Zum Beginn des akademischen Halbjahrs.
Predigt am zweiten Sonntage nach Epiphanias.
Der Friede des Herrn sei mit Euch Allen! Amen.
Mit diesem apostolischen Gruß, geliebte Gemeinde, sei willkommen geheißen und gesegnet im Namen Gottes zum Wiederbeginn unserer Gottesdienste im Hause des Herrn; mit diesem Gruß segne ich Euch insbesondere, Väter und Jünger unserer Hochschule, die wir hier versammelt sind, um aufs neue unsere besondere Berufswirksamkeit des Lehrens und Lernens gemeinsam in das Licht und die Kraft, unter die Zucht und den Segen des Wortes Gottes und des Gebets zu stellen. Wahrlich, wir tun wohl daran, denn wir bedürfen dessen, und wir haben die Verheißung, dass wir es auch dürfen.
Der neue akademische Zeitabschnitt, in den wir so eben eingetreten sind, liegt vor uns mit all seinen Gaben und Aufgaben, seiner Bestimmung und Verantwortlichkeit, seinen Freuden und Erquickungen, wie seinen Mühseligkeiten und Fährlichkeiten; mit seinem ganzen Wohl und Wehe, als ein verschlossenes, nur allmählig sich erschließendes Geheimnis. Auf diesem Felde sollen wir, trotz unserer Kurzsichtigkeit, Schwachheit und Gebrechlichkeit, wirken und arbeiten, nicht als Nachtwandler, sondern als am Tage, nicht für das Vergängliche und den flüchtigen Augenblick, sondern für das Bleibende und für eine Zukunft, die in dem Maß dunkler ist, als ihr Bereich unermesslich, und ihre Früchte unberechenbar sind, und die doch uns soweit zur Rechenschaft ziehen wird, als ihre Saaten und Keime in der Gegenwart unseres Wirkens liegen. Um da sichern Trittes auf dem rechten Wege zu wandeln, um unserem Berufe ganz zu leben, und uns an ihn doch nicht zu verlieren, um in ihm zu wirken sorgsam und unbesorgt, eifrig und still, arbeitsam und nicht geschäftig, ernst und freudig, da bedürfen wir der Gewissheit göttlichen Geleites und Segens; da können wir des göttlichen Wortes schlechterdings nicht entbehren, als des hellen Lichtes, das da scheint an einem dunklen Ort, und der nie versiegenden Quelle, die allein Versöhnung und Vergebung uns bringt, und uns mit Kräften der Erneuerung und Heiligung durchdringt. Darum tun wir wohl daran, uns gottesdienstlich um dasselbe zu vereinen.
Wir bedürfen dessen, aber dürfen wir es auch? Dürfen wir mit unserem irdischen Tagewerk diesem heiligen Worte und Werke nahen? Diese Frage könnte als eine müßige erscheinen, besonders in einer Zeit, da man sich daran gewöhnt hat, in Angelegenheiten des Christentums vor Allem das Herzensbedürfnis des Menschen geltend zu machen, als ob damit zunächst und allein schon ein von Gott erteiltes Recht zur Befriedigung desselben erwiesen wäre. Denn aus dem Herzen des Menschen, auch der Gläubigen, kommen nicht bloß gute Gedanken und Neigungen, noch werden die argen schon dadurch gut, dass Viele gemeinsam sie hegen und pflegen. Gottes Willen und Ordnung erkenne ich zunächst und mit Sicherheit nicht aus den vielgestaltigen und sich selbst widersprechenden Bedürfnissen meines Geistes, auch nicht aus dem unmittelbaren Eindruck, den der Geist Gottes auf mein Herz ausübt, sondern vor Allem aus dem Ausdruck, den er sich im Worte der heiligen Schrift gegeben, und durch welches er zu mir deutlich und bestimmt redet. Darum ist auch jedes Bedürfnis auf dem Gebiete des geistlichen Lebens nur so weit berechtigt, als ihm Verheißung und Zusage von Seiten Gottes zuvorgekommen und im Worte gegeben ist. Dieses Wort gibt uns aber auch ein Recht, jedweden gottgeordneten Lebensberuf in die innigste Beziehung zum Gottesdienst, auch zum öffentlichen und gemeinsamen, zu setzen. Denn das grade gehört zu seiner wunderbaren Eigentümlichkeit, und zu seinem göttlichen Vorrecht, dass wie das wesentliche Wort vom Vater sich ganz und gar herabgesenkt hat in unser Fleisch und Blut, unser Leben und Wirken, Leiden und Sterben auch das geschriebene und gepredigte Wort von Christo es nicht verschmäht einzugehen in alle Verhältnisse unseres alltäglichen Lebens, und sich mit ihnen, oder vielmehr mit uns in ihnen, zu befassen, um unsere Herzen mit Kraft und