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Hess, Kaspar Laurenz - Die Süßigkeit, Kraft und Herrlichkeit des Namens Jesu.

Neujahrspredigt 1852, von Pfr. Kaspar Laurenz Hess in Sevelen.

Text: Und da acht Tage um waren, dass das Kind beschnitten würde, da ward sein Name genannt Jesus, welcher genannt war von dem Engel, ehe denn er im Mutterleibe empfangen ward. Luk. 2, 21.

Wie viele Menschennamen werden im Laufe eines Jahres als Geborene eingeschrieben, aber wieder ausgestrichen unter den Lebenden und in die Totenliste eingereiht. Wie viele heiß geliebte Namen, bei deren Nennung den Einen und Andern freudig das Herz klopft, zählt unser Geschlecht. Wie viele Namen leuchten wie glänzende Sterne in der Menschen- und Christengeschichte. Wie manche Namen hingegen erinnern uns an Menschen mit Schande und Laster, mit Verführungslist oder roher Gewalttätigkeit befleckt. Wie viele Namen, die zu ihrer Zeit hochgepriesen waren, sind längst vergessen. Wie Manche, die ihre Namen für sehr wichtig halten, haben nur unbedeutende! Aber ein Name, obwohl er Vielen gleichgültig, Andern verhasst, Millionen noch unbekannt ist, ist dennoch auf Erden und im Himmel der bekannteste, hochgepriesenste, vielgeliebteste, allerbedeutsamste, ewig nie erlöschende Name - er heißt Jesus. Dieser Name funkelt als Freudenlicht in den Herzen aller begnadigten Sünder, welche jetzt noch hienieden wallen und welche ihren Lauf vollendet haben. Er ist der höchste Ruhm, der nie versiegende Trostquell, die Welt, Sünde und Tod überwindende Siegeskraft unzähliger Geborener und Gestorbener geworden. Wird dieser Name dem Menschenkinde durch den Heiligen Geist ins Herz geschrieben, so wird es ein seliges Gotteskind. Wird in diesem Namen Tag für Tag, Jahr für Jahr gewandelt, so wird der Lauf ein Gang des Lichtes und der Liebe zur himmlischen Ruhe. Regieren Regenten im Namen Jesu, dann ist Weisheit ihr Rat, Liebe ihr Walten, Gerechtigkeit ihr Tun, Heldenstärke ihres Armes Kraft. Unterrichten die Lehrer im Namen Jesu, dann sind sie nicht schuld, wenn eines der Kleinen verloren geht, und jeder Prediger, der ein guter Hirte sein will, darf in keinem andern Namen mit der Herde aus- und eingehen, muss in demselben lehren, strafen, mahnen und trösten. Dieser Heils- und Seligkeitsname sei es, in dem wir das neue Jahr beginnen, freilich nicht nur mit Nennung seiner fünf Buchstaben, sondern in und mit dem, den er bezeichnet. Die Süßigkeit, Kraft und Herrlichkeit des Namens Jesu bezeugen wir auf folgende Weise:

I. Durch Jesum sind wir Schulden frei; Der Heiland ist den Sündern treu.
II. Mit Jesu ziehen wir voran, Er führt uns auf der schmalen Bahn.
III. Er hilft des Leidens Last uns tragen, Lässt uns in keinem Kampf verzagen.
IV. Ihn sollen alle recht erkennen, Die sich nach seinem Namen nennen.
V. Mag dieses Jahr mein letztes sein, In Jesu schlaf' ich selig ein.

