Predigt am fünf und zwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.
Die Gnade und der Friede Gottes, des Vaters, sei mit Euch Allen, und behalte Euch unsträflich auf die Zukunft unsers Herrn Jesu Christi. Amen.
Geliebte Gemeinde! Gleichwie unser Neues Testament mit der Verheißung und der Geburt unsers Herrn beginnt, und in seinem letzten Buche mit der Ankündigung der gewissen und baldigen Wiederkunft desselben zum Gericht schließt, - also den Gesamtverlauf des Reiches Christi auf Erden an uns vorüberführt, nach seiner Vorbereitung und Gründung, Ausbreitung und Erhaltung, seiner Vollendung und Verherrlichung; eben so ist das christliche Kirchenjahr nach seinem Anfange und seinem Ende von jenen beiden Markzeichen göttlicher Barmherzigkeit und Gerechtigkeit umgrenzt, innerhalb welcher es uns das große Weltjahr Gottes abbildet und vergegenwärtigt, die göttliche Weltgeschichte, die mit der ersten Ankunft Jesu Christi aus der Ewigkeit herausgeboren wird, die sich in der Geschichte seiner Kirche und ihrer Gläubigen fortsetzt, und die endlich bei der letzten Zukunft des Herrn wieder in die Ewigkeit zurückgenommen werden wird. So ist das Kirchenjahr eine Weltgeschichte im Kleinen, wenn wir diese, wie wir sollen, von dem Mittelpunkt der göttlichen Offenbarung aus betrachten; so wie die christliche Weltgeschichte ein Kirchenjahr im Großen ist, ein Jahr der Gnaden und des Heils, da die Völker insgesamt, und jeder Einzelne insbesondere zubereitet werden, und sich selbst bereiten sollen durch freudiges Hinzutreten zum Gnadenstuhl, damit sie Gnade finden und Barmherzigkeit erlangen an dem großen Tage der Offenbarung des Richterstuhles Jesu Christi. Denn selig ist der Knecht, den der Herr, wenn er kommt, wachend und gerüstet findet!
Ein Vorbild und eine Bürgschaft für das Weltgericht ist uns die verkündigte und verwirklichte Zerstörung Jerusalems, womit der alte Bund abgeschlossen und die junge christliche Gemeinde teils von dem verwesenden Leichnam des Judentums rein abgesondert und geschieden, teils in sich selbst gesichtet und von ihren toten Gliedern befreit wurde. So wird auch das jüngste Gericht den ganzen gegenwärtigen Weltlauf vollenden, alle Feinde werden besiegt, alle Namenschristen ausgeschieden, jede Gemeinschaft von Gerechten und Ungerechten wird aufgehoben, und der vollkommene Sieg des Evangeliums wird gefeiert werden. Darum sind auch die jener jüdischen Katastrophe vorangehenden Zustände und Ereignisse Vorbilder der letzten Zeit vor dem Ende der Welt. Aber jene sind nicht die einzigen, sondern bis zur letzten Entscheidung ist der Herr immer im Kommen begriffen; wie er auch selbst vor dem Hohenpriester Caiphas bezeugt: „von nun an wird es geschehen, dass ihr sehen werdet des Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft, und kommen in den Wolken des Himmels.“ Darum wiederholen sich dergleichen Vorbilder und Anfänge des Weltgerichts auch innerhalb der Geschichte selbst, welche die kämpfende Kirche Christi auf Erden durchlebt. Das sind die weltgeschichtlichen Zeiten allgemeinen Abfalls, großer Trübsale, schwerer Verfolgungen, ernster Gerichte, auf welche immer eine neue Ankunft des Herrn, eine neue Ausgießung des Geistes erfolgte, zerstörend und bauend, zerstreuend und sammelnd. Ich erinnere nur an die großen Christenverfolgungen in den ersten Jahrhunderten, die mit dem Untergange des Heidentums endeten; ferner an die Geißel, die der Herr über seine Christenheit des Ostens kommen ließ in dem Lügenpropheten Muhammed, während im Westen die christliche Kirche unter den deutschen Stämmen sich befestigte und aufblühte; endlich an das Zeitalter der Reformation, und die Gründung der evangelischen Kirche. Zu allen diesen Zeiten erwarteten die Gläubigen von den Aposteln an bis auf unsere Tage die endliche Ankunft des Herrn zum Gericht, und sie taten daran recht. Denn teils sollen wir allezeit mit heiligem Ernst die Zeichen der Zeit beachten, und den treuen und wachsamen Knechten gleichen, die auf ihren Herrn warten, auf dass, wenn er kommt, wir ihm alsbald auftun; teils können solche Zeiten wirklich die letzte Zeit sein, da wir nicht wissen, wann des Menschen Sohn kommen wird; immer aber sind sie eine letzte Zeit, die uns drohend und verheißend das Herannahen des Tages der letzten Entscheidung verkündigt und vergewissert, dessen verborgene Zeit und Stunde aber der Vater seiner Macht vorbehalten hat.