Weisheit, Trost und Geduld, Mut und Demut zu unserer irdischen Berufstätigkeit zu erfüllen, und diese selbst zu heiligen zu einem Dienst des lebendigen Gottes. An vielen Stellen bespricht die heilige Schrift ausdrücklich das Verhältnis, in welchem der himmlische und der irdische Beruf zu einander stehen; und unterweist uns, wie die Gottseligkeit zu allen Dingen nütze sei, und die Verheißung dieses Lebens und des zukünftigen habe. Wenn nun unsere heutige Sonntagsepistel mit zu diesen Stellen gehört, so kommt sie unserer Stimmung und der Absicht, in welcher wir grade heute hier versammelt sind, entgegen, und fordert uns noch mehr auf, in ihrem Lichte näher und sorgfältiger den berührten Gegenstand zu betrachten. Sie steht geschrieben
Röm. 12,6-16.
Wir haben mancherlei Gaben, nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat Jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich. Hat Jemand ein Amt, so warte er des Amts. Lehrt Jemand, so warte er der Lehre. Ermahnt Jemand, so warte er des Ermahnens. Gibt Jemand, so gebe er einfältig. Regiert Jemand, so sei er sorgfältig. Übt Jemand Barmherzigkeit, so tue er es mit Lust. Die Liebe sei nicht falsch. Hasst das Arge, hängt dem Guten an. Die brüderliche Liebe unter einander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge, was ihr tun sollt. Seid brünstig im Geist. Schickt euch in die Zeit. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal. Haltet an am Gebet. Nehmt euch der Heiligen Notdurft an. Herbergt gerne. Segnet, die euch verfolgen; segnet und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen, und weint mit den Weinenden. Habt einerlei Sinn unter einander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Niedrigen.
Geliebte in dem Herrn! Eine apostolische Vermahnung zum heiligen Christenwandel und zur gottseligen, treuen Berufserfüllung haben wir vernommen, und damit einen Gegenstand, der uns Alle ohne Ausnahme aufs nächste berührt, und unseren vollen Ernst, unsere ganze Teilnahme in aufrichtiger Selbstprüfung vor Gott dem Herrn in Anspruch nimmt. Doch der Apostel der Gnade und des Glaubens weiß, dass solche Heiligung des Lebens und des Berufs sich nicht gesetzlich vorschreiben oder erzwingen lässt, denn das Wesen des Christenwandels ist nicht Gesetz und Gesetzes-Gerechtigkeit, noch Zwang und Frondienst, sondern Gnade und Geist, Liebe und Freiheit; seine Früchte erwachsen mit innerer Notwendigkeit und in reicher Mannigfaltigkeit nur aus einer von Gott ins Herz gesenkten verborgenen Wurzel neuen Lebens. Wo diese fehlt, da ist alles Auffordern und Gebieten umsonst, es sei denn, dass wir daran zur gründlichen Erkenntnis unserer Schuld und Ohnmacht kommen, und die Barmherzigkeit Gottes in der Gerechtigkeit Christi durch den Glauben suchen, durch welche der Geist der Wiedergeburt und Erneuerung in unser Herz ausgegossen wird. Darum hat auch der Apostel in dem ersten Hauptteil seines Briefes solchen Grund des Glaubens gelegt, und geht nun in dem zweiten Teil, der mit unserem zwölften Kapitel beginnt, zum christlichen Leben. über mit den Worten: „Ich ermahne Euch, lieben Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes“, und erinnert am Anfange unseres Textes an die Gnade Gottes, die uns gegeben ist in mancherlei Gabe. In diesem Sinne stellt der Apostel das vollendete Bild des christlichen Lebens vor uns hin, auf dass wir, wenn wir anders geschmeckt haben die Kräfte der zukünftigen Welt, uns vor Gott dem Herrn demütigen, und uns von seinem Geiste bewegen lassen, unseren Glauben zu bewahren und zu bewähren in der gegenwärtigen Welt, gemäß der empfangenen Gnade, durch aufrichtige, dienende, brüderliche Liebe überhaupt, und durch treue und freudige Berufswirksamkeit insbesondere. Beides stellt der Apostel unmittelbar zusammen: den in der Liebe tätigen Glauben und die Berufserfüllung. Zwar redet er besonders von dem Beruf des Lehrens, Dienens und Regierens in der Gemeinde, aber was er von diesem sagt, das findet leicht seine Anwendung auf jedweden gottgeordneten Beruf.
