaterlandes sich hinauserstrecket. Häufig gleicht ja die Kirche des HErrn einer ehrwürdigen Ruine aus alter Zeit, aus der das Leben geflohen, und in der der Tod seine Behausung aufgeschlagen hat. Wann kann, wann wird es hier besser werden? O nur dann, wenn der Geist dessen wieder lebendiger weht, der alles in allem erfüllet, o nur dann, wenn der Lebensodem Jesu Christi durch die Todtengebeine rauscht und wir ein neues Pfingsten feiern und die Geistesflammen feurig wieder niederzucken. Soll es aber dahin kommen, so ist es nöthig,

1)

daß diejenigen, die der HErr zu Lehrern und Bischöfen gesetzt hat, um zu weiden die Heerde, welche er mit seinem eigenen Blute erlauft hat, die Worte bedenken, die der Apostel in unserer Epistel an sie. besonders richtet: Hat Jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich, hat Jemand ein Amt, so warte er des Amts; lehret Jemand, so warte er der Lehre; ermahnet Jemand, so warte er des Ermahnend Damit ist allen Predigern Zweck und Ziel ihres Amtes vorgezeichnet und Treue und Wachsamkeit ihnen zur heiligsten Pflicht gemacht. Ihre Verkündigung sei dem Glauben., dem alten apostolischen Glauben ähnlich; damit muß alles übereinstimmen, aus dieser Quelle muß alles geschöpft werden, das muß die Weide sein, auf welcher sie sich mit ihren Heerden ergehen. Nicht eigene Weisheit, nicht hohe Gedanken menschlicher Beredtsamkeit haben sie auszukramen, nicht anbequemen sollen sie sich dem oft so verdorbenen Geschmack ihrer Zuhörer, die da gerne sich Lehren auslesen, wonach ihre verwöhnten Ohren jücken, - nein! sie sollen bleiben bei der heilsamen Lehre, bei dem Grund, der da gelegt ist, welcher ist Jesus Christus und zwar der Gekreuzigte und Erhöhete. Und darin sollen sie Eifer und Muth und Freudigkeit beweisen, ihres Amtes warten ohne Menschenfurcht und Menschengefälligkeit und, wenn ihr Amt auch Lasten auferlegt, aushalten und ausdauern, bis der HErr sie einst einführt zur ersehnten Ruhe des Volkes Gottes. Wann aber werden sie es vermögen, sich so darzustellen als Diener Gottes in allen Stücken und in allen Anfechtungen? o nur dann, wenn Christus in ihnen lebt,' - o nur dann, wenn sie in die Fußtapfen des Apostels treten, der mehr gearbeitet hat, als alle übrigen, dennoch aber sprach: nicht daß ich tüchtig wäre, von mir selber etwas zu denken als von mir selber, sondern daß ich tüchtig bin, ist von Gott; - und ein anderesmal hinzusetzte: die Liebe Christi nur dränget mich, seine Kraft ist in meiner Schwachheit mächtig; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus. Dann werden die Diener des Worts anhalten mit Lehren und Ermahnen und Strafen zur rechten Zeit und zur Unzeit und sich selbst selig machen und diejenigen, die sie hören.

2)