Zu solchen Gedanken im Hinblick auf unsere Zeit, und darauf, was uns Not tut, damit wir fröhlich und getrost den Tag der Zukunft Jesu Christi erleiden, und bestehen mögen, wenn er erscheinen wird, fordern uns die letzten Sonntage des Kirchenjahrs auf, die Sonntage der christlichen Hoffnung. So lasst uns denn gemeinsam uns beugen vor dem Worte der Wahrheit, und es willig aufnehmen, wie es sich uns gibt, als Wort der Strafe und des Friedens. Lasst uns zusammen mit Herz und Ohr es hören, wie es in unserem heutigen Evangelio geschrieben steht.
Matth. 24, 15-28.
Wenn ihr nun sehen werdet den Gräuel der Verwüstung, davon gesagt ist durch den Propheten Daniel, dass er stehe an der heiligen Stätte; (wer das liest, der merke darauf!) alsdann fliehe auf die Berge, wer im jüdischen Lande ist. Und wer auf dem Dache ist, der steige nicht hernieder, etwas aus seinem Hause zu holen. Und wer auf dem Felde ist, der kehre nicht um, seine Kleider zu holen. Wehe aber den Schwangeren und Säugern zu der Zeit. Bittet aber, dass eure Flucht nicht geschehe im Winter, oder am Sabbat. Denn es wird alsdann eine große Trübsal sein, als nicht gewesen ist, von Anfang der Welt bis her, und als auch nicht werden wird. Und wo diese Tage nicht würden verkürzt, so würde kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen werden die Tage verkürzt. So alsdann Jemand zu euch wird sagen: Siehe, hier ist Christus, oder da; so sollt ihr es nicht glauben. Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen, und große Zeichen und Wunder tun, dass verführt werden in den Irrtum (wo es möglich wäre) auch die Auserwählten. Siehe, ich habe es euch zuvor gesagt. Darum, wenn sie zu euch sagen werden: Siehe, er ist in der Wüste; so geht nicht hinaus; Siehe, er ist in der Kammer; so glaubt es nicht. Denn gleich wie der Blitz ausgeht vom Aufgang, und scheint bis zum Niedergang, also wird auch sehn die Zukunft des Menschen Sohns. Wo aber ein Aas ist, da sammeln sich die Adler.
Herr, unser Gott, erleuchte und heilige uns mit Deinem Wort der Wahrheit, damit wir die Zeichen der Zeit heilsamlich erkennen und eilen mögen unsere Seele zu erretten durch den Reichtum Deiner Barmherzigkeit. Amen!
In dem verlesenen Text redet unser Herr zu seinen Jüngern von dem Gottesgericht, das in Jerusalems Zerstörung offenbar werden sollte; doch nicht, um ihre Neugier zu wecken oder zu befriedigen, sondern um sie auf diese Zeit beispielloser Drangsale vorzubereiten durch Lehre und Mahnung, Trost und Warnung. Darum macht er sie zuerst aufmerksam auf die, schon von dem Propheten Daniel geweissagten Erscheinungen, welche den Anbruch jener letzten Zeit bezeichnen würden; unterweist sie ferner, wie sie dann ihre Seele erretten und bewahren sollen, und warnt sie endlich besonders vor den Künsten der Verführung, die dann tätig sein würden, um, wo möglich, auch die Auserwählten in den Strudel ihrer Irrtümer hereinzuziehen.
Zwar gehen diese Worte des Herrn zunächst auf ein längst vergangenes Ereignis, aber wie dieses keineswegs vereinzelt dasteht, sondern nur der Anfang des Gerichtes ist, das mit dem Evangelio durch die Welt schreitet, so enthalten auch jene Worte eine allgemeine Unterweisung für alle ähnlichen Zeiten und Zustände. Wenn irgend eine Zeit, Geliebte in dem Herrn, so ist die unsrige eine der letzten Zeiten; ob die letzte, das weiß allein der Herr, aber wir sollen in ihr wandeln als in der letzten Zeit.