Das lebendige Christentum und die Berufswirksamkeit sei deshalb der Gegenstand, den wir unter dem Gnadenbeistande Gottes mit einander erwägen wollen.
Gegen diese Verbindung werden aber zwei Haupteinwendungen geltend gemacht, die eine im Namen des Berufs, die andere im Namen des Christentums; indem wir nun auf beide eingehen, und dem einen die rechte Berufserfüllung, dem andern das Wesen des tätigen Christentums entgegen halten wollen, wird sich uns eben damit von selbst der innige Zusammenhang beider ergeben.
Christentum, lebendiges, tätiges Christentum einerseits, der irdische Beruf und die volle Hingabe an ihn andrerseits scheinen freilich einander so zu widersprechen, dass ihre volle und wahre Verbindung eine Unmöglichkeit sein könnte, und dass diejenigen Recht haben möchten, die solches Bestreben für ein vergebliches erklären. Das eine richtet unseren Sinn nach oben, der andere zieht ihn nach unten, dort soll für die Ewigkeit hier für die Zeit, in beiden Beziehungen aber mit ganzem Herzen gewirkt werden. Jenes will uns befreien von dem Dienst der sichtbaren und vergänglichen Dinge dieser Welt, und uns ganz für das Unsichtbare und Bleibende gewinnen, dieser wieder fesselt uns mit unzähligen Banden an die alltägliche Wirklichkeit des gewöhnlichen Lebens. Ist das nicht ein unvereinbarer Zweienherrendienst?! Und dennoch scheint dieselbe heilige Schrift, die solchen Dienst verwirft, diesem Widerspruch anheim zu fallen, wenn sie hier ermahnt: Hat jemand ein Amt, so warte er des Amts, d. h. so sehe er nicht halb auf seinen Beruf und halb auf etwas Anderes, sondern lebe diesem ganz und gar, und tue, was er tut, um des Berufes willen; und dann wieder auffordert: haltet an am Gebet, oder uns in den Anfangsworten desselben Kapitels ermahnt, dass wir uns Gott hingeben sollen zu einem lebendigen, heiligen und wohlgefälligen Opfer nach Leib und Seele. Es scheint demnach klar zu sein, beides ist nicht vereinbar, sondern widerstreitend; und das Leben von Tausenden um uns her will es auch bestätigen, denn so viel sie sich dem Einen hingeben, so viel entziehen sie sich dem Andern. Deshalb ist es schon eine alte Klage, die man wider das Christentum erhoben hat, dass es den Menschen unbrauchbar mache für das Leben, und ihm die Frische und Freude für den irdischen Beruf und die Angelegenheiten der Erde raube. Man gibt zu, die Christen haben ein ernstes Pflichtgefühl bei ihrer Berufserfüllung, aber es fehle ihnen, sagt man, die Hauptsache, die rüstige Teilnahme, die volle Freudigkeit und Liebe, kurz das ganze Herz für den Beruf, den sie wie eine schwere Last nach sich schleppen, die ihnen durch ihr Trachten nach den himmlischen Gütern nicht leichter gemacht werde.