I. Durch Jesum sind wir Schulden frei; Der Heiland ist den Sündern treu.

Schulden drücken jeden, dem an seinem Ehrennamen und an der Erfüllung seiner Pflichten gegen den Nächsten etwas gelegen ist. Aber wem es ernst geworden ist, selig zu werden, wem die Ehre bei Gott nicht gleichgültig ist, wer seine Pflichten gegen Gott und den Nächsten überschlägt; wie viel Schulden zeigt ihm das Gesetz und sein Gewissen, das Wort und der Geist Gottes an! Wer nicht leichtsinnig ist, der trägt an diesen Schulden am schwersten; denn er merkt, er müsste in die äußerste Finsternis geworfen werden, sollte er sie büßen. Aber Jesus ist der Schuldentilger. Es soll gepredigt werden allen Sündern auf der ganzen Erde Buße und Vergebung der Sünden in seinem Namen. Ich gedenke deiner Sünden nicht mehr! spricht er. Gnade, nicht Gericht; Seligkeit, nicht Verdammnis ruft dieser Name den Schuldbeladenen zu. Ist durch gestrichen die Menge der Sünden mit seinem Versöhnungsblute; ist abgeladen zu seinen Füßen die schwerste Last; ist der Fluch der Sünde wegen hinweg genommen und verstummet die verklagende Stimme: o wie frei atmet das Herz, wie heiter blicken wir zum Himmel empor! Solche Schuldenfreiheit kannst du haben durch Jesum alle Tage, nicht minder zum Neujahrsgeschenk, wenn du bei ihm sie suchst. Treu ist der Heiland den Sündern am letzten Tage im Jahre wie am ersten, beim Zagen ihrer Herzen wie beim freudigen Glauben, wenn sie sich treu zu ihm halten oder wiederverirrten Schafen gleich sind; er ruft sie mit Namen; er sucht die Verlorenen; er verzeiht aufs Neue die neue Schuld; er tut ihnen kund, dass seine Gnade alle Morgen neu und seine Treue sehr groß sei. Liebesernst und Liebesfreundlichkeit, Liebezucht und Liebetrost gießt der Jesusname in das Sünderherz aus, das sich ihm nicht verschließt.

Versuche es einmal in diesem Namen, der du bisher im eigenen alles getrieben hast, so wirst du nicht nur Scheinfrieden haben durch Vergessen oder Verkleinern deiner Schuld, sondern den wahren Frieden durch Verzeihung und Befreiung, und freudig wirst du einstimmen in das Lob des Namens Jesu.

II. Mit Jesu ziehen wir voran, Er führt uns auf der schmalen Bahn.

Mit Jesu ziehen wir voran, Er führt uns auf der schmalen Bahn. Die Tage und Jahre gehen vorwärts, nicht rückwärts; darum heiße es bei uns: Voran, voran! Aber es kommt alles darauf an, wem nach, in wessen Fußstapfen, auf welchem Wege? Mir nach! spricht Jesus; der Weg ist schmal, der zum Leben führt. Die Gesellschaft auf dem breiten Weg ist lockend, denn es sind ihrer sehr viele; es geht auch abwärts, und das macht das Wandern leicht. Überdies behaupten diejenigen auf der breiten Straße mit aller Dreistigkeit, dass sie den rechten, den wohlerprobten, den sicheren Weg gehen, und die Andern, die nicht mithalten, auf dem Irrwege, auf dem Weg der Toren wandeln. O schließen wir uns Jesu an, er macht es uns gewiss, dass sein Weg der rechte, seine Führung, die allein weise und das Ziel seines Weges die ewige Seligkeit sei. Ziehen wir mit ihm, von ihm fließt uns täglich neue Wanderlust zu; es geht von ihm eine Kraft aus auf die Nachfolgenden, die sie neu belebt und nachzieht. Auch darauf dürfen wir zählen, dass diejenigen, die mit Jesu ziehen, es miteinander treuer meinen als Andere, sollten auch diese schönere Versprechungen und süßere Worte von Freundschaft und Liebe reden.

Auf der schmalen Bahn wird freilich die Eigenliebe gehemmt, die Trägheit des Geistes gespornt, der Weltsinn gekreuzigt, das Hin- und Herwanken gefährlich. Lass dich führen von Jesu, so kommst du aufwärts Schritt für Schritt, und die Aussicht auf dem Berge Zion lohnt alle Beschwerden und Entbehrungen des schmalen Weges.