Unser Evangelium nun gibt uns Antwort auf die Frage? Wie die Gläubigen sich in den letzten Zeiten zu verhalten haben? Die Antwort ist eine dreifache:
1.
Unser Text redet zuerst von dem Gräuel der Verwüstung, davon gesagt ist durch den Propheten Daniel, dass er stehe an der heiligen Stätte, und fügt hinzu: wer das liest, der merke darauf. Auf Gottes Wort sollen wir zuerst merken; in dem Lichte dieses Worts sollen wir die Geschichte anschauen, und von ihm uns die Zeichen einer Zeit deuten lassen, um sie zu verstehen, und selbst allezeit wach und gerüstet zu sein, damit das Gericht nicht unverhofft über uns hereinbreche. Der Grundsatz aber, den Gottes Wort aufstellt, ist der, dass die raubgierigen Adler sich da sammeln, wo sie Verwesung wittern, dass das Gericht niemals fern ist, wo die Sünde allgemein und herrschend geworden, wo das Verderben das Haus, die Schule, den Staat ergreift, ja wo die Macht des Bösen sich an Christum, sein Wort und seine Kirche wagt, und mitten im Heiligtum ihren Thron aufschlägt.
Weil das Volk Israel selbst sein Heiligtum zerstörte durch Abfall von dem lebendigen Gott und durch die Kreuzigung seines einigen Erretters, darum ging die Kraft und das Leben dieses Volks in Fäulnis über, und es musste nun den Gräuel der Verwüstung, die Heeresmacht der abgöttischen Heiden mit ihren Adlern, an heiliger Stätte schauen. Der Zusammenhang von Sünde und Strafe ist unzerreißbar, und die Gerichte Gottes, die er über ganze Zeiten und Völker verhängt, sind eben so sehr natürliche Folgen der herrschenden Sünden und gemeinsamen Schuld, als notwendige Äußerungen göttlicher Strafgerechtigkeit. Denn der Tod ist der Sünde Sold, der Tod nach dem Gesamt Umfange seiner Herrschaft, in allen seinen Gestalten und Angriffsweisen; und wiederum: Gottes Zorn vom Himmel wird offenbar über alles gottlose Wesen und alle Ungerechtigkeit der Menschen. - Freilich von der Offenbarung eines göttlichen Zorns in der Geschichte der Menschheit, von einem heiligen Gottes - Zorn, der mit seinem Feuer das Leben der Menschen und Völker verzehrt, dass sie wie ein Rauch verschwinden, hört unsere Zeit ungern reden; merken wir wohl darauf, es ist ein weissagender Hauptzug in ihrem Antlitz. Man redet wohl von dem Laufe der Natur, von den Schicksalen der Welt, aber nicht von der Ordnung eines heiligen und gerechten Willens Gottes. Man verbirgt sich vielmehr die Gerechtigkeit Gottes sowohl, als auch die Ungerechtigkeit der Menschen. Und da man doch nicht das Dasein der Gerichte ganz ableugnen kann, da das menschliche Elend sich bei jedem Schritt, den wir tun, uns vor die Füße legt, so begnügt man sich mit dem Gedanken einer unvollkommenen Welt, und versucht höchstens eine Art von Ehrenrettung der göttlichen Vorsehung. Weiter kommen wir mit unseren eignen hohen Gedanken nicht.
Nur wer auf das Wort Gottes merkt, der kommt zu dem Ernst, sein Leben und die Zeit um sich her aus dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit Gottes zu betrachten; der empfängt den Mut, der Wahrheit grade ins Auge zu sehen; der wird getauft mit dem Feuergeist, die Sünde an sich und um sich her als Quelle aller Übel zu erkennen und zu strafen; und dem wird gegeben die Demut, sich vor Gott, dem Heiligen und Gerechten, als schuldig, als ganz und gar schuldig in den Staub niederzuwerfen.