Unterbrechen wir einen Augenblick den Gegner; was sollen wir ihm antworten, da er nicht so ganz Unrecht hat! Wollen wir ihm das Christentum, oder die Christen preisgeben, denn er verwechselt Beides miteinander! Ich denke, wir antworten ihm, Freund, strafe lieber die Christen und Dich selbst mit dem Christentum, aber vergreife Dich nicht an letzterem um vieler Christen willen; und dann traue nicht Deinem Blick, verachte nicht die Perle in der Tiefe, weil Du sie nicht siehst, noch den verhüllten Diamant einer gottseligen Berufsfreudigkeit, weil er mit der rauen Kruste eines schweren oder vor der Welt niedrig gehaltenen Berufslebens umgeben ist; mancher, von dem Du es nicht ahnst, widerlegt Dich durch die Tat, denn er trägt einen Schatz lebendigen Christentums, verbunden mit freudiger Berufstreue, in seiner Brust, um den Du ihn beneiden müsstest, wenn Du ihn zu würdigen verständest. Und endlich, sage uns doch, was willst Du denn tun? Ich habe keine Wahl, antwortet er, die Pflichten meines Berufs, dem ich mit Lust und Liebe ergeben bin, die unzähligen, schweren, aber doch angenehmen Sorgen für die Erhaltung meines leiblichen und geistigen Lebens, für das Haus, die Schule, den Staat, sie nehmen mich, wie sie sollen, ganz und gar in Anspruch, darum habe ich weder Raum noch Zeit mich mit dem Worte Gottes, dem Gebet, und dem einsamen oder gemeinsamen Gottesdienste abzugeben; oder ich kann letzterem nur so viel zuwenden, als mir von jenem vielleicht übrig bleibt.
Im Namen des irdischen Berufs also und seiner treuen Erfüllung wird hier eine lebendige Verbindung desselben mit dem Christentum abgewiesen. Wir kennen diese Sprache; sie ist nicht neu, kommt auch dem Christentum nicht unerwartet, denn sie ist dieselbe, welche jene geladenen Männer in dem Gleichnis vom großen Abendmahl führen, deren einer spricht: ich habe einen Acker gekauft, der andere: ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, ein dritter: ich habe ein Weib genommen, - darum konnten sie alle nicht kommen. Dabei macht es gar keinen Unterschied, ob der Beruf hoch oder niedrig, ob er eine Arbeit der Hände oder des Geistes sei; die gesuchte Entschuldigung ist dieselbe, die Schuld und das Gericht aber nicht minder, denn also spricht dort der Herr: ich sage euch, dass der Männer keiner, die geladen sind, mein Abendmahl schmecken sollen.
Nach dem Allen können wir aber auch nicht verlegen sein um die rechte Entgegnung auf jenen Einwand; höchstens verlegen um den Weg, den wir unter den verschiedenen sich uns darbietenden einschlagen sollen. Namentlich könnten wir darauf hinweisen, wie sich hinter diesem Einwand, als einer erwünschten Ausflucht, die natürliche Abneigung des menschlichen Herzens gegen Gott und sein Wort verberge; doch das möchte nicht gleich verstanden werden, und überdies führt uns unser Text auf einen andern Weg. Er hält Allen die rechte Berufserfüllung entgegen nach ihrer Art, ihrer Kraft, ihrem Grunde, und fordert uns auf, uns danach zu prüfen; tun wir es denn und sehen, wohin solche Prüfung uns führen wird.