Soll aber die Kirche Christi blühen durch ihren Dienst, so dürfen diejenigen nicht zurückbleiben, welche zugerichtet werden sollen zu Gefäßen der Barmherzigkeit, auf daß der Leib Christi erbauet werde. Ihnen gilt besonders das Wort Pauli in unserer Epistel: seid brünstig im Geist. Als die Emmaus-Jünger mit einander davon redeten, was sie unterwegs erlebt, erfahren und genossen hatten, da hatten sie keinen bezeichnenderen Ausdruck für jene unauslöschlichen Eindrücke als den: brannte nicht unser Herz in uns, als Er mit uns redete auf dem Wege. Sie waren also brünstig im Geist. Ja wenn man brennt vor Sehnsucht, immer tiefer einzudringen in das Geheimniß Christi und die reichen Schatzkammern des göttlichen Worts; wenn man brennt vor Verlangen, immer mehr zu wachsen in der Erkenntniß und in der Gnade Jesu Christi; wenn man brennt vor Verlangen, immer mehr aus sich heraus, hinein sich zu schwingen in Christum und seine Gerechtigkeit, wenn man brennt von heiligem Trieb, immer mehr in das Bild seiner Herrlichkeit gestaltet zu werden, von einer Klarheit zu der andern; wenn man brennt vor Theilnahme, daß doch mehr und mehr die Welt der Erkenntniß Christi voll werde und sein Wort die Erde bedecke, wie mit Meereswogen, - dann ist man brünstig im Geist. Solche Inbrunst des Geistes kann keine Macht der Hölle mehr auslöschen; solche Flammen müssen im Sturmwind der Welt nur um so fröhlicher lodern. Aber nur wo Christus ist, da brennen die Geister in ungetrübtem und heiligem Feuer; nur wo Christus wahrhaftig ist, bleibt man fern von leichtsinniger und finsterer Schwärmerei; nur wo Christi Geist waltet, werden die Schlacken fleischlicher Begeisterung erkannt und ausgestoßen, nur da waltet eine klare, eine helle und heilige Liebe. Darum seid brünstig - aber in seinem Geist!

3)

Aber auch ein Wort des Trostes und der Aufrichtung pflanzt der Apostel als Panier auf in unsrer Epistel, und wir wollen es freudig entfalten auf den Zinnen der Kirche, das Wort: seid fröhlich in Hoffnung. Zwar vieles ist vorhanden was den Muth niederschlagen und zu Mißmuth und Grämlichkeit stimmen kann, wenn wir den Schaden Josephs überblicken und die Lücken betrachten, welche in den Zaun der Gemeinde des HErrn gerissen sind. Da ist viel todtes, mechanisches ungeistliches Wesen in das Heiligthum eingedrungen, viel Wahn- und Afterglaube, viel Tod und Unglaube, viel Welt und weltliche Form. Manche haben deßwegen die Kirche aufgegeben, und sie ihrem Schicksal überlassen, und sind ausgewandert aus ihren Räumen und haben sich neben sie ein Kapellchen der eigenen Gottesdienstlichkeit, des eigenen Glaubens und eigener Frömmigkeit gebaut und so in Selbstbetrug und Eigenliebe zu ihrer Verödung noch mehr beigetragen. Wir nicht also! Uns sei Loosung und Leitstern das große Wort: seid fröhlich in Hoffnung. Noch ist der Grund unerschüttert, auf welchen der HErr seine Gemeinde gegründet hat, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen; noch sitzt der im Regimente, dem es der Vater zugeschworen hat, daß vor Ihm sich alle Kniee noch beugen sollen, und der es selber verheißen, daß Er bei den Seinen bleiben wolle bis an der Welt Ende; noch ist der Geist nicht von uns genommen, der die Steine zum Bau Zions bricht und hineinfügt zur rechten Zeit' an die rechte Stelle. Darum getrost meine Freunde! Der HErr kann und wird nicht ruhen, bis Er seine Gemeinde herrlich und untadelig, fleckenlos und rein dargestellt hat vor das Angesicht des Vaters mit Freuden. Christus ist unsere Hoffnung.

Ihn, ihn läßt thun und walten,
Er ist ein weiser Fürst;
Er wird sich so verhalten,
Daß du dich wundern wirst,
Wenn Er, wie Ihm gebühret,
Mit wunderbarem Rath
Das Werk hinausgeführet.
Das uns bekümmert hat.

IV.

