Predigt am neunzehnten Sonntag nach Trinitatis.
Die Gnade unsres Herrn Jesu Christi sei mit Euch Allen. Amen.
Geliebte Gemeinde! Also sprach einst der Herr durch die Propheten zu seinem Volk des Alten Bundes: „Israel, du bringst dich selbst in Unglück; denn dein Heil steht allein bei mir.“ (Hosea 13,9). „Sie suchen mich täglich, und wollen meine Wege wissen, als ein Volk, das Gerechtigkeit schon getan, und das Recht ihres Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern mich zum Recht, und wollen mit ihrem Gott rechten.“ (Jes. 58,2). „Was wollt ihr noch Recht haben wider mich? Ihr seid Alle von mir abgefallen, spricht der Herr. Denn so manche Stadt, so manchen Gott hast du, Juda; lass sehen, ob sie dir helfen können in deiner Not! Bin ich denn für Israel eine Wüste oder ein ödes Land? Warum spricht denn mein Volk: Wir sind die Herren, und müssen dir nicht nachlaufen. Was schmückst du viel dein Tun, dass ich dir gnädig sein soll; unter solchem Schein treibest du je mehr und mehr Bosheit. Wie weichst du doch so gern und fällst jetzt dahin, jetzt hierher. Aber du wirst an Ägypten zu Schanden werden, wie du an Assyrien zu Schanden geworden bist. Denn der Herr wird deine Hoffnung fehlen lassen, und wird dir bei ihnen nichts gelingen. Kehre wieder, spricht der Herr, so will ich mein Antlitz nicht gegen euch verstellen. Denn ich bin barmherzig und will nicht ewiglich zürnen.“ (Jer. 2 u. 3). „Sondern ich will meinen Bund mit dir aufrichten, dass du erfahren sollst, dass ich der Herr sei, auf dass du daran gedenkst und dich schämst, und vor Schande nicht mehr deinen Mund auftun darfst, wenn ich dir Alles vergeben werde, was du getan hast; spricht der Herr Herr.“ (Ezech. 16,62.63). „Und ich will Israel wie ein Tau sein, dass er soll blühen wie eine Rose; und seine Wurzeln sollen ausschlagen, und seine Zweige sich ausbreiten, dass er sei so schön, als ein Ölbaum.“ (Hosea 14,6.7).
Geliebte Gemeinde! Mit diesen strafenden und verheißenden Worten der Propheten des Alten Bundes möchte ich Deine Aufmerksamkeit wieder zurücklenken auf die Predigt des vorigen Sonntags und an dieselbe wieder anknüpfen; denn die verschiedenen Irrtümer, die Christum nicht lassen den Herrn sein, und die wir damals in ihren Unterschieden und nach ihrem Zusammenhang zu schildern versuchten, sie sind uns in diesen Worten sehr bestimmt gezeichnet nach ihrem Ursprung und Wesen, nach ihren Mitteln und Wegen, nach ihrer Absicht und ihrem Ausgang; so wie uns andrerseits schon in ihnen der einzige, von Gott gebahnte, königliche Weg des Heils und des Lebens verkündigt wird. Wie nämlich das abtrünnige Volk Israel in den Zeiten großer Bedrängnisse statt Jehova seinem Herrn anzuhangen, der sich ihm stets mächtig und gnädig erwiesen, sich selbst helfen und durch Bündnisse mit Einem heidnischen Volke gegen den Überfall des andern sich schützen und stark machen wollte, wie es trotz dessen seine Sünde nicht erkannte, sondern dennoch sich für ein gerechtes Volk hielt und mit seinem Gotte zu rechten sich unterfing, und wie es deshalb nur immer tiefer in die Knechtschaft der Heiden geriet, so dass ihm nichts gelang, bis dass es gar zu Schanden wurde; eben so verhält es sich geistlicherweise mit den geschilderten Irrwegen, auf denen wir ebenfalls, fliehend die schützende, segnende und befreiende Herrschaft Jesu Christi, bald diesem, bald jenem Irrtum uns in die Arme werfen, indem wir den einen Irrtum gegen den andern zu Hilfe rufen. Da ist es an sich gleich, ob man das Leben genießen will in Freiheit von Gottes Gesetz, oder eine Gesetzeserfüllung erstrebt ohne die Liebe, oder eine