Zunächst ermahnt der Apostel zur Treue, Sorgfalt, Lust in der Führung des Berufs; er warnt vor der Trägheit und Halbheit, vor dem Unmut und der Verdrossenheit in demselben, und fordert uns auf zu feurigem und nachhaltigem aber besonnenem und umsichtigem Eifer für denselben. Das wird ein Jeder sofort zu verstehen meinen, und diejenigen, die sich vor dem lebendigen Christentum bewahren wollen, werden dennoch glauben, auch von ihrer Berufswirksamkeit dasselbe sagen zu dürfen. Äußerlich die Sache angesehen, haben sie Recht, und wir geben zu, dass Manche von ihnen in ihrer Weise sorgfältig und mit Lust ihrem Berufe leben mögen. Aber die Worte des Apostels wiegen schwerer: sie gehen nicht auf die Werke, sondern auf die Gesinnung, sie reden nicht von der Hand, sondern von dem Herzen. Hier muss eine Kraft ruhen, die sich in die mannigfaltigen Äste und Zweige der Berufswirksamkeit ergießt, um sie frisch und grünend zu erhalten und fruchtbar zu machen. Diese Kraft aber, aus der allein die rechte Berufstreue kommt, ist die Liebe, die wahre Liebe, wie sie der Apostel uns beschreibt; die Liebe, welche Herz und Hand unbefleckt erhält vor den weit verbreiteten, offenkundigen und geheimen Berufssünden: vor Lug und Trug, Habsucht und Ehrgeiz, Scheelsucht und Neid, Selbstsucht und Hochmut, Ruhmsucht und Menschendienerei; vor Sünden, über welche man leider, wie durch ein Einverständnis und gleichsam auf Hoffnung wechselseitigen Austausches, sich im gewöhnlichen Leben schon fast ganz hinweg gesetzt hat, als ob sie mit zum Beruf gehörten. Ja, sie gehören auch immer zum Beruf, wenn Du ihn glaubst trennen, oder auch nur fern halten zu können vom christlichen Glauben und Wandel. Die wahre Berufstreue aber, die ist unmöglich ohne die selbstverleugnende, dienende, barmherzige Liebe; denn diese ist nicht falsch, sondern sie hasst das Arge und hängt dem Guten an; sie liebt die Brüder herzlich, und erweist es dadurch, dass sie nicht ihre Ehre sucht, sondern sie dem gibt, dem sie gebührt, dass sie barmherzig ist gegen die Not der Armen und Fremden, teilnehmend an der Freude und dem Leid Anderer, und demütig, nicht strebend nach hohen Dingen, sondern sich herunterhaltend zu den Niedrigen. Das ist die Liebe, die so dem Nächsten zu dienen vermag und doch nicht Menschendienerei und Knechtschaft ist, denn sie dienet brünstig im Geiste dem Herrn und ist fröhlich in der festen Hoffnung, die er ihr gegeben, geduldig in der Trübsal, die er über sie verhängt, anhaltend im Gebet, damit er sie erhöre, erhalte und segne. Ohne solche Liebe ist alle vermeintliche Berufstreue eitel Schein und Sünde; und es ist abermals gleich, ob der Beruf hoch oder niedrig sei, den Leib oder den Geist beschäftige, aufs Lehren oder Lernen sich beziehe.
Und nun siehe an Deine Berufswirksamkeit; gedenke der Versuchungen, die an jedem Beruf haften, oder eigentlich nicht an ihm, sondern an Deinem Herzen, mit welchem, und an der Welt, in welcher Du wirken sollst. Frage Dich, welcher Wind Deine stolzen Segel schwellt, welches Herz Dir Hand und Mund regiert, welche Kraft, welche Beweggründe und Zwecke Dein Herz beseelen, - und sage Dir aufrichtig, ob Du in wahrer Treue, Lust und Sorgfalt Deinem Berufe nachgehst. Du hast keine Wahl mehr, entweder verzichte ganz auf treue Berufserfüllung, oder pflanze sie ganz und gar in den Grund christlicher Liebe; aber dann folge auch dem Apostel noch einen Schritt!