Wer darum seine Zeit verstehen will, der merke auf das Wort Gottes; es gibt ihm das Grundgesetz der Weltgeschichte, es offenbart ihm aber auch den göttlich gewollten und menschlich herbeigeführten innern Verlauf der Geschichte. Nach menschlicher Vorstellung und Anschauung geht es mit dem Menschengeschlecht immer reißender vorwärts, von einer Stufe des Fortschritts und der Vervollkommnung zur andern; nach ihr wird die Welt immer lichter, gebildeter, freier. Wenn aber Bildung und Freiheit die Welt erhalten sollen, sagt, warum sind die hochgebildeten Völker und Staaten des Altertums zerfallen und untergegangen? Ihr antwortet vielleicht, es könne das nicht auf die Bildung der Neuzeit angewandt werden, weil diese das Christentum zu ihrer Grundlage habe. Aber dann wird auch die Bildung ihre Aufgabe nur so lange erfüllen, als sie mit Bewusstsein und Willen diesen Zusammenhang ehrt und aufrecht erhält. So lässt es sich aber in unserer Zeit nicht an: man meint endlich auch Gott gegenüber unabhängig und selbstständig werden zu müssen, die Schrift nennt es Gottlosigkeit; man meint von dem Gängelbande des Christentums Haus und Schule und Staat befreien zu müssen, die Schrift nennt es Unglauben; man meint das Christentum und die Kirche habe sich überlebt, die Schrift nennt das den Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte.
Nein, Geliebte, dem Christentum wird und kann keine Religion auf Erden folgen; außer Christo kann der Mensch nur noch an den Tod glauben. Aber indem sie das Christentum stürzen wollen, richten sie wider Willen seine Weissagung auf, und bestätigen die Anschauung des göttlichen Worts von dem Verlauf der Weltgeschichte. Denn nach der Weissagung ist der Gang dieser, dass vor der Blitzeshelle der Wiederkunft Christi eintreten wird eine tiefe und dunkle Nacht des Abfalls; dass Gott wird kräftige Irrtümer senden, dass sie glauben der Lüge, damit gerichtet werden Alle, die der Wahrheit nicht glauben, sondern haben Lust an der Ungerechtigkeit. Das sollst Du aber wissen, schreibt der Apostel Paulus, dass in den letzten Tagen werden gräuliche Zeiten kommen, denn es werden Menschen sein, die von sich selbst halten: Geizige, Ruhmredige, Hoffärtige, Lästerer. Und in einem andern Briefe schreibt er: Es kommt der Tag Christi nicht, es sei denn, dass zuvor der Abfall komme, und offenbart werde der Mensch der Sünde und das Kind des Verderbens, der da ist ein Widerwärtiger, und sich überhebt über Alles, das Gott oder Gottesdienst heißet, also, dass er sich setzt in den Tempel Gottes, als ein Gott, und gibt sich vor, er sei Gott. (2 Thess. 2,3.4.)
Erlasst mir den traurigen Beweis dafür, dass in unsern Tagen sich diese Weissagungen erfüllen. Denn zusehends wachsen die Kräfte der Lüge; immer allgemeiner wird die Verachtung des Worts und der Sakramente, der Unglaube gegen Christum, die Verwerfung seiner Kirche; darum werden auch die Bande des häuslichen und bürgerlichen Lebens immer lockerer: die Zucht erschlafft, die Ehrbarkeit der Sitten verliert sich, das Recht wird gekränkt, Eide werden gebrochen, die heiligsten Verbindlichkeiten zerrissen. Aber auf eins lasst mich Euch aufmerksam machen, die Ihr Gottes Wort in Ehren haltet: Erkennt an diesem Geiste des Abfalls und der sittlichen Verwesung das Wahrzeichen der Gefahr. Merkt daran, dass das Schwert des Herrn unserer Zeit über dem Haupte schwebt, und dass die Art schon dem Baum an die Wurzel gelegt ist. Meint auch nicht, dass es dem Gläubigen nicht zukomme darauf zu achten, was in der Zeit geschieht; vielmehr gehört das notwendig zum Verhalten der Gläubigen in den legten Zeiten, dass sie merken auf das Wort Gottes, und im Lichte desselben die Lebensfragen der Zeit verfolgen, und die Ereignisse derselben verstehen. Denn wollen wir dem Verderben entfliehen, so gilt es zunächst uns nicht betäuben, verwirren und beherrschen zu lassen von der Zeit; sie soll uns durch Gottes Gnade besonnen, wachsam und gerüstet finden, also dass wir mit Ruhe und Freiheit im Getümmel stehen, zur bösen Stunde Widerstand leisten, und die teuersten, gottgegebenen Güter gemeinsam verteidigen können, wenn sie angetastet werden. So werden dann auch die Trübsale und Gerichte nicht unverhofft über uns hereinbrechen und uns bewältigen, sondern wie wir merken auf das Wort, so werden wir auch halten an dem Wort, um in den Trübsalen der letzten Zeiten zu bestehen.
