Dieser Psalm enthält ein tröstliches Gebet wider der Weltkinder Eitelkeit, wovon ein jeder fromme Mann zu leiden hat. Solche Männer aber, wie David, die die ersten im Reiche Gottes sind, haben am meisten davon zu leiden, denn der ganze Haß der Weltkinder ist auf die ersten und vornehmsten im Reiche Gottes gerichtet. Seht aber auch, wie David nicht zu Menschen, sondern zu dem HErrn, seinem Gott geht und bei dem Hülfe suchend, seine Zuflucht findet. Darin bestand seine ganze Kraft, daß er einen offnen Zugang zu Gott hatte im Gebet. Nicht durch seine Kraft ist er ein solcher Held geworden, sondern durch Gottes Kraft und die hatte er, denn er konnte beten. So ist es allen Gotteskindern ergangen. Seht im Neuen Testamente den Apostel Paulus an, was war sein Wahlspruch? Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark 2. Cor. 12, 10. Er ging im Gebet zu Gott und holte von Ihm alle Kraft. Das allein sind die rechten Helden im Reiche Gottes, die bei sich nur Schwachheit finden und im Gebet ihre Kraft von Gott holen. Ist Gott nicht stärker als der Mensch? Wer sich selbst für stark hält, der ist sehr schwach, wer sich aber selbst für schwach hält und beten kann, der ist stark, denn den hält Gottes Kraft. So macht es David hier, er betet: Erhöre mich, wenn ich rufe, Gott meiner Gerechtigkeit, der Du mich tröstest in Angst; sei mir gnädig, und erhöre mein Gebet. Wenn er sagt: Erhöre mich, wenn ich rufe, so wird uns damit angezeigt, daß dem Erhören Gottes das Rufen des Menschen voran gehen muß. Ja Gott, will dich erhören, aber du mußt zuvor rufen; rufst du nicht, so ist von Erhören gar keine Rede. Wer nicht zu Gott ruft, der verachtet Gott, und einem Gottesverächter hilft und erhört Gott nicht. Rufst du zu Gott, so ehrst du Ihn und wer Ihn ehrt, den erhört und hilft Er. Merke aber weiter, warum David so fest und gewiß die Erhörung seines Gebets erwartet, er sagt: Gott meiner Gerechtigkeit, der Du mich tröstest in Angst. Wenn ihr im Neuen Testamente die Geschichte von dem Blindgebornen leset, so findet ihr, daß er zu den Pharisäern sagt: Wir wissen aber, daß Gott die Sünder nicht höret, sondern so Jemand gottesfürchtig ist, und thut Seinen Willen, den hört Er. Von der Welt an ist es nicht erhöret, daß Jemand einem gebornen Blinden die Augen aufgethan habe Joh. 9, 31-32. Wir sehen daraus, daß Gott den Sünder nicht erhört, sondern nur den Gerechten. So weiß nun David auch, daß Gott ihn erhören muß, denn David ist kein Sünder. Was, David ist kein Sünder? Hört ihr denn nicht, daß er sagt: Gott meiner Gerechtigkeit? David war in Sünden empfangen und geboren, er war in Sünden groß geworden und sündigte alle Tage von neuem, aber er kann sagen: Gott meiner Gerechtigkeit, er hat angezogen den Rock der Gerechtigkeit Christi und in diesem Rock der Ehren ist er kein Sünder mehr. Die Sünden sind ihm vergeben, nun ist er getrost und gewiß, daß Gott ihn erhört. Der Gott, der die Sünder nicht erhört, der erhört ihn, weil er, der Sünder, mit dem Rock der Gerechtigkeit Christi angethan ist. Sei mir gnädig, betet er weiter. Da ist nicht die Rede von der eigenen Gerechtigkeit, denn Gnade schließt alles Verdienst aus; er vertraut nur auf die zugerechnete Gerechtigkeit Jesu Christi. Nachdem er so der Gnade Gottes und der Erhörung seines Gebets gewiß ist, kann er sich ganz getrosten Muths gegen seine Feinde wenden und sprechen: Liebe Herren, wie lange soll meine Ehre geschändet werden? Wie habt ihr das Eitle so lieb, und die Lügen so gerne? Liebe Herren! wen redet er so an? Luther sagt: Das sind die großen Hansen, die in der Welt viel gelten und die allen Frommen feind sind, wie z. B. Saul und seine Genossen. Die großen Hansen, der eine noch größer als der andere, hatten die Gewalt in den Händen, aber vor Gott waren sie verworfen. Wie lange soll meine Ehre geschändet werden? sagt David. Die großen Hansen belogen und afterredeten David, sie verfolgten ihn als ein Rebhuhn auf den Bergen, er galt als ein Aufrührer und Empörer und mußte sich verstecken in den Höhlen und Klüften, um sein nacktes Leben zu retten. Ja man sollte ihn tödten, wenn man seiner habhaft