Ohne Liebe keine Berufstreue. Woher aber nehmen wir die Liebe? können wir sie in uns hervorrufen? kann sie uns geboten, gelehrt, anerzogen werden? Nimmermehr; weder andere Menschen, noch wir selbst können sie uns geben! Sie ist ein Erbteil des Glaubens und mit ihm ein freies Geschenk der göttlichen Gnade in Christo Jesu. Wie auch der Apostel sagt: wir haben mancherlei Gaben, nach der Gnade, die uns gegeben ist. Damit aber stehen wir im Mittelpunkt des Christentums. Wo Gott der Herr mit seinem Geist in unser Herz einzieht, und in uns den Glauben wirkt, da muss die Selbstsucht in uns sterben, ob auch eines langsamen und um so schmerzlicheren Todes, denn die Liebe Gottes wird ausgegossen in unser Herz; sie verwandelt das Tote zum Leben, die Schwachheit in Kraft, und wirkt allein in uns jene selbstverleugnende Liebe, die in Treue dem Berufe lebt, sich und Andern zum Segen. Denn was der Mensch von der erbarmenden Gnade Gottes erglaubt und erfährt, das hat auch den Trieb, sich an den Brüdern zu erweisen in herzlicher Liebe. Darum gibt es ohne Erkenntnis und Ergreifen der Gnade Gottes keine heilsame Berufswirksamkeit. Nur diese Gnade ist im Stande das Wasser des alltäglichen Berufstreibens in ein Geist- und Lebensvolles Werk des Segens zu verwandeln. Denn in welches Amt, in welchen Beruf der Mensch auch versetzt werde, immer befähigt ihn die Gnade, zu tun, was in jedem Verhältnis recht und Gott wohlgefällig ist. Weil aber die Herzen der Völker sich von der Gnade und dem Glauben abgewandt haben, darum ruht ein augenscheinlicher Unsegen auf dem Berufswirken; trotz aller Fortschritte der Gewerbe, Künste und Wissenschaften sinkt der allgemeine Wohlstand immer mehr. Es kann auch nicht anders sein, wo die herzlose Berufstreue der Selbstsucht das Regiment führt, die, unbekümmert um Gottes Ehre und des Nächsten Wohl, Amt und Stand in den Dienst des eigenen Behagens, der eigenen Lust und Ehre, des eigenen Vorteils und Ruhmes herabzieht. Alle andern Mittel, die man anwendet dem um sich greifenden Verderben der Völker und Staaten zu wehren, sind entweder ganz vergeblich, getrennt von dem Einen, oder sie vermehren geradezu das Übel und helfen ihm zur Reife. Wir müssen wieder zurück zum verlassenen Glauben, zur verschmähten Gnade, die uns Gott nach seiner Barmherzigkeit noch darbeut in seinem Bundeswort und seinen Bundessiegeln. Durch die lebendige Beziehung zum Christentum, d. h. zur göttlichen Gnade und ihren Gnadenmitteln, muss der irdische Beruf jedweder Art wieder geheiligt, und aus ihr muss der Glaube und die Liebe geboren werden, wenn treue, christlich-evangelische Berufswirksamkeit unter uns wieder mit ihrem Segen allgemein und heimisch werden soll.
Hier angelangt, glauben wir es mit Grund wiederholen zu können, dass die Abneigung, die man im Namen des Berufs gegen eine Verbindung desselben mit dem Geist und dem Leben des Christentums an den Tag legt, ihrem letzten Grunde nach in der festgehaltenen Abkehr des natürlichen Menschen von dem lebendigen Gott und seiner Gnade zu suchen ist. Doch selig ist der Mann, der seine Lust hat an dem Gesetze des Herrn, der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er tut, das gerät wohl! Der Boden aber, der diesen Baum trägt und nährt, das lebendige Wasser, das seine Wurzeln tränkt und seine Blätter feuchtet und erfrischt, das ist allein die freie Gnade unseres Gottes in Christo Jesu.
Geliebte Gemeinde! Wir meinen gezeigt zu haben, wie sehr die irdische Berufswirksamkeit, wo sie treu ausgeübt werden soll, mit dem lebendigen Christentum verbunden ist; um so mehr aber muss es uns wundern, und dem Gegner, wie wir ihn uns bis jetzt dachten, die ihm entwundene Waffe wieder in die Hand geben, wenn man sogar im Namen des Christentums sich gegen diese Verbindung erklärt, oder doch zu ihr nicht aus vollem Herzen Ja und Amen sagen will. Folgen wir auch diesem Einwand und wir werden erkennen, wie innig, fest und gegenseitig die angestrittene Verbindung ist.