Noch einmal müssen wir unsern Fuß weitersetzen, um noch einen flüchtigen Blick zu werfen auf das weiteste Lebensgebiet das sich vor uns ausbreitet, ich meine den Lebenskreis des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft. Oder hat denn der Staat nichts mit Christo zu thun? soll die Kirche fort und fort auf den Wassern segeln und der Geist Jesu Christi im Verhältnis zur bürgerlichen Verfassung der Taube Noah's gleichen, die nirgends fand, wo ihr Fuß auf Erden ruhen konnte? Ja so weit haben den Staat so manche in unsern Tagen herabgewürdigt, daß er nichts ist, denn ein Verwahrungs-Ort gegen Eingriff, Raub und Mord. Alles andere ist ihnen gleichgültig und überflüssig; doch wir gewahren eine andere Taube, sie hat das Oelblatt des Friedens in ihrem Munde; sie verheißt uns, daß auch noch in der bürgerlichen Verfassung das Wort des Sehers wahr werden wird: siehe da! eine Hütte Gottes bei den Menschen; Gott wird bei ihnen wohnen; sie werden sein Volk sein und Er wird ihr Gott sein. Wann aber herrschet Christus auch im Staate?

1)

Dann, wenn die Obrigkeiten das Wort des Apostels zu Herzen nehmen: Wer regieret, der sei sorgfältig. Ja, wenn die Obrigkeiten ihre Gewalt und ihre Macht zum Lehen tragen von der obersten Majestät, die genannt mag werden im Himmel und auf Erden; dann, wenn sie ihren größesten Ruhm und ihre höchste Ehre darin finden, daß sie sind von Gottes Gnaden Bevollmächtigte seines Namens, Diener an seiner Statt; dann, wenn sie das ihnen vom HErrn verliehene Schwerdt gebrauchen zur Rache der Uebelthäter, zum Lobe der Frommen; dann, wenn sie die festeste Stütze aller Thronen, das Wort des lebendigen Gottes, lieben und üben und es als Sauerteig mehr und mehr alle Gesetze und Anstalten durchdringen und es als oberstes Reichs-Gesetz herrschen und walten lassen; dann herrschet Christus, und mit ihm Segen und Gnade, Friede und Einigkeit, Wahrheit und Gottseligkeit.

2)

Und mit was für Unterthanen wird dann der HErr solche Obrigkeiten umschirmen und umschanzen? mit solchen, die das Wort des Apostels zum Gesetz und Richtschnur auch in bürgerlichen Dingen erwählt haben: einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Wie Christus einer ungerechten, einer tyrannischen, einer frevelnden Obrigkeit mit Ehrerbietung, mit Unterwürfigkeit, mit Gehorsam zuvorkam, so wissen auch sie die rechte ehrerbietige Stellung gegen ihre Obrigkeit einzunehmen, zumal wenn sie eine gerechte, eine gelinde, eine gesetzmäßige, eine väterliche ist.

3)

Wenn aber so gottesfürchtige Sorgfalt im Regimente von Oben herab waltet, und fromme, gehorsame Ehrerbietung von unten herauf die Hand zum Bunde reicht, so kann es am Band der Vollkommenheit nicht fehlen, welches ist die Liebe. Darauf zielt der Apostel, wenn er spricht: die Liebe sei nicht falsch, die brüderliche Liebe sei herzlich. Da theilen die Obrigkeiten mit den Unterthanen und die Unterthanen mit den Obrigkeiten gleiche Freude, gleiche Trauer, der Staat wird zur großen Familie; der HErr gießt aus über Hohe und Niedere, über Vornehme und Geringe, über König und Volk das Füllhorn seines Segens, und die Ströme des Heils verbreiten sich von Kind zu Kindeskind. Solche Liebe zwischen Fürst und Volk wird sogar in den Feuerproben der Anfechtung um so festgehärteter und dauert aus in allem Schicksalswechsel, bis endlich das Segenswort durch alle Länder dringt: nun sind alle Reiche der Erde Gottes und seines Gesalbten geworden!

So wird's besser, wenn Christus im Hause, in der Schule, in der Kirche, im Staate mehr und mehr zur Herrschaft gelangt; sein Scepter ist ein gerades, ein richtiges Scepter; Ihm gebühret allein Ehre und Ruhm, Macht und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.