werden konnte. Wenn David nun weiter fortfährt: Wie habt ihr das Eitle so lieb, und die Lügen so gerne; so sehen wir daraus, daß er nicht um Uebelthat willen, sondern um des HErrn willen verfolgt wurde. Die großen Hansen verfolgen David, weil sie die Lügen lieb haben, weil sie gern glauben, was über David gelogen wird, daß er ein Aufrührer und Empörer sei. David macht ihnen diesen Vorwurf nicht, weil er das Lügen nicht länger ertragen kann, sondern weil er einsieht, daß ihre Sündenrechnung dadurch immer größer wird und sie dem Verderben entgegen eilen. Nun bittet er sie gleichsam: Erkennet doch, daß der HErr Seine Heiligen wunderlich führet. Gerade daraus, daß David von Saul vertrieben wurde und in die Höhlen und Klüfte fliehen mußte, machten seine Feinde den Schluß, daß er kein frommer Mann sein könne. Sie meinten, Gott kenne ihn nicht als sein Kind, wenn er Gottes Kind sei, dann könne ihn Gott leicht auf den Thron setzen und Saul hinab stürzen. Aus der Trübsal wollen sie einen Strick machen, um David damit zu erwürgen. Aber David spricht, ja bittet sie: Erkennet doch, daß der HErr Seine Heiligen wunderlich führt. Der Heiligen Wege sind Wege der Trübsal und Anfechtung, sie müssen durch viel Trübsal ins Reich Gottes eingehen, so daß man sagen kann: Es giebt wohl keinen Frommen, der nicht durch viel Trübsal und Anfechtung ins Reich Gottes eingegangen ist. Das ist die allgemeine Regel im Reiche Gottes, denn Jesus spricht: Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach. Ihr seufzet wohl über dieses Wort des HErrn? aber warum wollt ihr denn nicht gern die Trübsal tragen? Wie die Könige ihren treuen Unterthanen Ehrenzeichen umhängen, so laß auch dir von Gott das Ehrenzeichen des heiligen Kreuzes schenken. Vor einem solchen, dem der HErr das Ehrenzeichen des heiligen Kreuzes umhängt, ziehe den Hut ab, denn er ist ein Heiliger Gottes. Versteht mich aber recht. Viele Christen machen sehr dumme Streiche, und wenn sie deshalb leiden müssen, so sagen sie: welch ein Heiliger bin ich doch, denn ich habe so viel Kreuz zu tragen. Merke dir: das ist gar kein Kreuz, was du zu tragen hast, sondern Leiden und Trübsal, die du dir durch deine Dummheiten und Verkehrtheiten selbst zugezogen hast. Zwar ist es noch Gnade von Gott, wenn Er dich tüchtig züchtigt und stäupt um Deiner Dummheit und Sünde willen, aber den herrlichen Namen Kreuzträger darfst du dir nicht aneignen.
Nur die Heiligen sind Kreuzträger, und das Kreuz besteht in dem Leiden um des HErrn willen. Mit dieser Bitte verbindet David gleichsam eine Drohung gegen seine Feinde, wenn er sagt: Der HErr höret mich, wenn ich Ihn anrufe. Ihr werdet, will er sagen, nicht nur an mir einen unüberwindlichen Kämpfer haben, sondern nehmt euch in Acht, ich habe noch Einen Mitkämpfer, das ist Gott der HErr, denn ich kann beten. Dann fährt er fort: Zürnet ihr, so sündiget nicht. Redet mit eurem Herzen auf eurem Lager, und harret. Opfert Gerechtigkeit, und hoffet auf den HErrn. Zu wem redet er das? zu den großen Hansen? Wie sollte er das zu denen sagen können! Das sind Rathschläge, die den Frommen gegeben werden und nicht den Gottlosen, das sind Rathschläge für solche Leute, wie David einer war, und für die, die sich zu ihm hielten. Er schauet im Geiste alle die an, die wie er leiden, er betrachtet sie als seine Genossen, schließt sich ihnen im Geiste an und spricht: Zürnet ihr, so sündiget nicht. Es ist in der That ein schweres Stück, wenn man belogen und verleumdet wird, da den Zorn zu unterdrücken. Und das Schlimmste ist, bei diesem Zürnen sündigt man so leicht. Darum warnt David so ernstlich: Zürnet ihr, so sündiget nicht. Er will sagen: ich kann es euch nicht verdenken, daß ihr darob zürnet, will es auch nicht wehren, daß der Zorn in euch aufsteigt, aber ich bitte euch, laßt es keinen sündlichen Zorn sein. Und wie sollen sie dem Zorn wehren? Hört den Rath: Redet mit eurem Herzen auf eurem Lager. Was denn? Nun etwa solche Sprüche als: Was betrübst du dich meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde Ihm noch danken, daß Er meines Angesichts Hülfe und mein Gott ist Pf. 42, 