2.
Die Trübsale aber können nicht ausbleiben; wir sehen sie auch schon heraufziehen. Die Beschaffenheit und das Maß der Sünden bestimmt auch die Art und das Maß der Trübsale. Der Herr selbst sagt, diese werde in den letzten Zeiten eine so große sein, als nicht gewesen ist von Anbeginn der Welt. Will die Welt nicht Gott dem Herrn gehorchen, sondern sich selbst und der Natur dienen, so wird sie auch unterworfen der Tyrannei der Selbstsucht und der Gewalt der Naturkräfte. Darin will Gott seine Gerechtigkeit offenbaren, dass er die Menschen, die das Zeitliche, Endliche, Selbstische suchen und sich von seinem Geiste nicht mehr strafen lassen wollen, dahin gibt an die Gelüste ihres Herzens, und ihnen ihren Lohn gibt durch das Übergewicht der zerstörenden Zeitgewalt, und durch die Übermacht der selbstsüchtigen Willkür. Wird dagegen gesündigt an dem Worte des Herrn, wird der Gräuel der Verwüstung aufgerichtet mitten in heiliger Stätte, dann ist auch die Zeit da, in welcher das Gericht an dem Hause Gottes anfängt, in welcher der Feind und Verkläger unserer Seele die Gläubigen begehrt zu sichten wie den Weizen. Und für solche Zeiten lehrt uns der Herr halten an dem Wort mit Selbstverleugnung, Gebet und Vertrauen auf seine Gnade.
Zwar soll der Christ allewege als am Tage wandeln, vor und mit dem Worte des Herrn; er soll nüchtern und wachsam sein, nach innen gesammelt und sich selbst klar, nach außen fest und frei; denn seine Straße ist eine schmale und steinige. Aber in den Zeiten der Trübsale wird diese Forderung um so dringender. Darum sagt der Herr, wenn ihr seht den Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte, alsdann flieht auf die Berge. Er warnt uns vor schwärmerischer Leidenslust, vor einem selbsterwählten Märtyrertum, das er nicht haben will, und vor verwegenem Vertrauen auf eine Hilfe, die er nicht geben will. Wir sollen weder uns selbst noch Gott versuchen. Vielmehr sollen wir unsere Augen aufheben und fliehen zu den Bergen des Heils, die festgegründet sind in dem Worte Gottes und seinen Gnadensiegeln, und von dannen uns Hilfe kommt. Nicht sollen wir hören auf Menschenworte, nicht sehen auf Menschenansehen, nicht hoffen auf Menschenhilfe, sondern an dem Worte des Herrn halten und darauf vertrauen. Je entschiedener und treuer wir darin werden, um so gewissere Tritte werden wir tun auf dem schwankenden Wege des Lebens.
Solcher Märtyrer bedarf die Kirche unserer Zeit, die dem Worte des Herrn die Ehre geben, die mit dem unumwundenen Bekenntnis in Wort und Wandel leuchten in dem Kreise der Familie, in dem täglichen Verkehr, ohne sich irren zu lassen durch Unwillen, Kränkung oder Schmach. Und das Wort Gottes wird uns die Kraft zur Verleugnung geben; es wird uns frei machen von uns selbst, frei von jeder Anhänglichkeit an das Irdische, dass wir um Jesu Christi willen freudig und willig jedes Opfer bringen, das er verlangt - nicht zurückschauen wie Lots Weib, noch die Welt mit einem ihr zugewandten Angesicht verlassen, sondern unsern Wandel rein und unbefleckt vor der Welt bewahren, indem wir vergessen, was dahinten ist, und nachjagen dem vorgesteckten Ziel, dem Kleinod der himmlischen Berufung Gottes in Christo Jesu. Denn wer nicht absagt Allem, das er hat, und nicht sein Kreuz auf sich nimmt um Christo nachzufolgen, wer noch hinabsteigen und umkehren will in sein Haus, der ist Christi nicht wert, der besteht auch nicht in den Trübsalen der letzten Zeiten. Der halbe Glaube, der sich fürchtet, dass die volle Wahrheit des Evangeliums in ihrer Gewissheit und Wirklichkeit ihn mächtig ergreifen könnte; der da fürchtet, dass sie sein Leben beherrschen, seine Weltanschauung umwerfen, seiner Tätigkeit eine andre Richtung geben, seine Stellung in der Welt zerstören könnte; der halbe Glaube, der in sonderbarem Widerspruch zugleich den Unglauben und den Glauben fürchtet, der reicht in solchen Zeiten nicht aus, er muss sich entscheiden rechts oder links. Und das ist schon ein Segen dieser Zeiten, dass durch sie innerlich die Scheidung vollzogen wird, dass die Geister offenbar werden, und dass der Glaube geprüft und bewährt wird. Ja auch für den Glauben ist es schon Stärkung und Freude, in einer Zeit zu bekennen, wo ihn der herrschende Unglaube mit Schmach bedroht; da noch festhalten am Glauben, da Jesum bekennen, da sein Wort über Alles lieb haben und sich seines Kreuzes nicht schämen, das ist eine Probe und eine Freude des Glaubens, ein Vorschmack seiner Seligkeit.