Liebe sucht ohne Christum, oder sich einen Christum erwählt, aber nicht den rechten, welcher der Herr ist. Denn in ihnen allen ist die Grundsünde dieselbe, und sie alle führen uns nur immer tiefer in die schmachvolle Knechtschaft der Menschen, und in das Verderben unsres eigenen Ich, bis es dann dem kräftigsten Irrtum gelingt, alle andern zu verschlingen und uns ganz und gar zu beherrschen. In unsrer Zeit nun kämpfen der erste und der letzte Irrtum um die Oberherrschaft, das Widerchristentum mit dem Halbchristentum; und es kann keine Frage sein, dass wenn das letztere Christo nicht die volle Ehre gibt, es notwendig ein Raub werden muss des ersteren. Denn was es wirklich von Christo noch haben mag, und was wir ihm nicht absprechen wollen, das kann ihm nicht bleiben oder in ihm zunehmen, ohne Abnehmen und endliches volles Verläugnen Alles dessen, was es neben und über dem Worte Gottes noch festhält, und was ihm also mit seinen Gegnern, zur nicht geringen Unterstützung derselben gegen sich selbst und die Wahrheit, gemeinsam ist.
Das ist, meine Lieben, die Schattenseite der Irrtümer. Wir geben zu, diese haben auch eine Lichtseite, aber das Urteil über dieselben kann darum nicht günstiger ausfallen. Wir erkennen es an, dass jeder Irrtum eine gewisse Wahrheit in sich enthält, ohne welche er nicht bestehen könnte; noch mehr, die Irrtümer, von denen wir reden, sind unter dem Schatten des Christentums entstanden, und verdanken diesem weit mehr, als sie selbst erkennen; denn jeder von ihnen hat sich gleichsam zum Vertreter einer der Wahrheiten des Christentum aufgeworfen; sei es nun, dass sie die Berechtigung der Freiheit, oder die Unverbrüchlichkeit des Gesetzes, oder die Notwendigkeit der Liebe, oder die Unentbehrlichkeit eines Erlösers geltend machen. Aber sie alle sind doch nur missverstandene und entstellte Bruchstücke der Wahrheit, und zwar nicht bloß deshalb, weil sie aus dem Ganzen, dem sie gehören, herausgerissen sind, sondern weil sie auch von dem Grund und Boden entfernt sind, von dem sie allein Leben, Wahrheit und Wirklichkeit empfangen. Versucht es doch nur jene verwitterten Bruchstücke zusammenzusetzen zu einem Ganzen, Ihr werdet sehen, wie viele Spalten und Lücken Euch bleiben. Und wenn das auch vollständig gelingen sollte, was habt Ihr von dem zusammengesetzten Stückwerk im besten Falle anders, als ein Bild ohne Leben, als gesteigerte Forderungen, ohne Kraft sie zu erfüllen, als ein Ideal, ohne Vermögen es zu verwirklichen. Ihr möget Euch ein schönes System ausdenken, zusammengesetzt aus Christentum, Liebe, Gehorsam, Freiheit; wir wollen sogar das Unmögliche zugeben, dass es in sich fehlerfrei sei, - es hat dennoch einen großen Fehler: es hilft gar nichts dem Menschen, so wie er ist, es ist schlechterdings unausführbar, dazu fehlt diesem Baum mit seinen Früchten der Boden und die Wurzel. Beides uns zu geben liegt nicht in unsrer Macht, es liegt allein in der Macht unsres Herrn Jesu Christi; und wo an ihn geglaubt wird als an den Herrn, da erst wird die Liebe begründet, der Gehorsam aufgerichtet und in wahrer Freiheit gelebt. Wer nun wirklich nicht sich selbst und Andere täuscht mit dem Hervorheben der Lichtseite seiner Irrtümer, wer wirklich die Wahrheit an dem Irrtum liebt, wer nicht um des gepflegten Irrtums willen, noch an den schwachen Überresten der für ihn immer mehr untergehenden Wahrheit hält, sondern vielmehr um der ihm aufgehenden Wahrheit willen sich nur noch gebunden fühlt an den Irrtum, der wird auch der Predigt von der unbedingten Herrschaft Christi sein Herz öffnen, und die Wahrheit wird ihn frei machen.