12; oder: Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft Ps. 62, 2; oder: Wenn ihr stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein; oder: Gieb dich zufrieden, meine Seele, und sei stille, denn der HErr hilft dir. Dennoch bleibe ich stets an Dir; Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen; Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein u. s. w. So kann man den Schmerz stillen und den Zorn dämpfen, die Wogen im Herzen legen sich, man kann für die Feinde beten, man kann segnen die uns fluchen, man kann denen wohlthun, die uns verfolgen. Opfert Gerechtigkeit, und hoffet auf den HErrn, nachdem ihr euer Herz zufrieden gesprochen habt. Gerechtigkeit opfern das heißt aber nichts anders, als den Willen des HErrn thun; denn das ist die Gerechtigkeit, die wir Gott opfern sollen. Ein solches Opfer ist z. B. durch Wohlthaten feurige Kohlen auf das Haupt des Feindes sammeln, dadurch werden die Feinde vollends überwunden. David fährt fort: Viele sagen: Wie sollte uns dieser weisen, was gut ist? Sie wollen die Lehre, die er singt und predigt in seinen Psalmen, nicht annehmen. Darauf antwortet er still und ruhig: ich will und soll euch auch nichts predigen und lehren, was ich lehre das kommt daher: der HErr erhebt über mir das Licht Seines Angesichts. Was ich euch lehre und predige, das kommt von Gott und was Gott mir giebt, das predige ich euch. Es ist das dasselbe, was der Apostel Paulus sagt: Ihr habt das Wort göttlicher Predigt, das ihr von uns empfinget, aufgenommen nicht als Menschen Wort, sondern, wie es denn wahrhaftig ist, als Gottes Wort; oder wie die Propheten sagen: So spricht der HErr Zebaoth. Was David redet und lehrt in den Psalmen, ist eben so wohl Gottes Wort, als was die Apostel und Propheten lehren und reden. Daher mag er noch so verachtet und gering sein, muß er auch fliehen und wohnen in Höhlen und Klüften, darauf kommt es nicht an: Gott ist es doch, der durch ihn redet. - Aber sagt mir, ist das nicht schrecklich, der gottlose Saul sitzt auf dem Thron und hat die Hülle und Fülle, der fromme David aber muß in der Wüste umher irren, hat kaum ein Stück Brot und wenn er eins hat, so muß er es mit Thränen essen? Wer ist der Glücklichere, Saul oder David? und kann Gott das so mit ansehen? Darauf sage ich dir: du siehst die Sache mit deinen blöden Menschenaugen an; Vater Luther sagt: du siehst die Sache mit deinen groben Kuhaugen an. David hatte solche Kuhaugen nicht, denn er sagt: Du erfreuest mein Herz, ob Jene gleich viel Wein und Korn haben. Laß sie laufen mit ihrem Korn und Wein, laß sie sich voll fressen und voll saufen und dann wie Schweine in der Gosse liegen, Gott erstellt Davids Herz. Da sehet ihr, daß David mit all den großen Hansen nicht tauscht. Das sind die Kuhaugen, die Korn und Wein für etwas besseres halten, als die Erquickung vor dem Angesichte des HErrn. Der HErr lehrt Seinen Kindern alles Irdische für Staub und Dreck halten. So ist David doch der Glücklichste, weil Gott sein Herz erstellt, und die großen Hansen sind die Unglücklichen, obgleich sie Korn und Most haben. Ein zweites Glück Davids wird uns im letzten Verse gesagt, denn da heißt es: Ich liege und schlafe ganz mit Frieden; denn allein Du, HErr, hilfst mir, daß ich sicher wohne. David kann sich in den Felsenhöhlen auf Gras und Steine legen, der HErr ist bei ihm, schützt und erquickt ihn. So fröhlich wie David in der Höhle ruht, kann Saul nicht auf dem goldenen Bette ruhen, denn der Stachel des bösen Gewissens quält ihn. Man hört oft die Menschen klagen über schlaflose Nächte, davon weih David nichts; man hört, wie sie erzählen, daß sie sich im Bette herum wöltern1) und der Schlaf kommt nicht. David kennt das nicht. Aber das sind gewiß keine fromme Leute, die haben gewiß diesen Spruch: Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, beim Zubettgehen nicht gebetet. Wenn ein frommer Christ die ganze Nacht nicht schlafen kann, so hat er doch keine lange Weile, wöltert sich auch nicht im Bette herum, sondern er redet mit dem HErrn auf seinem Lager, und die Nacht geht hin, er weiß nicht, wo sie geblieben ist. Amen.