Dennoch müsste auch den Glauben Bangen ergreifen beim Blick auf die Ohnmacht und Gebrechlichkeit unseres Herzens, und auf die Macht und Versuchlichkeit der Trübsale, wenn ihm nicht zwei Verheißungen von dem Herrn gegeben wären. Kein Mensch würde selig werden, wenn der Herr das volle, verdiente Maß der Gerichte über uns ausgießen wollte. Er verheißt uns aber in unserem Text, die Gebete der Seinen zu erhören; und versichert uns, dass um der Auserwählten willen, die Tage der Trübsal verkürzt werden sollen. Halten wir denn an seinem Wort und seien brünstig im Gebet. Der Herr kennt die Seinen, er wohnt in ihrer Mitte, segnet, die ihn fürchten, hört, die zu ihm schreien, und hilft ihnen aus. Er ist getreu und lässt uns nicht versucht werden, über unser Vermögen; bleiben auch wir ihm treu in ernstem Gebet, und die Versuchung wird so ein Ende gewinnen, dass wir es ertragen können. Ja noch mehr, wie die Welt von Gott erhalten und geduldet wird um seiner Auserwählten und Gläubigen willen, so verheißt er auch um ihretwillen die Trübsale zu kürzen, und die Gerichte zu mildern. So offenbarte er sich schon einst bei Sodoms Untergang seinem Knechte Abraham. Gibt es einen reicheren Trost und eine kräftigere Befriedigung des Herzens, als diese Verheißung? Halten wir denn an diesem Wort! Um der Auserwählten willen werden die Tage der Leiden verkürzt: das sei unser Blitzableiter, wenn die Wetter des Gerichts aufsteigen, das unser Stecken und Stab, wenn Fleisch und Blut verzagen will; das unser Sieg, wenn wir im Kampfe zu unterliegen fürchten, das unsere Ehre, wenn die Welt uns mit Schmach überdeckt.
Mag denn auch der Unglaube trogen, und Satan eine Zeit lang losgebunden sein, endlich wird doch der Name unseres Herrn Jesu Christi verherrlicht werden; endlich wird er erscheinen, alle Feinde, auch den letzten, den Tod, zum Schemel seiner Füße legen, und alle Zungen werden bekennen müssen, dass Jesus Christus allein Herr und König sei, zur Freude und zum ewigen Leben seiner Gläubigen, und zur Ehre des Vaters. Bis dahin aber lasst uns die noch nicht erfolgte Ankunft unseres Herrn nicht für einen Verzug seiner Verheißung halten; sondern er hat Geduld mit uns, und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass sich jedermann zur Buße kehre. Darum sollen wir in anhaltender Trübsal uns der großen Geduld und Langmut unsers Gottes getrösten, und diese Geduld für unsere Seligkeit achten. Und das um so mehr, als der Herr uns für unsere versuchungsreiche Wartezeit an seinem Wort einen Prüfstein gegeben hat, an dem wir die Geister prüfen können, ob sie aus Gott sind. „Denn es werden in den letzten Zeiten falsche Christi und falsche Propheten aufstehen, und große Zeichen und Wunder tun, dass verführet werden in den Irrtum, wo es möglich wäre, auch die Auserwählten.“ Damit ermahnet der Herr die Gläubigen endlich: die Geister zu prüfen nach dem Wort, um den Verführungen derselben zu widerstehen.