III. Er hilft des Leidens Last uns tragen, Lässt uns in keinem Kampf verzagen.

Im Namen Jesu darf uns auch nicht bangen vor den Leiden dieser Zeit, welche im neuen Jahre ihre Bekanntschaft mit uns erneuern oder zum ersten Mal ihren Besuch bei uns abstatten. Wir fürchten nicht erliegen zu müssen unter neuen und alten Nöten, noch verbrennen zu müssen im Ofen des Elendes; denn Er hilft des Leidens Last uns tragen, lässt uns im Kampfe nicht verzagen. Es gibt Leiden, wir können ihnen entfliehen, wenn wir treu in Jesu Fußstapfen wandeln. Vor solchen wollen wir uns hüten, denn sie sind besonders bitter. Aber es gibt Leiden, die wir uns gerade dadurch zuziehen, dass wir mit Jesu ziehen, denen wir nur entfliehen könnten, wenn wir ihn fliehen und mit Wort und Tat verleugnen würden. Solche Leiden sind Ehren- und Segensleiden, die Jesus uns tragen hilft und mit seiner Liebe versüßt. Wiederum gibt es Leiden, sie können auf keine Weise gemieden werden; sie fassen uns, ehe wir es vermuten; sie kommen wie ein Dieb in der Nacht, ja sie suchen uns umso eher auf, je weniger wir ihnen stille halten wollen. In solchem Leidensgedränge erquickt Jesu Liebesblick; seine Kreuzgestalt macht geduldig im Fener der Trübsal; seine Überwinderherrlichkeit ermutigt, den schweren Kampf treu zu kämpfen; seine gnadenreiche Nähe verkürzt die langen, bangen Stunden. Sein Name ist eine helle Leuchte in der Nacht der Anfechtung. Mit ihm ist Alles zu ertragen, ohne zu verzagen.

Wir sind unwissend in Bezug auf unser Schicksal in diesem Jahre; jeder wünscht sich Glück und lässt sich's wünschen; aber du hast das wahre Glück, das selbst Tage der Leiden dir nicht entreißen können, wenn der Name Jesus dir in seiner Lieblichkeit und Trosteskraft aufgeschlossen wird. Niemand ist je erlegen unter der Leidensbürde, der sie im Namen Jesu getragen hat. Im dunklen Gefängnis, mit wundgepeitschtem Leibe, in Ketten und Stock, in Ungewissheit, was für neue Leiden der neue Tag ihnen bringen werde, mitten unter gefangenen Verbrechern lobten Paulus und Silas zu Philippi Gott; denn Jesus war bei ihnen, wehrte allem Verzagen, und machte sie voll Glauben, Liebe, Hoffnung und Geduld. Gewiss, gehen wir mit Jesu, so werden wir rühmen können: Er hilft des Leidens Last uns tragen, lässt uns in keinem Kampf verzagen.

IV. Ihn sollen alle recht erkennen, Die sich nach seinem Namen nennen.

Aber ist es nicht eine Schmach für die auf Jesu Namen Getauften, dass ihrer so viele ihn nicht kennen, obwohl sie seinen Namen nennen? Was für klägliche Vorstellungen macht man sich von ihm? Wie Vielen erscheint ein Jünger Jesu etwas Verächtliches, wenigstens Freudenloses zu sein? Darum muss es der ganzen Christenheit zugerufen werden als die wichtigste Aufgabe fürs neue Lebensjahr: Ihn sollen alle recht erkennen, die sich nach seinem Namen nennen! Der freudenreichste, anbetungswürdige Name, dessen Seligkeit wir nie ausschöpfen können, ist der Name Jesus. Forsche in der Schrift, damit du seinen Sinn verstehen lernest. Falle auf die Kniee und flehe: Jesu, erbarme dich meiner und offenbare deinen Namen in meinem Herzen! Frage die Geschichte der Kirche Christi, wie Großes dieser Name, welcher der Menschheit gegeben worden ist, in ihr im Laufe der Jahrhunderte gewirkt habe, und du wirst gestehen müssen, wenn er für dich noch keinen Wohllaut hat, wenn er für dich noch toter Buchstabe ist, so kommt dies daher, weil du ihn nicht erkennst. Es ist leider eine gewöhnliche Erfahrung, dass man meint ihn zu kennen, weil er so häufig genannt wird, während sein Gehalt dem Innern verschlossen ist. Bitten wir im neuen Jahre um neues Licht über die Welt, Sünde, Tod und Hölle überwindende Kraft des Namens Jesu. Bitten wir, der Heilige Geist wolle ihn uns dadurch auslegen, dass er ihn uns hineinlegt in unser Innerstes als Balsam für alle Wunden, als Siegesschwert im guten Kampfe, als Lebensbrot auf der Pilgerreise, als Schlüssel zur Himmelspforte. So können wir sprechen: Mag dieses Jahr mein letztes sein - In Jesu schlaf ich selig ein.