Schon seit längerer Zeit hat man in der protestantischen Kirche, bewusst oder unbewusst, begonnen zurückzuschauen nach dem verlassenen Lande der Knechtschaft. Indem man mit Recht nach dem tätigen, praktischen Christentum strebte, verlor man häufig die zunächst liegende, aber unscheinbare Spur der irdischen Berufswirksamkeit aus dem Auge, verirrte sich in die Ferne und Weite auf den lockenden Wegen eingebildeter hoher geistlicher Übungen und Werke, und hielt zuletzt die Auswüchse einer falsch gearteten Frömmigkeit, die Enge und Peinlichkeit, die Seelen-Quälerei selbsterwählter Geistlichkeit, Heiligkeit und Demut für die rechte Form des lebendigen Christentums, während sie, beim Lichte betrachtet, doch nur eine neue, geistliche Form des alten, uns betrügenden Hochmuts unseres Herzens ist. Natürlich musste das zu einer Verachtung oder doch Herabsetzung des irdischen Berufs und Standes führen, denn er war weltlich), lästig, störend für die geistlichen Übungen, wie man sie suchte und liebte. Man verwechselte den Beruf mit der Welt, in welcher er ausgeübt werden soll, und übertrug ohne weiteres auf ihn alle Ermahnungen der Schrift, zu fliehen die Welt und ihre vergängliche Lust. In diesem Sinne erklärt man sich im Namen des Christentums gegen eine lebendige Verbindung der Berufswirksamkeit mit demselben. Man lässt wohl den irdischen Beruf um der Not willen neben dem Christentum stehen, aber man sieht ihn an als eine Last, welche die Kinder Gottes am Wandel im Himmel hindre, und man versündiget sich schwer, ohne es recht zu empfinden, an dem Beruf und in demselben. Ja es kommt zulegt leider zu solcher Blindheit über die vielen und selbst groben Sünden in dem nächsten Wirkungskreise, dass man hier Kamele verschluckt, während man sonst Mücken seigt!
Was sollen wir sagen? Die so denken und tun, die bedenken weder recht was Beruf, noch was lebendiges Christentum sei.
Wenn der Apostel zur Einfalt und Sorgfalt, zur Treue und Lust in der Berufserfüllung ermahnt, so tut er es deshalb, weil er den Beruf ansieht als eine göttliche Ordnung und als einen ausgesprochenen Willen Gottes über uns, der uns für die Zeit unseres irdischen Daseins die bestimmte Stellung im Leben angewiesen hat. Ihm heißt treu des Berufes warten, nichts Anderes, als allein den Blick auf den Willen Gottes richten, und dem Gotte treu sein, der sich selbst treu bleibt und als Erlöser nicht zerstört, sondern erlöst und heiligt, was er als Schöpfer geordnet hat. Das gilt von jedem ehrbaren Beruf. Du magst über viel oder wenig gesetzt sein, Du magst lehren oder lernen, regieren oder gehorchen, auch das niedrigste, äußerlichste, und beschwerlichste Tagewerk, es ist Gottes Wille und Ordnung, und darum Dein Beruf. Und nun sage, kann es ein lebendiges Christentum, eine tätige Frömmigkeit geben, die noch bliebe, was sie sein will, wenn sie sich erlaubt, um vermeintlicher, geistlicher Zwecke willen, den Beruf gering zu schätzen und zu versäumen. Du sagst: nicht der irdische Beruf, sondern der himmlische ist das höchste Ziel unseres Lebens, und Du hast Recht. Aber Gott hat den irdischen Beruf mit seinen Leiden und Freuden geordnet, damit wir eben in ihm, und nicht außer ihm, nach der Gnade und dem Wohlgefallen Gottes trachten, nach dem Kleinod, welches uns vorhält die himmlische Berufung in Christo Jesu. Du sagst, der Glaube will notwendig gepflegt und geübt sein; und Du hast wieder Recht. Die heilige Schrift ermahnt dringend zur Übung in der Gottseligkeit; denn der innere Mensch bedarf, wie der äußere, nicht bloß der Nahrung und Stärkung, sondern auch treuer und beständiger Beschäftigung, Pflege und Übung. Dadurch erstarken und erproben sich die Kräfte, und je gewissenhafter der Mensch die empfangene Gnade durch den Glauben im Tun und Leiden betätigt, um so mehr gewinnt sie in ihm Herrschaft und Gestalt, um so ausschließlicher leitet sie ihn, um so mehr bestimmt sie seinen Willen und verbindet sich um so fester und inniger mit ihm.