3.
Wie zu der Zeit der Zerstörung Jerusalems, so pflegt zu allen Zeiten großer Drangsale und Gerichte die Macht und List der Verführung am tätigsten zu sein; und sie wird dann am gefährlichsten, wenn sie im Namen Christi und seines Worts auftritt, um wo möglich auch die Auserwählten zu verführen. Denn schon um der Beschwichtigung ihres eignen bösen Gewissens willen, liegt der Welt Alles daran, diese zu gewinnen. Da will das Ich zu Ehren kommen, indem es sich mit dem Schein der Wahrheit umkleidet; da gilt es einen Anhang zu machen einem eingebildeten Christus oder diesem und jenem Menschen, welche beide uns doch nicht helfen können, weder im Leben, noch im Sterben. Und da schwanken denn die unklaren und unbefestigten Gemüter hin und her, können in der Verwirrung nicht das Rechte finden und die Wahrheit erkennen, und sind geneigt jedem blendenden Irrlicht zu folgen. Unsere Zeit, Geliebte in dem Herrn, ist voll solcher falscher Christi und falscher Propheten. Ein jeglicher ist bemüht sich einen Christus zurechtzulegen nach seines Herzens Gelüste oder vermeintlichem Bedürfnis, nach seinen Empfindungen und Gedanken, und aus dem Wort der Schrift Alles wegzuwerfen, was nicht zu diesem Gedankenbilde passen will.
So gibt es denn mindestens zwei Christus in der Welt: der eine ist der geehrte, der andere der geschmähte. Der eine ist gekleidet in die geistreichen Gedanken und Redeweisen. menschlicher Weisheit, oder Freiheit, oder Bildung, das ist ein Christus im Philosophenmantel, mit der Bürgerkrone, oder dem Lorbeer; und seine Anhänger nehmen sich dabei, als seien sie seine Erlöser, und nicht er der ihrige. Der andere, das ist kein eingebildeter, sondern der rechte Christus der heiligen Schrift und der Kirche; aber, das ist ein Christus der Torheit und des Ärgernisses, der uns sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken gibt; ein Christus mit der Dornenkrone und dem Kreuz. Ihn und sein Wort verschmäht die Welt; oder wenn sie seine Wahrheit anzuerkennen unternimmt, so ist es noch schlimmer für diese. Denn sie binden sie erst, führen sie zum Tor des Lebens hinaus, kreuzigen sie, und sagen dann: ist er Gottes Sohn, so helfe er sich selbst und steige herab; ist sie die Wahrheit, so schaffe sie sich Raum, entwickle sich frei und feiere reine Siege aus eigener Macht. Das aber heißt zum zweiten Mal einen Barrabas lossprechen und Christum kreuzigen.
Wie ihr Christus, so sind auch die faschen Propheten. dieser Zeit. Die Welt verlangt gewaltige Geister, große Persönlichkeiten, wo möglich Wundertäter; diejenigen aber verachtet sie, die von sich und der Weisheit der Welt gering denken, die nichts haben und nichts wissen wollen, denn Christum den Gekreuzigten. Nun, der Herr fordert uns auf, die Geister zu prüfen und uns von ihren Irrtümern nicht verführen zu lassen. Was sollen wir prüfen? Gewiss ihr Leben. Aber das allein reicht nicht aus; sie können sehr ehrbar, vielleicht sehr fromm und christlich leben, ja es werden solche aufstehen, die große Zeichen und Wunder tun, und dennoch falsche Propheten sein werden. Was sollen wir also prüfen? Der Herr sagt, hütet euch, dass ihr nicht verführt werdet in ihren Irrtum. Ihre Lehre sollen wir prüfen, mit dem Worte Gottes in der Hand: siehe spricht der Herr ich habe es euch zuvor gesagt.
Lassen wir uns denn nicht täuschen, meine Lieben, durch die Abneigung unserer Zeit gegen die scharf bestimmte, reine Lehre. Es ist ein verhängnisvoller Schlaftrunk, den sie uns reicht. In den letzten Zeiten bedürfen die Gläubigen ganz besonders Klarheit und Festigkeit der Erkenntnis aus Gottes Wort. Seid darum nicht misstrauisch oder; gleichgültig gegen dieselbe; achtet, liebt und sucht sie vielmehr als eine notwendige Bewahrerin des Glaubens gegen die Verführung. Lasst uns nicht hören auf die falschen Stimmen, welche die christliche Wahrheit so unbestimmt wie möglich lassen wollen, auch nicht auf die Einbildung der Andern, die durch Eingebung des göttlichen Geistes alle Wahrheit selbst finden zu können meinen, und von der Lehre und dem Bekenntnis der Kirche nicht lernen wollen. Das ist der Weg zu verführen, wo es möglich wäre auch die Auserwählten.