Geliebte in dem Herrn! Wollen wir aus eigner Kraft das Werk unsres Heils vollbringen, so hilft es nichts Liebe, Gehorsam, Freiheit bloß zu fordern, denn das eben ist unser Unheil, dass wir das Alles nicht haben und nicht leisten können. Um es zu können sind zwei Bedingungen unerlässlich: der Mensch muss sich zuerst vergeben, alle seine Sünden bis auf die letzte Spur verwischen, und dann sich erneuern, d. h. seine Natur zwingen Gott zu lieben und sein selbstsüchtiges Ich zu hassen, sich von Grund aus umschaffen, den alten Menschen töten und einen neuen sich selbst geben. Vergebung und Erneuerung das ist also der Boden, das die Wurzel, ohne welche es für uns keine Gottgemeinschaft gibt. Das ersehnt und sucht auch der Mensch auf tausend falschen Wegen, sein eignes Ziel nicht erkennend. Aber so unentbehrlich beides für ihn ist, eben so unmöglich ist es ihm das eine oder das andre aus eigner Kraft zu leisten. Nur das Evangelium hat und gibt beides, Gnade und Leben; es errät das geheime Sehnen unsres Herzens, auch wenn es uns selbst noch verborgen ist; es versteht alle unsre Gedanken von ferne, noch ehe wir sie selbst erkennen; es kommt allen unsern Bedürfnissen entgegen, noch ehe wir sie aussprechen; es hilft Allem ab, versöhnt Alles, befriedigt Alles, indem es uns predigt, dass Christus der Herr sei, der die Sünde vergibt in seinem Namen, und der das Herz erneuert in der Kraft seines heiligen Geistes.
Kommt denn und lasst uns diese gute Botschaft zum Heil unsrer Seelen vernehmen aus unserm heutigen Sonntagsevangelium, das geschrieben steht
Matth. 9,1-8.
Da trat er in das Schiff, und fuhr wieder herüber, und kam in seine Stadt. Und siehe, da brachten sie zu ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bette. Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Und siehe, Etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: Dieser lästert Gott. Da aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: Warum denket ihr so Arges in euern Herzen? Welches ist leichter zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben; oder zu sagen: Stehe auf und wandle? Auf dass ihr aber wisst, dass des Menschen Sohn Macht habe auf Erden die Sünden zu vergeben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, hebe dein Bett auf, und gehe heim. Und er stand auf, und ging heim. Da das Volk das sah, verwunderte es sich, und pries Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat.
Der Herr redet heute zu uns ein mächtiges, trostreiches, holdseliges Wort; das teuer-werteste Wort unter allen, die auf Erden gehört werden können: „sei getrost, dir sind deine Sünden vergeben; stehe auf und wandle.“ Möge es uns Allen durch den heiligen Geist mit lebendiger Schrift ins Herz gegraben werden, auf dass diejenigen, die noch auf dem weiten Meere menschlicher Meinungen umherschwanken, zum evangelischen Glauben gelangen, die Andern in diesem Glauben bestärkt und befestigt werden, und. wir Alle bekennen, dass Jesus Christus der Herr sei. Amen.
Es liegt auf der Hand, und bedarf keines besonderen Nachweises, geliebte Gemeinde, dass unser Evangelium von der Macht des Menschensohnes auf Erden Zeugnis gibt; und zwar bezeugen die beiden Worte, die der Herr zu dem Gichtbrüchigen spricht, wie diese Macht eine Macht der Sündenvergebung und der Herzenserneuerung ist. Beides lasst uns nacheinander betrachten und beherzigen.