Aber und das ist der entscheidende Punkt solche Übung der Gottseligkeit besteht nicht in Empfindungen und Selbstbeschauungen, nicht in Worten, noch in besonderen, von Menschen erfundenen, geistlichen Veranstaltungen; sie ist nichts Anderes und nichts Geringeres, als Tat des Glaubens und der selbstverleugnenden Liebe innerhalb der von Gott schon zuvor geordneten Anstalten des Hauses, der Schule, des Staates, der Kirche. Diese aber weisen uns auf unseren irdischen Beruf. Hier sollen wir lernen die Gottseligkeit üben und Treue beweisen in kleinen Dingen, hier den Glauben und die Liebe erweisen in den nächsten Verhältnissen des Lebens; hier Fleiß tun, unsere himmlische Berufung und Erwählung fest zu machen. So sind die treue Berufswirksamkeit und gewissenhafte Pflege und Übung des innern Menschen, d. h. lebendiges, tätiges Christentum, innig verbunden, ja eins und dasselbe. Wo ist uns mehr Gelegenheit gegeben zur Selbstverleugnung und zum Kreuztragen, zur Sanftmut und Geduld, zur Demut und Barmherzigkeit, als grade im Beruf? Wann blicken wir tiefer in unser Herz, und erkennen in nächster Nähe unsere besonderen Sünden und Gebrechen, als wenn wir unsern Beruf ansehen? Ja, alle Christentugenden, hier kannst Du sie im Stillen lernen und üben, wenn Du Dich unter die Gotteszucht und den Gottessegen des Berufs stellst. Und weil Berufspflichten nichts Besonderes, Außerordentliches und Hohes sind, sondern Alltägliches, Gemeinsames und Gewöhnliches, darum wird in ihnen auch gebrochen unsere Eitelkeit und unser Hochmut, die gern nach hohen Dingen trachten und sich nicht herunterhalten wollen zu den Niedrigen.
Meinst Du es also ernst mit dem lebendigen Christentum, so sage nicht, dass ihm Dein irdischer Beruf im Wege stehe; und hältst Du dennoch seinen engen und unscheinbaren Wirkungskreis für Dich zu gering, suchst Du das Weite und Absonderliche, so fürchte für Dein Christentum, es könnte leicht Einbildung, Hochmut und selbsterwählte Heiligkeit sein. Forsche im Worte Gottes, es bezeugt Dir, besonders in den Schlusskapiteln aller apostolischen Briefe dasselbe; ließ die Haustafel im kleinen Katechismus, und Luthers Erklärung des vierten Gebots, so wie des Schlusses der Gebote in seinem großen Katechismus; er - der selbst erfahren, was es heißt sich mit falschen Übungen der Gottseligkeit abquälen - er wird Dir sagen, wo die rechten Heiligen zu finden sind, und worin die evangelische Heiligkeit und das lebendige Christentum sich erweisen; nämlich in den Werken des Berufs, in welchen Dich Gott gestellt hat, als der Stätte der Verherrlichung seiner Gnade durch den Glauben der Seinen in heiliger, demütiger Liebe.
Erkenne denn, geliebte Gemeinde, welches feste, unzerreißbare und gegenseitige Band das lebendige Christentum und die irdische Berufswirksamkeit mit einander verbindet. Von dem Christentum empfängt erst alle wahre Berufserfüllung ihre Kraft, ihre Bestimmung, ihren Segen, und wiederum ist der Beruf für den christlichen Glauben das Mittel zu seiner Übung in der Gottseligkeit, und der Wirkungskreis zur Pflege und Erweisung des geistlichen Lebens in der Liebe. Durch das Christentum wird der irdische Beruf ein Gottesdienst, da wir Gott in dem Nächsten dienen; und durch den Beruf wird das Christentum zugleich ein Dienst, in welchem Gott durch uns dem Nächsten dienen will, ein Segen der Völker für das häusliche und bürgerliche Leben derselben; beides aber durch die mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.
Solche Erkenntnis aber treibe uns zu ernstem Gebet, auf dass wir nicht vergeblich das Wort hören und die Gnade empfangen, sondern mit dem Geist und der Kraft des Herrn erfüllt werden, um in unserm irdischen Beruf zu wandeln, wie sich's gebührt nach unserer himmlischen Berufung, zu welcher wir berufen und erwählt sind vor Grundlegung der Welt in Christo Jesu unserm Herrn und Heiland, nach dem Wohlgefallen des Vaters, in der Gemeinschaft des heiligen Geistes. Amen.