Von jeher hat darum die Kirche Christi, und insbesondere unsere Lutherische Kirche die Lehre gepflegt; nur Sekten sind gegen die reine Lehre gleichgültig oder feindlich gewesen. Vor dem Sektenwesen aber warnt uns der Herr in den letzten Worten unseres Textes. Darum, wenn sie zu euch sagen werden: siehe hier ist Christus oder da; siehe er ist in der Wüste, oder er ist in der Kammer, so sollt ihr es nicht glauben. Früher zogen die Christen in die Einöden, oder in die Klosterzellen, und erfüllten buchstäblich die Weissagung des Herrn, aber sie mussten auch erfahren, dass man auf diesen Wegen dem Verderben nicht entrinne.
Auch heute gibt es ein Christentum der Wüste und der Kammer, nur in andrer Gestalt. Die Wüste ist nicht bloß die öde, menschenleere Stätte in der äußern Natur, sie ist auch mitten auf dem Markt des Lebens und im Gewühl der Menschen vorhanden, sobald Gottes Geist und Wort und Werk daselbst nicht zu finden sind. In dieser Wüste meint man heute Christum zu haben, und lädt uns ein zu einem Reiche Gottes, das da besteht in Essen und Trinken, in Lust und Freude, in Kunst und Bildung; zu einem Christentum der allgemeinen Weltreligion. Im Gegensatz dazu suchen Andere Christum in dem enggeschlossenen und zurückgezogenen Kreise Gleichgesinnter. Sie haben kein rechtes Herz für die Unruhen und Leiden der Kirche Christi in dieser Zeit, und suchen nur, wie sie sich erbauen in süßem Frieden. Aber, Geliebte, es ist gleich, man rufe uns in die Wüste oder in die Kammer; so ist Christus nicht zu finden, noch zu behalten. Wir müssen allein an dem Worte Gottes hangen, und nach diesem das Eine und das Andere prüfen. Das Wort aber sagt uns, Christus sei nicht hier oder da, überhaupt nicht wo wir sein und ihn haben wollen; denn er will nicht da sein, wo unser Wollen und Werk ihn bindet, sondern wo er ist, und sich für uns gebunden hat, da sollen wir sein und bleiben, da ihn suchen, finden und halten.
Darum lasst uns merken auf das Wort des Herrn und an demselben halten, um mit ihm zu prüfen, was sich heute für Christus und christlich ausgibt. Das Wort ist ein gutes, zweischneidiges Schwert, das scharf entscheidet zwischen Irrtum und Wahrheit, zwischen gut und böse. Wir haben daran einen starken und gewissen Trost in den letzten Zeiten. Alle Schilde kann der Feind zerschlagen und alle Bogen zerbrechen; die Macht und List der Verführung kann alle Bollwerke. niederreißen; aber das Wort, im Glauben ergriffen, sollen sie stehen lassen; das ist unser Sieg. So lasst uns denn bei jeder Gefahr und Versuchung im Worte stehen, nach dem Worte prüfen, mit dem Worte kämpfen; damit wir freudig und getrost entgegengehen der siegreichen Wiederkunft unseres Herrn, die da gleich sein wird dem Blitz, der da ausgeht von Aufgang und scheint bis zum Niedergang! Seine Ankunft wird so plötzlich und allgemein sein, dass man ihn nicht erst wird zu suchen brauchen, und so offenbar, dass man darüber nicht wird ungewiss sein können.
So lasst uns denn, so lange wir hier wallen, täglich im Glauben an das Wort, mit Freudigkeit in aller Trübsal, hinzutreten zum Gnadenstuhl, auf dass wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden auf die Zeit, wann uns Hilfe not sein wird; denn
Er kommt zum Weltgerichte,
Zum Fluch dem, der ihm flucht;
Mit Gnad und süßem Lichte
Dem, der ihn liebt und sucht.
Ach komm, ach komm, o Sonne,
Und hol' uns allzumal
Zum ew'gen Licht und Wonne
In deinen Freudensaal. Amen.