Die Gottesmacht und Herrlichkeit des Menschensohnes muss uns zunächst daran klar und gewiss werden, dass er zu dem Gichtbrüchigen sagt: sei getrost, mein Sohn, dir sind deine Sünden vergeben. Denn die Schriftgelehrten, die Jesum von Nazareth der Gotteslästerung beschuldigen, hatten darin Recht, und beschämen damit viele Christen unsrer Zeit, die es mit der Vergebung der Sünde leicht nehmen, dass sie bei sich selbst dachten: wer kann Sünde vergeben, denn Gott allein. Es ist ein einiger Gesetzgeber, der kann selig machen und verdammen. Ihm allein steht es zu die Sünde zu vergeben, d. h. die Schuld zu tilgen, die wir durch unsre Sünde aufgehäuft haben, die Strafe zu erlassen, die wir mit unsrer Schuld verdient haben, und uns das Wohlgefallen seines Vaterherzens wieder zuzuwenden, das wir durch Sünde und Schuld verwirkt haben.
Aber dennoch dachten die Schriftgelehrten Arges in ihrem Herzen, denn sie hielten den, der selbst Gott ist von Ewigkeit, für einen bloßen Menschen; und die Anklage der Gotteslästerung fiel auf ihr Haupt zurück. Als den lebendigen Gott erwies er sich auch vor ihren Augen schon durch seine Allwissenheit, indem er ihres Herzens Gedanken durchschaute; mehr noch durch die augenblickliche, wunderbare Heilung des Kranken, die er selbst als ein Zeugnis seiner Gottheit erkannt wissen wollte, indem er sprach: auf dass ihr aber wisset, dass des Menschen Sohn Macht habe auf Erden die Sünden zu vergeben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: ich sage dir, stehe auf, hebe dein Bett auf, und gehe heim. Daran sollen sie erkennen, dass sein Gnadenwort keine Lästerung Gottes, aber auch kein leeres, vergebliches Menschenwort gewesen, sondern dass dem Gichtbrüchigen so wahrhaftig die Sünden vergeben waren, so gewiss er nun aufstand und heim ging. Doch Ihr werdet sagen, haben nicht auch Moses, die Propheten und die Apostel Wunder getan, und sie waren doch nur Menschen. Gewiss! Aber keiner von ihnen sprach dabei, „ich sage dir“, sondern sie taten die Wunder im Namen Gottes oder im Namen Jesu; und hätte Einer von ihnen sich unterfangen, durch ein Wunder seine angemaßte Gottheit beglaubigen zu wollen, so wäre auch die Kraft Gottes von dem Gotteslästerer gewichen, Gott der Herr hätte nicht sein Ja und Amen dazu gegeben. Hier aber geschah es zum Zeugnis, dass Jesus der Herr sei, der wahrhaftige Gott, der gekommen ein Reich der Vergebung zu gründen, und der da unumschränkte Macht hat alle unsre Sünden zu werfen in das Meer, da es am tiefsten ist, also dass ihrer in Ewigkeit nicht gedacht werden soll.
Worauf gründet sich aber diese Vergebung? Will Gott weiche und schlaffe Nachsicht üben, und sein Auge vor den Übertretungen der Menschen verschließen? Ist das Gesetz abgeschafft, oder hat es von seiner Strenge nachgelassen? Mitnichten. Ist es doch des Menschen Sohn allein der Sünde vergibt; des Menschensohn, der gekommen sein Leben zum Lösegeld zu geben für Viele. Zwar ruht die Vergebung in der göttlichen Gnade, aber diese ist eine ganz besondere Gnade, welche feierlichst das Gesetz bestätigt, und doch seinen Fluch über uns aufhebt; welche die Verurteilung in der Vergebung, und die Vergebung in der Verurteilung kund tut, welche eine Liebe offenbart, die eben so verzehrend ist in ihrem heiligen Zorn, als brennend vor unendlichem Erbarmen. Denn auch der Zorn Gottes kommt aus der Liebe, aber aus der Liebe, mit der er sich selbst, sich zuerst, sich über Alles liebt. Denn er ist sich selbst der erste und höchste Gegenstand seiner Liebe, weil über ihm selbst nichts ist, sondern Alles unter ihm steht und ihm untertan ist. Diese heilige Selbstliebe Gottes stößt Alles von sich aus, was ihn nicht allein den ewigen Gott sein lassen, und als solchen über Alles lieben will; das ist sein heiliger Zorn. In dieser Selbstliebe aber umfasst er aus freiem Erbarmen auch die abgefallene und verlorene Welt, und liebt sie gleichwie er sich selbst liebt. Weil er sich selbst liebt, darum kann er die sündige Welt nicht anders lieben, als dass durch ein vollgültiges Opfer die Sünde zugedeckt und sein Zorn versöhnt werde, auch wenn es Niemand anders zu vollbringen im Stande wäre, als der ewige Sohn. Weil er aber die Welt liebt wie sich selbst, darum ist ihm auch sein Sohn nicht zu teuer, sondern er gibt ihn dahin, damit das Verlorene gerettet werde, damit er in seinem Namen Vergebung und Gnade verkündigen könne allen, die an ihn glauben, und damit er sich auf ewig mit uns verloben und vertrauen könne in Gerechtigkeit und Gericht, und in Barmherzigkeit und Gnade.