V. Mag dieses Jahr mein letztes sein, In Jesu schlaf' ich selig ein.

Es sind nicht mehr alle Glieder dieser Gemeinde, welche am letzten Neujahrstage hier anwesend waren, unter uns; es sind etliche von hinnen geschieden. O, es ist ein großer Unterschied, auf welche Weise wir abscheiden, ob sehr ungern, weil wir müssen, weil der Tod gewaltiger ist, als der Mensch, die Grasesblume; ob mit Ach und Weh! mit Furcht und Zittern; ob zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, zwischen Glauben und Zweifel. Wie köstlich ist's, gerne sterben zu können, nicht nur, wenn man viel Übels erdulden muss, sondern während man viel Gutes genießt und viel liebe Leute hienieden hat; gerne von hier eilen, nicht nur weil man alt und lebenssatt ist, sondern in den besten Jahren. Solche Menschen gibt es hin und wieder, auch unter uns sind solche, die also sterben können. Wem schreiben sie es zu? dem Namen Jesus. Er nimmt die Todesschrecken vom Herzen, er macht uns die Todesstunde zur Befreiung von allem Übel und zum Heimgange in seine ewige Freude.

Wo wird der Tod dieses Jahr anklopfen? Bei dir oder mir? Bei Wenigen oder Vielen? Wir wissen es nicht; aber das ist gewiss, dies Jahr könnte mein letztes sein. Schon Mancher gedachte noch viele Jahre zu leben; aber es hieß: Nur noch dies Jahr! nur noch einen Monat, ja, diese Nacht wird deine Seele von dir genommen werden! Es ist nichts schrecklicher, als ungerüstet hinfahren. Aber dem Herzen Jesu überbunden, in seine Hände gegraben, von seinem Blute abgewaschen, mit seinem Namen bezeichnet, schläft man selig ein. Selig sind die Toten, die im Herren sterben von nun an. Sie sind allem entronnen, was gefährden kann, sie haben das sichere Ufer gewonnen, ihr Erbteil wird ihnen niemand rauben, und was sie Gutes hienieden verlieren, dort gewinnen sie es tausendfach. Versuche es, mit Jesu zu leben, so wirst du in ihm sterben können, und dann wird dir aufs herrlichste enthüllt, dass er der Seligmacher ist.

Was soll ich euch daher wünschen zum neuen Jahre? Ich will's kurz und gut machen. Wie sehr gönnte ich Eltern, Kindern, Ehegatten, Lehrern, Amtsleuten gute Gesundheit, und nicht nur ein kärgliches Auskommen; nein, Überfluss an Geld und Gut, Bewahrung vor allen stechenden Dornen, Abnahme aller drückenden Lasten, lauter Honigbrot und Lebensgenus. Aber verzeiht mir, Geliebte! dass ich euch dies nicht wünsche; denn ich weiß nicht einmal, ob dies mir, noch weniger, ob es euch wirklich gut und heilsam sein würde. Ich will euch wünschen, was ich bestimmt weiß, das ist Arm und Reich, Jung und Alt, Kindern, Jünglingen, Jungfrauen, Vätern, Müttern, Eheleuten und Leuten aller Stände und in den verschiedensten Verhältnissen Lebenden das Allerbeste, Allersüßeste, Allernotwendigste, ja das Eine Notwendige: um Frieden Gottes im Herzen, um den werten Hausfrieden zu haben, um Lust und Kraft zum Gehorchen, um Weisheit und Liebe zum Regieren zu gewinnen; - ich wünsche euch, dass ihr im Namen Jesu das Jahr anfangt, fortsetzt und schließt, aus- und eingeht, aufsteht und niedergeht, weint und euch freut, die Sonn- und Werktage mit ihm zubringt, Er in allen Verhältnissen der Erste und Letzte sei. Wem aber dies ein zu einfacher und zu geringer Neujahrwunsch dünkt, dem wünsche ich, dass er in diesem Jahre Jesum möge recht erkennen lernen. So schließe ich mein erstes Zeugnis in diesem Jahre im Namen Jesu. Amen.