So kommt der Herr noch heute zu uns in seinem Wort und seinen Gnadenzeichen mit der Trostverkündigung der Sündenvergebung. Das Evangelium fordert nicht, was wir nicht leisten können, sondern gibt und schenkt, was wir nicht fordern können. Es fängt damit an uns zu verkündigen, dass wir gerettet sind, nicht aus unsrem Tun, sondern weit über unser Verdienst, überhaupt nicht wegen getaner oder zu tuender Werke, sondern gerettet vor unsren Werken und unabhängig von ihnen, allein um des Leidens und Tuns Jesu Christi willen. So befreit uns die sündenvergebende Macht unsres Herrn von der unerträglichen Gesetzesbürde und gibt uns im voraus Alles, was nur unser Herz fassen kann, ja um so viel mehr, je größer Gott ist als unser Herz.
Wo nun heute dies Evangelium verkündigt wird, da übt der Herr seine Macht auf Erden aus durch die Predigt seines Worts; da sollen wir gewiss sein, dass er gegenwärtig ist und zu uns redet, da sollen wir uns solchen Wortes von Herzen getrösten, als stände er selbst vor uns, wie damals vor dem Gichtbrüchigen, und spräche zu uns: Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben. Wer hier verachtet, der verachtet nicht den Menschen, sondern den Herrn Christum selbst, der solche Macht den Menschen, seiner Gemeinde der Gläubigen, gegeben, und in ihr aufgerichtet hat das Amt, das die Versöhnung predigt.
Und er hat sie gegeben für Alle; bei ihm ist kein Ansehen der Personen, noch Ansehen der Sünden, sondern wie sein Wort uns Alle einschließt in die eine und selbige Sünde, so will es auch uns Alle in die eine Barmherzigkeit hüllen. Wir Alle brauchen sie, wir Alle können sie auch erlangen; aber zu eigen wird sie uns nur, wenn wir gebeugt von dem eisernen Joch des Gesetzes und unter dem Druck desselben, nicht mehr zu uns selber sprechen: ich bin reich, ich habe gar satt und bedarf nichts; sondern vielmehr mit dem König David klagen: „ich erkenne meine Missetat und meine Sünde ist immer vor mir. An dir allein habe ich gesündigt und Übles vor dir getan, auf dass du recht behaltest in deinen Worten und rein bleibest, wenn du gerichtet wirst.“ Denn weil die Gnade die kräftigste Aufrichtung und Bestätigung des Gesetzes ist, darum wird sie auch keinem zu Teil, oder wird von keinem gesucht, er sei denn durch das Gesetz gedemütigt. Wie uns das Gesetz keinen andern Ausweg offen lässt, denn den zur Gnade in Christo, so ist auch diese Gnade für Alle unzugänglich, die nicht von dem Gesetze her zu ihr kommen. Denn weder wollen diese die Gnadenherrschaft Christi so anerkennen und annehmen, wie sie ist; noch sind sie so beschaffen, dass seine Gnade sie aufnehmen könnte, wie sie sind. Die Sündenerkenntnis aber, welche den Trost der Vergebung sucht und erfährt, das ist nicht jene weiche Wehmut, die sich in ihrer Rührung selbst bespiegelt, auch nicht jener trotzige Unmut, dem die Sünde lästig ist, ohne dass er von ihr lassen will; sondern es ist die tiefe Gebeugtheit und Zerschlagenheit einer Seele, die vor dem Gerichte Gottes gestanden und dort ihr Todesurteil empfangen hat, es ist der entschiedene Abscheu vor der Sünde, als einer Feindschaft wider den heiligen Gott. Doch so notwendig solch' heilsame Traurigkeit ist, so ist sie es doch nicht, durch welche wir der Vergebung teilhaftig werden. Diese ist allein dem Glauben verheißen; wie es auch in unserm Text lautet: Da Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: „dir sind deine Sünden vergeben.“ Glauben aber, das ist nichts Anders, als Jesum einen Herrn heißen durch den heiligen Geist; in völliger, unbedingter Abhängigkeit von ihm stehen, von seiner Gnade allein Alles erwarten, an ihr allein sich genügen lassen, in vollem Vertrauen ihm Leib und Seele befehlen für Zeit und Ewigkeit, seiner Wahrheit, seinem Willen, seiner Ehre Alles unterordnen, auf jede eigne Freiheit verzichten, und völlig ein Knecht Jesu Christi sein; also, dass es keine größere Knechtschaft gibt, als die im Glauben an Jesum Christum. Meint nur nicht, das wäre ein Glaube, der nur wenigen auserwählten Rüstzeugen zu Teil würde; keineswegs. Mag auch der Glaube dem Grade nach sehr verschieden, hier stark, dort schwach sein; seinem Wesen nach ist auch der geringste Funke wahrhaftigen Glaubens nicht anders beschaffen, ihn will der Herr in Allen wirken, und durch ihn will er seine trostreiche Macht der Sündenvergebung an Allen erweisen.
Geliebte in dem Herrn! Seht hier Euer Heil, und ist außer ihm kein Heiland. Sucht denn nicht anderswo vergebliche Hilfe; verstoßt nicht die einzige Rettung darum, weil sie reine, freie Gnade ist. Flüchtet Euch nicht zurück in das Andenken Eurer guten Werke, die Ihr haben mögt, oder Eurer frommen Wünsche und Vorsätze, die Ihr nicht verwirklicht, oder in den betrügerischen Vorwand einer Schwachheit, die Ihr nicht besiegen könntet, oder gar in die gottlose Vorstellung, Gott werde Euch vergeben auf Kosten seiner Gerechtigkeit. Ihr sollt Euch nicht künstlich einen Hunger erwecken, um an der Gnade Gefallen zu finden; aber Ihr sollt Euch auch nicht in ein widernatürliches Widerstreben hineintreiben, um die Gnade von Euch zu stoßen. Nein, täuscht Euch nur nicht über Eure wahre Beschaffenheit; hört nur nicht auf Euren Hochmut und Stolz. Höret auf den Herrn, und beurteilt nach dem Heilmittel Euer Übel, nach dem Lösegeld Eure Schuld; hört auf das schreiende Bedürfnis Eurer Seele, und meinet nicht es mit etwas Anderem stillen zu können, denn mit der sündenvergebenden Gnade unsres Herrn. der Herrschaft Jesu Christi entziehen; aber daran ist Alles gelegen, ob wir seine Krone und sein Augapfel sind, oder mit seinen Feinden ein Schemel seiner Füße werden.
Herr Jesu Christe, dem der Vater alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden, sei Du uns nur nicht schrecklich. Siehe hier sind wir; nimm uns in Deinen Dienst, nimm uns Alle ganz und gar. Wir wollen nicht uns angehören; sondern Dein Eigentum wollen wir sein, der Du uns zuerst geliebt und uns teuer erkauft hast zu Deiner Gemeinde.
Wir loben Dich, wir benedeien Dich, wir beten Dich an und sagen Dir Dank in Deiner großen Herrlichkeit. Der Du sitzt zur Rechten des Vaters, nimm auf unsre Bitten und erbarme Dich unser. Denn Du allein bist heilig, und ist außer Dir kein Heiland; Du allein bist der Herr, Du allein bist erhöhet, auf dass in Deinem Namen sich Aller Kniee beugen sollen, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Du der Herr seist, zur Ehre Gottes des Vaters. Amen.